Veranstaltungsprogramm

Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
Bitte wählen Sie einen Ort oder ein Datum aus, um nur die betreffenden Sitzungen anzuzeigen. Wählen Sie eine Sitzung aus, um zur Detailanzeige zu gelangen.

 
 
Sitzungsübersicht
Sitzung
5-08: Ist es so, wie es scheint? Indirekte Methoden zur Erfassung impliziter Stereotype und Vorurteile
Zeit:
Dienstag, 19.03.2024:
13:10 - 14:50

Ort: S18

Seminarraum, 70 TN

Zeige Hilfe zu 'Vergrößern oder verkleinern Sie den Text der Zusammenfassung' an
Präsentationen
Symposium

Ist es so, wie es scheint? Indirekte Methoden zur Erfassung impliziter Stereotype und Vorurteile

Chair(s): Hannah Kleen (DIPF | Leibniz Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland)

Diskutant*in(nen): Ineke Pit-ten Cate (Universität Luxemburg)

Einstellungen sind in unserem Alltag allgegenwärtig und spielen eine wichtige Rolle bei der Art und Weise, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und auf sie reagieren (Eagly & Chaiken, 1993). Einstellungen bestehen aus verschiedenen Komponenten (Eagly & Chaiken, 1993): Die kognitive Komponente wird als Stereotype bezeichnet und beschreibt Kognitionen zu Eigenschaften und Verhalten von Mitgliedern einer sozialen Gruppe (Hilton & von Hippel, 1996). Vorurteile als affektive Komponente beschreiben Gefühle gegenüber einem Einstellungsobjekt (Eagly & Chaiken, 1993).

Im Schulkontext spielen Einstellungen ebenfalls eine wichtige Rolle: Studien zeigen, dass Schüler*innen bessere Chancen haben, wenn die Lehrkraft positiver eingestellt ist (van den Bergh et al., 2010). Bestimmte Gruppen von Schüler*innen sind dabei besonders von Stereotypen und Vorurteilen betroffen, zum Beispiel diejenigen mit einem Förderbedarf und/oder Migrationshintergrund (z.B.: Glock et al., 2020; Pit-ten Cate & Krischler, 2020).

Die meiste Forschung hierzu konzentriert sich auf direkte Messmethoden, wobei Stereotype und Vorurteile bewusst abgerufen und in Worte gefasst werden, und widmet weniger Aufmerksamkeit impliziten Stereotypen und Vorurteilen, die tendenziell unbewusster Natur sind (Glock et al., 2020). Allerdings sind diese, besonders bei sensiblen Themen, anfällig für soziale Erwünschtheit und können implizite, das heißt unbewusste, automatische Assoziationen nicht erfassen (Gawronski & De Houwer, 2014). Implizite Einstellungen gelten jedoch als relevant, wenn es um Verhalten geht (Fazio, 1995). Diese bestimmen das Verhalten insbesondere in stressreichen Situationen, in denen wenig Zeit, wenige kognitive Ressourcen und wenig Motivation vorhanden ist. Lehrkräfte nehmen ihre Arbeit als sehr stressreich wahr (Skaalvik & Skaalvik, 2015), weshalb die impliziten Einstellungen im Schulkontext eine hohe Relevanz haben. Wenngleich indirekte Messmethoden mittlerweile viel Beachtung finden, werden diese dennoch weniger häufig eingesetzt als direkte Methoden, die ökonomischer sind. Gerade weil Studien zeigen, dass implizite und explizite Einstellungen bei sensiblen Themen in der Regel nicht übereinstimmen (Nosek, 2007), sollten indirekte Methoden nicht vernachlässigt werden. Daher beschäftigt sich dieses Symposium mit Möglichkeiten, implizite Stereotype und Vorurteile von (angehenden) Lehrkräften zu untersuchen. Es werden bewährte, aber auch neue Methoden vorgestellt.

Der erste Beitrag von Schell und Kolleginnen untersucht implizite Stereotype von Lehramtsstudierenden gegenüber verschiedenen Gruppen von Schüler*innen mit Förderbedarf mittels eines Lexical Decision Task. Dieses Verfahren ist durchaus bewährt, fand jedoch im Kontext der Erfassung von Stereotypen gegenüber Schüler*innengruppen bisher kaum Beachtung. Lehramtsstudierende zeigten sowohl implizite als auch explizite Stereotype gegenüber Schüler*innen mit Förderbedarf.

Im zweiten Beitrag verwenden Stang-Rabrig und Kolleginnen den Impliziten Assoziationstest (IAT), um implizite Einstellungen von Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund gegenüber Schüler*innen mit türkischem Migrationshintergrund zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl Kinder als auch Jugendliche im Durchschnitt negative implizite Einstellungen haben, wobei Geschlechtsunterschiede bei den Kindern beobachtet wurden.

Während die beiden ersten Beiträge implizite Verfahren verwenden, die auf der Messung von Reaktionszeiten beruhen, wird im dritten Beitrag von Reichardt und Schmid mit einer Misattributionsaufgabe ein alternatives Maß verwendet, um Inkompetenz-Stereotype von Lehramtsstudierenden gegenüber Schüler*innenn mit türkischem und osteuropäischem Migrationshintergrund zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen implizite Stereotypen, wobei die Art der Stereotypen je nach Herkunftsregion variiert.

Der letzte Beitrag von Bonefeld und Beissert beschäftigt sich ebenfalls mit einem relativ neuen Verfahren: Er untersucht, ob das Linguistic Category Model auf die deutsche Sprache anwendbar ist, um implizite Stereotypen von Lehrkräften zu messen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Anwendung auf die deutsche Sprache Schwierigkeiten aufwirft, da die Beschreibungen von Lehrkräften tendenziell in konkreten Kategorien verbleiben und keine klaren sprachlichen Unterschiede aufweisen.

Insgesamt verdeutlichen alle vier Beiträge die Relevanz von impliziten Stereotypen und Vorurteilen im Bildungskontexten. Insbesondere die Einblicke in die verschiedenen indirekten Methoden können Chancen aufzeigen, wie innovative Methoden aus der Einstellungsforschung zu einem besseren Verständnis bezüglich der Rolle von Stereotypen und Vorurteilen bei der Bildungsbenachteiligung führen können. Diskutiert werden die Beiträge von Dr. Ineke Pit-ten Cate.

 

Beiträge des Symposiums

 

What’s in a label? Indirekte Erfassung von Stereotypen gegenüber Kindern mit Förderbedarf mittels Lexical Decision Task

Hannah Kleen1, Charlotte Schell1, Charlotte Dignath2, Nathalie John1, Mareike Kunter1
1DIPF | Leibniz Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland, 2IFS TU Dortmund

Durch die Konvention der UN zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen (United Nations, 2006) hat das Thema Inklusion in den letzten Jahren in Schulen weltweit an Bedeutung gewonnen.

Für die erfolgreiche Umsetzung von Inklusion spielen Lehrkräfte und deren Einstellungen eine entscheidende Rolle (Markova et al., 2016). Dazu gehören Stereotype als die kognitive Komponente. Stereotype sind Überzeugungen über Eigenschaften und Verhaltensweisen von Mitgliedern einer sozialen Gruppe (Hilton & von Hippel, 1996) und können sich auf Verhalten, Urteile und Entscheidungen und damit auf die Entwicklung von Schüler*innen auswirken - unabhängig von deren individuellen Voraussetzungen (Murdock-Perriera & Sedlacek, 2018). Bezüglich der Inklusion unterscheiden sich jedoch die Stereotype je nach Förderbedarf der Schüler*innen: Schüler*innen mit Down-Syndrom werden stereotyp beispielsweise als warm, aber nicht sehr kompetent wahrgenommen (Fiske, 2012). Autistische Schüler*innen hingegen werden oft mit Savant-Fähigkeiten assoziiert (Bennett et al., 2018). Schüler*innen mit Lese-Rechtschreibstörung werden mit deutlich geringerer Kompetenz und Leistungsfähigkeit assoziiert, als es tatsächlich der Fall ist (Pit-ten Cate & Krischler, 2020).

Ein Großteil dieser Forschung beschäftigt sich jedoch mit expliziten Stereotypen, die bewusst abgerufen und verbalisiert werden können und weniger mit impliziten Stereotypen, die eher unbewusst sind (Glock et al., 2020). Stereotype explizit zu erfassen kann allerdings, besonders angesichts der Sensibilität des Themas (Avramidis & Norwich, 2002), anfällig für soziale Erwünschtheit sein (Lüke & Grosche, 2018b, 2018a, zitiert nach Lautenbach & Antoniewicz, 2018). Dies zeigt sich auch aufgrund der niedrigen Korrelationen zwischen impliziten und expliziten Einstellungen (Nosek et al., 2007). Da jedoch speziell implizite Einstellungen handlungsleitend sein können (Fazio, 1995), ist es besonders relevant, auch implizite Stereotype zu erheben. Eine Möglichkeit dies zu tun, stellt der Lexical Decision Task (Meyer & Schvaneveldt, 1971) dar. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Aktivierung eines Konzepts damit assoziierte Begriffe leichter zugänglich macht (Macrae et al., 1997).

Fragestellung

Daraus ableitend gehen wir der Frage nach, welche impliziten und expliziten Stereotype Lehramtsstudierende gegenüber autistischen Kindern, Kindern mit Down-Syndrom und Kindern mit Lese-Rechtschreibstörung haben.

Methode

Untersucht wurden N = 76 Lehramtsstudierende (67.1% weiblich, MAlter= 22.75, SD = 3.29). Während der Lexical Decision Task mussten sie per Tastendruck entscheiden, ob es sich bei einem präsentierten Wort um ein real existierendes Wort oder ein Nichtwort handelte. Bei den Wörtern handelte es sich um stereotype (z.B. „hochbegabt“ bei Autismus) versus nicht-stereotype Adjektive (z.B. „spiegelverkehrt“), welche in einer vorherigen Studie validiert wurden (Schell et al., under review). Vor jedem Adjektiv wurde der Förderbedarf als Prime gezeigt. Jede Versuchsperson durchlief in randomisierter Reihenfolge drei Lexical Decision Tasks: jeweils mit Autismus, Down-Syndrom und Lese-Rechtschreibstörung als Prime. Die Lehramtsstudierenden beantworteten zudem einen Fragebogen auf Basis von Fiske et al. (2002) zu expliziten Stereotypen mit einer Likert-Skala von 1 „gar nicht zutreffend“ bis 6 „sehr zutreffend“ sowie demographische Fragen.

Ergebnisse

Mittels t-Tests wurden die Reaktionszeiten für stereotypen und nicht-stereotypen Adjektive für jeden Förderbedarf miteinander verglichen: Für alle drei zeigte sich, dass stereotype Adjektive schneller als Wort erkannt wurden, tAutismus(148.56) = -3.27, p = 0.001; d = .53, tDown-Syndrom(127.23) = -3.57, p < .001, d = .58, tLese-Rechtschreibstörung(122.79) = -4.27, p < .001, d = .69.

Bezogen auf die expliziten Stereotype zeigte sich, dass alle stereotypen Adjektive als eher zutreffend eingestuft wurden. t-Tests zeigten, dass die Mittelwerte der stereotypen Adjektive fast alle signifikant höher als der Mittelwert der Skala waren. Nur bezüglich Schüler*innen mit Lese-Rechtschreibstörung unterschieden sich die Einschätzungen der Adjektive „verhaltensauffällig“ und „introvertiert“ nicht signifikant vom Mittelwert der Skala.

Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass Lehramtsstudierende stereotype Eigenschaften mit den drei Schüler*innengruppen assoziieren. Überraschenderweise zeigen sich implizit und explizit ähnliche Muster, welche Adjektive als zutreffend angesehen werden. Dies ist insbesondere mit Blick auf Einstellungs-Verhaltens-Relationen interessant und sollte in zukünftigen Bestrebungen für eine erfolgreiche Umsetzung von Inklusion berücksichtigt werden.

 

Implizite Einstellungen zu Menschen mit Migrationshintergrund: Kinder und Jugendliche im Vergleich

Justine Stang-Rabrig, Sabrina König, Nele McElvany
IFS TU Dortmund

Weltweite Migrationsbewegungen führen zu einer kulturell-ethnischen Heterogenität in Schulklassen (International Organization for Migration, 2021). Lernende mit einem türkischen Migrationshintergrund stellen dabei die größte Herkunftsgruppe nichtdeutschstämmiger Kinder und Jugendlicher dar (Statistisches Bundesamt, 2022). Gegenüber Lernenden mit Migrationshintergrund bestehen beispielsweise bei signifikanten Sozialisationsagent*innen wie Lehrkräften jedoch negative leistungsbezogene Stereotype (z.B. Costa et al., 2022; Glock & Klapproth, 2017), wobei Stereotype die kognitive Komponente von Einstellungen sind. Einstellungen sind im Gedächtnis vorhandene Assoziationen zwischen einem Einstellungsobjekt und der Bewertung des Objektes und können anhand ihrer Valenz (positiv/negativ), Intensität (stark/schwach) und Art (implizit [unbewusst]/explizit [bewusst]; z.B. Maio et al., 2019) differenziert werden. Das Vorliegen negativer Einstellungen kann per Ingroup/Outgroup-Favorisierung (Tajfel, 1982) erklärt werden: Der Eigengruppe gegenüber bestehen eher positive, der Fremdgruppe, der man nicht angehört, gegenüber hingegen eher negative Einstellungen (z.B. Nosek et al., 2002; Stang et al., 2021). Implizite Einstellungen zum Beispiel bezüglich Geschlecht oder ethnischen Minderheiten entwickeln sich bereits ab einem Alter von fünf Jahren (z.B. Bigler & Liben, 2006). Relevante Altersphasen stellen Kindheit und Jugend dar, in denen zudem verschiedene, wichtige Entwicklungsaufgaben bewältigt werden müssen (Havighurst, 1953). Diverse Determinanten können die Ausprägung von Einstellungen erklären, wobei oftmals kontextuelle Determinanten (z.B. Kontakthäufigkeit) betrachtet wurden (z.B. Bowyer, 2009). Theoretische Modelle und empirische Befunde legen jedoch nahe, dass personale Determinanten ebenfalls relevant sind (z.B. Social Identity Theory; Tajfel & Turner, 1986; König et al., 2022).

Vor diesem Hintergrund wurden folgende Forschungsfragen untersucht: 1) Liegen in den zwei zentralen Altersphasen (Kindheit, Jugend) negative implizite Einstellungen gegenüber Menschen mit türkischem Migrationshintergrund vor? 2) Unterscheiden sich die zwei Altersgruppen in der Ausprägung ihrer negativen impliziten Einstellungen? 3) Wie hängen verschiedene personale Faktoren (Geschlecht, Identifikation mit Deutschland, wahrgenommene Diskriminierung gegenüber der Fremdgruppe) bei Kindern und Jugendlichen mit negativen impliziten Einstellungen zusammen?

Analysegrundlage bildeten zwei Datensätze, an denen 196 Kinder (41.3% weiblich, MAlter= 9.86, SD = 0.61, vierte Klassenstufe) beziehungsweise 142 Jugendliche (58.5% weiblich, MAlter= 15.92, SD = 1.11, ab achter Klassenstufe) ohne Migrationshintergrund teilnahmen. Zur Erfassung impliziter Einstellungen wurde in beiden Kohorten derselbe implizite Assoziationstest (IAT) mit den Kategorien „Deutsch“ und „Türkisch“ sowie leistungsbezogenen positiven und negativen Adjektiven eingesetzt (Greenwald et al., 1998; Nosek et al., 2007). Die Studienteilnehmer*innen beantworteten zudem Fragen zur Soziodemografie und den interessierenden Variablen. Die Items wurden auf vier- beziehungsweise fünfstufigen Likert-Skalen gemessen (1 = stimme überhaupt nicht zu bis 4 bzw. 5 = stimme voll und ganz zu). Die Reliabilitäten lagen in einem zufriedenstellenden bis guten Bereich (.76 ≤ α ≤ .90). Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden Einstichproben-t-Tests gegen +0.15, als Grenzwert für das Vorliegen negativer impliziter Einstellungen, eine Varianzanalyse in SPSS 28 sowie ein Mehrgruppenvergleich in einem latenten Strukturgleichungsmodell in Mplus 8.1 (Muthén & Muthén, 1998–2017) gerechnet. Der Modellfit war zufriedenstellend (χ²= 100.65, df= 72, p = .015, CFI = .97, RMSEA = .05).

T-Tests verdeutlichten, dass bei Kindern (M = 0.29, SD = 0.35, t(195) = 5.51, p = .001, d = .35) und Jugendlichen (M = 0.23, SD = 0.35 , t(141) = 2.65, p = .004, d = .35) ohne Migrationshintergrund im Mittel negative implizite Einstellungen gegenüber Menschen mit türkischem Migrationshintergrund vorlagen, da die Mittelwerte signifikant vom Grenzwert abwichen. Die Varianzanalyse ergab, dass sich Kinder und Jugendliche in ihren negativen impliziten Einstellungen im Mittel nicht statistisch signifikant unterschieden (F(1,336) = 2.41, p = .121, 1-β = .34). Der Mehrgruppenvergleich zeigte keine Zusammenhänge für Identifikation mit Deutschland oder Diskriminierungswahrnehmung, aber einen signifikanten Zusammenhang mit dem Geschlecht für die Gruppe der Grundschulkinder (β = .15, SE = .07, p = .030): Das Ausmaß der negativen impliziten Einstellungen war bei Mädchen höher als bei Jungen ausgeprägt. Die Ergebnisse werden inhaltlich und methodisch diskutiert sowie Implikationen für die Forschung abgeleitet.

 

Implizite und explizite Kompetenz-Stereotype über Schüler:innen mit einem osteuropäischen vs. türkisch/arabischen Migrationshintergrund

Regina Reichardt, Veronika Schmid
Universität Regensburg

Soziale Kategorisierung und damit zusammenhängende Prozesse wie Eigengruppen-Präferenz und Stereotypisierung sind grundlegende Phänomene sozialer Kognition. Aktuelle Forschung zeigt, dass auch Lehrkräfte in dieser Hinsicht „ganz normale Menschen“ sind. Beispielsweise wurden in einer Reihe von Studien negative implizite Einstellungen gegenüber Schüler:innen mit Migrationshintergrund bei Lehrkräften und Lehramtsstudierenden beobachtet (Pit-ten Cate & Glock, 2019). Gleichzeitig berichten Lehrkräfte in direkten Maßen (Fragebögen) überwiegend positive (explizite) Einstellungen gegenüber ethnischen Minderheiten. Die Dissoziation impliziter und expliziter Einstellungen ist interessant, da aufgrund von Zwei-Prozess-Theorien und empirischen Befunden (Gawronski & Bodenhausen, 2011; Greenwald & Lai, 2020) zu erwarten ist, dass implizite Einstellungen unter bestimmten Bedingungen (z.B. Zeitdruck, eingeschränkte kognitive Ressourcen durch Multi-Tasking) einen stärkeren Einfluss auf Urteilen und Verhalten nehmen als explizite Einstellungen.

In Bezug auf Schüler:innen mit Migrationshintergrund wurden bislang vor allem implizite Einstellungen untersucht. Zu impliziten Stereotypen gibt es nur wenig Befunde (z.B. (Glock & Böhmer, 2018). Jedoch könnten implizite Stereotype, insbesondere Stereotype über Kompetenz, gerade in Bildungskontexten besonders interessant sein, da sie einen spezifischeren Bezug zu bildungsrelevanten Variablen haben.

Ziel der aktuellen Studie war es daher, erste Evidenz zu impliziten Kompetenz-Stereotypen über Schüler:innen mit Migrationshintergrund zu sammeln. Zudem differenzierten wir nach Herkunftsregion. Wir wählten Osteuropa und Türkei, da dies die beiden größten Einwanderungsgruppen in Deutschland sind. In bisherigen Studien wurde häufig die Gruppe der Schüler:innen mit Migrationshintergrund nicht weiter differenziert, oder nur eine spezifische Gruppe untersucht (z.B. türkischer Migrationshintergrund). Aus aktueller Forschung zum Stereotype Content Model (Fiske, 2018) wissen wir jedoch, dass verschiedene Herkunftsregionen mit unterschiedlicher Kompetenz in Verbindung gebracht werden (Froehlich & Schulte, 2019).

Ein weiteres Ziel unserer Studie war, ein alternatives indirektes Maß für implizite Stereotype (Misattributionsaufgabe) einzusetzen, da dieses einige Vorteile gegenüber den bisher häufig verwendeten reaktionszeitbasierten Maßen aufweist. Zudem verwendeten wir zwei verschiedene direkte Maße (Vornamen-basierte vs. Gruppen-basierte Ratings), um das explizite Kompetenz-Stereotyp zu erfassen. Da das Stereotype Content Modell neben Kompetenz auch Wärme als zweite fundamentale Dimension von stereotypen Eigenschaften ansieht, haben wir diese zusätzlich im Gruppen-basierten direkten Maß erfasst.

Daten von N = 153 Lehramtsstudierenden zeigen eine Reihe von interessanten Ergebnissen: Im indirekten Maß (Misattributionsaufgabe) wurden beide Einwanderungsgruppen mit geringerer Kompetenz assoziiert als deutschstämmige Schüler:innen, wobei türkischstämmige Schüler:innen die geringsten Kompetenzwerte aufwiesen. Überraschenderweise zeigte sich dasselbe Ergebnismuster auch im direkten Vornamen-basierten Maß, sogar mit größeren Effektstärken. Individuelle Unterschiede in der Motivation zur Kontrolle von Vorurteilen korrelierten zudem nicht mit den Stereotypindizes aus beiden Maßen. Insgesamt deutet dies darauf hin, dass das direkte Vornamen-basierte Maß ähnlich wie das indirekte Maß implizite Stereotype abbildet.

Ein anderes Ergebnismuster zeigte sich im direkten Gruppen-basierten Maß: Schüler:innen mit türkischem Migrationshintergrund wurde weniger Kompetenz, aber mehr Wärme zugeschrieben als deutschstämmigen Schüler:innen. Schüler:innen mit osteuropäischem Migrationshintergrund wurde hingegen ähnlich hohe Kompetenz wie deutschstämmigen Schüler:innen zugeschrieben, aber weniger Wärme. Individuelle Unterschiede in der Motivation zur Kontrolle von Vorurteilen korrelierten zudem mit Kompetenz-Stereotypindizes aus diesem Maß.

Zusammengefasst zeigt unsere Studie, dass Lehramtsstudierende starke implizite Inkompetenz-Stereotype gegenüber Schüler:innen mit türkischem und osteuropäischem Migrationshintergrund haben. Die Ergebnisse legen zudem nahe, dass es bei der Erfassung von Stereotypen wichtig ist, Herkunftsregionen und Eigenschaftsdimensionen (Kompetenz vs. Wärme) zu differenzieren. Weiterhin zeigen die Befunde, dass implizite Kompetenz-Stereotype auch mit direkten Vornamen-basierten Maßen aufgedeckt werden können. Dies eröffnet neue, effiziente Möglichkeiten zur Erfassung impliziter Stereotype.

 

Chancen und Grenzen der Verwendung des linguistischen Kategorienmodells als Messinstrument für implizite Stereotypen von Lehrkräften in Deutschland

Meike Bonefeld1, Hanna Beißert2
1Universität Freiburg, 2DIPF | Leibniz Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland

Stereotype und Vorurteile gegenüber Personen mit Migrationshintergrund sind ein wichtiges Thema in Bildungskontexten. Die vorliegenden Arbeit konzentriert sich auf die Frage, wie sich solche Stereotypen in Sprache manifestieren, und untersucht, ob das Linguistic Category Model (LCM) (Semin & Fiedler, 1988) verwendet werden kann, um die (impliziten) Stereotypen von deutschsprachigen Lehrkräften zu messen.

Stereotype können in Sprache auf viele verschiedene Arten kommuniziert werden. Sie können nicht nur auf offensichtliche Weisen ausgedrückt werden, wie beispielsweise durch offenkundige Aussagen, sondern auch unbewusst, auf subtilere Weise. Zum Beispiel kann die Abstraktion der genutzten Sprache, die Einstellungen und Überzeugungen von Sprecher*innen widerspiegeln (u.a. Linguistic Intergroup Bias, LIB). Semin und Fiedler (1988, 1991) beschreiben solche Unterschiede in der linguistischen Abstraktion in ihrem linguistischen Kategorienmodell (Linguistic Category Model, LCM). Sie konnten in vielfältigen Forschungsarbeiten zeigen, dass die sprachliche Abstraktion je nach den Stereotypen der Sprecher*innen hinsichtlich des Gesprächsinhalts variiert. In diesem Modell definieren sie verschiedene Abstraktionsstufen, die auf Nutzung unterschiedlicher Wortarten, in der Beschreibung von beobachtetem Verhalten, basieren (siehe Semin und Fiedler, 1991; Maas, Cecarelli, & Rudin, 1996 für weitere Details). Das LCM wurde umfassend getestet und ist in der Forschung allgemein anerkannt (Maass et al., 1996; Semin & Fiedler, 1991). Während die Anwendbarkeit der LCM englischsprachigen Ländern gut belegt ist, mangelt es an Studien zu anderen Sprachen.

Auf Grundlage von zwei Studien (Studie 1: N = 124 Lehramtsstudierende, 76,6% weiblich; Studie 2: N = 104 Lehramtsstudierende, 67,6% weiblich) wurde in der vorliegenden Arbeit daher untersucht, ob das LCM auch auf die deutsche Sprache anwendbar ist und sich die von Semin & Fiedler erarbeiteten Kategorien auf die deutsche Sprache übertragen lassen. Dazu sahen die Versuchspersonen Bilder von Schüler*innen-Interaktionen, die sie beschreiben sollten. Studie 1 arbeitete dazu mit einem freien Antwortformat während Studie 2 ein geschlossenes Format nutzte, in dem die Antwortkategorien, sich an den von Semin und Fiedler (1988) vorgeschlagenen Abstraktionsebenen orientierten. In beiden Studien umfasste das Kategoriensystem entsprechend der vorangegangenen Studien fünf Kategorien: (1) konkret (deskriptives Handlungsverb, „Max schlägt Murat.“), (2) eher konkret (Interpretatives Handlungsverb; „Max verletzt Murat.“, (3) eher abstrakt (Zustandsverb, „Max hasst Murat.“) (4) abstrakt (Adjektiv, „Max ist aggressiv.“) und (5) sehr abstrakt (Substantiv, „Max ist ein Rassist.“). In Studie 1 kodierten zwei unabhängige Rater*innen anhand eines auf Grundlage des Kategoriensystems erstellen Kodierschemas, die niedergeschriebenen Beschreibungen der Interaktion. Die Antworten waren vorwiegend am konkreten Ende der Kategorien angesiedelt (M = 1,59, SD = 0,73): 87,7% aller Antworten wurden in den Kategorien 1 und 2 kodiert, 11,9% in Kategorie 3, 0,8% in Kategorie 4 und keine in Kategorie 5. In Studie 2 wurde den Versuchspersonen ein Bild präsentiert sowie fünf Bildbeschreibungen (orientiert an den Kategorien von Semin & Fiedler) aus denen sie die für sie passendste auswählen sollten. Die meisten Antworten der Teilnehmer*innen waren ebenso am konkreten Ende der Kategorien angesiedelt (M=1,28 - 1,47; SD=0,48 -0,98). Insgesamt wählten die meisten Teilnehmer*innen Beschreibungen aus Kategorie 1 (von 58,8% bis 75%), gefolgt von Kategorie 2 (von 16,2 % bis 38,2 %). Der Rest der Antworten verteilte sich auf die Kategorien 3 bis 5 (3: 0-1,5%, 4: 1,5-7,4%, 5: 0%-2,9%).

Die Analyse beider Studien zeigte Schwierigkeiten bei der Anwendung des LCM auf die deutsche Sprache auf. In beiden Studien zeigte sich eine geringe Varianz in der Nutzung der an Wortkategorien festgemachten Abstraktionslevel in dem Sinne, dass die Aussagen, der angehenden Lehrkräfte vorwiegend in die konkreten Kategorien einzuordnen waren. Gleichermaßen wurden allerdings sprachliche Unterschiede in den Bildbeschreibungen offensichtlich, die sich allerdings nicht in der Nutzung unterschiedlicher Wortarten äußern. Wir diskutieren das fehlende Auftreten differentieller Nutzung von Wortarten als Anker für Abstraktionslevel in der deutschen Sprache und diskutieren daraus resultierende Chancen und Grenzen der Anwendung des Kategoriensystems auf andere Sprachen.



 
Impressum · Kontaktadresse:
Datenschutzerklärung · Veranstaltung: GEBF 2024
Conference Software: ConfTool Pro 2.8.105
© 2001–2025 by Dr. H. Weinreich, Hamburg, Germany