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Sitzungsübersicht
Sitzung
7-15: Wissen, wie es nicht geht: Bedingungen zum Lernen aus fehlerhaften Lösungsbeispielen
Zeit:
Mittwoch, 20.03.2024:
9:00 - 10:40

Ort: S14

Seminarraum, 50 TN

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Präsentationen
Symposium

Wissen, wie es nicht geht: Bedingungen zum Lernen aus fehlerhaften Lösungsbeispielen

Chair(s): Marc Rodemer (Universität Duisburg-Essen), Katharina Loibl (PH Freiburg), Timo Leuders (PH Freiburg)

Diskutant*in(nen): Markus Dresel (Universität Augsburg)

Beispielbasiertes Lernen ist eine gut untersuchte Lernmethode für den Erwerb kognitiver Fähigkeiten in komplexen Domänen (Renkl, 2014). Fehlerhafte Lösungsbeispiele (sog. erroneous examples) sind ein vielversprechender Ansatz, die ablaufenden Lernprozesse auf konzeptuell relevante Aspekte zu lenken: Indem Fehler während der schrittweisen Erklärung einer Problemaufgabe expliziert werden, kann negatives Wissen (Oser & Spychinger, 2005) aufgebaut und das korrekte Verständnis gefördert werden. Unser Review zeigt kaum Untersuchungen zu den Bedingungen, unter denen fehlerhafte Lösungsbeispiele für Lernerfolg wirksam sind, und darüber hinaus, dass empirische Studien zu uneinheitlichen Befunden kommen (Dieterich et al., eingereicht).

Inwieweit fehlerhafte Lösungen lernförderlich sind, hängt davon ab, auf welche Weise Lernende die Information verarbeiten und in ihr Vorwissen integrieren. Hierbei spielen Faktoren auf Seiten des Instruktionsdesigns und der Lernenden eine Rolle.

Auf Seite des Instruktionsdesigns beeinflussen mehrere Faktoren das Lernen aus fehlerhaften Lösungsbeispielen. Insbesondere die Lernaktivität ist entscheidend: Das Lernen wird verbessert, wenn Lernende Fehler identifizieren, erklären und/oder korrigieren (Adams et al., 2014; Große & Renkl, 2007; Richey et al., 2019; Schmitz et al., 2017; Tsovaltzi et al., 2012; Yang et al., 2016). Diese Lernaktivitäten können durch Feedback und/oder Selbsterklärungs-Prompts unterstützt werden (Loibl & Leuders, 2019; Stark et al., 2011). Auch der Vergleich fehlerhafter und richtiger Lösungsbeispiele scheint den Lernerfolg zu unterstützen (Loibl & Leuders, 2019; Booth et al., 2013; Corral & Carpenter, 2020). Darüber hinaus ist unklar, inwieweit eine vorangehende Problemlösephase, in der eigene fehlerhafte Lösungen generiert werden, förderlich ist (PS-I Ansatz, Loibl et al., 2017).

Auf Seite der Lernenden beeinflussen Faktoren wie Vorwissen und kognitive Belastung die Lernergebnisse. Die Forschungsbefunde zum Vorwissen sind uneinheitlich: In einigen Studien profitierten insbesondere Lernende mit wenig Vorwissen von fehlerhaften Lösungsbeispielen (z.B. Barbieri & Booth, 2020), in anderen Studien nur Lernende mit hohem Vorwissen (Große & Renkl, 2007; Heemsoth & Heinze, 2014; Stark et al, 2011) und in weiteren Studien profitierten sowohl Lernende mit niedrigem als auch hohem Vorwissen (Adams et al., 2014; McLaren et al., 2012; McLaren et al., 2015). Diese Befundlage kann durch eine unterschiedliche kognitive Belastung erklärt werden: Studien berichten zwar eine Erhöhung der kognitiven Belastung durch fehlerhafte Lösungsbeispiele (Kopp et al., 2009; Stark et al., 2009; Yang et al., 2016), diese kann jedoch durch instruktionale Maßnahmen wie elaboriertes Feedback reduziert werden (Stark et al., 2009; 2011).

Die aktuelle Forschungslage unterstreicht die Notwendigkeit weiterer empirischer Studien zur Wirksamkeit fehlerhafter Lösungsbeispiele. Das Symposium stellt drei Beiträge vor, die verschiedene Bedingungen untersuchen, unter denen fehlerhafte Lösungsbeispiele lernförderlich sind.

Dieterich et al. untersuchten die Wirksamkeit fehlerhafter Lösungsbeispiele im Vergleich zu richtigen Lösungsbeispielen und einer Kombination beider in einer Prä-/Post-Erhebung im Fach Chemie zum Thema „chemische Bindung“ für Schüler:innen der Sekundarstufe I. Untersucht wurden neben den Lernergebnissen auch kognitive Belastung und der Einfluss des Vorwissens.

Brand et al. nutzten fehlerhafte Lösungsbeispiele als Vorbereitung auf den konzeptuellen Wissenserwerb in einer nachfolgenden Instruktion zum Thema „Varianz“ im Fach Mathematik der Sekundarstufe II. In einem randomisierten Klassenraumexperiment wurde mittels verschiedener fehlerhafter Lösungsbeispiele die relevante Vorwissensaktivierung manipuliert. Fehlerhafte Lösungsbeispiele, die auf die Aktivierung von Vorwissen zielen, bereiteten Schüler:innen auf das Lernen vor – unabhängig vom Ausmaß ihres Vorwissens und unabhängig davon, ob die fehlerhaften Lösungsbeispiele mehr oder weniger relevante Komponenten des Zielwissens beinhalteten.

Dikme et al. untersuchen zum Thema „Bruchvergleich“, inwieweit für einen erfolgreichen Konzeptwechsel beim Vergleich richtiger und fehlerhafter Lösungsbeispiele die Passung der fehlerhaften Lösungsbeispiele zu den eigenen Fehlkonzepten eine Rolle spielt (Chi, 2013). In einer computergestützten Lernumgebung generieren Schüler:innen ohne Vorwissen der Sekundarstufe I zunächst Lösungsansätze, die ihre Prä- und Fehlkonzepte aufzeigen. Anschließend erhalten sie entweder ein richtiges oder zusätzlich ein fehlerhaftes Lösungsbeispiel, das ihrem eigenen Lösungsansatz entspricht oder nicht entspricht. Unterschiede im Lernprozess und -ergebnis werden in einer experimentellen Prä-/Post-/Follow-Up Erhebung erfasst.

 

Beiträge des Symposiums

 

Einfluss fehlerhafter Lösungsbeispiele im Fach Chemie auf Lernzuwachs und kognitive Belastung in Abhängigkeit des Vorwissens

Sonja Dieterich, Stefan Rumann, Marc Rodemer
Universität Duisburg-Essen

Theoretischer Hintergrund

Fehler resultieren in den Naturwissenschaften wie im Fach Chemie häufig aufgrund von Alltags- oder Schülervorstellungen und aufgrund fachlich-komplexer Konzepte, z.B. der Verknüpfung der makroskopischen und symbolischen Ebene (Gilbert et al., 2009; Taber, 2002, 2013). Das Wissen über Fehler oder sogenanntes negatives Wissen soll lernförderlich sein, da es der Abgrenzung zum richtigen, positiven Wissen dient (Oser et al., 1999). Auf Basis der Theorie des negativen Wissens wird angenommen, dass fehlerhafte Lösungsbeispiele den Lernzuwachs fördern können.

Unser systematisches Literaturreview zur Wirksamkeit fehlerhafter Lösungsbeispiele zeigt widersprüchliche empirische Befunde in Abhängigkeit der kognitiven Belastung (CL) und des Vorwissens (Dieterich et al., eingereicht). Während einige Studien zeigen, dass Lernende mit niedrigem Vorwissen von fehlerhaften Lösungsbeispielen profitieren (Barbieri & Booth, 2020), legen andere Studien gegenteilig dar, dass hohes Vorwissen eine Voraussetzung für einen Lernzuwachs ist (Heemsoth & Heinze, 2014; Tsovaltzi et al., 2012). Außerdem ist unklar, ob fehlerhafte Lösungsbeispiele alleine lernförderlich sind (Adams et al., 2014; Chang et al., 2002; Durkin & Rittle-Johnson, 2012; Große & Renkl, 2007) oder ob eine Kombination aus fehlerhaften und richtigen Lösungsbeispielen notwendig ist (Booth et al., 2013; Corral & Carpenter, 2020; Loibl & Leuders, 2018, 2019). Diese divergenten Befunde können möglicherweise durch unterschiedliche kognitive Belastung erklärt werden (Dieterich et al., eingereicht). Das Review zeigt zudem, dass fehlerhafte Lösungsbeispiele überwiegend in Mathematik aber kaum in anderen Domänen untersucht wurden. Es fehlen empirische Untersuchungen bezüglich der lernförderlichen Verwendung von fehlerhaften Lösungsbeispielen für den naturwissenschaftlichen Unterricht.

Fragestellung

Die Studie untersucht im Fach Chemie die Lernwirksamkeit und die kognitive Belastung einer Instruktion auf Basis von entweder richtigen Lösungsbeispielen, fehlerhaften Lösungsbeispielen oder einer Kombination beider in Abhängigkeit des Vorwissens.

Methode

Die Studie wurde an drei Schulen mit N = 233 Schüler:innen (MAlter = 14.17 Jahre) durchgeführt. In einer klassenweise randomisierten Prä-/Post-Interventionsstudie wurden entweder richtige Lösungsbeispiele, falsche Lösungsbeispiele oder eine Kombination beider in Erklärvideos eingesetzt. Jede Bedingung erhielt drei spezifische Erklärvideos zum Thema „chemische Bindung“ innerhalb von drei Interventionsstunden. Die Fehler in den Erklärvideos basieren auf literaturbasierten Schülervorstellungen (Hunter et al., 2022).

Als Prä- und Post-Test wurden geschlossene Aufgaben zum inhaltsbezogenen Fachwissen eingesetzt, welche hohe Reliabilitäten aufwiesen (αPrätest = .81, αPosttest = .89). Direkt nach der Videobetrachtung wurde die kognitive Belastung gemessen (Krieglstein et al., 2023), welche für die Sub-Skalen hohe Reliabilitäten zeigte (mα (Germane, Intrinsic, Extraneous CL)= .68-.89). Aufgrund der Datenstruktur wurde ein mehrebenenanalytischer Ansatz verfolgt.

Ergebnisse und Diskussion

Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten Lernzuwachs sowohl für Lernende mit niedrigem Vorwissen (t = 4.13, p < .001) als auch mit hohem Vorwissen (t = 3.89, p < .001). Die Lernzuwächse unterscheiden sich nicht zwischen den Bedingungen mit Ausnahme der Kombinationsbedingung für hohes Vorwissen, die signifikant besser sind (t = 3.33, p = .002).

Bezugnehmend auf kognitive Belastung erfolgt durch die Kombinationsbedingung eine signifikante Reduktion für ECL (t = -3.57, p < .001) und ICL (t = -3.58, p = .011) sowie eine signifikante Erhöhung des GCL (t = 2.52, p = .04) im Vergleich zu den anderen beiden Bedingungen (nur richtige oder nur falsche Lösungsbeispiele). Bei diesen beiden Bedingungen bestehen keine Unterschiede in allen drei Typen kognitiver Belastung.

Insgesamt profitierten sowohl Lernende mit wenig als auch viel Vorwissen von Lernvideos mit Lösungsbeispielen zum Thema chemische Bindung, jedoch ohne Unterschiede zwischen den Bedingungen. Der Lernzuwachs bei richtigen Lösungsbeispielen steht im Einklang mit bisherigen Befunden (Renkl, 2014). Die fehlerhaften Lösungsbeispiele führen möglicherweise zu einer Vorwissensaktivierung und Reflexion des Fehlers, die zur richtigen Erklärung führt. Hier könnten Prozessdaten weiteren Aufschluss geben. Der größere Lernzuwachs der Kombinationsbedingung kann auf die explizite Gegenüberstellung von positivem und negativem Wissen zurückzuführen sein, welche die kognitive Belastung (ECL/ICL) reduziert und lernbezogene Belastung (GCL) steigert. Weitere Ergebnisse werden auf der Tagung präsentiert.

 

Relevante Vorwissensaktivierung durch fehlerhafte Lösungsbeispiele als Vorbereitung auf das Lernen beim Problemlösen vor Instruktion

Charleen Brand1, Katharina Loibl2, Nikol Rummel1
1Ruhr-Universität Bochum, 2PH Freiburg

Theoretischer Hintergrund

Instruktionsansätze mit Problemlösen vor Instruktion (PS-I; Loibl et al., 2017) nutzen fehlerhafte Lösungsbeispiele, die Lernende in einer initialen Problemlösephase entweder selbst generieren oder analysieren, zur Vorbereitung auf das Lernen in einer nachfolgenden Instruktion (Sinha & Kapur, 2021; Brand et al., 2021, Hartmann et al., 2021). Mit Hilfe der fehlerhaften Lösungsbeispiele soll das Vorwissen der Lernenden aktiviert werden (Loibl et al., 2017). Ergebnisse deuten darauf hin, dass das aktivierte Vorwissen relevant für das zu lernende Zielkonzept sein muss, Lernende jedoch zu einem Großteil irrelevantes Vorwissen aktivieren, wenn sie selbst fehlerhafte Lösungsbeispiele generieren (Kapur, 2015). Durch den Einsatz von zu analysierenden fehlerhaften Lösungsbeispielen, die bereits relevante konzeptuelle Komponenten des Zielkonzepts adressieren, kann die relevante Vorwissensaktivierung gezielt variiert werden.

Fragestellung

Wir untersuchten, inwiefern fehlerhafte Lösungsbeispiele, die relevante konzeptuelle Komponenten des Zielkonzepts adressierten, und somit relevantes Vorwissen aktivierten, Lernende auf eine nachfolgende Instruktion vorbereiteten. Wir nahmen an, dass die Analyse fehlerhafter Lösungsbeispiele, die eine höheren Umfang an relevanten Komponenten vor Instruktion adressierten, zu einem höheren konzeptuellen Wissen nach Instruktion führen, als bei der Analyse von Lösungsbeispielen mit einem niedrigen Umfang an relevanten Komponenten. Als Manipulationscheck wurde die Vorwissensaktivierung durch Prozessdaten und einen Test nach der Problemlösephase erfasst. Um für potenzielle Einflüsse des Tests zu kontrollieren, wurde dieser zunächst variiert (vgl. Rowland, 2014 zum Testeffekt), aber keine Unterschiede erwartet.

Methode

In einem 2x2-Design wurden die Faktoren (1) Umfang (coverage) der relevanten konzeptuellen Komponenten (high coverage: HC versus low coverage: LC) und (2) Implementierung eines Tests zur Erfassung von Vorwissensaktivierung (präsent: HC+/LC+ versus abwesend: HC/LC) variiert. Der erste Faktor diente der Manipulation der relevanten Vorwissensaktivierung. Der Test, welcher durch den zweiten Faktor variiert wurde, diente ausschließlich der Überprüfung der erfolgreichen Manipulation von Vorwissensaktivierung.

165 Lernende (MAlter = 16,53; 62,4% weiblich, 37,6% männlich) wurden zufällig einer der vier Experimentalgruppen zugeordnet (HC+, HC, LC+, LC). Die Bedingung mit und ohne Test unterschieden sich nicht und wurden daher aggregiert (HC, LC), F(1, 157) = 0.996, p = .32, ηp² = .006. Nach Manipulationscheck ermöglichte die bereinigte Stichprobe mit 141 Lernenden (HC: n = 75, LC: n = 66) die Erfassung eines mittleren Effektes (f = 0,25; 1‑β = 0,84; GPower).

Die Materialien basierten auf PS-I-Studien zum Varianzkonzept (Loibl & Rummel, 2014b; Kapur, 2015). Die Lernenden erhielten zunächst einen Vorwissenstest, dann verschiedene Sets von fehlerhaften Lösungsbeispielen, anschließend einen Test zur Erfassung der Vorwissensaktivierung (in HC+/LC+), die Instruktion und einen konzeptuellen Wissenstest.

Es wurden zwei Lösungssets mit jeweils fünf fehlerhaften Lösungsbeispielen entwickelt. Lernende in den HC-Bedingungen erhielten ein Lösungsset, welches über die Lösungsbeispiele hinweg vier von insgesamt vier relevanten konzeptuellen Komponenten des Zielkonzepts adressierte (hohe relevante Vorwissensaktivierung), während in den LC-Bedingungen über alle Lösungsbeispiele hinweg nur zwei von vier Komponenten adressiert wurden (niedrige relevante Vorwissensaktivierung).

Ergebnisse und Diskussion

In einer einfaktoriellen ANCOVA mit den Kovariaten Vorwissen, mathematisches Selbstkonzept und mathematische Fähigkeit, untersuchten wir den Effekt relevanter Vorwissensaktivierung durch fehlerhafte Lösungsbeispiele auf das konzeptuelle Wissen nach Instruktion: es konnte kein Unterschied zwischen Lösungsbeispielen mit hoher oder niedriger Coverage adressierter relevanter Komponenten gefunden werden, F(1, 133) = 1.886, p = .172, ηp² = .014. Eine Exploration zeigte, dass konzeptuelles Wissen nach Instruktion nur in der HC-Bedingung mit Vorwissen korrelierte.

Sowohl fehlerhafte Lösungsbeispiel mit vielen als auch mit wenigen relevanten Komponenten konnten Lernende auf eine Instruktion vorbereiten. Im Gegensatz zu bisherigen Ergebnissen, die andeuten, dass fehlerhafte Lösungsbeispiele nur für Lernende mit hohem Vorwissen förderlich sind (Große & Renkl, 2007), waren fehlerhafte Lösungsbeispiele mit einem niedrigen Umfang an relevanten Komponenten in unserer Studie unabhängig vom Vorwissen der Lernenden lernförderlich. Somit stellen fehlerhafte Lösungsbeispiele vor Instruktion, die bereits einige, jedoch nicht zu viele relevante Komponenten des Zielkonzeptes adressieren, eine geeignete Vorbereitungsaktivität für Lernende unterschiedlichen Vorwissens dar.

 

Vergleich fehlerhafter und richtiger Lösungsbeispiele zur Anregung eines Konzeptwechsels

Cagla Dikme, Katharina Loibl, Timo Leuders, Kirsten Brunner
PH Freiburg

Theoretischer Hintergrund

Beim Erwerb mathematischen oder naturwissenschaftlichen Wissens, wie beispielsweise dem Bruchkonzept, machen Lernende auch nach einer Instruktion typische Fehler. Dies wird darauf zurückgeführt, dass nicht mehr geeignete Präkonzepte fortbestehen und nicht einfach durch Zielkonzepte ersetzt werden. Es bedarf eines Konzeptwechsels (Prediger, 2008; Vamvakoussi, & Vosniadou, 2002; van Hoof et al., 2017). Lernende müssen dabei zunächst die Fehler in ihren Konzepten (vgl. negatives Wissen, Oser & Spychiger, 2005) und ihre Wissenslücken erkennen, bevor sie aktiv ihr Wissen umstrukturieren können (VanLehn et al., 2003). Dies kann z. B. durch einen Vergleich richtiger und (eigener) falscher Lösungsbeispiele initiiert werden (Gadgil et al., 2012).

Bei einem solchen Vergleich wird ein größerer Lernerfolg erzielt als bei der Bearbeitung nur eines der beiden Lösungsbeispieltypen (Booth et al., 2013; Durkin & Rittle-Johnson, 2012; Siegler, 2002; Siegler & Chen, 2008). Besonders lernwirksam erscheint ein elaborierter Vergleich richtiger und falscher Lösungsbeispiele (Große & Renkl, 2007; Loibl & Leuders, 2018, 2019). Bisherige Studien unterscheiden sich darin, ob mit vorgegebenen fehlerhaften Lösungsbeispielen gearbeitet wurde (Booth et al., 2013; Durkin & Rittle-Johnson, 2012; Heemsoth & Heinze, 2014; Loibl & Leuders, 2018, 2019; Tsovaltzi et al., 2012) oder ob die Fehler den Lösungsversuchen der Lernenden entsprachen (Asterhan & Dotan, 2018; Gadgil et al., 2012; Heemsoth & Heinze, 2016; Siegler, 2002; Siegler & Chen, 2008). Nur bei der Auseinandersetzung mit den eigenen Fehlern lassen sich die angeregten Lernprozesse als Konzeptwechsel interpretieren.

Inwiefern es dabei ausreicht, typische fehlerhafte Lösungsbeispiele zu verwenden oder ob die individuellen Fehler aufgegriffen werden müssen, lässt sich aus dem bisherigen Forschungsstand nicht ableiten, da beide Lösungsbeispieltypen nicht direkt verglichen wurden. Ein solcher Vergleich setzt voraus, dass die Lernenden zunächst eigene Fehler generieren, wie es im Rahmen des Instruktionsansatzes PS-I (problem-solving prior to instruction) geschieht (Loibl et al., 2017).

Fragestellung

In einer experimentellen Studie wird in einem PS-I Setting der Effekt der Passung zwischen individuellen Lösungen aus einer Problemlösephase und Lösungsbeispielen einer nachfolgenden Instruktion auf den Lernerfolg überprüft. Hierzu wird in der Instruktionsphase variiert, ob die Lernenden für den Vergleich von richtigem und falschem Lösungsbeispiel ein falsches Lösungsbeispiel erhalten, das ihrem Fehlertyp entspricht (adaptive Bedingung) oder ein typisches falsches Lösungsbeispiel (aus Loibl & Leuders, 2018; Boomgaarden et al., 2022), das gerade nicht dem eigenen Fehlertyp entspricht (kontraadaptive Bedingung). Wir nehmen an, dass Lernende, die mit fehlerhaftem Lösungsbeispiel arbeiten, höhere Werte im Posttest erzielen als eine Kontrollbedingung ohne fehlerhafte Lösungsbeispiele (Hypothese 1) und dass die Passung zwischen den individuellen Fehlern der Lernenden und dem fehlerhaften Lösungsbeispiel für den Lernerfolg bedeutsam ist, d.h. dass die adaptive Bedingung die besten Lernergebnisse erzielt (Hypothese 2).

Methode

Vor dem Hintergrund früherer Befunde werden mittlere bis große Effektstärken erwartet (z. B. Loibl & Leuders, 2019: d = 0,3 bis 0,5), sodass eine Stichprobengröße von 175 Lernende bei dem beabsichtigten Design erforderlich ist. Lernende aus neun Schulklassen (ca. 180-225 Schüler:innen) Anfang der 6. Klasse werden randomisiert einer der drei Bedingungen zugewiesen.

Nach einem Prätest bearbeiten die Lernenden eine computerbasierte Problemlöseaufgabe zum Bruchvergleich. Der Typ der Schülerlösung wird automatisch diagnostiziert und dient als Grundlage für die Auswahl des fehlerhaften Lösungsbeispiels in der anschließenden Instruktionsphase (Details zur Validität der Lernumgebung und der Diagnose, s. Boomgaarden et al., 2022). Lernende in der Kontrollbedingung erhalten nur ein richtiges Lösungsbeispiel. Lernende in den anderen beiden Bedingungen erhalten zusätzlich ein fehlerhaftes Lösungsbeispiel, das entweder ihrem Lösungstyp entspricht (adaptive Bedingung) oder nicht (kontraadaptiven Bedingung). Nach der Instruktionsphase sowie nach einer Woche (Follow-Up) wird das konzeptuelle Verständnis der Schülerinnen und Schüler erfasst.

Ergebnisse und Diskussion

Die Datenerhebung ist nahezu abgeschlossen. Die Ergebnisse werden Hinweise dazu liefern, ob der lernförderliche Effekt des Vergleichs von richtigen und (adaptiven) fehlerhaften Lösungsbeispielen beim Erwerb des Bruchkonzepts auf Konzeptwechselprozesse zurückzuführen ist.



 
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