Conference Agenda

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Session Overview
Session
6-06: Voreingenommenheit von Lehrkräften: Veränderbarkeit und Intervention
Time:
Tuesday, 19/Mar/2024:
3:20pm - 5:00pm

Location: H08

Hörsaal, 91 TN

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Presentations
Symposium

Voreingenommenheit von Lehrkräften: Veränderbarkeit und Intervention

Chair(s): Meike Bonefeld (Universität Freiburg, Institut für Erziehungswissenschaften, Arbeitsgruppe Erziehung und Sozialisation; IDeA-Zentrum), Katharina Fink (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation; IDeA- Zentrum)

Discussant(s): Ursula Kessels (Freie Universität Berlin, Arbeitsbereich Bildungsforschung / Heterogenität und Bildung)

In Deutschland sind Schulleistung und Bildungserfolg weiterhin von herkunftsbezogenen Unterschieden charakterisiert (Reiss et al., 2019). Zwar sind Lehrkräfte laut Schulgesetz dazu verpflichtet, Schüler*innen unabhängig von ihrer Herkunft zu behandeln, jedoch zeigt eine Vielzahl an Studien, dass die Einschätzungen von Lehrkräften durch Merkmale der Lernenden abseits ihrer Leistung verzerrt sein können. Dazu zählt unter anderem die ethnisch-kulturelle Herkunft der Schüler*innen (Lorenz et al., 2016; Bonefeld et al., 2017; Nishen & Kessels, 2022). Aktuelle Forschung beschäftigt sich vorwiegend mit dem Nachweis und der Betrachtung von Ursachen für diese Verzerrungen und konnte bisher zeigen, dass unter anderem die Stereotype der Lehrkräfte die Bewertung von akademischer Leistung sowie das Verhalten der Lehrkräfte gegenüber Schüler*innen aus ethnisch-kultureller Minderheiten beeinflussen können (Kleen & Glock, 2018; Bonefeld & Dickhäuser, 2018; Tobisch & Dresel, 2017). Nachdem der Einfluss von Lehrkraftstereotypen in unterschiedlichen Bereichen aufgezeigt werden konnte, wird vielfach über Möglichkeiten der Intervention diskutiert (Glock, 2022). Es mangelt bislang allerdings an Forschungsarbeiten, die sich mit Ansatzpunkten für oder der Wirksamkeit von Interventionen beschäftigen, die (angehende) Lehrkräfte in diesem Bereich sensibilisieren könnten. Hierbei stellt sich neben der Wirksamkeitstestung verschiedener Interventionsansätze zunächst die Frage nach der generellen Veränderbarkeit von Stereotypen und Vorurteilen sowie damit zusammenhängenden begünstigenden Lehrkräftemerkmalen. Laut Rokeach und Cochkane (1972) können Vorurteile durch gezielte Interventionen prinzipiell vermindert werden, es spielen allerdings das Bewusstsein, die Motivation, sowie Fähigkeiten zur Reflexion und Ressourcen der Person eine essenzielle Rolle (Bargh, 1999).

Im Zentrum des eingereichten Symposiums stehen daher aktuelle Forschungsarbeiten zur Veränderbarkeit sowie Ansätze zu Verringerung der Einflüsse von Lehrkraftstereotypen. Das Symposium öffnet in vier Beiträgen das Spannungsfeld zwischen empirischer Forschung zu Ansatzpunkten für die Entwicklung von Interventionen und bereits ausgearbeiteten Interventionen, welche in ihrer Wirksamkeit evaluiert werden. Dabei wird bewusst die Frage nach praktisch-anschlussfähigen Lösungen fokussiert und diskutiert.

Im ersten Beitrag des Symposiums stellen die Autorinnen, Überlegungen zur Beziehung zwischen der Laientheorie zur wahrgenommenen Veränderbarkeit von Vorurteilen und motivationalen Konstrukten des Umgangs mit ethnisch-kultureller Heterogenität vor. Es zeigt sich, dass Studierende Vorurteile durchschnittlich als relativ veränderbar einschätzen. Die Studie konnte zeigen, dass sich eine stärkere inkrementelle Laientheorie positiv auf den Enthusiasmus für das Unterrichten heterogener Klassen sowie die Wichtigkeit von diversitäts- und nicht diversitätsbezogenen Themen auswirkt. Der zweite Beitrag des Symposiums fokussiert den Zusammenhang der impliziten Intelligenztheorie und impliziten Stereotypen von Lehramtsstudierenden. Die Autorinnen nehmen dabei die in Deutschland besonders benachteiligte Gruppe türkischstämmiger Schüler*innen in den Blick und zeigen, dass Zusammenhänge zwischen der impliziten Intelligenztheorie der Studierenden und deren impliziten leistungsbezogenen Stereotypen bestehen. Im dritten Beitrag des Symposiums testen die Autorinnen in zwei Studien eine Interventionsmaßnahme, die auf Grundlage der Vermittlung von Theorien der Stereotyp- und Einstellungsänderung das Ziel verfolgt, Verzerrungen in Urteilen von Lehramtsstudierenden zu verringern. Sie können die Wirksamkeit der Interventionsmaßnahme in Bezug zu verschiedenen Lehrkrafturteilen, nicht aber für die Veränderung impliziter Einstellungen nachweisen. Auch im letzten Beitrag des Symposiums wird eine Interventionsmaßnahme zur Reduktion von Urteilsverzerrungen vorgestellt und getestet. Im Mittelpunkt der ebenfalls auf angehende Lehrkräfte ausgerichteten Onlineintervention stehen die expliziten Einschätzungen, impliziten Einstellungen und das Bewusstsein über die eigenen Vorurteile. Die Autorinnen können eine Reduktion von expliziten negativen Einschätzungen durch Aufklärungsinformationen und Reflexionsaufgaben zeigen, während für implizite Einstellungen und die Wahrnehmung eigener Voreingenommenheit keine Interventionseffekte gefunden werden konnten. Die Beiträge illustrieren die Notwendigkeit der Beforschung von Ansatzpunkten zur Reduktion von Lehrkraftstereotypen und ihrer Einflüsse im Schulkontext und bieten dabei erste Möglichkeiten an, die Auswirkungen von Stereotypen zu reduzieren. Das Symposium soll damit die Möglichkeit bieten fruchtbare, bestehende Ansätze zu diskutieren und in einen größeren, gemeinsamen Zusammenhang zu stellen, um nachhaltige Interventionen zu entwickeln.

 

Presentations of the Symposium

 

„Das lässt sich sowieso nicht ändern?“ Erste Ergebnisse zu Beziehungen zwischen Laientheorien zur Veränderbarkeit von Vorurteilen und motivationalen Konstrukten im Umgang mit ethnisch-kultureller Heterogenität

Anna K. Nishen, Ricarda Steinmayr
Technische Universität Dortmund

Lehrkräfte benötigen für effektives Lehren eine Sensibilität und Handlungswissen in Bezug auf Diversität und Heterogenität (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Ein erhöhtes Stressempfinden, eine Verteidigungshaltung oder negative Emotionen können allerdings bedeutsame Hürden für die tiefergehende Auseinandersetzung mit ethnisch-kultureller Heterogenität und Diskriminierung sein (Gregoire, 2003; Knowles et al., 2014; Trawalter et al., 2009). Um erfolgreiche Interventionen zu ermöglichen, könnte das Stärken motivationaler Ressourcen von Lehrkräften im Umgang mit diesen Herausforderungen bedeutsam sein. Ein effektiver Umgang könnte durch eine inkrementelle Laientheorie zur Veränderbarkeit von Vorurteilen gefördert werden. Laientheorien zur Veränderbarkeit von Eigenschaften werden grob unterschieden in inkrementelle Theorien (veränderbare Eigenschaft) und Entitätstheorien (festgelegte Eigenschaft; Dweck et al., 2004). Eine inkrementelle Laientheorie geht mit einer adaptiveren Motivation bei eigenen – auch vorurteilsbezogenen – Fehlern oder Herausforderungen einher (Burnette et al., 2013; Carr et al., 2012; Dweck et al., 2004; Hennes et al., 2018; Neel & Shapiro, 2012; Nussbaum & Dweck, 2008; Schumann & Dweck, 2014). In der vorliegenden Studie wurde zum ersten Mal geprüft, inwiefern die Wahrnehmung von Vorurteilen als veränderbar mit positiveren motivationalen Ausprägungen von Lehramtsstudierenden im Umgang mit Heterogenität zusammenhängt. Diese Zusammenhänge wurden auf explorativer Basis getrennt für Studierende mit und ohne Migrationsgeschichte betrachtet.

Insgesamt nahmen 197 Lehramtsstudierende teil (81% weiblich, 28% mit Migrationsgeschichte, M(Fachsemester) = 3.98, SD = 2.54). Sie beantworteten neun Items zur Laientheorie zur Veränderbarkeit von Vorurteilen (Cronbach’s Alpha = .910; angepasst von Carr et al., 2012), wobei höhere Werte eine stärkere inkrementelle Laientheorie anzeigten. Zusätzlich wurde erfasst, wie wichtig ihnen diversitätsbezogene und nicht diversitätsbezogene Themen in der Lehramtsausbildung sind (1 = gar nicht wichtig, 5 = sehr wichtig). Außerdem wurden ihre Selbstwirksamkeit und ihr Enthusiasmus im Unterrichten von ethnisch-kulturell heterogenen Klassen erfasst (Cronbach’s AlphaSelbstwirksamkeit = .805; Spearman-Brown-KoeffizientEnthusiasmus = .829; Hachfeld et al., 2012). Deskriptiv zeigte sich, dass die Studierenden durchschnittlich Vorurteile als etwas relativ Veränderbares einschätzten, wobei Studierende mit Migrationsgeschichte einer inkrementellen Laientheorie stärker zustimmten, t(195) = −2.65, p < .01, sowie eine höhere Selbstwirksamkeit, t(195) = −4.51, p < .001, und einen höheren Enthusiasmus, t(195) = −2.81, p < .01, berichteten. Anschließend wurden Regressionen durchgeführt, in denen die Laientheorie, Migrationsgeschichte und ihre Interaktion die motivationalen Konstrukte vorhersagten. Es zeigte sich, dass Studierenden mit einer stärkeren inkrementellen Laientheorie sowohl diversitätsbezogene (β = 0.27**, R² = 0.06) als auch nicht diversitätsbezogene Themen im weiteren Lehramtsstudium wichtiger waren (β = 0.21*, R² = 0.08). Studierende mit einer stärkeren inkrementellen Laientheorie gaben außerdem an, höheren Enthusiasmus für das Unterrichten in ethnisch-kulturell heterogenen Klassen zu haben (β = 0.31***, R² = 0.12). Allerdings hingen Laientheorien von Studierenden nicht mit ihrer Selbstwirksamkeit zusammenhingen (β = 0.12, n.s.). Diese Zusammenhänge unterschieden sich nicht für Studierende mit und ohne Migrationsgeschichte (Interaktionskoeffizienten: alle p > .147).

Die vorliegende Studie testete zum ersten Mal in Deutschland, inwiefern Laientheorien zur Veränderbarkeit von Vorurteilen mit positiveren motivationalen Ausprägungen bei Lehramtsstudierenden mit und ohne Migrationsgeschichte assoziiert sind. Insgesamt bestätigte sich dieses erwartete Bild mit Ausnahme der Selbstwirksamkeit. Dieses Muster könnte darauf hinweisen, dass eine inkrementelle Laientheorie die Motivation für das eigene Lernen erhöht, aber für eine erhöhte Selbstwirksamkeit weitere Aspekte – beispielsweise das Vermitteln tatsächlicher Kompetenzen – entscheidend sein könnte. Aufgrund der bestehenden Limitationen (z.B. Selbstbericht) können die Ergebnisse nur eine erste Grundlage dafür bieten, die Bedeutsamkeit für die Weiterbildung von Lehrkräften und Lehramtsstudierenden einzuschätzen. Die Ergebnisse zur wahrgenommenen Wichtigkeit des Themas sowie des Enthusiasmus deuten darauf hin, dass eine stärker inkrementelle Laientheorie zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit diversitätssensiblem Unterrichten assoziiert sein könnte. Allerdings waren diese Zusammenhänge nicht spezifisch für diversitätssensible Themen. Weitere Forschung sollte deswegen tatsächliche Entscheidungen von Lehrkräften in den Blick nehmen (z.B. Prioritätensetzung in der Auswahl von Fortbildungen) und prüfen, inwiefern sich Laientheorien zu Vorurteilen von Laientheorien zu Eigenschaften generell abgrenzen lassen.

 

Implizite Intelligenztheorie und implicit bias von Lehramtsstudierenden gegenüber türkischstämmigen Schülern: Gibt es einen Zusammenhang?

Hannah Kleen
DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Soziale Ungleichheiten sind ein präsentes Problem im deutschen Bildungssystem (Autor*innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Schüler*innen mit Migrationshintergrund, insbesondere mit einem türkischen Migrationshintergrund, schneiden schlechter ab als diejenigen Schüler*innen, die keinen Migrationshintergrund aufweisen. In diesem Zusammenhang werden auch die Lehrkräfte in die Verantwortung genommen und als ein Grund für die ethnischen Disparitäten gesehen (Glock et al., 2020). Diesbezüglich werden insbesondere Einstellungen und Urteilsverzerrungen von Lehrkräften gegenüber Schüler*innen bestimmter sozialer Gruppen diskutiert. So ist die Befundlage recht deutlich, dass (angehende) Lehrkräfte implizit negativ gegenüber Schüler*innen mit türkischem Migrationshintergrund eingestellt sind (Glock et al., 2020) und diese – speziell im Fach Deutsch – schlechter beurteilen als Schüler*innen ohne Migrationshintergrund (z.B. Kleen & Glock, 2018). Resultierend aus diesen Erkenntnissen wird vielfach untersucht, wie Unterricht allen Schüler*innen gerecht und fair werden kann.

Implizite Intelligenztheorien von Lehrkräften stellen einen Aspekt dar, der ebenfalls mit Bildungsungleichheiten in Zusammenhang steht (z.B. Canning et al., 2019). Bei der impliziten Intelligenztheorie geht es um die subjektiven Vorstellungen von Personen, wie diese die Veränderbarkeit von Intelligenz einschätzen (Dweck et al., 1995). Dabei wird unterschieden zwischen Intelligenz als starrem und nicht veränderbaren Konstrukt, dem fixed mindset, und Intelligenz als veränderbar und entwicklungsfähig, dem growth mindset. Ein growth mindset bei Lehrkräften gilt als vielversprechend für eine Reduzierung von Bildungsungleichheiten und kann auch positiv auf Stereotype und Vorurteile wirken kann (Burnette et al., 2022; Hooper et al., 2017). Gleichzeitig können sich Disparitäten bei einem fixed mindset der Lehrperson verstärken (Seo & Lee, 2021).

In der nachfolgenden Studie wird daher untersucht, inwiefern die implizite Intelligenztheorie von angehenden Lehrkräften mit deren Einstellungen und Attributionen gegenüber türkischstämmigen Schüler*innen zusammenhängt. Dafür werden einerseits leistungsbezogene Stereotype von Lehramtsstudierenden betrachtet und andererseits die Attributionen für schulischen Misserfolg in den Fächern Deutsch und Mathematik. Auf Grundlage der Theorie und Empirie wird davon ausgegangen, dass Lehramtsstudierende, die eher den Annahmen eines growth mindsets zustimmen, weniger implizite leistungsbezogene Stereotype aufweisen. Zusätzlich wird erwartet, dass ein growth mindset mit weniger internal stabilen Attributionen verknüpft wird.

An der Studie haben 74 Lehramtsstudierende (48 weiblich, MAlter = 25,71, SD = 2,92) teilgenommen. Zu Beginn wurde ein Fragebogen angelehnt an Hong et al. (1999) zur Erfassung der impliziten Intelligenztheorie (α=.94) eingesetzt. Danach folgt ein Leistungsstereotype-IAT (Impliziter Assioziationstest; Bonefeld & Dickhäuser, 2018; Greenwald et al., 1998). Anschließend erhielten die Teilnehmenden eine Schülerbeschreibung (Kleen & Glock, 2018), wobei die Ethnie anhand des Namens variiert wurde. Der gezeigte Schüler wies schlechte Leistungen auf und die Lehramtsstudierenden haben die Gründe für die Leistungen in einem Attributionsfragebogen (αDeutsch=.92, αMathe=.93, Glock & Kleen, 2020) eingeschätzt. Zum Schluss wurden die demografischen Variablen erfragt.

Es wurde eine Regression mit den impliziten Stereotypen als abhängiger Variable und der impliziten Intelligenztheorie als Prädiktor gerechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass die implizite Intelligenztheorie der Lehramtsstudierenden mit ihren impliziten leistungsbezogenen Stereotypen zusammenhängen. Diejenigen Lehramtsstudierenden, die eher einem growth mindset zustimmten, wiesen auch geringere implizite Leistungsstereotype gegenüber türkischstämmigen Schülern auf. Weiterhin wurden Regressionen für die Attributionen gerechnet, ebenfalls mit der Intelligenztheorie und zusätzlich dem Migrationshintergrund des Schülers als Prädiktoren. Bei den internal stabilen Attributionen für die Deutschleistung zeigten sich bei dem deutschen Schüler keine Unterschiede je nach Intelligenztheorie der Teilnehmenden. Bei dem türkischstämmigen Schüler wurde jedoch deutlich, dass ein growth mindset mit weniger internal stabilen Attributionen zusammenhängt. Für die internal stabilen Attributionen im Fach Mathematik konnte dies nicht gezeigt werden.

Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse, dass das growth oder fixed mindset der Lehrkräfte eine wichtige Variable ist, um Disparitäten entgegenzuwirken. Der Zusammenhang von impliziter Intelligenztheorie mit impliziten Einstellungen, aber auch mit den Attributionen macht deutlich, dass es sich lohnen kann, ein growth mindset bei Lehrkräften zu fördern. Hier könnten Interventionen zum Mindset von Lehrkräften (z.B. Heyder et al., 2023) ein relevanter Schritt sein.

 

Können herkunftsbezogene Urteilsverzerrungen bei angehenden Lehrkräften durch eine kurze Online-Intervention reduziert werden? Eine Pilotstudie

Helene Zeeb1, Liza-Marie Smolka1, Inga Glogger-Frey1, Thamar Voss2
1Universität Erfurt, 2Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Einschätzungen von Lehrkräften können durch irrelevante Merkmale der Lernenden wie deren Herkunft verzerrt sein (z.B. Lorenz et al., 2016; Nishen & Kessels, 2022). In Deutschland bestehen beispielsweise oft hohe Kompetenzerwartungen gegenüber Personen aus Ostasien und eher geringe Erwartungen gegenüber Personen aus Nordafrika (Froehlich & Schulte, 2019) – was dazu führen kann, dass Lernende ostasiatischer Herkunft besser eingeschätzt werden als Lernende nordafrikanischer Herkunft. Um Urteilsverzerrungen vorzubeugen, das Bewusstsein für die eigene Voreingenommenheit (bias awareness; Perry et al., 2015) zu erhöhen und damit insgesamt zu mehr Bildungsgerechtigkeit beizutragen, wurden Interventionen für (angehende) Lehrkräfte entwickelt (z.B. Bonefeld, 2022; Pit-ten Cate & Glock, 2022; Tobisch et al., 2022). Zentrale Elemente solcher Interventionen sind Aufklärungsinformationen und Reflexions- bzw. Übungsaufgaben. Trotz erster Wirksamkeitsnachweise sind noch Fragen offen, zum Beispiel: Zeigen sich Interventionseffekte nur in expliziten Maßen (z.B. Ankreuzverhalten) oder auch in impliziten Maßen (z.B. IAT)? Führt eine Intervention, die die Bias Awareness erhöht, tatsächlich zu weniger verzerrten Urteilen? Inwiefern können auch sehr kurze Interventionen Veränderungen bewirken?

In unserer Studie untersuchten wir die Effekte einer kurzen (ca. 20 min.) Online-Intervention darauf, wie angehende Lehrkräfte zwei (fiktive) Schüler einschätzen (= explizite Einschätzungen), wie stark ihre positiven/ negativen Assoziationen gegenüber ostasiatischen/ nordafrikanischen Jungen in einem IAT ausgeprägt sind (= implizite Einstellungen) und wie sehr sie sich der eigenen Voreingenommenheit bewusst sind (= bias awareness). Die Intervention sollte herkunftsbezogene Unterschiede in den (a) expliziten Einschätzungen und (b) impliziten Einstellungen der Lehramtsstudierenden reduzieren und (c) die Bias Awareness erhöhen.

An der experimentellen, präregistrierten Online-Studie nahmen 65 Lehramtsstudierende teil (Alter: M = 22.9 Jahre, SD = 4.1; 86% weiblich), die entweder die Stereotypen-Intervention (n = 31) oder eine Kontrollintervention bearbeiteten (n = 34). Die Stereotypen-Intervention beinhaltete Informationen zu den Auswirkungen von Stereotypen in der Schule, Reflexionsaufgaben und Feedback zu den eigenen Einschätzungen. Die Kontrollintervention hatte die gleiche Struktur und Länge, beinhaltete aber Informationen und Reflexionsaufgaben zu kognitionswissenschaftlichen Grundlagen des Lernens. Wir erfassten (a) explizite Einschätzungen zweier fiktiver Schüler namens Takashi und Ahmed hinsichtlich ihrer Anstrengungsbereitschaft und Leistung (diese Namen wurden in einer separaten Studie vorgetestet) mit jeweils einem Item, (b) implizite Einstellungen mittels IAT und (c) die Bias Awareness per Fragebogen (Perry et al., 2015).

Die Analysen zeigten, dass (a) herkunftsbezogene Unterschiede in der eingeschätzten Anstrengungsbereitschaft durch die Stereotypen-Intervention reduziert wurden (d = -0.62); Unterschiede in der Leistungseinschätzung verringerten sich in beiden Gruppen (d = -0.41). Diese Effekte waren darauf zurückzuführen, dass Ahmed nach der Stereotypen-Intervention signifikant besser eingeschätzt wurde als vorher (Anstrengungsbereitschaft: d = 0.72; Leistung: d = 0.89). Für (b) herkunftsbezogene Unterschiede in den impliziten Einstellungen und (c) Bias Awareness zeigten sich keine Interventionseffekte (alle ps > .3).

Insgesamt konnte die Kurzintervention also teilweise dazu beizutragen, herkunftsbedingte Urteilsverzerrungen zu reduzieren. Insbesondere führte sie dazu, dass ein Junge, dessen Name eine Herkunft impliziert, die mit eher negativen Erwartungen verbunden ist, weniger unterschätzt wurde. Dass die Verzerrungen auch in der Kontrollgruppe abnahmen, könnte darauf hindeuten, dass die Teilnehmenden ihr Ankreuzverhalten in der zweiten Befragung generell stärker reflektierten als in der ersten. Implizite Einstellungen wurden durch die Intervention nicht beeinflusst. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass solche unbewussten, tief sitzenden Einstellungen durch jahrelange Erfahrungen geprägt werden und nur schwer (nachhaltig) verändert werden können (Röhner & Lai, 2021). Entgegen unseren Erwartungen zeigten sich auch keine Effekte auf die Bias Awareness. Dies lag möglicherweise an der Formulierung der Items, die stark auf das „sich Sorgen machen“ fokussierten. Möglicherweise hatten die Lehramtsstudierenden nach der Intervention den Eindruck, nun sensibilisiert zu sein und sich daher weniger „Sorgen“ machen zu müssen. Um die Effekte der Intervention besser zu verstehen und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen, sollen in weiteren Analysen die Antworten auf die Reflexionsfragen ausgewertet werden.

 

Veränderung herkunftsbezogener Stereotype, Einstellungen und Urteilsverzerrungen: Erprobung und Replikation einer Kurzintervention

Anita Tobisch, Markus Dresel
Lehrstuhl für Psychologie, Universität Augsburg

Herkunftsbezogene Unterschiede im Bildungserfolg sind in Deutschland weiterhin auf hohem Niveau (z. B. Reiss et al., 2019). Insbesondere SchülerInnen mit niedrigem sozialem Status und Migrationshintergrund schneiden im Vergleich zu SchülerInnen mit hohem sozialem Status und ohne Migrationshintergrund durchschnittlich schlechter ab und besuchen auch seltener das Gymnasium, was sich nicht ausschließlich durch tatsächliche Fähigkeits- und Leistungsunterschiede erklären lässt. Untersuchungen zum Übergang von der Grundschule auf weiterführende Schulen haben gezeigt, dass sekundäre Effekte des familiären Hintergrunds der SchülerInnen teilweise auf verzerrte Lehrkrafturteile zurückzuführen sind (z. B. Dumont et al., 2014). Erklären lässt sich dies durch verzerrte Prozesse der sozialen Wahrnehmung sowie Kategorisierungs- und Stereotypisierungsprozesse, denen Personen insbesondere bei oberflächlicherer oder eher automatisierter Informationsverarbeitung unterliegen (vgl. Fiske & Neuberg, 1990). Experimentelle Studien ergaben z.T. negativ verzerrte Urteile für männliche Schüler mit türkischem Migrationshintergrund oder niedrigem sozialem Status (z. B. Bonefeld & Dickhäuser, 2018), aber auch positiv verzerrte Urteile für männliche Schüler ohne Migrationshintergrund und mit höherem sozialem Status (z. B. Tobisch & Dresel, 2017). In Übereinstimmung mit dem Kontinuum-Modell der Eindrucksbildung (Fiske & Neuberg, 1990) wurden in ersten experimentellen Studien Einflüsse von Stereotypen und Einstellungen von (angehenden) Lehrkräften auf Urteilsverzerrungen nachgewiesen (z. B. Glock et al., 2016). Um stereotypisierte Urteile zu reduzieren, wurden bereits Interventionsansätze entwickelt, die negative Stereotype und Einstellungen gegenüber stigmatisierten Gruppen reduzieren (z.B. Baadte, 2020). Diese sind allerdings sehr zeitintensiv und lassen sich nur teilweise in die reguläre Lehramtsausbildung integrieren. Vor diesem Hintergrund wurde eine Kurzintervention (3 Seiten) entwickelt, die Elemente aus Theorien der Stereotyp- und Einstellungsänderung (Intergruppenkontakttheorie, vgl. Pettigrew & Tropp, 2008; Elaboration Likelihood Model, Petty & Cacioppo, 1986) kombiniert und in der Lehramtsausbildung eingesetzt werden kann. Dabei erhielten Lehramtsstudierende schriftliches Feedback zu ihren impliziten und expliziten Einstellungen gegenüber türkischem Migrationshintergrund sowie Informationen zum Einfluss von Stereotypen auf die Urteilsbildung im schulischen Kontext. Zudem wurden u.a. praktische Tipps zur Verhaltenskontrolle gegeben. Das Inventionskonzept wurde in einer experimentellen Onlinestudie (Prä-Post-Follow-up-Design mit Placebo-Bedingung) mit N = 215 Lehramtsstudierenden getestet. Erhoben wurden zu allen drei Messzeitpunkten Stereotype und Einstellungen gegenüber SchülerInnen mit türkischem und ohne Migrationshintergrund, sowie Stereotype und Einstellungen in Bezug auf die soziale Herkunft der SchülerInnen. Zudem wurden zu allen drei Messzeitpunkten Schülerbeurteilungen (Leistungserwartung, Gymnasialeignung, Anstrengungsbereitschaft, allgemeine schulische Fähigkeiten) basierend auf Fallvignetten (Halbjahreszeugnis 4. Jgst.; Herkunftsmanipulation durch Vornamen) von den Lehramtsstudierenden erfasst. Die Ergebnisse (zwei-faktorielle mixed ANOVA) zeigten Interventionseffekte (p < .05) auf Stereotype und Einstellungen sowie teilweise auch auf Lehrkrafturteile über Schüler. Eine zweite Studie, in der dieselbe Intervention mit einer alternativen Intervention (in der herkunftsbezogene Emotionen fokussiert wurden) verglichen wurde (N = 203), replizierte die meisten Effekte auf Einstellungen und Stereotype und etliche Effekte auf die Schülerbeurteilungen. Geschlussfolgert werden kann, dass die Kombination von Interventionselementen zur Änderung von Stereotypen und Einstellungen mit Anweisungen zur Kontrolle von Urteilsverzerrungen einen effizienten Ansatz bieten könnte, um (angehende und praktizierende) Lehrkräfte für ihre (zukünftigen) Urteilsverzerrungen zu sensibilisieren. Die entwickelte Kurzintervention kann durch ihren geringeren zeitlichen Aufwand für die Teilnehmenden in der regulären universitären Lehramtsausbildung oder auch im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen eingesetzt werden.



 
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