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Sitzungsübersicht
Sitzung
2-16: Geschlechterrollen und gendersensible Sprache
Zeit:
Montag, 18.03.2024:
13:10 - 14:50

Ort: S15

Seminarraum, 50 TN

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Präsentationen
Paper Session

Berufliche und Familiäre Langzeiteffekte von Einstellungen zu Geschlechterrollen

Ricarda Ullrich1,3, Michael Becker2,3, Jan Scharf3

1IPN, Kiel; 2IFS, Dortmund; 3DIPF, Frankfurt

Obwohl die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt vor allem seit den 1970er Jahren deutlich zugenommen hat und Frauen in ihrer schulischen Laufbahn erfolgreicher sind, bestehen nach wie vor Ungleichheiten bei der Aufteilung der Erwerbsarbeit sowie familiären und häuslichen Pflichten (Buchmann & DiPrete, 2006; García-Mainar, Molina & Montuenga, 2011). Geschlechterrollen bilden hierbei eine mögliche Erklärungsperspektive und können als normative Erwartungen der Macht- und Arbeitsverteilung zwischen Männern und Frauen verstanden werden, die sich auf einen kulturell-historischen Kontext beziehen (Eagly & Wood, 2012). Kinder und Jugendliche entwickeln entsprechende Einstellungen zu Geschlechterrollen (Ruble & Martin, 2006). Diese Einstellungen gewinnen insbesondere am Ende der Adoleszenz und im beginnenden Erwachsenenalter an Relevanz, wenn junge Erwachsene die ersten Grundsteine für ihre künftige berufliche Laufbahn legen. Diese Einstellungen stehen im Zusammenhang mit dem Nutzen oder der sozialen Erwünschtheit von Studiums- oder Berufsoptionen, welche für den späteren beruflichen Erfolg einen kumulierenden Effekt haben können (Corrigall & Konrad, 2007; Dicke, Safavian & Eccles, 2019). Bisherige Forschung zeigte bereits Zusammenhänge zwischen Einstellungen zu Geschlechterrollen und beruflichen Erfolgsfaktoren (Christie-Mizell, 2006; Judge & Livingston, 2008) sowie familiären und häuslichen Pflichten (Duvander, 2014; Evertsson, 2014). Die wenigen Untersuchungen, die sich mit den langfristigen Zusammenhängen von frühen Einstellungen zu Geschlechterrollen und dem beruflichen Erfolg widmeten, heben eine besondere Bedeutung für Frauen hervor (Corrigall & Konrad, 2007; Dicke et al., 2019). Eine langfristige Perspektive auf die Übernahme häuslicher und familiärer Tätigkeiten blieb bisher offen.

Daher stellt sich die Frage, ob sich Einstellungen zu Geschlechterrollen bereits im jungen Erwachsenenalter soweit manifestiert haben, dass sie langfristig mit dem beruflichen Erfolg (gemessen über die Wochenarbeitszeit, das Berufsprestige, das Einkommen und den Berufssektor) sowie familiären und häuslichen Tätigkeiten (gemessen über die Elternzeit und die Haushaltstätigkeiten) 9 und 18 Jahre später im Zusammenhang stehen. Dazu wurden drei Wellen des BIJU-Datensatzes verwendet (N = 4816). Die egalitären Geschlechterrolleneinstellungen wurden im jungen Erwachsenenalter (2000/2001; mittleres Alter = 22) erhoben, während die beruflichen Erfolgsindikatoren sowie familiäre und häusliche Tätigkeiten 9 (2009/2010; mittleres Alter = 31) sowie 18 (2018; mittleres Alter = 40) Jahre später erhoben wurden. Zur Analyse wurden lineare (Einkommen, Prestige, Haushaltstätigkeiten) und logistische Mehrgruppenregressionsmodelle (Arbeitsstunden, Elternzeit) sowie multinomiale Regressionen getrennt nach Geschlecht (Berufssektor) in Mplus gerechnet.

Die Ergebnisse zeigten, dass egalitärere Geschlechterrolleneinstellungen bei jungen Frauen 9 Jahre später mit höherem Berufsprestige und 18 Jahre später mit höherem Einkommen assoziiert waren, während egalitärere Einstellungen bei jungen Männern 9 Jahre später mit weniger Einkommen und 9 und 18 Jahre später mit höherem Prestige assoziiert waren. Zudem wählten junge Männer mit egalitäreren Einstellungen eher einen Beruf im sozialen und kulturellen Sektor verglichen mit neutralen Sektoren – während die Wahl eines Berufssektors bei Frauen nicht mit ihren Geschlechterrolleneinstellungen variierte. Letztlich zeigte sich, dass Männer mit 40 Jahren mehr Haushaltstätigkeiten übernahmen, wenn sie als junge Männer egalitärere Einstellungen aufwiesen.

Die Ergebnisse betonen die Bedeutung von Einstellungen zu Geschlechterrollen junger Erwachsener für ihren langfristigen beruflichen Erfolg über einen Zeitraum von fast 20 Jahren – diese Zusammenhänge zeigten sich teilweise sogar unter Berücksichtigung der wichtigsten Prädiktoren für den beruflichen Erfolg, wie den kognitiven Fähigkeiten, dem sozioökonomischen Hintergrund und dem Schul- und Hochschulabschluss. Die Ergebnisse reihen sich in bisherige Untersuchungen ein, die positive Zusammenhänge egalitärerer Geschlechterrolleneinstellungen für den beruflichen Erfolg von Frauen verdeutlichten. Gleichzeitig werfen die Ergebnisse einen Blick auf die weniger stark untersuchte Perspektive von Männern. Dabei wird die ambivalente Bedeutung von egalitäreren Geschlechterrolleneinstellungen für den beruflichen Erfolg von Männern hervorgehoben, unterstreichen allerdings ebenso die Relevanz egalitärer Geschlechterrolleneinstellungen bei Männern für eine egalitäre Aufteilung der Haushaltsaufgaben.



Paper Session

Wie reagieren angehende Erzieher*innen auf geschlechts(un)typische Kinder: Eine experimentelle Vignettenstudie

Hannah Streck, Ursula Kessels

Freie Universität Berlin, Deutschland

Geschlechterstereotype sind kognitive Strukturen, die beeinflussen können, wie Menschen aufgrund ihres Geschlechtes bewertet werden (Ellemers, 2018). Bisherige Forschungsergebnisse zeigen, dass Verstöße gegen Geschlechterstereotype von Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern negativ bewertet werden (Braun & Davidson, 2017; Kwan et al., 2020; Rudman, Moss-Racusin, Phelan & Nauts, 2012). Bisher gibt es kaum Erkenntnisse darüber, wie solche Verstöße generationenübergreifend wahrgenommen werden. Kinder zeigen neben geschlechtstypischem (konformem) Verhalten auch oft geschlechtsuntypisches (nonkonformes) Verhalten (Sandberg, Meyer-Bahlburg, Ehrhardt & Yager, 1993); die vorliegende Studie geht der Frage nach, wie erwachsene pädagogische Fachkräfte dies wahrnehmen. In vorliegenden, aus den USA stammenden Studien hatten Erwachsene negativere Einstellungen gegenüber Kindern, die als geschlechtsnonkonform beschrieben wurden, als gegenüber geschlechtskonformen Kindern (Sullivan, Moss-Racusin, Lopez & Williams, 2018; Thomas & Blakemore, 2013). Die stärksten negativen Reaktionen zeigten sich gegenüber Jungen, die weiblich stereotypisiertes Verhalten zeigten. Diese Studien wurden mit Erwachsenen durchgeführt, die nicht aus dem Kreis pädagogischer Fachkräfte stammten. Es liegt kaum Forschung zu Einstellungen von Erwachsenen, die beruflich mit Kindern arbeiten, vor (Bochicchio et al., 2019). So fehlt es an Studien zu den Einstellungen von angehenden Erzieher*innen in Deutschland gegenüber geschlechtskonformem und -nonkonformem Verhalten von Kindern. Dies ist eine bedeutsame Forschungslücke, da Erzieher*innen zu den zentralen Sozialisationsfiguren von Kindern gehören. Zudem ist die geschlechtergerechte Erziehung für viele Eltern ein zentrales Thema, das sie auch in externen Einrichtungen umgesetzt sehen möchten (Wößmann, Lergetporer, Grewenig, Kersten & Werner, 2018).
In einer Vorstudie mit Studierenden (N=350) wurden Geschlechterstereotype über Kinder in der deutschen Gesellschaft erfasst und analog zum Vorgehen vorliegenden Studien (Koenig, 2018, Sullivan, Ciociolo & Moss-Racusin, 2022) analysiert, um Stimulusmaterialien für diese Studie zu entwickeln. In unserer experimentellen Vignettenstudie manipulierten wir in einem schriftlichen Dialog zwischen zwei Erzieher*innen das Geschlecht (männlich, weiblich) und das Verhalten (maskulin, feminin) fiktiver dreijähriger Kinder (2x2 between-subjects Design). N = 448 angehende Erzieher*innen aus 6 Berufsschulen bewerteten je eine der vier Vignetten (maskuliner Junge, maskulines Mädchen, femininer Junge, feminines Mädchen) hinsichtlich empfundener Sympathie, wahrgenommener Kompetenz, Kreativität und Selbstwert und füllten für das fiktive Kind den Strength and Difficulties Questionnaire (SDQ-Deu) aus (Koglin, Barquero, Mayer, Scheithauer & Petermann, 2007), welcher internalisierende und externalisierende Tendenzen erfasst. Es wurde die Hypothese geprüft, dass geschlechtskonforme Kinder positiver bewertet werden als Kinder, die geschlechtsnonkonformes Verhalten zeigen, und dass negative Bewertungen bei femininen Jungen am deutlichsten ausgeprägt sein werden.
Die Daten wurden mittels 2x2 ANOVAs mit Bonferroni Korrekturen analysiert. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen geschlechtskonformen und nonkonformen Kindern in Bezug auf die ihnen gegenüber empfundene Sympathie gab. Es zeigten sich jedoch signifikante Interaktionen zwischen dem Geschlecht und dem geschlechtstypischen Verhalten in Bezug auf wahrgenommene Kompetenz, Kreativität und Selbstwert des Kindes. Hier erhielten maskuline Mädchen die positivsten Bewertungen. Interessanterweise zeigten sich aber keine ausgeprägten negativen Effekte für feminine Jungen. Allerdings wurden feminine Mädchen negativer in Bezug auf Kompetenz, Kreativität und Selbstwert bewertet. Bezüglich des SDQ-Deu zeigte sich, dass maskulines Verhalten mit externalisierenden Problemen und feminines Verhalten mit internalisierenden Problemen in Zusammenhang gebracht wurde, aber sich kein Effekt der Geschlechtskonformität des jeweiligen Verhaltens fand. Dies entspricht bereits publizierten Studien, die hervorheben, dass die Richtung des geschlechtstypischen Verhaltens für die Zuschreibung von externalisierendem und internalisierendem Verhalten wichtiger sein kann als die Übereinstimmung des Verhaltens mit der eigenen Geschlechtszugehörigkeit (Thomas & Blakemore, 2013).
Wir diskutieren die von vorliegenden Studien abweichenden Befunde, z.B. dass in unserer Studie maskuline Mädchen positiver wahrgenommen wurden als feminine Mädchen und dass feminine Jungen weniger negativ bewertet wurden. Hier könnten länderspezifische Aspekte und ein Wandel der Einstellungen eine Rolle spielen. Die besonders skeptischen Einstellungen gegenüber femininen Mädchen bei pädagogischem Personal weisen auf eine Höherbewertung maskuliner Eigenschaften hin, welche gleichzeitig kritisch zu sehen ist.



Paper Session

Gendersensible Sprache in der Grundschule: Beeinflussen Erfahrungsberichte von Kindern die Einstellung von Grundschullehrkräfte?

Tina Glaser, Johanna Lux

PH Karlsruhe

Theoretischer Hintergrund: Die Verwendung gendersensibler Sprache ist im deutschen Sprachraum ein äußerst umstrittenes und polarisierendes Thema. Aktuelle Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung gendersensibler Sprache ablehnend gegenübersteht (z.B. Infratest dimap, 2021). Gleichzeitig belegen wissenschaftliche Studien, dass das generische Maskulinum nicht zu einem ausgeglichenen gedanklichen Einbezug von Frauen führt, wohingegen gendergerechte Sprache den kognitiven Einbezug von Frauen fördert (z.B. Braun et al., 1998; Gyax et al., 2008; Heise, 2000). Die meisten Studien in diesem Bereich wurden allerdings mit Erwachsenen durchgeführt und es gibt wenige Studien zur Rolle gendersensibler Sprache bei Kindern. Eine Ausnahme bildet die Studienreihe von Vervecken und Hannover (2013, 3015), die zeigen konnte, dass eine Beidnennung bei Berufsbezeichnungen u.a. dazu führte, dass Grundschulkinder sich Frauen eher in stereotyp männlichen Berufen vorstellen konnten und sich eher vorstellen konnten, einen solchen Beruf auch zu ergreifen. Diese ersten Erkenntnisse deuten darauf hin, dass eine gendersensible Sprache auch in der Grundschule schon von Bedeutung ist und positive Effekte haben kann. Daher ist es wichtig zu untersuchen, wie Akzeptanz und Nutzung gendersensibler Sprache unter Lehrkräften gefördert werden kann.

Fragestellung: Das Ziel dieser Studie war es zum einen festzustellen, welche Einstellungen Grundschullehrkräfte zu gendersensibler Sprache haben. Zum anderen untersuchte die Studie, ob die Meinung von Kindern zu gendersensibler Sprache auch die Einstellung von Grundschullehrkräften zur Nutzung gendersensibler Sprache beeinflussen kann.

Methode: Dazu wurden N = 363 Grundschullehrkräfte per Onlinestudie befragt. In einem einfaktoriellen between-subjects Design wurden die Lehrkräfte zufällig einer von drei Bedingungen zugeteilt (positive kindliche Erfahrungsberichte vs. negative kindliche Erfahrungsberichte vs. keine Erfahrungsberichte). Als abhängige Variable wurden Einstellungen zu gendersensibler Sprache allgemein, aber auch Angaben zur eigenen Nutzung gendersensibler Sprache in Schule und Unterricht erfasst. Des Weiteren wurde explorativ untersucht, ob Alter oder politische Orientierung der Versuchspersonen einen Einfluss haben.

Ergebnisse: Etwa die Hälfte der Lehrkräfte gab an, dass an ihrer Schule gendersensible Sprache nicht genutzt wird. Es zeigten sich interessante Einflüsse der experimentellen Bedingung: Lehrkräfte in der positiven Bedingung fanden die Verwendung gendersensibler Sprache sinnvoller als Lehrkräfte in der negativen Bedingung, t(241) = 3.12, p = .002, d = 0.40. Ähnliche Effekte zeigten sich für Items zur Materialauswahl und zur Verständlichkeit gendersensibler Sprache. Auch allgemeine Einstellungen zum gendern waren in der positiven Bedingung signifikant positiver als in der negativen Bedingung, t(241) = 4.18, p <.001, d = 0.54. In der negativen (vs. positiven) Bedingung gaben signifikant mehr Lehrkräfte an, nicht zu gendern, weil sie es für unnötig hielten, wohingegen in der positiven (vs. negativen) Bedingung mehr Lehrkräfte angaben, gendern für notwendig zu halten, χ² = 10.17, p = .038. Es zeigten sich keine Zusammenhänge mit dem Alter der Lehrkräfte, wohl aber mit ihrer politischen Orientierung.

Diskussion: Bei der Entwicklung hin zu einer gleichberechtigten Gesellschaft muss Sprache Berücksichtigung finden. Kinder sollten möglichst früh lernen, alle Menschen sprachlich zu inkludieren. Hierbei spielen Grundschullehrkräfte als Rollenvorbilder und Vermittler*innen von Bildung eine zentrale Rolle. Diese Studie konnte zeigen, dass kurze positive Rückmeldungen von Kindern zu gendersensibler Sprache dazu führen können, dass Lehrkräfte nicht nur selber über positivere Einstellungen zu diesem Thema verfügen, sondern auch angeben, im Unterricht stärker auf gendersensible Sprache achten zu wollen. Daraus ergibt sich, dass Genderkompetenz allgemein und gendersensible Sprache im Speziellen in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften eine wichtige Rolle spielen sollte. Gleichzeitig regen diese Daten auch zum Nachdenken darüber an, ob Erwachsene vielleicht gerade in dieser häufig hitzig geführten Diskussion zu gendergerechter Sprache von der Unvoreingenommenheit von Kindern profitieren können.



Paper Session

Sternchen, Doppelpunkt, Unterstrich: Verwirrt das unsere Kinder nicht? – Zum Effekt gender-gerechter Sprachalternativen bei Schüler:innen unterschiedlicher Klassenstufen

Christin Lotz, Anne Deiglmayr

Universität Leipzig, Deutschland

Theoretischer HIntergrund: Die Verwendung gender-gerechter Sprache wird im deutschen Sprachraum intensiv diskutiert. Der dabei häufig vorherrschenden populär-wissenschaftlichen Debatte um die positiven und negativen Effekte gender-gerechter Sprache steht allerdings nur eine geringe Anzahl an methodisch belastbaren empirischen Studien gegenüber. Diese zeigten jedoch ermutigende Ergebnisse (z.B. Horvath et al., 2016; Sczesny et al., 2016). So führte bei Erwachsenen und Studierenden beispielsweise die Verwendung gender-gerechter Sprachalternativen zu einer höheren kognitiven Repräsentation von Frauen (z.B. Braun et al., 2005; Keith et al. 2022). Im aktuellen Diskurs um das Gendern an Schulen ist allerdings noch gänzlich ungeklärt, ob sich die positiven Effekte gender-gerechter Sprache auf die kognitive Repräsentation von Frauen auch bei Schüler:innen nachweisen lassen. Unabhängig von der Frage, ob an Schulen gegendert werden sollte, stellt sich weiterhin auch die Frage, wie gegendert werden sollte. Insbesondere die Verwendung von Genderzeichen (Gender-Sternchen, Gender-Doppelpunkt) steht in der Kritik, schwerer verständlich zu sein. Empirische Studien, die die positiven oder negativen Effekte unterschiedlicher gender-gerechter Sprachalternativen im Vergleich zum generischen Maskulinum und untereinander an Schüler:innen unterschiedlicher Klassenstufen untersuchen, sind daher notwendig.

Fragestellung: Die folgende Studie untersuchte daher an Schüler:innen der Klassenstufen 5, 7, 9 und 11 den Einfluss von vier gängigen gender-gerechten Sprachalternativen (a) im Vergleich zum generischen Maskulinum und (b) im Vergleich zueinander. Dabei interessierte, erstens, der Effekt auf den kognitiven Einbezug von Frauen. Als weitere abhängige Variable betrachteten wir, zweitens, die Bearbeitungszeit als Indikator für Verständlichkeit, wobei längere Bearbeitungszeiten als ein Hinwies auf eine schwierigere Verständlichkeit der gender-gerechten Sprachalternativen interpretiert werden.

Methode: Insgesamt N = 826 Schüler:innen (Klassenstufen 5/7/9/11 n = 167/234/252/173) wurden sechs Oberkategorien (Politiker, Sänger, Influencer…) präsentiert, zu denen sie je drei Personen nennen sollten (vgl. Braun et al., 2005). Experimentell variiert wurde die Sprachform der Bezeichnung dieser Oberkategorien. Im between-subject design wurden die Schüler:innen zufällig einer der fünf Sprachformen-Bedingungen zugewiesen (Generisches Maskulinum: Politiker; Beidnennung, männlich zuerst: Politiker und Politikerinnen; Beidnennung, weiblich zuerst: Politikerinnen und Politiker; Gender-Sternchen: Politiker*innen; Gender-Doppelpunkt: Politiker:innen). Basierend auf einer männlich-weiblich-Kodierung berechneten wir als AV die relative Häufigkeit weiblicher Personen-Nennungen an der Gesamtzahl genannter Personen (Wertebereich: 0 = keine weibliche Person genannt, 1 = nur weibliche Personen genannt). Anschließend berechneten wir eine 5 (Sprachform) × 2 (Geschlecht) ANOVA für jede Klassenstufe. Selbiges führten wir für die AV Bearbeitungszeit der Personennennungs-Aufgabe durch.

Ergebnisse: Bezogen auf Fragestellung 1 (kognitiver Einbezug von Frauen) ergaben die ANOVAs für alle Klassenstufen dasselbe Ergebnis: ein signifikanter Haupteffekt für das Geschlecht der Teilnehmenden, aber weder einen signifikanten Haupteffekt für die Sprachform, noch einen signifikanten Interaktionseffekt. Der Haupteffekt Geschlecht zeigte an, dass in allen Klassenstufen Schülerinnen deutlich mehr weibliche Personen nannten als Schüler (1.99 ≤ d ≤ 2.86). Bezüglich Fragestellung 2 (Bearbeitungszeiten) resultierten über alle Klassenstufen hinweg ausschließlich nicht signifikante Haupt- und Interaktionseffekte.

Diskussion: Die Verwendung gender-gerechter Sprachalternativen zum generischen Maskulinum hatte über alle Klassenstufen hinweg keinen Effekt auf den kognitiven Einbezug von Frauen. Ebenso führte die Verwendung alternativer Sprachformen zu keiner Erhöhung oder Verringerung der Bearbeitungszeit. Aus empirischer Sicht lässt sich daher keine explizite Empfehlung für oder gegen die Verwendung einer bestimmten alternativen Sprachform zum generischen Maskulinum aussprechen. Ein Verbot der Nutzung gender-gerechter Sprache an Schulen (wie beispielweise in Sachsen oder Sachsen-Anhalt) erscheint empirisch ebenso unbegründet wie ein expliziter Zwang zum Gendern. Es erscheint daher sinnvoll, dass die vorliegenden Ergebnisse mit zukünftigen Studien zur Akzeptanz, Verständlichkeit und Praktikabilität der gender-gerechten Sprachalternativen komplementiert werden, um eindeutige praktische Empfehlungen für oder ggf. gegen eine gender-gerechte Sprachalternative im Schulkontext aussprechen zu können.



 
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