Conference Agenda

Session
2-06: Neue Perspektiven in der Bildungsforschung: Einbezug multipler Datenquellen in lern- und leistungsbezogener Motivations- und Emotionsforschung
Time:
Monday, 18/Mar/2024:
1:10pm - 2:50pm

Location: H08

Hörsaal, 91 TN

Presentations
Symposium

Neue Perspektiven in der Bildungsforschung: Einbezug multipler Datenquellen in lern- und leistungsbezogener Motivations- und Emotionsforschung

Chair(s): Anja Henke (Universität Potsdam), Olivia Metzner (Universität Potsdam), Rebecca Lazarides (Universität Potsdam; Exzellenzcluster "Science of Intelligence")

Discussant(s): Luise von Keyserlingk (Universität Tübingen; Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung)

Zahlreiche Studien der Lern- und Unterrichtsforschung nutzen zur Erfassung kognitiver sowie motivational-affektiver Lernmerkmale und sozialer Interaktionsmerkmale im Lernkontext Daten, die auf Selbstberichten aus Fragebogenuntersuchungen basieren (Sharma & Giannakos, 2020). Auch wenn Selbstberichtsdaten zur nuancierten Erfassung emotionaler und kognitiver Zustände als unabdingbar angesehen werden können (Pekrun, 2020), mehrt sich Kritik an der ausschließlichen Verwendung von Selbstberichtsdaten in der aktuellen Lehr-Lernforschung (Connors et al., 2016). So sind Selbstberichte besonders anfällig für soziale Erwünschtheitseffekte, Fehlinterpretationen der Fragestellung und Verzerrungen durch individuelle Referenzrahmen (Howard, 1980; Rosenman et al., 2011). Weiterhin zeigen Studien, dass die Ergänzung von Selbstberichtsdaten durch andere Methoden, wie beispielsweise Beobachtungsdaten (Ellis et al., 2017) oder Daten aus Eyetracking-Experimenten (Catrysse et al., 2017) einen umfassenderen Blick auf lern- und unterrichtsbezogene Merkmale und auf die damit einhergehenden Prozesse ermöglichen (Sharma et al., 2019). Besonders für die Motivations- und Emotionsforschung könnten umfassendere methodische Betrachtungen situationsbezogener und längsschnittlicher Veränderungen gewinnbringend sein (Fulmer & Frijters, 2009; Gonçalves et al., 2017). Da technologiegestützte Lernkontexte die Erhebung und Untersuchung solcher Prozessdaten vereinfachen (z.B., Hutt et al., 2019; Dindar et al, 2020), ermöglicht der zunehmende Fokus auf technologiegestützte Lernszenarien besonders gute Bedingungen für multimodales Assessment in der Bildungsforschung. Vor diesem Hintergrund hat dieses Symposium zum Ziel, Forschungsergebnisse zusammenzubringen, die lernprozessbezogene Fragestellungen mit multimodalem Assessment verbinden.

Im Rahmen dieses Symposiums wird der Einbezug multipler Datenquellen als Möglichkeit der Weiterentwicklung von lern- und leistungsbezogener Motivations- und Emotionsforschung diskutiert. Dabei untersuchen die Beiträge des Symposiums Fragestellungen, die sich mit Veränderungen motivational-affektiver und kognitiver Merkmale in Lernkontexten befassen und nutzen zur Untersuchung dieser technologiegestützten Lernszenarien (Beiträge 2, 3 und 4) oder künstliche Intelligenz als Möglichkeit der Datenverarbeitung (Beitrag 1). Die Beiträge beziehen sich auf unterschiedliche Bildungskontexte wie Schule (Beitrag 1 und 4) und Hochschule (Beiträge, 2 und 3) und nutzen multimodale Daten, um umfassendere und differenziertere Betrachtungen von Lehr-Lern-Prozessen zu erhalten. Das Symposium gibt dabei Einblicke in die prozessbezogene Erforschung (meta-)kognitiver, affektiver und physiologischer Lernmerkmale in Bildungskontexten.

Der erste Beitrag untersucht basierend auf Audiotranskripten und Selbstberichten Zusammenhänge zwischen motivierender Unterrichtssprache (Selbstbestimmungstheorie der Motivation), Unterrichtshandeln und motivationalen Merkmalen Lehramtsstudierender. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Lehramtsstudierende in ihrer Unterrichtssprache nur partiell grundlegende motivationale Bedürfnisse der Lernenden ansprechen. Besonders das Kompetenzerleben wird in der Instruktion effektiv adressiert.

Der zweite Beitrag untersucht mittels Eyetracking- und Selbstberichtsdaten, wie sich das nonverbale Sozialverhalten von Lehrkräften in einem Instruktionsvideo auf Lernfreude, Motivation, Aufmerksamkeit und Lernergebnisse von Studierenden auswirkt. Die Ergebnisse zeigen, dass nonverbales Sozialverhalten einer Lehrkraft in einem Instruktionsvideo im Zusammenhang mit affektiv-motivationalen jedoch nicht kognitivem Lernen steht und gleichzeitig die Aufmerksamkeit der Lernenden lenkt.

Der dritte Beitrag untersucht anhand von biophysiologischen Markern (elektrodermale Aktivität) und Selbstberichtsdaten den Zusammenhang von Vorwissen und der affektiven Verarbeitung von computerbasiertem Feedback Studierender. Die Ergebnisse verweisen darauf, dass Lernende mit hohem Vorwissen Feedback anders aufnehmen als Lernende mit geringerem Vorwissen und dadurch eine höhere emotionale Erregung aufweisen, sich jedoch keine signifikanten Zusammenhänge mit den Lernergebnissen ergeben.

Der vierte Beitrag untersucht durch Kombination multipler Datenquellen, zu denen Logdaten, Fragebogenselbstberichte sowie einem Test zur Messung der kognitiven Flexibilität zählen, inwiefern kognitive Belastbarkeit, Vorwissen, Lernfreude, Konzentration und wahrgenommenes soziales Interaktionsverhalten mit Lernfortschritt in einem intelligenten tutoriellen System (ITS) mit Roboterkomponente zusammenhängen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Wahrnehmung der Interaktion mit dem Roboter und die kognitive Belastung eine zentrale Rolle für das emotionale Erleben und den Lernfortschritt in der Arbeit mit ITS einnehmen.

 

Presentations of the Symposium

 

Motivierende Sprache von Lehrkräften. Wie setzen Lehramtsstudierende in ihrer Unterrichtssprache die Förderung von Kompetenz-, Autonomieerleben und der sozialen Eingebundenheit ein?

Olivia Metzner1, Rebecca Lazarides2
1Universität Potsdam, 2Universität Potsdam; Exzellenzcluster "Science of Intelligence"

Theoretischer Hintergrund

Das Erleben von Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit hat eine maßgebliche Bedeutung für die Lernmotivation (Ryan & Deci, 2017). Empirische Studien, die sich auf die theoretischen Annahmen der Selbstbestimmungstheorie der Motivation (SDT; Deci & Ryan, 2004) beziehen, zeigen, dass Lernende in Lernkontexten, die zur Erfüllung ihrer grundlegenden psychologischen Bedürfnisse beitragen, für Lernaufgaben intrinsisch motivierter sind (Bureau et al., 2022). Gleichzeitig zeigen Studien, dass instruktionale Settings, welche das Erleben von Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit nicht erfüllen, negative Auswirkungen auf die Lernmotivation haben (z.B. Bartholomew et al., 2018). Eine Möglichkeit, Lernenden Autonomie, Kompetenzerleben und soziale Eingebundenheit zu vermitteln, ist die Instruktionssprache im Unterricht. Allerdings fokussieren aktuelle Forschungsarbeiten, die sich mit der Unterrichtssprache von Lehrkräften befassen, häufig auf den Einsatz von motivierender Sprache in Test- und Leistungssituationen (z.B. Santana-Monagas et al., 2021; Putwain et al., 2017). Dabei werden Ansätze genutzt, die die Verwendung motivierender Sprache in Verknüpfung mit gewinnbringenden oder verlustbringenden Appellen setzen (z.B. gain- und loss-framed Ansatz; z.B. Falcon et al., 2023; Putwain et al. 2019). Derartige Ansätze eignen sich gut für die Untersuchung des verbalen Lehrverhaltens von Lehrkräften, die sich auf die Lernmotivation für Tests fokussieren. Weniger geeignet ist dieser theoretische Ansatz jedoch für die Untersuchung, inwiefern Lehrkräfte motivierende Sprache einsetzen, um Lernende in ihren grundlegenden psychologischen Bedürfnissen zu unterstützen. Eine aktuelle Arbeit von Ahmadi et al. (2023) kategorisiert basierend auf der SDT hingegen das Lehrverhalten von Lehrkräften und geht auch auf sprachliches Verhalten ein. Dieser Ansatz wird in der vorliegenden Studie für die Kodierung motivierender Lehrsprache verwendet.

Fragestellung

Anknüpfend an dem Kategorisierungsschema von Ahmadi et al. (2023) untersucht der vorliegende Beitrag die motivierenden verbalen Sprachgehalte von Lehramtsstudierenden in authentischen Unterrichtssituationen. Die Studie untersucht, inwiefern Bachelor-Lehramtsstudierende motivierende Sprache in ihrem Unterricht einsetzen und welche Zusammenhänge die motivierende Unterrichtssprache zu weiteren motivationalen und unterrichtsbezogenen Merkmalen der Studierenden aufweisen.

Methode

In der Studie wurden anhand von N=56 Lehramtsstudierenden im Bachelorstudium (50% weiblich; MAlter=23.31, SD=3.53) längsschnittliche Fragebogendaten und Sprachtranskripte aus dem Unterricht ausgewertet. Die Selbstwirksamkeit der Studierenden wurde zu Beginn des Semesters sowie zu fünf weiteren Messzeitpunkten mit einer Skala von Pfitzner-Eden et al. (2014) erhoben. In der Mitte des Semesters unterrichteten und videographierten die Lehramtsstudierenden eine Unterrichtsstunde. Die KI-Transkriptionssoftware DaVinci Resolve Studio wurde zur Transkription der Audioaufnahmen der Videos genutzt. Anschließend wurden die Sprachtranskripte von zwei unabhängigen Rater:innen mit MAXQDA in Hinblick auf die motivierende Sprache klassifiziert. Die Klassifizierung der Transkripte erfolgte basierend auf dem Schema Teacher Motivational Behavior (TMBs) von Ahmadi et al., (2023). In dem Schema sind das unterstützende und hemmende Lehrverhalten auf Ebene des Kompetenz- und Autonomieerlebens als auch der sozialen Eingebundenheit klassifiziert.

Ergebnisse

Erste Ergebnisse zeigen, dass Studierende in ihrer Unterrichtssprache besonders ausgeprägt die Ebene des unterstützenden Kompetenzerlebens (z.B. Verständnisfragen, Feedback) einsetzen. In den Transkripten lassen sich zudem Sprachgehalte finden, die sich als Autonomie hemmend kodieren lassen (z.B. bedrängende Sprache, Lob als bedingte Belohnung). Auf der Ebene der sozialen Eingebundenheit sind in einem geringen Maße unterstützende sowie hemmende verbale Verhaltensweisen zu beobachten. Die geringere Nutzung der sozialen Eingebundenheit über die Sprache könnte dahingegen erklärt werden, dass die Studierenden über wenig Unterrichtserfahrung verfügten und ihnen die Lerngruppe nur wenig bekannt war. Für weitere Auswertungen werden quantitative Fragebogendaten herangezogen, um mögliche Zusammenhänge zwischen dem Einsatz von motivierender Sprache und weiteren Unterrichts- und Motivationsmerkmalen, wie der Selbstwirksamkeit der Lehramtsstudierenden, längsschnittlich zu untersuchen. Zudem sind für zukünftige Analysen die Auswertung der Transkripte anhand eines Sprachmodells geplant.

 

Gestaltung von Lehrvideos: nonverbales Sozialverhalten von Lehrkräften und seine Auswirkungen auf die kognitiven, affektiven und motivationalen Lernprozesse

Jonas Frenkel1, Anke Cajar2, Ralf Engbert2, Rebecca Lazarides1
1Universität Potsdam; Exzellenzcluster "Science of Intelligence", 2Universität Potsdam

In den letzten Jahren haben digitale Bildungsformate nicht zuletzt aufgrund von technologischem Fortschritt und der steigenden Nachfrage nach flexiblen Lernumgebungen stark an Bedeutung gewonnen. Unter den verschiedenen Formaten, die in der digitalen Lehre Anwendung finden, sind insbesondere Lehrvideos zunehmend beliebter geworden. Eine zentrale Frage bei der Gestaltung von Lehrvideos betrifft dabei die Rolle der Lehrenden, insbesondere die Rolle ihres nonverbalen Verhaltens in den Videos (Fiorella & Mayer, 2016). Während die Bedeutung des nonverbalen Sozialverhaltens von Lehrenden - wie etwa Mimik, Gestik und Blickbewegungen - im Präsenzunterricht gut erforscht ist, sind die Auswirkungen in Lehrvideos noch nicht vollständig geklärt (Meier et al., 2023).

Bestehende Forschung im Bereich multimedialer Lernformate konzentriert sich häufig auf kognitive Lernaspekte und betont die Wichtigkeit der Menge und Art an Informationen, die von den Lernenden während des Unterrichts verarbeitet werden (Mayer et al., 2020). Die Cognitive Load Theory of Multimedia Learning (CLTM) liefert ein konzeptionelles Modell, das die Bedeutung der Reduzierung unnötiger kognitiver Belastung zur Förderung des Lernens betont (Mayer, 2005). Demnach könnten zusätzliche visuelle Reize, wie etwa das nonverbale Sozialverhalten der Lehrenden, die Lernenden von der Verarbeitung der relevanten Lehrinhalte ablenken (Zhang et al., 2018). CLTM kann jedoch nicht erklären, wie bestimmte Formen vermeintlich irrelevanter nonverbaler Zeichen, wie beispielsweise Gesten, Lernergebnisse teilweise stattdessen verbessern (Skulmowski & Xu, 2022).

Andere Forschungsansätze zum effektiven Lernen und Lehren in Online-Lernumgebungen heben dagegen die Rolle von affektiv-motivationalen Prozessen und sozialen Faktoren hervor (Schnotz et al., 2009). Die Social-Agency-Theorie legt nahe, dass nonverbale Zeichen in Lehrvideos das Gefühl sozialer Präsenz bei den Lernenden stärken und positive sozio-emotionale Reaktionen hervorrufen können (Mayer et al., 2003), wodurch ihre Motivation und eine tiefere kognitive Verarbeitung gefördert werden kann (Wang & Antonenko, 2017).

Forschungsinteresse

Die vorliegende Studie untersucht die Rolle der nonverbal immediacy (NVI, Mehrabian, 1968) von Lehrenden in Lehrvideos, ein Konstrukt, das multimodale nonverbale Verhaltensweisen erfasst, welche die psychologische Distanz zwischen Personen verringern (Witt et al., 2004). Insbesondere werden Zusammenhänge zwischen der NVI der Lehrenden und kognitivem, affektivem und motivationalem Lernerfolg der Lernenden betrachtet.

Methode

Im Rahmen eines Mixed-Method-Ansatzes wurde die Auswertung von Fragebogendaten und Eye-Tracking-Daten kombiniert. Die Studie umfasste 87 Teilnehmende, die sich eine Reihe von Lehrvideos ansahen, in denen der Grad an NVI durch einen Lehrenden systematisch variiert wurde. Die wahrgenommene NVI, der kognitive Lernerfolg, die Motivation und die Lernfreude wurden nach jedem Video per Fragebogen gemessen. Zur Analyse der Aufmerksamkeitsverteilung zwischen dem Lehrenden und den zusätzlichen Lernmaterialien wurden die Blickbewegungen der Teilnehmenden aufgezeichnet.

Ergebnisse und Implikationen

Die Ergebnisse der Mehrebenen-Pfadanalysen deuten auf einen signifikanten Zusammenhang zwischen wahrgenommener NVI und der Motivation sowie der Lernfreude der Lernenden hin. Ein Zusammenhang mit dem kognitiven Lernerfolg wurde nicht nachgewiesen. Zusätzlich zeigten die Auswertungen der Augenbewegungen der Lernenden, dass sich die Aufmerksamkeitsverteilung je nach NVI-Grad des Lehrenden unterschied. Höhere NVI-Ausprägungen gingen mit einer stärkeren Fixierung auf den Lehrenden einher, was auf einen Einfluss des nonverbalen Sozialverhaltens auf die Aufmerksamkeitslenkung hinweist. Diese Ergebnisse haben wichtige Implikationen für die Gestaltung von Lehrvideos. Die Einbeziehung nonverbaler Verhaltensweisen, die die NVI verstärken, kann positive affektive und motivationale Reaktionen der Lernenden fördern, was das Engagement steigern und tiefere kognitive Verarbeitung begünstigen kann. Jedoch ist ein Gleichgewicht zwischen nonverbalem Sozialverhalten und Lehrinhalten wichtig, um mögliche Ablenkungen zu vermeiden. Diese Studie trägt zum Verständnis der Rolle nonverbalen Sozialverhaltens in der Online-Lehre bei, insbesondere bei Videovorlesungen. Indem sie den Einfluss der NVI auf das Lernen und die Aufmerksamkeitsverteilung untersucht, beleuchtet sie die Bedeutung affektiv-motivationaler Prozesse und sozialer Faktoren in Online-Lernumgebungen. Diese Ergebnisse können Lehrende, Pädagog:innen und Online-Lernplattformen bei der Erstellung effektiver und ansprechender Online-Lehrvideos zur Optimierung der Lernerfahrung unterstützen.

 

Macht Vorwissen einen Unterschied? Effekte von Vorwissen auf die affektive Verarbeitung von computerbasiertem Feedback

Salome Wagner1, Leonie Sibley2, Sara Becker3, Vincent Hoogerheide4, Andreas Lachner1
1Universität Tübingen; Tübingen Center for Digital Education, 2Universität Tübingen, 3Tübingen Center for Digital Education, 4Universität Utrecht

Theoretischer Hintergrund

Die Berücksichtigung der heterogenen Voraussetzungen von Lernenden ist eine zentrale Gelingensbedingung bei der Gestaltung von Unterricht. So zeigen sich beispielsweise auch moderierende Effekte von Vorwissen bei der Implementation von Feedback, da insbesondere Lernende mit niedrigem Vorwissen aber nicht mit hohem Vorwissen von (computerbasiertem) Feedback profitieren (Fyfe & Rittle-Johnson, 2016; Wagner et al., under rev.; Wischgoll, 2017). Neben kognitiven Faktoren, werden insbesondere affektive Faktoren als Erklärfaktoren diskutiert: Höheres Vorwissen kann im Vergleich zu niedrigem Vorwissen zu höheren Kompetenzeinschätzungen führen, was ein höheres physiologisches Erregungsniveau während der Feedbackverarbeitung und niedrigere Lernleistungen zur Folge haben kann. Bislang wurde der Einfluss von Vorwissen auf emotional-affektive Faktoren bei der Verarbeitung von computerbasiertem Feedback jedoch kaum untersucht.

Fragestellung

Diese Studie wurde als Laborexperiment realisiert, in der das Vorwissen experimentell induziert wurde, sowie affektive Prozesse mit physiologischen Messungen fein-granular erfasst wurden, um affektive Verarbeitungsprozesse nachzuzeichnen. Ziel der vorliegenden Studie war es, den potenziellen Einfluss von Vorwissensinduktion auf die affektive Verarbeitung von computerbasiertem Feedback und auf die Lernleistung zu untersuchen. Hierfür wurde die elektrodermale Aktivität (EDA; siehe Braithwaite et al., 2013; Dawson et al., 2016; Horvers et al., 2021 für Validitätsstudien) der Studierenden anhand von EDA-Armbändern erhoben. Wir vermuteten, dass sich die Erregung der Lernenden, die Vorwissensinduktion erhielten, während der Feedbackverarbeitung erhöhte im Vergleich zu Lernenden, keine vorherige Wissensinduktion erhielten.

Methode

Die Studie (präregistriert unter: https://aspredicted.org/2W5_8D2) wurde als 2-Gruppen-Design mit N = 47 Studierenden durchgeführt, von denen 42 Teilnehmende in den Analysen berücksichtigt werden konnten (hohes Vorwissen: n = 21, niedriges Vorwissen: n = 21).

In einer multimedialen Lernumgebung (Thema: Ohm’sches Gesetz) machten die Studierenden zunächst Angaben zu ihren demografischen Daten und einem Prätest (t1: EDA-Baseline). In der Lernphase (t2) erhielten sie entweder eine Vorwissensinduktion (in Form direkter Instruktion) oder eine themenfremde Kontrollinstruktion, die bereits in einer Vorgängerstudie validiert wurde. In der Übungsphase (t3) berechneten die Studierenden anhand mehrerer Übungsaufgaben die Stromstärke in verschiedenen Stromkreisen und erhielten automatisch computerbasiertes Feedback auf ihre Antworten. Zuletzt berechneten die Studierenden die elektrische Stromstärke in Posttestaufgaben (t4). Vor der Lernphase und jeweils nach der Lern- und Übungsphase schätzten die Lernenden ihre affektive Erregung selbst ein. Während der ganzen Untersuchung trugen die Lernenden das EDA-Armband (E4 Empatica), worüber ihre physiologischen EDA-Daten anhand von vier Messungen pro Sekunde erhoben wurden.

Ergebnisse

Zunächst berechneten wir einen mittleren EDA-Wert pro Phase (Baseline, Lernphase, Übungsphase, Posttestphase) pro Person (Carroll et al., 2019; Hoogerheide et al., 2019; Khan et al., 2019). Anhand einer ANCOVA mit Messwiederholung analysierten wir mögliche Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich der EDA-Daten über die Zeit hinweg (t2-t4) unter Kontrolle der Baseline-Erregung. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Gruppen signifikant in ihrer EDA unterschieden, F(3, 38) = 3.789, p = .042, η_p^2 = .09. Die Erregung der Kontrollgruppe sank über die Zeit hinweg linear; das Erregungslevel der Gruppe mit vorheriger Instruktion blieb konstant. Eine ANOVA zeigte jedoch, dass sich die beiden Gruppen nicht in ihrer Posttestleistung unterschieden, F(1, 40) = 0.125, p = .725, η_p^2 = .00. Die Valenz des Feedbacks (positiv oder negativ) hatte keinen moderierenden Effekt, F(3, 38) = 0.370, p = .633, η_p^2 = .03.

Bedeutung der Ergebnisse

Analog zu unserer postulierten Hypothese zeigte sich, dass bei Studierenden mit niedrigem Vorwissen, die physiologische Erregung sank, im Vergleich zu Studierenden mit hohem Vorwissen. Die Lernleistung unterschied sich jedoch nicht. Diese Ergebnisse können dahingehend erklärt werden, dass die Zugabe von Feedback bei Lernenden mit hohem Vorwissen zu Interferenzeffekten führen kann. Aktuell werden die Daten fein-granular auf Sekundenebene und insbesondere bzgl. der Valenz des Feedbacks (positives versus negatives Feedback) ausgewertet, um feine Schwankungen in der emotionalen Erregung bei der Feedbackverarbeitung zu identifizieren. Diese Befunde werden auf der GEBF-Konferenz ebenfalls vorgestellt.

 

Lernen mit sozialen Robotern und intelligenten tutoriellen Systemen: Welche Rolle spielen wahrgenommenes soziales Interaktionsverhalten des Roboters, Lernfreude und kognitive Belastung für den Lernfortschritt?

Anja Henke1, Johann Chevalère2, Hae Seon Yun3, Niels Pinkwart4, Verena Hafner3, Rebecca Lazarides5
1Universität Potsdam, 2Centre national de la recherche scientifique (CNRS); Université Clermont-Auvergne, Clermont-Ferrand, 3Humboldt-Universität zu Berlin; Exzellenzcluster "Science of Intelligence", 4Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI); Humboldt-Universität zu Berlin; Exzellenzcluster "Science of Intelligence", 5Universität Potsdam; Exzellenzcluster "Science of Intelligence"

Theoretischer Hintergrund

Forschungsarbeiten zu Mensch-Roboter-Interaktion in sozialen Lernprozessen zeigen, dass physische Roboter in Lernsettings zu höherer Lernfreude (Kennedy et al., 2015) und höherem Lernergebnissen beitragen können (Belpaeme et al., 2018). Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass Roboter Lernende ablenken und den Lernprozess stören können (Chou et al., 2023). Inwiefern der schulische Einsatz von Robotern lernförderlich oder -hinderlich sein kann als auch die zugrundeliegenden Mechanismen erfolgreichen Lernens mit sozialen Robotern sind bisher weitgehend unbekannt und wenig untersucht (Woo et al., 2021). Die Kontroll-Wert Theorie (Pekrun et al., 2007) postuliert, dass der Lernkontext, die emotionale Erfahrung beim Lernen und die Zuweisung kognitiver Ressourcen miteinander im Zusammenhang stehen und gleichzeitig die Grundlage für Lernerfolg bilden.

Fragestellung

Basierend auf den Annahmen der Kontroll-Wert Theorie (Pekrun, 2007) und der Theorie der kognitiven Belastung (Sweller, 2011) untersucht die vorliegende Studie inwiefern die kognitive Belastung, Vorwissen, wahrgenommene soziales Interaktionsverhalten eines Roboters (Pepper) als auch Lernfreude und Konzentration im Zusammenhang mit dem Lernfortschritt in einem emotional-adaptiven intelligenten tutoriellen System (ITS) mit Roboter-Komponente stehen.

Methode

Wir verwendeten Daten von N=56 Lernenden (30.36% weiblich; 69.64% männlich; Mage=17.75, SD=2.63) aus vier Klassen in Deutschland. Die Lernenden arbeiteten 60 Minuten lang mit einem ITS mit Roboter-Komponente – die Lernenden wurden von einem physischen oder virtuellen Roboter (Pepper) unterstützt wobei a-priori Analysen keine Hinweise auf Effekte der Art der Einbindung des Roboters zeigen. Mittels Experience Sampling erfassten wir Lernfreude und Konzentration mit einer adaptierten Skala von Pekrun et al. (2017) während der Arbeit mit dem ITS. Um Artefakte des Novelty-Effekts (Metcalf et al., 2019) zu vermeiden, schlossen wir Experience-Sampling-Daten der ersten 30 Minuten aus. Das wahrgenommene soziale Interaktionsverhalten Peppers wurde am Ende der Studie mit einer Skala von Spatola et al. (2021) erhoben. Soziodemographische Daten und Vorwissen (selbst entwickelter Test) wurden zu Beginn der Studie erhoben. Der Lernfortschritt wurde anhand der Leistung im ITS aus Logfiledaten ermittelt. Die kognitive Belastung wurde mit einem angepassten Test zur Messung der kognitiven Flexibilität (voluntary task switching; Arrington & Logan, 2004) vor und nach der Studie gemessen. Unter Kontrolle der Einbindungsart des Roboters (physisch oder virtuell) und Gender spezifizierten wir ein Pfadmodell in Mplus 8.7.

Ergebnisse

Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein als störender wahrgenommenes soziales Interaktionsverhalten von Pepper und höhere kognitive Belastung vor der Arbeit mit dem ITS negativ mit Lernfreude und Konzentration assoziiert waren. Lernfreude während der Arbeit mit dem ITS war negativ und Konzentration positiv mit kognitiver Belastung im Post-Test assoziiert. Vorwissen war mit geringerer kognitiver Belastung im Posttest und mit höherem Lernfortschritt assoziiert. Höhere kognitive Belastung im Post-Test wiederum stand im Zusammenhang mit geringerem Lernfortschritt. Jungen wiesen generell einen höheren Lernfortschritt auf als Mädchen, wobei dieser Zusammenhang nicht durch die wahrgenommene Interaktion mit dem Roboter, Lernfreude oder Konzentration mediiert war.

Unsere Ergebnisse weisen auf die hohe Bedeutung kognitiver Belastung für den Lernfortschritt in einem technologiegestützten Lernsetting, konkret im Kontext eines ITS mit Roboter-Komponente, hin. Lernfreude und Konzentration spielten eine zentrale Rolle für die kognitive Belastung nach der Arbeit mit dem ITS. Dabei war das wahrgenommene soziale Interaktionsverhalten von Pepper assoziiert mit Lernfreude und Konzentration. Die Studie trägt zu einem besseren Verständnis motivational-affektiver und kognitiver Prozesse während der Arbeit in technologiegestützten Lernsettings bei.