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1-10: Die Erfassung epistemischer Überzeugungen – Herausforderungen und neue Wege
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Symposium
Die Erfassung epistemischer Überzeugungen – Herausforderungen und neue Wege Epistemische Überzeugungen sind die Annahmen einer Person über Wissen und den Prozess des Wissenserwerbs (Gruber & Stamouli, 2009). Sie beeinflussen, wie eine Person mit Wissen umgeht – ob sie einer Aussage traut, sie in Frage stellt, überdenkt oder ablehnt (Oschatz, 2011). Zudem stehen epistemische Überzeugungen in Zusammenhang mit verschiedenen bedeutenden Lernergebnissen, wie bspw. Studienerfolg oder Konzeptwandel (vgl. Greene, Cardiff & Duke, 2018, Stathopoulou & Vosniadou 2007). Daher sind Instrumente zur Erfassung epistemischer Überzeugungen mit entsprechend guten psychometrischen Eigenschaften erforderlich. Allerdings weisen diese jedoch häufig schlechte psychometrische Eigenschaften auf (vgl. Greene & Yu, 2014) bzw. zeigen nicht oder nur schlecht replizierbare Faktorenstrukturen (vgl. DeBacker et al., 2008; Klopp & Stark, 2017; Moschner & Gruber, 2017). Zum einen werfen Befunde wie mangelnde Replizierbarkeit der Faktorenstruktur Fragen nach deren Ursachen auf, zum anderen sind solche Befunde problematisch hinsichtlich der Interpretation der Skalen(werte) sowie der Interpretation der Zusammenhänge von epistemischen Überzeugungen mit Lernergebnissen. Beiträge des Symposiums Wie denken Studierende über wissenschaftliche Erkenntnisse zu Bildung? Validierung eines Instruments zur Messung epistemischer Überzeugungen Theoretischer Hintergrund Der Erwerb pädagogisch-psychologischen Fachwissens ist für die professionelle Kompetenz von Studierenden der Erziehungswissenschaft und des Lehramts essenziell (Kunina-Habenicht & Terhart, 2020). Bildungswissenschaftliches Wissen besteht jedoch häufig aus widersprüchlichen Befunden, ist stark kontextabhängig und durch persönliche Bildungserfahrungen von Lernenden geprägt (Bromme et al., 2014). Im (reflektierten) Umgang mit Wissen spielen epistemische Überzeugungen von Studierenden eine zentrale Rolle (Rosman et al., 2017). Sie werden als „Vorstellungen eines Individuums zu Wissen und seiner Genese“ (Oschatz, 2011, S. 25) definiert. Epistemische Überzeugungen sind assoziiert mit dem selbstregulierten Lernen (Muis et al., 2006), dem Umgang mit widersprüchlichen Informationen (Rosman et al., 2017) und mit der Qualität des pädagogischen Handelns (Dubberke et al., 2008). Basierend auf dem Fragebogen zur Erfassung des Entwicklungsniveaus epistemologischer Überzeugungen (FREE; Krettenauer, 2005) entwickelten Merk et al. (2017) eine domänenspezifisch adaptierte Version des FREE zu pädagogischem Wissen. Dieser erfasst anhand szenariobasierter Aussagen zu unterschiedlichen Bildungsthemen (z.B.: „Immer wieder wird diskutiert, ob ‚Sitzenbleiben‘ tatsächlich sinnvoll ist oder abgeschafft werden sollte.“) den individuellen Entwicklungsstand epistemischer Überzeugungen (Absolutismus, Multiplizismus und Evaluativismus) von Studierenden. Laut Kuhn (1991) wird die Art über Wissen zu denken zunehmend sophistizierter, sodass sich Individuen von absoluten Ansichten wie „Wissen ist eindeutig wahr oder falsch“ zu multiplizistischen Ansichten wie „Wissen ist willkürlich und basiert auf subjektiven Meinungen“ und schließlich zunehmend hin zu evaluativistischen Ansichten wie „Wissen ist durch die Bewertung und Gewichtung von Beweisen mehr (oder weniger) sicher“ entwickeln. Im FREE wird der individuelle Entwicklungsstand einer Person anhand eines D-Index quantifiziert. Bisher wurde jedoch nicht untersucht, ob die im D-Index enthaltenen Items tatsächlich die Faktoren Absolutismus, Multiplizismus und Evaluativismus messen. Methoden Im vorliegenden Beitrag wurde der FREE mittels konfirmatorischer Faktorenanalyse (CFA) und Exploratory Structrual Equation Modeling (ESEM) an einer Stichprobe von N = 468 Lehramtsstudierenden und N = 149 Studierenden der Erziehungswissenschaften validiert. Es wurden unterschiedliche Modelle (u.a. Correlated Trait-Correlated Uniqueness Model) gerechnet, um der verschachtelten Struktur des Fragebogens Rechnung zu tragen (d.h., drei Einzelitems beziehen sich jeweils auf einen gemeinsamen Stimulus). Wir prüften außerdem auf konvergente und diskriminante Validität anhand zusätzlicher Instrumente zur Messung von epistemischen Überzeugungen (EBI-AM; Peter et al., 2017, FEE; Moschner & Gruber, 2017) und ein Instrument zur Erfassung von Lernstrategien im Studium (LIST-K; Klingsieck, 2019).
Ergebnisse und Diskussion Die Ergebnisse zeigen eine schlechte Passung der Messmodelle zu den Daten und damit keine interne faktorielle Validität des Instruments FREE. Dies ist im Einklang mit früheren Befunden, die ebenfalls eine schlechte psychometrische Qualität von Instrumenten zur Erfassung epistemischer Überzeugungen feststellten (Greene & Yu, 2014). Die konvergente Validität konnte für die Skalen Absolutismus und Multiplizismus bestätigt werden, die positiv mit den äquivalenten Skalen des FREE korrelierten. Entgegen den Erwartungen zeigten sich allerdings keine Zusammenhänge zwischen der FEE-Skala „Reflexive Natur des Wissens“ und der Evaluativismus-Skala des FREE. Im Einklang mit früheren Befunden (z.B. Dahl et al., 2005) waren tiefenorientierte Lernstrategien (Elaboration, kritisches Denken, Regulation) mit multiplizistischen und evaluativistischen Überzeugungen assoziiert. Im Widerspruch zu vorherigen Befunden korrelierte die oberflächliche Lernstrategie Rehearsal nicht mit Absolutismus. Die Befunde der vorliegenden Studie sowie frühere Ergebnisse (z.B. Barzilai & Weinstock, 2015) werfen die Frage auf, ob faktorenanalytische Messmodelle überhaupt in der Lage sind, die komplexe Struktur szenariobasierter Instrumente zur Erfassung epistemischer Überzeugungen adäquat abzubilden. Ein Konstrukt mit variabler Struktur? Überlegungen zur Messung epistemischer Überzeugungen Theoretischer Hintergrund Epistemische Überzeugungen über die Natur des Wissens und den Wissenserwerb stellen eine mögliche Brille dar, durch die Lernende betrachten, was und wie sie lernen (Bernholt et al., 2017; Hofer & Pintrich, 1997; Kuhn, 1991). Theoretisch sollten sie daher Lernprozesse vorhersagen können. Dazu ist aber Klarheit nötig, welche Überzeugungen genau existieren. Die faktorielle Struktur von epistemischen Überzeugungen variiert jedoch über Messinstrumente und -situationen hinweg, so dass diesbezüglich nach drei Jahrzehnten noch immer keine Einigkeit besteht (Barzilai & Weinstock, 2015; Klopp & Stark, 2017; Moschner & Gruber, 2017). Wir schlagen daher ein neues Vorgehen auf Basis einer veränderten Grundannahme vor: Epistemische Überzeugungen sind je nach a) Thema und b) Vorwissen der Befragten zu diesem Thema nicht nur unterschiedlich ausgeprägt (Barzilai & Weinstock, 2015), sondern auch unterschiedlich strukturiert. Für die Konstruktion entsprechender Messinstrumente ergibt sich dadurch, dass (1) zu allen bisher nur implizit in verschiedenen Instrumenten aufscheinenden Subfacetten epistemischer Dimensionen eigenständige Kurzskalen konstruiert werden müssen. (2) Für eine Studie sollten dann aus diesem Pool von Facetten nur genau jene ausgewählt werden, die für das vorliegende Thema und diesbezüglich vorhandenes Vorwissen auch relevant sind. (3) Mittels personenzentrierter Verfahren wird untersucht, ob sich aus diesen Facetten übergreifende Perspektiven (= Typen/Cluster) zusammensetzen – gültig nur für die spezifische Kombination aus Thema und Vorwissen. Um diese Grundannahme zu stützen, analysieren wir die Faktorstruktur verschiedener populärer Instrumente in zwei Stichproben und leiten daraus erste Vorschläge für die zukünftige Messung epistemischen Überzeugungen ab. Methode In zwei explorativen Studien beantworteten N=285 und N=254 Lehramtsstudierende (75%/78% weiblich; M=21.67/22.56 [SD=2.51/4.30] Jahre; im M=4.47/4.61 [SD=1.25/1.20] Semester) verschiedene Fragebögen. In Studie 1 wurden die epistemischen Überzeugungen auf drei verschiedenen Ebenen gemessen: allgemein, themenspezifisch und situationsspezifisch. Für allgemeine epistemische Überzeugungen verwendeten wir vier Skalen aus dem Fragebogen zur Erfassung epistemischer Überzeugungen (FEE; Moschner & Gruber, 2017): Gewissheit des Wissens („wissenschaftliches Wissen ist objektiv und stabil“), Autorität („Vertrauen in Autorität/Experten“), reflexive Natur des Wissens („Wissen entwickelt sich durch Reflexion und neue Erkenntnisse“) und soziale Komponente des Wissens („Wissen ist nur real, wenn es öffentlich ist“). Mit dem Topic-Specific Epistemic Beliefs Questionnaire (TSEBQ; Bråten et al., 2009) wurden die Dimensionen Gewissheit („Wissen ist instabil“), Quelle („Vertrauen in die Quelle“), Einfachheit („Wissen ist einfach“) und Rechtfertigung („Wissen muss selbst bewertet werden“) gemessen. Zuletzt wurden mit dem Epistemic Thinking Assessment (ETA; Barzilai & Weinstock, 2015) die epistemischen Perspektiven Absolutismus, Multiplizismus und Evaluativismus in Studie 1 in Bezug auf ein spezifisches, in einem Video gezeigtes Lernproblem (Beispiel-Itemstamm „Gibt es eine Antwort darauf, was das Problem bei der Gruppenarbeit im Video ist?“) und in Studie 2 bezogen auf das Thema „problematische Unterrichtssituationen“ gemessen (Beispiel-Itemstamm „Gibt es eine Antwort darauf, wie man eine problematische Unterrichtssituation lösen kann?“). Ergebnisse Konfirmatorische Faktoranalysen wiesen für keines der Instrumente einen adäquaten Fit der jeweils theoretisch angenommenen Faktorstruktur aus, CFI<.74, TLI<.70, RMSEA>.065, SRMR>.085. In explorativen Faktorenanalysen (oblique Rotation) luden die Items zur sozialen Komponente des Wissens (FEE) und zur Einfachheit des Wissens (TSEBQ) nicht auf je einem gemeinsamen Faktor und wurden daher ganz von der weiteren Analyse ausgeschlossen. Bezogen auf zukünftig zu berücksichtigende Facetten hier exemplarisch die Befunde zur Dimension „Gewissheit”: Der FEE enthielt Gewissheits-Items, die auf zwei Facetten „Objektivität“ und „Stabilität“ luden, wohingegen der TSEBQ die Facetten „Vorläufigkeit des Wissens“ und „Mehrdeutigkeit des Wissens“ unterschied. Das ETA enthielt absolutistische, multiplizistische und evaluativistische Varianten von Gewissheit. Diskussion Angenommene Faktorstrukturen konnten für die vorliegenden Kombinationen aus Probandenvorwissen und Thema nicht repliziert werden. Zukünftige Fragebogenentwicklung sollte mindestens für die Varianten der Gewissheit von Wissen eigenständige Kurzskalen bereitstellen, die dann je nach Thema und Vorwissen zur Erfassung epistemischer Überzeugungen herangezogen werden können. Analog sind auch für die anderen Dimensionen Differenzierungen vorzunehmen. R- und P-epistemische Überzeugungen – Über die inter- und intraindividuelle Struktur epistemischer Überzeugun Theoretischer Hintergrund Im dimensionalen Ansatz werden epistemische Überzeugungen (eÜ) als Dimensionen interindividueller Unterschiede konzeptualisiert und ihre dimensionale Struktur aus Querschnittsdaten abgeleitet. Dieser Datentyp stellt R-Daten im Sinne Cattels (1952) dar. Im Folgenden werden die aus R-Daten abgeleiteten eÜ daher als R-eÜ bezeichnet. Ein Beispiel sind die beiden domänenspezifischen Dimensionen Textur und Variabilität des Wissens, die aus dem CAEB-Fragebogen abgeleitet wurden (Stahl & Bromme, 2007). Die übliche Annahme ist, dass die dimensionale Struktur interindividueller Unterschiede der dimensionalen Struktur intraindividueller Unterschiede entspricht. Letztere wird aus Längsschnittdaten abgeleitet, die nach Cattel (1952) als P-Daten bezeichnet werden. Daher wird im Folgenden die Struktur intraindividueller eÜ als P-eÜ bezeichnet. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Annahme zutreffend ist (Molenaar & Campbell, 2009). Z.B. kann dies für die Big Five verneint werden (Borkenau & Ostendorf, 1998). Da es sich bei den P-Daten um wiederholte Messungen handelt, können außerdem vorhergehende P-eÜ die aktuellen P-eÜ beeinflussen. Zudem sind eÜ domänenabhängig (Muis et al., 2006), d. h. die derzeit in der Wahrnehmung einer Person saliente Domäne kann die aktuellen eÜ einer Person beeinflussen, was wegen der Variabilität der salienten Domäne wiederum auf die Variabilität der eÜ innerhalb einer Person hindeutet. Fragestellung In der vorliegenden, explorativen Pilotstudie soll mittels Längsschnittdaten die dimensionale Struktur von P-eÜ mittels des CAEB untersucht werden. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob frühere P-eÜ bzw. die saliente Domäne die aktuellen P-eÜ beeinflussen. Methoden Die Stichprobe besteht aus zwei Studierenden, die an N=80 aufeinanderfolgenden Tagen nach der täglichen Lernaktivität den CAEB in Bezug auf die saliente Domäne (Stahl & Bromme, 2007) bearbeiteten. Zusätzlich wurde die saliente Domäne erfasst und mit einer Dummy-Kodierung versehen. Eine P-Technik EFA (Molenaar & Nesselroade, 2009) mit Geomin-Rotation wurde zur Bestimmung der P-eÜ benutzt. Die Anzahl der P-Faktoren wurde anhand von Informationskriterien bestimmt. Anschließend wurden die Faktorenscores in einem vektorautoregressiven (VAR) Modell verwendet, um die zeitliche Abhängigkeit der aktuellen P-eÜ von früheren sowie die Abhängigkeit von der salienten Domäne zu untersuchen. Ergebnisse Der erste Teilnehmer lernte in den Domänen Interkulturelle Kommunikation, Wirtschaft und Deutschdidaktik. Es ergaben sich drei P-Faktoren: Genaues/absolutes Wissen (EAK), Dynamisches Wissen (DK) und Offenes/relatives Wissen (ORK). Das VAR-Modell ergab, dass für EAK und ORK die P-eÜ des Vortages signifikante Prädiktoren für die aktuellen P-eÜ waren (βEAK=.25, βOK=.25). Zusätzlich war für EAK der Deutschdidaktik-Dummy signifikant (βDeutschd=-.67). Der zweite Teilnehmer lernte in den Domänen Französische Sprachwissenschaft, Theologie und Bildungswissenschaften. Es ergaben sich vier P-Faktoren: Objektives Wissen (OK), Genaues/präzises Wissen (EPK), Dynamisches/offenes Wissen (DOK) und Sortiertes/strukturiertes Wissen (SSK). Das VAR-Modell zeigte, dass für alle Faktoren die Vortage signifikante Prädiktoren waren (βOK=.67, βEPK=.37, βDOK=.49, βSSK=.78). Für DOK war zusätzlich der Faktor OK des Vortages ein signifikanter Prädiktor (βDOK,OK=.28). Für ENK waren die Dummyvariablen für Theologie und Bildungswissenschaften signifikante Prädiktoren (βTheol=-.69, βBiwi=-.79). Diskussion Die Ergebnisse zeigen, dass R-eÜ und P-eÜ strukturell nicht übereinstimmen. Die Struktur der R-eÜ kann also nicht auf einzelne Personen übertragen werden. Darüber hinaus zeichneten sich Abhängigkeiten der aktuellen P-eÜ von vorhergehenden P-eÜ sowie von der aktuell salienten Domäne ab. Insgesamt deutet dies auf eine Aktualgenese der P-eÜ in Abhängigkeit von der salienten Domäne sowie den zeitlich vorhergehenden P-eÜ hin. Dies kann zu potenziellen Problemen bei der Messung von R-eÜ führen, da die querschnittlichen R-Daten bedingt durch die jeweilige Aktualgenense keine gemeinsame Grundlage aufweisen (Borsboom et al., 2009). Ein häufiger Befund sind nicht replizierbare R-Faktorenstrukturen (DeBacker et al., 2008), eine mögliche Erklärung dafür kann in der Zeit- und Domänenabhängigkeit der P-eÜ in Kombination mit der Inkongruenz von R-und P-eÜ liegen. Allerdings weist die Pilotstudie auch Limitationen auf. So sind mehr Probanden mit längeren Bobachtungsreihen und eine weiterführende statistische Modellierung, z.B. mit dynamischen Faktormodellen, und mit anderen, domänenspezifischen und domänenübergreifenden, Messinstrumenten nötig. |