Conference Agenda

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Session Overview
Session
3-12: Fehlkonzepte und wie man diese überwindet: Konzeptueller Wandel als Herausforderung für das (natur-) wissenschaftliche Lernen
Time:
Monday, 18/Mar/2024:
3:20pm - 5:00pm

Location: S19

Seminarraum, 60 TN

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Presentations
Symposium

Fehlkonzepte und wie man diese überwindet: Konzeptueller Wandel als Herausforderung für das (natur-) wissenschaftliche Lernen

Chair(s): Maria Theobald (DIPF | Leibniz Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland)

Discussant(s): Ilonca Hardy (Goethe Universität Frankfurt)

Naive Theorien liefern oft plausible Erklärungen für Alltagsphänomene. Sie können aber auch formales Lernen erschweren und die Grundlage für robuste Fehlkonzepte bilden (Carey, 2000). Fehlkonzepte über (natur-)wissenschaftliche Phänomene sind weit verbreitet und stellen eine Herausforderung für das schulische Lernen dar, da der konzeptuelle Wandel von einer naiven Theorie zu einem wissenschaftlich akzeptierten Konzept eine Herausforderung darstellt (Vosniadou & Ioannides, 1998). Oft reicht es nicht aus, Belege zu präsentieren, die der naiven Theorie widersprechen (Limón, 2001), und falsche Konzepte können sogar neben dem richtigen Konzept existieren (Shtulman & Valcarcel, 2012). Ein besseres Verständnis darüber, welche Faktoren konzeptuellen Wandel begünstigen und wie konzeptueller Wandel im Unterricht gefördert werden kann, ist daher von zentralem Interesse. Das Symposium beleuchtet daher zwei Fragestellungen aus erziehungswissenschaftlicher, fachdidaktischer und psychologischer Perspektive:

(1) Welche individuellen (z.B. Personenmerkmale) und situativen (z.B. Lernumgebung) Faktoren begünstigen konzeptuellen Wandel?

(2) Welche Interventionen können konzeptuellen Wandel fördern?

Die Beiträge des Symposiums nutzten verschiedene methodische Ansätze (z.B. Bayesianische Diffusionsmodelle, Experimente), um die kurz- und langfristige Überwindung von Fehlkonzepten in verschiedenen Domänen (z.B. Physik, Mathematik) zu beschreiben, vorherzusagen oder durch Interventionen zu verändern.

Der erste Beitrag zeigt mit Hilfe eines Bayesianischen hierarchischen Diffusionsmodells, dass die Fähigkeit, eine automatische Antwort zu unterdrücken, die zentrale inhibitorische Kompetenz ist, die Lernenden hilft, intuitive Konzepte zu hemmen.

Der zweite Beitrag zeigt, dass Fehlvorstellungen über die Funktionsweise von Zahnrädern bei Vorschulkindern in einem angeleiteten Spiel durch implizite sprachliche Hilfen reduziert werden können. Explizite sprachliche und gestische Erklärungen zeigten dagegen keinen Effekt auf das konzeptuelle Lernen.

Der dritte Beitrag zeigt anhand des Konzepts der Wasserverdrängung, dass Reflexionsprompts bei Grundschulkindern die Konflikterkennung und damit das Lernen aus falschen Vorhersagen verbessern können. Die positiven Effekte der Prompts waren jedoch nur von kurzer Dauer.

Im vierten Beitrag wird getestet, ob der Konzeptwechsel von natürlichen zu rationalen Zahlen durch den Lernkontext beeinflusst wird. Es wird untersucht, ob die Aufforderung zur Nutzung digitaler Hilfsmittel (ja vs. nein) und empirisches Feedback (ja vs. nein) den Strategiegebrauch und den konzeptuellen Wandel beeinflussen.

Die Beiträge untersuchen somit individuelle Faktoren, die konzeptuellen Wandel begünstigen, wie individuelle Unterschiede in Inhibition (Beitrag 1), Konflikterkennung (Beitrag 3) und Strategiegebrauch (Studie 4), sowie situative Kontextfaktoren, wie die Gestaltung der Lernumgebung (Beiträge 2 & 4). Um zu verstehen, wie Fehlkonzepte erkannt, unterdrückt und überwunden werden, verwenden die Beitragenden eine Vielfalt von Messverfahren, wie z.B. Selbstberichte, Reaktionszeitmessungen und physiologische Daten und werfen dadurch Licht auf die Prozesse, die konzeptuellen Wandel begünstigen. Darüber hinaus werden verschiedene digitale und analoge Interventionen zur Förderung konzeptuellen Wandels untersucht, wie z.B. implizite und explizite Instruktionen und Prompts sowie Feedback (Beiträge 2, 3 und 4). Das Symposium untersucht Lernende unterschiedlichen Alters, von 5-jährigen Vorschulkindern (Beitrag 2) über Grundschulkinder (Beitrag 3), Kinder in der Sekundarstufe (Beitrag 4) bis hin zu erwachsenen Studierenden (Beitrag 1).

Zusammenfassend trägt das Symposium somit zu einem besseren Verständnis der Faktoren bei, die konzeptuellen Wandel begünstigen, und zeigt instruktionspsychologische Ansätze auf, wie konzeptueller Wandel in verschiedenen Altersgruppen und Kontexten gefördert werden kann. Durch die methodische Vielfalt und die Berücksichtigung der Prozessebene tragen die Studien zu einem besseren Verständnis der Erfolgsfaktoren, aber auch der Herausforderungen des konzeptuellen Wandels bei. Aus den Ergebnissen lassen sich somit praktische Implikationen für die Gestaltung des Unterrichts und die Förderung des konzeptuellen Wandels ableiten. Die Beiträge werden abschließend synthetisiert und im Hinblick auf Herausforderungen des konzeptuellen Wandels sowie mögliche Interventionsansätze diskutiert.

 

Presentations of the Symposium

 

Welche Inhibitionsprozesse tragen zur Unterdrückung überlernter Konzepte bei? Ein Bayesianisches hierarchisches Diffusionsmodell

Peter Edelsbrunner1, Gidon Frischkorn2
1ETH Zürich, 2Universität Zürich

Theoretischer Hintergrund

In einem einflussreichen Experiment fanden Shtulman und Valcarcel (2012), dass im Unterricht überlernte, intuitive Konzepte weiterhin erhalten bleiben und unter Zeitdruck wieder aktiviert werden können. Dies zeigt sich in erhöhten Reaktionszeiten und Fehlerraten bei der Bewertung von Aussagen, bei denen typische intuitive Konzepte dem wissenschaftlichen Konzept widersprechen (z.B. „ein Mantel erzeugt Wärme“ – intuitiv korrekt, wissenschaftlich falsch) im Vergleich zu Aussagen, bei denen beide kongruent sind (z.B. „ein Feuer erzeugt Wärme“). Die theoretische Erklärung für dieses Phänomen ist, dass intuitive und wissenschaftliche Konzept ko-aktiviert werden, wodurch bei inkongruenten Aussagen Interferenz entstehet, die gelöst werden muss. Dies hat weitreichende theoretische und pädagogische Implikationen und bringt die Frage auf, wie Lernende mit der Ko-Existenz sowie der Interferenz zwischen intuitiven und wissenschaftlichen Konzepten umgehen können (und sollen).

Der angenommene Prozess, der zur Auflösung der entstehenden Interferenz benötigt wird, ist Inhibition (Shtulman & Valcarel, 2012; Stricker et al., 2021). Studien, welche die Rolle von Inhibition bei der Auflösung der Interferenz untersuchten, fanden jedoch inkonsistente Ergebnisse (z.B. Stricker et al., 2021). Dies könnte mit der großen Heterogenität von Inhibitionsprozessen (z.B. Miyake & Friedman, 2004), der Unklarheit in Bezug auf analytische Entscheidungen (z.B. Modellierung von Reaktionszeit vs. Entscheidung, intra- vs. interindividuelle Modellierung, Domänenabhängigkeit des Effektes) sowie mit der geringen internen Konsistenz gängiger Inhibitionsmaße (z.B. Rey-Mermet et al., 2018) erklärbar sein.

Fragestellung

In der vorliegenden Studie wurde deshalb unter Vorlage mehrere Inhibitionsmaße untersucht, welche Art der Inhibition bei der Auflösung konzeptueller Interferenz eine Rolle spielt und ob sich unter Anwendung eines multivariaten kognitiven Modells, welches Messfehler und individuelle Unterschiede miteinbezieht, Effekte von Inhibitionsmaßen zeigen, die sich in typischen Regressionsanalytischen Ansätzen nicht zeigen.

Methode

Um diese Fragen zu untersuchen, wurden N = 178 (Alter: M = 22.52, SD = 2.78) Universitätsstudierenden unterschiedlicher Fächer zusätzlich zur Interferenztask von Shtulman und Valcarcel (2012; Omega RT/Decision = .35/.45) drei Inhibitionsmaße (Picture-Word; Omega RT/Decision = .45/.74; Anti-Sakkade; Omega = .74; Flanker; Omega = .35) vorgegeben, welche heterogene Inhibitionsprozesse nach Friedman und Miyake (2004) abdecken. Die Reaktionszeiten und Antworten aus der Interferenztask wurden anhand des Bayesianischen hierarchischen Wiener Diffusionsmodells (Vandekerckhove et al., 2011) mit schwach informativen Student t-Prioren für fokale Parameter modelliert, um für Messfehler, individuelle Unterschiede und Unterschiede zwischen Konzepten aus unterschiedlichen Domänen zu korrigieren. Das Modell schätzt vier Parameter: Nicht-Entscheidungszeit (Sprachverarbeitung und motorische Prozesse), Drift Rate (Informationsakkumulation; der zentrale Parameter des Entscheidungsprozesses, siehe Vandekerckhove et al., 2011), Distanz der Entscheidungsgrenzen (Vorsichtigkeit/Speed-Accuracy Trade-Off) und Bias (verstärkte Tendenz zu korrekt oder falsch-Entscheidung). In das Modell wurden Reliabilitäts-korrigierte Interferenzscores aus den drei Inhibitionsmassen sowie Leistung auf einer Arbeitsgedächtnisaufgabe (Binding; Kontrollvariable, Omega = .76) als Prädiktoren aufgenommen.

Ergebnisse

Das Diffusionsmodell zeigte anhand Trace Plots, Posterior Plots und Rhat-Maßen Konvergenz, sowie guten Modellfit für einzelne Personen und über diese hinweg. Die Regressionsparameter aus dem Modell zeigten, dass einzig die Anti Sakkade-Task prädiktiven Wert für Effekte auf der Interferenztask hatte (b = -0.05, 90% credible interval [-0.13, -0.01]); Individuen mit sehr hoher Anti Sakkade-Interferenz (+2SD) zeigten im Vergleich zu Personen mit sehr niedriger Anti-Sakkade Interferenz (-2SD) etwa 20% stärkere Effekte auf dem Drift Rate-Parameter (Informationsakkumulation) des Interferenz-Tasks.

Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass Interferenz zwischen intuitiven und schulisch erworbenen Konzepten durch einen Inhibitionsprozess gelöst wird, welcher der Unterdrückung einer automatischen Antwort wie auf der Anti Sakkade-Task entspricht. Allgemeinere Arbeitsgedächtnisprozesse (Kapazitäts-abhängiges Binding), sowie auch die anderen erhobenen Arten von Inhibition (Aufmerksamkeitsreduktion auf ko-aktivierte Information [Flanker], Unterdrückung semantisch verwandter ko-aktivierter Konzepte [Picture-Word]), scheinen keine Rolle zu spielen. Es wird diskutiert, wie in experimentellen Folgestudien im Rahmen naturwissenschaftlichen Unterrichts der Umgang mit intuitiven Konzepten expliziert trainiert werden kann, welche Vorteile und Limitationen der analytische Ansatz für die empirische Bildungsforschung bietet und wie mit den moderaten Reliabilitäten der Inhibitionsmaße umgegangen werden kann.

 

Veränderung der Vorstellung zur Drehrichtung von Zahnrädern im Vorschulalter

Timo Reuter, Jonas Schäfer, Miriam Leuchter
RPTU Kaiserslautern-Landau

Theorie

Ein Ziel früher naturwissenschaftlicher Bildung ist es, bei Kindern einen Wandel von naiven zu wissenschaftlich anschlussfähigeren Konzepten über naturwissenschaftliche Phänomene anzubahnen (Leuchter, 2017). Zahnräder decken eine Reihe von physikalischen Eigenschaften ab (z.B. Bewegung, Kraft, Drehmoment), deren Verknüpfung als Konzeptwissen verstanden werden kann. Ein Aspekt des Konzepts ist die Drehrichtung (DR) von Zahnrädern, bei der Vorschulkinder naive Vorstellungen haben (Metz, 1991). Ein Konzeptwandel könnte in der Altersentwicklung auftreten und zusätzlich durch angeleitetes Spiel im Vorschulalter angeregt werden. Beim angeleiteten Spiel unterstützt ein Erwachsener verbal die Aktivitäten der Kinder in einer strukturierten Spielumgebung (Weisberg et al., 2015). Verbale Unterstützung kann sowohl implizite Hinweise (Hmelo-Silver et al., 2007) als auch explizite Erklärungen (Sylva et al., 2007) umfassen. Zudem kann verbale Unterstützung mit Gestik verknüpft werden. Zahlreiche Forschungsergebnisse zeigen, dass sprachbegleitende Gesten einen Konzeptwandel befördern können (vgl. Goldin-Meadow & Alibali, 2013).

Wir sind in drei Studien den Fragen nachgegangen, (1) welche Vorstellungen 5- bis 6-Jährige zur DR im Vergleich zu älteren Altersgruppen haben und ob wir die Vorstellungen mit (2) impliziten verbalen Hinweisen in einer angeleiteten Spielintervention bzw. mit (3) expliziten verbalen, gestischen oder verbal-gestischen Erklärungen fördern können?

Studie 1 untersuchte querschnittlich einen Konzeptwandel in der Altersentwicklung. Bei n=146 Vorschulkindern (M Alter=5,30 Jahre, SD=.557), n=61 Erstklässlern (M Alter=6,95 Jahre, SD=.664), n=153 Viertklässlern (M Alter=9,54 Jahre, SD=.650) und n=94 Erwachsene (M Alter=22,11 Jahre, SD=1,505) wurden die Vorstellungen zur DR mit einem standardisierten Test erhoben. Die Probanden mussten die DR von Zahnrädern in Getrieben mit bis zu vier verbundenen Zahnrädern vorhersagen. Richtige Vorhersagen gaben einen Punkt, wobei für den gebildeten Summenscore nur Vorhersagen für Zahnräder mit zum Antriebszahnrad entgegengesetzter Drehrichtung berücksichtigt wurden (Autoren, 2020).

Studie 2 untersuchte in einem experimentellen Prä-Post-Follow-Up-Test-Design einen Konzeptwandel bei Vorschulkindern (M Alter=69,50 Monate, SD=4.43) durch angeleitetes Spiel. In einer 45-minütigen Intervention erhielten eine angeleitete Spielgruppe (n=57) und eine Freispielgruppe (n=47) Zahnräder und entsprechende Bauelemente. Die angeleitete Spielgruppe konnte zusätzlich aus Aufgabenkarten unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades wählen und bekam implizite verbale Hilfestellungen (z.B. „Schau dir dieses Zahnrad genau an: In welche Richtung dreht es sich?"). Der Test aus Studie 1 wurde in gekürzter Version durchgeführt (Autoren, 2022a).

Studie 3 untersuchte bei Vorschulkindern (M Alter=74,85 Monate, SD=5,64) in einem experimentellen Prä-Post-Follow-Up-Test-Design einen Konzeptwandel durch explizite Instruktion. Ein Versuchsleiter erklärte die Drehrichtung von Zahnrädern sprachlich (EG1, n=81), gestisch (EG2, n=76) oder sprachlich-gestisch (EG3, n=77). Danach sollten die Kinder ein Antriebs- und ein Zielzahnrad so verbinden, dass sie in die gleiche Richtung drehen (Autoren, 2022b). Eine Kontrollgruppe (KG, n=69) erhielt keine Intervention. Der Test aus Studie 2 wurde durchgeführt.

Ergebnisse

Studie 1: ANOVAs zeigten, dass sich die Anzahl der richtigen Vorhersagen für die Altersgruppen signifikant unterschieden, Welch-F(3, 168.294)=186.762, p<.001. Je älter die Probanden waren, desto höher waren die Lösungsraten, wobei der stärkste Effekt (Hedges-G=1.118) für Erstklässler im Vergleich zu Vorschulkindern gefunden wurde, was auf einen Entwicklungssprung in dieser Altersspanne hinweist.

Studie 2: Ein Mehrebenen-Wachstumsmodell mit der angeleiteten Spielgruppe als Referenz zeigte einen signifikanten Anstieg der Lösungsrate, γ=0.07, p<0.01, SE=0.02, t=3.03, wobei sich der Zuwachs in der Freispielgruppe signifikant vom Zuwachs in der angeleiteten Spielgruppe unterschied, γ=-0.09, p<0.05, SE=0.03, t =-2.58. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine 45-minütige Intervention mit angeleitetem Spiel und impliziten verbalen Hinweisen einen Effekt auf das Konzept der DR hatte.

Studie 3: Friedman-ANOVAs (aufgrund nicht normalverteilter Daten) in den EG und der KG zeigten keine signifikante Veränderung über die Messzeitpunkte. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Erklärung durch den Versuchsleiter weder in verbaler, gestischer noch verbal-gestischer Form wirksam war.

Die Ergebnisse der Studien 1, 2 und 3 werden einander gegenübergestellt und diskutiert.

 

Fördern Reflexionsprompts das Erkennen von Konflikten und die Veränderung von Fehlvorstellungen bei Grundschulkindern?

Elfriede Diestel1, Maria Theobald1, Joseph Colantonio2, Igor Bascandziev2, Elizabeth Bonawitz2, Garvin Brod3
1DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, 2Harvard Graduate School of Education, 3DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Goethe Universität Frankfurt

Der konzeptuelle Wandel von einer Fehlvorstellung zu einer wissenschaftlich anerkannten Theorie ist schwierig (Carey, 2000), selbst wenn Evidenz präsentiert wird, die im Konflikt mit der Fehlvorstellung steht (Limón, 2001). Ein wichtiger Schritt zur Überwindung von Fehlvorstellungen ist, dass Lernende Widersprüche zwischen ihrer ursprünglichen Überzeugung und der präsentierten Gegenevidenz überhaupt als Konflikt erkennen (Limón & Carretero, 1997). Das Erkennen von Konflikten ist jedoch insbesondere für jüngere Kinder herausfordernd (Finn & Metcalfe, 2014).

Ziel der Studie ist es daher zu untersuchen, ob Reflexionsprompts, die Lernende dazu auffordern, ihr Wissen zu verknüpfen, das Erkennen von Konflikten und damit die Überwindung von Fehlvorstellungen erleichtern können. Obwohl Reflexion als ein wichtiges Element für den Erwerb wissenschaftlicher Konzepte gilt (Gunstone, & Mitchell, 2005), ist weitgehend unklar, ob Reflexionsprompts Prozesse der Konflikterkennung fördern, die zur Überwindung von Fehlvorstellungen beitragen. Basierend auf bisheriger Forschung erwarten wir, dass Reflexionsprompts das Erkennen von Konflikten zwischen der ursprünglichen Überzeugung und der richtigen Theorie verbessern (H1) und die Überwindung von Fehlvorstellungen erleichtern (H2).

Zur Überprüfung der Hypothesen wurden 97 Kinder im Alter von 6 bis 9 Jahren untersucht (M = 7.20; 56% weiblich). Die Kinder lernten das Konzept der Wasserverdrängung, da häufig die Fehlvorstellung vorherrscht, dass das Gewicht eines Objekts (und nicht seine Größe) das Ausmaß der Wasserverdrängung bestimmt. Zunächst wurden im Prätest Fehlvorstellungen zur Wasserverdrängung erfasst. In der anschließenden computerbasierten Lernphase (27 Aufgaben) sollten die Kinder immer vorhersagen, welches von zwei Objekten mehr Wasser verdrängt und erhielten anschließend Feedback zur richtigen Lösung. Dann gaben die Kinder an, ob sie das Ergebnis erwartet hatten (Erwartungsrating; ja/nein). Während der Lernphase wurden die Reaktionszeiten und die Pupillengröße mit Hilfe eines Eyetrackers aufgezeichnet. Als experimentelle Manipulation erhielt die Hälfte der Kinder während der Lernphase zusätzlich den Reflexionsprompt, darüber nachzudenken, wie ihre Vorhersagen zu dem passen, was sie bereits gelernt haben. Die Kontrollgruppe erhielt keinen Reflexionsprompt. Nach der Lernphase wurde in einem Posttest und einem Transfertest überprüft, ob die Kinder die Fehlvorstellung zur Wasserverdrängung abgelegt hatten.

Zunächst wurde untersucht, ob Kinder, die Reflexionsprompts erhielten, Konflikte während der Lernphase besser erkannten. Dazu verwendeten wir ein explizites Maß (das Erwartungsrating) und zwei implizite Maße der Konflikterkennung (Reaktionszeit für das Erwartungsrating und Pupillenerweiterung nach falsch vorhergesagten Ergebnissen). Kinder in der Reflexionsprompt-Gruppe zeigten längere Reaktionszeiten für das Erwartungsrating (b = .24, SE = 1.16, p=.033) sowie eine stärkere Pupillenerweiterung (b = .16, SE = .76, p=.032) nach falschen Vorhersagen im Vergleich zu Kindern in der Kontrollgruppe. Die explizite Klassifikation einer falschen Vorhersage als unerwartet war für alle Kinder gleichermaßen schwierig (b = -.27, SE = .30, p=.091); dennoch zeigte sich innerhalb der Reflexionsprompt-Gruppe, dass Kinder, die eine falsche Vorhersage als unerwartet klassifizierten in der Folgeaufgabe eher zum korrekten Konzept wechselten (b = .74, SE = .82, p=.004). Insgesamt sprechen die Ergebnisse für eine bessere Konflikterkennung in der Reflexionsprompt-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe.

Bezüglich der zweiten Hypothese zeigten die Daten aus der Lernphase, dass die Vorhersagen der Kinder in der Reflexionsprompt-Gruppe näher an den Vorhersagen eines optimalen Bayesianischen Lerners lagen (χ2(2618) = 17.66, p<.001) und sich ihre Leistungen über die Lernphase stärker verbesserten als die der Kinder ohne Reflexionsprompts (b = .17, SE = .02, p=.015). Diese Bedingungsunterschiede hielten jedoch nicht bis zum Post- und Transfertest an. Hier zeigten beide Gruppen vergleichbare Leistungen (Veränderung Prä-Post: F(1, 95) = 1.79, p=.185; Unterschied Transfertest: t(95) = 1.35, p=.180).

Zusammenfassend deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Reflexionsprompts das Lernen aus falschen Vorhersagen verbessern können, indem sie die Konflikterkennung verbessern. Allerdings scheinen die Effekte von Reflexionsprompts zu kurzweilig zu sein, um eine nachhaltige Überarbeitung von Fehlvorstellungen zu fördern.

 

Förderung eines Konzeptwechsels durch digital gestütztes Experimentieren beim Übergang von natürlichen zu rationalen Zahlen

Rowena Merkel, Katharina Loibl, Frank Reinhold, Timo Leuders
Pädagogische Hochschule Freiburg

Theoretischer Hintergrund:

Schülerinnen und Schüler haben große Schwierigkeiten beim Übergang von natürlichen zu rationalen Zahlen, da ihre bisherigen Konzepte natürlicher Zahlen im erweiterten Kontext der rationalen Zahlen nicht mehr tragfähig sind (z.B. Hasemann, 1981; Ni & Zhou, 2005). Der Übergang zu den rationalen Zahlen verlangt eine radikale Veränderung des bestehenden Zahlenverständnisses im Sinne eines Konzeptwechsels. Hierzu müssen die Lernenden zunächst die Einschränkung des Gültigkeitsbereiches der bisherigen Konzepte akzeptieren und gleichzeitig neue tragfähige Konzepte, die in einem erweiterten Kontext gültig sind, aufbauen (Chi, 2013; Prediger, 2004; Reinhold, 2019).

Um einen Konzeptwechsel herbeizuführen, eignen sich Aufgabenstellungen, die die Lernenden mit ihrem bisherigen Wissen noch nicht lösen können und so neues Wissen aktiv konstruieren müssen. Im Kontext von SDDS (Scientific Discovery as Dual Search, Klahr & Dunbar, 1988) werden Schülerinnen und Schüler im Lösungsprozess aufgefordert, erste intuitive Hypothesen aufzustellen, diese im Experimentierraum zu überprüfen und daraufhin ihre eigen generierten Hypothesen zu revidieren, bevor sie ein Feedback erhalten. Durch den systematischen Aufbau von Aufgabenstellungen, stoßen die Lernenden ständig an ihre eigenen Grenzen, so dass Wissenslücken sichtbar werden (Loibl et al., 2017) und ein kognitiver Konflikt ausgelöst wird, der zur Ausbildung neuer Konzepte führt.

Forschungsfrage:

Die Studie untersucht, ob a) die zusätzliche Aufforderung zur Verwendung digitaler Tools zur stetigen Modifizierung des eigenen Konzepts führt - operationalisiert durch die verwendeten Strategien - , b) ob das empirische Feedback zu adäquaten Veränderungen der verwendeten Strategien im Sinne eines Konzeptwechsels führt und c) ob verschiedene Kontexte die Modifizierung des Zahlkonzepts unterschiedlich beeinflussen.

Studiendesign und Methode:

Zur Untersuchung der Forschungsfragen und zur Initiierung des notwendigen Konzeptwechsels (z.B. Spada, 1994; Vosniadou, 1994) wurde eine digitale Lernumgebung entwickelt, in der die Lernenden in einer ersten Problemlösephase, durch eigenständiges Experimentieren ein erstes konzeptuelles Bruchverständnis aufbauen. Die Aufgaben (Anteilsvergleich in grafischen Bruchdarstellungen in Kontexten) wurden so konzipiert, dass die Lernenden diese mit ihrem bisherigen Vorwissen zu natürlichen Zahlen nicht lösen können: Im Lösungsprozess werden sie entsprechend von SDDS zunächst zur Formulierung einer ersten intuitiven Hypothese zum Größenvergleich zweier Brüche aufgefordert, bevor sie diese im Experimentierraum durch die eigenständige Erstellung eines Situationsbildes mit dynamischen Bruchstreifen überprüfen können. Im Anschluss daran besteht die Möglichkeit der Revidierung der formulierten Hypothese, bevor eine Begründung als wichtige Form der Wissensorganisation (Prediger, 2013) gefordert wird. Anschließend erhalten die Lernenden ein empirisches Feedback im Experimentierraum und können ihre Hypothesen überprüfen.

Es handelt sich dabei um fünf aufeinanderfolgende Bruchvergleichsaufgaben, die sich nur bezüglich des verwendeten Zahlenmaterials unterscheiden und dadurch unterschiedliche Strategien des Größenvergleichs von Brüchen triggern. Dadurch werden Wissenslücken sichtbar, da die Lernenden stetig an ihre eigenen Grenzen stoßen.

Die digitale Lernumgebung liegt in zwei Kontexten vor (A: Farbmischkontext, B: Wurfballkontext) und variiert dahingehend, ob Lernende digitale Tools zur Manipulation der Bruchstreifen (z. B. Vervielfachen, Unterteilen) verwenden müssen oder nicht. Zudem wurde für jeden Kontext eine Kontrollgruppe etabliert, die kein empirisches Feedback zu den eigen formulierten Hypothesen erhält. Zur Überprüfung der Fragestellung werden die verbalen Begründungen aller Gruppen in der Lernumgebung entsprechend einem hierarchischen Stufenmodell der Strategien (Merkel et al., in Vorbereitung) kodiert, welches den Fortschritt des Konzeptwechsels (von natural number bias, Ni & Zhou, 2005 bis vollständiges Bruchkonzept) widerspiegelt. Dies ermöglicht Rückschlüsse auf die zugrundeliegenden kognitiven Lernprozesse. Zudem werden die Ergebnisse der unterschiedlichen Gruppen in einem anschließenden Posttest verglichen.

Ergebnisse:

Es wurden Daten von 230 Lernenden erhoben. Die Auswertungen laufen noch. Ergebnisse aus Vorstudien zeigen, dass Lernende in den optionalen Bedingungen die digitalen Tools nicht nutzen und damit wenig Konzeptwechselprozesse angestoßen werden. Ebenso können ohne empirisches Feedback nur wenig Konzeptwechselprozesse beobachtet werden. Zudem legen unterschiedliche Kontexte die Verwendung verschiedener Strategien nahe, was sich auf Unterschiede in der Vorwissensaktivierung zurückführen lässt.



 
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