Symposium
Digitale Transformation der Weiterbildung
Chair(s): Harm Kuper (Freie Universität Berlin, Deutschland)
Discussant(s): Katharina Scheiter (Universität Potdam)
Für die Beschreibung und Analyse der Weiterbildung hat sich die Anwendung von Mehrebenenmodellen (Schrader 2011) bewährt. Darin lassen sich Merkmale und Entwicklungsdynamiken darstellen, in denen sich die Weiterbildung von anderen Bereichen des Bildungssystems hinsichtlich der Lehr-Lern-Interaktion, der Organisation von Angeboten und der institutionellen Regulation deutlich unterscheidet. Für die Lehrtätigkeiten in der Weiterbildung gibt es kein „Einheit stiftendes Professionalitätskriterium“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016, 155), die Standardisierung der Lehre durch Professionalisierung ist eher gering ausgeprägt. Angebote der Weiterbildung sind jedoch oft in einer besonderen Weise an die arbeits- und lebensweltlichen Kontexte der jeweiligen Zielgruppen gebunden, aus denen Teilnahmemotive entstehen. Einrichtungen der Weiterbildung müssen bei der Planung von Angeboten in besonderer Weise die hochgradig selektive Partizipation Erwachsener an Bildung berücksichtigen. Sowohl angebots- als auch nachfrageseitig sind weitgehend stabile Muster der Selektion belegt (Kuper 2019). Die institutionellen Grundlagen bedingen in weiten Bereichen eine Weiterbildungsplanung und Weiterbildungsteilnahme unter partieller bis vollständiger Marktregulation. Weiterbildungseinrichtungen müssen sich unter Konkurrenz zu anderen Einrichtungen bewähren.
Die Digitalisierung der Weiterbildung erfolgt unter den oben skizzierten Bedingungen in der Mehrebenenstruktur (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020). Sie geht über den Anspruch hinaus, Organisationsmittel, Lehr-Lern-Mittel oder Lehr-Lern-Gegenstand (Diethelm 2018) zu sein. Deutlich wird das etwa an der Veränderung von Weiterbildungsanlässen aufgrund der Digitalisierung in der Arbeitswelt. Hinsichtlich der selektiven Partizipation an Weiterbildung stellt sich die Frage, ob digitalisierte Angebote die Schwellen der Zugänglichkeit senken oder anheben. Für die Lehre in der Weiterbildung bietet sich vor dem Hintergrund der besonderen Anforderungen an die Teilnehmendenorientierung und die Selbstregulation Erwachsener mit der Digitalisierung ein neues Optionenspektrum didaktischer Gestaltung.
Die Beiträge im Symposium Digitale Transformation der Weiterbildung befassen sich mit Veränderungen auf den einzelnen Ebenen, die durch Digitalisierung ausgelöst sind. Sie legen sämtlich Befunde aus empirischen Analysen vor, die sich auf konzeptionelle Innovation in der Lehre, auf veränderte Voraussetzungen der Partizipation und die Umstrukturierung institutioneller Umwelten der Weiterbildung beziehen.
Der Beitrag von Schröter u.a. beruht auf einer Interventionsstudie, in der die Wirksamkeit einer digitalen Technologie in der didaktischen Vorbereitung von Alphabetisierungskursen untersucht wird. Diese Technologie unterstützt Lehrende bei der Recherche geeigneter Sprachlerntexte im Internet und kann damit zur Etablierung professioneller Standards beitragen.
Reiter wendet sich dem Problem der Teilnahmeselektivität zu und stellt Ergebnisse aus einer Studie zu den Motivationen der Teilnahme an digital unterstützter Weiterbildung vor. Dabei wird auch die Verknüpfung zur Digitalisierung der Arbeitswelt hergestellt. Sie nutzt Surveydaten aus dem Adult Education Survey.
Hemmerich und Rüter untersuchen, ob die Digitalisierung des Weiterbildungsangebots die Bedeutung des lokalen Standorts von Volkshochschulen durch die Möglichkeit, Weiterbildung ortsunabhängig anzubieten, verändert. Der Beitrag analysiert den Einfluss des Umfangs der Wohnbevölkerung des Kreises oder der kreisfreien Stadt einer Volkshochschule auf Belegungszahlen und untersucht, ob der Digitalisierungsgrad des Angebots das Ausmaß dieses Einflusses reduziert. Dazu nutzen sie Paneldaten der Volkshochschulstatistik und regionalstatistischen Daten.
Martin und Klimpel befassen sich aus soziologischer und ökonomischer Perspektive mit Mechanismen, welche der digitalen Transformation von Weiterbildungsanbietern eine Eigendynamik verleihen. Sie fragen danach, ob sich Weiterbildungsanbieter mit Blick auf die Digitalisierung an ihrem organisationalen Feld und potentiellen Mitbewerbern orientieren. Sie nutzen Daten des WB-Monitor.
Die Variation der hier repräsentierten Forschungsdesigns hinsichtlich der genutzten Daten, Auswertungsverfahren und Erkenntnisansprüche bildet bewährte und innovative Ansätze der empirischen Weiterbildungsforschung ab. Mit der methodischen Anlage variieren auch die Optionen des Transfers der Befunde für eine praktische Nutzung, die von der Unterstützung in der Lehre über die Beratung von Einrichtungen bis hin zu Empfehlungen an die Politik diskutierbar sind.
Presentations of the Symposium
Suchmaschine für Sprachlerntexte – Wirksame Educational Technology zur Unterstützung von Alphabetisierungslehrkräften bei der Unterrichtsvorbereitung?
Hannes Schröter1, Mareike Kholin2, Justine Strube2, Zarah Weiss3, Heiko Holz3, Nadine Mayer4, Simone Jambor-Fahlen4, Michael Becker-Mrotzek4, Detmar Meurers3, Josef Schrader5
1Deutsches Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V./FernUniversität in Hagen, 2Deutsches Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V., 3Universität Tübingen, 4Universität zu Köln, 5Deutsches Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V./Universität Tübingen
Im Zuge der Digitalisierung im Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung wird zunehmend Educational Technology entwickelt, die zur Unterstützung von Lehr-/Lernprozessen beitragen soll. Ein Beispiel bildet die kompetenzadaptive, nutzerorientierte Suchmaschine für authentische Sprachlerntexte (KANSAS; Weiss et al., 2018; Dittrich et al., 2019). Ausgangspunkt für die Entwicklung von KANSAS bildeten die Herausforderungen an Lehrkräfte in Alphabetisierungskursen, die sich an die ca. 6,2 Millionen Erwachsenen mit geringen schriftsprachlichen Deutschkompetenzen in Deutschland richten (Alpha-Level ≤ 3; Grotlüschen et al., 2020). Für eine gelungene Binnendifferenzierung in den Kursen mit oft heterogenen Teilnehmendengruppen werden Texte zur Förderung der Lesekompetenzen benötigt, die idealerweise sowohl kompetenzgerechten sprachlichen Input als auch lebensweltnahe Inhalte bieten (vgl. Löffler & Weis, 2016). Die Lehrkräfte nutzen häufig das Internet, um entsprechende Texte zu recherchieren (Schneider, 2019). Der zeitliche Aufwand hierfür ist jedoch groß, zumal der überwiegende Anteil der Texte im Internet eine zu hohe sprachliche Komplexität für eine Verwendung im Alphabetisierungsbereich aufweist (Dittrich et al., 2019).
KANSAS vereint die inhaltsbasierte Suche einer üblichen Internetsuchmaschine mit einer computerlinguistischen Analyse der von den Webseiten extrahierten Texte hinsichtlich der globalen Textkomplexität (Alpha-Level; vgl. Heinemann, 2011) und dem Auftreten spezifischer sprachlicher Konstruktionen (z.B. Verbformen, komplexe Sätze, etc.). Lehrkräfte können nach diesen Kriterien gewichten/filtern und Texte werden umso weiter oben in der Ergebnisliste angezeigt, je besser sie den inhaltlichen und sprachlichen Kriterien entsprechen. Ausgewählte Texte können exportiert, wahlweise mit farblichen Markierungen der spezifizierten sprachlichen Konstruktionen, und für den Unterricht aufbereitet werden. KANSAS soll hiermit die zeitliche und kognitive Belastung bei der Recherche reduzieren, die Sprachbewusstheit der Lehrkräfte fördern und zum Einsatz geeigneten Lehr-/Lernmaterials beitragen. Eine Evaluationsstudie ergab, dass Lehrkräfte KANSAS als hilfreiches Werkzeug erleben (Mayer et al., 2023).
Die Grundlage unseres Beitrages bilden die Ergebnisse einer Interventionsstudie, mit der die Wirksamkeit von KANSAS bei der Unterstützung von Alphabetisierungslehrkräften bei der Unterrichtsvorbereitung überprüft wurde. 36 Lehrkräfte wurden gebeten, im Internet zwei Texte (jeweils einen Text zu den Themenbereichen „Demokratie“ und „Ausbildung“) mit vorgegebener globaler Textkomplexität (Alpha-Level 4) unter Beachtung spezifischer grammatikalischer Konstruktionen (Auftreten von Sätzen mit genau einem Nebensatz; kein Auftreten von Schachtelsätzen) zu recherchieren. Für eine der Recherchen nutzten die Lehrkräfte KANSAS, für die andere eine optisch angeglichene Dummy-Version, die eine übliche Inhaltssuche, aber keine spezifische Berücksichtigung sprachlicher Kriterien ermöglichte. Die Reihenfolge der genutzten Suchmaschinenversionen und die Zuordnung von Themenbereichen zu Suchmaschinenversionen wurde über die Teilnehmenden ausbalanciert. Die Lehrkräfte wurden nach jeder der beiden Recherchen (Zeitlimit: je 20 min) gebeten, einen Unterrichtsentwurf auf Basis des ausgewählten Textes zu erstellen (Zeitlimit: je 30 min).
Jeder Unterrichtsentwurf (inklusive des zugehörigen Textes) wurde hinsichtlich der genutzten Suchmaschinenversion verblindet und von zwei Deutsch-Fachdidaktiker/inne/n unabhängig anhand der folgenden sechs Kriterien bewertet: generelle Berücksichtigung des Textes, Angemessenheit des Textes für das Erreichen der Lernziele, Passung zum vorgegebenen Alpha-Level, Passung zu den grammatikalischen Vorgaben, inhaltliche Passung, Gesamtqualität des Unterrichtsentwurfs. Die Bewertungen erfolgten separat für jedes der Kriterien auf einer fünfstufigen Ratingskala.
Die durchgeführten t-tests für abhängige Stichproben für die gemittelten Expertenratings ergaben eine signifikant höhere durchschnittliche Bewertung für Unterrichtsentwürfe bei Nutzung der KANSAS-Version gegenüber der Dummy-Version hinsichtlich der Gesamtqualität, t(35) = 2.43, p = .020, Cohens‘ d = .40, der Passung zum vorgegebenen Alpha-Level, t(35) = 3.01, p = .005, d = .50, und der Passung zu den vorgegebenen grammatikalischen Konstruktionen, t(35) = 2.21, p = .034, d = .36. Für die Kriterien inhaltliche Passung, Angemessenheit des Textes zur Erreichung des Lernziele und generelle Berücksichtigung des ausgewählten Textes im Unterrichtsentwurf traten hingegen keine signifikanten Unterschiede auf, alle ts(35) ≤ 1.57, alle ps ≥ .124, alle ds ≤ .31.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass KANSAS Alphabetisierungslehrkräfte wirksam bei der Unterrichtsvorbereitung unterstützt und somit ein Beispiel ist, wie Educational Technology zur Verbesserung von Lehr-/Lernprozessen beitragen kann.
Motivation zur Teilnahme an digital gestützter Weiterbildung
Sara Reiter
Freie Universität Berlin
Im Zuge der Digitalisierung der Arbeitswelt und den damit verbundenen veränderten Tätigkeitsanforderungen kommt der beruflichen Weiterbildung von Erwerbstätigen eine hohe Bedeutung zu (Heß et al. 2019). Allerdings ist der Zugang zu beruflicher Weiterbildung für Erwerbstätige nach wie vor ungleich verteilt (BMBF, 2022). Insbesondere die geringere Teilnahme an beruflicher Weiterbildung von Geringqualifizierten wird in diesem Zusammenhang problematisiert, da sie häufiger hochstandardisierte Tätigkeiten ausüben, die durch den technischen Fortschritt einem erhöhten Substitutionsrisiko ausgesetzt sind (Kleinert & Wölfel, 2018; Mohajerzad et al., 2022). Zugleich werden mit digitalen Medien Potenziale verbunden, Bildungsprozesse in Arbeitsabläufe zu integrieren und an individuelle Bedürfnisse anzupassen, wodurch neue Zugänge zu beruflichen Qualifizierungsangeboten eröffnet werden können (Kohl, 2019). Bisherige Befunde lassen allerdings erkennen, dass auch die Weiterbildung mit digitalen Medien überwiegend Erwerbstätige erreicht, die ohnehin schon häufiger von Weiterbildung profitieren (u.a. Höherqualifizierte) (Kleinert et al., 2021; BMBF, 2020). An diese Ausgangslage anknüpfend, fragt der Beitrag nach den Faktoren, die die Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung von Erwerbstätigen hemmen oder fördern können, und nimmt hierbei eine motivationstheoretische Perspektive ein. Rekurrierend auf den wert-erwartungstheoretischen Ansatz nach Eccles (1983) wird davon ausgegangen, dass (Weiter-)Bildungsentscheidungen durch (weiter-)bildungsbezogene Wertüberzeugungen motiviert werden (Gorges, 2015). Den Modelannahmen zufolge sind solche Wertüberzeugungen ein Resultat kognitiver Prozesse, die wiederum durch sozial-kulturelle Faktoren und vorangegangene Erfahrungen geprägt werden (Eccles, 2005).
An diese theoretischen Überlegungen anknüpfend, wird im Beitrag untersucht, inwiefern Wertüberzeugungen gegenüber dem Lernen mit digitalen Medien einen Einfluss auf die Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung von Erwerbstätigen haben und inwiefern solche Wertüberzeugungen wiederum mit soziodemografischen Merkmalen der Erwerbstätigen (Alter, Geschlecht, Geburtsland, Bildungshintergrund) und ihren Erfahrungen hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien im Beruf zusammenhängen.
Als Kontrollvariablen werden zudem weitere erwerbskontextuale Faktoren (Tätigkeitsumfang, Betriebsgröße, öffentlicher Dienst/Privatwirtschaft) in die Analysen einbezogen. Damit wird berücksichtigt, dass die Teilnahme an (digital unterstützter) beruflicher Weiterbildung neben individuellen Voraussetzungen (Motivation) von Faktoren des Erwerbskontextes und den damit verbundenen Gelegenheitsstrukturen für Weiterbildung beeinflusst werden dürfte (Kaufmann & Widany, 2013; Schiener, 2006).
Die methodische Umsetzung erfolgt sekundäranalytisch unter Nutzung der Daten des Adult Education Survey aus dem Erhebungsjahr 2018. In die Stichprobe der vorliegenden Analyse gehen abhängig Beschäftigte im Alter von 18-65 Jahren ein (n = 3018). Für die empirische Überprüfung der theoretisch postulierten Zusammenhänge wird ein Strukturgleichungsmodell mit einer dichotomen abhängigen Variable (Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung) mithilfe der Software R (lavaan) auf Basis imputierter Daten (m=25) berechnet.
Die Befunde bestätigen, dass Wertüberzeugungen gegenüber dem Lernen mit digitalen Medien einen positiven Effekt auf die Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung haben (β = 0,101, p < 0,001). Erfahrungen mit der Nutzung digitaler Medien im Beruf haben den Ergebnissen zufolge sowohl einen direkten (β = 0,392, p < 0,001) als auch einen indirekten Effekt (mediiert durch Wertüberzeugungen) auf die Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung. Soziodemografische Merkmale stehen wie erwartet in einem Zusammenhang mit Wertüberzeugungen. Ebenfalls können Zusammenhänge zwischen soziodemografischen Merkmalen und Erfahrungen mit der Nutzung digitaler Medien im Beruf beobachtet werden. Beispielsweise zeigt das Bildungsniveau einen positiven Effekt auf Wertüberzeugungen (β = 0,118, p < 0,001) und auf Erfahrungen mit der Nutzung digitaler Medien im Beruf (β = 0,503, p < 0,001). Direkte Effekte auf die Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung können für die soziodemografischen Merkmale nicht festgestellt werden.
Insgesamt verdeutlichen die Befunde somit, dass motivationale Faktoren für die Erklärung der Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung von Erwerbstätigen eine Rolle spielen und für die Erklärung von sozialen Teilnahmedisparitäten einen Beitrag leisten können. Limitationen werden mit Blick auf die in den genutzten Daten zur Verfügung stehenden Informationen ebenso diskutiert wie bezogen auf methodische Aspekte (z.B. Analysen mit Querschnittsdaten).
Mechanismen gelöster Kopplungen in Organisationen der Erwachsenen- und Weiterbildung im Zuge der digitalen Transformation – Zum Effekt der Delokalisierung auf die Teilnahme an Weiterbildung in Volkshochschulen
Julian Hemmerich, Fabian Rüter
Deutsches Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen
Im Zuge andauernder Dynamiken der digitalen Entwicklung sehen sich Weiterbildungsorganisationen einem tiefgreifenden Transformationsprozess ausgesetzt (Donat, 2023; Rohs, 2019). Die Erforschung von Digitalisierungsprozessen in Weiterbildungsorganisationen sowie deren Auswirkungen auf organisationale Prozesse und Strukturen stellen wichtige Desiderate der erwachsenenpädagogischen Digitalisierungsforschung dar (Altenrath et al., 2021).
In der organisationssoziologischen Literatur werden Mechanismen der Digitalisierung theoretisiert, entlang derer sich Organisationen in ihrer Struktur und Funktionsweise wandeln (Kirchner, 2022; Kirchner & Beyer, 2016). Demnach werden mit dem Fortschreiten der Digitalisierung und der zunehmenden Kopplung von Organisationen an Daten, Netzwerke und automatisierte Systeme andere organisationale Kopplungen gelöst. Für die erwachsenenpädagogische Digitalisierungsforschung ist die Frage relevant, ob die beschriebenen Mechanismen auch im Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung empirisch beobachtbar sind und welche intendierten und nicht-intendierten Folgen sich daraus ergeben.
Einen zentralen Aspekt von Transformationsprozessen durch Digitalisierung stellt die Delokalisierung – die Lösung der Kopplung von Organisationen an einen Ort – dar. Die Bedeutung von Orten zeigt sich allgemein in einem hohen Maße, in dem Organisationen abhängig von ihrer Umwelt sind – beispielsweise von ihrem Markt oder ihren Finanzquellen (Luhmann, 2000). Für Organisationen im Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung wird die Bedeutung von Orten im Hinblick auf Weiterbildungsprogramme und -teilnahme deutlich. Einerseits ist das Programm das zentrale Medium der Positionierung der Weiterbildungsorganisation zu ihrer Umwelt (Kuper, 2004), welches Konzepte über Bildungsbedarfe und -bedürfnisse potenzieller Teilnehmenden operationalisiert (Nolda, 2018). Andererseits besteht ein Zusammenhang zwischen Ort und Teilnahme. So zeigt eine Analyse des deutschen Mobilitätspanels, dass die Teilnahmewahrscheinlichkeit sukzessive mit der zurückzulegenden Entfernung zum Veranstaltungsort abnimmt (Martin & Schrader, 2018). Darüber hinaus wird die Relevanz der räumlichen Verortung von Organisationen in der öffentlich geförderten Weiterbildung (v.a. Volkshochschulen) durch geographische Zuständigkeitsbereiche in Form des „Territorialprinzips“ herausgestellt (Rohs & Lacher, 2023).
Im Zuge der Digitalisierung sinkt die Relevanz der unmittelbaren Umgebung von Organisationen aufgrund der Möglichkeit der ortsunabhängigen Kommunikation und Bereitstellung von Informationen (Kirchner, 2022). Digital kann Weiterbildung orts- und zum Teil zeitunabhängig stattfinden (Manhart & Wendt, 2019). Im Zusammenhang mit der Coronapandemie ist der Anteil digitaler Formate im Kursangebot der Weiterbildungsorganisationen stark gestiegen. Infolgedessen werden in der Literatur Digitalisierungspotentiale von Angeboten zur Erschließung neuer Zielgruppen und zur Erhöhung der Reichweite diskutiert (Rohs & Lacher, 2023; Scheidig, 2022).
Vor dem Hintergrund der theoretisierten Entkopplung der Organisationen von Orten im Zuge der Digitalisierung greifen wir die Frage auf, ob die Digitalisierung des Weiterbildungsangebots zu einer Lösung räumlicher Kopplungen (Delokalisierung, Kirchner (2022)) führt. Zentrale Kennzahl des für eine Organisation relevanten Ortes ist für unseren Beitrag der Umfang der Wohnbevölkerung des Kreises oder der kreisfreien Stadt (Bevölkerung ab 18 Jahren; Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder), in der eine Organisation lokalisiert ist. Zentrale Kennzahl für die Teilnahme ist auf der Organisationsebene die Gesamtzahl der Teilnahmefälle. Ausgangspunkt für unsere Analyse von Entkopplungsprozessen durch Delokalisierung ist daher der Zusammenhang des Umfangs der Wohnbevölkerung und der Zahl der Teilnahmefälle einer Weiterbildungsorganisation. Daran anschließend untersuchen wir die Annahme, dass mit steigendem Digitalisierungsgrad des Angebots der Einfluss der Bevölkerung auf regionaler Ebene (Kreis oder kreisfreie Stadt) auf die Teilnahmefälle auf Ebene der Organisationen abnimmt. Dazu wurde basierend auf Paneldaten der Volkshochschulstatistik ein erstes Fixed-Effects Modell geschätzt. Die Aufnahme eines Interaktionseffekts verdeutlicht die Annahme, dass der Einfluss der Bevölkerung auf die Teilnahmefälle vom Digitalisierungsgrad des Angebots moderiert, d.h., mit höheren Ausprägungen des Digitalisierungsgrads abgeschwächt wird.
Für den Untersuchungszeitraum 2018-2021 zeigt sich für n = 825 Volkshochschulen und N = 3300 Beobachtungen in der Modellschätzung ein positiver Haupteffekt einer steigenden Bevölkerung auf die Teilnahmefälle einer Volkshochschule (b = 0.113; p = 0.051), der mit steigendem Digitalisierungsgrad signifikant abnimmt (Interaktionseffekt Bevölkerung*Digitalisierungsgrad: b = -0.00012; p < .001). Die Analyse wird nach dem Erscheinen der Volkshochschulstatistik-Daten für das Berichtsjahr 2022 um diese erweitert.
Dynamiken der Digitalisierung von Angeboten der beruflichen und wissenschaftlichen Weiterbildung
Andreas Martin, Alina Klimpel
Deutsches Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen
Die digitale Transformation prägt seit langem den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel und ist einer der Treiber vor allem der beruflichen und wissenschaftlichen Weiterbildung. Für die Anbieter in diesem Feld ergibt sich aus der Transformation eine doppelte Herausforderung. Zum einen müssen Bedarfe nach Fort- und Weiterbildung zur Bewältigung der Digitalisierung erkannt und adäquate Angebote auf dem Weiterbildungsmarkt etabliert werden, zum anderen sind die Weiterbildungsanbieter und der Weiterbildungsmarkt selbst diesen Transformationsprozessen unterworfen. Daraus ergeben sich Fragen nach den Faktoren, welche die digitale Transformation in der Weiterbildung beeinflussen und den Mechanismen, die dabei zur Wirkung kommen. Anzunehmen ist, dass zwei Wirkmechanismen die Dynamik der digitalen Transformation maßgeblich forcieren.
Im Anschluss an den soziologischen Neo-Institutionalismus kann zum einen angenommen werden, dass sich Weiterbildungsanbieter an die - als rational wahrgenommene - Umwelterwartungen des jeweiligen organisationalen Feldes orientieren, um für die Organisation Legitimität zu reproduzieren (Meyer & Rowan 1977). Insbesondere mit Blick auf die als soziales Ziel etablierte Nutzung von Rationalisierungspotentialen der Digitalisierung kann dies als ein wichtiger Faktor angesehen werden (ebd.). In Folge der Wirksamkeit dieses Mechanismus sollte es zu Prozessen der Angleichung von Organisationen mit Blick auf die Digitalisierung von Angeboten der Erwachsenen- und Weiterbildung kommen. Der Neo-Institutionalismus beschreibt hier drei Formen der Angleichung: mimetischer Isomorphismus (die Nachahmung von als erfolgreich wahrgenommenen Akteuren), normativen Isomorphismus (die Anpassung an als Norm wahrgenommene Praxen) und Zwang (DiMaggio & Powell 1983). Für die hier vorgestellte Untersuchung sind alle drei Formen relevant: Initiiert durch Kontaktverbote während der Corona-Pandemie ist in der Weiterbildung ein enormer Digitalisierungsschub ausgelöst worden, von dem wir annehmen, dass er sich durch normativen und mimetischen Isomorphismus weiterträgt und verstärkt.
Die im Neo-Institutionalismus beschriebenen Mechanismen ließen sich problemlos auf jeden Bildungsbereich anwenden. Die Weiterbildung ist jedoch als einziger Sektor des Bildungswesens durch eine bildungspolitisch fixierte Marktkoordination gekennzeichnet (Schrader 2011). Berücksichtigt man dies, ist davon auszugehen, dass die Digitalisierung eine wichtige Rolle im Wettbewerb zwischen Weiterbildungsanbietern spielt. Im Anschluss an Schumpeter (2003) kann die Digitalisierung als eine Innovation und damit als ein zentraler Wettbewerbsmechanismus interpretiert werden. Es ist anzunehmen, dass durch die Digitalisierung von Weiterbildungsangeboten regionale Nischen aufgebrochen werden, in deren Rahmen viele Weiterbildungsanbieter bisher ihre Präsenzangebote auf die jeweilige Nachfrage abgestimmt haben. Diese sehen sich nun neuer digitaler Konkurrenz ausgesetzt und sind gezwungen, neue Teilnahmepotentiale durch eigene digitale Angebote zu erschließen. Zugleich ermöglicht die Digitalisierung neue, innovative Angebotskonzepte, die eine Konkurrenz für herkömmliche Formate darstellen können. Aus dieser Perspektive würde der durch Digitalisierung entstehende Wettbewerbsdruck die Digitalisierung weiter antreiben.
Zusammenfassend ist anzunehmen, dass die Digitalisierung unmittelbar einen Angleichungsprozess auslöst und so zu einer Beschleunigung der Digitalisierung führt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass der Einfluss der Digitalisierung des Feldes potentieller Wettbewerber auch über den Wettbewerbsdruck auf die Digitalisierung der Anbieter wirkt. Diese Annahmen werden auf der Grundlage der wbmonitor-Erhebungen des Jahres 2021 und 2022 (N_2021=1.689; N_2022=1.805) getestet. Der Digitalisierungsgrad des jeweiligen organisationalen Feldes bzw. des Feldes potenzieller Wettbewerber eines jeden Weiterbildungsanbieters wird anhand der - durch die inversen Mahalanobis-Distanzen der Angebotsprofile gewichteten - digitalen Angebotsvolumen aller anderen Anbieter operationalisiert. Der Wettbewerbsdruck wird durch das quadratische Polynom des wahrgenommenen Wettbewerbsdruck (Aghion et al 2005) in 2021 gemessen. Das entsprechende Item im wbmonitor wurde aus dem IAB-Betriebspanel übernommen. Die Hypothese wird durch eine kausale Mediationsanalyse (Keele 2015) über zwei Messzeitpunkte getestet. Dabei wird untersucht, inwiefern es einen direkten Effekt der Digitalisierung des organisationalen Feldes auf den Digitalisierungsgrad eines Weiterbildungsanbieters gibt und ob dieser Effekt durch den Wettbewerbsdruck mediiert wird. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass es einen nennenswerten, aber nicht signifikanten direkten Effekt der Digitalisierung des organisationalen Feldes auf die Digitalisierung von Weiterbildungsanbietern im Folgejahr gibt. Der Wettbewerbsdruck hat keinen mediierenden Einfluss.