Paper Session
Wahrgenommene Diskriminierung und schulische Adaption von Jugendlichen unterschiedlicher ethnischer Herkunftsgruppen: Zur vermittelnden Rolle der Unterrichtsqualität
Jan Scharf1, Birgit Heppt2, Miriam Schwarzenthal3
1DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation; 2Humboldt-Universität zu Berlin; 3Bergische Universität Wuppertal
In Zeiten zunehmender Migration lernen in vielen Ländern, so auch in Deutschland, Jugendliche mit unterschiedlichen kulturellen Zugehörigkeiten, Ethnien und Migrationsgeschichten im gemeinsamen Klassenkontext. Eine zentrale Aufgabe von Lehrkräften ist es in diesem Zusammenhang, allen Schüler*innen gleiche Bildungschancen zu bieten. Jugendliche mit Migrationshintergrund erzielen jedoch häufig geringere schulische Leistungen als ihre Mitschüler*innen ohne Migrationshintergrund (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2016; Henschel et al., 2019), wobei die Leistungen je nach Zuwanderergeneration und ethnischer Herkunft variieren (vgl. Henschel et al., 2022; Kristen & Granato, 2007).
Als wichtige Faktoren, die zu ethnischen Disparitäten in Aspekten schulischer Adaption beitragen, gelten Stereotypisierung und Diskriminierung im Schulkontext (vgl. Byrd, 2017; Schwarzenthal et al., 2018; Schachner et al., 2021). Aktuelle empirische Ergebnisse verweisen darauf, dass Schüler*innen mit Migrationshintergrund – und hierbei insbesondere türkeistämmige Jugendliche sowie Jugendliche mit einem Migrationshintergrund aus SWANA-Ländern (Südwestasien und Nordafrika) – erstens stärkere Stereotypisierung und Diskriminierung wahrnehmen (vgl. Vietze et al., 2022) und dass dies zweitens mit einer schlechteren schulischen Adaption zusammenhängt (vgl. Civitillo et al., 2022). Über die Mechanismen im Schulklassenkontext, die diesen Zusammenhang erklären, ist jedoch weniger bekannt. Bezugnehmend auf die professionelle Kompetenz von Lehrkräften (Baumert & Kunter, 2006; Hachfeld et al., 2015) kann theoretisch angenommen werden, dass die Werte und Überzeugungen der Lehrkräfte, einschließlich ihrer Stereotype, ihre Wahrnehmungen und Handlungen leiten und sich daher auf die sozialen Interaktionen im Klassenkontext (Denessen et al., 2022) und letztlich auf die schulische Adaption der Jugendlichen auswirken.
Vor diesem Hintergrund untersucht der Beitrag zum einen, wie Schüler*innen unterschiedlicher ethnischer Herkunftsgruppen die stereotypen Überzeugungen von Lehrkräften in Bezug auf ethnische Minderheiten sowie die Unterrichtsqualität in den Dimensionen kognitive Aktivierung, Klassenführung und konstruktive Unterstützung wahrnehmen. Zum anderen werden Zusammenhänge zwischen diesen Wahrnehmungen der Jugendlichen und ihrer schulischen Adaption – operationalisiert über die Lesekompetenz und -motivation sowie das Gefühl der Zugehörigkeit zur Schule (Civitillo et al., 2022) – analysiert. Die übergreifende Fragestellung der Studie lautet demnach: Hängen Stereotype von Lehrkräften mit einer schlechteren Unterrichtsqualität zusammen, und sind dies Hinderungsbedingungen für eine erfolgreiche schulische Adaption von Jugendlichen verschiedener ethnischer Herkunftsgruppen?
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden die Schüler*innendaten der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) 2018 aus Deutschland verwendet; die Analysen basieren auf der Stichprobe der Neuntklässler*innen (N=3024), alle einbezogenen Variablen beruhen auf Angaben der Schüler*innen. Die geschachtelte Datenstruktur wurde in den mehrstufigen Regressionsmodellen ebenso berücksichtigt wie zentrale Kovariaten (Geschlecht, Alter, sozioökonomischer Status, zu Hause gesprochene Sprache und besuchte Schulform). Mit der ersten Hypothese wurde angenommen, dass Schüler*innen ethnischer Minderheiten, die in der Gesellschaft ein höheres Maß an Diskriminierung erfahren, auch in der Schule stärkere Stereotype ihrer Lehrkräfte wahrnehmen: Erwartungskonform zeigten die Ergebnisse für türkeistämmige Jugendliche sowie für Jugendliche mit einem Migrationshintergrund aus SWANA-Ländern im Vergleich zu ihren Mitschüler*innen mit einem anderen oder ohne Migrationshintergrund eine größere wahrgenommene Diskriminierung durch Lehrkräfte. Zugleich aber fühlten sie sich stärker zugehörig zu ihrer Schule als ihre Mitschüler*innen mit einem anderen oder ohne Migrationshintergrund. Nahmen Schüler*innen allerdings mehr stereotype Überzeugungen ihrer Lehrkräfte war, waren – im Einklang mit der zweiten Hypothese – sowohl Leseleistung und -motivation als auch das schulische Zugehörigkeitsgefühl geringer. Da mit der dritten Hypothese angenommen wurde, dass der Zusammenhang von wahrgenommener Diskriminierung und geringerer schulischer Adaption durch die Unterrichtsqualität vermittelt wird, wurden im dritten Schritt Mediationseffekte der drei Dimensionen von Unterrichtsqualität geschätzt. Hier zeigte sich, dass die wahrgenommene Diskriminierung mit einer als ungünstiger wahrgenommenen Klassenführung einherging, was wiederum den negativen Zusammenhang mit der Leseleistung und dem Gefühl der Zugehörigkeit zur Schule vermittelte. Im Rahmen des Beitrags werden darüber hinaus umfassendere multivariate Ergebnisse berichtet. Abschließend wird diskutiert, wie Mechanismen, über die sich Diskriminierungserfahrungen von Jugendlichen im Schulalltag vermitteln, künftig noch differenzierter analysiert werden können, um ausführlicher über Bildungsungleichheiten nach ethnischer Herkunft aufklären zu können.
Paper Session
Effekte von Unterricht und Ganztagsangeboten auf Leistungsentwicklung und Leistungsunterschiede nach sozialer Herkunft
Max Nachbauer
Freie Universität Berlin, Deutschland
1 Theoretischer Hintergrund
Die Wirksamkeit von Schule und Unterricht kann sich auf zwei Dimensionen beziehen (Creemers & Kyriakides, 2008). Einerseits kann betrachtet werden, inwieweit der durchschnittliche Lernerfolg der Schüler/innen gesteigert wird (Qualifizierung). Andererseits kann betrachtet werden, inwieweit Unterschiede im Lernerfolg zwischen verschiedenen Schüler/innen abgeschwächt werden (Egalisierung/Entkoppelung). Der zweitgenannte Aspekt ist insbesondere vor dem Hintergrund von systematischen Bildungsungleichheiten von Relevanz. Eine zentrale Problematik stellen Leistungsunterschiede nach der sozialen Herkunft dar (Sirin, 2005). Es stellt sich die Frage, inwieweit Schulen durch die Gestaltung von Unterricht und Ganztagsangeboten neben der durchschnittlichen Leistungsentwicklung auch Leistungsunterschieden nach der sozialen Herkunft beeinflussen. Im vorliegenden Beitrag wird eine empirische Analyse zu dieser Fragestellung berichtet. Als Unterrichtsmerkmale werden Klassenführung, Unterstützung, kognitive Aktivierung sowie Prinzipien der Gruppenbildung (leistungshomogene vs. leistungsheterogene Gruppen) betrachtet. Als Ganztagsangebote werden Förderunterricht, Hausaufgabenbetreuungen und Ergänzungsangebote für leistungsstarke Schüler/innen betrachtet.
2 Fragestellungen
Im Beitrag werden vier Fragestellungen untersucht:
- Welche Effekte haben Unterrichtsmerkmale auf den durchschnittlichen Lernerfolg?
- Welche Effekte haben Unterrichtsmerkmale auf Unterschiede im Lernerfolg nach sozialer Herkunft?
- Welche Effekte haben Ganztagsangebote auf den durchschnittlichen Lernerfolg?
- Welche Effekte haben Ganztagsangebote auf Unterschiede im Lernerfolg nach sozialer Herkunft?
3 Methode
Die Analysen basieren auf Daten der Startkohorte 3 des Nationalen Bildungspanels (Blossfeld & Roßbach, 2019). Es werden Schüler/innen in Gymnasien in ganz Deutschland untersucht. Die Schulform des Gymnasiums wurde ausgewählt, weil die soziale Heterogenität der Schülerschaft in Gymnasien am stärksten ausgeprägt ist (im Vergleich zu Haupt-/Mittelschulen und Realschulen). Die Stichprobe umfasst 1.523 Schüler/innen in 120 Klassen in 71 Schulen.
Als abhängige Variable wird die Entwicklung von Mathematikkompetenz von der fünften bis zur siebten Jahrgangsstufe betrachtet. Mathematikkompetenz wird mit einem standardisierten Leistungstest erhoben (Anfang der fünften Jahrgangsstufe und Anfang der siebten Jahrgangsstufe). Die soziale Herkunft wird durch den höchsten Bildungsstand der Eltern operationalisiert. Weitere Kontrollvariablen auf der Schülerebene sind Geschlecht und Migrationshintergrund. Die unabhängigen Variablen Unterrichtsmerkmale und Ganztagsangebote werden mit Fragebögen für Lehrkräfte und Schulleiter/innen erfasst.
Als Analysemethoden werden Mehrebenenmodelle eingesetzt (zwei Ebenen: Schülerebene und Klassenebene). Spezifisch handelt es sich um Intercept-and-Slope-As-Outcome Modelle (Raudenbush & Bryk, 2002). Der Random Intercept ist ein Indikator für den durchschnittlichen Lernerfolg (mittlerer Zuwachs der Mathematikkompetenz). Der Random Slope der sozialen Herkunft ist ein Indikator für Unterschiede im Lernerfolg nach der sozialen Herkunft (Abhängigkeit des Zuwachses der Mathematikkompetenz von der sozialen Herkunft).
4 Ergebnisse
Bezüglich Effekten von Unterrichtsmerkmalen auf den durchschnittlichen Lernerfolg zeigt sich, dass Klassenführung einen positiven linearen Effekt hat, während kognitive Aktivierung einen positiven linearen und einen negativen quadratischen Effekt hat. Hinsichtlich Effekten von Unterrichtsmerkmalen auf herkunftsbedingte Unterschiede im Lernerfolg wird festgestellt, dass Unterstützung durch die Lehrkraft einen tendenziell signifikanten (p < 0.10) negativen Effekt hat und dass die Bildung von leistungsheterogenen Gruppen einen negativen Effekt hat (negative Effekte bedeuten, dass herkunftsbedingte Unterschiede abgeschwächt werden).
Bezüglich Effekten von Ganztagsangeboten auf den durchschnittlichen Lernerfolg zeigt sich, dass Hausaufgabenbetreuungen einen negativen Effekt haben und dass Ergänzungsangebote für leistungsstarke Schüler/innen einen tendenziell signifikanten (p < 0.10) negativen Effekt haben. Hinsichtlich Effekten von Ganztagsangeboten auf herkunftsbedingte Unterschiede im Lernerfolg wird festgestellt, dass Förderunterricht einen negativen Effekt hat (herkunftsbedingte Unterschiede werden abgeschwächt), während Hausaufgabenbetreuungen und Ergänzungsangebote für leistungsstarke Schüler/innen positive Effekte haben (herkunftsbedingte Unterschiede werden verstärkt).
5 Diskussion
Der vorliegende Beitrag erweitert das Verständnis darüber, wie schulische Lernangebote die Entstehung von Leistungsunterschieden nach der sozialen Herkunft beeinflussen. Es werden sowohl abschwächende als auch verstärkende Effekte ermittelt.
Eine Limitation ist darin zu sehen, dass die Ergebnisse nicht ohne weiteres vom Gymnasium auf andere Schulformen übertragen werden können. Eine weitere Limitation liegt darin, dass Unterrichtsmerkmale und Ganztagsangebote nur durch Befragung von Lehrkräften und Schulleiter/innen erhoben werden. Es wird somit nur eine einseitige und enggeführte Erfassung der schulischen Lernumwelt ermöglicht.
Paper Session
Schulentfremdung – eine Frage der Erfüllung von Basic Needs im Unterrich
Katharina Fuchs1, Lisa Pösse1, Ramona Obermeier2, Hanna Velling1, Michaela Gläser-Zikuda1
1Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland; 2Johannes Kepler Universität Linz, Österreich
Theoretischer Hintergrund
Schulentfremdung stellt ein komplexes Problem mit negativen Folgen für Individuum und Gesellschaft dar. Da viele Schulabbrecher*innen Entfremdungserscheinungen zeigen, kann Schulentfremdung als vorgelagerter Prozess zum Schulabbruch beschrieben werden (Stamm, 2012). Schulentfremdung setzt sich aus kognitiven und affektiven Dimensionen zusammen und kann als negative Einstellung oder dauerhaft negative Disposition gegenüber verschiedenen Aspekten der Schule (Lernen, Mitschüler*innen und Lehrkräfte) verstanden werden (Hascher & Hadjar, 2018).
Schulentfremdung wird durch individuell-schüler*innenbezogene und unterrichtsbezogene Aspekte beeinflusst. Auf individueller Ebene hängen beispielsweise das Geschlecht, Schulleistungen sowie der Migrationshintergrund mit Entfremdung zusammen (Morinaj et al., 2020, Hadjar et al. 2019). Der Zusammenhang zwischen der Unterrichtsqualität und Schulentfremdung lässt sich u.a. durch die Selbstbestimmungstheorie und die dort referierten menschlichen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit erklären (Deci & Ryan, 2000). Diese sind für Konstrukte, die eng mit der Schulentfremdung in Beziehung stehen (z.B. Motivation, Wohlbefinden von Schüler*innen; Morinaj & Hascher, 2019; Niemiec & Ryan, 2009) und auch direkt für das Ausmaß an Schulentfremdung von Schüler*innen relevant (Mahmoudi et al., 2018).
Bislang liegen kaum Studien vor, die Einflussfaktoren von Schulentfremdung mehrebenenanalytisch untersuchen (Hascher & Hadjar 2018). Ebenso fand bislang keine dezidierte Prüfung von Zusammenhängen der wahrgenommenen Befriedigung der Grundbedürfnisse im Unterricht und der Entfremdung vom Lernen auf Individualebene der Schüler*innen statt.
Fragestellung
Folgende Forschungsfragen werden fokussiert:
(a) In welchem Zusammenhang steht die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse im Unterricht mit der Entfremdung der Schüler*innen vom Lernen?
(b) Wird dieser Zusammenhang durch die Leistung der Schüler*innen moderiert?
Methode
Im Schuljahr 2021/22 wurden online-Fragebogenerhebungen an 38 Sekundarschulen eines deutschen Bundeslands durchgeführt. Die Schüler*innen wurden mit etablierten und standardisierten Fragebogeninstrumenten u.a. nach ihrem Selbstbestimmungserleben, der Abwesenheit sozialer Probleme, ihrem Kompetenzerleben im Unterricht sowie nach der Entfremdung vom Lernen befragt.
Anhand von Daten von N = 1.776 Schüler*innen (Durchschnittsalter: M = 13.16, SD = 3.64; 47.6% weiblich; 14.4% Migrationshintergrun) in 129 Klassen (5. bis 9. Jahrgangsstufe) wurden hierarchische Mehrebenenanalysen mit der Entfremdung vom Lernen als abhängiger Variable durchgeführt. Zunächst wurden das Selbstbestimmungserleben im Unterricht sowie die Abwesenheit sozialer Probleme auf Klassenebene (Level 2) (modelliert als Gruppenmittelwert der Einschätzung aller Schüler*innen einer Klasse) als Prädiktoren ins Modell aufgenommen. Anschließend wurden auf der Ebene der Schüler*innen (Level 1) die individuelle Wahrnehmung von Selbstbestimmung, Kompetenzerleben sowie der Abwesenheit sozialer Probleme in das Modell einbezogen. Die Level 1-Variablen wurden jeweils am Klassenmittelwert zentriert. Schulleistung, Geschlecht, Jahrgangsstufe sowie Migrationshintergrund der Schüler*innen wurden kontrolliert. Ein abschließendes Modell integriert ergänzend zu den Haupteffekten der genannten Prädiktoren Interaktionsterme, um Unterschiede in den Zusammenhängen zwischen Prädiktoren und abhängiver Variable zu untersuchen.
Ergebnisse
Es finden sich verschiedene Zusammenhänge der menschlichen Grundbedürfnisse und der Entfremdung vom Lernen: Auf Individualebene stehen eine höhere Selbstbestimmung (B = -.173, SE = .023), Selbstwirksamkeit (B = -.369, SE = .027) sowie Abwesenheit sozialer Probleme (B = -.369, SE = .027) in einem negativen Zusammenhang mit der Entfremdung vom Lernen. Ein negativer Zusammenhang findet sich auch bezogen auf das Selbstbestimmungserleben auf Klassenebene (B = -.257, SE = .083). Für die Abwesenheit sozialer Probleme auf Klassenebene zeigt sich hingegen kein signifikanter Zusammenhang. Die Interaktionsterme offenbaren, dass der Zusammenhang zwischen der Leistung der Schüler*innen und der Entfremdung vom Lernen signifikant durch die Abwesenheit sozialer Probleme auf Klassenebene moderiert wird (B = -.180, SE = .077). In Klassen mit einer hohen Abwesenheit sozialer Probleme ist der Zusammenhang zwischen der individuellen Leistung der Schüler*innen und der Entfremdung vom Lernen somit schwächer.
Dies zeigt, dass die Möglichkeit der Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse im Unterricht mit der Schulentfremduing der Schüler*innen korrespondiert. Im Rahmen des Vortrags werden die zentralen Ergebnisse der Studie präsentiert sowie insbesondere im Hinblick auf Implikationen für die Unterrichtsgestaltung und die Prävention von Entfremdung vom Lernen diskutiert.
Paper Session
Institutionelles Vertrauen in die Schule: eine Validierungsstudie
Elisabeth Graf1, Julia Reiter2
1Institut für Entwicklungs- und Bildungspsychology, Fakultät für Psychologie, Universität Wien, Österreich; 2Institut für Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialpsychologie, Fakultät für Psychologie, Universität Wien
Theoretischer Hintergrund
Schulen sind eine der ersten Institutionen, die intensiv den Alltag von Kindern und Jugendlichen prägen. Die Erfahrungen, die Schüler*innen in Schulen machen, könnten daher bedeutend für die Entwicklung ihres institutionellen Vertrauens sein (Schoon & Cheng, 2011). Das institutionelle Vertrauen in die Schule selbst wurde bislang kaum untersucht. Eine Ausnahme stellt die Skala zu Schulvertrauen von Yeager et al. (2017) dar, die es auf einer interpersonellen Ebene in Bezug auf Fairness erfasst. Für die Entwicklung von Vertrauen ist neben interpersonellen Erfahrungen (kulturelle Theorien) auch die Evaluation von Institutionen in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeit relevant (institutionelle Theorien; Schoon & Cheng, 2011). Dieser Beitrag hat das Ziel, Vertrauen in die Schule aus dieser institutionellen Perspektive zu erfassen. Als zentrale Aufgaben von Schulen sehen wir dabei, diese Schüler*innen erfolgreich auf ihren Abschluss vorzubereiten (akademische Vorbereitung), eine sichere Umgebung für das Lernen zu bieten (Sicherheitsgefühl) und sie transparent über Regelungen informieren (Informationsfluss). Dieses Konzept stützt sich auf Arbeiten zu Wohlbefinden und Vertrauen in Schulen während der Pandemie (Schober et al., 2020).
Fragestellung
Dieser Beitrag hat das Ziel, die neu entwickelte Skala zu schulischem Vertrauen zu validieren. Folgende zentrale Fragestellungen wurden dabei untersucht:
- Was ist die Faktorstruktur der Skala?
- Kann aus den ursprünglich entwickelten 18 Items eine Kurzskala gebildet werden, die eine gute Reliabilität (interne Konsistenz), Inhaltsvalidität (Zusammenhang mit Einzelitem zu Schulvertrauen) und übereinstimmende Konstruktvalidität (Schulvertrauen nach Yeager et al., 2017) aufweist?
- Besteht Messinvarianz zwischen Geschlechtern?
Methode
Wir analysierten Daten von 286 Schüler*innen aus der 11. und 12. Schulstufe (MAlter = 17.47, SD = 0.87) an Wiener Gymnasien und berufsbildenden höheren Schulen. Die Skala bestand aus je sechs Items für die Themenbereiche akademische Vorbereitung (z.B., „Ich weiß, dass meine Lehrer*innen es schaffen, mich gut auf Prüfungen vorzubereiten.“), Sicherheitsgefühl (z.B. „Ich muss mir in meiner Schule keine Sorgen um meine Sicherheit machen.“) und Informationsfluss (z.B., „Ich bin mir sicher, dass mir meine Lehrer*innen alle wichtigen Entscheidungen zu Unterricht und Schule mitteilen.“). Mittels Hauptkomponentenanalyse und explorativer Faktorenanalyse identifizierten wir die Faktorenstruktur der 18 Items. Dazu verwendeten wir eine zufällig gezogene Teilstichprobe der Gesamtdaten. Anhand mehrerer Kriterien, inklusive eines „Ameisenalgorithmus“ (ACO, Olaru & Danner, 2021; Olaru et al., 2019), bildeten wir eine Kurzskala mit 9 Items. Die Modellpassung der Kurzskala sowie ihre Reliabilität und Validität wurden mit den bisher noch nicht verwendeten Daten überprüft (mittels Konfirmatorischer Faktorenanalyse [CFA] und bivariaten Korrelationen zu thematisch verwandten Skalen von Köhler et al., 2016; Yeager et al., 2017). Im letzten Schritt wurde die Messinvarianz in Bezug auf Geschlecht mittels Mehrgruppen-CFA basierend auf dem Bayesianischen Informationskriterium (BIC) evaluiert. Die gesamten Analysen wurden vor Datenerhebung präregistriert und in R durchgeführt.
Ergebnisse
Die theoretisch beschriebene Drei-Faktor-Struktur akademische Vorbereitung, Sicherheitsgefühl und Informationsfluss und erzielte sehr gute Modellpassung (CFA; CFI = .988, TLI = .982, RMSEA = .050, SRMR = .039) sowie gute Reliabilität sowohl für Skala als auch Subskalen (McDonald’s Omega ω; gut für die Gesamtskala ω = .88, akzeptabel für die Subskala Vorbereitung (ω = .73), gut für die Subskalen Sicherheitsgefühl (ω = .86) und Informationsfluss (ω = .89)). Die Gesamtskala korrelierte moderat mit einem Einzelitem zu Schulvertrauen (r = .49) und hoch mit der Fairness-Skala von Yeager et al. (r = .69), was auf Augenschein- bzw. Konstruktvalidität hindeutet. Die Subskalen wiesen mittlere bis große Zusammenhänge mit der Fairness-Skala und dem Einzelitem auf (r = [.38 – 68]). Bei den Analysen zu Messinvarianz des finalen Modells in Bezug auf Geschlecht reduzierte sich das BIC bei stärkerer Gleichsetzung der Modelle, dementsprechend schließen wir auf gleichförmige Messmodelle bei männlichen und weiblichen Schüler*innen. Die neu entwickelte Skala erlaubt es zukünftigen Studien, institutionelles Vertrauen ausgehend vom Schulkontext zu untersuchen und bietet dadurch vielversprechende Möglichkeiten für zukünftige Forschung.
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