Conference Agenda

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Session Overview
Session
3-18: Multimethodische Perspektiven auf Studienwahl und Studiumsverläufe
Time:
Monday, 18/Mar/2024:
3:20pm - 5:00pm

Location: S22

Seminarraum, 50 TN

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Presentations
Paper Session

Wo braucht es Orientierung? - Eine gesamtheitliche Kategorisierung der Orientierungsbedarfe von Schüler*innen bei der Berufs- und Studienwahl

Tillmann Woller, Stefan Janke, Karina Karst

Universität Mannheim, Deutschland

Der Anteil an Schüler*innen in gymnasialen Oberstufen steigt (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2018). Schüler*innen die mit ihrem Schulabschluss eine (Fach-) Hochschulzugangsberechtigung erwerben, stehen eine Vielzahl von Bildungswegen offen. Zentrale Stellen betonen in Anbetracht der schwer überschaubaren Auswahlmöglichkeiten, dass der Orientierungsprozess „bedarfsgerecht begleitet werden“ solle (KMK, 2017). Zahlreiche Forschungsarbeiten (Henderich 2005, Zoyke 2012, Hirschi 2013, Zoyke 2017) unterstreichen die Wichtigkeit einer Individualisierung des Studien- und Berufsorientierungsprozesses, im Sinne einer Ausrichtung nach den Bedarfen der einzelnen Schüler*innen. Die Herausforderung besteht entsprechend darin Prozeduren zu entwickeln, die beratende Personen dabei unterstützen, individuelle Bedarfe von Schüler*innen präzise diagnostizieren zu können. Daran anknüpfend zielt diese Untersuchung darauf ab, die Gesamtheit möglicher Orientierungsbedarfe sowohl zu erfassen als auch zu kategorisieren. Mit Hilfe des dadurch generierten Überblickswissens sollen beratende Personen Schüler*innen besser in ihrem Orientierungsprozess unterstützen können. Die zentrale Forschungsfrage lautet: Was sind die Bedarfe von Schüler*innen während des Berufs- und Studienorientierungsprozesses und wie lassen sie sich zum Einsatz in der Orientierungspraxis kategorisieren?

Methodisch folgten wir den Grundprinzipien der Grounded Theory, um einen umfassenden Blick auf das Phänomen der Orientierungsbedarfe zu gewinnen (Corbin & Strauss, 2015). Da zu erwarten ist, dass Schüler*innen selbst ein eher eingeschränktes Verständnis von einem optimalen Orientierungsprozess haben, werden die Beratungsbedarfe aus Sicht von Expert*innen für Studien- und Berufsberatung analysiert. Hierzu wurden leitfadenbasierte, semi-strukturierte Expert*inneninterviews geführt. Gemäß des Prinzips des theoretical sampling (Corbin & Strauss, 2015) wurden 21 Akteure identifiziert, welche die Orientierungslandschaft für Schüler*innen mit dem Abschlussziel Hochschulzugangsberechtigung möglichst umfassend abbilden, und schließlich befragt. Es wurden Interviews mit sechs BO-Lehrkräften, drei Berufsberater*innen der Bundesagentur für Arbeit, zwei Akteuren von Kammern, jeweils einem Mitglied von Schule-Wirtschaft Baden-Württemberg und der G.b.R. BoriS, einer Verwaltungsangestellten, die kommunal den Übergang Schule-Beruf organisiert sowie sieben Studienberater*innen unterschiedlicher Hochschularten zwischen März und September 2023 durchgeführt. Jedes Interview wurde in einer Audiodatei aufgezeichnet (durchschnittlich 41:31 Minuten) und anschließend transkribiert (Dresing & Pehl, 2020). Die Interviewtranskripte bilden einen Datenkorpus, welcher mittels einer typenbildenden qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz & Rädiker, 2020) in MAXQDA ausgewertet wurde.

Die von den Interviewpartner*innen benannten Bedarfe wurden in vier Dimensionen kategorisiert. (1) Die erste Dimension lautet Selbst- und Sozialbedarfe, welche die Subkategorien Selbstreflexion, Entscheidungsprozessbedarfe und Persistenzbedarfe umfasst. Ein Selbstreflexionsbedarf ist beispielsweise, seine eigenen Interessen zu kennen. Mit einem Unsicherheitsgefühl umgehen zu können, ist ein Entscheidungsprozessbedarf. Als Persistenzbedarf gilt z.B., dass sich Schüler*innen an Regeln halten können sollten. (2) Die zweite Dimension sind Informationsbedarfe, welche einerseits Wissen über die Recherche und Ausgestaltung von Orientierungsangeboten und andererseits über potenzielle Bildungsgangsoptionen beinhaltet. Ein Bedarf der Subkategorie Wissen über Orientierungsangebote ist beispielsweise, Webseiten zu kennen, über die man Studiengänge finden kann. Die Entscheidung, ob man eine Ausbildung oder ein Studium beginnen möchte, ist ein Bildungsgangsoptionsbedarf. (3) Die dritte Dimension beinhaltet Bedarfe nach studien- und berufspraktischem Wissen, wie etwa den beruflichen Alltag eines potenziellen Zielberufs kennen zu lernen. (4) Dimension vier sind Übergangsorganisationsbedarfe, welche die drei Subkategorien finanzielle Planung, Organisation des Wohnorts und das Bewerbungsverfahren für den weiterführenden Bildungsgang enthalten. Ein finanzieller Planungsbedarf ist z.B. die Beantragung eines Studienkredits. Zur Organisation des Wohnorts kann der Bedarf bestehen, einen Studentenwohnheimsplatz zu beantragen. Für die Organisation des Bewerbungsverfahrens sollten die Bewerbungsfristen bekannt sein.

Abschließend werden Bezüge der explorierten Bedarfe zu gängigen Theorien zur Berufs- und Studienwahl sowie zu Konstrukten, wie Berufswahlbereitschaft (Ratschinski, 2014) oder Berufswahlkompetenz (Driesel-Lange et al., 2010) diskutiert.

Um die Bedarfe in den orientierungspraktischen Kontext transferieren zu können, wurde zu jedem Bedarf ein entsprechendes Lernziel formuliert. Zusätzlich wurden alle Bedarfe mittels zweier Merkmale typologisiert: erstens der Bedarfsdimension und entsprechender Subkategorien und zweitens anhand des Anforderungsbereichs des aus dem Bedarf abgeleiteten Lernziels. Die daraus gewonnene Typologisierung der Bedarfe wird auf der GEBF vorgestellt und deren theoretische sowie Orientierungspraktische Implikationen sollen erörtert werden.



Paper Session

Erfahrungen und Strategien von Erstakademiker*innen im Studium – Wirkung und Effektivität von Förderprogrammen

Lea Raczkowski, Tina Seufert

Universität Ulm / Institut für Psychologie und Pädagogik, Deutschland

Herkunftsspezifische Disparitäten beim Übergang in die Hochschule und innerhalb der akademischen Ausbildung sind bereits umfassend erforscht (vgl. z. B. Buchholz et al. 2022; Lörz et al. 2015). Kinder aus Nichtakademikerfamilien besuchen seltener ein Gymnasium, erwerben seltener die Hochschulreife (vgl. Autor*innengruppe Bildungsberichterstattung 2022, S. 203) und nehmen weniger häufig ein Hochschulstudium auf (vgl. Quast et al. 2023). Auch im weiteren Verlauf der Hochschulausbildung sind Erstakademiker*innen unterrepräsentiert (vgl. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft & McKinsey & Company 2022, S. 13). Die Gruppe der Erstakademiker*innen setzt sich aus unterschiedlichen Milieus zusammen, die divergierende Lebensführungen und Erfahrungen aufweisen (vgl. Lange-Vester 2020, S. 398). Alle eint jedoch ihre soziale Herkunft außerhalb des akademischen Feldes mit seinen distinktiven Habitus-Mustern (vgl. ebd.). Zumeist erleben Erstakademiker*innen ein Gefühl von Fremdheit und zweifeln an ihrer Zugehörigkeit zum akademischen Umfeld (vgl. ebd.; vgl. Hild 2019). Eine Studie zur Effektivität von NRW-Talentscouting zeigt, dass beratungsintensive Förderangebote zur Verringerung sozialer Bildungsungleichheit beitragen können (vgl. Erdmann et al. 2022a, 2022b). Jedoch fehlen bislang flächendeckende Erkenntnisse zur Wirksamkeit solcher Angebote. Ziel dieser Arbeit ist es, die Erfahrungen und Umgangsweisen von Erstakademiker*innen im Hochschulstudium zu ermitteln und die Effektivität von Förderprogrammen am Beispiel des Vereins First Generation Aachen e.V. zu prüfen. Dieses dient den Geförderten als Hilfestellung im Umgang mit ihren Herausforderungen im Studium und setzt sich aus Mentoring und Workshops zusammen.

Für diese Arbeit wurden fünf Geförderte, drei Mentor*innen und zwei Coaches in Form von problemzentrierten Interviews (Witzel 2000) befragt. Die Auswertung der Interviewdaten erfolgte in Anlehnung an die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018). Nach der Durchsicht aller verschriftlichten Interviewdaten schloss die initiierende Textarbeit sowie das Verfassen der Fallzusammenfassungen an. Anschließend erfolgte die erste Kodierung des gesamten Materials anhand der thematischen Hauptkategorien, die sich aus den Themen der Interviewleitfäden ergaben. Nach der ersten Kodierung wurden alle kodierten Textstellen erneut gesichtet und in Subkategorien ausdifferenziert. Anschließend erhielt jede identifizierte Kategorie eine Kategoriendefinition und wurde zu einem Kategoriensystem zusammengefasst. Im Sinne Kuckartz (2018) erfolgte anschließend ein erneuter Kodierprozess mithilfe des ausdifferenzierten Kategoriensystems (vgl. ebd., S. 100). Nach Abschluss aller Kodierphasen wurden fallbezogene thematische Zusammenfassungen der Subkategorien innerhalb der Hauptkategorien vorgenommen. Diese dienten als Grundlage für die weitere kategorienbasierte Auswertung entlang der Hauptkategorien (vgl. ebd., S. 118). Hierzu wurden alle Subkategorien der jeweiligen Hauptkategorien deskriptiv und vergleichend dargelegt und mit prototypischen Zitaten aus den Transkripten untermauert (vgl. ebd., S. 118–119).

Die Ergebnisse zeigen, dass die Herausforderungen und Strategien von Erstakademiker*innen vielfältig sind. Die genannten Hürden reichen von Schwierigkeiten, die primär die innere Verfassung wie Emotionen, intrinsische Motivation oder Selbstregulation betreffen, bis hin zu ebenjenen, die eng mit mangelnden Ressourcen und äußeren Faktoren verbunden sind. Einige der Herausforderungen weisen eine enge Verknüpfung auf und beeinflussen sich wechselseitig. So wird der nicht mit den Eltern geteilte Erfahrungsraum Studium als Ursprung weiterer Herausforderungen beschrieben. Insbesondere Strategien im Zusammenhang mit sozialen Kontakten werden häufig genannt. Hierbei spielt die Unterstützung des Vereins eine wichtige Rolle. Die übergeordnete Herausforderung scheint dabei das Anerkennen der eigenen Identität als Erstakademiker*in zu sein. Das neugewonnene studentische Selbstverständnis und das Bewusstsein der Benachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft ist dabei Treiber eines inneren Konfliktes der Zugehörigkeit. Dies kann als Habitus-Struktur-Konflikt beschrieben werden, der seinerseits die Umgangsweisen mit den erlebten Herausforderungen prägt (vgl. Schmitt 2010). Da sich soziale Ungleichheit jedoch über die alltäglichen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster etabliert (vgl. Hild 2019, S. 427) ist das Konzept des Vereins, tief verwurzelte Glaubenssätze aufzulösen und die Bestärkung der Studierenden in den Fokus zu rücken, besonders sinnvoll. Solche Unterstützungsangebote, stellen einen Raum der Ermutigung dar, ohne die aus frühen Bildungsetappen verankerten Benachteiligungen auszuklammern. Darüber hinaus hilft die Förderung den Studierenden dabei Spannungsverhältnisse zwischen ihrem ‚bestehenden‘ und ‚neuen‘ Habitus auszuhalten.



Paper Session

Eltern- und Lehrpersonerwartungen sowie Leistungen und Anstrengungs-bereitschaft von Jugendlichen als Determinanten von intergenerationaler Bildungsmobilität

Markus P. Neuenschwander, Lukas Ramseier, Ariana Garrote

Pädagogische Hochschule FHNW, Schweiz

Theoretischer Hintergrund

In stratifizierten Ländern wie der Schweiz erreichen die meisten Jugendlichen den gleichen Bildungsabschluss wie ihre Eltern (Bauer & Riphahn, 2007; Blossfeld et al., 2016). Biografiestudien zeigten, dass neben Leistungen und Anstrengungsbereitschaft hohe Leistungserwartungen von Eltern und Lehrpersonen zur Erklärung der intergenerationalen Bildungsmobilität (d.h. Bildungsaufstieg und -abstieg) wichtig sind (Kellmer, 2015; Spiegler, 2018). Als Bildungsaufstieg wird definiert, wenn die Jugendlichen einen höheren Sek II-Abschluss als ihre Eltern erreicht haben. Ein Bildungsabstieg meint, dass sie einen tieferen Sek II-Abschluss als ihre Eltern erreicht haben. Die Häufigkeit von intergenerationaler Bildungsmobilität zeigt, wie sehr Herkunftseffekte auf Bildungsabschlüsse korrigiert werden können.

Im Schweizer Bildungssystem werden Jugendliche nach der Sekundarstufe I aufgrund ihrer Leistungen und Anstrengungsbereitschaft in eine allgemeinbildende Schule oder Berufsbildung zugewiesen. Die Durchlässigkeit zwischen diesen beiden Bildungskanälen ist gering (Babel & Lagana, 2016). Daher sind Leistungen und Anstrengungsbereitschaft in der Sekundarstufe I für den Sek II-Abschluss zentral.

Studien zu selbsterfüllenden Prophezeiungen zeigen, dass hohe Leistungserwartungen von Eltern und Lehrpersonen die Leistungen und Anstrengungsbereitschaft von Jugendlichen erhöhen (Wang et al., 2018; Urhahne & Wijnia, 2021). Leistungserwartungen von Eltern und Lehrpersonen könnten daher indirekt über die Leistungen und Anstrengungsbereitschaft der Jugendlichen einen Bildungsaufstieg bzw. Bildungsabstieg vorhersagen. Allerdings gibt es keine Längsschnittstudien, welche den Effekt von Leistungserwartungen von Eltern und Lehrpersonen zu Beginn der Sekundarstufe I auf die Wahrscheinlichkeit eines Bildungsaufstiegs und Bildungsabstiegs geprüft haben. Entsprechende Evidenzen könnten pädagogische Strategien begründen, um die Wahrscheinlichkeit von intergenerationaler Mobilität zu beeinflussen (Buchmann et al., 2020).

Fragestellung

Wie sehr sagen Leistungserwartungen von Lehrpersonen und Eltern im 7. Schuljahr die Wahrscheinlichkeit von Bildungsaufstiegen und Bildungsabstiegen vorher? Werden diese Effekte durch die Leistungen der Jugendlichen in Deutsch und Mathematik sowie ihre Anstrengungsbereitschaft mediiert?

Methode

Die Fragen wurden mit Längsschnittdaten der Schweizer WiSel-Studie bearbeitet. Lehrpersonen und Eltern füllten im 7. Schuljahr und Jugendliche im 9. Schuljahr einen Fragebogen aus. Ausgewertet wurden die Daten von allen Jugendlichen, die im 9. Schuljahr an der Studie teilnahmen (N=2376, weiblich =46.5%, Durchschnittsalter im 9. Schuljahr: 15.49 Jahre).

Leistungserwartungen der Eltern am Ende des 7. Schuljahres: Die Eltern schätzten mit je 3 Items ihre Erwartungen für Deutsch und Mathematik reliabel ein.

Die Elternangaben zu ihren höchsten Bildungsabschlüssen wurden gruppiert: (1) Mittelschulabschluss, (2), Berufsbildungsabschluss, (3) ohne Sek II-Abschluss.

Leistungserwartungen der Lehrpersonen im 7. Schuljahr: Lehrpersonen gaben ihre Erwartung an die Leistungen der Jugendlichen in Deutsch und Mathematik mit je einem Item an.

Die Leistungen der Jugendlichen in Deutsch und Mathematik im 7. Schuljahr wurden mit standardisierten reliablen Leistungstests erfasst und mit IRT analysiert (Moser et al., 2011).

Anstrengungsbereitschaft: Die Jugendlichen schätzten ihre Anstrengungsbereitschaft im 9. Schuljahr mit 4 Items in Anlehnung an Schmidt et al. (1998) ein (α = .89).

Den Fragebogendaten konnten die Bildungsabschlüsse der Jugendlichen fünf Jahre nach dem 9. Schuljahr aus amtlichen Strukturdaten zugeordnet werden: (1) Mittelschulabschluss, (2) Berufsbildungsabschluss, (3) ohne Sek II-Abschluss.

Die fehlenden Werte waren zufällig verteilt und wurden mit der FIML-Prozedur in Mplus 8 bearbeitet. Geschlecht, Staatsangehörigkeit und die Persönlichkeitseigenschaft Gewissenhaftigkeit wurden kontrolliert.

Ergebnisse

Strukturgleichungsmodelle mit guter Modellpassung zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Bildungsaufstiegs durch Anstrengungsbereitschaft und Leistungen signifikant erklärt werden kann. Indirekte Effekte der Lehrpersonenerwartungen und der Elternerwartungen im 7. Schuljahr auf die Wahrscheinlichkeit eines Bildungsabstiegs waren signifikant.

Das Modell zum Bildungsabstieg zeigte eine gute Modellpassung. Tiefe Anstrengungsbereitschaft und tiefe Leistungen sagten die Wahrscheinlichkeit eines Bildungsabstiegs signifikant vorher. Elternerwartungen und Lehrpersonenerwartungen sagten den Bildungsabstieg indirekt signifikant vorher.

Die Ergebnisse zeigen erstmals, dass hohe Bildungserwartungen von Eltern und Lehrpersonen an Jugendliche im 7. Schuljahr indirekt einen Bildungsaufstieg bzw. Bildungsabstieg 7 Jahre später vorhersagen. Die Effekte werden durch Leistungen und Anstrengungsbereitschaft vollständig mediiert. Die Befunde sind im Hinblick auf Massnahmen zur Erhöhung intergenerationaler Bildungsmobilität relevant.



Paper Session

Organisationales Commitment zum Ausbildungsbetrieb und Studienabbruch im dualen Studium – eine Ereignisanalyse

Wild Steffen1, Sebastian Rahn2, Meyer Thomas3

1Technische Universität Dortmund, Deutschland; 2htw saar, Deutschland; 3Duale Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Der Einfluss von den Ausbildungsstätten auf den Studienabbruch im dualen Studium, etwa vor dem Hintergrund der vielen Praxisphasen bei den Ausbildungsstätten, ist gering erforscht und theoretisch wenig elaboriert (Nickel et al., 2022). Erste Erklärungsansätze können sowohl aus der Hochschulforschung wie Bäulke et al. (2021), Heublein (2014) oder Tinto (1975) als auch aus der Berufsbildungsforschung wie Krötz und Deutscher (2022) herangezogen werden. In diesem Kontext stellt sich die Frage, welche Rolle die Verbundenheit, Zugehörigkeit und Identifikation mit einer Ausbildungsstätte für den Studienabbruch spielt. Angesichts der Argumentation von van Dick (2017) und Felfe (2020), dass bei höherem Commitment Freiräume für Engagement im Unternehmen besser genutzt werden oder Veränderungen sowie neue Entwicklungen eher akzeptiert werden, ist es verwunderlich, dass Commitment bisher in diesem Kontext ein Schattendasein fristet.

Der Side-Bets-Ansatz von Becker (1960) stellt rationale Kosten-Nutzen-Abwägungen in den Mittelpunkt der Commitmentforschung, während Mowday et al. (1982) die emotionale Komponente betonen. Meyer und Allen (1991) haben diese Ansätze zum Modell des organisationalem Commitments weiterentwickelt, das die drei Dimensionen des affektiven Commitments („wollen“), kalkulatorischen Commitments („müssen“) und normativen Commitments („sollen“) umfasst (Voigt & Jöns, 2006). Empirische Ergebnisse von Meyer et al. (2002) zeigen in einer Metaanalyse auf, dass der Zusammenhang zwischen affektivem Commitment und Leistungsergebnissen höher ist als bei den beiden anderen Komponenten des Commitments. Weitere Metaanalysen zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen dem organisationalen Commitment und Wohlbefinden bei der Arbeit (Kleine et al., 2019) sowie mit der Tätigkeit einer sinnvollen Arbeit (Allan et al., 2019).

Fragestellung

Das Risiko des Studienabbruchs ist im ersten Studienjahr am höchsten (Chen, 2012). Allerdings sind relevante Indikatoren von Seiten der Ausbildungsstätten im dualen Studium gering erforscht. Vor dem Hintergrund des bisherigen Forschungsstandes stellt sich daher die Frage, welchen Einfluss das organisationale Commitment im ersten Studienjahr auf den Studienabbruch hat. Im Einzelnen werden folgende Hypothesen untersucht

H1: Je höher das affektive Commitment ist, umso geringer ist das Risiko eines Studienabbruch bei einem Studierenden.

H2: Je höher das kalkulatorische Commitment ist, umso geringer ist das Risiko eines Studienabbruch bei einem Studierenden.

H3: Je höher das normative Commitment ist, umso geringer ist das Risiko eines Studienabbruch bei einem Studierenden.

Methode

Wir verwendeten die erhobene Daten der vierten Panelwelle des Forschungsprojekts „Studienverlauf – Weichenstellungen, Erfolgskriterien und Hürden im Verlauf des Studiums an der DHBW“ (Deuer & Meyer, 2020) mit 2,263 dual Studierenden aus dem ersten Studienjahr (März 2019) mit einmaliger Messung, d. h. Querschnittsdesign . Zum Ende des Studienjahres (30. September 2019) wurde von der Hochschulverwaltung die Information über 149 Studienabbrüche in den Datensatz integriert. Die gemessenen drei Skalen zum organisationalen Commitment basierend auf dem Instrument von Felfe et al. (2002) zeigen problematische bis ausgezeichnete Reliabilitäten (ω = .66–.88). Zur Analyse der Daten wurde eine Cox Regression verwendet (Schendera, 2014). Das Modell wurde mit den Variablen Alter, Abiturnote, Studienfach (Technik vs. Wirtschaft), Geschlecht, Bildungsherkunft und den drei psychologischen Grundbedürfnissen (Ryan & Deci, 2017) kontrolliert.

Ergebnisse

Die Analyse zeigt, dass die emotionale Komponente, hier das affektive Commitment (HR = 0.68; p ≤ .001), einen negativen Einfluss auf den Studienabbruch besitzt. Dagegen besitzen die Komponenten der rationale Kosten-Nutzen-Abwägungen, hier das kalkulatorische Commitment (HR = 0.98; p = .852) und das normative Commitment (HR = 1.10; p = .349), keinen signifikanten Effekt auf den Studienabbruch. Die Ergebnisse untermauern, dass das Commitment zum Ausbildungsbetrieb ein wichtiger Faktor ist, der in die theoretische Modellierung zum Studienabbruch bei dual Studierenden aufgenommen werden muss. Ausbildungsbetriebe könnten u.a. bei der Steigerung des affektiven Commitment ansetzen, etwa durch die Sensibilisierung von Ausbildungsleiter:innen, um einen Studienabbruch entgegenzuwirken. Zukünftige Studien zum Commitment sollten die Auswirkung, wie etwa auf einen Studienfachwechsel oder den Wechsel in eine berufliche Ausbildung, als abhängige Variable weiter aufgreifen.



 
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