Conference Agenda

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Session Overview
Session
5-05: Besser als ihr Ruf? Vorurteile vs. Empirie in der Lehrkräfteforschung
Time:
Tuesday, 19/Mar/2024:
1:10pm - 2:50pm

Location: H01

Hörsaal, 100 TN

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Presentations
Symposium

Besser als ihr Ruf? Vorurteile vs. Empirie in der Lehrkräfteforschung

Chair(s): Mareike Kunter (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation), Verena Jörg (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation)

Discussant(s): Babara Drechsel (Universität Bamberg)

Die zentrale Bedeutsamkeit des Lehrkraftberufs für unsere Gesellschaft gilt als unbestritten (Burroughs et al., 2019). Konsequenterweise rücken Lehrkräfte immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit und Printmedien (Blömeke et al. 2005; Rothland, 2022). Das dort gezeichnete Bild von Lehrkräften ist vielfältig und reicht von Mutmaßungen über eine mangelnde Eignung und Kompetenz der Personen, die den Lehrkraftberuf ergreifen, über postulierte Charakteristiken zu ihrer Persönlichkeit, bis hin zur Annahme, Lehrkräfte wiesen eine geringere Arbeitsmotivation auf als andere Berufsgruppen (Blömeke, 2005; Rothland, 2022; Terhart, 2013). Prominent sind hierbei neben Vorurteilen über geringere fachliche Leistungsvoraussetzungen der Personen, die das Lehramtsstudium ergreifen (Rothland, 2022), insbesondere Annahmen darüber, dass praktizierende Lehrkräfte eine hohe Reform- und Innovationsresistenz aufweisen (Lomba-Portela et al., 2022), was sich etwa in der Tatsache wiederspiegle, dass insbesondere deutsche Lehrkräfte und Schulen schlecht auf die Digitalisierung vorbereitete seien (Scheiter & Gogolin, 2021). In Zeiten des Lehrkräftemangels ist zudem die Debatte um die Eignung und Professionalisierung von Seiten- und Quereinsteiger*innen prominent, denen neben ungünstigen Berufswahlmotiven geringere professionelle Kompetenz zugeschrieben wird (Sanders, 2022).

Das geplante Symposium hat zum Ziel, diese Werturteile über Lehrkräfte einer empirischen Prüfung zu unterziehen. Aus der Sicht verschiedener Disziplinen werden diese Vorurteile vor dem Hintergrund empirischer Befunde beleuchtet. Alle Fragestellungen werden in repräsentativen Stichproben untersucht, wobei sowohl Vergleiche zwischen (angehenden) Lehrkräften und anderen Studierenden sowie zu anderen Berufsgruppen angestellt werden.

Der erste Beitrag greift die sogenannte negative Selektionshypothese auf und prüft das Vorurteil, dass Lehramtsstudierende weniger leistungsstark sind als andere Studierende. In einer repräsentativen Stichprobe deutscher Hochschulstudierender werden Studienleistungen zwischen Personen in Lehramts- und anderen Studiengängen unter Berücksichtigung ihrer Studienfächer verglichen. Darüber hinaus wird untersucht, ob die Daten Hinweise auf einen Wechsel von Personen, die in ihrem fachwissenschaftlichen Studium verhältnismäßig schlecht abschneiden, hin zum Lehramtsstudium liefern.

Der zweite Beitrag liefert empirische Ergebnisse zur Kompetenzausgestaltung von Seiten- und Quereinsteiger*innen in den Lehrkraftberuf und stellt die Frage, ob und in welchen Aspekten ihrer professionellen Kompetenz diese Personen hinter traditionell ausgebildeten Lehrkräften zurückbleiben. Hierbei werden insbesondere motivationale Aspekte und Überzeugungen in den Blick genommen, die sich als prädiktiv für eine erfolgreiche Berufsausübung erwiesen haben.

Der dritte Beitrag widmet sich schließlich der Frage, ob Lehrkräfte tatsächlich weniger innovatives Verhalten zeigen als ausgewählte andere Berufsgruppen. Neben der Analyse dieser Fragestellung in einer repräsentativen Stichprobe deutscher Hochschulabsolvent*innen beleuchtet der Beitrag anhand der genutzten Längsschnittdaten auch Unterschiede in häufig postulierten personalen und beruflichen Bedingungsfaktoren des individuellen Innovationsverhaltens.

Die Bündelung und gemeinsame Diskussion dieser Beiträge, soll zu einem empirisch fundierten Lehrkräftebild beitragen und prominente Vorurteile auf die Probe stellen. Der Vergleich mit relevanten Referenzgruppen und unterschiedliche methodische Zugänge sollen eine aussagekräftige Einordnung der Kompetenz, Überzeugungen und des professionellen Verhaltens von Lehrkräften in diesen Bereichen ermöglichen. Dabei stellen die Beiträge empirische Evidenz bereit, die entgegen vielfach postulierter Vorurteile in vielen Aspekten ein Bild von kompetenten und progressiven Lehrkräften zeichnen und auch die Vorurteile gegenüber Seiteneinsteiger*innen teilweise zurückweisen. Gleichzeitig zeigen die Studien Punkte auf, in denen auf Basis der Ergebnisse tatsächlich Handlungsbedarf besteht. In einer gemeinsamen Diskussion werden Implikationen dieser Befunde für das Lehrkräftebild, sowie dessen mögliche Konsequenzen als Belastungsfaktor für praktizierende Lehrkräfte und die Attraktivität des Berufes (vgl. Köller et al., 2019; Rothland, 2022) erörtert.

 

Presentations of the Symposium

 

Leistungsunterschiede zwischen Lehramtsstudierenden und Studierender anderer Studiengänge

Sebastian Franz
Universität Bamberg

Lange hielt sich die Mär von der negativen Selektionshypothese in das Lehramtsstudium. Zahlreiche Studien belegen, dass Personen, die das Lehramtsstudium wählen, sich nicht generell hinsichtlich ihrer leistungsbezogenen Eingangsmerkmale unterscheiden (Neugebauer, 2013; Osada & Schaeper, 2022; Roloff Henoch et al., 2015). Vielmehr deuten die Ergebnisse auf eine Leistungsheterogenität innerhalb des Lehramtsstudiums hin, da die leistungsbezogenen Merkmale von nicht-gymnasialen Lehramtsstudiengängen geringer ausgeprägt sind als die des gymnasialen Lehramtsstudiums oder anderen Studiengängen. Trotz der geringen empirischen Evidenz, wird in der breiten Öffentlichkeit das Lehramtsstudium immer noch als relativ einfach gesehen und das Bild, dass dieses vor allem von leistungsschwächeren Personen gewählt wird, scheint immer noch vorzuherrschen (Köller et al., 2019). Dieses Vorurteil wird zudem von Hochschuldozierenden bestätigt, die Lehramtsstudierenden weniger kompetent einschätzen als andere Studierenden im selben Kurs (Carstensen et al., 2021; Ihme & Möller, 2015).

Auch wenn bekannt ist, dass die Abiturnoten nicht die Wahrscheinlichkeit einer Wahl des Lehramtsstudiums beeinflussen, weiß man wenig darüber, ob Studierende im Lehramt generell schlechter als ihr Kommiliton*innen im gleichen Fach oder in ähnlichen Fächergruppen bewertet werden. Zudem kann das allgemeine Bild des Lehramtsstudium dazu führen, dass Studierende mit unzureichenden Leistungen in ihrem Fach in das Lehramtsstudium wechseln und dort das Fach weiterstudieren, da das Lehramtsstudium vermeintlich leichter sei.

Fragestellung

Die folgenden Forschungsfragen sind für den Beitrag leitend: (1) Unterscheiden sich die Studienleistungen von Lehramtsstudierenden von den Leistungen anderer Studierender? und (2) Wechseln Studierende bei unzureichenden Leistungen in ein Lehramtsstudium? Bei der Beantwortung der Fragestellungen werden die Studienfächer berücksichtigt, sowie bei Lehramtsstudierenden die angestrebte Schulart, um ein differenziertes Bild zu erhalten.

Methode

Zur Beantwortung der Forschungsfragen werden Daten der Kohorte 5 des nationalen Bildungspanels (NEPS) analysiert. Die Ausgangsstichprobe beinhaltet 17910 Studierenden, von denen 5500 in einem Lehramtsstudiengang immaktrikuliert waren und von 2010/11 bis 2022 kontinuierlich zu ihrer Studien- und Berufssituation befragt wurden. Aufgrund von Panelmortalität und unterschiedlichen Karrierewegen, sind die Analysen zu den unterschiedlichen Zeitpunkten reduziert.

Anhand von Mittelwertsvergleichen und Regressionsmodellen wird untersucht, inwiefern sich die Studienleistungen zwischen den Gruppen unterscheiden. Dabei werden zunächst nur Lehramtsstudierende und andere Studierende verglichen, um danach in weiteren Modellen zu untersuchen, ob sich mögliche Differenzen durch die Hinzunahme der Studienfächer in die Analysemodelle sowie durch die Berücksichtigung der angestrebten Schulart erklären lassen. Zusätzlich werden soziodemografische Faktoren bei den Analysen kontrolliert, die sowohl die Wahl des Studiengangs als auch die Leistungen in Schule und Studium beeinflussen.

Ergebnisse

Den Forschungsfragen folgend wurde zunächst getestet, inwiefern es bereits ein Jahr nach Studienbeginn Differenzen hinsichtlich der Studienleistungen zwischen Lehramtsstudierenden und anderen Studierenden gibt. Mittelwertsvergleiche zeigen, dass sich die Studienleistungen (Lehramt M=2.25; Nicht-Lehramt M=2.27; p=0.2764) nicht signifikant (α < .05) unterscheiden. Auch ein Vergleich von Studierenden im Gymnasiallehramtsstudium (M=2.27) mit Nicht-Lehramtsstudierenden (M=2.27) ergibt keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Studienleistungen (p=.8759). Allerdings zeigen sich in den Regressionsmodellen, dass bei Aufnahme der jeweiligen Studienbereiche Lehramtsstudierende signifikant schlechtere Noten aufweisen als andere Studierende. Dieses Muster zeigt sich auch, wenn man gezielt Lehramtsstudierende für das Gymnasiallehramt dieser Fächer mit Nicht-Lehramtsstudierenden vergleicht.

Im Datensatz konnten 36 Personen identifiziert werden, die innerhalb der ersten drei Semester in das Lehramt gewechselt sind. Die vorläufigen Analysen deuten nicht darauf hin, dass Personen, die in das Lehramtsstudium wechselten, zuvor schlechtere Studienleistungen aufwiesen als Studierende, die nicht gewechselt sind.

Auf der Konferenz werden weitere Untersuchungen der Studienleistungen im späteren Verlauf des Studiums präsentiert, die zusätzlich zu den Studienbereichen einzelne Studienfächer berücksichtigen und helfen, die Befunde besser einzuordnen. Auch durch eine Differenzierung der Lehramtsstudiums nach den angestrebten Schularten soll die Robustheit des Ergebnisses geprüft werden.

Die im Symposium präsentierten Ergebnisse sollen eine Diskussion zu den Fragen anregen, inwiefern das stereotypische Bild der leistungsschwachen Lehramtsstudierenden zu halten ist.

 

Professionelle Kompetenz: Ein Vergleich von traditionell und alternativ qualifizierten Lehrkräften

Stefanie Gäckle1, Claudia Menge2, Andreas Ortenburger1
1Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), 2TU Braunschweig

Dem hohen Bedarf an Lehrpersonal an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Deutschland bei gleichzeitig niedriger Verfügbarkeit voll ausgebildeter Lehrkräfte begegnet die Bildungspolitik aktuell zunehmend mit einer Öffnung der beruflichen Zugangswege zum Lehrkräfteberuf (Dedering 2020; Lucksnat et al., 2022). In vielen Bundesländern ist somit der Eintritt in den Lehrkraftberuf durch sogenannte Quer- oder Seiteneinstiege möglich, d. h. ohne Abschluss eines Lehramtsstudium und/oder Lehramtsreferendariat. Dieser Öffnung des Zugangs zum Lehrkraftberuf steht die Unsicherheit gegenüber, ob die nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräft trotz des Fehlens wichtiger Etappen des berufsbiographischen Entwicklungsprozesses (Terhart, 2011) dennoch über hinreichend professionelle Kompetenzen verfügen, um sich im anspruchsvollen Lehrkräfteberuf bewähren zu können. Der angenommene Mangel an berufsbezogenem Wissen nährt in der Öffentlichkeit wie in Fachkreisen die Befürchtung einer niedrigeren Unterrichtsqualität von Quer- und Seiteneinsteiger*innen, auch wenn es dafür noch keine empirische Evidenz gibt (Ziegler et al., 2022, GEBF 2023). Bisherige Studien deuten auf vorhandene Unterschiede zwischen traditionell und nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräften, etwa hinsichtlich fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Wissens, hin (z.B. Kleickmann & Anders, 2011; Lucksnat et al., 2020, 2022). Dies ist insofern plausibel, als dass diese Kompetenzdimensionen eine gezielt wissenschaftsbasierte Auseinandersetzung mit Theorien des Lehrens und Lernens voraussetzen, um eine reflektierte Anwendung dieses professionsbezogenes Handlungswissen in der Praxis überhaupt erst zu ermöglichen (Oser, 2001; Terhart, 2003). Die Befundlage ist gleichwohl alles andere als eindeutig. Zudem wurden in jüngeren Untersuchungen oftmals gerade die Seiteneinsteiger*innen vernachlässigt oder es kann nicht hinreichend zwischen Quer- und Seiteneinsteiger*innen unterschieden werden.

Daraus abgeleitet untersucht dieser Beitrag folgende Forschungsfrage: Lässt sich empirische Evidenz für das Fehlen wichtiger professioneller Kompetenzen des Lehrkräfteberufes bei Seiten- und Quereinsteigenden finden oder handelt es sich bei diesbezüglichen Befürchtungen doch um Vorurteile?

Der Beitrag lenkt den Blick auf den Vergleich von Quer- und Seiteneinsteiger*innen mit traditionell ausgebildeten Lehrkräften und untersucht Unterschiede hinsichtlich ausgewählter professionsbezogener Werthaltungen und Überzeugungen (transmissive und konstruktivistische Überzeugungen, kognitiv aktivierendes Unterrichten) sowie emotionale Kompetenzaspekte (Enthusiasmus für das Unterrichten, berufliches Wohlbefinden; Baumert & Kunter, 2006; Klieme et al., 2006; Kunter & Pohlmann, 2015; Kunter et al., 2011) zu Beginn einer Lehrkraftkarriere.

Auf Basis der repräsentativen Daten der NEPS-Studierendenkohorte und des zugehörigen Lehramtsstudierenden-Panels (NEPS-Netzwerk, 2023; Schaeper et al., 2023; Ortenburger et al., 2023), in denen zunehmend auch Personen identifiziert werden können, die als Quer- und Seiteneinsteiger*innen in Schulen unterrichten (n=132), wird analysiert, inwieweit sich Lehrkräfte mit unterschiedlichen, nicht-traditionellen Berufszugangswegen unterscheiden.

Zur Messung der interessierenden Konstrukte wurde jeweils der erste erfasste Messzeitpunkt zum Karrierebeginn berücksichtigt, welcher aufgrund des komplexen Paneldesigns in unterschiedlichen Befragungsjahren liegen kann. Für alle Konstrukte wurde auf bewährte Instrumente zurückgegriffen. Die transmissiven und konstruktivistischen Überzeugungen wurden mit jeweils vier Items gemessen (α=.714/.761), die Skala zum kognitiv aktivierenden Unterrichten mit fünf Items erfasst (α=.751); zur Messung des Enthusiasmus für das Unterrichten wurden vier Items eingesetzt (α=.894), zur Erfassung des beruflichen Wohlbefindens kam eine Skala zur emotionalen Erschöpfung (vier Items, α=.772) und eine Skala zur beruflichen Zufriedenheit (vier Items, α=.882) zum Einsatz (für alle Skalen: s. Ortenburger et al., 2023).

Zur Analyse werden Strukturgleichungsmodelle genutzt, die einen (sehr) guten Modellfit zeigen (Model „Überzeugungen“: RMSEA: .044, CFI/TLI: .941/.928, SRMR: .061; Modell „Emotionen“: RMSEA: .058, CFI/TLI: .958/.956, SRMR: .056). Es zeigt sich, dass Unterschiede nicht nur zwischen traditionell und alternativ qualifizierten Lehrkräften, sondern auch innerhalb der Gruppe der alternativ qualifizierten Lehrkräfte zu beobachten sind, was eine differenzierte Betrachtung dieser Gruppe rechtfertigt.

Im Beitrag werden Anlage und Ergebnisse der Untersuchung dargestellt, Limitationen diskutiert und zukünftige Untersuchungsschritte abgeleitet.

 

Innovativer als ihr Ruf? Ein Vergleich von Lehrkräften und anderen Hochschulabsolvent*innen

Verena Jörg, Ulrike Hartmann, Franziska Baier, Mareike Kunter
DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Der sich beschleunigende Wandel in der Gesellschaft und unserem Bildungssystem macht die Anpassungsfähigkeit und das innovative Verhalten von Lehrkräften zu entscheidenden Faktoren für die aktuelle und zukünftige Qualität von Schulen, sowie für die Motivation und Leistung von Schüler*innen (Hosseini & Haghighi Shirazi, 2021; Paniagua & Istance, 2018). Gleichzeitig gelten Lehrkräfte oft als weniger innovativ als andere Berufsgruppen und wenig bereit, Reformen anzunehmen (Ayaita & Stürmer, 2020; Terhart, 2013). Diese Tendenz wird zum einen auf Eigenschaften der Personen, die sich für den Lehrkraftberuf entscheiden, zum anderen auf Innovationshemmnisse im Schulsystem zurückgeführt. Dabei wird angenommen, dass Merkmale des Lehrkraftberuf, etwa eine hohe Jobsicherheit und vorhersehbare Karrierewege, insbesondere für Personen mit höherer Risikoaversion und geringerer Offenheit für neue Erfahrungen attraktiv ist (Ayaita & Stürmer, 2020; Le Fevre, 2014). Gleichzeitig gelten Arbeitsplatzmerkmale der Schulen, inbesondere bürokratische Strukturen, die den Handlungsspielraum der Lehrkräfte einschränken, und geringe zeitliche Ressourcen, als Hemmnis für innovatives Verhalten (vgl. Job Demand-Resources Model, Li & Zhu, 2022). Trotz der wiederholten Diskussion dieser Thematiken fehlen empirische Studien, die diese Annahmen empirisch prüfen.

Ziel dieser Studie ist es daher zu untersuchen, ob Lehrkräfte tatsächlich weniger innovatives Verhalten zeigen als Personen vergleichbarer Berufsgruppen (andere Hochschulabsolvent*innen, sowie Personen, die andere Professionen und andere Soziale Dienstleistungsberufe ausüben, Forschungsfrage 1) und ob mögliche Unterschiede durch persönliche Charakteristiken (Risikobereitschaft und Offenheit für neue Erfahrungen) oder berufliche Faktoren (Handlungsspielraum und Zeitdruck) erklärt und vermittelt werden (Forschungsfrage 2).

Analysiert werden hierzu Längsschnittdaten der repräsentativen Studienstart-Kohorte des National Bildungspanels (SC5, NEPS-Netzwerk, 2022). Für unsere Fragestellungen nutzen wir Selbstberichtsdaten von 368 Lehrkräften und 1614 anderen Hochschulabsolvent*innen. Die Teilnehmenden wurden zu drei Messzeitpunkten, vor (t1) und nach (t2) dem Berufseintritt, sowie ein weiteres Jahr später (t3) mittels standardisierter Skalen (Risikobereitschaft, Dohmen et al., 2011; Offenheit, Rammstedt & John, 2007; Autonomie, Stegmann et al., 2010; Zeitdruck/innovatives Verhalten, NEPS-Netzwerk, 2022) befragt. Nach einer Prüfung der Messinvarianz zwischen den Gruppen untersuchen wir unsere Unterschiedshypothesen mittels Regressionsanalysen, um für mögliche Gendereffekte zu kontrollieren. Die Frage nach Einflussfaktoren, die mögliche Unterschiede bedingen, analysieren wir anhand mediierter Strukturgleichungsmodelle.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass Lehrkräfte entgegen unserer Erwartungen signifikant mehr innovatives Verhalten als andere Hochschulabsolvent*innen berichten (β = .51, p < .001). Über alle Gruppen hinweg sagen die Offenheit und Risikobereitschaft (t1), sowie Autonomie und Zeitdruck (t2) der Teilnehmenden ihr innovatives Verhalten (t3) vorher und erklären 58% der Gesamtvarianz (CFI=.96, RMSEA=.048, SRMR=.031). Die berufliche Autonomie erweist sich als stärkster Prädiktor (β = .72) und mediiert zusätzlich den Zusammenhang zwischen Berufszugehörigkeit und innovativem Verhalten (βind=.22). Hierbei geht die Berufsgruppenzugehörigkeit mit einer höheren beruflichen Autonomie von Lehrkräften einher, welche wiederum mit höherem innovativem Verhalten assoziiert ist. Einen Effekt persönlicher Merkmale auf die Berufsgruppenzugehörigkeit, welcher ein späteres geringeres innovatives Verhalten von Lehrkräften erklären würde, finden wir nicht.

Wenn die Umsetzung von Reformen im Bildungssystem nicht oder nur langsam gelingt, werden oft Lehrkräfte dafür verantwortlich gemacht. Man sagt ihnen wenig Innovativität und Offenheit für Neues nach. Diese Annahme bestätigen unsere Daten jedoch nicht. Auch einen geringeren Handlungsspielraum für Innovationen im Lehrkraftberuf, welcher häufig als Innovationshemmnis postuliert wird, können wir in dieser Studie nicht bestätigen. Lehrkräfte berichten vielmehr ein hohes Maß beruflicher Autonomie, welches sich für das innovative Verhalten von Personen in allen Berufen als bedeutsam erweist und in unseren Modellen als einziger Prädiktor auch Unterschiede zwischen Lehrkräften und anderen Berufsgruppen erklärt. Für praktische Interventionen mit dem Ziel, das innovative Verhalten von Lehrkräften zu steigern, weisen unsere Ergebnisse somit auf die höhere Relevanz von Modifikationen der Arbeitsplatzmerkmale relativ zu einem Fokus auf die Attraktion und Selektion von Lehrpersonen mit bestimmten personalen Merkmalen hin. Differenzierte Schulform- und Berufsgruppenvergleiche sowie Limitationen und weitere Implikationen der Befunde, auch im Hinblick auf das Image des Lehrkräfteberufs, werden auf der Konferenz diskutiert.



 
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