Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
3-13: Covid-19 Pandemie
Zeit:
Montag, 18.03.2024:
15:20 - 17:00

Ort: S28

Seminarraum, 60 TN

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Präsentationen
Paper Session

Zum Zusammenhang von Lehr- und Lernbedingungen während der COVID-19-Pandemie mit den Lernergebnissen Jugendlicher: Eine kulturübergreifende Analyse anhand von PISA-Daten.

Giang Hong Pham*, Franziska Maria Locher*, Dimitra Kolovou, Eliane Arnold

Pädagogische Hochschule St.Gallen, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Die Lehr- und Lernbedingungen während der COVID-19-Pandemie waren beispiellos – Schulschließungen und digitaler Unterricht wurden den Bildungssystemen nahezu überall aufgezwungen (OECD, 2021). Die Meta-Analyse von Betthäuser et al. (2023) zeigt, dass sich der Lernfortschritt während der COVID-19-Pandemie erheblich verlangsamt hat. Zudem werfen die Bedingungen im Bildungsbereich während der COVID-19-Pandemie die Frage auf, ob diese Veränderungen zu noch größeren herkunftsbedingten Leistungsdisparitäten führen (Yun, 2023; Betthäuser et al., 2023; Donnelly & Patrinos, 2022; Goudeau et al., 2021), die sich seit den 1990er Jahren in vielen Ländern kontinuierlich vergrößert haben (s. Meta-Analyse von Liu et al., 2022). Darüber hinaus bleiben viele Fragen offen, z.B. inwieweit spezifische Lehr- und Lernbedingungen während der Zeit des pandemiebedingten irregulären Unterrichtens der negativen Leistungsentwicklung, insbesondere bei Schüler:innen mit niedrigem sozioökonomischem Status (SES), entgegenwirken können.

Forschungsfrage

Im Beitrag sollen Zusammenhänge der Lehr- und Lernbedingungen während der Zeit des irregulären Unterrichtens durch COVID-19 mit der Leistung der Schüler:innen bei PISA 2022 innerhalb und über Länder hinweg untersucht werden. Insbesondere sollen differentielle Effekte für Schüler:innen mit unterschiedlichem SES untersucht werden. Die Forschungshypothesen lauten:

H1: Zwischen PISA 2022 und früheren PISA-Zyklen zeigt sich ein Rückgang der Leistungen in allen Fächern (Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften).

H2: Zwischen PISA 2022 und früheren PISA-Zyklen, zeigt sich bei Schüler:innen mit niedrigerem SES in allen Fächern ein stärkerer Rückgang der schulischen Leistungen als bei Schüler:innen mit höherem SES.

H3: Unterschiede in den Lehr- und Lernbedingungen während der COVID-19-Pandemie (z.B. Dauer der Schulschliessungen, Erreichbarkeit der Lehrpersonen, individuelle Nutzung digitaler Geräte), sagen nach Kontrolle des SES, die Leistungen und die Entwicklung der Leistung der Schüler:innen vorher.

Methode

Es werden Test- und Fragebogendaten aus PISA 2022 (einschließlich Global Crisis Module; Bertling et al., 2020) und früheren PISA-Zyklen (PISA 2018, PISA 2015, PISA 2012) zusammen mit verfügbaren internationalen Datensätzen zu den Bedingungen während der COVID-19-Pandemie (s. OECD, 2021) verwendet. Die internationalen Daten von PISA 2022 werden Ende 2023 veröffentlicht (vgl. https://nces.ed.gov/surveys/pisa/schedule.asp). Zur Beantwortung aller Hypothesen werden multivariate Regressionsanalysen durchgeführt. Dabei werden der SES und die früheren Leistungen als Kovariaten mitberücksichtigt. Zur Beantwortung von H3 werden zusätzlich latente Profilanalysen durchgeführt, um Unterschiede in Lehr- und Lernbedingungen systematisch zu analysieren. Für die Ergebnisinterpretation werden neben den deutschsprachigen Ländern und deren Nachbarländern auf einige ausgewählte (z.B. aufgrund Schulschliessungsdauer, Einkommen, bisherige Leistungen) Länder betrachtet. Folgende Länder werden betrachtet: Schweiz, Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Estland, Neuseeland, Mexiko, Vietnam. Alle Analysen werden in R durchgeführt, Stichprobengewichte werden dabei berücksichtigt.

Ergebnisse und Diskussion

Seit dem Jahr 2000 sind die OECD und rund 90 Länder auf der ganzen Welt beteiligt und arbeiten zusammen, um herauszufinden, ob die Schulen jungen Menschen die Kompetenzen vermitteln, die in der Welt von morgen wichtig sind (OECD, 2023). Damit ist PISA die größte Bildungsstudie der Welt. Nach drei herausfordernden Pandemie-geprägten Jahren für die Bildungssysteme weltweit, scheint die Frage nach dem Bildungsstand von Jugendlichen und der Vergleich mit anderen Ländern wichtiger denn je. Insbesondere mit dem Global Crisis Module bietet PISA 2022 eine einzigartige Datenbasis mit enormem Potenzial. Sie ermöglicht Zusammenhangsanalysen zwischen den Lehr- und Lernbedingungen während der COVID-19-Pandemie und den Leistungen der Jugendlichen weltweit. Darüber hinaus ermöglicht die Vergleichbarkeit der Leistungsergebnisse zwischen den PISA-Zyklen Analysen über die Entwicklung der Leistungen vor und nach der Pandemie. Auf der Grundlage früherer empirischer Erkenntnisse im internationalen Kontext gehen wir davon aus, dass die Ergebnisse die aufgestellten Forschungshypothesen bestätigen und dass sich Trends und Zusammenhänge innerhalb der Mehrheit der untersuchten PISA-Länder und über alle untersuchten PISA-Länder hinweg zeigen. Fachspezifische Ergebnisse sowie das Potenzial unterschiedlicher Lehr- und Lernbedingungen als mögliche Resilienzfaktoren werden diskutiert.



Paper Session

Corona ist doch längst vorbei?! Effekte der Covid-19 Pandemie auf die Mathematikleistung von Zweitklässlern über acht Schuljahre hinweg

Ophelia Urbach1, Boris Forthmann1, Natalie Förster2, Elmar Souvignier1

1Universität Münster; 2Bergische Universität Wuppertal

Theoretischer Hintergrund

Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19 Pandemie wurde das Bildungssystem stark eingeschränkt. Als unmittelbare Auswirkungen zeigten sich dabei vor allem in Mathematik Leistungseinbußen (z.B. Betthäuser et al., 2022), die sich auch in der 2021 festgestellten Verschlechterung in der Erreichung der Mindeststandards im Primarbereich (Schumann & Sachse, 2022) widerspiegeln. Bislang liegen vornehmlich Schätzungen kurzfristiger Leistungseinbußen aufgrund der Schulschließungen vor. Grundsätzlich sollten jedoch auch befürchtete längerfristigen Konsequenzen der pandemiebedingten Schulschließungen (Kaffenberger, 2021) empirisch untersucht werden. Zudem ist bislang wenig darüber bekannt, ob sich auch Auswirkungen auf mathematische Vorläuferkompetenzen oder die Rechenfähigkeit bei Kindern zeigen, die von Schließungen im Kindergarten betroffen waren.

Fragestellung

Wie haben sich die durchschnittliche Mathematikleistung sowie interindividuelle Unterschiede in der Mathematikleistung in der zweiten Klasse in Folge der Corona-Pandemie verändert? In den Kohorten seit Beginn der Corona-Pandemie wird eine Verringerung der mittleren Leistungen und eine Erhöhung der Leistungsvariation im Vergleich zu den Prä-Pandemie-Kohorten erwartet.

Methode

Um die Fragestellung zu beantworten werden Daten der web-basierten Lernverlaufsdiagnostik quop (Souvignier et al., 2021) herangezogen. Mit acht Messzeitpunkten pro Schuljahr erlauben diese Daten nicht nur einen Vergleich über Schuljahre hinweg, sondern auch eine differenzierte Auswertung von Leistungsentwicklungen innerhalb der Schuljahre. In der zweiten Klasse werden in der M2-Testreihe die Teilkompetenzen Vorläuferfähigkeiten und Rechenfähigkeit (Salaschek & Souvignier, 2014) durch Paralleltests erfasst. Verglichen werden die mathematischen Leistungen von vier Prä-Pandemie Kohorten (N = 6.294) aus den Schuljahren 2015/16-2018/19 mit den folgenden Kohorten der Jahrgänge 2019/20-2022/23, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten von Schulschließungen, Wechselunterricht oder Kindergartenschließungen betroffen waren (N jeweils > 2.300). Zur Untersuchung der Unterschiede zwischen den Kohorten werden nach Prüfung der Messinvarianz über die Kohorten und die Zeit latente Mittelwerts- und Varianzunterschiede geschätzt. Ein zweidimensionales Messmodell mit den Faktoren mathematische Vorläuferfähigkeit und Rechenfähigkeit und den entsprechenden Subfacetten als Indikatoren zeigte bei Analysen der ersten Teilstichproben einen guten Modellfit (robust CFI = 0.966, robust RMSEA= 0.017) nach Hu und Bentler (1999).

Ergebnisse

Aktuell sind die Daten der ersten sechs Kohorten ausgewertet. Analysen dieser Teilstichproben (Prä-Pandemie und die ersten beiden Pandemie-Kohorten) zeigten ein differenziertes Ergebnismuster in der durchschnittlichen Mathematikleistung beider Pandemiekohorten für die einzelnen Fähigkeitsbereiche. Die durchschnittliche Leistung der Vorläuferfähigkeiten fiel zu fast allen Messzeitpunkten signifikant niedriger aus als in den Prä-Pandemie Kohorten. Dies war allerdings im SJ 2019/20 auch bereits vor Pandemiebeginn der Fall, wohingegen die Unterschiede während des ersten Lockdowns geringer ausfielen. In den arithmetischen Fähigkeiten fielen die durchschnittlichen Leistungen im Vergleich zu den Prä-Pandemie-Kohorten sogar teilweise signifikant höher aus. Im Verlauf des Schuljahres nahmen diese Unterschiede aber wieder ab. Bei den interindividuellen Unterschieden in den Vorläuferfähigkeiten zeigte sich eine Zunahme in beiden Pandemiekohorten, auch bereits in den Messzeitpunkten vor Pandemiebeginn. Die Leistungsheterogenität der arithmetischen Fähigkeiten in der ersten Pandemiekohorte fiel vor Pandemiebeginn signifikant höher aus und nahm wider Erwarten während des ersten Lockdowns ab. In der zweiten Pandemiekohorte zeigte sich die erwartete Zunahme der Leistungsheterogenität.

Diskussion

Die ersten Befunde der Teilstichproben weisen nicht auf einen allgemeinen negativen Effekt der Pandemie auf die mittlere Mathematikleistung bei Zweitklässlern hin. Die Zunahme der Leistungsheterogenität in beiden mathematischen Fähigkeitsbereichen stellt vermutlich zumindest teilweise pandemiebedingte negative Konsequenz dar, welche im Verlauf der folgenden Schuljahre weiter analysiert werden soll. Relativierend ist allerdings festzuhalten, dass dieser Effekt sich in der ersten Pandemiekohorte bereits vor Einsetzen der Pandemie zeigte. Die Unterschiede zwischen beiden Teilkompetenzen und zu den in Metaanalysen gefunden negativen Effekten auf die mittlere Mathematikleistung (Betthäuser et al., 2022) verdeutlichen die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung von Kompetenzen, Altersgruppen und Kohorten zur Einschätzung der pandemiebedingten Folgen. Die Auswertung der Daten aus den beiden letzten Schuljahren kann möglicherweise das Ergebnismuster aufschlussreich ergänzen.



Paper Session

Zum Einfluss von Unterrichtsmerkmalen auf das schulische Wohlbefinden im Kontext der COVID-19-Pandemie

Isabell Martin, Michaela Gläser-Zikuda

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland

Theoretischer Hintergrund: Wohlbefinden gilt im schulischen Kontext als Qualitätsmerkmal (Hascher, 2004; OECD, 2019). Neben dem positiven Einfluss auf die Gesundheit trägt Wohlbefinden zu einer positiven Wahrnehmung von Schule und Unterricht bei und kann dadurch den Lernprozess und die Leistungen der Schüler*innen beeinflussen. Wohlbefinden zeichnet sich zum einen durch das Vorherrschen positiver, und zum anderen durch die Abwesenheit negativer Aspekte sowie einer Kombination von emotionalen und kognitiven Faktoren aus. Dem Sechs-Komponenten-Modell von Hascher (2004) zufolge setzt sich schulisches Wohlbefinden aus den positiven Einstellungen zur Schule (PE), dem schulischen Selbstwert (SSW), der Abwesenheit körperlicher Beschwerden im Zusammenhang mit der Schule (AKB), der Abwesenheit sozialer Probleme (ASP), keiner Sorgen wegen der Schule (AS) sowie Freude und Anerkennung in der Schule (FA) zusammen (vgl. Hascher & Hagenauer, 2011). Schulisches Wohlbefinden wird durch schulische Rahmenbedingungen, unterrichtsbezogene Aspekte – wie die Unterrichtsqualität - außerschulische Faktoren und individuelle Aspekte (Gläser-Zikuda & Fuß, 2004; Gysin, 2017; Hascher, 2004; Obermeier et al., 2021) beeinflusst. Während der COVID-19 Pandemie kam es in zahlreichen Ländern, so auch in Deutschland ab März 2020, zu einem Lockdown, der auch Schulschließungen umfasste (Goldan et al., 2021; Voss & Wittwer, 2020). An Schulen wurden oft Mischformen aus Präsenz- und Distanzunterricht umgesetzt. Dies traf sowohl Schüler*innen (und ihre Familien), als auch Lehrkräfte und Schulleitungen unvorbereitet. Diese Situation stellte eine besondere psychosoziale Herausforderung vor allem für die Schüler*innen dar, wodurch sich weitreichende Auswirkungen - auch in Bezug auf deren Wohlbefinden – ergaben (Hansen & Hanewinkel, 2022; Obermeier et al., 2022). Diese Studie widmet sich daher der Bedeutung von Unterrichtsqualität für das schulische Wohlbefinden von Schüler*innen im Kontext der COVID-19 Pandemie.

Fragestellung: Folgende Fragstellungen wurden fokussiert:

F1: Welche Unterrichtsmerkmale lassen sich als Prädiktoren für die verschiedenen Dimensionen des schulischen Wohlbefindens identifizieren?

F2: Welcher Anteil an erklärter Varianz lässt sich auf die Klassenebene zurückführen?

Methode: Insgesamt nahmen N = 1113 Schüler*innen (48.8 % weiblich; 19.3 % Migrationshintergrund; Alter: M = 12.61 (SD = 1.71)) der Jahrgangsstufen fünf bis neun an zehn Sekundarschulen eines deutschen Bundeslandes an einer paper-pencil Befragung teil. Die Schulen wurden für die Befragung auf Grundlage ihrer im Bundesvergleich relativ hohen Quoten an Schulabbrecher*innen (> 10%) ausgewählt.

Das schulische Wohlbefinden wurde anhand der Skala „Schulisches Wohlbefinden“ mit allen sechs Subskalen nach Hascher (2004) erfasst. Folgende weitere standardisierte Instrumente kamen zum Einsatz: Unterrichtsqualität mit den Skalen: „Selbstbestimmung“ (Röder & Kleine, 2007), „Klassenführung“ (Helmke et al., 2013), „Kognitiv aktivierende Aufgabenstellungen“ (adaptiert nach Baumert et al., 2019), Fairness anhand der Skala „Bevorzugung und Benachteiligung“ (Saldern & Littig, 1987) und „Leistungsdruck“ (Saldern & Littig, 1987). Dabei wurden zunächst Analysen durchgeführt, ob es laut Intraklassenkoeffizient (ICC) und Designeffekt (Deff) eine Mehrebenenstruktur zu beachten galt (Zitzmann, 2021). Anschließend wurden entsprechend Mehrebenenanalysen und einfache multiple Regressionsanalysen durchgeführt.

Ergebnisse: Für die PE und den SSW wurden aufgrund des ICC und Deff Mehrebenenregressionen durchgeführt. Dabei konnten für die PE 12% und für den SSW 5% der Gesamtvarianz über die Klassenebene erklärt werden. Die Klassenführung erwies sich für die AKB (β=.21), ASP (β=.22), AS (β=.17), PE (β=.28) und SSW (β=.21) als stärkster positiver Prädiktor. Für die FA zeigte die kognitive Aktivierung im Unterricht den größten positiven Effekt (β=.22). Als stärkster negativer Prädiktor für die vier Subskalen des schulischen Wohlbefindens AS (β=-.21), PE (β=-.23), SSW (β=-.15) und FA (β=-.05) konnte der Leistungsdruck identifiziert werden. Die Fairness der Lehrkraft hat den stärksten negativen Effekt auf die Subskalen ASP (β=-.19) und AKB (β=-.19). Die Modelle konnten für die einzelnen Dimensionen des schulischen Wohlbefindens 13% bis 20% der Varianz aufklären. Zentrale Ergebnisse werden im Vortrag präsentiert und mit Blick auf Limitationen sowie Implikationen für die schulische Praxis diskutiert.



Paper Session

Aufholen nach Corona - Evaluation des baden-württembergischen Programms „Lernen mit Rückenwind“

Kerstin Norwig, Cordula Petsch, Julia Blank, Stephan Blank, Johanna Marder, Frank Pfänder, Maren Specker, Benjamin Fauth

Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg, Deutschland

In den Corona-Schuljahren 2019/2020 und 2020/2021 waren Schulen an vielen Unterrichtstagen vollständig geschlossen bzw. öffneten nur teilweise für einen Wechsel- oder Hybridunterricht (OECD, 2021). Zahlreiche Unterrichtsstunden sind ausgefallen; das digitalisierte Lernen im Distanzunterricht nahm zwar schnell an Qualität zu, konnte das Lernen im Präsenzunterricht aber nicht vollständig ersetzen (Helbig et al., 2022, S. 11). Pandemiebedingte Lernrückstände waren die Folge und bei vielen Schüler/-innen, besonders solchen aus sozial benachteiligten Familien, zeigten sich vermehrt fachliche Lernrückstände sowie sozial-emotionale Auffälligkeiten (Böttger & Zierer, 2021; Helbig et al., 2022; Schult et al., 2022a; 2022b; Stanat et al., 2022; Ravens-Sieberer et al., 2022)

Zur Milderung solch negativer Effekte vereinbarten Bund und Länder das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ (Bundesregierung, 2021). Entsprechend der Zielvereinbarungen (BMBF, 2021) lagen die Schwerpunkte der baden-württembergischen Programmvariante „Lernen mit Rückenwind“ auf dem Abbau pandemiebedingter Lernrückstände und auf der Stärkung sozial-emotionaler Kompetenzen (MKJS BW, o. J.). Innerhalb der Programmlaufzeit (Schuljahre 2021/2022 und 2022/2023) konnten sich alle Schulen Baden-Württembergs registrieren und Fördermittel bzw. Unterstützungskräfte für zusätzliche Förderkurse beantragen (MKJS BW, o. J.).

Das Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) hat das Programm „Lernen mit Rückenwind“ in den Schuljahren 2021/2022 (Pilotierungsstudie) und 2022/2023 (Haupt- und Erweiterungsstudie) evaluiert. Schwerpunkte dabei waren Fragen zur Implementation des Programms in die Praxis sowie zur Entwicklung der am Programm beteiligten Schüler/-innen. Zur Untersuchung dieser Fragen wurde ein längsschnittliches Design gewählt und verschiedene Akteure von zufällig gezogenen allgemeinbildenden Schulen zu mehreren Messzeitpunkten befragt. Es liegen Daten vor von (1) Schulleitungen (nHauptstudie = 31, nErweiterungsstudie = 1.426; ein Messzeitpunkt am Ende des Schuljahres), (2) Unterstützungskräften der Förderkurse (nHauptstudie = 33; je ein Messzeitpunkt am Ende der Schulhalbjahre) sowie (3) Schüler/-innen der vierten und fünften Klassenstufen (nHauptstudie = 1.531; drei Messzeitpunkte sowie bis zu 10 Messungen zur Leistungsentwicklung).

Im ersten Fragenkomplex interessierte v. a. wie das Programm (dessen Vorbereitung, Organisation, Umsetzung usw.) von den verschiedenen Akteuren wahrgenommen wurde und welche förderlichen bzw. hinderlichen Implementationsfaktoren daraus abgeleitet werden können. Mittels standardisierter Online-Fragebögen wurden hierzu Konstrukte erfasst, die sich in früheren Studien als relevant für eine erfolgreiche Implementation von Programmen erwiesen haben (vgl. z. B. Proctor et al. 2011, Humphrey et al. 2016), wie u. a. die Teilnahmemotivation, der wahrgenommene Förderbedarf, die Akzeptanz der Maßnahme, deren wahrgenommene schulische Umsetzbarkeit sowie Erwartungen zur Programmwirksamkeit. Zudem wurden aus der Unterrichtsforschung bekannte Qualitätsmerkmale der angebotenen Förderkurse (konstruktive Unterstützung, lernförderliches Feedback, individuelle Förderung, vgl. Fauth, 2021) in der Wahrnehmung der beteiligten Schüler/-innen sowie personenbezogene bzw. institutionelle Einflussfaktoren (soziodemografische Daten, personenbezogene Einstellungen, Rahmenbedingungen der Schule usw.) erfasst.

Im Rahmen des zweiten Fragenkomplexes interessierten sowohl die psycho-soziale Entwicklung als auch die Leistungsentwicklung der am Programm beteiligten Schüler/-innen. Die Viert- und Fünftklässler/-innen wurden hierzu mit dem Kidscreen (The Kidscreen Group Europe, 2006) befragt. Zur Abschätzung der fachlichen Entwicklung in den Bereichen Lesen und Mathematik wurden zudem kontinuierlich während des Schuljahres Leistungsdaten mittels der Lernverlaufsdiagnostik quop (Förster & Souvignier, 2014) erfasst.

Da die Datenerfassung der Haupt- und Erweiterungsstudie erst kürzlich abgeschlossen wurde, liegen die finalen Ergebnisse noch nicht vor. Die Daten der Pilotierungsstudie belegen allerdings die psychometrische Güte der eingesetzten Skalen und deuten eine durchaus positivere Wahrnehmung des Programms „Lernen mit Rückenwind“ seitens der Schulleitungen an als dies in zurückliegenden (bundesweiten) Umfragen (VBE BW, 2021, Robert-Bosch-Stiftung, 2022) der Fall war.

Vorgestellt werden längsschnittliche Analysen und Subgruppenvergleiche, die v. a. den ersten Fragekomplex zur Implementation des Programms adressieren. Aus dem zweiten Fragekomplex wird die längsschnittliche Entwicklung der sozio-emotionalen Verfasstheit der Kinder und Jugendlichen im Schuljahr 2022/2023 in den Blick genommen. Interessant ist hierbei nicht nur die Entwicklung der am Programm beteiligten Schüler/-innen, sondern auch der Vergleich mit Schüler/-innen, die keine schulischen Förderkurse besucht haben.



Paper Session

Die Sommerschule: Eine unbegleitete Unterrichtstätigkeit - Unterschiede in den Wahrnehmungen zwischen Studierenden und Schüler*innen

Sonja Lenz1, Alexandra Postlbauer1, Christoph Helm1, Manuela Gamsjäger2

1Johannes Kepler Universität Linz, Österreich; 2Pädagogische Hochschule Oberösterreich

Als Reaktion auf die negativen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie wurden in Österreich Sommerschulen eingeführt, die wie deutsche Sommercamps (vgl. Kowoll, Strietholt & Bos, 2013) das Ziel verfolgen, benachteiligte Kinder zu fördern und schulische Defizite auszugleichen. Lehramtsstudierende übernahmen dabei erstmals eigenverantwortlich die Leitung heterogener Lerngruppen und standen vor beruflichen Herausforderungen, die üblicherweise Berufseinsteiger:innen erfahren (Lenz et al., 2023). Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des aktuellen Lehrer*innenmangels im deutschsprachigen Raum von Bedeutung, da vermehrt Personen ohne facheinschlägigen Lehramtsstudium unterrichten (Himmelsbach et al., 2023). Eine dieser Herausforderungen stellt die Klassenführung dar, welche als zentrale Entwicklungsaufgabe für Berufsanfänger:innen gilt (Keller-Schneider, 2021). Klassenführung ist ein Schlüsselkonzept effektiven Unterrichts (Lenske & Mayr, 2015), der immer auch aus der Perspektive der Schüler:innen zu denken, planen und durchzuführen ist. Obwohl Schüler:innen eine bedeutende Beurteilungsinstanz darstellen, fehlen bisher Studien darüber, inwieweit Aktivitäten von Lehramtsstudierenden im Rahmen von remedialen Maßnahmen einen Einfluss auf das Lernen der Schüler:innen haben.

Der aktuelle Beitrag adressiert diese Lücke, indem er die Selbstwahrnehmung 39 oberösterreichischer Lehramtsstudierender der Fremdwahrnehmung von 363 Schüler:innen, erfasst mithilfe des Linzer Diagnosebogens zur Klassenführung (Mayr, 2011), gegenübergestellt. Dabei wird aufgezeigt, inwiefern die Lehramtsstudierenden während ihres ersten eigenverantwortlichen Praktikums in der Sommerschule effektive Klassenführung aufweisen und analysiert, inwieweit die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Unterrichtsqualität übereinstimmen. Die Ergebnisse liefern wertvolle Einblicke in die Dimensionen Unterrichtsgestaltung, Beziehungsförderung und Kontrolle im Rahmen der Sommerschulen als remediale Maßnahme und zeigen ebenso auf, inwieweit die Studierenden während ihres ersten unbegleiteten Praktikums das individuelle Lernerlebnis der Schüler:innen fördern können.

Methode

Die Daten wurden mittels Linzer Diagnosebogen zur Klassenführung (Mayr, 2011) erhoben. Insgesamt nahmen 39 Lehramtstudierende (82 % weiblich, 86% Bachelorstudierende) und 363 Schüler:innen (48 % weiblich, 39 % mit nicht-deutscher Umgangssprache) an der Befragung teil, was eine Vollerhebung für den Sommerschulstandort Oberösterreich darstellt. Die Daten sind hierarchisch geschachtelt, Schüler:in genestet innerhalb von Studierenden. Verwendet wurde der Analyseansatz von Kim et al. (2018), die ein Cross-Level-Group-Measurement-Invarianz-Modell vorschlagen, um auf gleiche Messungen auf Lehrenden- und Lernendenebene zu testen. Das Modell ermöglicht die Schätzung der latenten Korrelation und der latenten Mittelwertdifferenzen zwischen der Lehrenden- und der Lernendenbewertung.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass die latenten Mittelwertsdifferenzen zwischen den Qualitätsbewertungen der Studierenden und der Schüler:innen hinsichtlich der beiden Dimensionen Beziehungsförderung und Unterrichtsgestaltung zwar effektbedeutsam, aber statistisch nicht signifikant sind (std. Est.: .20/-.32, p > .05). Die unterschiedlichen Vorzeichen legen nahe, dass Studierende die Dimension Beziehungsförderung tendenziell positiver und die Dimension Unterrichtsgestaltung tendenziell negativer bewerten als Schüler:innen. Die Differenz in der Dimension Kontrolle ist weder effektbedeutsam noch statistisch signifikant (std. Est.: -.05, p > .05). Betrachtet man die latenten Korrelationen, zeigt sich für die beiden Dimensionen Kontrolle und Unterrichtsgestaltung, dass eine positive Bewertung der Studierenden mit einer positiven Bewertung durch die von ihnen betreuten Schüler:innen einhergeht (std. Est.: .77/.46, p < .05). Dagegen ist der entsprechende Zusammenhang für die Dimension Beziehungsförderung zwar effektbedeutsam, aber statistisch nicht signifikant (std. Est.: .32, p > .05).

Diskussion

Dass Studierende im Vergleich zu Schüler:innen Unterrichtsmerkmale positiver einschätzen, deckt sich mit Studien zur Unterrichtsqualität (Kunter & Baumert, 2006; Fauth, Decristan, Rieser, Klieme, & Büttner, 2014). Überraschend ist die tendenziell geringere Beurteilung der Unterrichtsgestaltung. Dies könnte auf den fachdidaktischen Gehalt der Items dieser Dimension (z.B. Bedeutsamkeit der Ziele und Fachkompetenz der Lehrkraft) zurückzuführen sein, der von Schüler:innen (aufgrund ihrer fehlenden Expertise) schwer valide eingeschätzt werden kann. Die hohen Korrelationen weisen auf eine relativ gesehen valide Selbsteinschätzung der Studierenden hin. Die Befunde können für die Weiterentwicklung der Professionalität von Studierenden nutzbar gemacht werden, indem sie als Referenz zur Reflexion des eigenen Handelns im ersten unbegleiteten Praktikum herangezogen werden. Zudem können die Befunde bei der Beforschung, Evaluation und Weiterentwicklung des Konzepts der unbegleiteten Praktika als Evidenzbasis helfen, da sie zeigen, wie valide unterschiedliche Informantengruppen sind.