Eingeladenes Symposium
PISA 2022: Vertiefende Analysen für Erklärungsansätze der aktuellen PISA-Ergebnisse in Deutschland
Chair(s): Doris Lewalter (Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB), Technische Universität München (TUM))
Diskutant*in(nen): Burkhard Priemer (Humboldt Universität zu Berlin)
Im Rahmen der PISA-Studie wird untersucht, wie gut 15-jährige Schüler*innen gegen Ende
ihrer Pflichtschulzeit alltagsnahe Aufgaben in Mathematik, im Lesen und in den
Naturwissenschaften lösen können. Die Befunde der aktuellen PISA-Studie 2022 zeigen auf,
dass für die Schüler*innen in Deutschland in allen drei Bereichen – Mathematik,
Naturwissenschaften und Lesen – Leistungseinbußen im Vergleich zu 2018 zu verzeichnen
sind, die im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch ausfallen. Während die
mittleren Kompetenzen der Jugendlichen in Deutschland 2018 in allen drei Bereichen noch
über dem jeweiligen OECD-Durchschnitt lagen, ist dies in PISA 2022 nur noch für die
naturwissenschaftliche Kompetenz der Fall. In Mathematik und im Lesen unterscheiden sich
die Kompetenzen nicht mehr signifikant vom OECD-Durchschnitt.
Die Gruppe der leistungsschwachen Schüler*innen, ist in Deutschland im Vergleich zu 2018
zudem in allen drei Bereichen gewachsen. Leistungsschwache Jugendliche werden mit hoher
Wahrscheinlichkeit ohne zusätzliche Förderung weder den Anforderungen weiterführender
Schulen noch denen der beruflichen Ausbildung gewachsen sein. Ihr Anteil fällt an nicht
gymnasialen Schulen, u.a. Haupt- oder Realschulen, deutlich höher aus als an Gymnasien.
Diese Entwicklung kann durch mehreren Faktoren beeinflusst sein. Es kann davon ausgegangen
werden, dass sowohl die Schulschließungen (vgl. Betthäuser, et al, 2023) und der damit
verbundene Distanzunterricht (Lewalter, et al., 2023) negative Effekte hatten, als auch
Merkmale der Schüler*innen (Diedrich, et al., 2023) sowie Merkmale des Unterrichts (Schiepe-
Tiska, et al., 2023) mit den gefundenen Kompetenzniveaus in Zusammenhang stehen. Im
Rahmen des Symposiums wird der gemeinsamen Forschungsfrage nachgegangen, inwiefern
Merkmale der Schüler*innen als auch schulische Rahmenbedingungen und Merkmale des
Unterrichts mit der Leistung der Schüler*innen in den verschiedenen Domänen in
Zusammenhang stehen.
Müller et al., untersuchen mittels latenter Profilanalysen den Zusammenhang von
Merkmalskombinationen der Schüler*innen und deren Kompetenzen in den drei Domänen der
PISA-Studie (Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften). Dabei stellen sie die gefundenen
Profile und Zusammenhänge anhand der Daten der PISA-Studien aus 2018 und 2022 einander
gegenüber.
Kastorff untersucht in ihrem Beitrag den Zusammenhang zwischen schulischen und
individuellen Gelingensbedingungen, wie beispielsweise die Ausstattung der Schulen mit
materiellen und personellen ICT Ressourcen für den Lernerfolg in den Naturwissenschaften.
Dabei wird zum einen ein Vergleich von Schüler*innen an Gymnasien sowie an nicht
gymnasialen Schularten durchgeführt und zum anderen die Gruppe der leistungsschwachen
Schüler*innen in den Blick genommen.
Todtenhöfer et al., stellen demgegenüber den Unterricht im Fach Mathematik und seinen Bezug
zu Bildungsstandards und mehrdimensionalen Bildungszielen in den Fokus ihrer Analysen. Sie
gehen der Frage nach, inwieweit Prüfungsaufgaben, die den Unterrichtsstoff eines bestimmten
Unterrichtszeitraums repräsentativ abbilden, Teilkompetenzen entsprechend der
Bildungsstandards adressieren. Als Ergänzung wird der konstruierte Lebensweltbezug als ein
mögliches motivationales Potenzial kompetenzorientierten Unterrichts hinzugezogen.
Anschließend wird untersucht, wie Unterricht, der dieser inhaltlichen Ausrichtung folgt, mit
den mehrdimensionalen Bildungszielen in PISA 2022 (Mathematikkompetenz, Freude und
Interesse sowie instrumentelle Motivation) zusammenhängt.
Diedrich et al, kombinieren verschiede Schüler*innenmerkmalesowie des Geschlechts und des
sozioökonomischen beruflichen Status der Eltern in zusammenfassenden Regressionsanalysen.
Als Kriterium wird die mathematische Kompetenz der Schüler*innen herangezogen. Die
Analysen werden für alle Erhebungsrunden durchgeführt, in denen Mathematik Hauptdomäne
war (2003, 2012 und 2022), sodass eine Entwicklung des Einflusses verschiedener
Erklärungsfaktoren betrachtet werden kann.
Beiträge des Symposiums
Krisenrelevante Merkmalsprofile von Schüler*innen vor und nach der Pandemie
Maren Müller, Jennifer Diedrich, Doris Lewalter
Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB), Technische Universität München (TUM)
Theoretischer Hintergrund und Fragestellungen
Die Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wurden in einer Vielzahl
wissenschaftlicher Veröffentlichungen (u.a. Betthäuser et al., 2023) untersucht. Die PISA 2022
Studie liefert ergänzend Hinweise auf die Rahmenbedingungen und Gestaltung des
Distanzunterrichts in Deutschland und auf internationaler Ebene (Lewalter et al., 2023). Hierbei
spielt auch der Einsatz digitaler Medien eine wichtige Rolle. Eine zentrale Frage ist, welche
Merkmale von Schüler*innen mit einer erfolgreichen Bewältigung dieser Situation assoziiert
sind und in diesen herausfordernden Lernumgebungen Vorteile bringen. Dieser
Themenstellung geht der Beitrag anhand von Daten zu zwei Messzeitpunkten vor und nach der
Pandemie nach.
Resilienz (Rutter, 2006), die Fähigkeit zur Selbstregulation (Blume et al., 2021) sowie das
Zugehörigkeitsgefühl zur Schule (Holzer et al., 2021) zählen zu Eigenschaften, die in
Krisenzeiten einen besseren Umgang mit den einhergehenden Herausforderungen im
Schulkontext nahelegen. Allgemein wird auch ein positives Fähigkeitsselbstkonzept als
lernförderlich angesehen (Karlen et al., 2021). Mit Blick auf den Distanzunterricht ist der
kompetente Umgang mit digitalen Medien vermutlich besonders relevant. Die genannten
Merkmale treten nicht isoliert in Schüler*innen auf, sondern in verschiedenen
Merkmalskombinationen, die in unterschiedlicher Weise mit Leistung zusammenhängen. Mit
Blick auf die Situation vor und nach der Pandemie und die Ausprägung der Merkmale bei
Schüler*innen in Deutschland stellen sich demnach die folgenden Forschungsfragen:
1. Welche Merkmalsprofile zeigen sich bei Schüler*innen in Deutschland vor und nach der
Pandemie?
2. Gibt es Unterschiede zwischen Schüler*innen verschiedener Merkmalsprofile
hinsichtlich der Kompetenz in den drei PISA-Domänen Mathematik, Lesen und
Naturwissenschaften?
Methode
Die Fragestellungen werden anhand einer latenten Profilanalyse der Daten der PISA-Studie
2018 und PISA 2022 beantwortet. Die berücksichtigten Merkmale werden durch etablierte
Skalen der PISA-Studie gemessen (Mang, et al., 2023), deren Ausprägungen die Werte 1 bis 4
annehmen können. Bei allen Werten handelt es sich um die Selbsteinschätzung der
Jugendlichen. Alle Analysen werden in R (Version 4.2.2) durchgeführt. Es werden anhand der
z-standardisierten Variablen ICT-Kompetenz, Resilienz, Selbstregulation, und
Zugehörigkeitsgefühl zur Schule Merkmalsprofile erstellt und auf signifikante Unterschiede hin
überprüft. Abschließend werden die Schüler*innen abhängig von ihrer Profilzugehörigkeit
hinsichtlich ihrer Kompetenz in den drei PISA-Domänen (Mathematik, Lesen,
Naturwissenschaften) beschrieben.
Ergebnisse
Die Schüler*innen (PISA 2018: N = 5451; PISA 2022: N = 6116) können auf Basis der
verwendeten Merkmale bei PISA 2018 drei Profilen zugeordnet werden, die als „Mainstream“,
„Vulnerable“ und „Außenseiter*innen“ bezeichnet werden. Mainstream zeichnet sich durch
leicht überdurchschnittliche Werte in Selbstregulation, ICT-Kompetenz, Zugehörigkeitsgefühl
und Resilienz aus. Die Vulnerablen und Außenseiter*innen weisen leicht
unterdurchschnittliche Werte bei Selbstregulation, ICT-Kompetenz und Resilienz auf. Auch
das Zugehörigkeitsgefühl zur Schule ist bei beiden Profilen unterdurchschnittlich, wobei die
Außenseiter*innen für dieses Merkmal sehr viel niedrigere Werte aufweisen (M = - 2.4). Im
Jahr 2018 schneiden die Außenseiter*innen und Vulnerablen in allen drei Domänen schlechter
ab als der Durchschnitt. Die Kompetenzen des Mainstreams liegen in allen drei Bereichen über
dem Durchschnitt. Bei PISA 2022 zeigen sich ebenfalls drei Profile die jedoch anders
charakterisiert werden können, als jene in 2018: die „Allrounder*innen“, „Geeks“ und
„Nonliner*innen“. Für die „Nonliner*innen“ liegen die Werte für ICT-Kompetenz im Mittel
1.35 SD unter dem Durchschnitt und diese Schüler*innen zeigen in allen drei Domänen
unterdurchschnittliche Kompetenzen. Die „Allrounder*innen“ haben die höchsten Werte in
Selbstregulation, ICT-Kompetenz und Zugehörigkeitsgefühl und erzielen in allen drei
Domänen die höchsten Kompetenzwerte. Die Kompetenzen der „Geeks“ mit niedrigen Werten
beim Zugehörigkeitsgefühl und zugleich überdurchschnittlichen Werten bei der ICT-
Kompetenz liegen in allen drei Domänen im Durchschnitt. Bezüglich der Resilienz
unterscheiden sich die Profile kaum. Im Vergleich zu den Ergebnissen für 2018 zeigt sich, dass
die ICT-Kompetenz in größerem Maße mit dem Erreichen höherer Mathematikkompetenz
assoziiert werden kann. Ein zusätzlich hohes Zugehörigkeitsgefühl zur Schule sowie hohe
selbstregulative Fähigkeiten scheinen darüber hinaus zentral bei der Erreichung
überdurchschnittlicher Kompetenzwerte.
Post-Pandemic & lessons learned: schulische und individuelle Gelingensbedingungen des Lernerfolgs in den Naturwissenschaften - Evidenz aus PISA 2022
Tamara Kastorff
Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB), Technische Universität München (TUM)
Theoretischer Hintergrund und Fragestellungen
Naturwissenschaftliche Kompetenz ist von zentraler Bedeutung für Schüler*innen, damit sie in
Bereichen wie dem Gesundheits- und Umweltschutz nicht nur aktiv handeln können, sondern
auch die Folgen des eigenen Handelns einschätzen können (Sailer et al., 2021). Die
naturwissenschaftliche Kompetenz ist zudem entscheidend für eine erfolgreiche Teilhabe an
einer naturwissenschaftlich-technisch geprägten Gesellschaft (z. B., Schiepe-Tiska et al., 2019).
Die aktuellen Ergebnisse der PISA Studie in 2022 zeigen jedoch, dass die Schüler*innen in
Deutschland signifikant schlechter in den Naturwissenschaften abschnitten, als dies in PISA
2018 der Fall war (Kastorff et al., 2023). Schüler*innen an Gymnasien schneiden noch relativ
gut in den Naturwissenschaften ab, während ein Drittel der Schüler*innen an nicht gymnasialen
Schularten nicht die Kompetenzstufe II erreicht, die als kritische Hürde zur erfolgreichen
Teilhabe an der naturwissenschaftlichen-technischen Gesellschaft gesehen wird. Folglich
weisen die Befunde der aktuellen PISA-Studie auf, dass besonders bei Schüler*innen an nicht
gymnasialen Schularten ein vermehrter Förderbedarf besteht und somit die Breitenförderung
im Sinne einer naturwissenschaftlichen Kompetenz für alle nicht gelingt. Diese Befunde sind
in Teilen auch mit der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Auswirkungen auf das
Bildungswesen zu erklären (Betthäuser et al., 2023). Aufgrund der gravierenden aktuellen PISA
Ergebnisse stellt sich die Frage, inwiefern sowohl schulische Gelingensbedingungen während
der Corona-Pandemie, wie beispielsweise die Ausstattung der Schulen mit materiellen und
personellen ICT Ressourcen als auch Maßnahmen zur Erhaltung des Unterrichtsgeschehens
sowie individuelle Gelingensbedingungen auf Ebene der Schüler*innen, wie beispielsweise der
sozioökonomische Status, in Deutschland während der Corona-Pandemie von Bedeutung
waren. Im Rahmen des vorliegenden Beitrags werden daher die Fragestellungen untersucht,
welche schulischen und individuellen Gelingensbedingungen für den Lernerfolg in den
Naturwissenschaften ausgemacht werden können. Dabei wird auch auf einen Vergleich von
Schüler*innen an Gymnasien sowie an nicht gymnasialen Schularten eingegangen.
Methode
An der PISA-Studie nahmen N = 6116 sowie N = 260 Schulleitungen in Deutschland teil. Von
den teilnehmenden Schüler*innen besuchten N = 2273 Gymnasien und N = 3590 nicht
gymnasiale Schularten. Als Datengrundlage des vorliegenden Beitrages diente zum einen der
PISA Kompetenztest zur Messung der naturwissenschaftlichen Kompetenz von
Fünfzehnjährigen. Zum anderen wurden die Antworten der Schüler*innen sowie der
Schulleitungen basierend auf Fragebogendaten für die Analysen herangezogen, um sowohl
individuelle als auch schulische Gelingensbedingungen in die Analysen einzubeziehen.
Aufgrund der genesteten Datenstruktur wurden die Angaben der Schüler*innen und
Schulleitungen mittels Mehrebenenanalysen in R analysiert.
Ergebnisse und Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass bei Schüler*innen an nicht gymnasialen Schularten (ß = 6.78, SE
= 2.78, p <.005) als auch an Gymnasien (ß = 11.58, SE = 3.91, p <.000 ) schulische
Gelingensbedingungen wie beispielsweise Aktivitäten zur Erhaltung des
Unterrichtsgeschehens während der Corona-Pandemie einen signifikant positiven Effekt auf
die Naturwissenschaftliche Kompetenz aufweisen. Gleichzeitig zeigt sich, dass Probleme beim
Selbstlernen der Schüler*innen, mit einer niedrigeren naturwissenschaftlichen Kompetenz bei
Schüler*innen lediglich an Gymnasien assoziiert sind (ß = -15.82, SE= 3.26, p < .000). Zudem
weist lediglich an nicht gymnasialen Schularten die Qualität der Ausstattung mit materiellen
und personellen ICT-Ressourcen einen positiven Effekt auf die naturwissenschaftliche
Kompetenz auf (ß = 9.67, SE = 4.85, p <.000). Insgesamt veranschaulichen die Ergebnisse die
Relevanz schulischer Rahmenbedingungen für die naturwissenschaftliche Kompetenz auch
während der Ausnahmesituation der Corona-Pandemie. Betrachtet man die Schüler*innen
unterhalb Kompetenzstufe II gesondert, so konnten keine signifikanten Gelingensbedingungen
auf Schulebene identifiziert werden. Die Diskussion der Ergebnisse erfolgt unter
Berücksichtigung der schulischen und individuellen Faktoren, die in potenziellen zukünftigen
Ausnahmesituationen entscheidend sein könnten, um den Erfolg im naturwissenschaftlichen
Lernen aufrechtzuerhalten.
Zwischen Prüfungsaufgaben und Leistung: Kompetenzorientierter Mathematikunterricht und mehrdimensionale Bildungsziele in PISA 2022
Pia Todtenhöfer1, Anja chiepe-Tiska2, Anna Heinle2, Mirjam Weis1, Doris Lewalter1
1Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB), Technische Universität München (TUM), 2Universität Koblenz
Theoretischer Hintergrund
PISA 2022 hat gezeigt, dass die Schüler*innen in Deutschland im Vergleich zu vorherigen
PISA-Erhebungsrunden eine geringere Mathematikkompetenz aufweisen (Diedrich et al.,
2023). Eine zentrale Stellschraube, die Mathematikkompetenz zu verbessern, ist der
Mathematikunterricht (Schiepe-Tiska et al., 2023). Bereits im Jahr 2002 wurden die nationalen
Bildungsstandards entwickelt, um zu definieren, welche Kompetenzen Schüler*innen am Ende
eines bestimmten Bildungsabschnittes erworben haben sollen (KMK, 2002). Die
Bildungsstandards können zusätzlich um die Perspektive motivationaler Lernergebnisse
erweitert werden (Schiepe-Tiska et al., 2021), die aufgrund der Umstellung zu
kompetenzorientierten Lehrplänen mehr in den Fokus gerückt sind (KMK, 2010). Ziel eines
kompetenzorientierten Unterrichts sollte folglich sein, sowohl die Kompetenzbereiche der
Bildungsstandards (hier zusammengefasst in die Kategorien Fachkenntnisse, Fachmethoden,
Kommunikation, Reflexion) als auch motivationale Aspekte (hier dargestellt durch den
konstruierten Lebensweltbezug) in der Unterrichtsgestaltung abzudecken. Diese
Unterrichtsgestaltung besteht im Mathematikunterricht zum Großteil aus Unterrichts- und
Prüfungsaufgaben, deren Lösungen von Schüler*innen erarbeitet werden (Reiss & Hammer,
2021). Eine Analyse der Prüfungsaufgaben ermöglicht einen konkreten Einblick in das
Unterrichtsangebot, da sie den Unterrichtsstoff eines bestimmten Unterrichtszeitraums
repräsentativ abbilden sollen und besonderes Potenzial haben, das Erreichen
mehrdimensionaler Bildungsziele zu fördern.
Fragestellung
Darauf basierend befassen sich folgenden Analysen zunächst mit der Frage, inwieweit die
untersuchten Prüfungsaufgaben Teilkompetenzen entsprechend der Bildungsstandards
adressieren. Als Ergänzung wird der konstruierte Lebensweltbezug als ein mögliches
motivationales Potenzial kompetenzorientierten Unterrichts hinzugezogen. Anschließend wird
untersucht, wie ein Unterricht, der dieser inhaltlichen Ausrichtung folgt, mit den
mehrdimensionalen Bildungszielen in PISA 2022 (Mathematikkompetenz, Freude und
Interesse sowie instrumentelle Motivation) zusammenhängt.
Methode
Die Daten basieren auf N = 891 Prüfungsanalyseeinheiten von 43 Lehrkräften, deren Klassen
im Rahmen von PISA 2022 erfasst worden sind. Für die Analyse der Prüfungsaufgaben wurden
im Rahmen von PISA-Ceco eingesetzte Klassenarbeiten aus dem Schuljahr 2021/2022
eingesammelt. Die Aufgaben wurden unter anderem in Bezug auf die Dimensionen
„Orientierung an den Kompetenzbereichen der Bildungsstandards“ (Fachkenntnisse,
Fachmethoden, Kommunikation, Reflexion) sowie in Bezug auf den konstruierten
Lebensweltbezug als ein motivationsfördernder Faktor analysiert (ausführliches
Kategorienschema: Heinle et al., 2023). Alle Kategorien wurden anhand dichotomer
Antwortkategorien doppelt kodiert. Bei abweichenden Kodierungen einigten sich die
Rater*innen auf einen Code. Diese Prüfungsaufgaben wurden mit dem klassenbasierten
Datensatz der Schüler*innen aus PISA 2022 (rund N = 600) verbunden, um eine Verbindung
der Schülerleistungen (Mathematikkompetenz, Freude und Interesse sowie Motivation) mit den
genannten Unterrichtsmerkmalen (Fachkenntnisse, Fachmethoden, Kommunikation, Reflexion
sowie der konstruierte Lebensweltbezug) herzustellen.
Ergebnisse
Bezogen auf die Orientierung der Prüfungsaufgaben an den Bildungsstandards zeigt sich, dass
die Kategorien Fachkenntnisse (99.9%) und Fachmethoden (89.9%) in nahezu allen
Prüfungsaufgaben vorkommen und daher grundsätzlich Bestandteil der Prüfungsaufgaben aller
Lehrkräfte sind. In gewisser Hinsicht erfüllen die Prüfungsaufgaben aller Lehrkräfte
Teilkompetenzen der Bildungsstandards. Das Kommunizieren (10.3%) wird hingegen nur in
etwa einem Zehntel der Aufgaben verlangt und der Kompetenzbereich Reflexion (0.3%) ist so
gut wie kein Bestandteil der Prüfungsaufgaben. Es wird erwartet, dass sich Unterschiede in der
mathematischen Kompetenz und Motivation der Schüler*innen aus PISA 2022 zeigen, wenn
zu den gegebenen Fachkenntnissen und Fachmethoden zusätzlich Kommunikation als kreativer
Umgang mit Mathematik hinzukommt. 30.2 % der Lehrkräfte fordern ausschließlich die
Kompetenzbereiche Fachkenntnisse und Fachmethoden, entsprechend 69.8 % der Lehrkräfte
zusätzlich den Kompetenzbereich Kommunikation 90.7 % der Lehrkräfte gestalten ihre
Prüfungsaufgabe grundsätzlich mithilfe eines konstruierten Lebensweltbezugs. Ein genauerer
Blick in die Ergebnisse zeigt allerdings, dass sich der konstruierte Lebensweltbezug insgesamt
in nur einem Viertel der Aufgaben (26.4 %) wiederfindet und somit von den Lehrkräften nicht
konstant eingesetzt wird.
In einem abschließenden Schritt wird überprüft, ob das zusätzliche Fordern von
Kommunikation zu einer höheren mathematischen Kompetenz oder zu einer höheren
Motivation führt. Anschließend wird untersucht, ob der konstruierte Lebensweltbezug als
motivationales Potenzial der Aufgaben einen Einfluss auf die Mathematikkompetenz, die
Freude und das Interesse sowie die Motivation der Schüler*innen in PISA 2022 hat.
Entwicklung der mathematischen Kompetenz in PISA und ihre Prädiktoren
Jennifer Diedrich1, Sabine Patzl1, Frank Reinhold2, Doris Lewalter1
1Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB), Technische Universität München (TUM), 2Pädagogische Hochschule Freiburg, Institut für Mathematische Bildung
Theoretischer Hintergrund
Die mathematische Kompetenz Fünfzehnjähriger liegt in PISA 2022 in Deutschland (M = 475
Punkte) nicht mehr signifikant über dem Durchschnitt der OECD-Staaten (M = 472 Punkte).
Diese durchschnittliche Kompetenz liegt auch unter jener in PISA 2003 (M = 503 Punkte) und
2012 (M = 514 Punkte), als Mathematik zuletzt jeweils Hauptdomäne war. Zur Einordnung der
Kompetenzen wird in PISA stets das Geschlecht sowie der sozioökonomische berufliche Status
der Eltern erhoben. Für die Hauptdomäne werden zudem in PISA auch die
domänenspezifischen Emotionen, Motivationen und Einstellungen erfragt. In PISA 2022, wie
auch in 2003 und 2012, zeigten Jungen höhere mathematische Kompetenzen als Mädchen
(Diedrich, Reinhold, Heinze, & Reiss, 2023) und der Zusammenhang des sozioökonomischen
beruflichen Status der Eltern mit der Kompetenz der Jugendlichen hat sich seit 2012 nicht
verändert (Mang et al., 2023). Im Bereich der mathematikbezogenen Merkmale der
Schüler*innen waren von PISA 2003 bis 2012 nur geringe und zwischen 2012 und 2022
signifikante Veränderungen zu verzeichnen: die mathematikbezogene Ängstlichkeit nahm seit
2012 signifikant zu, während Freude und Interesse an Mathematik, mathematikbezogene
instrumentelle Motivation sowie Selbstwirksamkeitserwartung hinsichtlich
innermathematischer und einfacher Anwendungsaufgaben signifikant abnahmen (Diedrich,
Patzl, Seßler, & Reinhold, 2023). Der vorliegende Beitrag kombiniert diese einzelnen
Merkmale in gemeinsamen Regressionsanalysen.
Fragestellung
Wie viel Varianz an der mathematischen Kompetenz Fünfzehnjähriger kann durch folgende
Faktoren aufgeklärt werden?
1. die mathematikbezogene Ängstlichkeit, Freude und Interesse an Mathematik,
mathematikbezogene instrumentelle Motivation sowie Selbstwirksamkeitserwartung?
2. das Geschlecht?
3. den sozioökonomischen beruflichen Status der Eltern?
Methode
Zur Beantwortung der Fragestellungen wird die mathematische Kompetenz in drei
Regressionsmodellen vorhergesagt durch 1) die mathematikbezogenen Emotionen,
Motivationen und Einstellungen, 2) ergänzt um das Geschlecht sowie 3) ergänzt um den
sozioökonomischen beruflichen Status der Eltern. Diese Modelle werden getrennt für die
Erhebungsrunden 2003, 2012 und 2022 gerechnet, in denen Mathematik jeweils die
Hauptdomäne war. Das Kriterium wurde auf Basis der Plausible Values geschätzt. Die
Merkmale des ersten Modells wurden im Schüler*innenfragebogen erhoben. Um die
Vergleichbarkeit trotz leicht veränderter Zusammensetzung des Fragebogens zu gewährleisten
wurden die vier Merkmale reskaliert (Lewalter et al., 2023; Abschnitt 12.7). Beim Geschlecht
wurde die Angabe aus der Schüler*innenlistung verwendet und der sozioökonomische
berufliche Status (HISEI) wurde dem Elternfragebogen entnommen. Alle Analysen wurden
mittels des IDB Analyzer 5.0 (IEA, 2023) durchgeführt.
Ergebnisse
In allen Modellen klärt die mathematikbezogene Ängstlichkeit sowie die
Selbstwirksamkeitserwartung einen signifikanten Anteil an der Varianz der mathematischen
Kompetenz auf. Für die Ängstlichkeit variiert dieser Anteil von β = -.13 (2022) bis β = -.22
(2012). Die Selbstwirksamkeitserwartung variiert zwischen β = .50 (2012) und β = .42 (2022).
Die Selbstwirksamkeitserwartung ist ein stärkerer Prädiktor als der sozioökonomische
berufliche Status der Eltern (β = .28 (2003); β = .27 (2012 und 2022)). Das Geschlecht klärt nur
in 2012 einen signifikanten aber marginalen Anteil an der Varianz in der mathematischen
Kompetenz (β = -.05) auf. Freude und Interesse an Mathematik sowie mathematikbezogene
instrumentelle Motivation sind nur in PISA 2003 signifikante Prädiktoren der mathematischen
Kompetenz Fünfzehnjähriger. Insgesamt werden durch die Merkmale in den drei Modelle in
allen Jahren substantielle Anteil an der mathematischen Kompetenz vorhergesagt (R² = .37
(2003); R² = .39 (2012); R² = .33 (2022)). Diese Befunde stehen im Einklang mit bisherigen
Meta-Analysen zum Zusammenhang der Ängstlichkeit (Ma, 1999) sowie der
Selbstwirksamkeitserwartung (Reinhold, et al, under review) mit der Leistung in Mathematik.
Insbesonder die Bedeutung der Selbstwirksamkeitserwartung („Mit Hilfe eines Zugfahrplanes
ausrechnen, wie lange man von einem Ort zum anderen brauchen würde“) wird im Beitrag
kritisch diskutiert.