Conference Agenda

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Session Overview
Session
7-16: Authentische Lerngelegenheiten
Time:
Wednesday, 20/Mar/2024:
9:00am - 10:40am

Location: S15

Seminarraum, 50 TN

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Presentations
Paper Session

Evaluation eines Zooführungskonzeptes des Allwetterzoos Münster zur Bildung für nachhaltige Entwicklung

Gesche Barg, Elmar Souvignier

Universität Münster, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) verfolgt das Ziel, Menschen dazu zu befähigen, zukunftsorientiert zu denken und zu handeln (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung, 2017). Für mehrere BNE-Bildungsangebote konnte ein positiver Einfluss auf die Veränderung von Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und moralischen Überzeugungen beobachtet werden (O’Flaherty und Liddy, 2018), aber bislang haben sich nur wenige Studien mit Effekten auf Verhaltensänderungen beschäftigt (Algurén, 2021). Wenngleich systematische Analysen zur Wirksamkeit unterschiedlicher Lehrmethoden im BNE-Kontext fehlen (Rieß, 2022), gelten beispielsweise außerschulische Lernorte wie Zoos als geeigneter Rahmen dafür, BNE-Lernmethoden zu erproben und miteinander zu vergleichen (Thomas, 2020). Erste Untersuchungen zur Wirksamkeit von zoopädagogischen Angeboten weisen generell auf deren Nutzen hin (Counsell et al. 2020; Kleepsies et al., 2022). Vor diesem Hintergrund sollen in der vorliegenden Studie Effekte eines neukonzipierten BNE-Zooführungskonzepts des Allwetterzoos Münster (Dobslaw, 2019) evaluiert werden. In dieser 90-minütigen Zooführung haben Tierarten die Rolle von Botschaftern ihrer Ökosysteme. Auf diese Weise werden reale BNE-Problemstellungen veranschaulicht und im Gespräch erarbeitet. Um Effekte einer zusätzlichen Aktivierung von Schüler:innen zu untersuchen, wurde das Zooführungskonzept in einer der beiden Experimentalgruppen durch kooperative Lernelemente in Form von Planspielen vertieft.

Fragestellung

Ziel der Studie war es, kurz- und langfristige Effekte der Teilnahme an einer BNE-Zooführung im Allwetterzoo Münster auf das Umweltwissen, das systemische Denken, die umweltbezogenen Einstellungen, die umweltschützenden Verhaltensabsichten und das tatsächliche umweltschützende Verhalten zu untersuchen. Aufgrund der Wirksamkeitsnachweise anderer BNE- und zoopädagogischer Bildungsangebote (Algurén, 2021; Counsell et al., 2020; Kleespies et al., 2022; O’Flaherty & Liddy, 2018) wurden positive Effekte der BNE-Zooführung auf alle Kriteriumsvariablen erwartet. Dabei gingen wir davon aus, dass die kooperativen Lernelemente einen zusätzlichen förderlichen Einfluss bewirken.

Methode

An der Studie nahmen 26 Schulklassen der Jahrgangsstufen 7 bis 9 (N = 656 Schüler:innen) aus dem Stadtgebiet Münster im Herbst/Winter 2022/23 teil. Die Klassen wurden Experimentalgruppe 1 (N = 189 Schüler:innen aus acht Klassen), Experimentalgruppe 2 (N = 218 Schüler:innen aus acht Klassen) und der Kontrollgruppe (N = 218 Schüler:innen aus zehn Klassen) randomisiert zugewiesen. Klassen der Experimentalgruppen nahmen während der Studie an der BNE-Zooführung teil, wobei nur bei Führungen der Experimentalgruppe 2 die kooperativen Planspiele genutzt wurden. Schüler:innen der Kontrollgruppe nahmen nach den Erhebungen an der BNE-Zooführung teil. Die Kriteriumsvariablen wurden anhand eines Fragebogens eine Woche vor der Führung (T1), unmittelbar nach der Führung (T2) und einen Monat nach der Führung (T3) erhoben. Die beiden Skalen zum Umweltwissen und zum umweltschützenden Verhalten wurden für die vorliegende Studie neu konstruiert. Die Fragen zum systemischen Denken (Bräutigam, 2014), zu den umweltbezogenen Einstellungen und zur umweltfreundlichen Verhaltensintention (Barth & Weiß, 2021) wurden aus bereits vorliegenden Skalen zusammengestellt. Alle Skalen weisen eine zufriedenstellende interne Konsistenz auf.

Ergebnisse

Für die statistische Auswertung wurde für jede Kriteriumsvariable zwei getrennte Random Intercept – Fixed Slope Mehrebenenmodelle für den Testzeitpunkt 2 und den Testzeitpunkt 3 berechnet. Die Werte des Testzeitpunktes 1 dienten zur Kontrolle von Vortestunterschieden. In beiden Experimentalgruppen erwies sich kurz- und langfristig das Umweltwissen im Vergleich zur Kontrollgruppe als signifikant höher (p ≤ .03). Kurzfristig bewirkten die Zooführungen geringfügig positive Effekte auf das systemische Denken (p ≤ .1) und die umweltschützenden Einstellungen (p ≤ .1). Es zeigten sich hingegen keine Effekte auf die Verhaltensintention oder das tatsächliche Verhalten der Schüler:innen. Die Wirksamkeit der kooperativen Lernelemente wurde mittels post-hoc Tests geprüft. Hier zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Experimentalbedingungen.

Insgesamt erweist sich das Konzept der BNE-Zooführung in Bezug auf die proximale Variable des Umweltwissens als wirksam und es deuten sich schwache Effekte auf systemisches Denken und umweltschützende Einstellungen an. Die Evaluation des BNE-Zooführungskonzepts verdeutlicht, dass eine effektivere Implementation von kooperativen Lernelementen sowie eine direktere Förderung von umweltschützendem Verhalten sinnvoll wären.



Paper Session

Ein randomisierter kontrollierter Feldversuch zur Untersuchung der Wirkmechanismen von Citizen Science im Rahmen eines naturwissenschaftlichen Online-Kurses

Julia Maria Lange1, Julia Schiefer2, Markus Kleinhansl1, Carola Garrecht3, Steffen Seitz4, Thomas Scholten4, Benjamin Nagengast1,5, Jessika Golle1, Ulrich Trautwein1

1Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung, Eberhard Karls Universität Tübingen; 2Institut für Psychologie, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg; 3Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Kiel; 4Geographisches Institut, Bodenkunde und Geomorphologie, Eberhard Karls Universität Tübingen; 5Department of Education and the Brain & Motivation Research Institute (bMRI), Korea University, Seoul, Korea

Theoretischer Hintergrund und Fragestellung

Die aktive Partizipation an echter Forschung im Rahmen von Citizen-Science-Projekten wird als vielversprechender Ansatz angesehen, das wissenschaftliche Denken und die naturwissenschaftliche Motivation von Schüler:innen zu fördern (Bonney et al., 2016; Phillips et al., 2018). Citizen-Science-Projekte ermöglichen Schüler:innen die Bearbeitung von Themen gesellschaftlicher Relevanz und das Erleben von Wissenschaft als gemeinschaftliche Aktivität – Merkmale, die besonders Mädchen ansprechen (Diekman et al., 2010; Su et al., 2009). Die vorliegende Studie untersucht systematisch die Effekte, die eine Citizen-Science-Beteiligung im Rahmen eines naturwissenschaftlichen Online-Kurses auf das wissenschaftliche Denken und die naturwissenschaftliche Motivation von Jungen und Mädchen im Grundschulalter hat.

Dazu wurde ein 3-wöchiger asynchroner Online-Kurs zum Thema „Boden“ entwickelt. Die Kurssitzungen waren für die Interventions- und Kontrollgruppe vergleichbar, variiert wurde die Beteiligung am Citizen-Science-Projekt (Tea-Bag-Index-Projekt; Djukic et al., 2021). Wir erwarteten, dass die Citizen-Science-Beteiligung einen positiven Effekt auf das wissenschaftliche Denken und die Motivation der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe haben würde.

Methode

Stichprobe und Design

Unsere Intervention wurde im Schuljahr 2021/22 als Bestandteil eines Enrichment-Programms für begabte Grundschulkinder in Baden-Württemberg (Hector Kinderakademien, vgl. Golle et al., 2018) angeboten. An der Intervention nahmen N = 206 Grundschulkinder (58.25% Jungen, Alter: M=9.39, SD=0.76, Klasse 1: N=2, Klasse 2: N=36, Klasse 3: N=112, Klasse 4: N=56) teil. Die Studie wurde als randomisierte kontrollierte Feldstudie mit einem Prä- und Posttest durchgeführt.

Instrumente

Wissenschaftliches Denken. Um die verschiedenen Bereiche wissenschaftlichen Denkens abzubilden, wurden die Experimentierfähigkeiten der Schüler:innen (Phan, 2007), ihr epistemisches Wissen über das Wesen von Citizen Science (selbstkonzipiert) und über die Natur der Naturwissenschaften (wie die Herkunft und Sicherheit naturwissenschaftlichen Wissens; Kremer, 2010) sowie ihr Sachwissen über den Boden (selbstkonzipiert) erfasst.

Motivation. Um die naturwissenschaftliche Motivation der Schüler:innen zu erheben, wurden u.a. ihre Intention, sich auch künftig mit Naturwissenschaften zu beschäftigen (Bruckermann et al., 2021), ihr naturwissenschaftliches Fähigkeiten-Selbstkonzept (Gaspard et al., 2021), ihre Science Identity („Wissenschaftsidentität“; Chen & Wei, 2022) und ihr forschendes Interesse (Holland, 1997) erfasst.[1]

Statistische Analyse

Die Effekte der Intervention wurden mittels multipler Regressionen in R analysiert (AVs: standardisierte Posttestwerte, UVs: Gruppenzugehörigkeit [Interventionsgruppe=1, Kontrollgruppe=0], standardisierte Prätestwerte) und können aufgrund der Standardisierung der AVs und UVs als Effektstärken (Cohens d) interpretiert werden. Um explorativ zu untersuchen, ob der Effekt durch die Citizen-Science-Beteiligung systematisch mit dem Geschlecht variiert, wurde in einem weiteren Analyseschritt die Interaktion zwischen der Gruppenzugehörigkeit und dem Geschlecht der Schüler:innen in die Regressionsmodelle aufgenommen.

Ergebnisse

Wissenschaftliches Denken. Entgegen unserer Hypothese konnten wir keinen signifikanten Effekt der Citizen-Science-Beteiligung auf das wissenschaftliche Denken der Schüler:innen feststellen. Allerdings profitieren Mädchen im Hinblick auf ihr epistemisches Wissen über das Wesen von Citizen Science (Gruppenzugehörigkeit*Geschlecht: B=-0.70, p=.014; Interventionseffekt für Mädchen: B=0.57, p=.012) sowie über die Herkunft (Gruppenzugehörigkeit*Geschlecht: B=-0.60, p=.032; Interventionseffekt für Mädchen: B=0.47, p=.021) und Sicherheit (Gruppenzugehörigkeit*Geschlecht: B=-0.62, p=.044; Interventionseffekt für Mädchen: B=0.30, p=.262) naturwissenschaftlichen Wissens mehr als Jungen von der Citizen-Science-Beteiligung.

Motivation. Übereinstimmend mit unserer Hypothese entwickelten die Schüler:innen in der Interventionsgruppe eine signifikant höhere Intention, sich auch künftig mit Naturwissenschaften zu beschäftigen (B=0.36, p=.005). Signifikante Haupteffekte der Citizen-Science-Beteiligung auf die anderen motivationalen Variablen waren nicht zu beobachten. Allerdings wurde die Science Identity der Mädchen durch die Citizen-Science-Beteiligung signifikant stärker gefördert als die der Jungen (Gruppenzugehörigkeit*Geschlecht: B=-0.67, p=.010; Interventionseffekt für Mädchen: B=0.44, p=.045).

Die Studie zeigt, dass der zusätzliche Nutzen einer Citizen-Science-Beteiligung insbesondere in der gesteigerten Intention der Schüler:innen besteht, sich auch künftig mit Naturwissenschaften zu beschäftigen. Darüber hinaus konnten besonders Mädchen von der Citizen-Science-Beteiligung in ihrem epistemischen Wissen und ihrer Science Identity profitieren. Citizen Science scheint eine Möglichkeit zu sein, dem geschlechterübergreifend geringen und bei Mädchen sinkenden Interesse an naturwissenschaftlichen Berufen entgegenzuwirken (Sadler et al., 2012; Sheldrake, 2020).

[1] In diesem Abstract konzentrieren wir uns auf eine Auswahl der Instrumente zur Messung von Motivation.



Paper Session

Führt ein Parlamentsbesuch von Erwachsenen zu einer Zunahme des Wissens über Politik? Befunde einer Längsschnittstudie

Falk Scheidig, Niklas Obergassel

Ruhr-Universität Bochum, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Eine zentrale Voraussetzung für demokratische Teilhabe ist das Vorhandensein politischen Wissens in der Bevölkerung. Politisches Wissen, z. B. zur Gesetzgebung, ist förderlich für die politische Systemunterstützung (Easton, 1965) und die politische Partizipation, z. B. die Beteiligung an Wahlen (Delli Carpini & Keeter, 1996). Dies ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Abnahme des Vertrauens in politische Akteure und Institutionen in Deutschland von hoher Relevanz (Decker et al., 2019). Aktuelle Befunde zeigen jedoch, dass das Niveau politischen Wissens zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist (Tausendpfund & Westle, 2020). Bezüglich des Wissens zu grundlegenden Funktionslogiken des parlamentarischen Regierungssystems in Deutschland bestehen Wissensdefizite und Fehlvorstellungen, die potenziell mit einem Akzeptanzverlust hinsichtlich politischer Prozesse und Entscheide einhergehen (Patzelt, 1998; Schuett-Wetschky, 2003).

Defizite im politischen Wissen stellen daher eine Herausforderung für die Demokratie dar und unterstreichen die Bedeutung politischer Bildung in allen Lebensphasen. Über den Schulunterricht hinaus erreichen Angebote politischer Bildung jedoch nur wenige Menschen (Hufer, 2016). Im Kontrast zur geringen Nachfrage nach Kursen politischer Erwachsenenbildung erzielen parlamentarische Informationsangebote des Bundestags und der deutschen Landtage eine sehr hohe Resonanz. Der Bundestag zählt bis zu drei Millionen Besucherinnen und Besucher pro Jahr, der in der Studie betrachtete Landtag Nordrhein-Westfalen erreicht jährlich bis zu 80.000 Besucherinnen und Besucher. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Erwachsene, die in ihrer Freizeit, über den beruflichen Kontext oder durch Zugehörigkeit zu einer Gruppe (z. B. Vereinswesen, Partei, Gewerkschaft, Kirche) an einem parlamentarischen Informationsprogramm teilnehmen. Charakteristika parlamentarischer Informationsangebote für Erwachsene sind der geringe Formalisierungsgrad des Lernens und die Authentizität und Exklusivität des Lernortes.

Bislang liegen nur wenige Erkenntnisse zur Wirkung parlamentarischer Informationsangebote vor. Bisherige Studien zentrieren sich vor allem auf Parlamentsbesuche von Schulklassen, die als Exkursionen in den Politikunterricht eingebettet sind (z. B. Abendschön et al., 2022). Für die quantitativ dominierende Gruppe der erwachsenen Besucherinnen und Besucher liegen demgegenüber nur wenige Studien (Scheidig & Meilhammer, 2019; Siemsen, 1997) und keine gesicherten Erkenntnisse zu Lernprozessen im Zusammenhang mit dem Parlamentsbesuch vor.

Fragestellung

Im Fokus der Studie steht die Frage, ob ein Parlamentsbesuch zu einer Zunahme des Wissens über Politik bei erwachsenen Besucherinnen und Besuchern führt.

Methode

Zur Beantwortung der Fragestellung wurde eine Fragebogenerhebung unter erwachsenen Besucherinnen und Besuchern des Landtags Nordrhein-Westfalen durchgeführt, die an einem Informationsprogramm teilnahmen (bestehend aus: Informationsvortrag, Gespräch mit einer oder einem Abgeordneten, ggf. Besuch einer Plenardebatte). Für die Befragung wurde ein Prä-Post-Follow-up-Design gewählt: Besucherinnen und Besucher wurden zu Beginn (t1) und am Ende (t2) des Parlamentsbesuchs mit einem Fragebogen befragt, sechs Monate nach dem Besuch fand eine weitere Befragung per Online-Fragebogen statt (t3). Der Fragebogen enthielt einen Wissenstest, der sich auf Fragen zum parlamentarischen Regierungssystem zentrierte und gezielt populäre Fehlvorstellungen aufgriff (z. B. zum Verhältnis von Parlament und Regierung, zum Zustandekommen von Gesetzen).

Die Teilnahme an der Befragung erfolgte anonym und auf freiwilliger Basis, indem Besucherinnen und Besucher im Eingangsbereich des Landtags Nordrhein-Westfalen zu einer Teilnahme an der Studie eingeladen wurden. Insgesamt nahmen 126 Personen zu allen drei Befragungszeitpunkten an der Erhebung teil.

Mittels Varianzanalyse (ANOVAs mit Messwiederholung) wurden Veränderungen im Politikwissen zwischen den drei Befragungszeitpunkten berechnet.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass das Politikwissen unmittelbar nach dem Parlamentsbesuch (t2) signifikant höher ist als zu Beginn des Parlamentsbesuchs (t1). Sechs Monate nach dem Parlamentsbesuch (t3) ist das Politikwissen etwas abgesunken, es befindet sich aber weiterhin auf einem deutlich höheren Niveau als vor dem Parlamentsbesuch. Somit lässt sich unter den erwachsenen Besucherinnen und Besuchern im Durchschnitt sowohl kurz- als auch langfristig eine Zunahme des Wissens über das parlamentarische Regierungssystem nachweisen. Trotz der gemessenen Wissenszunahme verweisen die Ergebnisse des Wissenstests jedoch darauf, dass auch nach der Teilnahme am parlamentarischen Informationsprogramm teilweise weiterhin populäre Fehlvorstellungen bezüglich der Parlamentsarbeit bestehen.



Paper Session

Zeitzeug*innenberichte im Geschichtsunterricht zur Förderung von historischen Kompetenzen, Wissen und Motivation: Eine cluster-randomisierte kontrollierte Interventionsstudie.

Katharina Totter, Wolfgang Wagner, Christiane Bertram, Ulrich Trautwein

Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung, Deutschland

Theorie

Zur Partizipation im demokratischen Diskurs westlicher Gesellschaften benötigen Bürger*innen neben historischem Bewusstsein auch das Handwerkszeug zum kritischen Denken (Trautwein et al., 2017). Beides soll im kompetenzorientierten Geschichtsunterricht vermittelt werden, dessen zentrales Ziel der Aufbau der Kompetenzen historischen Denkens und damit die kritische Analyse von Quellen, Darstellungen und ihrer Narrative sowie die eigenständige Verknüpfung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft darstellt (Jeismann, 2000; Rüsen, 1983; Seixas & Morton, 2013; van Drie & van Boxtel, 2008). Die Arbeit mit Zeitzeug*innen wird in Bildungsstandards sowie zahlreichen Fachbüchern empfohlen und ihr wird großes Potenzial zur Förderung von Motivation und Kompetenzen zugeschrieben (Henke-Bockschatz, 2014; Whitman, 2004). Studien zeigen jedoch auch Risiken auf (Dutt-Doner et al., 2016; Galda, 2013; Obens & Geißler-Jagodzinski, 2010). Schüler*innen glaubten Zeitzeug*innen mehr als anderen Quellen (Angvik et al., 1997; Rosenzweig et al., 1998) und in einer ersten randomisiert-kontrollierten Feldstudie zeigte sich, dass Schüler*innen in der Arbeit mit Live-Zeitzeug*innen zwar mehr Spaß hatten, aber weniger lernten als die Vergleichsklassen mit Videokonserven und Texten von Zeitzeug*innen (Bertram et al., 2017).

In einer darauf aufbauenden, groß angelegten randomisiert-kontrollierten Interventionsstudie wurde die Einschätzung der Transformationszeit nach 1990 jeweils mit zwei Alltagszeitzeug*innen der Generation 1975 aus dem Osten und Westen multiperspektivisch vermittelt. Schüler*innen der Interventionsklassen (live versus Video) wurden in drei Doppelstunden dazu angeregt, über die unterschiedlichen Erlebnisse und Erinnerungen nachzudenken und sie vor dem Hintergrund von Kontextinformationen auszuwerten. Anhand der deutsch-deutschen Geschichte sollten so Kompetenzen historischen Denkens (Körber et al., 2007), wie auch Motivation und Faktenwissen gezielt gefördert werden. Die Präregistrierung der Studie ist bei der Registry of Efficacy and Effectiveness Studies (REES) unter der Nummer #14881.1v1 abrufbar.

Fragestellung

Die Hypothesen bezogen sich auf die unterschiedliche Wirksamkeit der Intervention zwischen den Gruppen (live vs. Video vs. Kontrolle) bezüglich Kompetenzen historischen Denkens (primary outcome), Faktenwissens, motivationalen Variablen wie der Relevanz von Geschichte und der Unterrichtsbewertung.

Methode

Die Stichprobe umfasste insgesamt 1,301 Schüler*innen. Nach randomisierter Zuweisung der 50 Lehrkräfte (n = 23 live, n = 22 Video, n = 15 Kontrolle) erhielten die Lehrkräfte der Interventionsgruppen eine Fortbildung zur Unterrichtseinheit, die sie am Schuljahresende 2022 unterrichteten. Schüler*innendaten der Interventionsklassen wurden vor sowie nach der Intervention erfasst. Die Wartekontrollgruppe wurde nach Lehrplan beschult und analog zu den Interventionsgruppen getestet. Um die zentralen Studienziele empirisch erfassbar zu machen, wurden standardisierte Testaufgaben, wie beispielweise eine Aufgabenauswahl des HiTCH-Tests (Trautwein et al., 2017), genutzt sowie neue Inventare entwickelt und mittels zweiparametrischen Item Response Modellen skaliert. Items zu Einstellungen und Bewertungen der Unterrichtseinheit wurden zu Mittelwerten zusammengefasst. Gemäß den Vorgaben des What Works Clearinghouse (2022) wurden die adjustierten Mittelwertunterschiede der standardisierten Outcomes unter Einbezug von Kovariaten auf Basis von Analysen zur Baseline-Äquivalenz mittels Regressionsanalysen und unter Berücksichtigung der Clusterstruktur geschätzt. Auf Basis einer vorangegangenen Poweranalyse wurde bei Gruppenvergleichen hinsichtlich historischer Kompetenzen (hier mittlerer Gruppenunterschied) sowie der Relevanz von Geschichte eine Multistep-Prozedur von Koch und Röhmel (2004) gewählt.

Ergebnisse & Diskussion

In der Live-Gruppe wurde die Unterrichtseinheit hinsichtlich des Interesses (β = .390, p < .001) sowie der Note günstiger eingeschätzt als bei der Interventionsgruppe mit Videos (β = 0.285, p <.001). Die angenommene Überlegenheit der Interventionsgruppen gegenüber der Kontrollgruppe erwies sich hinsichtlich des erworbenen Wissens als signifikant (0.114 ≤ β ≤ 0.142, p < .05), nicht jedoch bei eingeschätzter Relevanz von Geschichte und im Komposit aus Kompetenztests historischen Denkens. Bei Letzterem zeigte sich in explorativer Betrachtung der Einzeltests, dass die Interventionsgruppen beim Test zur Aussagekraft von Zeitzeug*innen besser abschnitten als die Kontrollgruppe (0.160 ≤ β ≤ 0.204, p < .05), ohne sich untereinander zu unterscheiden. Ein ähnliches Muster zeigt bei anderen Teiltests nicht. Insgesamt bietet die groß angelegte, präregistrierte und randomisiert-kontrolliert durchgeführte Interventionsstudie wertvolle Hinweise hinsichtlich der Effekte des Zeitzeug*inneneinsatz im Unterricht.



 
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