Symposium
Die Vielfalt der Weiterbildung(sdaten) – Potentiale und Herausforderungen bei Sekundäranalysen zur Weiterbildungsbeteiligung
Chair(s): Judith Offerhaus (Bundesinstitut für Berufsbildung, Deutschland), Julia Gorges (Universität Marburg)
Diskutant*in(nen): Harm Kuper (Freie Universität Berlin), Judith Offerhaus (Bundesinstitut für Berufsbildung)
Weiterbildungsbeteiligung findet in unterschiedlichen Lernkontexten, bei unterschiedlichen Anbietern und in unterschiedlichen Zielgruppen von Weiterbildung statt. Weiterbildungsbeteiligung ist daher im Vergleich zu Bildungsentscheidungen und Bildungsbeteiligung im primären, sekundären und tertiären Bildungssektor heterogener und durch Faktoren beeinflusst, die zuvor noch keine Rolle spielten. Für Sekundäranalysen heißt das, ihre Ergebnisse zur Weiterbildungsbeteiligung hängen mitunter sehr stark von der Verfügbarkeit von Variablen, ihrer Operationalisierung und Messung ab. Zwar existiert ein allgemeines Grundverständnis, was Weiterbildung ist – und welchen Nutzen diese haben soll (bspw. Anpassung an sich verändernde Arbeitsbedingungen, Fachkräftesicherung), jedoch müssen sich Forschende im Bereich von Weiterbildung immer zuerst über die zugrundeliegende Definition (z.B. hinsichtlich der Berücksichtigung formaler, non-formaler und/oder informeller Weiterbildung) verständigen und sind in ihren Analysemöglichkeiten oftmals durch die verfügbare Datenbasis eingeschränkt.
Das vorgeschlagene Symposium bringt Forschende aus verschiedenen Disziplinen (Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Ökonomie) zusammen, die anhand unterschiedlicher Datensätze den Zugang zu bzw. die Teilnahme an Weiterbildung untersuchen. Die Beiträge berücksichtigen individuelle, sozio-demographische, betriebliche und strukturell-institutionelle Faktoren (in verschiedenen Kombinationen) zur Erklärung von Unterschieden im Weiterbildungsverhalten. Trotz der unterschiedlichen theoretischen Fundierungen (bspw. Rational Choice Ansätze, Wert-Erwartungstheorie, segmentationstheoretische Annahmen, Transaktionskostentheorie), methodischen Herangehensweisen und verwendeten Datenquellen zeigt sich in den fünf Beiträgen ein konsistentes Ergebnis, das auch dem bekannten Forschungsstand entspricht (BMBF, 2022): Weiterbildung ist ungleich verteilt und vor allem Personengruppen, die bereits hinsichtlich Bildung und Erwerbstätigkeit privilegiert sind, haben leichteren Zugang zu Weiterbildung.
Der erste Beitrag untersucht sog. Weiterbildungsketten, d.h. nehmen Personen, die früher bereits eine Weiterbildung absolviert haben, häufiger an weiteren Weiterbildungen teil? Dies zeigen die Autor:innen anhand der Daten des Nationalen Bildungspanels. Der Vorteil einer früheren Weiterbildung ist bei geringer qualifizierten Personen (ohne berufliche Ausbildung) jedoch niedriger ausgeprägt, was auf eine Kumulation der Benachteiligung für Gering(er)qualifizierte hinweist.
Betrachtet man informelles Lernen am Arbeitsplatz als spezielle Form von Weiterbildung, wie im zweiten Beitrag auf Basis der Daten des Programme for the International Assessment of Adult Competencies, zeigen sich ähnliche qualifikationsspezifische Unterschiede: höher gebildete Personen sowie Beschäftigte in Berufen mit höherer Qualifikationsanforderung berichten häufiger von informellen Lernaktivitäten im Beruf. Zusätzlich trägt eine höhere Lernmotivation zu informellem Lernen bei.
Unter besonderer Berücksichtigung ost-west-spezifischer Arbeitsmarktstrukturen zeigt sich der Vorteil von hoher Initialbildung für eine Teilnahme an selbstinitiierter beruflicher Weiterbildung auch anhand der Daten des Berichtssystems Weiterbildung und Adult Education Survey in Beitrag 3. Es wird darüber hinaus deutlich, dass regionale und strukturelle Unterschiede sowie Merkmale des Erwerbskontexts Weiterbildungsverhalten unterschiedlich stark beeinflussen.
Der Frage nach der Rolle von Betrieben und der jeweiligen Arbeitsorganisation und Personalentwicklungsstrategien widmet sich der vierte Beitrag. Mit den Daten des Betriebspanels zur Qualifizierung und Kompetenzentwicklung wird gezeigt, dass Weiterbildungsungleich zwischen Beschäftigungsgruppen mit unterschiedlich hohem Tätigkeitsniveau unter bestimmten betrieblichen Bedingungen reduziert werden kann.
Der fünfte und letzte Beitrag untersucht – basierend auf den Daten des mit den administrativen Konjunkturindikatoren angereicherten Mikrozensus – einen möglichen Einfluss von externen Schocks (bspw. Finanzkrise, COVID-19 Pandemie) auf individuelles, berufsbezogenes Weiterbildungsverhalten. Es zeigen sich differentielle Effekte konjunktureller Schwankungen auf Weiterbildungsteilnahme; diesbezügliche Unterschiede nach Bildungsniveau sind theoretisch ebenfalls möglich.
Die Datensätze werden durch die Autor:innen mit Blick auf ihre Potentiale und Herausforderungen für die Weiterbildungsforschung reflektiert. Dabei wird deutlich, dass die unterschiedlichen Datenquellen ihre Vor- und Nachteile bei der Analyse der Determinanten von Weiterbildungsverhalten haben, die Verschränkung der Perspektiven der Disziplinen sowie die Verwendung unterschiedlicher Datenquellen und Analyseebenen (Individuum, Organisation/Betrieb, Gesellschaft) jedoch zu einem ganzheitlichen Bild von Weiterbildungsteilnahme beiträgt. Das Symposium zeigt auf, dass Maßnahmen zur Erhöhung von Weiterbildungsteilnahme – besonders bei den sonst eher benachteiligten Personengruppen – auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen müssen. In der Diskussion werden die Erträge der empirischen Beiträge aus Sicht der Forschung und der Praxis erörtert.
Beiträge des Symposiums
Weiterbildungsketten im Lebensverlauf: Zum Einfluss von kumulativen Vorteilen auf die Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland
Sascha dos Santos1, Martina Dieckhoff2, Martin Ehlert3, Antje Mertens4 1Wissenschaftszentrum Berlin, 2Universität Rostock, 3Wissenschaftszentrum Berlin; Freie Universität Berlin, 4Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
In Zeiten technologischer Innovationen ist eine ständige Anpassung an sich verändernde Qualifikationsanforderungen am Arbeitsplatz erforderlich. Einige Studien haben jedoch gezeigt, dass die Weiterbildungsbeteiligung aufgrund individueller und arbeitsplatzbezogener Merkmale ungleich verteilt ist. Darüber hinaus kann auch frühere Weiterbildung eine Rolle spielen, da sie die weitere Teilnahme erleichtert und motiviert. In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob die Teilnahme an Weiterbildung in einem Jahr weitere Teilnahmen in der Zukunft hervorruft und ob sich diese Prozesse zwischen Bildungsgruppen unterscheiden.
Ketten der Weiterbildungsbeteiligung im Laufe der Zeit können durch zwei Arten von Mechanismen verursacht werden: Erstens können sie die Folge von individuellen und berufsspezifischen, stabilen Risiko-/Erfolgsfaktoren sein, die auch mit der Weiterbildungsbeteiligung in einem bestimmten Jahr zusammenhängen. Zweitens können sie durch eine frühere Ausbildungsteilnahme verursacht wer-den. Die „theory of skill formation“ von Cunha und Heckman (2007) sagt voraus, dass frühere Bildungsinvestitionen nachfolgende Bildungsinvestitionen fördern sollten. Dies liegt daran, dass die in einer Phase erworbenen Fähigkeiten den späteren Erwerb von Fähigkeiten fördern und damit die Produktivität von Investitionen in Fähigkeiten erhöhen. Daher kann die weitere Teilnahme an einer Ausbildung in einer Phase zu einem kumulativen Vorteil führen, da die weitere Teilnahme durch die vorherige Teilnahme verursacht wird ("true state dependence"). Die Expectancy-Value-Theorie von Eccles (2005) besagt, dass (1) die Determinanten von Bildungsentscheidungen hauptsächlich auf den individuellen Erfolgserwartungen und dem Wert beruhen, den Individuen den verschiedenen verfügbaren Optionen beimessen, und dass (2) Erwartungen und Werte einen Einfluss auf Bildungsentscheidungen haben und Bildungsentscheidungen Auswirkungen auf Erwartungen und Werte in Bezug auf zukünftige Entscheidungen haben. Wenn die Teilnahme an einer Weiterbildung zum Zeitpunkt t-1 die Erfolgserwartung und den Wert beeinflusst, die einer Weiterbildung zum Zeitpunkt t zugewiesen werden, dann könnte diese Dynamik erklären, warum eine frühere Weiterbildung zu einer weiteren Teilnahme führen und dadurch kumulative Vorteile auslösen könnte (Gorges & Kandler, 2012).
Wir testen diese Vorhersagen anhand von Daten der Startkohorte 6 des Nationalen Bildungspanels (NEPS). Wir verwenden „dynamic random effects probit models“ (Rabe-Hesketh & Skrondal, 2013), die es uns ermöglichen, den kausalen Effekt der früheren Ausbildungsteilnahme auf die aktuelle Ausbildungsteilnahme zu bewerten, indem wir für unbeobachtete Heterogenität kontrollieren. Dies geschieht durch die Kontrolle für den Ausgangszustand der abhängigen Variable sowie für die Ausgangsbedingungen und individuellen Zeitmittelwerte der zeitvariablen Störfaktoren. Wir beschränken unsere Stichprobe auf Arbeitnehmende im Haupterwerbsalter (25 bis 55 Jahre) und kontrollieren für Geschlecht, Bildung, Zusammenleben und Familienstand, Anzahl der Kinder, Teilzeitarbeit, Berufswechsel, Unternehmensgröße und Berufe.
In Deutschland erhöht eine frühere Weiterbildungsteilnahme (t-1) die Wahrscheinlichkeit einer Weiterbildung im folgenden Jahr (t) um 7 Prozentpunkte. Obwohl wir einen beträchtlichen und statistisch signifikanten Effekt der früheren Weiterbildungsteilnahme auf die spätere Weiterbildungsteilnahme zeigen können, bleibt die unbeobachtete Heterogenität (erfasst durch die anfängliche Ausbildungsbedingung) der Hauptfaktor für die Persistenz. Zudem finden wir, dass frühere Weiterbildungen einen kleineren Effekt bei Personen ohne berufliche Ausbildung haben
Informelles Lernen im Beruf: Zusammenhänge mit Lernmotivation und Lernstrategien Erwachsener
Luca Farina Hollricher Universität Marburg
Erwachsene entwickeln ihre beruflichen Kompetenzen – neben formalen und non-formalen Lernaktivitäten – vor allem über informelles Lernen an ihrem Arbeitsplatz weiter. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage nach den Bedingungen dieser Lernprozesse.
Ausgehend von theoretischen Modellen sowie empirischen Forschungsarbeiten zum informellen Lernen am Arbeitsplatz wurden hierfür Faktoren auf individueller (Lernmotivation, Lernstrategien, Skill Mismatch), kontextueller (Autonomie und Komplexität am Arbeitsplatz) und struktureller (Betriebsgröße, Art des Arbeitsvertrag, Qualifikationsanforderungen der Arbeitsstelle) Ebene identifiziert, die theoretisch mit informellen Lernaktivitäten am Arbeitsplatz in Verbindung stehen, und ihre prädiktive Validität mittels multipler linearer Regression überprüft.
Als Grundlage für die Analyse dienten Querschnittsdaten des Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC) von 2012. Die PIAAC Studie wurde 2008 von den OECD-Mitgliedsstaaten initiiert und wird analog zur PISA-Studie in regelmäßigen Zyklen von 10 Jahren international durchgeführt (Rammstedt, 2013). PIAAC misst die Basiskompetenzen von Erwachsenen (16-65 Jahre) in den Bereichen Lesen, Schreiben, Rechnen und Problemlösung in technologie-intensiven Umgebungen (PSTRE). Die in PIAAC gemessenen Kompetenzen bilden dabei keine wah-ren Kompetenzwerte einzelner Personen ab, sondern vielmehr einen probabilistischen Wert, der mittels eines Item Response Theory (IRT) Modells geschätzt wird. Im PIAAC Datensatz sind zehn solcher Plausible Values (PVs) enthalten. Die erste Erhebungsrunde der PIAAC Studie fand zwischen 2008 und 2013 in 24 Ländern statt, darunter auch Deutschland. Neben der Messung der Basiskompetenzen wurden in der ersten Erhebungswelle umfangreiche Hintergrunddaten der befragten Personen erfasst, wie beispielsweise Daten zum Lernverhalten am Arbeitsplatz, zur Bildungsbiographie sowie zu den im Alltag und am Arbeitsplatz genutzten Kompetenzen. Die Erhebung wurde mit einer Wahrscheinlichkeitsstichprobe durchgeführt, die repräsentativ für die erwachsene Zielbe-völkerung ist (Deutschland: N = 5.465). Die Stichprobe wurde für die Analyse auf Erwerbstätige reduziert, die weder selbständig beschäftigt oder noch in Ausbildung sind und vollständige Angaben bei den relevanten Variablen haben (Analysestichprobe: N = 3.108, 1.558 weiblich; Alter: M = 41,18; SD = 11,71).
Informelles Lernen sowie Lernmotivation, Lernstrategien und Autonomie am Arbeitsplatz wurden durch Zustimmungswerten zu zwei bis vier Items auf einer Likert-Type Skala operationalisiert. Skill Mismatch wurde definiert als extreme Abweichung der Skills zum durchschnittlichen Kompetenzniveau innerhalb einer Berufsgruppe (elementary / semi-skilled blue collar / semi-skilled white collar / skilled occupations), während die Komplexität der Arbeit dichotom darüber erfasst wurde, ob zur beruflichen Tätigkeit Aufgaben gehören, die ein längeres Nachdenken erfordern. Die weiteren Variablen wurden direkt erfragt.
Die Analysen wurden mit Hilfe des IEA IDB Analyzer und SPSS durchgeführt. Der IEA IDB Analyzer ist eine Anwendung, die Syntaxdateien für die Programme R, SPSS und SAS erstellt, mit denen sich Daten aus sogenannten Large-Scale-Assessments wie PISA und PIAAC unter Berücksichtigung der methodischen Spezifikationen (bspw. sampling weights, replicate weights und PVs) analysieren lassen.
Die Ergebnisse der Regressionsanalysen zeigten zunächst, dass mit zunehmendem Alter die Teilnahme am informellen Lernen sinkt. Zudem scheint die Teilnahme an informellem Lernen umso höher, je höher die Qualifikationsanforderungen des Berufes sind, sowie analog dazu je höher das eigene Bildungsniveau ist. Zudem scheint informelles Lernen vor allem in hoch komplexen Berufen eine Rolle zu spielen. Auch Personen mit höherer Lernmotivation und Nutzung elaborierter Lern-strategien scheinen unter Berücksichtigung der genannten Faktoren häufiger in informeller Form zu lernen. Die Ergebnisse bestätigen größtenteils ältere Befunde zur „doppelten Privilegierung“ höher Gebildeter im Weiterbildungskontext auch für das informelle Lernen am Arbeitsplatz. Längsschnittliche Daten könnten im Anschluss daran jedoch konkretere Einsichten in die Wirkungsrichtung der einzelnen Faktoren liefern.
Betriebliche Weiterbildungsungleichheit: Wie strukturelle und relationale Bedingungskontexte in Betrieben den Zugang zu non-formaler Weiterbildung beeinflussen
Mortimer Schlieker Bundesinsitut für Berufsbildung
Die bisher bedeutsamste und umfangreichste Studie zum individuellen Weiterbildungsverhalten in Ost- und Westdeutschland stellt das Berichtssystem Weiterbildung (BSW) und dessen Nachfolger Adult Education Survey (AES) dar. Auffallend ist hier der Befund, dass ein Großteil der beruflichen Weiterbildungsaktivitäten ostdeutscher Beschäftigter bis Mitte der 2000er Jahre durch den Arbeitgeber veranlasst wurde, während sich im Vergleich dazu ein höherer Anteil westdeutscher Beschäftigter selbstinitiiert beruflich weiterbildete (Kuwan et al. 2003). Inwieweit sich diese ost-west-spezifischen Unterschiede auch auf Basis aktueller AES-Daten zeigen, wurde bisher nicht unter-sucht. Studien weisen darauf hin, dass sich der ostdeutsche Arbeitsmarkt auf Grund historischer und arbeitsmarktpolitischer Entwicklungen bis dato vom westdeutschen Arbeitsmarkt unterscheidet. Im Bereich der Weiterbildungsforschung existieren allerdings kaum Studien, die (individuelle) Teilnahmeentscheidungen für Weiterbildung mit sich wandelnden Arbeitsmarktstrukturen ins Verhältnis setzen (vgl. Becker 2019). Vor dem Hintergrund ost-west-spezifischer Entwicklungen der Berufs- und Arbeitsmarktstrukturen geht der Beitrag der Frage nach, inwieweit diese spezifischen Strukturdifferenzen Dynamiken selbstinitiierter Weiterbildungsbeteiligung beeinflussen. Rekurrierend auf bildungsökonomische und segmentationstheoretische Annahmen lassen sich hier ost-west-spezifische Teilnahmemuster vermuten.
Datenbasis der Analysen bilden die Erhebungen des Berichtssystems Weiterbildung 1991-2007 und des Adult Education Survey 2010-2018. Die einzelnen Erhebungen wurden im Rahmen einer Harmonisierung aufbereitet und in einen Trenddatensatz integriert. Um die selbstinitiierte Weiterbildungsteilnahme im Trend zu untersuchen, wird das im BSW und AES kontinuierlich erhobene Kontextmerkmal „Anlass der Weiterbildung“ genutzt. Die Analyse betrachtet ausschließlich erwerbstätige Personen im Alter von 19-64 Jahren. Um den Einfluss ost-west-spezifischer Arbeitsmarktstrukturen zu prüfen, liegt der Fokus auf der Analyse betriebs- und beschäftigungsbezogener Prädiktoren. Regionale und soziodemographische Merkmale werden als Kontrollvariablen berücksichtigt. Die Untersuchung erfolgt mithilfe binär logistischer Regressionen.
Die Befunde zeigen insgesamt, dass die Teilnahmeselektivität im Zeitverlauf schwankt und eng mit segmentspezifischen Beschäftigungs- und Förderstrukturen verbunden ist. Eine erhöhte Teilnahme an selbstinitiierter beruflicher Weiterbildung zeigt sich sowohl für ost- als auch westdeutsche Beschäftigte in kleineren Betrieben der Privatwirtschaft im Vergleich zu größeren Betrieben. Die er-höhte Teilnahme für Beschäftigte im öffentlichen Dienst lässt darauf schließen, dass institutionali-sierte Strukturen im öffentlichen Sektor die Teilnahme an Weiterbildung insgesamt fördern. Beschäftigungsbezogene Merkmale (Befristung, Arbeitslosigkeit) nehmen, konform zu bildungsökonomischen Annahmen, einen stärkeren Einfluss auf die Teilnahmeselektivität ostdeutscher Beschäftigter im Vergleich zu westdeutschen Beschäftigten. Die Teilnahme an selbstinitiierter beruflicher Weiterbildung ist insgesamt stark durch Merkmale des Erwerbskontexts geprägt. Ferner lässt sich unter Kontrolle beschäftigungsbezogener Prädiktoren jedoch ein Effekt des Alters und des Bildungsniveaus auf die Teilnahme beobachten. Allerdings zeigen sich auch hier Unterschiede zwischen Ost und West.
Der Beitrag identifiziert wesentliche Einflussfaktoren selbstinitiierter Teilnahme an beruflicher Weiterbildung vor dem Hintergrund sich verändernder Arbeitsmarktkontexte in Ost und West. Angesichts des zunehmenden Strukturwandels und Fachkräftemangels verspricht die Einbeziehung weiterer branchen- und regionalspezifischer Merkmale (siehe IAB-Betriebspanel) ein hohes Analysepotential vor allem mit Blick auf die Frage des Einflusses (fehlender) betrieblicher Unterstützungsstrukturen.
Die beiden Berichtskonzepte BSW und AES stellen auf Grund ihrer konsistenten Erfassung der Weiterbildungsbeteiligung in Ost- und Westdeutschland eine valide Datenbasis dar, um Entwicklungen der Teilnahmestrukturen anhand ausgewählter Kontextmerkmale differenziert im Zeitverlauf abzubilden. Um eine differenzierte Trendberichterstattung auf Basis der BSW- und AES-Zeitreihen fortzuführen, bedarf es jedoch weiterführender Analysen, die die Qualität der Datenlage und der Erhebungsinstrumente beider Berichtskonzepte eruieren.
Weiterbildung in der Krise? Der Zusammenhang von Konjunkturzyklen und Weiterbildungsteil-nahmen
Marion Thiele, Myriam Baum, Dominik Becker, Harald Pfeifer, Nele Tschöpe Bundesinstitut für Berufsbildung
Geringqualifizierte Beschäftigte mit einfachen Tätigkeiten sind beim Zugang zu betrieblicher Weiterbildung in Deutschland persistent benachteiligt (Mohr, Troltsch & Gerhards, 2016). Dies hat negative Folgen sowohl für die Beschäftigten als auch für die Betriebe, die wichtige Potenziale zur Kompetenzentwicklung in ihren Belegschaften ungenutzt lassen. Obwohl der Großteil der non-formalen Weiterbildung in Betrieben stattfindet, wird die betriebliche Perspektive in bisherigen Studien zu Weiterbildungsungleichheiten aufgrund fehlender quantitativer Datenlage meist vernachlässigt. Bisherige Analysen konzentrieren sich vor allem auf individuelle und institutionelle Faktoren und nutzen oft nur Branche oder Betriebsgröße als Kontrollvariablen für betriebliche Heterogenität bei der Erklärung von Chancenungleichheit in Weiterbildung. Inwiefern sich Betriebe in ihrem Weiterbildungsverhalten strukturell unterscheiden und welche Aushandlungsbedingungen einzelne Beschäftigtengruppen beim Zugang zu Weiterbildung haben, ist somit in der bisherigen quantitativen Forschung zu Weiterbildungsungleichheit ein Randthema.
Dieser Beitrag geht daher der Frage nach, wie strukturelle und relationale Bedingungen in Betrieben die Chancenungleichheit beim Zugang zu non-formaler betrieblicher Weiterbildung beeinflussen. Mit dem BIBB-Betriebspanel zur Qualifizierung und Kompetenzentwicklung (Gerhards, Mohr & Troltsch, 2012) kann hierfür auf einen repräsentativen Betriebsdatensatz zurückgegriffen werden, der seit 2011 jährlich detaillierte Einblicke in das Weiterbildungsverhalten von aktuell rund 4.000 Betrieben ermöglicht. Neben tätigkeitsspezifischen Teilnahmequoten der Beschäftigten an non-formaler betrieblicher Weiterbildung stellt das Panel tiefgehende Informationen über die Organisationsstruktur, die Arbeitsorganisation sowie die Personalentwicklung der Betriebe bereit. Darüber hinaus kann das soziale Gefüge u.a. anhand von Informationen zur betrieblichen Mitbestimmung oder in Form von Indikatoren zur sozialstrukturellen Zusammensetzung der Belegschaft untersucht werden.
Auf dieser empirischen Grundlage wird als zentrale zu erklärende Variable des Beitrags die betriebliche Weiterbildungsungleichheit (WBU) als Differenz in den Teilnahmequoten zwischen den Beschäftigtengruppen mit (hoch)qualifiziertem und mit einfachem Tätigkeitsniveau operationalisiert. Hinsichtlich der betrieblichen Einflussfaktoren auf dieses Ungleichheitsmaß werden zwei Aspekte konzeptionell verknüpft: strukturell der Grad systematischer Personalentwicklung im Betrieb und relational die unterschiedliche Aushandlungsmacht von Beschäftigtengruppen. Hinsichtlich des ersten Einflussfaktors lässt sich aus der Transaktionskostentheorie (Williamson, 1985) ableiten, dass Beschäftigte mit einfachen Tätigkeiten bei der Weiterbildungsteilnahme zu ihren (hoch)qualifizierten Kolleg*innen aufschließen können und somit die WBU in Betrieben sinkt, wenn der Grad systematischer Personalentwicklung steigt (H1). Denn je mehr Personalentwicklungsressourcen auf betrieblicher Seite zur Verfügung stehen und je sichtbarer die Weiterbildungsrendite für die Beschäftigten ist, desto geringer sind die Transaktionskosten auf beiden Seiten und desto höher ist die zu erwartende Weiterbildungsteilnahme (vgl. Wotschack & Solga, 2014, S. 369).
Im Hinblick auf die Aushandlungsmacht von Beschäftigtengruppen greift der Beitrag auf die Theorie Relationaler Ungleichheiten (Tomaskovic-Devey & Avent-Holt, 2019) zurück und geht davon aus, dass sowohl die Existenz eines Betriebsrats als auch eine steigende relative Gruppengröße von Beschäftigten mit einfachen Tätigkeiten den H1-Effekt verstärken (H2 und H3). Denn Betriebsräte können als institutionalisiertes Gremium die Interessen aller Beschäftigten vertreten und somit den Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen für Beschäftigte mit einfachen Tätigkeiten erleichtern. Zu-dem kann eine steigende relative Gruppengröße der Beschäftigten mit einfachen Tätigkeiten zu einer Stärkung der Aushandlungsposition dieser Gruppe führen.
Vorläufige Ergebnisse auf Basis hierarchisch genesteter Regressionsmodelle zeigen, dass unter Kontrolle von organisationsstrukturellen Einflüssen (u.a. Betriebsgröße, Digitalisierungsgrad und Branche) ein zunehmender Grad systematischer Personalentwicklung mit einer signifikanten Reduktion von WBU in Betrieben einhergeht. Erwartungsgemäß wird dieser Zusammenhang durch eine zu-nehmende relative Gruppengröße der Beschäftigten mit einfachen Tätigkeiten verstärkt, während der Einfluss der betrieblichen Mitbestimmung zunächst uneindeutig erscheint. Durch die Interaktion struktureller und relationaler Einflüsse trägt die Untersuchung sowohl theoretisch als auch empirisch zu einem vertieften Verständnis der (Re-)Produktion betrieblicher WBU bei. Das BIBB-Betriebspanel zur Qualifizierung und Kompetenzentwicklung liefert hierzu neue Einsichten in die zugrundeliegenden Mechanismen und zeigt konkrete Ansatzpunkte für betriebliche Maßnahmen auf, die den Weiterbildungszugang für geringqualifizierte Beschäftigte verbessern können.
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