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Sitzungsübersicht
Sitzung
5-12: Soziale Netzwerke in Schulen: Einflüsse auf die Entstehung von Peerbeziehungen
Zeit:
Dienstag, 19.03.2024:
13:10 - 14:50

Ort: S19

Seminarraum, 60 TN

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Präsentationen
Symposium

Soziale Netzwerke in Schulen: Einflüsse auf die Entstehung von Peerbeziehungen

Chair(s): Claudia Neuendorf (Universität Tübingen, Deutschland)

Diskutant*in(nen): Christian Huber (Bergische Universität Wuppertal)

Peerbeziehungen gewinnen im Jugendalter zunehmend an Bedeutung. Ihre Rolle sowohl für die Entwicklung psychischer und körperlicher Gesundheit, devianten vs. adaptiven Verhaltens und für die akademische Entwicklung ist nachgewiesen (Gifford-Smith & Brownell, 2003; Raufelder et al., 2021; Youniss & Haynie, 1992; Zander, Kreutzmann & Hannover, 2017). Da Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit in der Schule verbringen, kommt schulischen Peerbeziehungen eine besondere Bedeutung zu.

Die Schule zeichnet sich durch eine Reihe an Besonderheiten aus: Hier treffen Kinder und Jugendliche auf gleichaltrige, mit denen sie, anders als mit Erwachsenen, symmetrische Beziehungen eingehen und durch Aushandlungsprozesse selbstständig gestalten können (Youniss & Haynie, 1992). Schulische Peerbeziehungen zeichnen sich damit durch eine besondere Autonomie aus. Der Schulkontext ist allerdings gleichzeitig durch eine starke räumliche und zeitliche Strukturierung geprägt. Der Lehrkraft kommt im Klassenzimmer eine zentrale Rolle als Referenzperson, Beziehungsmanagerin und Gestalterin des sozialen Klimas zu (Farmer, McAuliffe Lines, & Hamm, 2011). Weiterhin sind Klassenzimmer durch die Komposition, also die Zusammensetzung im Hinblick auf Merkmale wie Geschlecht, Leistung, sozialer und ethnischer Hintergrund geprägt. So haben Schüler*innen zwar die Autonomie darüber, mit wem sie welche Art von Beziehung eingehen, sind in ihrer Wahl allerdings durch Opportunitätsstrukturen begrenzt.

Dieses komplexe Zusammenspiel aus individuellen Entscheidungen und kontextuell vorgegebenen Möglichkeiten zu untersuchen, stellt eine methodische Herausforderung dar. Die Soziale Netzwerkanalyse, bei der die Positionierung von Individuen in ein Netzwerk von Beziehungen im Fokus steht, gewinnt in den letzten Jahren auch in der empirischen Bildungsforschung zunehmend an Bedeutung, da sie dieser Herausforderung begegnet. In der Sozialen Netzwerkforschung werden die einzelnen Beziehungen zwischen den Schülerinnen und Schülern als Datengrundlage verwendet. Diese Beziehungen können unterschiedlich charakterisiert werden: so können Freundschaften und Feindschaften ebenso dargestellt werden wie instrumentelle Beziehungen, Beziehungen können in ihrer Qualität oder ihrer Stärke abgestuft bewertet werden und auch Beurteilungen von Peers (z.B. wahrgenommene Beliebtheit) können in einem Netzwerk dargestellt werden. Netzwerkanalysen können auf Ebene von Schulen, Klassen, Subgruppen, Individuen oder auf Ebene einzelner Beziehungen stattfinden.

Die in diesem Symposium versammelten Beiträge zeigen die methodische Breite auf, mit der soziale Netzwerke untersucht werden können, ergänzen sich aber auch inhaltlich, um einen facettierten Blick auf Bedingungen der Entstehung von Peerbeziehungen in der Schule aufzuzeigen.

Im Modell der Selektions- und Einflussmechanismen von Peerbeziehungen im Klassenzimmer (Zander et al., 2017) werden die Einflüsse der Lehrperson, Selektions- und Sozialisationsprozesse unterschieden, die über die entstehenden Peerbeziehungen vermittelt einen Einfluss auf lernförderliche und lernhinderliche Outcomes haben können. Die Beiträge des Symposiums lassen sich unter Bezugnahme auf das Modell einordnen: So befasst sich der erste Beitrag von Lorenz und Kronenberg mit Selektionsprozessen in Peerbeziehungen und fragt, welchen Einfluss die ethnische Komposition, insbesondere die Heterogenität in der Herkunft von Schülerinnen und Schülern auf die Entstehung von Freundschaften zwischen Angehörigen unterschiedlicher ethnischer Gruppen haben. So nähern sich die Autoren der Frage nach der Basis ethnischer Segregation an Schulen. Der zweite Beitrag von Schuster und Kuhnt befasst sich mit politischen Sozialisationsprozessen zwischen Schülerinnen und Schülern und untersucht den Zusammenhang zwischen Freundschaftsnetzwerken und Netzwerken politischen Austauschs.

Im dritten und vierten Beitrag stehen Einflussmöglichkeiten, die durch schulorganisatorische Maßnahmen bzw. durch Lehrpersonen geschaffen werden, im Fokus. So untersucht Kuhnt in Beitrag 3, welchen Einfluss die Auflösung des Klassenverbands zugunsten einer projektförmigen Organisation des Schulalltags auf die Entwicklung von Sozialkontakten hat. Beitrag 4 lenkt den Blick auf Prozesse im Unterricht und fragt, welchen Einfluss die Lehrkraft auf Freundschaftsbeziehungen im Klassenzimmer hat. Insbesondere wird untersucht, ob eine wahrgenommene konstruktive Unterstützung durch die Lehrkraft die leistungsbezogene Homophilie und die relative Beliebtheit leistungsstärkerer Schülerinnen und Schüler beeinflusst.

Das Symposium richtet sich an Forschende, die sich für das Potenzial der Sozialen Netzwerkanalyse zur Untersuchung von Mechanismen der Entstehung von Peerbeziehungen in der Schule interessieren.

 

Beiträge des Symposiums

 

Structural sources of segregation: How classroom composition shapes interethnic friendships

Georg Lorenz1, Clemens Kroneberg2
1Universität Potsdam, 2Universität Köln

Theory and Research Question

Research on ethnic heterogeneity underscores its pivotal role in fostering interethnic social relationships, a crucial component for both the equal participation of minorities (e.g., Lorenz et al. 2021) and enhancing social cohesion within schools (e.g., Portes and Vickstrom 2011). However, this extensive body of research, though often referencing the seminal work of Peter M. Blau and colleagues (Blau 1994, 1977), has largely overlooked the incorporation of a strand of formal theorizing necessary for a deeper investigation into the origins of interethnic relationships.

A prevalent focus in existing studies is on the indirect measurement of homophily preferences while accounting for meeting opportunities. These studies harness theories like social identity, competition, and threat to propose that an increase in school heterogeneity augments the propensity among adolescents to favor same-ethnic friendships (Moody 2001; Smith et al. 2016). However, this methodology, reliant on indirect measurement, doesn’t provide a robust foundation for concluding on the role social contexts play in shaping these preferences (Schaefer 2018; Schaefer and Kreager 2020; Wimmer and Lewis 2010).

Data and Methods

We advocate for a more restrained approach to theory development, rooted in a meticulous examination of how social contexts influence opportunities for establishing interethnic social relationships (Fararo 1989; Healy 2017), before delving into the complexities of endogenous preferences. Our work, building on the basic tenets of Blau’s structuralist theory, aims to fill this gap, offering both theoretical and empirical insights into the association between distinct dimensions of ethnic heterogeneity and the formation of interethnic and coethnic friendships within the school environment.

Empirically, we utilize unique, representative data from over 1,000 secondary schools in Germany, allowing for a comprehensive analysis of complete social networks on an unprecedented scale. We adapt and modify Blau's model to account for the distinct perspectives of majority and minority group members, a necessary evolution considering the recent findings which underscore the necessity of this dual perspective to unravel the intricate relationships between heterogeneity and intergroup ties (Koopmans and Schaeffer 2015; Smith et al. 2016).

Our data stems from the IQB Trends in Student Achievement Study 2018 (Stanat et al. 2019), encompassing 32,191 students from 1,319 classrooms in 1,028 schools. We reconstructed complete friendship networks and utilized the Blau index to measure ethnic heterogeneity at the classroom level. Ethnic origin differentiation was based on the birth countries of students and their parents.

Results and Conclusion

The findings of our descriptive analysis unveil potent associations between heterogeneity and intergroup friendships within schools. While opportunities for coethnic friendships diminish with increased ethnic heterogeneity for the majority group, they elevate for the minority group members. This pattern aligns with the observed consistency across both groups in utilizing available opportunities for coethnic friendships. Consequently, increased proportions of outgroup members correlate with rising fractions of intergroup friendships.

Our multivariate analyses elucidate that ethnic heterogeneity and class size account for 92% of the variation in coethnic friendships between classrooms. Consolidation in multiple heterogeneity dimensions amplifies the proportion of coethnic friendships more prominently in heterogeneous social contexts. These findings, which deviate from earlier research conclusions, accentuate the opportunity structures as central in mediating the relationship between ethnic composition and intergroup social relationships, relegating homophily preferences to a secondary role.

In essence, our study illuminates the nuanced dynamics and influences shaping the interplay between ethnic heterogeneity, consolidation, and the formation of coethnic and interethnic friendships in schools. The insights gleaned hold substantial implications for educational policies and practices aimed at fostering social integration and cohesion in increasingly diverse educational settings.

 

Let’s talk politics: Eine inferenzstatistische Netzwerkanalyse zu Determinanten politischen Austauschs unter Schüler*innen

Johannes Schuster1, Mathias Kuhnt2
1Universität Leipzig, 2TU Dresden

Fragestellung

Soziale Netzwerke spielen eine wichtige Rolle für die politische Meinungsbildung und Partizipation junger Menschen. So steigt bspw. die Wahrscheinlichkeit, politisch zu partizipieren, mit der Anzahl von Personen mit hoher politischer Kompetenzen in einem sozialen Netzwerk (Campbell, 2013). Auch zeigt sich, dass politisch homogene Netzwerke die eigenen Überzeugungen stärken, was wiederum die Teilnahme an politischen Veranstaltungen fördert (Mutz, 2002). Während diese Studien häufig voraussetzen, dass politische Themen innerhalb sozialer Gruppen diskutiert werden und daher bereits Freundschaftsnetzwerke eine gewisse Funktion in dieser Richtung erfüllen, wird bislang weitestgehend vernachlässigt, auf welche Weise Austausch über politische Themen stattfindet. Gerade unter jungen Menschen, die sich noch in einer ganz zentralen Phase der Entwicklung einer politischen Identität befinden, ist es daher von großer Bedeutung, politischen Austausch systematisch zu untersuchen. Diese Studie adressiert das Desiderat und beantwortet die Forschungsfrage: Wie lässt sich die Struktur eines Netzwerks politischen Austauschs unter Schüler*innen erklären?

Theoretischer Hintergrund

Theoretisch basiert die Studie auf der Sozialkapital-Theorie (Putnam, 2000). Diese geht von einem generellen Zusammenhang von individuellem Handeln und den sozialen Strukturen eines Individuums aus. In der Literatur finden sich verschiedene Mechanismen, nach denen ein Aufbau sozialer Beziehungen stattfindet. Mit Blick auf das Sozialkapital werden insbesondere drei Formen unterschieden: bonding, bridging und linking Sozialkapital (z.B. Rydin & Holman, 2004). Während sich bonding Sozialkapital eher auf das Bilden von Beziehungen innerhalb soziodemographisch homogener Gruppen bezieht, bezeichnet bridging die Interaktion über Gruppen hinweg. Linking Sozialkapital wiederum bezieht sich auf vertikale Beziehungen zwischen Individuen mit unterschiedlichen Ausprägungen von Macht und Autorität (Shin, 2022). Während Freundschaftsnetzwerke zwischen Schüler*innen häufig von Beziehungen innerhalb homogener Gruppen (z.B. auf Grund von Geschlecht oder ethnisch-kultureller Herkunft) und damit bonding geprägt sind (Zander et al., 2017), erwarten wir für das Netzwerk politischen Austauschs insbesondere bridging Sozialkapital, da für den politischen Austausch soziodemographische Homogenität weniger wichtig ist als bspw. ähnliche politische Meinungen (Mutz, 2002). Außerdem erwarten wir ein hohes Level an linking Beziehungen zwischen beliebten und weniger beliebten Schüler*innen, da generelle Beliebtheit weniger gewichtet werden dürfte als eine angenommene oder zugeschriebene politische Kompetenz.

Methode

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde eine inferentielle Netzwerkanalyse mit Hilfe von Exponential Random Graph Models (ERGMs) durchgeführt. Die Grundidee von ERGMs ist es, die Charakteristika eines theoretischen Netzwerks zu modellieren, die Gewichte dieser Charakteristika zu schätzen und darüber diejenigen Charakteristika eines empirisch beobachteten Netzwerks zu identifizieren, die statistisch häufiger vorkommen als rein zufällig zu erwarten wäre (Robins et al., 2007). Neben individuellen Faktoren der Schüler*innen, wie Geschlecht, politisches Interesse oder generelle Beliebtheit, und dyadischen Faktoren wie Freundschaftsbeziehungen werden auf netzwerkinhärente Dependenzen wie Reziprozität und Transitivität kontrolliert. Die empirische Grundlage unserer Untersuchung bildet eine Erhebung an der Universitätsschule Dresden, die im Mai 2023 durchgeführt wurde (N=353). Neben soziodemographischen Informationen wurden die Schüler*innen der Klassenstufen 4 bis 8 gefragt, mit wem sie sich über politische und soziale Themen austauschen (angelehnt an NEPS Network, 2022). Außerdem wurde das politische Interesse und die politische Partizipation mit Hilfe erprobter Instrumente erhoben (Abs & Hahn-Laudenberg, 2017).

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass sich Netzwerke politischen Austauschs unter Schüler*innen in ihrer Struktur substanziell von Freundschaftsnetzwerken unterscheiden, Freundschaftsbeziehungen aber gleichzeitig quasi das Substrat für den Austausch über politische Themen darstellen. Anders als bei anderen Peer-Netzwerken sind die generelle Beliebtheit und geteilte soziodemografische Merkmale (bonding) nicht so entscheidend dafür, ob sich Schüler*innen mit einer bestimmten Person über Politik austauschen. Viel wichtiger ist dagegen, ob der*die potenzielle Gesprächspartner*in sich für Politik interessiert bzw. sich generell viel damit befasst (bridging und linking). Die Ergebnisse sind von großer Relevanz, um den politischen Austausch zwischen Schüler*innen besser zu verstehen, zu fördern und bei demokratiegefährdenden Tendenzen entsprechend intervenieren zu können.

 

Jenseits des Klassenverbandes. Community lost, saved or liberated?

Mathias Kuhnt
TU Dresden

Zur Erprobung neuer Lern- und Lehransätze wurde 2019 die Universitätsschule an der Technischen Universität Dresden gegründet. Ein zentraler Reformansatz bei der Konzeption dieses Schulversuchs an der TU Dresden leitet sich aus der Überzeugung ab, dass das Lernen in festen Klassenverbänden einer individuellen Ausgestaltung von Lernprozessen im Wege steht. Durch die projektförmige Organisation des Schulalltags sollen den Schüler*innen in höherem Maße als an Schulen mit festen Klassenverbänden „‚passgenaue‘ pädagogische Angebote[...]“ (Projektgruppe der Universitätsschule, 2017, S.7) gemacht werden können.

Neben diesen intendierten Wirkungen sind in solchen Reformprojekten jedoch auch die nichtintendierten Folgen zu beachten (vgl. Dreeben & Lindquist, 1980). So ist zu erwarten, dass ein Eingreifen in die schulischen Strukturvorgaben auch einen Einfluss auf latente, d.h. auf nicht offensichtliche Funktionen der Schule hat, die jedoch beachtet werden müssen, um zu einem vollständigen Bild dieser sehr speziellen Institution zu kommen.

In diesem Zusammenhang ist dann oftmals von einem „heimlichen Lehrplan“ die Rede, der die Schülerinnen und Schüler, ohne dass dies einem offiziellen Lehrplan folgte, auf bestimmte gesellschaftliche Anforderungen vorbereitet, die nur indirekt, d.h. nicht als propositional zu lehrendes Wissen, erlernt werden können. Zu diesem heimlichen Lehrplan gehören nicht zuletzt Sozialisationserfahrungen die sich aus der Einbettung in das soziale Gefüge von Mitschüler*innen ergeben. Für dieses Gefüge sind jedoch Effekte zu erwarten, wenn, anders als in der „klassischen“ Schule, das Lehren und Lernen nicht mehr vornehmlich im Rahmen von Klassenverbänden stattfindet.

Weil der Klassenraum der Ort ist, in dem sich die immer gleichen Schülerinnen und Schüler immer wieder begegnen, eignet er sich in besonderer Weise dazu, Sozialkontakte zu knüpfen und zu pflegen; der Klassenraum stellt Opportunitätsstrukturen zur Verfügung, die als Katalysator für den Aufbau von sozialen Beziehungen dienen (Festinger et al., 1950; Gest et al., 2003). Verliert der Klassenverband wie im Falle der Universitätsschule an Bedeutung, sind entsprechende Konsequenzen für diese Opportunitätsstrukturen zu erwarten.

Durch die Auflösung von Klassengrenzen erhöht sich die effektive Größe des „sozialen Aggregats“ Schule (Dreeben & Lindquist, 1980, S. 77). Die Entgrenzung der Opportunitätsstrukturen führt jedoch gleichzeitig zu einer größeren Unübersichtlichkeit und Unsicherheit für jedes einzelne Individuum. Dies kann die Ausbildung von Ungleichheiten befördern, wenn einige Schüler*innen mehr, andere jedoch weniger gut in der Lage sind, Sozialkontakte aufzubauen und zu pflegen. Aus einem solchen Gespür dürften sich auch elterliche Vorbehalte gegenüber der Abschaffung des Klassenverbandes speisen: Ohne diese – so die Sorge – könnten Vereinzelungsprozesse einsetzen, die auch durch alternative Arrangements nicht mehr abgefangen werden können.

In diesem Beitrag untersuchen wir, ob sich diese Befürchtung bewahrheitet oder ob durch den Verzicht auf „statische“ Klassenverbände nicht vielmehr neuartige Gruppenformationen und Kontaktstrukturen entstehen, die keineswegs als „Vereinzelung“ aufzufassen sind. Die Forschungsfragen, die im Zuge dieser Studie beantwortet werden sollen, beziehen sich daher auf mögliche Konsequenzen für die Beziehungsstrukturen innerhalb der Schülerschaft: Finden sich an der Universitätsschule verglichen mit anderen Schulen in vermehrtem oder verringertem Maße solitäre Rollen – z.B. von „Außenseitern“, die sich auch und gerade in der Gruppendynamik des überkommenen Klassenverbands herausbilden? Verbessert sich die Zusammenarbeit von Schülerinnen und Schülern der gesamten Schule, wenn sich deren Sozialkontakte eher interessengeleitet und nicht anhand von Strukturvorgaben entwickeln? Erhalten oder bilden sich kleine Gruppen, die den Wegfall von Klassenverbänden kompensieren?

Um dies zu untersuchen, wurden alle ca. 200 Schüler*innen des ersten Jahres der Universitätsschule nach ihren Sozialkontakten befragt und die sich daraus ergebende Netzwerkstruktur mit entsprechenden Strukturen an vergleichbaren ‚regulären‘ Schulen verglichen. Dabei ergaben sich für die Universitätsschule dichtere und verästeltere Strukturen von Kontakten vergleichbarer Stabilität und einer höheren Wahrscheinlichkeit, dass Nennungen von Sozialkontakten auch erwidert werden. Die Anzahl relativ wenig integrierter Schüler*innen war an der Universitätsschule etwas niedriger als der Durchschnitt der Vergleichsschulen.

 

Die soziale Integration leistungsstarker Schülerinnen und Schüler: Welchen Einfluss hat die Lehrkraft?

Claudia Neuendorf, Manuel Hopp
Universität Tübingen

Hintergrund und Fragestellung

Studien zur Entwicklung von Freundschaften in Schulklassen untersuchen häufig Determinanten auf Ebene des Individuums. Dabei zeigt sich immer wieder, dass Schülerinnen und Schüler solche Peers als Freunde haben, die ihnen in unterschiedlicher Hinsicht ähnlich sind (Gifford-Smith & Brownell, 2003; Goodreau, Kitts & Morris, 2009). Welche Eigenschaften dies sind, kann variieren – neben Geschlecht, ethnischem Hintergrund, Alter, Einstellungen und Verhaltensdispositionen ist ein relevantes Kriterium in der Schule die gezeigte Leistung. Dabei zeigt sich nicht nur eine leistungsbezogene Homophilie (Goodreau, Kitts & Morris, 2009; Smirnov & Thurner, 2017), sondern auch eine generell bessere soziale Integration leistungsstärkerer Schülerinnen und Schüler (Wentzel, Jablansky & Scalise, 2021). Allerdings kann die Stärke dieses Zusammenhangs von Kontextmerkmalen abhängen. So gibt es Arbeiten zum Einfluss von Klassennormen auf die Popularität unterschiedlich leistungsstarker Schülergruppen (z.B. Laninga-Wijnen, Ryan, Harakeh, Shin & Vollebergh, 2018) oder zum Einfluss, den Lehrkräfte auf das soziale Miteinander haben können (Farmer, McAuliffe Lines & Hamm, 2011).

Ein Mechanismus, der hinter dem Einfluss der Lehrkraft steht, wird durch die soziale Referenzierungstheorie beschrieben: Kinder wenden sich an andere, insbesondere an Erwachsene, um sich zu orientieren, welches Verhalten als vorbildlich gilt und welches nicht (Hertenstein, 2011). Wertet eine Lehrkraft ein Kind ab, dann kann es dazu führen, dass andere Kinder dieses Verhalten übernehmen (McAuliffe, Hubbard & Romano, 2009). Indem Lehrkräfte also positive und unterstützende Beziehungen mit ihren Schülerinnen und Schülern eingehen, befördern sie potenziell deren soziale Akzeptanz. Der vorliegende Beitrag untersucht diesen Zusammenhang mit netzwerkanalytischen Methoden.

Methode

Den Analysen liegt der Datensatz des IQB-Bildungstrend 2018 zugrunde, in welchem ca. 44,000 Schülerinnen und Schüler der neunten Klassen in ihren Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften getestet wurden. Neben Hintergrundinformationen, motivationalen und kognitiven Merkmalen der Schülerinnen und Schüler liegen soziale Netzwerkdaten von ungefähr 2,000 Klassen vor. Mittels Latent Order Logistischen (LOLOG) Modellen (Fellows, 2018) schätzen wir für jede Klasse ein Netzwerkmodell, in welchem die Wahrscheinlichkeit für die Existenz einer Beziehung zwischen zwei beliebigen Personen auf Basis von Personenmerkmalen der beteiligten Personen (sozialer Hintergrund, Schulleistung, wahrgenommene konstruktive Unterstützung der Lehrkraft) und der Netzwerkstruktur des sozialen Netzwerks geschätzt wird. Die Ergebnisse wurden mit meta-analytischen Methoden aggregiert.

Ergebnisse

Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass Homophilie-Tendenzen bezüglich Leistungsstärke unabhängig von Einflüssen der Lehrkraft vorhanden waren: Ob leistungsstarke Schülerinnen und Schüler beliebter bei ihren Mitschülern waren, hing nicht mit deren Unterstützung durch die Lehrkraft zusammen. Es zeigen sich jedoch Unterschiede zwischen Schulklassen, die noch durch weitere Analysen qualifiziert werden.