Conference Agenda

Overview and details of the sessions of this conference. Please select a date or location to show only sessions at that day or location. Please select a single session for detailed view (with abstracts and downloads if available).

 
 
Session Overview
Session
4-15: Identifikation mit Beruf und Betrieb: Voraussetzungen, Entwicklung und Korrelate in verschiedenen Be-rufsgruppen
Time:
Tuesday, 19/Mar/2024:
10:30am - 12:10pm

Location: S14

Seminarraum, 50 TN

Show help for 'Increase or decrease the abstract text size'
Presentations
Symposium

Identifikation mit Beruf und Betrieb: Voraussetzungen, Entwicklung und Korrelate in verschiedenen Be-rufsgruppen

Chair(s): Eveline Wuttke (Goethe Universität Frankfurt, Deutschland)

Discussant(s): Kristina Kögler (Universität Stuttgart, Institut für Erziehungswissenschaft, Abteilung Berufs-, Wirtschafts- und Technikpä-dagogik, Professur für Berufspädagogik)

Hintergrund:

Sowohl in dualen Ausbildungsberufen als auch im Lehrerberuf sind aktuell viele Stellen schwer besetzbar: (1) 27% der Ausbildungsverträge werden vorzeitig gelöst, 13% scheinen zumindest zunächst ganz aus dem Ausbildungssystem auszuscheiden, teils verbunden mit prekären weiteren Berufsverläufen (BMBF 2023). (2) Bei der Versorgung mit Lehrpersonen sieht es für viele Schularten, besonders aber für die beruflichen Schulen kritisch aus. Bis 2035 kann hier der Einstellungsbedarf jährlich im Durchschnitt nur zu 62,3 Prozent gedeckt werden (KMK 2023). Jeweils stellt sich die Frage, welche Faktoren dazu beitragen können, Menschen (1) in die betroffenen Berufe zu bringen und sie (2) dort zu halten.

Ad (1): Berufswahltheoretisch präferieren Individuen schon frühzeitig Berufe, die sie als passend zu ihrem Selbstkonzept wahrnehmen (Gottfredson, 1981, 2005) oder streben in berufliche Umwelten, die möglichst zur eigenen Persönlichkeit kongruent sind (Holland, 1997). Darüber hinaus sind Berufe noch immer zentrale Definitionsräume sozialer Identität und gelten als Filter, durch die eine Person von außen wahrgenommen und taxiert wird (Gildemeister & Robert, 1987, S. 73). Dementsprechend bewegt sich Berufswahl im Spannungsfeld zwischen der Suche nach personaler Identität und dem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung (Oeynhausen & Ulrich, 2020). Sowohl die Einmündung in einen Beruf als auch der Verbleib, dürfte davon abhängen, wie gut sich beide Bedürfnisse ausbalancieren lassen.

Ad (2): Ausgehend von der Social Identity Theory (Tajfel/Turner 1979, Mael/Ashforth 1992) können hohe Abbruchquoten auf eine fehlende Identifikation mit einem gewählten Beruf oder Unternehmen zurückgeführt werden. Eine ausgeprägte berufliche Identifikation, d. h. ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit und des Engagements für den Beruf und mit dem (Ausbildungs-)Unternehmen kann dagegen zu erhöhter Bleibeabsicht beitragen (z. B. Avanzi et al., 2014; Hong, 2010; van Dick & Wagner, 2002). Zusätzlich geht eine hohe Identifikation mit Ausbildungs-/Arbeitszufriedenheit einher (Wuttke et al., eingereicht), diese wiederum unterstützt, dass Menschen in gewählten Berufen/Unternehmen/Institutionen verbleiben. Sowohl für Berufswahlentscheidungen als auch für die duale Berufsausbildung gibt es bisher noch wenige empirische Erkenntnisse zur beruflichen und betrieblichen Identifikation, deren Voraussetzungen und Wirkungen (Metzlaff, 2015; Kirchknopf/Kögler, 2020).

Gemeinsamkeiten der Beiträge:

Die Beiträge nehmen in verschiedenen Zugängen die Entscheidung für und den Verbleib in einem Beruf in den Blick. Zwei Beiträge betrachten dabei den Beruf der Lehrerin/des Lehrers (einmal im Querschnitt, einmal im Längsschnitt), ein Beitrag ist in der dualen beruflichen Bildung angesiedelt. Zwei Beiträge stützen sich – bei verschiedenen Berufsgruppen – auf die Theorie der sozialen Identifikation. Ein Beitrag ist sowohl berufswahl- als auch anerkennungstheoretisch fundiert.

Kurze Vorstellung der drei Beiträge:

Beitrag 1 (Weiß et al.) betrachtet im Längsschnitt und bei einer Stichprobe von Referendar:innen die Entwicklung der beruflichen Identifikation. Dabei werden insbesondere autonomiefördernde/-hemmende Einflussfaktoren berücksichtigt. Ziel der Studie ist es zu untersuchen, inwieweit die Identifikation mit dem Beruf angehender Berufsschullehrkräfte mit dem Bedürfnis nach Autonomie zusammenhängt und inwieweit die genannten Konstrukte wiederum die Absicht beeinflussen, im Berufsfeld zu verbleiben.

Im zweiten Beitrag (Heinrichs et al.) wird untersucht, (1) inwiefern Auszubildende in Deutschland und Österreich sich mit ihrem Beruf und Lehrbetrieb identifizieren, (2) welche Ausbildungsbedingungen mit der Identifikation zusammenhängen und (3) inwiefern sich die Ergebnisse der Länder unterscheiden. Die Befunde zeigen, dass die Identifikation insgesamt positiv ausgeprägt ist, sich die Identifikation zwischen den Ländern durchaus unterscheidet und dass die Fürsorglichkeit von Ausbilder:innen (insbes. in Österreich), deren Fachkompetenz (insbes. in Deutschland) sowie die Aufgabenvielfalt eine zentrale Rolle bei der Identifikationsentwicklung spielen.

Der dritte Beitrag (Ziegler et al.) nimmt die Berufswahlneigung zum Lehrberuf in den Blick und analysiert, in welcher Stärke unterschiedlicher Passungsfaktoren (personale, soziale sowie berufliche Rahmenbedingungen) die Neigung beeinflussen. Zudem werden Interaktionen zwischen den Einflussfaktoren untersucht und ein Gesamtmodell der Neigung berechnet. Als relevante Einflussfaktoren erweisen sich Interessenpassung, soziale Passung, die Passung zum Idealselbst und die Realisierbarkeitspassung. Interaktionseffekte zeigen sich u.a. zwischen der sozialen Passung und der Interessenpassung.

 

Presentations of the Symposium

 

Berufliche Identifikation, wahrgenommene Autonomie und Bleibeabsicht: Ergebnisse einer Längsschnitt-studie im Referendariat für das Lehramt an beruflichen Schulen

Julia Katharina Weiß, Matthias Bottling, Tobias Kärner
Universität Hohenheim, Professur für Wirtschaftspädagogik (560A)

Hintergrund:

Der Übergang in das Berufsleben geht mit einer Weiterentwicklung der persönlichen Identität durch den beruflichen sozialen Kontext einher (Heinrichs et al., 2022). Eine ausgeprägte berufliche Identifikation, d. h. ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit und des Engagements für den Beruf, kann dazu beitragen, die Ab-sicht zu erhöhen im betreffenden Beruf zu verbleiben (z. B. Avanzi et al., 2014; Hong, 2010; van Dick & Wagner, 2002). Nach der Selbstbestimmungstheorie der Motivation ist die Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse als Ergebnis eines bedürfnisunterstützenden Umfelds besonders wichtig für die Verin-nerlichung oder persönliche Akzeptanz der gewählten Identität (Luyckx et al., 2009). Eine Voraussetzung dafür, dass sich angehende Lehrkräfte mit ihrem angestrebten Beruf identifizieren (können), ist, dass ihnen während dieser Ausbildungsphase genügend Freiraum für ihre berufliche und persönliche (Weiter-)Entwicklung gewährt wird (Orr, 2012; Kaplan et al., 2021). Das subjektive Erleben der beruflichen Identität der Referendar:innen steht hierbei in Wechselwirkung mit verschiedenen Bedingungen des Ausbildungs-umfelds, wobei wir uns auf die wahrgenommene Autonomieunterstützung und das autonomiehemmen-de Verhalten der Fachleiter:innen konzentrieren, welche eine zentrale Rolle im Ausbildungsprozess ein-nehmen. Aus theoretischer Sicht lassen sich einerseits Hinweise des Einflusses beruflicher Identifikation auf das Autonomieerleben finden. Andererseits scheint auch die wahrgenommene Unterstützung bzw. Vereitelung des Grundbedürfnisses nach Autonomie einen Effekt auf berufliche Identifikationsprozesse haben zu können (vgl. u. a. Gruen, 1968; Helsper, 2016). Diese theoretisch begründeten Zusammenhänge beider Konstrukte werden im Rahmen der Studie empirisch überprüft. Ziel der Studie ist es daher zu un-tersuchen, inwieweit die Identifikation mit dem Beruf angehender Berufsschullehrkräfte mit dem Bedürf-nis nach Autonomie zusammenhängt und inwieweit die genannten Konstrukte wiederum die Absicht be-einflussen, im Berufsfeld zu verbleiben.

Methode:

Auf Basis einer Längsschnittstudie mit insgesamt 79 Referendar:innen in Baden-Württemberg und vier Erhebungszeitpunkten während des Referendariats (nach drei Monaten, nach sechs Monaten, nach neun Monaten und nach einem Jahr) wurden entsprechende Entwicklungsprozesse über einen Ge-samtzeitraum von einem Jahr erfasst. In Bezug auf soziodemographische Merkmale ist die untersuchte Stichprobe repräsentativ für die Gesamtkohorte an Referendar:innen mit gleichem Ausbildungsbeginn in Baden-Württemberg. Cross-lagged Panelanalysen erlauben Rückschlüsse darauf, inwieweit die berufliche Identifikation der Referendar:innen mit autonomiefördernden bzw. autonomiehemmenden Bedingun-gen, die von Fachleiter:innen ausgehen, interagiert und inwiefern das Zusammenspiel der genannten Faktoren wiederum die Bleibeabsicht beeinflusst.

Ergebnisse:

Die Analysen zeigen, dass die berufliche Identifikation nach sechs Monaten im Referendariat die Absicht, ein halbes Jahr später im Lehrberuf zu verbleiben, signifikant vorhersagt (β = .652, p < .001). Signifikante Kreuzpfade beschreiben jeweils positive Effekte zwischen beruflicher Identifikation und Autonomieun-terstützung und negative Effekte zwischen beruflicher Identifikation und Autonomievereitelung. So zeigt sich unter anderem, dass im ersten Drittel des Referendariats die berufliche Identifikation einen Einfluss auf die eigene Wahrnehmung der erfahrenen Autonomieunterstützung hat. Dieser Zusammenhang än-dert sich jedoch insofern, als dass die wahrgenommene Autonomieunterstützung der Referendar:innen die berufliche Identifikation positiv vorhersagt, sobald sie in die Beurteilungsphase eintreten und die Fach-leiter:innen zu Prüfer:innen werden, was auf die Veränderung der Rolle des/der Fachleiter:in von Bera-ter:in zu Beurteiler:in zurückzuführen sein könnte.

Gerade vor dem Hintergrund des Lehrkräftemangels in Deutschland verdeutlichen die Befunde dieser Studie, dass die Förderung professioneller Identifikationsprozesse im Sinne einer Leh-rer:innenidentität als entscheidend zu bewerten ist. Insofern trägt ein autonomieförderndes Umfeld, wie es z. B. von Fachleiter:innen geschaffen werden kann, bereits während des Referendariats zur konstrukti-ven Förderung bei.

 

Identifikation mit dem Beruf und mit den Lernorten Betrieb und Berufsschule – Ein Vergleich zwischen Auszubildenden aus Deutschland und Österreich

Karin Heinrichs1, Eveline Wuttke2, Michaela Stock3
1Pädagogische Hochschule Oberösterreich, Linz, Österreich, 2Goethe Universität Frankfurt, Professur für Wirtschaftspädagogik, insbes. empirische Lehr-Lern-Forschung, 3Universität Graz, Österreich

Theoretischer Hintergrund

In den letzten Jahren steigt der Fachkräftemangel auch in Berufsfeldern, in denen in Deutschland und Österreich das duale System für die Berufsausbildung vorgesehen ist. Es fehlen Personen, die sich für eine solche Ausbildung entscheiden. Zudem werden viele Ausbildungsverhältnisse vorzeitig gelöst. Ausgehend von der Social Identity Theory (Tajfel/Turner 1979; Mael/Ashforth 1992) könnte man dies auch auf eine fehlende Identifikation mit dem gewählten Ausbildungsberuf oder dem ausbildenden Unternehmen zurückführen. Für die duale Berufsausbildung gibt es bisher kaum empirische Erkenntnisse zur beruflichen und betrieblichen Identifikation (Metzlaff, 2015; Kirchknopf/Kögler, 2020). Neuere quantitative Studien indizieren, dass berufliche Identität und organisationale Identifikation positiv korrelieren (r = 0.57–0.74) (Klotz/Billet/Winther 2014; Kirchknopf/Kögler 2020) und die soziale Identifikation mit dem Betrieb unter Auszubildenden höher ist als die mit dem Beruf (Forster-Heinzer 2020). Gute Ausbildungsqualität und soziale Integration der Auszubildenden fördern die Identifikation mit dem Unternehmen und dem Beruf (vgl. Klotz et al. 2017. In Österreich und Deutschland ist die duale Berufsausbildung in durchaus vergleichbarer Weise verankert. Detailstrukturen, Ausbildungsberufe, alternative Bildungswege, Reputation und Klientel sind aber unterschiedlich.

Fragestellung

In dieser Studie wird untersucht, (1) inwiefern Auszubildende in Deutschland und Österreich sich mit ihrem Beruf und Lehrbetrieb identifizieren, (2) welche Ausbildungsbedingungen mit der Identifikation zusammenhängen und (3) inwiefern sich die Ergebnisse der Länder unterscheiden.

Methode

• Eimalbefragung von N=598 Auszubildenden mittels Online-Fragebogen

• davon 277 aus Österreich, 331 männlich, 77% Muttersprache Deutsch; Berufsfeld: 46,6% kaufmännisch, 23,8% gewerblich-technisch,17,7% Einzelhandel, 1,3% Gastronomie, 10,3% Pflege; Durchschnittsalter: 19,6 Jahre; 16,6% 1. Lehrjahr, 64,8% 2., 17,3% 3. 1,2% 4.)

Instrumente:

• Identifikation mit dem Beruf/ dem (Ausbildungs-)Betrieb: beide Skalen 4 Items, 4-stufige Likert-Skala; ID Beruf, α=.930; ID Betrieb, α = .928

• Ausbildungsqualität (Velten/Schnitzler, 2012): 6-stufige Likert-Skala; Fürsorglichkeit der Ausbilder:innen, 4 Items, α=.866; Fachliche Kompetenz der Ausbilder:innen, 6 Items, α=.893; Feedback, 5 Items, α=.854

• Qualität von Arbeitsaufgaben (ELMA, Rausch 2012): 6-stufige Likert-Skala; Komplexität der Aufgaben, 4 Items, α=.768; Planungsautonomie, 2 Items, α=.859; Entscheidungsautonomie, 3 Items, α=.863; Methodenautonomie 3 Items, α=.883; Aufgabenvielfalt, 4 Items, α=.916

• Berufswahlbereitschaft und -fähigkeit (Ratschinski,2014): Entscheidungssicherheit (5 Items, α=.857), Eigenaktivität (4 Items, α=.895), Berufsbindung (4 Items, α=.790)

• Wunschberuf: 1 Item: „Bei Ihrer Entscheidung war ihr jetziger Ausbildungsberuf ihr Wunschberuf?“ 4-stufigen Likert-Skala.

Ergebnisse

Die Mittelwerte von ID Betrieb/Schule/Beruf sind größer oder gleich dem Skalenmittelwert. ID Betrieb/Schule/Beruf korrelieren in der Gesamtstichprobe signifikant: ID Schule und ID Betrieb: r=0.134 (p=0.002), ID Schule und ID Beruf: r=0.252 (p<0.001), ID Betrieb und ID Beruf: r=0.507 (p<0.001).

Bzgl. ID Betrieb zeigen sich zwischen beiden Ländern keine signifikanten Unterschiede, anders bei ID Schule (MW AT: 2,78; MW D: 2,50; p<0.001; d=-325) und ID Beruf (MW AT: 3,07; MW D: 3,24; p=0.005; d=-217), je mit kleinen Effekten: Erstere ist in Österreich höher, ID Betrieb in Deutschland.

Es wurden schrittweise multiple Regressionsrechnungen durchgeführt (alle mit VIF/Toleranz/Durbon-Watson im Normbereich), um die Varianzaufklärung durch Bedingungen der Ausbildungsqualität im Betrieb, der Berufswahlfähigkeit /dem Wunschberuf zu ermitteln. Die Modelle mit der AV ID Berufsschule für die Gesamtstichprobe, Österreich und Deutschland zeigen geringe Varianzaufklärung (korr. R2 3,9-13,8%).

Die Modelle zur Erklärung zur AV ID Betrieb sind aussagekräftiger (korr. R2 42,6-51,6%). Die Prädiktoren Fürsorglichkeit und der Fachkompetenz der Ausbilder:innen sowie der Aufgabenvielfalt sind jeweils signifikant (p<0.001), wenn auch in unterschiedlicher Reihenfolge. Bei den österreichischen Lehrlingen scheint die Fürsorglichkeit bedeutender (Beta=0,343) als in der Gesamtstichprobe (Beta=0,290) und der deutschen Teilstichprobe (Beta=0,251).

Die Varianz von ID Beruf wird mit einem korr. R2 von 27,5% (Gesamt), 24,4% (D) und 32,1% (A) aufgeklärt. Hier erweisen sich Aufgabenvielfalt und Wunschberuf in allen drei Modellen als bedeutend, bei den deutschen Auszubildenden zudem die Fachkompetenz der Ausbilder:innen, bei den österreichischen Lehrlingen dagegen die Fürsorglichkeit der Ausbilder:innen.

 

Einflussfaktoren auf die Berufswahlneigung zum Lehrpersonenberuf

Birgit Ziegler1, Sylvia Rahn2, Lara Dahlke2, Nico Dietrich1
1Institut für Allgemeine Pädagogik & Berufspädagogik, 2Institut für Bildungsforschung in der School of Education, Bergische Universität Wuppertal

Theoretischer Hintergrund

Für die Identitätsentwicklung im Jugendalter ist die Berufswahl eine sensible Phase. Nach Gottfredson (1981, 2005) resultieren aus dem Abgleich von Selbstkonzept und Berufskonzepten berufliche Präferenzen. Jugendliche schließen meist spontan und undifferenziert Berufe aus, die sie als nicht zum Selbstkonzept passend wahrnehmen; zunehmend wird dies durch Realisierbarkeitserwägung flankiert und das individuelle berufliche Aspirationsfeld sukzessive eingegrenzt. Berufe sind gleichermaßen zentrale Definitions-räume sozialer Identität. Sie wirken als Filter für die Wahrnehmung einer Person durch andere (Gildemeis-ter & Robert, 1987, S. 73) und sind daher bestimmend für das Prestige. Berufswahl ermöglicht somit Im-pressionsmanagment (Mummendey, 2002). Matthes (2019) unterstellt aus anerkennungstheoretischen Überlegungen, dass Berufe selbst bei hoher Interessenpassung (Attraktionsfaktor) ausgeschlossen wer-den, wenn gleichzeitig unzureichende Zustimmung im sozialen Umfeld erwartet wird (Aversionsfaktor). Gleichermaßen können Zweifel an der Realisierbarkeit eines Berufs sowie eine mangelnde Passung der Rahmenbedingungen sowie Urteilunsicherheit aversiv wirken und zum Ausschluss eines Berufes führen, obwohl eine grundlegende Neigung vorhanden ist. Inwieweit Passungsfaktoren auf Personen aversiv oder attrahierend wirken, lässt sich erwartungs-wert-theoretisch ermitteln, indem die Passung als Wert-komponente definiert und über die Stärke der Instrumentalität unterschieden wird (Landwehr, 2021).

Die Berufswahlneigung zum Lehrpersonenberuf wurde von Renger et al. (2022) in einer Befragung mit dem FEMOLA-S untersucht. Rahn et al. (2023) befragten rund 200 Schüler:innen an Berufskollegs mit dem Fit for Choice (Watt et al. 2012). Dabei zeigten sich ein Einfluss des Berufsprestiges auf die Berufswahlnei-gung zum beruflichen Lehramt sowie analog zu Renger et al. (2022) primär intrinsische Berufswahlmotive. Matthes (2019) prüfte Hypothesen zur Wirksamkeit von Aversions- und Attraktionsfaktoren auf die Be-rufswahlneigung zu Pflegeberufen und kann die aversive Wirkung mangelnder sozialer Anerkennung nachweisen. Dies wird in einer Folgestudie zu Gartenbauberufen (Landwehr, 2021) bekräftigt.

Fragestellung:

Mit einer Befragung von Schüler:innen in Bildungsgängen der Sekundarstufe II an berufsbildenden und allgemeinbildenden Schulen wird der Frage nachgegangen, a) welche Faktoren die Berufswahlneigung zum beruflichen Lehramt beeinflussen. Dazu wurden unterschiedliche Dimensionen erfasst (Passung von Interessen, Fähigkeiten, Entfaltungsbedürfnis, Rahmenbedingungen, Idealselbst zum Berufsinhaberkon-zept sowie Urteilssicherheit). Des Weiteren wird der Frage nach gegangen, b) inwieweit aversiv oder at-traktiv wirkende Interaktionseffekte zwischen den Einflussfaktoren identifiziert werden können.

Methode/Instrumente:

Ausgehend vom theoretischen Bezugsrahmen und Wirkungsmodell wurde ein Befragungsinstrument konzipiert und eine Online-Querschnittsbefragung durchgeführt. Erfasst wurden neben der Berufswahl-neigung (AV) die genannten Passungsdimensionen zwischen beruflichem Selbstkonzept und dem Berufs-konzept, sowie die erwartete Zustimmung von Eltern und Freunden und die Urteilssicherheit (UV) sowie Kontrollvariablen. Im Fragebogen wurden bewährte Skalen aus verschiedenen Instrumenten der Berufs-wahlforschung sowie der Forschung zum Lehrpersonenberuf eingesetzt, wie z. B. dem Fit for Choice (Watt et al. 2012), Lehrerinteressen (Mayr, 1998) eingesetzt und einem Pretest unterzogen. Zur Auswertung liegen über 1300 Fälle vor. Für deskriptive Analysen werden die Gruppen dichotomisiert, je eine Gruppe, die eine Wahl des beruflichen Lehramts ausschließt, und die sich dies eher/sehr gut vorstellen kann. Hin-sichtlich der Passungsdimensionen wird je nach Passungskombinationen ein Wert zwischen 0..1 für die Instrumentalität berechnet. Die Stärke des Einflusses der erfassten Dimensionen auf die Berufswahlnei-gung wird mittels einer linearen Regression geprüft. Es werden Interaktionsanalysen durchgeführt und die relevanten Faktoren über eine stufenweise Regression unter Einbezug von Kontrollvariablen ein Ge-samtmodell berechnet.

Ergebnisse:

Durch eine Gegenüberstellung wird deutlich, dass sich die beiden Gruppen stärker im beruflichen Selbst-konzept als im Berufskonzept unterscheiden. Lediglich beim Entfaltungsbedürfnis kehrt sich dies um. Den größten Einfluss auf die Berufswahlneigung haben die Tätigkeitspassung, die Zustimmung von Freun-den/Eltern, die berufsbezogene Fähigkeitseinschätzung sowie das Berufsprestige. Interaktionseffekte verweisen auf mangelnde soziale Anerkennung und Prestige als Aversionsfaktoren. Rahmenbedingungen sind wenig einflussreich. Zudem zeigen ältere Befragte eher als jüngere und mehr männliche Schüler eine Berufswahlneigung. An Gymnasien ist die Neigung geringer als in berufsqualifizierenden Bildungsgängen.



 
Contact and Legal Notice · Contact Address:
Privacy Statement · Conference: GEBF 2024
Conference Software: ConfTool Pro 2.8.105
© 2001–2025 by Dr. H. Weinreich, Hamburg, Germany