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Session Overview
Session
3-06: Lehrkraft- und Lernendenmerkmale als Prädiktoren sozialer Partizipation
Time:
Monday, 18/Mar/2024:
3:20pm - 5:00pm

Location: H08

Hörsaal, 91 TN

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Presentations
Symposium

Lehrkraft- und Lernendenmerkmale als Prädiktoren sozialer Partizipation

Chair(s): Sina Schürer (Universität Münster), Stefanie van Ophuysen (Universität Münster)

Discussant(s): Lysann Zander (Universität Hannover)

In überdauernde, positive soziale Beziehungen eingebunden zu sein, ist eines der grundlegendsten menschlichen Bedürfnisse (Baumeister & Leary, 1995). Empirische Befunde belegen, dass mit der Nicht-Befriedigung dieses Grundbedürfnisses nach Zugehörigkeit gravierende negative Konsequenzen einher gehen (Ladd et al., 2017), während gelingende soziale Partizipation mit Wohlbefinden, schulischen Leistungen und Gesundheit assoziiert ist (z. B. Conesa et al., 2022; Stadtfeld et al., 2019). Dabei ist das Konstrukt der sozialen Partizipation komplex und facettenreich. Nach Koster et al. (2009) sind das Vorhandensein von positiven Interaktionen, die Akzeptanz durch die Peers, das Eingebundensein in reziproke Beziehungen sowie die Selbstwahrnehmung von sozialer Integration indikativ für soziale Partizipation.

Befunde zur Ausprägung sozialer Partizipation in Schulklassen fallen je nach verwendeter Operationalisierung unterschiedlich aus. Zudem ist die Befundlage zu individuellen und klassenbezogenen Prädiktoren vielfältig. Es konnte wiederholt gezeigt werden, dass Kinder mit schwachen Schulleistungen, mit emotional-sozial auffälligem Verhalten und mit Migrationshintergrund unabhängig von der jeweiligen Operationalisierung sozialer Partizipation seltener sozial integriert und häufiger abgelehnt wurden (siehe zusammenfassend Böttinger, 2021; Schürer, 2020). Gleichzeitig zeigen sich deutliche Variationen zwischen den Klassen (z.B. Huber & Wilbert, 2012). In der Vergangenheit ergaben sich aus verschiedenen Studien erste Hinweise darauf, dass neben Merkmalen des Kindes auch Eigenschaften und Verhaltensweisen der Lehrkraft ein Faktor für die Entwicklung sozialer Partizipationsprozesse in der Schule sein könnten (siehe zusammenfassend Huber, 2019).

Die genaue Rolle der Lehrkraft ist bislang jedoch noch unzureichend erforscht. So spricht Farmer (2011) von der Bedeutung der Lehrkraft als „invisible hand“ und Decristan et al. (2022) weisen darauf hin, dass geprüfte Erkenntnis fehlt, welches konkrete Lehrkraftverhalten bzw. welche Lehrkraftmerkmale prädiktiv für die soziale Partizipation sind. Dieses Forschungsdesiderat greifen die Beiträge des Symposiums auf und beleuchtet in vier Beiträgen die soziale Partizipation von Grundschulkindern. Im Zentrum steht dabei immer die Frage nach Zusammenhängen zwischen sozialer Partizipation und Lehrkraftmerkmalen bei gleichzeitiger Berücksichtigung weiterer Lernendenvariablen.

In Beitrag 1 präsentieren die Autor*innen erste Ergebnisse aus dem vom BMBF-geförderten Projekt Komm Schreib!. Die Autor*innen analysieren mittels hierarchischer Regressionsmodelle den Zusammenhang der selbstwahrgenommenen sozialen Partizipation von Dritt- und Viertklässler*innen mit der inklusiven Haltung der Lehrkraft als eine Variable auf Klassenebene bei gleichzeitiger Berücksichtigung von individuellen Variablen (Leistungsstand, emotional-soziale Kompetenz, Migrationshintergrund, sozioökonomischer Hintergrund).

Im zweiten Beitrag werden Informationen zum verhaltens- und leistungsbezogenen Lehrkraftfeedback aus videografierten Mathematikstunden in Jahrgang 1 genutzt. Die Autor*innen analysieren zum einen die Frage nach verschiedenen Typen von Lehrkräften bezogen auf das Feedbackverhalten und zum anderen den Zusammenhang zwischen diesen Verhaltenstypen und der sozialen Ablehnung der Lernenden unter Berücksichtigung der Merkmale Sozialkompetenz und Leistung.

In Beitrag 3 wird ein personenzentrierter Ansatz genutzt. Die Analysen zielen auf die Identifizierung von Lernendengruppen in der Jahrgangsstufe 1 anhand des erhaltenen Lehrkraftfeedbacks zu Sozialverhalten und Leistung (Beobachtungsdaten) sowie der Sozialkompetenzen und der sozialen Ablehnung der Lernenden (Fremdeinschätzung durch Peers). Die Gruppierung der Lernenden erfolgt durch latente Profilanalysen.

Im letzten Beitrag wechseln die Autor*innen die Perspektive und legen den Fokus auf einzelne Dyaden. Die Autor*innen gehen der Frage nach, wie soziale Unsicherheit den Zusammenhang zwischen Lehrkraftfeedback und der Präferenz eines anderen Kindes als Sitznachbar moderiert. Mit psycho- und soziometrischen Daten von Dritt- und Viertklässler*innen wird diese Fragestellung mehrebenenanalytisch unter Berücksichtigung der kreuzklassifizierten Datenstruktur überprüft.

Die Beiträge werden abschließend zusammenfassend diskutiert.

Allen Beiträgen gemeinsam ist der Fokus auf die soziale Partizipation von Grundschulkindern, wobei verschiedene Indikatoren sozialer Partizipation genutzt werden. Weiterhin nehmen alle Beiträge simultan Lernenden- und Lehrkraftmerkmale in ihrem Zusammenhang mit der sozialen Partizipation in den Blick. Dabei unterscheiden sie sich in Bezug auf das betrachtete Konstrukt (Inklusive Haltung, Lehrkraftfeedback) und den gewählten methodischen Zugang.

 

Presentations of the Symposium

 

Soziale Partizipation in Grundschulklassen: Welchen Unterschied macht die inklusive Haltung der Lehrkraft?

Yvonne Erhardt, Josephine Gatzweiler, Sina Schürer, Stefanie van Ophuysen
Universität Münster

Theoretischer Hintergrund

Gelingende soziale Partizipation wird als eines der Hauptziele inklusiver Bildung verstanden (z.B. Grosche, 2015). Forschungsbefunde zeigen jedoch, dass die Einbindung aller Kinder gleichermaßen nicht durch inklusive Beschulung allein gesichert werden kann. So hat sich in empirischen Studien wiederholt gezeigt, dass individuelle Faktoren wie Migrationshintergrund, schwache schulische Leistungen und geringe emotional-soziale Kompetenz mit niedrigeren Werten für soziale Partizipation einhergehen. Dabei zeigen sich jedoch insbesondere für die selbstwahrgenommene soziale Partizipation widersprüchliche Befunde (Böttinger, 2021; Schürer, 2020). Farmer (2011) sieht daneben die Lehrkraft als entscheidende Kraft an, die als „invisible hand“ durch ihre Beziehungsgestaltung und ihr Verhalten Einfluss auf die Qualität der Peer-Beziehungen und damit die soziale Partizipation der Kinder nehmen kann (Endedijk et al., 2022). Lehrkräfte mit einer inklusiven Haltung – verstanden als die Wertschätzung von Individualität, Vielfalt und Gemeinschaft als Leitlinien ihres professionellen Handelns – sollten ihr Verhalten auf die Erreichung dieses Ziels ausrichten. Unterschiede in sozialer Partizipation zwischen Schulklassen (z. B. Huber & Wilbert, 2012) könnten somit – so unsere Annahme – auf Unterschiede in der inklusiven Haltung der Lehrkräfte zurückzuführen sein.

Inwiefern eine stark ausgeprägte inklusive Haltung der Lehrkraft darüber hinaus dazu beiträgt, dass die Effekte von Merkmalen des individuellen Kindes abgeschwächt werden, so dass soziale Partizipation für alle Kinder gleichermaßen gelingt, ist unseres Wissens bislang nicht untersucht.

Fragestellungen

In unserem Beitrag gehen wir daher folgenden Fragen nach:

1) Nehmen Migrationshintergrund, schulische Leistungen und sozial-emotionale Kompetenzen Einfluss auf die soziale Partizipation?

2) Steht die inklusive Haltung der Lehrkraft in positivem Zusammenhang mit der individuellen sozialen Partizipation der Lernenden?

3) Variiert der Einfluss der Individualmerkmale auf die soziale Partizipation je nach Ausprägung der inklusiven Haltung der Lehrkraft?

Methode

In einer standardisierten Befragung wurden Daten von rund 1.500 Lernenden der Jahrgänge 3 und 4 aus 63 Klassen aus Nordrhein-Westfalen erhoben. Die selbstwahrgenommene soziale Partizipation wurde über einen psychometrischen Fragebogen (in Anlehnung an Rauer & Schuck, 2004) erfasst. Der Migrationshintergrund wurde über die Familiensprache erfasst. Für jedes Kind liegen weiterhin Lehrkraftangaben zu den schulischen Leistungen und den sozial-emotionalen Kompetenzen vor. Die inklusive Haltung wurde über ein selbstentwickeltes Instrument mit den drei Subskalen Vielfalt, Individuum und Gemeinschaft erhoben. Zur Beantwortung der Forschungsfragen werden Zwei-Ebenen-Modelle angepasst, und neben den Effekten auf Klassen- und Lernenden-Ebene werden Cross-Level-Interaktionen überprüft.

Ergebnisse

Da die Daten erst im August/September 2023 erhoben wurden, können an dieser Stelle erst vorläufige Befunde ohne die Berücksichtigung der hierarchischen Datenstruktur berichtet werden. Erste Analysen mit einer Teilstichprobe zeigen leichte Zusammenhänge zwischen der subjektiv wahrgenommenen sozialen Partizipation und den emotional-sozialen Kompetenzen der Lernenden (r=.206, p<.001, N=565), der Leistung (r=.138, p=.001, N=549) sowie dem Migrationshintergrund (M Mig: 3.0, M Dt: 3.11, t(644)= -2.304; p=.011, d=-.183, N=646).

Die Ergebnisse werden mit Blick auf Implikationen für die schulische Praxis und weitere Forschungsfragen (im Rahmen des Forschungsprojektes) diskutiert.

 

Der Zusammenhang zwischen Lehrkraftfeedback, Sozialverhalten und Ablehnung in standardisierten Mathematikstunden: Ergebnisse einer Videostudie

Elisabeth Moser Opitz1, Marion Diener1, Brigitte Hepberger2, Susanne Kuratli Geeler3, Ariana Garrote4
1Universität Zürich, 2Hochschule für Heilpädagogik, Zürich Zürich, 3Pädagogische Hochschule St. Gallen, 4Fachhochschule Nordwestschweiz

Theoretischer Hintergrund

Ablehnung durch die Peers kann sich negativ auf die Entwicklung von Lernenden auswirken (Ladd et al., 2017). Untersuchungen ergaben, dass das Sozialverhalten (García Bacete et al., 2017), Sprachkompetenzen (Grünigen et al., 2012) und Leistungen (Huber & Wilbert, 2012) Prädiktoren von sozialer Ablehnung sind. Zudem zeigte sich sowohl in experimentellen Studien (Huber al., 2018) als auch in Untersuchungen in natürlichen Unterrichtssituationen ein Zusammenhang zwischen dem Feedbackverhalten der Lehrkraft und der sozialen Ablehnung (Hendrickx et al., 2017; Huber et al., 2018). Beobachtungsstudien ergaben, dass Lehrkräfte insbesondere negatives Feedback zu Sozialverhalten und positives Feedback zu Leistungen erteilen. Diese Feedbackformen wirken sich auf die soziale Akzeptanz auf Klassenebene aus (Wullschleger et al., 2020). Bekannt ist, dass sich Lehrkräfte in ihrem Feedbackverhalten unterscheiden (Rubie-Davies, 2007). Bisher nicht untersucht wurde, ob es Verhaltensmuster in Bezug auf Lehrkräftefeedback (z.B. viel negatives, wenig positives Feedback) gibt und wie solche Muster mit der sozialen Ablehnung von Lernenden und deren Prädiktoren zusammenhängen.

Fragestellungen

Lassen sich Verhaltenstypen in Bezug auf positives und negatives Feedbackverhalten von Lehrkräften identifizieren?

Wie hängen diese Verhaltenstypen mit der sozialen Ablehnung Ende des Schuljahres und deren Prädiktoren, Sozialverhalten, Sprachkompetenzen und Leistungsniveau zusammen?

Methode

Durchgeführt wurde eine Studie mit 36 inklusiven Primarklassen (N = 709 Lernende, 24 erste Klassen, 12 altersgemischte Klassen) (t1 = Anfang Schuljahr; t2 = Ende Schuljahr). Alle Lehrkräfte setzten 21 standardisierte Fördereinheiten zur Ablösung vom zählenden Rechnen während 8 Monaten ein. In allen Klassen wurde die Umsetzung derselben Fördereinheit videografiert. Erhoben wurden folgende Daten:

Sozialverhalten Lernende (t1): 6 Items der Subskalen Prosoziales und Kooperatives Verhalten durch jeweils vier Peers eingeschätzt (SOCOMP; Perren et al., 2012; 6 Items, Cronbach’s alpha = .93).

Soziale Ablehnung (t2): Rating mit Smileys “Wie gerne spielst du mit A” (1 =  = gar nicht gerne” bis 5 =  = “sehr gerne”).

Leistungsniveau (t1): Mathematikleistung Arithmetik (Eigenentwicklung)

Feedbackverhalten: Codierung des öffentlichen Feedbacks an einzelne Lernende (Übereinstimmung Codierung Cohen’s Kappa ƙ = .81). Für die Analysen wurde die relative Häufigkeit positiver und negativer Feedbacks zum Sozialverhalten und zur Leistung pro Klasse berechnet.

Analysen: Multigroup Strukturgleichungsmodelle

Ergebnisse

Positives Feedback zum Sozialverhalten (M = 0.002) sowie negatives Leistungsfeedback (M = 0.08) kamen nahezu nicht vor. Ausgehend vom Feedbackverhalten der Lehrkräfte wurden zwei Extremgruppen sowie eine Gruppe mit «durchschnittlichem» Feedbackverhalten gebildet: Lehrkräfte (SOZNEG), die viel (25. Perzentile) negatives Feedback zum Sozialverhalten gaben (11 bis 30% aller Feedbacks) und entsprechend weniger positive Leistungsfeedbacks erteilten (M = 74% aller Feedbacks); Lehrkräfte (LEISTPOS), die vor allem (25. Perzentile) positives Feedback (94-100% aller Feedbacks) und kaum negatives Feedback erteilten (M = 2% aller Feedbacks) und Lehrkräfte (AVG), die im Vergleich zu den anderen Gruppen durchschnittlich viele positive Leistungsfeedbacks (> 25. Perzentile; M = 84%) und negative Feedbacks zum Sozialverhalten (> 25. Perzentile, M = 5%) erteilten.

Die Gruppen unterschieden sich nicht signifikant bezüglich Sozialverhalten und Leistungsniveau. In allen Gruppen war das Sozialverhalten ein signifikanter Prädiktor der sozialen Ablehnung. Nur in Klassen der Gruppe LEISTPOS war das Leistungsniveau ein signifikanter Prädiktor der sozialen Ablehnung. Das heißt, dass in Klassen, in denen das Lehrkräftefeedback 94 bis 100% positives Leistungsfeedback und durchschnittlich 2% negatives Feedback zu Sozialverhalten war, die Leistungen die soziale Ablehnung von Lernenden voraussagte. Sprachkompetenz war kein signifikanter Prädiktor.

Die Ergebnisse weisen erstens darauf hin, dass es bestimmte Verhaltenstypen in Bezug auf Lehrkräftefeedback zu geben scheint. Es gibt Lehrkräfte, die mit den Kindern fast ausschließlich über Lerninhalt sprechen und kaum störendes Verhalten kommentieren. Zweitens scheint positives Leistungsfeedback im Vergleich zu negativem Feedback zu Sozialverhalten hinsichtlich der sozialen Ablehnung eine wichtige Rolle zu spielen. Im Symposium werden die Ergebnisse und Folgerungen für weitere Untersuchungen sowie die praktische Bedeutung der Erkenntnisse diskutiert.

 

Lehrkraftfeedback, soziale Kompetenzen und soziale Ablehnung: Ein personenzentrierter Ansatz zur Identifizierung gefährdeter Lernender

Ariana Garrote1, Celina Nesme2, Elisbeth Moser Opitz2
1Fachhochschule Nordwestschweiz, 2Universität Zürich

Theoretischer Hintergrund

Positive Interaktionen in der Klasse sind von entscheidender Bedeutung für die sozio-emotionale Entwicklung von Kindern (Davis & Allen, 2023). Erfahren Lernende häufig negative Interaktionen oder Ablehnung in der Peergruppe, kann dies negative Auswirkungen haben (Ladd et al., 2017). Sowohl individuelle Faktoren, wie mangelnde soziale Kompetenzen, geringe Sprachkompetenzen (Grünigen et al., 2012) als auch Interaktionen mit den Lehrkräften können zu sozialer Ablehnung führen. Lernende, die oft negatives Feedback von ihrer Lehrkraft erhalten, erfahren mehr Ablehnung durch ihre Peers (Hendrickx et al., 2017; Spilles et al., 2023). Manche Kinder erhalten signifikant mehr negatives Feedback von ihren Lehrkräften als andere (Babad, 2009; Tenenbaum & Ruck, 2007). Das heißt, nicht alle Lernende sind im gleichen Ausmaß von negativen Interaktionen mit Lehrkräften und Peers betroffen.

Um negative Entwicklungsverläufe zu verhindern ist es wichtig, Risikogruppen zu identifizieren. Im Gegensatz zu variablenzentrierten Ansätzen, die Zusammenhänge zwischen Variablen aufzeigen, ermöglichen personenzentrierte Ansätze Gruppen basierend auf Ähnlichkeiten in Bezug auf mehrere Variablen zu identifizieren.

Fragestellungen

Mit Daten aus teilstandardisierten Klassendiskussionen, in denen das Lehrkräftefeedback gegenüber einzelnen Lernenden erfasst wurde, wird folgende Forschungsfrageuntersucht:

Welche Gruppen von Lernenden lassen sich anhand der Indikatoren Lehrkraftfeedback zu Sozialverhalten und Leistung, soziale Kompetenzen und soziale Ablehnung, identifizieren?

Methode

Die Daten wurden in 18 inklusiven Primarklassen (N = 358, 48 % Mädchen, 9 erste Klassen, 9 altersgemischte Klassen) am Anfang des Schuljahres erhoben. Die Lehrkräfte führten im Rahmen einer Intervention ein bis zwei Mal pro Woche ca. 15 Minuten eine Klassendiskussion zu regelmäßig stattfindenden Kooperationsaktivitäten durch. Der Ablauf der Diskussion und die Fragen waren vorgegeben (z.B. „Was habt ihr in der Kooperationsaktivität besonders an eurem Partner/eurer Partnerin geschätzt?“). In allen Klassen wurde eine Klassendiskussion videografiert. Die Lehrkräfte reagierten einerseits auf die Beiträge der Kinder, andererseits auf deren Sozialverhalten während der Diskussion. Erhoben wurden folgende Daten:

Soziale Kompetenzen: Peerrating des prosozialen und kooperativen Verhaltens mit der Skala Self-and Other-Oriented Social Competences (Perren et al., 2012; α = .95 ).

Sprachkompetenzen: Einschätzung der Lehrkräfte mit zwei Items («X versteht die deutsche Sprache im Schulalltag gut» und «X kann sich im Schulalltag in der deutschen Sprache gut ausdrücken») auf einer vierstufigen Likert-Skala (r =.85).

Soziale Ablehnung: Peerrating mit Smileys “Wie gerne spielst du mit X?” (1 = „gar nicht gerne” bis 5 = „sehr gerne”).

Lehrkraftfeedback: Codierung aller öffentlichen Feedbacks an einzelne Lernende (ƙ = .91) während der Klassendiskussion. Positives Feedback zum Sozialverhalten sowie negatives Leistungsfeedback kamen nahezu nicht vor. Für die Analysen wurde jeweils die relative Häufigkeit negativer Feedbacks zum Sozialverhalten und positiver Feedbacks zur Leistung pro Kind bezogen auf alle öffentlichen Feedbacks der Klasse berechnet.

Analyse: Typenbildung erfolgte durch latente Profilanalyse mit den Indikatoren Lehrkraftfeedback zu Leistung und zu Sozialverhalten, soziale Kompetenzen sowie soziale Ablehnung. Multinomiale logistische Regressionsanalyse wurden eingesetzt, um Unterschiede zwischen den Gruppen in Bezug auf Gender und Sprachkompetenzen zu überprüfen.

Ergebnisse

Es wurden drei Gruppen von Lernenden identifiziert. In Gruppe 1 waren Lernende (15 %) mit den geringsten sozialen Kompetenzen. Sie erhielten am häufigsten negatives Feedback zu ihrem Sozialverhalten aber wenig positives Feedback, und wiesen einen hohen Ablehnungsstatus auf. Männliche Lernende mit geringen Sprachkompetenzen waren übervertreten. In den Gruppen 2 und 3 waren die Lernenden sozial kompetenter. Lernende in Gruppe 2 (23 %) wurden von den Peers signifikant weniger abgelehnt als in den anderen Gruppen und erhielten am häufigsten positives Feedback zu ihren Diskussionsbeiträgen. Die Lernenden der Gruppe 3 (62 %) wiesen durchschnittliche Ablehnungswerte auf und erhielten wenig positives oder negatives Feedback von der Lehrkraft.

Zusammenfassend wurde eine Risikogruppe identifiziert mit niedrigen sozialen Kompetenzen, die überwiegend negative soziale Interaktionen mit Lehrkräften und Peers erlebt. Die Analysen zeigen auch, dass es vor allem Jungen mit geringen Sprachkompetenzen betrifft.

 

Zu Bedeutung sozialer Ängste für den Zusammenhang von Lehrkraftfeedback und der Wahl sozialer Interaktionspartner*innen im Grundschulalter

Philipp Nicolay1, Markus Spilles1, Johanna Krull2, Corinna Hank1, Christian Huber1
1Bergische Universität Wuppertal, 2Universität zu Köln

Theoretischer Hintergrund

Ausgehend von der sozialen Referenzierungstheorie zeigen vergangene Experimental- und Feldstudien (Nicolay & Huber, 2021; Spilles, Huber, Nicolay, König & Hennemann, 2023), dass das Feedback von Lehrkräften die soziale Akzeptanz, die Schüler*innen durch ihre Mitschüler*innen erfahren, beeinflusst. Unklar ist bisher, entlang welcher Merkmale sich Schüler*innen darin unterscheiden, wie stark sie durch das Feedback von Lehrkräften beeinflusst werden. Konzeptionell lassen sich soziale Referenzierungsprozesse als funktional vergleichbar mit anderen sozialen Lern- und Beeinflussungsprozessen verstehen (Walle, Reschke & Knothe, 2017). In diesen Forschungskontexten konnte bereits gezeigt werden, dass soziale Ängste einen Einflussfaktor für Konformität und die Beeinflussbarkeit durch Peers darstellen (Bică, 2022; Cohen & Prinstein, 2006; Feng, Cao, Li, Wu & Mobbs, 2018).

Fragestellungen

Ausgehend vom Forschungsstand zur Peereinfluss- und Konformitätsforschung sowie den mit sozialen Ängsten assoziierten kognitiven Verzerrungen lassen sich zwei konkurrierende Hypothesen formulieren, wie soziale Unsicherheit den Zusammenhang zwischen Lehrkraftfeedback und sozialer Akzeptanz moderieren könnte: Erstens lässt sich aufgrund der bisherigen Forschungslage zu Peereinflussprozessen (Cohen & Prinstein, 2006; Feng et al, 2018) bzw. der Forschung zu Konformität (Bică, 2022) annehmen, dass sozial unsichere Schüler*innen generell stärker durch Lehrkraftfeedback beeinflusst werden, da ihre Furcht vor der Bewertung durch andere stärker ausgeprägt ist (Konformitätshypothese). Zweitens lässt sich vor dem Hintergrund der Befunde zu mit sozialen Ängsten verbundenen kognitiven Verzerrungen (Glazier & Alden, 2019; Kuckertz & Amir, 2014; Taylor, Bomyea & Amir, 2010) annehmen, dass sozial unsichere Schüler*innen stärker von positivem Lehrkraftfeedback und schwächer von negativem Lehrkraftfeedback beeinflusst werden, da sie negative Informationen stärker und positive Informationen schwächer und als weniger bedeutsam wahrnehmen (Biashypothese).

Methode

Die Stichprobe bestand aus 826 Dritt- und Viertklässler*innen, die im Rahmen einer Querschnittsuntersuchung befragt wurden. Die soziale Akzeptanz wurde über das soziometrische Ratingsverfahren mit dem Kriterium Sitznachbar*in erfasst (Cillessen, 2009) und im Anschluss dichotomisiert. An diese angelehnt, wurde die Menge an erhaltenem positivem und negativem Lehrkraftfeedback durch die Schüler*innen für jeweils jedes Kind der Klasse eingeschätzt. Soziale Ängste wurden mit der SASC-R-D (Melfsen, 1998) erfasst. Die Überprüfung der Hypothesen erfolgte mit generalisierten Mehrebenenmodellen. Die abhängige Variable soziale Akzeptanz liegt auf der untersten Ebene der Dyaden (Kind-Kind), die sowohl in den beurteilenden als auch den beurteilten Kindern genestet ist (gekreuzte zufällige Effekte). Diese wurde durch die unabhängigen Variablen wahrgenommenes positives und negatives Feedback (Dyaden-Ebene), soziale Ängste (Individual-Ebene) und die entsprechenden Cross-Level Interaktionen vorhergesagt.

Ergebnisse

Die Ergebnisse der Mehrebenenmodelle zeigen sowohl einen generellen Zusammenhang zwischen dem Feedback, das Schüler*innen gegenüber ihren Mitschüler*innen wahrnehmen und der sozialen Akzeptanz, die sie ihnen entgegenbringen (OR = 1.94, p < .001 bzw. OR = 0.81, p < .001) als auch Interaktionseffekte zwischen der Wahrnehmung von positivem und negativem Feedback und sozialen Ängsten. Eine höhere Ausprägung von sozialen Ängsten war hierbei mit einem geringeren Zusammenhang zwischen positivem Lehrkraftfeedback und sozialer Akzeptanz (OR = 0.88, p = .017) und einem höheren Zusammenhang (OR = 0.87, p = .005) zwischen negativem Lehrkraftfeedback und sozialer Akzeptanz assoziiert.

Diskussion

Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Schüler*innen mit zunehmender sozialer Unsicherheit bei der Wahl von Sozialkontakten negatives Lehrkraftfeedback stärker und positives Lehrkraftfeedback schwächer gewichten. In Bezug auf die zwei aufgestellten und aus empirischen Befunden der Peer- und Konformitätsforschung bzw. der Forschung zu sozialen Ängsten abgeleiteten konkurrierenden Hypothesen, sprechen die Ergebnisse gegen die Konformitäts- und für die Bias-Hypothese. Für Lehrkräfte ergibt sich hieraus die besondere Problematik, die im Rahmen des Vortrags diskutiert werden soll, dass eine Schüler*innengruppe, die von ihnen häufig nur schwer zu identifizieren ist (Melfsen, 1998), in besonderem Maße in der Wahl ihrer Sozialkontakte von negativem Lehrkraftfeedback beeinflusst wird. Dies wiegt umso schwerer, da diese Gruppe selbst eine geringere soziale Akzeptanz durch Mitschüler*innen erfährt (Weber, Nicolay & Huber, 2021).



 
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