Veranstaltungsprogramm

Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
Bitte wählen Sie einen Ort oder ein Datum aus, um nur die betreffenden Sitzungen anzuzeigen. Wählen Sie eine Sitzung aus, um zur Detailanzeige zu gelangen.

 
 
Sitzungsübersicht
Sitzung
1-10: Die Erfassung epistemischer Überzeugungen – Herausforderungen und neue Wege
Zeit:
Montag, 18.03.2024:
10:30 - 12:10

Ort: S26

Seminarraum, 70 TN

Zeige Hilfe zu 'Vergrößern oder verkleinern Sie den Text der Zusammenfassung' an
Präsentationen
Symposium

Die Erfassung epistemischer Überzeugungen – Herausforderungen und neue Wege

Chair(s): Belinda Berweger (Friedrich-Schiller-Universität Jena), Eric Klopp (Universität des Saarlandes, Deutschland)

Diskutant*in(nen): Tom Rosmann (Leibniz-Instituts für Psychologie)

Epistemische Überzeugungen sind die Annahmen einer Person über Wissen und den Prozess des Wissenserwerbs (Gruber & Stamouli, 2009). Sie beeinflussen, wie eine Person mit Wissen umgeht – ob sie einer Aussage traut, sie in Frage stellt, überdenkt oder ablehnt (Oschatz, 2011). Zudem stehen epistemische Überzeugungen in Zusammenhang mit verschiedenen bedeutenden Lernergebnissen, wie bspw. Studienerfolg oder Konzeptwandel (vgl. Greene, Cardiff & Duke, 2018, Stathopoulou & Vosniadou 2007). Daher sind Instrumente zur Erfassung epistemischer Überzeugungen mit entsprechend guten psychometrischen Eigenschaften erforderlich. Allerdings weisen diese jedoch häufig schlechte psychometrische Eigenschaften auf (vgl. Greene & Yu, 2014) bzw. zeigen nicht oder nur schlecht replizierbare Faktorenstrukturen (vgl. DeBacker et al., 2008; Klopp & Stark, 2017; Moschner & Gruber, 2017). Zum einen werfen Befunde wie mangelnde Replizierbarkeit der Faktorenstruktur Fragen nach deren Ursachen auf, zum anderen sind solche Befunde problematisch hinsichtlich der Interpretation der Skalen(werte) sowie der Interpretation der Zusammenhänge von epistemischen Überzeugungen mit Lernergebnissen.
In diesem Symposium werden drei Beiträge vereint, die sich mit der psychometrischen Modellierung epistemischer Überzeugungen sowie den damit verbundenen Problemen befassen und diese sowohl aus empirischer als auch aus theoretischer Perspektive betrachten. Alle Beiträge verwenden Faktorenanalysen und unterstreichen die Abhängigkeit der Struktur der epistemischen Überzeugungen von der jeweiligen Domäne bzw. Thema (vgl. Muis, Bendixen & Hearle, 2006).
Der erste Beitrag bietet eine umfassende Validierung eines domänenspezifischen Instruments zu pädagogischem Wissen. Untersucht wird einerseits die Faktorenstruktur der drei Faktoren Absolutismus, Multiplizismus und Evaluativismus sowie andererseits die Zusammenhänge dieser Faktoren mit Lernstrategien und mit Skalen aus anderen Instrumenten zur Messung epistemischer Überzeugungen. Die Ergebnisse weisen auf eine unklare Faktorenstruktur hin, deuten andererseits aber auf diskriminante und konvergente Validität der in der Studie ermittelten Faktoren hin.
Der zweite Beitrag kombiniert Instrumente, die epistemische Überzeugungen auf verschiedenen Ebenen (allgemein, themen- und situationsspezifisch) erfassen, und damit feinere Facetten jenseits der üblichen Dimensionen identifiziert. Es wird weiterhin vorgeschlagen, dass bei der Konstruktion von Skalen zur Erfassung epistemischer Überzeugungen die jeweilige Domäne bzw. das Thema sowie das jeweilige Vorwissen berücksichtigt werden müssen. Zudem wird angesprochen, welche weiteren Perspektiven sich hinsichtlich der psychometrischen Modellierung epistemischer Überzeugungen bieten, z.B. als Kombination der üblichen variablen-zentrierten Ansätzen (z.B. faktorenanalytische Verfahren) mit personen-zentrierten Ansätzen (z.B. Profilanalysen).
Im Gegensatz dazu betont der dritte Beitrag, dass die zeitliche Perspektive sowie die Domänenabhängigkeit epistemischer Überzeugungen berücksichtigt werden sollte. Dabei wird argumentiert, dass die übliche Konzeptualisierung epistemischer Überzeugungen im Sinne interinterindividueller Differenzen die zeitliche Dynamik der Veränderung epistemischer Überzeugungen nicht adäquat berücksichtigt. Der Beitrag zeigt auf, dass die aus Querschnittsdaten gewonnen Dimensionen interindividueller Unterschiede nicht mit der Struktur der aus Längsschnittdaten gewonnen Dimensionen intraindividueller Überzeugungen übereinstimmt. Zudem werden in dem Beitrag die zeitlichen Abhängigkeiten aktueller von früheren epistemischen Überzeugungen sowie deren Domänenabhängigkeit thematisiert und aufgezeigt, dass somit die Grundlage zur validen Erfassung interindividueller Unterschiede auf Basis von Querschnittsdaten fehlt. Es zeigt sich, dass der im Beitrag gezeigte Ansatz neue Erkenntnisse für die Theorieentwicklung bietet.
Insgesamt zeigen die drei Beiträge, dass die Zusammenführung verschiedener Ansätze und Perspektiven über die übliche Modellierung epistemischer Überzeugungen mittels (explorativen oder konfirmatorischen) Faktorenanalysen hinaus möglich und erkenntniserweiternd, wenn auch aus methodischer Sicht anspruchsvoll, ist. Die Beiträge werden abschließend zusammengeführt und von einem Experten auf dem Gebiet epistemischer Überzeugungen kritisch diskutiert und eingeordnet.

 

Beiträge des Symposiums

 

Wie denken Studierende über wissenschaftliche Erkenntnisse zu Bildung? Validierung eines Instruments zur Messung epistemischer Überzeugungen

Belinda Berweger, Florentine Diersch, Bärbel Kracke, Julia Dietrich
Friedrich-Schiller-Universität Jena

Theoretischer Hintergrund

Der Erwerb pädagogisch-psychologischen Fachwissens ist für die professionelle Kompetenz von Studierenden der Erziehungswissenschaft und des Lehramts essenziell (Kunina-Habenicht & Terhart, 2020). Bildungswissenschaftliches Wissen besteht jedoch häufig aus widersprüchlichen Befunden, ist stark kontextabhängig und durch persönliche Bildungserfahrungen von Lernenden geprägt (Bromme et al., 2014). Im (reflektierten) Umgang mit Wissen spielen epistemische Überzeugungen von Studierenden eine zentrale Rolle (Rosman et al., 2017). Sie werden als „Vorstellungen eines Individuums zu Wissen und seiner Genese“ (Oschatz, 2011, S. 25) definiert. Epistemische Überzeugungen sind assoziiert mit dem selbstregulierten Lernen (Muis et al., 2006), dem Umgang mit widersprüchlichen Informationen (Rosman et al., 2017) und mit der Qualität des pädagogischen Handelns (Dubberke et al., 2008). Basierend auf dem Fragebogen zur Erfassung des Entwicklungsniveaus epistemologischer Überzeugungen (FREE; Krettenauer, 2005) entwickelten Merk et al. (2017) eine domänenspezifisch adaptierte Version des FREE zu pädagogischem Wissen. Dieser erfasst anhand szenariobasierter Aussagen zu unterschiedlichen Bildungsthemen (z.B.: „Immer wieder wird diskutiert, ob ‚Sitzenbleiben‘ tatsächlich sinnvoll ist oder abgeschafft werden sollte.“) den individuellen Entwicklungsstand epistemischer Überzeugungen (Absolutismus, Multiplizismus und Evaluativismus) von Studierenden. Laut Kuhn (1991) wird die Art über Wissen zu denken zunehmend sophistizierter, sodass sich Individuen von absoluten Ansichten wie „Wissen ist eindeutig wahr oder falsch“ zu multiplizistischen Ansichten wie „Wissen ist willkürlich und basiert auf subjektiven Meinungen“ und schließlich zunehmend hin zu evaluativistischen Ansichten wie „Wissen ist durch die Bewertung und Gewichtung von Beweisen mehr (oder weniger) sicher“ entwickeln. Im FREE wird der individuelle Entwicklungsstand einer Person anhand eines D-Index quantifiziert. Bisher wurde jedoch nicht untersucht, ob die im D-Index enthaltenen Items tatsächlich die Faktoren Absolutismus, Multiplizismus und Evaluativismus messen.

Methoden

Im vorliegenden Beitrag wurde der FREE mittels konfirmatorischer Faktorenanalyse (CFA) und Exploratory Structrual Equation Modeling (ESEM) an einer Stichprobe von N = 468 Lehramtsstudierenden und N = 149 Studierenden der Erziehungswissenschaften validiert. Es wurden unterschiedliche Modelle (u.a. Correlated Trait-Correlated Uniqueness Model) gerechnet, um der verschachtelten Struktur des Fragebogens Rechnung zu tragen (d.h., drei Einzelitems beziehen sich jeweils auf einen gemeinsamen Stimulus). Wir prüften außerdem auf konvergente und diskriminante Validität anhand zusätzlicher Instrumente zur Messung von epistemischen Überzeugungen (EBI-AM; Peter et al., 2017, FEE; Moschner & Gruber, 2017) und ein Instrument zur Erfassung von Lernstrategien im Studium (LIST-K; Klingsieck, 2019).

Ergebnisse und Diskussion

Die Ergebnisse zeigen eine schlechte Passung der Messmodelle zu den Daten und damit keine interne faktorielle Validität des Instruments FREE. Dies ist im Einklang mit früheren Befunden, die ebenfalls eine schlechte psychometrische Qualität von Instrumenten zur Erfassung epistemischer Überzeugungen feststellten (Greene & Yu, 2014). Die konvergente Validität konnte für die Skalen Absolutismus und Multiplizismus bestätigt werden, die positiv mit den äquivalenten Skalen des FREE korrelierten. Entgegen den Erwartungen zeigten sich allerdings keine Zusammenhänge zwischen der FEE-Skala „Reflexive Natur des Wissens“ und der Evaluativismus-Skala des FREE. Im Einklang mit früheren Befunden (z.B. Dahl et al., 2005) waren tiefenorientierte Lernstrategien (Elaboration, kritisches Denken, Regulation) mit multiplizistischen und evaluativistischen Überzeugungen assoziiert. Im Widerspruch zu vorherigen Befunden korrelierte die oberflächliche Lernstrategie Rehearsal nicht mit Absolutismus. Die Befunde der vorliegenden Studie sowie frühere Ergebnisse (z.B. Barzilai & Weinstock, 2015) werfen die Frage auf, ob faktorenanalytische Messmodelle überhaupt in der Lage sind, die komplexe Struktur szenariobasierter Instrumente zur Erfassung epistemischer Überzeugungen adäquat abzubilden.

 

Ein Konstrukt mit variabler Struktur? Überlegungen zur Messung epistemischer Überzeugungen

Martin Greisel, Ingo Kollar
Universität Augsburg

Theoretischer Hintergrund

Epistemische Überzeugungen über die Natur des Wissens und den Wissenserwerb stellen eine mögliche Brille dar, durch die Lernende betrachten, was und wie sie lernen (Bernholt et al., 2017; Hofer & Pintrich, 1997; Kuhn, 1991). Theoretisch sollten sie daher Lernprozesse vorhersagen können. Dazu ist aber Klarheit nötig, welche Überzeugungen genau existieren. Die faktorielle Struktur von epistemischen Überzeugungen variiert jedoch über Messinstrumente und -situationen hinweg, so dass diesbezüglich nach drei Jahrzehnten noch immer keine Einigkeit besteht (Barzilai & Weinstock, 2015; Klopp & Stark, 2017; Moschner & Gruber, 2017).

Wir schlagen daher ein neues Vorgehen auf Basis einer veränderten Grundannahme vor: Epistemische Überzeugungen sind je nach a) Thema und b) Vorwissen der Befragten zu diesem Thema nicht nur unterschiedlich ausgeprägt (Barzilai & Weinstock, 2015), sondern auch unterschiedlich strukturiert. Für die Konstruktion entsprechender Messinstrumente ergibt sich dadurch, dass (1) zu allen bisher nur implizit in verschiedenen Instrumenten aufscheinenden Subfacetten epistemischer Dimensionen eigenständige Kurzskalen konstruiert werden müssen. (2) Für eine Studie sollten dann aus diesem Pool von Facetten nur genau jene ausgewählt werden, die für das vorliegende Thema und diesbezüglich vorhandenes Vorwissen auch relevant sind. (3) Mittels personenzentrierter Verfahren wird untersucht, ob sich aus diesen Facetten übergreifende Perspektiven (= Typen/Cluster) zusammensetzen – gültig nur für die spezifische Kombination aus Thema und Vorwissen.

Um diese Grundannahme zu stützen, analysieren wir die Faktorstruktur verschiedener populärer Instrumente in zwei Stichproben und leiten daraus erste Vorschläge für die zukünftige Messung epistemischen Überzeugungen ab.

Methode

In zwei explorativen Studien beantworteten N=285 und N=254 Lehramtsstudierende (75%/78% weiblich; M=21.67/22.56 [SD=2.51/4.30] Jahre; im M=4.47/4.61 [SD=1.25/1.20] Semester) verschiedene Fragebögen. In Studie 1 wurden die epistemischen Überzeugungen auf drei verschiedenen Ebenen gemessen: allgemein, themenspezifisch und situationsspezifisch. Für allgemeine epistemische Überzeugungen verwendeten wir vier Skalen aus dem Fragebogen zur Erfassung epistemischer Überzeugungen (FEE; Moschner & Gruber, 2017): Gewissheit des Wissens („wissenschaftliches Wissen ist objektiv und stabil“), Autorität („Vertrauen in Autorität/Experten“), reflexive Natur des Wissens („Wissen entwickelt sich durch Reflexion und neue Erkenntnisse“) und soziale Komponente des Wissens („Wissen ist nur real, wenn es öffentlich ist“). Mit dem Topic-Specific Epistemic Beliefs Questionnaire (TSEBQ; Bråten et al., 2009) wurden die Dimensionen Gewissheit („Wissen ist instabil“), Quelle („Vertrauen in die Quelle“), Einfachheit („Wissen ist einfach“) und Rechtfertigung („Wissen muss selbst bewertet werden“) gemessen. Zuletzt wurden mit dem Epistemic Thinking Assessment (ETA; Barzilai & Weinstock, 2015) die epistemischen Perspektiven Absolutismus, Multiplizismus und Evaluativismus in Studie 1 in Bezug auf ein spezifisches, in einem Video gezeigtes Lernproblem (Beispiel-Itemstamm „Gibt es eine Antwort darauf, was das Problem bei der Gruppenarbeit im Video ist?“) und in Studie 2 bezogen auf das Thema „problematische Unterrichtssituationen“ gemessen (Beispiel-Itemstamm „Gibt es eine Antwort darauf, wie man eine problematische Unterrichtssituation lösen kann?“).

Ergebnisse

Konfirmatorische Faktoranalysen wiesen für keines der Instrumente einen adäquaten Fit der jeweils theoretisch angenommenen Faktorstruktur aus, CFI<.74, TLI<.70, RMSEA>.065, SRMR>.085. In explorativen Faktorenanalysen (oblique Rotation) luden die Items zur sozialen Komponente des Wissens (FEE) und zur Einfachheit des Wissens (TSEBQ) nicht auf je einem gemeinsamen Faktor und wurden daher ganz von der weiteren Analyse ausgeschlossen.

Bezogen auf zukünftig zu berücksichtigende Facetten hier exemplarisch die Befunde zur Dimension „Gewissheit”: Der FEE enthielt Gewissheits-Items, die auf zwei Facetten „Objektivität“ und „Stabilität“ luden, wohingegen der TSEBQ die Facetten „Vorläufigkeit des Wissens“ und „Mehrdeutigkeit des Wissens“ unterschied. Das ETA enthielt absolutistische, multiplizistische und evaluativistische Varianten von Gewissheit.

Diskussion

Angenommene Faktorstrukturen konnten für die vorliegenden Kombinationen aus Probandenvorwissen und Thema nicht repliziert werden. Zukünftige Fragebogenentwicklung sollte mindestens für die Varianten der Gewissheit von Wissen eigenständige Kurzskalen bereitstellen, die dann je nach Thema und Vorwissen zur Erfassung epistemischer Überzeugungen herangezogen werden können. Analog sind auch für die anderen Dimensionen Differenzierungen vorzunehmen.

 

R- und P-epistemische Überzeugungen – Über die inter- und intraindividuelle Struktur epistemischer Überzeugun

Eric Klopp, Robin Stark
Universität des Saarlandes

Theoretischer Hintergrund

Im dimensionalen Ansatz werden epistemische Überzeugungen (eÜ) als Dimensionen interindividueller Unterschiede konzeptualisiert und ihre dimensionale Struktur aus Querschnittsdaten abgeleitet. Dieser Datentyp stellt R-Daten im Sinne Cattels (1952) dar. Im Folgenden werden die aus R-Daten abgeleiteten eÜ daher als R-eÜ bezeichnet. Ein Beispiel sind die beiden domänenspezifischen Dimensionen Textur und Variabilität des Wissens, die aus dem CAEB-Fragebogen abgeleitet wurden (Stahl & Bromme, 2007). Die übliche Annahme ist, dass die dimensionale Struktur interindividueller Unterschiede der dimensionalen Struktur intraindividueller Unterschiede entspricht. Letztere wird aus Längsschnittdaten abgeleitet, die nach Cattel (1952) als P-Daten bezeichnet werden. Daher wird im Folgenden die Struktur intraindividueller eÜ als P-eÜ bezeichnet. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Annahme zutreffend ist (Molenaar & Campbell, 2009). Z.B. kann dies für die Big Five verneint werden (Borkenau & Ostendorf, 1998). Da es sich bei den P-Daten um wiederholte Messungen handelt, können außerdem vorhergehende P-eÜ die aktuellen P-eÜ beeinflussen. Zudem sind eÜ domänenabhängig (Muis et al., 2006), d. h. die derzeit in der Wahrnehmung einer Person saliente Domäne kann die aktuellen eÜ einer Person beeinflussen, was wegen der Variabilität der salienten Domäne wiederum auf die Variabilität der eÜ innerhalb einer Person hindeutet.

Fragestellung

In der vorliegenden, explorativen Pilotstudie soll mittels Längsschnittdaten die dimensionale Struktur von P-eÜ mittels des CAEB untersucht werden. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob frühere P-eÜ bzw. die saliente Domäne die aktuellen P-eÜ beeinflussen.

Methoden

Die Stichprobe besteht aus zwei Studierenden, die an N=80 aufeinanderfolgenden Tagen nach der täglichen Lernaktivität den CAEB in Bezug auf die saliente Domäne (Stahl & Bromme, 2007) bearbeiteten. Zusätzlich wurde die saliente Domäne erfasst und mit einer Dummy-Kodierung versehen. Eine P-Technik EFA (Molenaar & Nesselroade, 2009) mit Geomin-Rotation wurde zur Bestimmung der P-eÜ benutzt. Die Anzahl der P-Faktoren wurde anhand von Informationskriterien bestimmt. Anschließend wurden die Faktorenscores in einem vektorautoregressiven (VAR) Modell verwendet, um die zeitliche Abhängigkeit der aktuellen P-eÜ von früheren sowie die Abhängigkeit von der salienten Domäne zu untersuchen.

Ergebnisse

Der erste Teilnehmer lernte in den Domänen Interkulturelle Kommunikation, Wirtschaft und Deutschdidaktik. Es ergaben sich drei P-Faktoren: Genaues/absolutes Wissen (EAK), Dynamisches Wissen (DK) und Offenes/relatives Wissen (ORK). Das VAR-Modell ergab, dass für EAK und ORK die P-eÜ des Vortages signifikante Prädiktoren für die aktuellen P-eÜ waren (βEAK=.25, βOK=.25). Zusätzlich war für EAK der Deutschdidaktik-Dummy signifikant (βDeutschd=-.67).

Der zweite Teilnehmer lernte in den Domänen Französische Sprachwissenschaft, Theologie und Bildungswissenschaften. Es ergaben sich vier P-Faktoren: Objektives Wissen (OK), Genaues/präzises Wissen (EPK), Dynamisches/offenes Wissen (DOK) und Sortiertes/strukturiertes Wissen (SSK). Das VAR-Modell zeigte, dass für alle Faktoren die Vortage signifikante Prädiktoren waren (βOK=.67, βEPK=.37, βDOK=.49, βSSK=.78). Für DOK war zusätzlich der Faktor OK des Vortages ein signifikanter Prädiktor (βDOK,OK=.28). Für ENK waren die Dummyvariablen für Theologie und Bildungswissenschaften signifikante Prädiktoren (βTheol=-.69, βBiwi=-.79).

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass R-eÜ und P-eÜ strukturell nicht übereinstimmen. Die Struktur der R-eÜ kann also nicht auf einzelne Personen übertragen werden. Darüber hinaus zeichneten sich Abhängigkeiten der aktuellen P-eÜ von vorhergehenden P-eÜ sowie von der aktuell salienten Domäne ab. Insgesamt deutet dies auf eine Aktualgenese der P-eÜ in Abhängigkeit von der salienten Domäne sowie den zeitlich vorhergehenden P-eÜ hin. Dies kann zu potenziellen Problemen bei der Messung von R-eÜ führen, da die querschnittlichen R-Daten bedingt durch die jeweilige Aktualgenense keine gemeinsame Grundlage aufweisen (Borsboom et al., 2009). Ein häufiger Befund sind nicht replizierbare R-Faktorenstrukturen (DeBacker et al., 2008), eine mögliche Erklärung dafür kann in der Zeit- und Domänenabhängigkeit der P-eÜ in Kombination mit der Inkongruenz von R-und P-eÜ liegen.

Allerdings weist die Pilotstudie auch Limitationen auf. So sind mehr Probanden mit längeren Bobachtungsreihen und eine weiterführende statistische Modellierung, z.B. mit dynamischen Faktormodellen, und mit anderen, domänenspezifischen und domänenübergreifenden, Messinstrumenten nötig.