Conference Agenda

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Session Overview
Session
5-01: PISA 2022: Vertiefende Analysen für Erklärungsansätze der aktuellen PISA-Ergebnisse in Deutschland
Time:
Tuesday, 19/Mar/2024:
1:10pm - 2:50pm

Location: H05

Hörsaal, 500 TN

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Presentations
Eingeladenes Symposium

PISA 2022: Vertiefende Analysen für Erklärungsansätze der aktuellen PISA-Ergebnisse in Deutschland

Chair(s): Doris Lewalter (Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB), Technische Universität München (TUM))

Discussant(s): Burkhard Priemer (Humboldt Universität zu Berlin)

Im Rahmen der PISA-Studie wird untersucht, wie gut 15-jährige Schüler*innen gegen Ende

ihrer Pflichtschulzeit alltagsnahe Aufgaben in Mathematik, im Lesen und in den

Naturwissenschaften lösen können. Die Befunde der aktuellen PISA-Studie 2022 zeigen auf,

dass für die Schüler*innen in Deutschland in allen drei Bereichen – Mathematik,

Naturwissenschaften und Lesen – Leistungseinbußen im Vergleich zu 2018 zu verzeichnen

sind, die im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch ausfallen. Während die

mittleren Kompetenzen der Jugendlichen in Deutschland 2018 in allen drei Bereichen noch

über dem jeweiligen OECD-Durchschnitt lagen, ist dies in PISA 2022 nur noch für die

naturwissenschaftliche Kompetenz der Fall. In Mathematik und im Lesen unterscheiden sich

die Kompetenzen nicht mehr signifikant vom OECD-Durchschnitt.

Die Gruppe der leistungsschwachen Schüler*innen, ist in Deutschland im Vergleich zu 2018

zudem in allen drei Bereichen gewachsen. Leistungsschwache Jugendliche werden mit hoher

Wahrscheinlichkeit ohne zusätzliche Förderung weder den Anforderungen weiterführender

Schulen noch denen der beruflichen Ausbildung gewachsen sein. Ihr Anteil fällt an nicht

gymnasialen Schulen, u.a. Haupt- oder Realschulen, deutlich höher aus als an Gymnasien.

Diese Entwicklung kann durch mehreren Faktoren beeinflusst sein. Es kann davon ausgegangen

werden, dass sowohl die Schulschließungen (vgl. Betthäuser, et al, 2023) und der damit

verbundene Distanzunterricht (Lewalter, et al., 2023) negative Effekte hatten, als auch

Merkmale der Schüler*innen (Diedrich, et al., 2023) sowie Merkmale des Unterrichts (Schiepe-

Tiska, et al., 2023) mit den gefundenen Kompetenzniveaus in Zusammenhang stehen. Im

Rahmen des Symposiums wird der gemeinsamen Forschungsfrage nachgegangen, inwiefern

Merkmale der Schüler*innen als auch schulische Rahmenbedingungen und Merkmale des

Unterrichts mit der Leistung der Schüler*innen in den verschiedenen Domänen in

Zusammenhang stehen.

Müller et al., untersuchen mittels latenter Profilanalysen den Zusammenhang von

Merkmalskombinationen der Schüler*innen und deren Kompetenzen in den drei Domänen der

PISA-Studie (Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften). Dabei stellen sie die gefundenen

Profile und Zusammenhänge anhand der Daten der PISA-Studien aus 2018 und 2022 einander

gegenüber.

Kastorff untersucht in ihrem Beitrag den Zusammenhang zwischen schulischen und

individuellen Gelingensbedingungen, wie beispielsweise die Ausstattung der Schulen mit

materiellen und personellen ICT Ressourcen für den Lernerfolg in den Naturwissenschaften.

Dabei wird zum einen ein Vergleich von Schüler*innen an Gymnasien sowie an nicht

gymnasialen Schularten durchgeführt und zum anderen die Gruppe der leistungsschwachen

Schüler*innen in den Blick genommen.

Todtenhöfer et al., stellen demgegenüber den Unterricht im Fach Mathematik und seinen Bezug

zu Bildungsstandards und mehrdimensionalen Bildungszielen in den Fokus ihrer Analysen. Sie

gehen der Frage nach, inwieweit Prüfungsaufgaben, die den Unterrichtsstoff eines bestimmten

Unterrichtszeitraums repräsentativ abbilden, Teilkompetenzen entsprechend der

Bildungsstandards adressieren. Als Ergänzung wird der konstruierte Lebensweltbezug als ein

mögliches motivationales Potenzial kompetenzorientierten Unterrichts hinzugezogen.

Anschließend wird untersucht, wie Unterricht, der dieser inhaltlichen Ausrichtung folgt, mit

den mehrdimensionalen Bildungszielen in PISA 2022 (Mathematikkompetenz, Freude und

Interesse sowie instrumentelle Motivation) zusammenhängt.

Diedrich et al, kombinieren verschiede Schüler*innenmerkmalesowie des Geschlechts und des

sozioökonomischen beruflichen Status der Eltern in zusammenfassenden Regressionsanalysen.

Als Kriterium wird die mathematische Kompetenz der Schüler*innen herangezogen. Die

Analysen werden für alle Erhebungsrunden durchgeführt, in denen Mathematik Hauptdomäne

war (2003, 2012 und 2022), sodass eine Entwicklung des Einflusses verschiedener

Erklärungsfaktoren betrachtet werden kann.

 

Presentations of the Symposium

 

Krisenrelevante Merkmalsprofile von Schüler*innen vor und nach der Pandemie

Maren Müller, Jennifer Diedrich, Doris Lewalter
Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB), Technische Universität München (TUM)

Theoretischer Hintergrund und Fragestellungen

Die Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wurden in einer Vielzahl

wissenschaftlicher Veröffentlichungen (u.a. Betthäuser et al., 2023) untersucht. Die PISA 2022

Studie liefert ergänzend Hinweise auf die Rahmenbedingungen und Gestaltung des

Distanzunterrichts in Deutschland und auf internationaler Ebene (Lewalter et al., 2023). Hierbei

spielt auch der Einsatz digitaler Medien eine wichtige Rolle. Eine zentrale Frage ist, welche

Merkmale von Schüler*innen mit einer erfolgreichen Bewältigung dieser Situation assoziiert

sind und in diesen herausfordernden Lernumgebungen Vorteile bringen. Dieser

Themenstellung geht der Beitrag anhand von Daten zu zwei Messzeitpunkten vor und nach der

Pandemie nach.

Resilienz (Rutter, 2006), die Fähigkeit zur Selbstregulation (Blume et al., 2021) sowie das

Zugehörigkeitsgefühl zur Schule (Holzer et al., 2021) zählen zu Eigenschaften, die in

Krisenzeiten einen besseren Umgang mit den einhergehenden Herausforderungen im

Schulkontext nahelegen. Allgemein wird auch ein positives Fähigkeitsselbstkonzept als

lernförderlich angesehen (Karlen et al., 2021). Mit Blick auf den Distanzunterricht ist der

kompetente Umgang mit digitalen Medien vermutlich besonders relevant. Die genannten

Merkmale treten nicht isoliert in Schüler*innen auf, sondern in verschiedenen

Merkmalskombinationen, die in unterschiedlicher Weise mit Leistung zusammenhängen. Mit

Blick auf die Situation vor und nach der Pandemie und die Ausprägung der Merkmale bei

Schüler*innen in Deutschland stellen sich demnach die folgenden Forschungsfragen:

1. Welche Merkmalsprofile zeigen sich bei Schüler*innen in Deutschland vor und nach der

Pandemie?

2. Gibt es Unterschiede zwischen Schüler*innen verschiedener Merkmalsprofile

hinsichtlich der Kompetenz in den drei PISA-Domänen Mathematik, Lesen und

Naturwissenschaften?

Methode

Die Fragestellungen werden anhand einer latenten Profilanalyse der Daten der PISA-Studie

2018 und PISA 2022 beantwortet. Die berücksichtigten Merkmale werden durch etablierte

Skalen der PISA-Studie gemessen (Mang, et al., 2023), deren Ausprägungen die Werte 1 bis 4

annehmen können. Bei allen Werten handelt es sich um die Selbsteinschätzung der

Jugendlichen. Alle Analysen werden in R (Version 4.2.2) durchgeführt. Es werden anhand der

z-standardisierten Variablen ICT-Kompetenz, Resilienz, Selbstregulation, und

Zugehörigkeitsgefühl zur Schule Merkmalsprofile erstellt und auf signifikante Unterschiede hin

überprüft. Abschließend werden die Schüler*innen abhängig von ihrer Profilzugehörigkeit

hinsichtlich ihrer Kompetenz in den drei PISA-Domänen (Mathematik, Lesen,

Naturwissenschaften) beschrieben.

Ergebnisse

Die Schüler*innen (PISA 2018: N = 5451; PISA 2022: N = 6116) können auf Basis der

verwendeten Merkmale bei PISA 2018 drei Profilen zugeordnet werden, die als „Mainstream“,

„Vulnerable“ und „Außenseiter*innen“ bezeichnet werden. Mainstream zeichnet sich durch

leicht überdurchschnittliche Werte in Selbstregulation, ICT-Kompetenz, Zugehörigkeitsgefühl

und Resilienz aus. Die Vulnerablen und Außenseiter*innen weisen leicht

unterdurchschnittliche Werte bei Selbstregulation, ICT-Kompetenz und Resilienz auf. Auch

das Zugehörigkeitsgefühl zur Schule ist bei beiden Profilen unterdurchschnittlich, wobei die

Außenseiter*innen für dieses Merkmal sehr viel niedrigere Werte aufweisen (M = - 2.4). Im

Jahr 2018 schneiden die Außenseiter*innen und Vulnerablen in allen drei Domänen schlechter

ab als der Durchschnitt. Die Kompetenzen des Mainstreams liegen in allen drei Bereichen über

dem Durchschnitt. Bei PISA 2022 zeigen sich ebenfalls drei Profile die jedoch anders

charakterisiert werden können, als jene in 2018: die „Allrounder*innen“, „Geeks“ und

„Nonliner*innen“. Für die „Nonliner*innen“ liegen die Werte für ICT-Kompetenz im Mittel

1.35 SD unter dem Durchschnitt und diese Schüler*innen zeigen in allen drei Domänen

unterdurchschnittliche Kompetenzen. Die „Allrounder*innen“ haben die höchsten Werte in

Selbstregulation, ICT-Kompetenz und Zugehörigkeitsgefühl und erzielen in allen drei

Domänen die höchsten Kompetenzwerte. Die Kompetenzen der „Geeks“ mit niedrigen Werten

beim Zugehörigkeitsgefühl und zugleich überdurchschnittlichen Werten bei der ICT-

Kompetenz liegen in allen drei Domänen im Durchschnitt. Bezüglich der Resilienz

unterscheiden sich die Profile kaum. Im Vergleich zu den Ergebnissen für 2018 zeigt sich, dass

die ICT-Kompetenz in größerem Maße mit dem Erreichen höherer Mathematikkompetenz

assoziiert werden kann. Ein zusätzlich hohes Zugehörigkeitsgefühl zur Schule sowie hohe

selbstregulative Fähigkeiten scheinen darüber hinaus zentral bei der Erreichung

überdurchschnittlicher Kompetenzwerte.

 

Post-Pandemic & lessons learned: schulische und individuelle Gelingensbedingungen des Lernerfolgs in den Naturwissenschaften - Evidenz aus PISA 2022

Tamara Kastorff
Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB), Technische Universität München (TUM)

Theoretischer Hintergrund und Fragestellungen

Naturwissenschaftliche Kompetenz ist von zentraler Bedeutung für Schüler*innen, damit sie in

Bereichen wie dem Gesundheits- und Umweltschutz nicht nur aktiv handeln können, sondern

auch die Folgen des eigenen Handelns einschätzen können (Sailer et al., 2021). Die

naturwissenschaftliche Kompetenz ist zudem entscheidend für eine erfolgreiche Teilhabe an

einer naturwissenschaftlich-technisch geprägten Gesellschaft (z. B., Schiepe-Tiska et al., 2019).

Die aktuellen Ergebnisse der PISA Studie in 2022 zeigen jedoch, dass die Schüler*innen in

Deutschland signifikant schlechter in den Naturwissenschaften abschnitten, als dies in PISA

2018 der Fall war (Kastorff et al., 2023). Schüler*innen an Gymnasien schneiden noch relativ

gut in den Naturwissenschaften ab, während ein Drittel der Schüler*innen an nicht gymnasialen

Schularten nicht die Kompetenzstufe II erreicht, die als kritische Hürde zur erfolgreichen

Teilhabe an der naturwissenschaftlichen-technischen Gesellschaft gesehen wird. Folglich

weisen die Befunde der aktuellen PISA-Studie auf, dass besonders bei Schüler*innen an nicht

gymnasialen Schularten ein vermehrter Förderbedarf besteht und somit die Breitenförderung

im Sinne einer naturwissenschaftlichen Kompetenz für alle nicht gelingt. Diese Befunde sind

in Teilen auch mit der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Auswirkungen auf das

Bildungswesen zu erklären (Betthäuser et al., 2023). Aufgrund der gravierenden aktuellen PISA

Ergebnisse stellt sich die Frage, inwiefern sowohl schulische Gelingensbedingungen während

der Corona-Pandemie, wie beispielsweise die Ausstattung der Schulen mit materiellen und

personellen ICT Ressourcen als auch Maßnahmen zur Erhaltung des Unterrichtsgeschehens

sowie individuelle Gelingensbedingungen auf Ebene der Schüler*innen, wie beispielsweise der

sozioökonomische Status, in Deutschland während der Corona-Pandemie von Bedeutung

waren. Im Rahmen des vorliegenden Beitrags werden daher die Fragestellungen untersucht,

welche schulischen und individuellen Gelingensbedingungen für den Lernerfolg in den

Naturwissenschaften ausgemacht werden können. Dabei wird auch auf einen Vergleich von

Schüler*innen an Gymnasien sowie an nicht gymnasialen Schularten eingegangen.

Methode

An der PISA-Studie nahmen N = 6116 sowie N = 260 Schulleitungen in Deutschland teil. Von

den teilnehmenden Schüler*innen besuchten N = 2273 Gymnasien und N = 3590 nicht

gymnasiale Schularten. Als Datengrundlage des vorliegenden Beitrages diente zum einen der

PISA Kompetenztest zur Messung der naturwissenschaftlichen Kompetenz von

Fünfzehnjährigen. Zum anderen wurden die Antworten der Schüler*innen sowie der

Schulleitungen basierend auf Fragebogendaten für die Analysen herangezogen, um sowohl

individuelle als auch schulische Gelingensbedingungen in die Analysen einzubeziehen.

Aufgrund der genesteten Datenstruktur wurden die Angaben der Schüler*innen und

Schulleitungen mittels Mehrebenenanalysen in R analysiert.

Ergebnisse und Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass bei Schüler*innen an nicht gymnasialen Schularten (ß = 6.78, SE

= 2.78, p <.005) als auch an Gymnasien (ß = 11.58, SE = 3.91, p <.000 ) schulische

Gelingensbedingungen wie beispielsweise Aktivitäten zur Erhaltung des

Unterrichtsgeschehens während der Corona-Pandemie einen signifikant positiven Effekt auf

die Naturwissenschaftliche Kompetenz aufweisen. Gleichzeitig zeigt sich, dass Probleme beim

Selbstlernen der Schüler*innen, mit einer niedrigeren naturwissenschaftlichen Kompetenz bei

Schüler*innen lediglich an Gymnasien assoziiert sind (ß = -15.82, SE= 3.26, p < .000). Zudem

weist lediglich an nicht gymnasialen Schularten die Qualität der Ausstattung mit materiellen

und personellen ICT-Ressourcen einen positiven Effekt auf die naturwissenschaftliche

Kompetenz auf (ß = 9.67, SE = 4.85, p <.000). Insgesamt veranschaulichen die Ergebnisse die

Relevanz schulischer Rahmenbedingungen für die naturwissenschaftliche Kompetenz auch

während der Ausnahmesituation der Corona-Pandemie. Betrachtet man die Schüler*innen

unterhalb Kompetenzstufe II gesondert, so konnten keine signifikanten Gelingensbedingungen

auf Schulebene identifiziert werden. Die Diskussion der Ergebnisse erfolgt unter

Berücksichtigung der schulischen und individuellen Faktoren, die in potenziellen zukünftigen

Ausnahmesituationen entscheidend sein könnten, um den Erfolg im naturwissenschaftlichen

Lernen aufrechtzuerhalten.

 

Zwischen Prüfungsaufgaben und Leistung: Kompetenzorientierter Mathematikunterricht und mehrdimensionale Bildungsziele in PISA 2022

Pia Todtenhöfer1, Anja chiepe-Tiska2, Anna Heinle2, Mirjam Weis1, Doris Lewalter1
1Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB), Technische Universität München (TUM), 2Universität Koblenz

Theoretischer Hintergrund

PISA 2022 hat gezeigt, dass die Schüler*innen in Deutschland im Vergleich zu vorherigen

PISA-Erhebungsrunden eine geringere Mathematikkompetenz aufweisen (Diedrich et al.,

2023). Eine zentrale Stellschraube, die Mathematikkompetenz zu verbessern, ist der

Mathematikunterricht (Schiepe-Tiska et al., 2023). Bereits im Jahr 2002 wurden die nationalen

Bildungsstandards entwickelt, um zu definieren, welche Kompetenzen Schüler*innen am Ende

eines bestimmten Bildungsabschnittes erworben haben sollen (KMK, 2002). Die

Bildungsstandards können zusätzlich um die Perspektive motivationaler Lernergebnisse

erweitert werden (Schiepe-Tiska et al., 2021), die aufgrund der Umstellung zu

kompetenzorientierten Lehrplänen mehr in den Fokus gerückt sind (KMK, 2010). Ziel eines

kompetenzorientierten Unterrichts sollte folglich sein, sowohl die Kompetenzbereiche der

Bildungsstandards (hier zusammengefasst in die Kategorien Fachkenntnisse, Fachmethoden,

Kommunikation, Reflexion) als auch motivationale Aspekte (hier dargestellt durch den

konstruierten Lebensweltbezug) in der Unterrichtsgestaltung abzudecken. Diese

Unterrichtsgestaltung besteht im Mathematikunterricht zum Großteil aus Unterrichts- und

Prüfungsaufgaben, deren Lösungen von Schüler*innen erarbeitet werden (Reiss & Hammer,

2021). Eine Analyse der Prüfungsaufgaben ermöglicht einen konkreten Einblick in das

Unterrichtsangebot, da sie den Unterrichtsstoff eines bestimmten Unterrichtszeitraums

repräsentativ abbilden sollen und besonderes Potenzial haben, das Erreichen

mehrdimensionaler Bildungsziele zu fördern.

Fragestellung

Darauf basierend befassen sich folgenden Analysen zunächst mit der Frage, inwieweit die

untersuchten Prüfungsaufgaben Teilkompetenzen entsprechend der Bildungsstandards

adressieren. Als Ergänzung wird der konstruierte Lebensweltbezug als ein mögliches

motivationales Potenzial kompetenzorientierten Unterrichts hinzugezogen. Anschließend wird

untersucht, wie ein Unterricht, der dieser inhaltlichen Ausrichtung folgt, mit den

mehrdimensionalen Bildungszielen in PISA 2022 (Mathematikkompetenz, Freude und

Interesse sowie instrumentelle Motivation) zusammenhängt.

Methode

Die Daten basieren auf N = 891 Prüfungsanalyseeinheiten von 43 Lehrkräften, deren Klassen

im Rahmen von PISA 2022 erfasst worden sind. Für die Analyse der Prüfungsaufgaben wurden

im Rahmen von PISA-Ceco eingesetzte Klassenarbeiten aus dem Schuljahr 2021/2022

eingesammelt. Die Aufgaben wurden unter anderem in Bezug auf die Dimensionen

„Orientierung an den Kompetenzbereichen der Bildungsstandards“ (Fachkenntnisse,

Fachmethoden, Kommunikation, Reflexion) sowie in Bezug auf den konstruierten

Lebensweltbezug als ein motivationsfördernder Faktor analysiert (ausführliches

Kategorienschema: Heinle et al., 2023). Alle Kategorien wurden anhand dichotomer

Antwortkategorien doppelt kodiert. Bei abweichenden Kodierungen einigten sich die

Rater*innen auf einen Code. Diese Prüfungsaufgaben wurden mit dem klassenbasierten

Datensatz der Schüler*innen aus PISA 2022 (rund N = 600) verbunden, um eine Verbindung

der Schülerleistungen (Mathematikkompetenz, Freude und Interesse sowie Motivation) mit den

genannten Unterrichtsmerkmalen (Fachkenntnisse, Fachmethoden, Kommunikation, Reflexion

sowie der konstruierte Lebensweltbezug) herzustellen.

Ergebnisse

Bezogen auf die Orientierung der Prüfungsaufgaben an den Bildungsstandards zeigt sich, dass

die Kategorien Fachkenntnisse (99.9%) und Fachmethoden (89.9%) in nahezu allen

Prüfungsaufgaben vorkommen und daher grundsätzlich Bestandteil der Prüfungsaufgaben aller

Lehrkräfte sind. In gewisser Hinsicht erfüllen die Prüfungsaufgaben aller Lehrkräfte

Teilkompetenzen der Bildungsstandards. Das Kommunizieren (10.3%) wird hingegen nur in

etwa einem Zehntel der Aufgaben verlangt und der Kompetenzbereich Reflexion (0.3%) ist so

gut wie kein Bestandteil der Prüfungsaufgaben. Es wird erwartet, dass sich Unterschiede in der

mathematischen Kompetenz und Motivation der Schüler*innen aus PISA 2022 zeigen, wenn

zu den gegebenen Fachkenntnissen und Fachmethoden zusätzlich Kommunikation als kreativer

Umgang mit Mathematik hinzukommt. 30.2 % der Lehrkräfte fordern ausschließlich die

Kompetenzbereiche Fachkenntnisse und Fachmethoden, entsprechend 69.8 % der Lehrkräfte

zusätzlich den Kompetenzbereich Kommunikation 90.7 % der Lehrkräfte gestalten ihre

Prüfungsaufgabe grundsätzlich mithilfe eines konstruierten Lebensweltbezugs. Ein genauerer

Blick in die Ergebnisse zeigt allerdings, dass sich der konstruierte Lebensweltbezug insgesamt

in nur einem Viertel der Aufgaben (26.4 %) wiederfindet und somit von den Lehrkräften nicht

konstant eingesetzt wird.

In einem abschließenden Schritt wird überprüft, ob das zusätzliche Fordern von

Kommunikation zu einer höheren mathematischen Kompetenz oder zu einer höheren

Motivation führt. Anschließend wird untersucht, ob der konstruierte Lebensweltbezug als

motivationales Potenzial der Aufgaben einen Einfluss auf die Mathematikkompetenz, die

Freude und das Interesse sowie die Motivation der Schüler*innen in PISA 2022 hat.

 

Entwicklung der mathematischen Kompetenz in PISA und ihre Prädiktoren

Jennifer Diedrich1, Sabine Patzl1, Frank Reinhold2, Doris Lewalter1
1Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB), Technische Universität München (TUM), 2Pädagogische Hochschule Freiburg, Institut für Mathematische Bildung

Theoretischer Hintergrund

Die mathematische Kompetenz Fünfzehnjähriger liegt in PISA 2022 in Deutschland (M = 475

Punkte) nicht mehr signifikant über dem Durchschnitt der OECD-Staaten (M = 472 Punkte).

Diese durchschnittliche Kompetenz liegt auch unter jener in PISA 2003 (M = 503 Punkte) und

2012 (M = 514 Punkte), als Mathematik zuletzt jeweils Hauptdomäne war. Zur Einordnung der

Kompetenzen wird in PISA stets das Geschlecht sowie der sozioökonomische berufliche Status

der Eltern erhoben. Für die Hauptdomäne werden zudem in PISA auch die

domänenspezifischen Emotionen, Motivationen und Einstellungen erfragt. In PISA 2022, wie

auch in 2003 und 2012, zeigten Jungen höhere mathematische Kompetenzen als Mädchen

(Diedrich, Reinhold, Heinze, & Reiss, 2023) und der Zusammenhang des sozioökonomischen

beruflichen Status der Eltern mit der Kompetenz der Jugendlichen hat sich seit 2012 nicht

verändert (Mang et al., 2023). Im Bereich der mathematikbezogenen Merkmale der

Schüler*innen waren von PISA 2003 bis 2012 nur geringe und zwischen 2012 und 2022

signifikante Veränderungen zu verzeichnen: die mathematikbezogene Ängstlichkeit nahm seit

2012 signifikant zu, während Freude und Interesse an Mathematik, mathematikbezogene

instrumentelle Motivation sowie Selbstwirksamkeitserwartung hinsichtlich

innermathematischer und einfacher Anwendungsaufgaben signifikant abnahmen (Diedrich,

Patzl, Seßler, & Reinhold, 2023). Der vorliegende Beitrag kombiniert diese einzelnen

Merkmale in gemeinsamen Regressionsanalysen.

Fragestellung

Wie viel Varianz an der mathematischen Kompetenz Fünfzehnjähriger kann durch folgende

Faktoren aufgeklärt werden?

1. die mathematikbezogene Ängstlichkeit, Freude und Interesse an Mathematik,

mathematikbezogene instrumentelle Motivation sowie Selbstwirksamkeitserwartung?

2. das Geschlecht?

3. den sozioökonomischen beruflichen Status der Eltern?

Methode

Zur Beantwortung der Fragestellungen wird die mathematische Kompetenz in drei

Regressionsmodellen vorhergesagt durch 1) die mathematikbezogenen Emotionen,

Motivationen und Einstellungen, 2) ergänzt um das Geschlecht sowie 3) ergänzt um den

sozioökonomischen beruflichen Status der Eltern. Diese Modelle werden getrennt für die

Erhebungsrunden 2003, 2012 und 2022 gerechnet, in denen Mathematik jeweils die

Hauptdomäne war. Das Kriterium wurde auf Basis der Plausible Values geschätzt. Die

Merkmale des ersten Modells wurden im Schüler*innenfragebogen erhoben. Um die

Vergleichbarkeit trotz leicht veränderter Zusammensetzung des Fragebogens zu gewährleisten

wurden die vier Merkmale reskaliert (Lewalter et al., 2023; Abschnitt 12.7). Beim Geschlecht

wurde die Angabe aus der Schüler*innenlistung verwendet und der sozioökonomische

berufliche Status (HISEI) wurde dem Elternfragebogen entnommen. Alle Analysen wurden

mittels des IDB Analyzer 5.0 (IEA, 2023) durchgeführt.

Ergebnisse

In allen Modellen klärt die mathematikbezogene Ängstlichkeit sowie die

Selbstwirksamkeitserwartung einen signifikanten Anteil an der Varianz der mathematischen

Kompetenz auf. Für die Ängstlichkeit variiert dieser Anteil von β = -.13 (2022) bis β = -.22

(2012). Die Selbstwirksamkeitserwartung variiert zwischen β = .50 (2012) und β = .42 (2022).

Die Selbstwirksamkeitserwartung ist ein stärkerer Prädiktor als der sozioökonomische

berufliche Status der Eltern (β = .28 (2003); β = .27 (2012 und 2022)). Das Geschlecht klärt nur

in 2012 einen signifikanten aber marginalen Anteil an der Varianz in der mathematischen

Kompetenz (β = -.05) auf. Freude und Interesse an Mathematik sowie mathematikbezogene

instrumentelle Motivation sind nur in PISA 2003 signifikante Prädiktoren der mathematischen

Kompetenz Fünfzehnjähriger. Insgesamt werden durch die Merkmale in den drei Modelle in

allen Jahren substantielle Anteil an der mathematischen Kompetenz vorhergesagt (R² = .37

(2003); R² = .39 (2012); R² = .33 (2022)). Diese Befunde stehen im Einklang mit bisherigen

Meta-Analysen zum Zusammenhang der Ängstlichkeit (Ma, 1999) sowie der

Selbstwirksamkeitserwartung (Reinhold, et al, under review) mit der Leistung in Mathematik.

Insbesonder die Bedeutung der Selbstwirksamkeitserwartung („Mit Hilfe eines Zugfahrplanes

ausrechnen, wie lange man von einem Ort zum anderen brauchen würde“) wird im Beitrag

kritisch diskutiert.



 
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