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Sitzungsübersicht
Sitzung
4-14: Herausforderungen für Partizipation von jungen Menschen in formellen und informellen Bildungsprozessen
Zeit:
Dienstag, 19.03.2024:
10:30 - 12:10

Ort: H07

Hörsaal, 56 TN

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Präsentationen
Symposium

Herausforderungen für Partizipation von jungen Menschen in formellen und informellen Bildungsprozessen

Chair(s): Daniel Deimel (Universität Duisburg-Essen, Deutschland)

Diskutant*in(nen): Hans-Peter Kuhn (Universität Kassel)

Die Einbeziehung von jungen Menschen in Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse erscheint aus verschiedenartigen Gründen sinnvoll (Reisenauer, 2020). Zunächst kann die Beteiligung von Schüler*innen in sie betreffende Fragen als Gewährung grundlegender Rechte betrachtet werden, wie Rechte auf Berücksichtigung des Kindeswillens und des Rechts, gehört zu werden (Art. 12, United Nations, 1989). Aus pädagogischer Sicht erscheint die Einbindung von Schüler*innen in die Auswahl konkreter Lerninhalte und die zeitliche, räumliche und personelle Organisation von Lernaktivitäten sinnvoll, um Einsatzbereitschaft, Lernfreude und Selbstwirksamkeit zu fördern (Hauk & Gröschner, 2022). Zuletzt ist die Beteiligung von Schüler*innen in der Schule gesellschaftlich relevant. Partizipationserfahrungen fallen mit häufigerer späterer politischer Beteiligung zusammen (Keating & Janmaat, 2016; Kiess, 2022). Besonders in Anbetracht globaler Herausforderungen erscheint eine in die Zukunft gerichtete Stärkung demokratischer Gesellschaften, die somit durch die Einbindung der Perspektiven junger Menschen einhergeht, als unerlässlich.

Insgesamt ergeben sich im Symposium mehrere Herausforderungen für schulische Partizipationsprozesse: Welche organisatorischen und inhaltlichen Herausforderungen existieren bei der Implementierung von Partizipation in Schulen, und welche Rolle spielen hierbei Lehrkräfte? Wie kann die Partizipation von Schüler*innen in der Schule gestärkt werden, insbesondere in Bezug auf marginalisierte Gruppen? Und zuletzt, wie verändert sich die Rolle der Schule in einer Gesellschaft, die aktive Bürgerbeteiligung betont? Übergreifend werden Potenziale diskutiert, mit denen schulische Mitbestimmungsprozesse an diese aktuellen Herausforderungen angepasst werden können.

Beitrag 1 untersucht Schulen in Oberösterreich. Trotz gesetzlicher Verankerung in Österreich mangelt es an Daten zur tatsächlichen Praxis der Demokratiebildung in Schulen, die Schüler*innen darauf vorbereiten soll, demokratische Werte zu vertreten und sie gegen Manipulationen zu schützen. Die Studie basiert auf einer repräsentativen Befragung von 14- bis 16-jährigen Schüler*innen. Erste Ergebnisse zeigen, dass Schulen eher Wissen über Demokratie vermitteln, statt aktive Beteiligung zu fördern. Insbesondere die Rolle der Lehrkräfte hat einen starken Einfluss auf die Demokratiebildung, während individuelle Faktoren der Schüler*innen weniger relevant sind. Es zeichnet sich ein Spannungsverhältnis zwischen einem normativen Anspruch auf Demokratiebildung und ihrer praktischen Umsetzung in Schulen ab.

Beitrag 2 untersucht die Partizipation von Schüler*innen in Schulen in Nordrhein-Westfalen aus Perspektive von Lehrkräften. Genutzt wird der Teildatensatz Nordrhein-Westfalen der International Civic and Citizenship Education Study (ICCS 2022), welcher repräsentative Daten für 2.896 Lehrkräfte aller Schulformen bereitstellt. Die Daten beziehen sich darauf, in welchem Ausmaß Schülerinnen von Lehrkräften in Entscheidungen eingebunden werden, wie beispielsweise in die Planung von Unterricht oder die Aufstellung von Klassenregeln. Erste Ergebnisse zeigten schulform-spezifische Unterschiede, mit stärkerer Einbindung von Schüler*innen an Gymnasien. Weiter erweisen sich ein günstigerer Sozialindex und der Anteil von Schüler*innen mit Migrationshintergrund als relevant. Die abschließenden Analysen sollen weitere Einblicke in den Einfluss sozialer Faktoren auf die Partizipation liefern.

Beitrag 3 analysiert die wissenschaftliche Begleitung des Programms „Demokratie leben“. Auf Grundlage von Befragungen und Interviews von rund 75 Modellprojekten im Bereich Vielfaltgestaltung und Antidiskriminierung werden Herausforderungen und Möglichkeiten dargestellt, wie in Schulen die Partizipation von durch Diskriminierung Betroffene, sowohl Schüler*innen als auch Lehrende, erhöht werden kann. Insbesondere wird skizziert, welchen Beitrag zivilgesellschaftliche Initiativen zur Demokratisierung von Schulen und diversitätsorientierter Schulentwicklung leisten können.

Beitrag 4 wechselt den Fokus auf Beteiligungsprozesse außerhalb der Schule. Vor dem Hintergrund, dass Jugendliche maßgeblich vom Klimawandel betroffen sein werden und weltweit ihr Recht auf Mitbestimmung fordern, rückt „Jugend“ als Kategorie der Marginalisierung in den Vordergrund. Analysiert wird die Beteiligung junger Menschen in transnationalen Netzwerken und die Nutzung sozialer Medien zur Kommunikation ihrer Klimaforderungen. Methodisch werden Texte und Videos rund um die Klimarahmenkonvention sowie Twitterdaten von Klimakonferenzen analysiert. Ergebnisse zeigen, dass Jugendliche sowohl formale institutionelle Angebote der Partizipation nutzen als auch Protestformen initiieren. Dies mündet in einer Notwendigkeit einer breiteren Palette von Beteiligungsmöglichkeiten in Schulen. Die Studie betont zudem, dass traditionelle Partizipationstheorien erweitert werden müssen, um die transnationale Dimension der Jugendbeteiligung zu berücksichtigen.

 

Beiträge des Symposiums

 

Demokratiebildung an oberösterreichischen Schulen zwischen Anspruch und Realität

Manuela Gamsjäger
Pädagogische Hochschule Oberösterreich

Hintergrund

Die gegenwärtigen globalen Herausforderungen wie die Klimakrise oder der Krieg in der Ukraine unterstreichen in eindringlicher Weise die unverzichtbare Rolle von mündigen Bürger*innen für die Stabilisation demokratischer Gesellschaften. Dabei erweisen sich Fähigkeiten zur Toleranz, Diskursfähigkeit, Mündigkeit und Partizipationskompetenz als entscheidend für die Bewältigung dieser Krisen. Da die Fähigkeit zum demokratischen Handeln uns Menschen nicht angeboren ist und in jeder Generation neu erworben werden muss (Baacke & Brücher, 1982, Betz et al., 2010), wird Demokratiebildung zu einer zentralen Aufgabe der Schule (Council of Europe, 2010). Durch Demokratiebildung als Querschnittsaufgabe von Schule sollen junge Menschen verstehen, wie Demokratie funktioniert und gegenüber populistischen Manipulationen widerstandsfähig werden sowie demokratische Werte und Normen wie die Gleichwertigkeit aller Menschen oder das Anerkennen von unterschiedlichen Interessen übernehmen und Vertrauen in die Insitutionen der Demokratie entwickeln.

Entsprechend wird Demokratiebildung lerntheoretisch als das erfahrungsbasierte Lernen von demokratischen Prinzipien bestimmt. Daher gilt es nicht nur allgemeine kognitive Fähigkeiten, sondern auch affektiv-moralische Einstellungen sowie praktisch-instrumentelle Fertigkeiten zu vermitteln (z.B. Himmelmann & Lange, 2005). Demokratiebildung ist daher nicht nur ein Lernen über Demokratie, sondern erfordert vor allem auch Partizipation und Mitbestimmung in der Schule. In dieser Perspektive wird Schule zur "embryonic society" (Dewey, 1907, S. 32), zu einem Ort für die reflektierte Entwicklung der Schüler*innen, um sie auf das Leben in der Gesellschaft vorzubereiten. Dieses Verständnis der Demokratiebildung als Förderung handlungsorientierter Kompetenzen über eine aktive Teilhabe ist in Österreich breit in Lehrplänen und Schulgesetzen verankert. Zusätzlich ist das Recht auf die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern an Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, durch die Kinderrechtskonvention rechtlich verankert (Welt & Lundy, 2013).

Fragestellung

Für Österreich liegen allerdings bislang kaum Daten darüber vor, inwieweit Schulen ein Ort der Demokratiebildung sind. Studien zur Mitbestimmung von Schüler*innen lassen aber auf eine marginale Mitbestimmung schließen (Gamsjäger & Wetzelhütter, 2020). Vor diesem Kontext stellt sich die Frage, inwieweit Schüler*innen in Österreich Demokratiebildung erfahren. Entsprechend geht der Beitrag zu Beginn der Frage nach, inwieweit Schulen Orte sind, an denen Schüler*innen Demokratiebildung erfahren und zeigt, inwiefern Schüler*innen demokratische Prinzipien einüben, in Entscheidungsprozesse einbezogen werden und ob die Beteiligung an Entscheidungsprozessen in der Schule mit diesem Lernen über Demokratie einhergeht. Daran anschließend werden Zusammenhänge zwischen der Umsetzung von Demokratiebildung mit der schulischen Ebene (positives Verhalten der Lehrkräfte) und der Schüler*innenebene (sozioökonomischer Hintergrund, Geschlecht, politisches Interesse und Schulleistungen) untersucht, um mögliche Einflussfaktoren bestimmen bzw. ausschließen zu können.

Methode

Die korrelative Studie basiert auf einer repräsentativen, quantitativen Befragung von Schüler*innen im Alter von 14 bis 16 Jahren aus Oberösterreich. Die Erhebung wurde als bundeslandspezifischer Teil der österreichweiten Studie " Lebenswelten 2020 – Werthaltungen junger Menschen in Österreich« (Jugendforschung Pädagogische Hochschulen Österreichs, 2021) generiert. Mit Ausnahme der landwirtschaftlichen Schulen (hier wurde eine Vollerhebung angestrebt) wurde für Oberösterreich eine kombinierte, proportional geschichtete Zufallsauswahl getroffen (Meusburger et al., 2021). Die Daten wurden entlang der Verteilung relevanter Merkmale (z.B. Schultyp, Geschlecht) in der Grundgesamtheit gewichtet.

Ergebnisse

Die vorläufigen Ergebnisse dieser Untersuchung deuten darauf hin, dass Schulen in erster Linie Orte des Lernens über Demokratie sind, während die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an Entscheidungsprozessen begrenzt ist. Als bedeutende Einflussfaktoren für die Umsetzung von Demokratiebildung erweist sich die schulische Ebene, während individuelle Faktoren kaum eine Rolle spielen. Ausgehend von den Ergebnissen diskutiert der Beitrag unter Einbeziehung von Studien aus anderen Ländern die zentrale Rolle der Lehrkräfte bei der Förderung von Demokratiebildung und die Notwendigkeit einer stärkeren Betonung von partizipativen Elementen. Damit wird für das Symposium das Spannungsverhältnis zwischen der gesetzlichen Forderung nach Demokratiebildung und der geringen praktischen Umsetzung sowie die daraus abzuleitende Forderung nach einer umfassenderen Umsetzung von Demokratiebildung im Schulalltag aufbereitet und zur Diskussion gestellt.

 

Beteiligung von Schüler*innen aus Perspektive der Lehrkräfte – Schulform- und Kompositionseffekte

Daniel Deimel
Universität Duisburg-Essen

Hintergrund

Partizipation von Schüler*innen in der Schule ist zentral zur Gewährung basaler Beteiligungsrechte junger Menschen sowie als Lerngelegenheit im Rahmen schulischer politischer Sozialisation (Hahn-Laudenberg et al., 2020). Das Ausmaß dieser Partizipation ist wesentlich davon abhängig, inwiefern sie von Seiten der Lehrenden gewährt wird (Feichter, 2020). Insbesondere strukturelle Aspekte wie Schulform und Schulgröße erweisen sich relevant für die Nutzung von Partizipationsangeboten (Hahn-Laudenberg & Deimel, 2022). Es muss anerkannt werden, dass Schulgesetze (exemplarisch: SchulG Nordrhein-Westfalen) Partizipationsformen für Schüler*innen vorsehen können, die direkt in das unterrichtliche Kerngeschehen der Schule eingreifen. Allerdings bedeutet eine institutionalisierte Mitbestimmung nicht zwangsläufig die Unabhängigkeit von informellen Kommunikations- und Entscheidungsprozessen, die an individuelle Merkmale gekoppelt sein können (Gamsjäger et al., 2013).

Ein Kernaspekt zur institutionalisierten Mitbestimmung über Unterricht sind z. B. die Fachkonferenzen (§70 SchulG NRW). Dort beraten Lehrkräfte, Eltern und Schüler*innen über fachspezifische Lerninhalte, Methodik, Lernmittel und Grundsätze zur Leistungsbewertung. Zudem ist der individuelle pädagogische Gestaltungsrahmen der Lehrkräfte (§29 SchulG NRW) zur Auswahl konkreter Unterrichtsinhalte und Methoden relevant. Allerdings muss festgehalten werden, dass eine prinzipielle rechtliche Ermöglichung von Partizipation (auch) auf unterrichtlicher Ebene nicht zwangsläufig in realer Mitgestaltung mündet.

Eine weitere Möglichkeit zur Beteiligung von Schüler*innen besteht darin, sie in der Mitgestaltung von Regeln im Sinne einer effektiven Klassenführung zu beteiligen, die auf einen relativ störungsarmen Unterricht abzielt (Seidel, 2009). Diese Form der Mitgestaltung zeigt exemplarisch die Ambivalenz schulischer Partizipation: Klassenregeln werden oft nicht ergebnisoffen verhandelt, sondern beschränken sich zumeist auf internalisierte Verhaltenserwartungen im Sinne eines doing student (Budde et al., 2016). Unzureichende Reflexion des real eingeräumten Partizipationsspielraumes durch Lehrkräfte birgt somit auch die Gefahr einer Pseudopartizipation (Oser & Biedermann, 2006).

Zielsetzung

Dieser Beitrag untersucht, inwiefern schulstrukturelle Merkmale mit dem Ausmaß der Gewährung schulrechtlich verankerter Beteiligungsmöglichkeiten einhergehen. Aufgrund der hohen Bedeutsamkeit schulischer Partizipationsprozesse im Rahmen der politischen Sozialisation (Keating & Janmaat, 2016) ist die Beantwortung dieser Frage nicht zuletzt in Hinblick auf Chancengerechtigkeit politischer Teilhabe wichtig. Weiter trägt eine Einbindung vielfältiger Perspektiven dazu bei, gerade auch einzigartige Perspektive und Bedürfnisse marginalisierter Jugendlicher im schulischen Umfeld zu berücksichtigen. Eine Beteiligung unabhängig von demografischen Merkmalen ist somit entscheidend, um eine gerechtere und inklusivere Bildung für alle zu schaffen.

Methode

Mit dem aktuellen Datensatz der International Civic and Citizenship Education Study (ICCS 2022, Sperrfirst 28.11.2023) liegen repräsentative Daten für N = 2.896 Lehrkräfte an 143 Schulen aller Schulformen in Nordrhein-Westfalen vor, die im Schuljahr 2021/22 eine achte Klasse unterrichtet haben. Eine zentrale Frage bezog sich auf das Ausmaß, inwieweit Schüler*innen durch Lehrkräfte in verschiedene Partizipationsmöglichkeiten eingebunden werden. Diese nutzte ein vierstufiges Antwortformat („In großem Ausmaß“, „In mittlerem Ausmaß“, „In geringem Ausmaß“, „Gar nicht“) und bezog sich auf verschiedenen Aktivitäten, etwa Entscheidungen über Lerninhalte, Auswahl von Unterrichtsmaterialien oder der Aufstellung von Klassenregeln. Neben deskriptiven Analysen nutzt der Beitrag ein regressionsanalytisches Verfahren, um Zusammenhänge zu schulstrukturellen Merkmalen, wie der Schulform, der Trägerschaft (öffentlich / privat), dem Anteil der Schülerschaft mit Migrationsgeschichte sowie dem schulscharfen Sozialindex der Schulen (Schräpler & Jeworutzki, 2021) zu beschreiben.

Ergebnisse & Diskussion

Erste Ergebnisse auf Grundlage der ungewichteten Feldtest-Daten zeigen schulform-spezifische Unterschiede sowie übergreifende Gemeinsamkeiten. Während an allen Schulformen Schüler*innen gleichermaßen in die Aufstellung von Regeln eingebunden waren, wurde vor allem an Gymnasien beschrieben, dass Schüler*innen in der Auswahl von Materialien und Entscheidungen über Lerninhalte mitwirken konnten. Weiter zeigt sich unter Kontrolle der Schulform, dass eine stärkere Einbindung von Schüler*innen an Schulen mit günstigerem Sozialindex sowie einem geringeren Anteil von Schüler*innen mit Migrationshintergrund beobachtbar ist.

Dies greift erneut die Frage auf, inwieweit vor allem junge Menschen aus benachteiligenden Kontexten in der Mitgestaltung des unterrichtlichen Alltags eingebunden werden. Die Analysen mit den vollständigen und repräsentativen Daten der Hauptstudie werden es erlauben, Erfordernisse in der Lehrkräfte-Bildung für alle Schulformen zu formulieren.

 

Diskriminierungskritik und Partizipation: welchen Beitrag leisten zivilgesellschaftliche Initiativen zur Demokratisierung von Schulen und diversitätsorientierter Schulentwicklung?

Anja Schöll
Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM)

Diskriminierungserfahrungen aufgrund von Merkmalen wie Gender, Gesundheit und Befähigung, Klasse, Religionszugehörigkeit, Hautfarbe, Migrationsgeschichte und weiterer Differenzmerkmale wirken sich negativ auf die Identitätsbildung, Leistung und Persönlichkeitsentwicklung von Schüler*innen aus und sind oft noch Jahre später wirksam (Fereidooni, 2011; Celeste et al., 2019; Griesing et al., 2022). Diese diskriminierenden Praktiken beruhen auf historisch gewachsenen Macht- und Ungleichverhältnissen, die sich in allen Gesellschaftsbereichen zeigen (Fathi & Sirin, 2019). Schulen sind Räume, die von asymmetrischen Machtdynamiken geprägt sind. Hierarchische Machtverhältnisse zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen verschränken sich mit Diskriminierungsmerkmalen und strukturelle als auch individuelle Diskriminierungsdynamiken tragen zu sozialer Ungleichheit, Chancenungleichheit und mithin erschwerter Partizipation für marginalisierte Schüler*innen bei (Gomolla & Radtke, 2002; Fereidooni, 2011). Dies macht eine intersektionale Perspektive auf Partizipation im Schulkontext notwendig (Vennemeyer, 2019).

Demokratisch sein heißt auch, diskriminierungskritisch und diversitätssensibel zu sein (DeGeDe, 2023). Demokratische Erfahrungen wie Selbstwirksamkeit, Teilhabe, Wertschätzungen von Lebensrealitäten, Mitbestimmung und Zugehörigkeit sind von großer Bedeutung, um Kinder und Jugendliche zu fördern, sich zu demokratisch orientierten Erwachsenen zu entwickeln (Foitzik, Holland-Cunz & Riecke, 2019; Achour & Gill, 2023). Eine demokratische Grundhaltung macht aber nicht automatisch diskriminierungskritisch, sondern Diskriminierungskritik ist eine aktive Praxis bestehend aus verlernen, erlernen und einüben – sowohl auf individueller und kollektiver als auch institutioneller und struktureller Ebene (Kourabas & Mecheril, 2022).

Es stellt sich die Frage, wie Schulen sich aufstellen können, um Chancen und Partizipation für alle Schüler*innen gleichermaßen zu ermöglichen und welchen Beitrag zivilgesellschaftliche Akteure dabei leisten können, Schule demokratischer und partizipativer zu machen und dabei Diversität und Diskriminierungskritik auf allen Ebenen mitzudenken.

Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung der Modellprojekte des Handlungsfeldes „Vielfaltgestaltung“ des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ (2020-2024) werden Fallstudien, leitfadengestützte Interviews, Fokusgruppen und quantitative Befragungen mit rund 75 zivilgesellschaftlichen Initiativen durchgeführt. Diese sind insbesondere in der schulischen und außerschulischen politischen Bildung tätig, um unter anderem demokratiebildende, diversitätsorientierte und diskriminierungskritische Veränderungsprozesse an und in Kooperation mit Schulen zu erreichen. Der Vortrag bezieht sich auf Daten und Ergebnisse von Erhebungen mit Schwerpunkten zu pädagogischen Ansätzen von 2022 (Weiberg et al., im Erscheinen), wofür narrative Interviews und teilnehmende Beobachtungen eingesetzt wurden, sowie zu Transfer und Organisationsentwicklung von 2023, wofür auch regelstrukturelle Institutionen befragt wurden.

Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass demokratiepädagogische und diskriminierungskritische Bildungsarbeit sich methodisch und inhaltlich mit diversitätssensibler Schulentwicklung ergänzt. Zivilgesellschaftliche Organisationen bringen pädagogische Formate an die Schulen, wo oft noch wenig Expertise in Anti-Diskriminierungsarbeit besteht. Es werden Materialien und Werkzeuge in den Themenfeldern Anti-muslimischer Rassismus, Antisemitismus, Homo- und Trans*feindlichkeit, Antiziganismus und Rassismus erarbeitet, die in Schulen transferiert werden sollen, um bei Schüler*innen als auch Lehrkräften für Diskriminierung und Diversität zu sensibilisieren und Empowerment zu ermöglichen. Insbesondere durch Empowermentansätze findet eine Erweiterung des Partizipationsverständnisses statt. Die oft neuen Ansätze der Modellprojekte setzen zunächst auf Ebene des Individuums an und sind charakterisiert durch Praxisnähe und affektivem Erfahrungslernen. Gleichzeitig wird deutlich, dass Veränderungsbereitschaft der Schulen notwendig ist, um institutionell auf allen Hierarchieebenen sowohl Diversitätsorientierung und Diskriminierungskritik als auch aus dieser Ausrichtung hervorgehende Partizipationsmöglichkeiten und Lern- und Empowermenträume nachhaltig zu verankern. In Kooperationen mit Schulen werden mit zivilgesellschaftlicher Unterstützung diskriminierungskritische Standards, diversitätsorientiertes Personalmanagement und das Schaffen von Beschwerde- und Präventionsmechanismen angestrebt.

Demokratiebildung und diskriminierungskritische Bildungsarbeit muss gemeinsam gedacht, aber nicht gleichgesetzt werden: Anti-Diskriminierungsarbeit führt nicht per se zu demokratischer Beteiligung, aber ohne Anti-Diskriminierungsarbeit kann keine Chancengleichheit und Beteiligung für alle erreicht werden. Genauso führen Partizipationsmöglichkeiten und demokratische Beteiligungsformate nur zum Abbau von Chancenungleichheit, wenn strukturelle Diskriminierung mitgedacht wird. Zivilgesellschaftliche Akteure und außerschulische Bildungsarbeit können Schulen dabei unterstützen, die Themen Anti-Diskriminierung strukturell umzusetzen und zu institutionalisieren, um Partizipation für Schüler*innen zu ermöglichen und dabei auch Diskriminierungsschutz zu etablieren.

 

Transnationale Partizipation junger Menschen in der Klimapolitik

Nina Kolleck1, Johannes Schuster2
1Universität Potsdam, 2Universität Leipzig

Jugendliche gehören zu den am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffenen Gruppen. In jüngster Zeit organisieren sie sich weltweit und fordern aktiv ihr Recht auf Mitbestimmung in Bezug auf ihre Zukunft im Kampf gegen den Klimawandel ein (Thew et al. 2021). Gerade Schüler*innen scheinen darin neue Beteiligungsformen zu erproben. Dieser Artikel präsentiert die Ergebnisse einer empirischen Studie zur Beteiligung von Jugendlichen an transnationalen Netzwerken im Kontext des Klimawandels. In der vorliegenden Studie haben wir untersucht, wie Jugendliche soziale Medien nutzen, um ihre Klimaforderungen zu kommunizieren und wie sie in transnationalen politischen Netzwerken, bestehend aus verschiedenen institutionellen und individuellen Akteuren aktiv werden (Kolleck & Schuster 2022).

Unsere Studie basiert auf einem theoretischen Rahmen, der Partizipationstheorien (Cahill & Dadvand 2018) um politiknetzwerktheoretische Ansätze erweitert (Rhodes 2008; Ball 2012). Dies erlaubt es uns, die relationale Dimension von Jugendpartizipation innerhalb der Klimabewegung zu erfassen. Methodisch nutzen wir ein Mixed-Methods-Design. Hierzu werden in einem ersten Schritt Texte und Videos rund um die Klimarahmenkonvention analysiert, um zentrale Akteure und Themen zu identifizieren. In einem zweiten Schritt werden Twitterdaten von drei Klimakonferenzen (2018, 2019 und 2021) mit Hilfe von sozialer Netzwerkanalyse (Borgatti et al. 2018) analysiert, um weitere zentrale Akteure und ihre Rollen herauszuarbeiten und die zuvor bereits identifizierten Akteure weiter beschreiben zu können.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Beteiligung von Jugendlichen an Klimapolitik auf verschiedene Weisen erfolgt. Einerseits unterstützen internationale Organisationen aktiv die Einbindung von Jugendlichen in globale politische Prozesse, um ihre Stimmen zu hören. Die Jugendlichen wiederum nutzen diese formal-institutionellen Angebote der Partizipation, zum Beispiel im Rahmen der von der Klimarahmenkonvention organisierten Konferenz für junge Menschen (YOUNGO). Hierbei beteiligen sich Jugendliche aktiv an den Diskussionen und Verhandlungen über Klimapolitik auf globaler Ebene, können darüber direkt auf politische Entscheidungsträger einwirken und ihre Standpunkte in internationalen Foren vertreten. Andererseits formen Jugendliche selbst transnationale soziale Bewegungen und stellen sich explizit (inter)nationalen Organisationen und formalen Institutionen entgegen (Schulschwänzen). Diese Protestformen sind Ausdruck ihres Drucks auf Bildungseinrichtungen, um den Klimawandel als dringendes Thema in den Lehrplänen zu verankern und den Ernst der Situation anzuerkennen.

Die Ergebnisse unserer Studie haben weitreichende Implikationen für die Schule und die Bildungspolitik. Sie deuten darauf hin, dass herkömmliche Ansätze zur Erforschung von Jugendbeteiligung ihre Grenzen haben, insbesondere wenn es um transnationale Formen der Partizipation geht. Die Tatsache, dass junge Menschen sowohl Protestformen gegen formale Institutionen wie die Schule als auch formale institutionelle Partizipationsangebote nutzen, zeigt die Komplexität und Vielfalt der heutigen Jugendbeteiligung. Für die Schule bedeutet dies, dass sie sich mit den sich verändernden Erwartungen und Bedürfnissen junger Menschen in Bezug auf ihre Beteiligung an gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen muss. Die traditionelle Vorstellung von Partizipation, die sich auf schulische Gremien und Projekte beschränkt, reicht nicht mehr aus. Schulen sollten sich stärker bemühen, eine breitere Palette von Beteiligungsmöglichkeiten anzubieten, die den vielfältigen Ansätzen junger Menschen gerecht werden.

Darüber hinaus zeigt unsere Studie, dass übliche Partizipationstheorien nicht mehr ausreichen, um die aktuellen Formen der Jugendbeteiligung zu erklären. Wir zeigen, wie neuere Ansätze aus der Politikwissenschaft integriert werden können, um solche Formen der Jugendbeteiligung angemessen zu verstehen und zu analysieren. Insgesamt sollten Schulen und Bildungseinrichtungen erkennen, dass die Partizipation junger Menschen nicht länger auf den Klassenzimmerkontext beschränkt ist, sondern sich auf transnationale Ebene erstreckt. Schließlich hebt die Studie die Bedeutung der Frage nach den "Zugängen zu Partizipationsmöglichkeiten" hervor. Jugendliche wählen alternative Partizipationsformen, weil sie ihre wichtigsten Anliegen in schulischen Prozessen unzureichend repräsentiert sehen. Die Studie weist zudem auf soziale (Selbst)selektion hin, die mit außerschulischen Partizipationsprozessen, insbesondere im Kontext internationaler Klimakonferenzen, einhergehen kann. Dies könnte bedeuten, dass die Präferenzen der Jugendlichen für außerschulische Partizipationsformen Rückschlüsse auf ihre Wünsche in institutionalisierten Bildungsprozessen ermöglichen, die eine breitere Zielgruppe erreichen könnten.



 
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