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2-18: Mathematische Bildung I
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Paper Session
Situationales Interesse beim Lösen selbstentwickelter Mathematikaufgaben – die Bedeutung von Aufgaben- und Personenmerkmalen 1Universität Paderborn, Deutschland; 2Universität Münster, Deutschland Unter Interesse versteht man eine gegenstandsbezogene Motivation (Krapp, 2002). Empirische Studien deuten darauf hin, dass Interesse das Lernen positiv beeinflusst und sich vom zeitlich instabilen situationalen Interesse zum stabilen individuellen Interesse entwickelt (Hidi & Renninger, 2006). Es wird angenommen, dass Aufgaben- und Personenmerkmale für die Entwicklung des situationalen Interesses entscheidend sind. Diese Annahme wird hier für die Aufgabenmerkmale Modellierungspotential und Komplexität und für die Personenmerkmale Erfahrungen mit selbstentwickelten Aufgaben und mathematische Leistung erforscht. Das Entwickeln eigener anspruchsvoller Aufgaben zu realitätsbezogenen Situationen (Modellierungsaufgaben) wird als eine Möglichkeit gesehen, Interesse zu steigern (Cai & Leikin, 2020). Insbesondere das Modellierungspotential der selbstentwickelten Aufgaben (Authentizität und Offenheit) kann durch die Nähe zur Realität situationales Interesse auslösen. Appraisal-Theorien (Silvia, 2005) zufolge ist dabei entscheidend, dass die Aufgaben als herausfordernd (hohe Komplexität) und bewältigbar wahrgenommen werden. Die Erfahrung mit dem Entwickeln eigener Aufgaben (Personenmerkmal) kann das Interesse der Aufgabenbearbeitung über das Modellierungspotential und die Komplexität selbstentwickelter Aufgaben (Aufgabenmerkmale) positiv beeinflussen. Die Zusammenhänge zwischen der Erfahrung mit dem Entwickeln eigener Aufgaben und dem Interesse können für Personen mit verschiedenen mathematischen Leistungen (Personenmerkmal) variieren. Hypothesen
Methode 105 Neuntklässler:innen (53% weiblich, M = 15 Jahre) wurden gebeten, zu sechs realitätsbezogenen Situationen je eine mathematische Aufgabe zu entwickelt. Nach der Entwicklung jeder Aufgabe wurde Interesse an der Bearbeitung jeder selbstentwickelten Aufgabe abgefragt. Anschließend haben Lernende ihre Erfahrung mit der Entwicklung von Aufgaben und die letzte Schulnote in Mathematik (mathematische Leistung) berichtet. Für die Befragungen wurden eine 5-stufige Ratingskala eingesetzt (1=stimmt gar nicht; 5=stimmt voll zu). Interesse wurde mit dem Item: „Es wäre interessant, die Fragestellung zu bearbeiten“ abgefragt und über 6 verschiedene Aufgaben zu einem Mittelwertscore aggregiert (Cronbachs α=.859). Die Erfahrungen wurden mit drei Items gemessen, z.B.: „Im Mathematikunterricht bearbeiten wir selbstausgedachte Fragen zu Textaufgaben“ (Cronbachs α=.714). Modellierungspotential wurde anhand der Authentizität und der Offenheit der selbstentwickelten Aufgaben dreistufig kodiert (von 0=niedrige Authentizität und geschlossene Aufgabe bis 2=hohe Authentizität und offene Aufgabe; Intercoderreliabilität .86; Cronbachs α=.676). Mathematische Komplexität wurde zweistufig kodiert (0=einstufige arithmetische Verfahren, 1=komplexe mehrstufige Verfahren; Intercoderreliabilität .573; Cronbachs α=.563). Die Ergebnisse wurden mit Pfadmodellen mit Hilfe von MPlus3.9 (MLR-Schätzer, CFI>0.923, SRMR<.031) berechnet. Fehlende Werte wurden mit FIML geschätzt. Ergebnisse und Diskussion Es zeigten sich keine Zusammenhänge zwischen Aufgabenmerkmalen und Interesse (p>.10). Wie erwartet moderierte die mathematische Leistung den Zusammenhang zwischen Modellierungspotential der Aufgaben und Interesse (β=−1.136, p=.009). Das Modellierungspotential hing positiv mit dem Interesse bei leistungsschwächeren Lernenden (β=0.885, p=.037) und negativ bei leistungsstärkeren Lernenden (β=−1.240, p=.039) zusammen. Keine Moderationseffekte wurden für den Zusammenhang zwischen Aufgabenkomplexität und Interesse festgestellt (p>.10). Erfahrung mit selbstentwickelten Aufgaben hingen positiv mit Interesse zusammen (β=0.239, p=.002). Diese Effekte wurden aber nicht über die Aufgabenmerkmale vermittelt (p>.10). Die Ergebnisse bestätigen eine hohe Bedeutsamkeit von Aufgaben- und Personenmerkmalen für das situationale Interesse, wie in Motivationstheorien angenommen wurde. Das Modellierungspotenzial von selbstentwickelten Aufgaben ist insbesondere bei leistungsschwächeren Lernenden interessensförderlich. Eine Erklärung dafür kann sein, dass leistungsschwächere Lernende Realitätsbezüge besonders schätzen. Eine praktische Implikation der Studie ist, dass durch das Entwickeln eigener Aufgaben im Mathematikunterricht, Lernende wichtige Erfahrungen sammeln, die wiederum Interesse steigern können. Paper Session
Adaptiver Umgang mit Fehlvorstellungen im Bereich Brüche - eine empirische Studie im Mixed-Methods Design 1Universität Tübingen, Deutschland; 2Technische Universität München, Deutschland; 3Pädagogische Hochschule Freiburg, Deutschland Theoretischer Hintergrund Adaptiv mit Fehlvorstellungen von Lernenden umzugehen, welche sich zum Beispiel in fehlerhaft bearbeiteten Aufgaben widerspiegeln können, ist von grundlegender Bedeutung für die individuelle Förderung von Lernenden (Gallagher et al., 2020). Adaptive Lernimpulse von Lehrkräften sollten einerseits individuelle Bedürfnisse der Lernenden (Lernendenfokus) berücksichtigen und andererseits zum Aufbau tragfähiger Grundvorstellungen im jeweiligen Inhaltsbereich (Zielfokus) beitragen (Prediger et al., 2022). Dieser Kompetenz von Lehrkräften, adaptiv mit Fehlvorstellungen umzugehen, liegen die Prozesse des Wahrnehmens von relevanten Informationen sowie die adäquate Interpretation der wahrgenommenen Informationen unter Rückgriff auf vorhandenes professionelles Wissen zugrunde (van Es & Sherin, 2021). Für die Interpretation ist insbesondere Fachwissen über den jeweiligen Inhaltsbereich und fachdidaktisches Wissen über mögliche Fehlvorstellungen von großer Bedeutung (Gallagher et al., 2020). Empirische Studien haben gezeigt, dass adaptiver Unterricht insbesondere für angehende Mathematiklehrkräfte eine große Herausforderung darstellt, die Gründe für diese Herausforderung sind jedoch kaum untersucht (Hardy et al., 2019). Qualitative Ergebnisse weisen darauf hin, dass angehende Lehrkräfte rein motivationalen Aspekten einer Situation oft eine wichtigere Rolle zuschreiben als fachdidaktisch relevanten Aspekten, was ihre Entscheidung beim adaptiven Unterrichten beeinflussen könnte (z. B. Wirth et al., 2022). Bislang fehlen jedoch Studien, die experimentell untersuchten, inwieweit angehende Mathematiklehrkräfte adaptive Impulse zu vorliegenden Lösungen von Lernenden geben können, welche Informationen sie dabei wahrnehmen und auf welche kognitiven Ressourcen (z. B. welches Wissen) sie zurückgreifen. Fragestellung Die Studie untersucht, inwieweit angehende Mathematiklehrkräfte adaptive Lernimpulse für vorgegebene fehlerhafte Lösungen von Lernenden auswählen. Zur Analyse der zugrunde liegenden Prozesse des Wahrnehmens und Interpretierens werden zusätzlich die verbalen Begründungen der Teilnehmenden für ihre Auswahl in Hinblick auf a) die berücksichtigten Informationen und b) die genutzten kognitive Ressourcen analysiert. Methode Anhand von zehn textbasierten Vignetten wurden die Auswahl und Begründungen von N = 48angehenden Mathematiklehrkräften (Alter: M = 24,76 Jahre, SD = 1,80 Jahre; 70,2 % weiblich, 29,8 % männlich) untersucht. Die Vignetten umfassten jeweils fehlerhafte Lösungen von Lernenden im Inhaltsbereich Brüche, welche auf eine Fehlvorstellung hindeuteten, und drei mögliche Lernimpulse. Jeder Impuls bestand aus einer verbalen Erklärung und einer Visualisierung. Von den drei zur Wahl stehenden Lernimpulsen war jeweils einer am adaptivsten und beinhaltete gleichzeitig einen hohen Lernendenfokus und einen hohen Zielfokus (vgl. Prediger et al., 2022). Die beiden anderen Lernimpulse enthielten unvorteilhafte Erklärungen oder Visualisierungen, die das Potenzial hatten, die jeweilige Fehlvorstellung zu verstärken. Die Auswahl der Lernimpulse wurde quantitativ ausgewertet, die verbalen Begründungen wurden qualitativ und quantitativ analysiert. Ergebnisse Die Ergebnisse zeigen, dass angehende Mathematiklehrkräfte nur in etwa der Hälfte der Vignetten (53 %) den adaptivsten Lernimpuls für die gegebene Lösung auswählten. Bei ihrer Auswahl berücksichtigten die Teilnehmenden am häufigsten Aspekte der Visualisierung (in 89 % der Begründungen) und rein motivationale Aspekte (in 73 %). Aspekte, die auf das Denken der Lernenden und mögliche Fehlvorstellungen hinweisen, wurden kaum berücksichtigt (in 18 % der Begründungen). Bei der Begründung der Auswahl nutzten die Teilnehmenden insbesondere ihr fachdidaktisches Wissen (64 %) und motivationale Orientierungen (24 %). Auf relevantes Fachwissen bezogen sie sich hingegen nur in 2 % der Begründungen. Interessanterweise zeigten sich hohe interindividuelle Unterschiede bei der Auswahl und den kognitiven Prozessen. Zum Beispiel zeigte sich, dass 68 % der Teilnehmenden, die fachdidaktisches Wissen nutzten, in mindestens der Hälfte der Vignetten auf dieses zurückgriffen. Die Nutzung variierte jedoch zwischen zwei und neun Vignetten. Aktuell analysieren wir mögliche Gründe für diese Unterschiede und inwieweit wahrgenommene Informationen und genutzte Ressourcen mit der Auswahl des Impulses zusammenhängen. Ergebnisse liegen bis zur Konferenz vor. Die Ergebnisse der Studie bieten u. a. konkrete Ansatzpunkte, um die Wahrnehmung relevanter Informationen vorliegender Lösungen, die notwendigen Wissensaspekte sowie den adaptiven Umgang mit Fehlvorstellungen in der Ausbildung angehender Lehrkräfte gezielt zu fördern. Paper Session
Zusammenhang zwischen der Nutzung intelligenter tutorieller Systeme (ITS) und dem Lernzuwachs in Mathematik in der Mittelstufe 1Goethe Universität, Deutschland; 2Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften Theoretischer Hintergrund Im Mathematikunterricht werden digitale Medien in Form digitaler Mathematikwerkzeuge (z.B. grafikfähige Taschenrechner, dynamische Geometriesoftware) seit langem eingesetzt und sind auch fester Bestandteil der Bildungsstandards (KMK, 2022). Insbesondere durch die Corona-Pandemie sind in den letzten Jahren computerbasierte Mathematiklernsystem in Form von intelligenten tutoriellen Systemen (ITS) stärker in den Fokus gerückt. Diese Systeme zeichnen sich oft durch eine breite Basis an bereitstehenden Inhalten, Adaptivität und direktes Feedback aus. Die Studienlage zur Lernwirksamkeit von ITS ist uneindeutig (Steenbergen-Hu & Cooper, 2013, Kulik & Fletcher, 2016). Daher soll im Rahmen dieser Studie der Einfluss der Nutzung eines ITS (Bettermarks) auf den Lernzuwachs in Mathematik von Schülerinnen und Schülern untersucht werden. Fragestellung Inwiefern existiert ein Zusammenhang zwischen (1) der mittleren Nutzungshäufigkeit des ITS auf Klassenebene (2) der individuellen Nutzungshäufigkeit des ITS relativ zum Klassenmittelwert und dem Lernzuwachs von Schülerinnen und Schülern in Mathematik? Methode Im Längsschnitt liegen die Daten von 942 Testpersonen (489 weiblich, 445 männlich, 8 ohne Angabe) aus 57 Klassen der Klassenstufe 7 und 8 aus Schleswig-Holstein vor. Von den Testpersonen besuchten 771 ein Gymnasium und 165 eine Gemeinschaftsschule. Das mittlere Alter betrug 12,8 Jahre (SD = 0.7). An zwei Messzeitpunkten (Prätest: September bis November 2021, Posttest: Juni bis Juli 2022) wurde ein computerbasierter Fragebogen administriert. Die Zeitabstände zwischen Prä- und Posttest zwischen den Klassen betrugen im Mittel 253 Tage (Median). Zu beiden Messzeitpunkten wurden die Mathematikleistungen und weitere Schülermerkmale gemessen. Darüber hinaus wurde während des Schuljahres die Aktivität der einzelnen Schülerinnen und Schüler im ITS erfasst. Die Schülerinnen und Schüler bearbeiteten in dem ITS sogenannte Worksheets (Arbeitsblätter). Bei jeder Bearbeitung eines Worksheets wurde erfasst, aus wie vielen Aufgaben es besteht, wie viele Aufgaben davon korrekt gelöst wurden und wann die Bearbeitung erfolgte. Über Umfang, behandelte Inhalte und Zeitpunkt der Nutzung entschieden Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler selbstständig. Bei den administrierten Items handelte es sich größtenteils um Items aus der internationalen Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS) für die Jahrgangsstufe 8. Die Items deckten Unterrichtsinhalte der Jahrgangsstufen 7 und 8 mit den vier Leitideen „Zahl und Operation“, „Raum und Form“, „Größen und Messen“ und „Strukturen und funktionaler Zusammenhang“ entsprechend der Bildungsstandards (KMK, 2022) ab. Neben den Mathematikleistungen wurden noch weitere Schülermerkmale (z.B. End- und Halbjahresnoten in Mathematik, kulturelles Kapital des Elternhauses, Selbstkonzept in Mathematik) erfasst. Die Testergebnisse wurden mit Hilfe eines Rasch-Modells skaliert und in einem Mehrebenenmodell analysiert. Ergebnisse Die Itemanalyse zeigte, dass die eingesetzten Items eine gute Passung aufwiesen (INFIT zwischen 0.87 und 1.15, Trennschärfe über 0.24). Die WLE-Reliabilität betrug 0.76. Der durchschnittliche Lernzuwachs der Stichprobe im Messzeitraum betrug 0.35 Standardabweichungen. Um den Zusammenhang zwischen der Nutzungshäufigkeit des ITS und dem Lernzuwachs der Schülerinnen und Schüler zu ermitteln, wurde die ITS-Nutzungshäufigkeit operationalisiert als die Anzahl der von einer Testperson zwischen den beiden Messzeitpunkten bearbeiteten unterschiedlichen Worksheets. Darauf aufbauend wurde in einem Mehrebenenmodell der Einfluss der ITS-Nutzungshäufigkeit unter Kontrolle verschiedener Kovariaten (Schulform, Klassenstufe, Mathematik-Note, Selbstkonzept Mathematik) auf die Mathematikleistung im Posttest untersucht. Die Intraklassenkorrelation der Mathematikleistung betrug 0.39. Auf Individualebene wurde 30.8%, auf Klassenebene 80.5% der Varianz aufgeklärt. Auf Klassenebene hatte die ITS-Nutzung keinen Effekt, β = -0,01 (p = .77), während die Effektstärke der standardisierten, am Klassendurchschnitt gemittelten ITS-Nutzung auf Individualebene signifikante 0.06 (p= .009) betrug. Somit hatten Schülerinnen und Schüler, die das ITS häufiger als ihre Klassenkameraden nutzten, durchschnittlich einen größeren Lernzuwachs. Allerdings wiesen Klassen, die das Programm häufig nutzten, durchschnittlich keinen höheren Lernzuwachs auf. Dies lässt vermuten, dass nicht das Medium ITS ursächlich für den Lernzuwachs war, sondern der höhere Lernzuwachs von Schülerinnen und Schüler bei intensiverer ITS-Nutzung durch die größere Übungszeit verursacht wurde. Ein ähnlicher Übungszeiteffekt lässt sich möglicherweise auch mit klassischen Medien (z.B. Schulbuchaufgaben) erzeugen. Paper Session
Wenn das Wörtchen „wenn“ nicht wär… Die Relevanz sprachlicher Merkmale bei bedingten Wahrscheinlichkeiten Universität Kassel, Deutschland Theoretischer Hintergrund: Das Verständnis bedingter Wahrscheinlichkeiten ist häufig mit Missverständnissen verbunden, wie ein mittlerweile gesperrter Twitter-Post von Donald Trump mit fehlverstandenen Informationen zu Covid-Infektionen beim Tragen einer Maske exemplarisch illustrierte. Solche Missverständnisse zeigen ein vermindertes Bayesianisches Denken, das die Fähigkeit umfasst, bedingten Wahrscheinlichkeiten auf Basis von neuen Informationen einzuschätzen (Reani et al., 2018). Trotz bekannter hilfreicher Strategien (McDowell & Jacobs., 2017; Cui et al., 2023) bleiben auch bei Nutzung dieser Strategien Missverständnisse bestehen, wie die Verwechslung von bedingter mit konjugierter Wahrscheinlichkeit oder zweier bedingter Wahrscheinlichkeiten (Eichler et al., 2020). Bestimmte sprachliche Beschreibungen könnten das Verständnis Bayesianischer Situationen erschweren (Post & Prediger, 2022) und mit Visualisierungen beim Bayesianischen Denken interagieren (Böcherer-Linder, et al., 2018). Bisher untersuchen nur wenige Studien, welche Formulierungen Transparenz über die Bedeutung bedingter Wahrscheinlichkeiten herstellen. Außerhalb dieses mathematischen Gebiets ist der Einfluss sprachlicher Merkmale auf (Mathematik)leistung intensiver untersucht worden und legt beispielsweise nahe, dass Nominalphrasen schwerer nachzuvollziehen sind als andere Phrasenstrukturen (Heine et al., 2018). Fragestellung: Die Rezeption von (bedingten) Wahrscheinlichkeiten wird 1) auf rein sprachlicher Ebene (ohne numerische und/oder visuelle Informationen) und 2) mit numerischen und visuellen Informationen untersucht. Zu 1) analysieren wir, welche Formulierungen Missverständnisse (auf sprachlicher Ebene) bedingen. Zu 2) fragen wir, inwiefern Bayesianisches Denken von der Formulierung der Frage abhängt und unterscheiden Formulierungen mit Wenn-Satz und Bedingung am Satzanfang (Experimentalgruppe 1), Wenn-Satz und Bedingung am Satzende (Experimentalgruppe 2) und Nominalphrase (Experimentalgruppe 3). Methode: An unserer präregistrierten Studie nahmen N=124 Schüler*innen eines Oberstufengymnasiums teil. Alle Schüler*innen sollten sieben Formulierungen von Wahrscheinlichkeiten in Gruppen äquivalenter Formulierungen einsortieren (Gruppenanzahl wurde selbst gewählt). Diese Formulierungen umfassen drei äquivalente Formulierungen des positiven Vorhersagewerts (2x Wenn-Satz; 1x Nominalphrase), eine Formulierung der Sensitivität als Wenn-Satz und drei äquivalente Formulierungen einer konjugierten Wahrscheinlichkeit (2x „und“-Formulierung; 1x „sowohl-als-auch“-Formulierung). Zusätzlich beantworteten sie acht Fragen (Formulierung entsprechend ihrer Experimentalgruppe) zum Bayesianischen Denken mit einem Netzdiagramm (Binder et al., 2020). Ergebnisse: Für beide Fragestellungen wurde je ein gemischtes generalisiertes lineares Modell (GLMM) mit Maximum-Likelihood-Methode geschätzt. Für GLMM1 wurden Paare von jeweils zwei aus den sieben Formulierungen betrachtet und damit insgesamt 21 Paare pro Person. Sind beide Formulierungen eines Paares äquivalent, sollte das Paar in der gleichen Gruppe sein (ansonsten in getrennten). Ob ein Paar korrekt (in eine (un)gleiche Gruppe) einsortiert wurde, ist die abhängige Variable in GLMM-1 (Kodierung mit 1, falls korrekt, sonst 0). In das Modell wurden als Prädiktoren aufgenommen, ob im Paar (i) die Formulierungen (nicht) äquivalent sind und (ii) eine Formulierung entsprechend einer Experimentalgruppe enthalten ist (und wenn ja welche) sowie deren Interkationen. In der Referenzgruppe (äquivalente Paare ohne Experimentalgruppen-Formulierung, also mit konjugierten Wahrscheinlichkeiten) werden 52% korrekterweise gleich eingruppiert. In äquivalenten Paaren (bedingter Wahrscheinlichkeiten) ausschließlich mit Wenn-Satz-Formulierungen gibt es mit 51% keinen signifikanten Unterschied zur Referenzgruppe (b1=–0,06, p=0,78). Äquivalente Paare mit einer Nominalphrase werden aber mit 33% korrekten Zuordnungen signifikant seltener korrekt eingruppiert (b2=–0,88, p<0,001). 77% der nicht-äquivalenten Paare werden korrekterweise ungleich eingruppiert und damit signifikant häufiger als die Referenzgruppe (b3=1,42,p<0,001). Nicht-äquivalente Paare mit Nominalphrase werden noch häufiger getrennt gruppiert (b4=0,57, p=0,01). Die abhängige Variable in GLMM-2 ist die Lösung einer Bayesianischen Aufgabe (Kodierung mit 1, falls korrekt, sonst 0). In GLMM-2 wurde Experimentalgruppe 2 als Referenzgruppe verwendet und Experimentalgruppen 1 und 3 als dummy-kodierte Prädiktoren einbezogen. Der Anteil korrekter Lösungen variiert zwischen Experimentalgruppe 1 (51%), 2 (35%) und 3 (51%) und die Regressionsgewichte sind für Experimentalgruppen 1 (b1=1,03,p=0,023) und 3 (b2=1,01,p=0,019) signifikant. Bayesianisches Denken mit Netzdiagramm ist also bei Formulierungen mit Nominalphrase und Wenn-Satz am Anfang signifikant besser als bei Formulierung mit Wenn-Satz am Ende. Zusammengenommen zeigt sich auf rein sprachlicher Ebene ein Nachteil von Nominalphrasen für das Verständnis bedingter Wahrscheinlichkeiten. Dieser kann anscheinend durch die Visualisierung der Bayesianischen Situation ausgeglichen werden. |