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Sitzungsübersicht
Sitzung
7-12: Engagement mit Mathematiklernprogrammen: Determinanten und Effekte
Zeit:
Mittwoch, 20.03.2024:
9:00 - 10:40

Ort: S19

Seminarraum, 60 TN

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Präsentationen
Symposium

Engagement mit Mathematiklernprogrammen: Determinanten und Effekte

Chair(s): Anna Hilz (Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik), Jennifer Meyer (Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik)

Diskutant*in(nen): Michael Sailer (Universität Augsburg)

Die Entwicklung mathematischer Fertigkeiten ist eine zentrale Voraussetzung für die soziale und berufliche Teilhabe in modernen Gesellschaften (OECD, 2019). Schon in der Grundschule werden die Grundlagen für eine erfolgreiche Entwicklung der Mathematikkompetenzen in der Sekundarstufe gelegt (Reinhold et al., 2019). Aktuelle Befunde aus TIMSS (Schwippert et al., 2020) zeigen jedoch, dass in Deutschland etwa 25 Prozent der Schüler:innen am Ende der Grundschulzeit grundlegende Defizite in den Grundrechenarten aufweisen. Eine besondere Herausforderung für das Bildungssystem und insbesondere für die Lehrkräfte der Sekundarstufe besteht deshalb darin, eine angemessene Unterstützung aller Schüler:innen in sehr heterogenen Klassenverbänden zu gewährleisten (OECD, 2019).

Im Zeitalter der Digitalisierung stellt der Einsatz von computergestützten Mathematiklernprogrammen einen vielversprechenden Ansatzpunkt dar, um dieser Herausforderung zu begegnen, da diese eine individuelle Förderung von Schüler:innen mit heterogenen Ausgangslagen vereinfachen. Dabei können solche Programme entweder in den Regelunterricht integriert und/oder als zusätzliche Lernmöglichkeit im häuslichen Rahmen genutzt werden. Eine Reihe von Studien konnte bereits das lernförderliche Potential solcher Mathematiklernprogramme zeigen (z.B. Byun & Joung, 2018; Tokac et al., 2019); wenig überraschend sind diese positiven Effekte jedoch abhängig von einer regelmäßigen Nutzung, also dem Engagement der Schüler:innen (Cheung & Slavin, 2013; Ozel et al., 2008). Um Schüler:innen demnach bestmöglich dabei zu unterstützen durch hohes und langfristiges Engagement vom Einsatz solcher Lernprogramme zu profitieren, kann an zwei zentralen Punkten angesetzt werden. Einerseits gilt es Lernumgebungen intern so zu gestalten, dass Schüler:innen Anreize geboten werden diese auch regelmäßig zu nutzen. Hierzu zählen beispielsweise Programmerkmale wie Adaptivität und Feedback, welche für positive Lernerfahrungen sorgen können (Hillmayr et al., 2020). Andererseits kann aber auch ein lernförderliches äußeres Umfeld oder Personenmerkmale der Schüler:innen ein regelmäßiges Üben bedingen (d.h. externe Faktoren). Auf Basis dieser beiden Annahmen gilt es zu untersuchen, welche Determinanten besonders relevant für das Engagement der Schüler:innen mit Mathematiklernprogrammen sind, wobei gleichzeitig auch Effekte des Engagements auf die Leistung in den Blick genommen werden sollten. Dabei bieten insbesondere die gespeicherten Prozessdaten dieser Programme einen vielversprechenden aber bisher viel zu wenig genutzten Ansatzpunkt, um Engagement objektiv und ökonomisch zu operationalisieren (Baker & Inventado, 2014). Das Symposium greift dieses Forschungsdesiderat gezielt auf und liefert somit einen Überblick aktueller empirischer Befunde zu externen und internen Determinanten des Engagements mit Mathematiklernprogrammen sowie der Lernwirksamkeit von Engagement. Auf Basis der Ergebnisse werden Perspektiven und Herausforderungen des Einsatzes digitaler Lernprogramme diskutiert. Die Beiträge verbinden sich insbesondere durch die Integration von Prozessdaten in die jeweiligen Analysen und adressieren die Fragestellung des Symposiums mithilfe verschiedener methodischer Ansätze. Die ersten beiden Beiträge beschäftigen sich dabei mit internen Gestaltungsmechanismen von Lernumgebungen. Der dritte Beitrag fokussiert affektiv-motivationale Merkmale der Schüler:innen als Determinanten von Engagement, während der vierte Beitrag sich auf den Lernkontext bezieht.

 

Beiträge des Symposiums

 

Individuelles Lernen von Bruchzahlkonzepten unterstützen: Wie Lernende adaptive Funktionen in digitalen Lernumgebungen nutzen, mediiert deren Wirkung

Maria-Martine Oppmann, Maik Beege, Frank Reinhold
PH Freiburg

Theoretischer Hintergrund

Features digitaler Tools – wie z. B. Interaktivität, Adaptivität und Feedback – bergen Potenziale für den Mathematikunterricht (Hillmayr et al., 2020; Steenbergen-Hu & Cooper, 2013) und zeigen sich insbesondere beim Bruchrechnenlernen empirisch wirksam (Killi et al., 2018; Reinhold et al., 2020). Lehr-lernpsychologische Wirkmechanismen, die diese positiven Effekte erklären, sind Gegenstand aktueller Diskussion. Ein Erklärungsansatz ist, dass diese Features situativ motivierend wirken und damit die Angebotsnutzung (Helmke, 2010) der Lernenden positiv beeinflussen, was zu lernförderlichen Effekten führen kann (Heckhausen & Heckhausen, 2010). Der zugrunde liegende Mediationseffekt ist jedoch noch nicht vollständig geklärt.

Fragestellung

In dieser Studie wurde untersucht, ob der Zusammenhang zwischen der Wirkung von Features in digitalen Lernumgebungen für Bruchrechenlernen (konkret: Äquivalenz von Brüchen; Erweitern & Kürzen, vgl. Reinhold et al., 2020) und dem Lernzuwachs durch eine Steigerung des Engagements (Fredricks et al., 2004) mediiert wird. Wir argumentieren, dass adaptive Unterstützung und individuelles Feedback in Übungsphasen positiv auf wahrgenommene Kompetenz- und Autonomieunterstützung und negativ auf wahrgenommene Überforderung wirken, was zu einem erhöhten kognitiven und behavioralen Engagement (Fredricks et al., 2004) und folglich zu höherem Lernzuwachs führt.

Methode

Zur Abbildung des Mediationseffektes wurde ein 90-minütiges RCT durchgeführt. Insgesamt nahmen N = 300 Sechstklässler:innen aus Baden-Württemberg an der Studie teil. Für die Intervention wurden diese aus 13 Klassenräumen jeweils zufällig der Kontrollbedingung (CG; n = 151, papierbasierte Lernumgebung) oder der Experimentalbedingung (EG; n = 149, adaptive digitale Lernumgebung) zugeordnet. Es wird davon ausgegangen, dass die Lernenden zuvor noch nicht mit dem Bruchrechnen in der Schule in Berührung gekommen sind.

Das Vorwissen der Lernenden über inhaltspezifische Bruchkonzepte wurde vor und das konzeptuelle Verständnis zur Äquivalenz zu Brüchen nach der Intervention erhoben. Das motivational-emotionale Engagement wurde mittels Selbstberichten erfasst (jeweils 5 Items mit 4-stufiger Zustimmungsskala: Wahrgenommene Kompetenzunterstützung, α = .74; Wahrgenommene Autonomieunterstützung, α = .66; Wahrgenommene Überforderung, α = .86) und das behaviorale Engagement über Prozessdaten aus Logfiles (14 Variablen: Anzahl insgesamt bearbeiteter Aufgaben auf einem von sieben Schwierigkeitsniveaus sowie der Anteil der jeweils korrekt bearbeiteten Aufgaben). Die Mediationsanalyse wurde mittels Strukturgleichungsmodellierung durchgeführt.

Ergebnisse & Diskussion

Anhand der Prozessdaten wurden mittels k-Means Clusteranalyse sechs Gruppen von Schüler:innen identifiziert, die auf dem Nutzungsverhalten der Lernenden während des Übens basierten, darunter: „Gamer“ (viele Aufgabenbearbeitungen auf niedrigem Niveau, niedrige Lösungsraten, ausschließlich in EG), „Beschleunigte Experten“ (korrekte Bearbeitungen, schnell auf hohem Aufgabenniveau, vermehrt in EG) und „Verlangsamte Experten“ (korrekte Bearbeitungen, verweilen länger bei Aufgaben mit niedrigem Niveau, vermehrt in CG). Diese Gruppen zeigen signifikant unterschiedliche und hypothesenkonforme wahrgenommene Autonomie- und Kompetenzunterstützung sowie wahrgenommene Überforderung. So erkennen beispielsweise die „Verlangsamten Experten“, dass sie nicht adäquat unterstützt werden, während die „Beschleunigten Experten“ ein hohes Autonomieerleben berichten. Zudem stehen die Gruppen erwartungskonform in Zusammenhang mit erreichten Ergebnissen im Posttest, wobei „Beschleunigte Experten“ am besten abschnitten. Insgesamt stützt die Mediationsanalyse unsere Hypothese; es zeigt sich ein signifikanter indirekter Effekt der Wirkung der Features digitaler Tools über das kognitiven und behavioralen Engagement auf das Lernergebnis (β = –.21, p < .001).

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die „Beschleunigten Experten“ die adaptive Unterstützung in digitalen Lernumgebungen schätzen, während die „Verlangsamten Experten“ bemerken, dass sie nicht auf ihrem Kompetenzniveau gefördert und herausgefordert werden und mehr lernen könnten, wenn sie andere Aufgaben gezeigt bekämen. In unserer Studie hängen damit die Lernergebnisse von Schüler:innen mit vergleichbaren Voraussetzungen hypothesenkonform von der Nutzung des ihnen zur Verfügung gestellten Lernangebots ab. Folgestudien könnten sich mit der Frage befassen, wie diese Prozessdaten in Echtzeit zur Implementierung weiterer adaptiver Features genutzt werden kann. Ein Problem, das dabei gelöst werden sollte, ist die Frage, wie Ablenkung in digitalen Lernumgebungen verhindert werden kann. Offen bleibt, warum leistungsschwache Schüler:innen nicht wie erwartet von der adaptiven Lernumgebung profitieren konnten.

 

Auswirkungen der Aufgabenreihenfolge beim spielbasierten Lernen mathematischer Konzepte

Franz Wortha1, Korbinian Moeller2, Kristian Kiili3, Manuel Ninaus4
1Loughborough University, Universität Tübingen, 2Loughborough University, Universität Tübingen, Leibniz-Institut für Wissensmedien, 3Tampere University, 4Universität Graz, Universität Tübingen

Theoretischer Hintergrund

Es wurde wiederholt festgestellt, dass das Verständnis von Brüchen ein wichtiger Prädiktor für spätere mathematische Leistungen ist, die sich erheblich auf die Lebensperspektiven des Einzelnen auswirken. Dementsprechend ist die Weiterentwicklung von Lehransätzen zur Förderung des Bruchverständnisses von Schüler:innen, beispielsweise durch spielbasiertes Lernen (SBL), ein wichtiges Ziel für Forschende und Praktizierende gleichermaßen. Die optimale Gestaltung von SBL-Umgebungen wird jedoch noch diskutiert. In der vorliegenden Interventionsstudie haben wir das Modell der Reihenfolgeeffekte beim Problemlösen (Scheiter & Gerjets, 2007) berücksichtigt, um Reihenfolgeeffekte von zwei Aufgaben auf das Bruchrechnenlernen zu untersuchen. Das Modell geht davon aus, dass Sequenzen unterschiedlicher Aufgaben das Lernen der Schüler:innen fördern sollten. Um dies für das Lernen von Brüchen zu evaluieren, haben wir eine SBL-Umgebung verwendet, in der die Schüler:innen entweder getrennte Levels von geblockten Aufgaben zum Größenvergleich und Zahlenstrahlschätzen absolvierten oder Levels von integrierten Aufgaben, bei denen jeder Zahlenstrahlschätzung ein Größenvergleich in integrierter Weise vorausging. Eine solche Integration von Aufgaben sollte sich vorteilhafter auf das Bruchrechnenlernen der Schüler:innen auswirken, da die integrierten Größenvergleiche einen zusätzlichen Referenzpunkt für die anschließende Zahlenstrahlschätzung darstellen sollten. Dies sollte sich in einer besseren Gesamtleistung, aber auch im Spielverhalten der Teilnehmenden widerspiegeln, das anhand von Prozessdaten während des Spielens/Lernens erfasst wurde (z.B. Schwankungen der Antwortzeiten über die Sitzungen hinweg).

Fragestellung

In der vorliegenden Interventionsstudie sollte untersucht werden, ob die Reihenfolge zweier Lernaufgaben und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Verhalten im Spiel neue Erkenntnisse über das Lernen von Brüchen liefern können, indem die folgenden Forschungsfragen untersucht wurden.

(1) Gibt es signifikante Unterschiede im Bruchverständnis zwischen geblockten und integrierten Lernbedingungen?

(2) Können leistungsschwache Schüler:innen anhand ihres Verhaltens im Spiel identifiziert werden?

Methode

Wir haben Daten aus einem großen, randomisierten Feldversuch mit 634 Schüler:innen aus 22 Schulen verwendet, die gleichmäßig in Kontroll- und Interventionsschulen aufgeteilt waren. Die Klassen in den Interventionsschulen nahmen an einem fünfwöchigen spielbasierten Training zum Größenvergleich von Brüchen und zum Zahlenstrahlschätzen teil (entweder geblocktes oder integriertes Aufgabendesign), während die Kontrollschulen einen "Business-as-usual"-Ansatz verfolgten. Die Schüler:innen aller Schulen absolvierten vor und nach der Intervention einen umfassenden Mathematikleistungstest.

Ergebnisse & Diskussion

Im Hinblick auf die erste Forschungsfrage wurden separate linear mixed effects Modelle mit zur Vorhersage von Zuwächsen bei den Fähigkeiten der Schüler:innen im Zahlenstrahlschätzen sowie im Größenvergleich durchgeführt, wobei für die mathematischen Leistungen zu Beginn der Intervention kontrolliert wurde. Die Ergebnisse zeigten, dass die Schüler:innen in der geblockten Bedingung im Vergleich zu den Schüler:innen in den Kontrollklassen eine signifikant höhere Genauigkeit beim Zahlenstrahlschätzen aufwiesen (β = .18, z = 2.61, p < .001). Darüber hinaus wurde ein ähnlicher Trend für die Verbesserung im Größenvergleich beobachtet (blockierte vs. Kontrollbedingung: β = .49, z = 1.70, p =.090). Alle anderen Vergleiche in beiden Modellen blieben unbedeutend, was darauf hindeutet, dass integrierte Aufgaben das Lernen nicht signifikant mehr verbesserten als ein Business-as-usual-Ansatz.

Zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage verwendeten wir einen Random-Forest-Klassifikator, der durch wiederholte nested cross-validation die dichotomisierte Mathematiknote der Schüler:innen am Ende der Intervention vorhersagte (d. h. bestanden oder nicht bestanden). Diese Modelle erreichten eine Genauigkeit von 58.51 % (95%-CI = [54.46, 62.56]) bei der Identifizierung von Schüler:innen, die die Klasse nicht bestanden haben. Dies liegt signifikant über dem Zufallswert [t(99.815) = 4.429, p <.001], wobei das seltene Auftreten solcher Schüler:innen (< 5 % in unserer Stichprobe) berücksichtigt wird.

Zusammengenommen deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass ein geblocktes Design im Vergleich zu einem "Business-as-usual"-Ansatz zu signifikant höheren Lernzuwächsen beim Bruchrechnen (in Bezug auf den Messaspekt entlang des Zahlenstrahl) führte, während ein integriertes Design keine derartigen Effekte zeigte. Dennoch konnten wir beobachten, dass das Spielverhalten der Schüler:innen (z. B. die Varianz der Antwortzeiten über die Sitzungen hinweg) die Identifizierung leistungsschwacher Schüler:innen ermöglichte.

 

Prozessdaten nutzen: Effekte von Angst und Übungsverhalten in einem Mathematiklernprogramm auf die Leistung von Schüler:innen

Anna Hilz1, Abe Hofman2, Brenda Jansen2, Karen Aldrup1
1Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, 2Universiteit van Amsterdam

Theoretischer Hintergrund

Mathematikangst und Mathematikleistung sind negativ assoziiert (Barroso et al., 2021). Aus theoretischer Sicht wird angenommen, dass Defizite hinsichtlich der Mathematikkompetenzen zu schlechten Leistungen und deshalb zu Angst führen (Maloney, 2016); umgekehrt ist Mathematikangst mit Vermeidungsverhalten mathematischer Inhalte verbunden (Eysenck et al., 2007). Bisherige Studien, die Zusammenhänge zwischen Angst und Vermeidungsverhalten untersuchten, fokussierten als Outcome insbesondere auf Kurswahlen im Hochschulkontext (LeFevre et al., 1992). Solche Ansätze können jedoch nicht die Frage beantworten, wie Mathematikangst mit Lernverhalten zusammenhängt, das zur Verbesserung der Mathematikleistung in der Schule beiträgt – einem Kontext, in dem die Vermeidung von Mathematikunterricht keine Option ist. Die wenigen Studien, die diese Beziehung bei Sekundarschüler:innen untersuchten, konzentrierten sich auf Selbstberichte (Hasty et al., 2021; Quintero et al., 2022). Ein Nachteil von Selbstberichten ist jedoch eine mögliche Verzerrung der Realität (z.B. self-serving bias; Donaldson & Grant‐Vallone, 2002). Im Gegensatz dazu haben Prozessdaten, die beispielsweise beim Üben mit Lernprogrammen erhoben werden, das Potential Übungsverhalten von Schüler:innen ohne Verzerrungen objektiv und ökonomisch zu erfassen.

Fragestellung

Daher wurde für diese Studie das adaptive Arithmetiklernprogramm Math Garden (Klinkenberg et al., 2011) verwendet, um das Übungsverhalten der Schüler:innen in Bezug auf die geübten Aufgaben innerhalb des Programms objektiv zu erfassen. Es wird somit der zentralen Frage nachgegangen, ob der angenommene negative längsschnittliche Zusammenhang zwischen Mathematikangst und Mathematikleistung über vermeidendes Übungsverhalten (Anzahl geübter Aufgaben) in Math Garden mediiert wird.

Methode

Die Analysen basieren auf längsschnittlichen Daten von 890 Fünftklässler:innen. Die Schüler:innen bearbeiteten im Prätest unter anderem Mathematikangstfragebögen (Faber, 1995; Roick et al., 2013) und einen Mathematikleistungstest (HRT; Haffner et al., 2005). Anschließend wurde ihnen und ihren Lehrkräften das Programm Math Garden über 45 Wochen zur Verfügung gestellt und die Anzahl der dort geübten Mathematikaufgaben getrackt. In einem Posttest wurde erneut die Mathematikleistung erhoben.

Ergebnisse & Diskussion

Zur Beantwortung der Fragestellung wurde ein Mediationsanalyse in Mplus gerechnet (Prädiktor: Mathematikangst, Mediator: Anzahl geübter Aufgaben, Outcome: Mathematikleistung), wobei die Mehrebenenstruktur der Daten mit „type=complex“, ebenso wie relevante Kovariaten (Prätest Mathematikleistung, Geschlecht, Migrationshintergrund, Teilnahme an zusätzlichem Förderunterricht) berücksichtigt wurden. Bezogen auf die Fragestellung zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Übungsverhalten und der Mathematikleistung (β = .10, p = .002), allerdings übten Mathematikängstlich nicht wie erwartet weniger mit Math Garden (β = –.05, p = .370). Daher wurde der signifikant negative Zusammenhang zwischen Mathematikangst und Mathematikleistung (β = –.09, p = .020) auch nicht über die Anzahl geübter Aufgaben mediiert (β = –.01, p = .348).

Zusammenfassend wiesen Schüler:innen, die mehr mit Math Garden übten, eine höhere Leistungsverbesserung auf. Dieser Befund stütz einmal mehr die Relevanz Schüler:innen beispielsweise durch Unterstützung von Eltern oder Lehrkräften in eine systematischen Zustand des Übens zu versetzen (Spitzer, 2022). Im Gegensatz zu früheren Erkenntnissen, die sich auf selbstberichtetes Vermeidungsverhalten beziehen, übten mathematikängstliche Schüler:innen nicht weniger mit Math Garden. Dies deutet darauf hin, dass sie das Programm gleichermaßen nutzen, um ihre Leistung zu verbessern und in dieser Hinsicht nicht benachteiligt waren. Dieses Ergebnis könnte ein erster Hinweis auf den Vorteil der Erfassung von Vermeidungsverhalten anhand von Prozessdaten sein, da diese weniger wahrscheinlich von Verzerrungen beeinflusst sind. So könnten mathematikängstliche Schüler:innen ihre Anstrengung in Selbstberichten eher herunterspielen, um schlechte Leistungen nicht auf die eigenen Fähigkeiten attribuieren zu müssen. Gleichzeitig könnte die Divergenz zu den Ergebnissen aus bisheriger Forschung mit Selbstberichtsinstrumenten darin bestehen, dass mathematikängstliche Schüler:innen adaptive Lernprogramme als kontrollierbarer wahrnehmen, was im Sinne der Kontroll-Wert-Theorie zu weniger Angst und damit zu mehr Übung führen müsste (Pekrun, 2006). Andere, nicht-adaptive Lernangebote könnten jedoch weiterhin aufgrund anhaltender Misserfolge vermieden werden. Die Ergebnisse sind also auf das Übungsverhalten von Schüler:innen mit einem adaptiven Arithmetiklernprogramm zu Beginn der Sekundarstufe limitiert und es bedarf weiterer Untersuchungen für andere mathematikbezogene Situationen und Altersgruppen.

 

Digitale Lernprogramme brauchen Lehrkräfte

Markus Wolfgang Hermann Spitzer1, Lisa Bardach2, Jennifer Meyer3, Korbinian Moeller4
1Universität Halle, 2Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung, 3Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, 4Loughborough University, Universität Tübingen, Leibniz-Institut für Wissensmedien

Theoretischer Hintergrund

Seit über 40 Jahren werden digitale Lernprogramme weltweit entwickelt, um Lehrkräfte zu unterstützen (Anderson et al., 1985; Sleeman & Brown, 1982) und gerade in Zeiten der COVID-19 Pandemie waren sie oft von immenser Bedeutung im Distanzunterricht (Meeter, 2021; Spitzer et al., 2023; Tomasik et al., 2020). Allerdings gibt es kaum Analysen dazu, inwieweit digitale Lernprogramme die Unterstützung von Lehrkräften benötigen, um ihre Wirksamkeit voll zu entfalten. Die Beantwortung dieser Frage ist von besonderer Bedeutung, da trotz der deutlichen Weiterentwicklung digitaler Lernprogramme gerade in den letzten 10 Jahren, spezifische Probleme, wie z.B. hohe Abbruchquoten bei der Nutzung digitaler Lernprogramme, vorliegen (z.B., Spitzer et al., 2021). In der vorliegenden Studie wurde entsprechend der Einfluss von Lehrkräften auf die Abbruchquoten von Schüler:innen für ein digitales Lernprogramm für Mathematik (Bettermarks) untersucht.

Fragestellung

Insbesondere interessierten wir uns dafür, ob die Art der Einbindung des digitalen Lernprogramms (d.h. durch die Lehrkräfte vs. durch die Schüler:innen selbst) einen Einfluss auf die Abbruchquote hatte. Es wurde erwartet, dass die Abbruchquoten bei Einbindung durch die Lehrkräfte geringer ausfallen würden.

Methode

Hierfür wurde die Bettermarks Nutzung von über hunderttausend Schüler:innen (N = 103,612 ) analysiert, die sich von Januar 2016 bis September 2019 bei Bettermarks in Deutschland registrierten. Da sich Schüler:innen bei Bettermarks entweder selbstständig anmelden können (z.B. für die selbstständige Nutzung daheim) oder über ihre Lehrkraft angemeldet werden und anschließend im Klassenkontext mit Bettermarks arbeiten (z.B. für Hausaufgaben oder für Berechnungen im Unterricht) konnten wir den Effekt der Einbindung durch die Lehrkraft, im Vergleich zur reinen Selbstnutzung, näher untersuchen.

Mittels sogenannter survival Analysen wurde die Nutzung von Bettermarks, von dem Datum an dem Schüler:innen zum ersten Mal mit Bettermarks arbeiteten über die folgenden 250 Tage verfolgt, wobei das Datum der letzten Nutzung als Indikator für den Abbruch berücksichtigt wurde. Die survival Analysen wurden anschließend mit einem hierarchischen Cox proportional hazard Model quantifiziert.

Ergebnisse & Diskussion

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Abbruchquote wesentlich von der Einbindung des digitalen Lernprogramms durch die Lehrkräfte abhängt. 50 Tage nach der ersten Nutzung waren nur noch 65% der Schüler:innen die selbstständig mit Bettermarks arbeiten aktiv, wohingegen 74% der Schüler:innen, die Aufgaben von den Lehrkräften zugewiesen bekamen, noch aktiv waren. Ein ähnliches Bild zeigte sich nach 150 Tagen: 32% der Schüler:innen die selbstständig arbeiteten waren noch aktiv, wohingegen 46% der Schüler:innen, die Aufgaben von den Lehrkräften zugewiesen bekamen Bettermarks noch regelmäßig nutzten. Die mediane Überlebenszeit lag bei 88 (selbstständig arbeitende Schüler:innen) und 134 (im Klassenkontext arbeitende Schüler:innen) Tagen. Das hierarchische Cox proportional hazard Model zeigte einen signifikanten Effekt (p < .001) zwischen den beiden unterschiedlichen Gruppen.

Zusammengenommen zeigen diese Ergebnisse, dass die Nutzung digitaler Lernprogramme von deren Einbindung durch die Lehrkräfte abhängig ist. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass für die kontinuierliche Nutzung von digitalen Lernprogrammen Lehrkräfte notwendig sind und digitale Lernprogramme gezielt in den Unterricht einbezogen werden müssen, um kontinuierlich genutzt zu werden und dadurch Schüler:innen beim Lernen erfolgreich zu unterstützen (vgl. Spitzer et al., 2023). Damit wird auch deutlich, dass digitale Lernprogramme für einen Großteil der Schüler:innen als reines Selbstlernsystem eher nicht in Frage kommen, da die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie nach kurzer Zeit nicht mehr genutzt werden. Generell weisen unsere Ergebnisse auf die Relevanz von mangelndem Engagement (im Sinn von Abbruchraten) im Kontext von digitalen Lernsystemen hin—denn Schüler:innen können nur beim Lernen unterstützt werden und Lernerfolge zeigen, wenn sie überhaupt lernen. Unsere Studie weist somit auf die Relevanz von Lehrkräfte für eine systematische Einbindung von digitalen Lernprogrammen und deren kontinuierliche Nutzung hin.