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Sitzungsübersicht
Sitzung
1-06: Inklusion von Kindern im Autismus-Spektrum in den Unterricht
Zeit:
Montag, 18.03.2024:
10:30 - 12:10

Ort: H08

Hörsaal, 91 TN

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Präsentationen
Symposium

Inklusion von Kindern im Autismus-Spektrum in den Unterricht

Chair(s): Charlotte Dignath (TU Dortmund, Deutschland), Gerrit Hasche (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation)

Diskutant*in(nen): Nadine Spörer (Universität Potsdam)

Die Forschung und der Diskurs um Autismus haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Unter anderem der Verständniswandel von Autismus als einem recht eng gefassten Störungsbild hin zu einem weit gefassten Spektrum an neurologischer Variation führte zu einer stark ansteigenden Anzahl an Kindern, die in dieses Spektrum fallen (Gómez-Marí et al., 2022). Für Deutschland liegen zwar keine aktuellen Zahlen vor, es ist jedoch davon auszugehen, dass die Prävalenz von 1% (Theunissen & Sagrauske 2019) mittlerweile überholt und somit weit über 800.000 Personen in Deutschland im Autismus-Spektrum zu verorten sein dürften. Mehrere Untersuchungen legen dementsprechend nahe, dass auch die Zahl an Kindern im Autismus-Spektrum steigt, die von ihrem Recht Gebrauch machen, eine Regelschule zu besuchen. Ihre persönliche und schulische Entwicklung gestaltet sich dabei jedoch nicht so gut, wie man vermuten würde (Wittwer, 2022).

Der in der ICD-10 und der aktuellen DSM-5 noch immer verwendete „Störungs“-Begriff lässt oftmals den Fehler dafür bei dem autistischen Kind vermuten. Doch sind es weniger die akademischen Anforderungen, die zu den schlechteren Leistungen führen, als vielmehr Herausforderungen bei der Bewältigung, bspw. durch Probleme bei der Arbeitsorganisation oder der sozialen Interaktion und Kommunikation mit Mitschüler*innen und der Lehrkraft (Knorr, 2014). So können Wahrnehmungsbesonderheiten dazu führen, dass autistische Kinder abgelenkt werden und der Lehrkraft nicht in der gleichen Weise folgen können wie Kinder ohne diese Barrieren. Das führt dazu, dass autistische Kinder etwa nur die Hälfte der Zeit im Unterricht kognitiv aktiviert sind (van der Steen et al., 2020).

Es gibt viele verschiedene Ansätze, die untersuchen, wie eine „autismusfreundliche Schule“ gestaltet werden kann. Es geht dabei vor allem um die Frage, wie die individuellen Barrieren der autistischen Kinder reduziert werden können und sie somit keinen Bildungsnachteil erfahren, sowie um die Professionalisierung von Lehrkräften (vgl. Berdelmann et al., 2021). In diesem Symposium sollen aktuelle Projekte vorgestellt und besprochen werden, die aktiv an diesen Zielen arbeiten. Hierzu bietet das Symposium eine Sammlung von Papern, in denen sowohl die Barrieren für autistische Lernende untersucht werden, als auch die professionelle Kompetenz von Lehrkräften untersucht und gefördert werden sollen.

Im ersten Beitrag werden mögliche Barrieren der Inklusion autistischer Kinder im Unterricht psychometrisch identifiziert. Im zweiten Beitrag werden solche Barrieren im Schulalltag mithilfe der Experience Sampling Methode gemessen. Der dritte Beitrag untersucht die Rolle der Lehrkraft bei der Bewältigung dieser Barrieren, indem erfasst wird, welche professionellen Kompetenzen Lehrkräfte zu diesem Thema mitbringen. Der vierte Beitrag stellt abschließend eine Intervention dar, um die Stereotype von angehenden Lehrkräften ggb. Kindern mit Autismus zu reduzieren.

 

Beiträge des Symposiums

 

Die psychometrische Erfassung von Barrieren in der Inklusion autistischer Schüler:innen

Sabine Schwager1, Michel Knigge1, Stephanie Fuhrmann2, Lukas Gerhards3, Jochen Kleres1, Vera Moser3, Mark Benecke2
1Humbold-Universität zu Berlin, 2White Unicorn e.V., Berlin, 3Goethe-Universität Frankfurt

Theoretischer Hintergrund

Für eine förderliche Gestaltung des schulischen Alltags ist es hilfreich, die Voraussetzungen aller Schüler:innen zu kennen und zu berücksichtigen. Für ein inklusives Arbeiten ist die Kenntnis individueller Barrieren hier entscheidend (vgl. Boban & Hinz, 2009). Sensorische Barrieren, die insbesondere bei autistischen Schüler:innen Lernen und Teilhabe beeinträchtigen oder sogar zu Zusammenbrüchen führen können, sind nicht ohne weiteres erkennbar und werden oft erst durch Eskalationen deutlich (z.B. Theunissen & Sagrauske, 2019).

Fragestellung

Ziel des vorgestellten Projekts ist es, ein leicht nutzbares Tool zu entwickeln, mit dessen Hilfe Lehrkräfte potenzielle sensorische Barrieren identifizieren und ihnen entgegenwirken können.

Methode

In mehreren Schritten (drei Vorstudien, n gesamt = 1500, qualitativ und quantitativ) wurde ein psychometrischer Fragebogen aus 50 Items entwickelt, in dem Schüler:innen angeben, wie sehr sie bestimmte Situationen beeinträchtigen würden. Der Bogen wurde in drei Bundesländern in 1., 5. und 7. Klassen eingesetzt (n = 1092), um seine Validität und psychometrischen Eigenschaften zu untersuchen sowie in den beteiligten Schulen Prozesse der Barrierenreduktion zu initiieren. Parallel dazu wird eine Handreichung erarbeitet, die Lösungsansätze aus der Literatur, der autistischen Community und von pädagogischen Fachkräften bündelt.

Ergebnisse

Die quantitativen Ergebnisse zeigen, dass das mittlere Risiko, Situationen als stark beeinträchtigend zu erleben, für autistische Teilnehmer:innen signifikant größer ist als für nicht-autistische Teilnehmer:innen. Weiterhin zeigen autistische wie nicht-autistische Kinder ein ähnliches Profil in den Bewertungen. Faktorenanalytisch lassen sich die ursprünglich qualitativ identifizierten 25 Barrieren bei sehr guter Reliabilität acht Bereichen zuordnen, in denen es zu Überlastung kommen kann. Die Workshops mit den Lehrkräften der beteiligten Schulen machten einerseits ein generell großes Interesse an der Thematik und andererseits stark variierende Grade an Reflexion und Offenheit für die Reduktion sensorischer und sozialer Lernbarrieren deutlich.

Diskussion und Implikationen für Theorie und Praxis

Potenzielle sensorische und soziale Barrieren lassen sich mit dem vorliegenden Instrument hinreichend reliabel und valide erfassen, um Lehrkräfte beim Kennenlernen ihrer Schüler:innenschaft und der Individualisierung ihres Vorgehens zu unterstützen. Unabhängig von klinischen Diagnosen oder Symptomen (vgl. SchAUT, 2021) ist es mit Hilfe des Barrierenbogens möglich, Schlussfolgerungen für eine inklusive Alltags- und Umfeldgestaltung abzuleiten. Das Instrument in Verbindung mit der Handreichung ist geeignet, zu Fortbildungen und Schulentwicklungsprozessen beizutragen, die ein inklusiveres Lernumfeld anstreben. Insbesondere autistische Schüler:innen, aber auch alle anderen können von der Berücksichtigung und Reduktion sensorischer und sozialer Barrieren im Schulalltag profitieren.

 

Welche Barrieren erleben autistische Kinder in der Schule? Die Entwicklung einer App zur Identifizierung individueller Barrieren

Theresa Serratore, Kathrin Berdelmann, Florian Schmiedek
DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Frankfurt

Theoretischer Hintergrund

Während die Prävalenz von Autismus in den letzten Jahren gestiegen ist (Bachmann et al., 2018), ist das Wissen darüber in Deutschland noch wenig entwickelt. Dies ist insbesondere im Hinblick auf das deutsche Schulsystem der Fall. Lehrkräften fehlt es an Wissen und Ressourcen für eine autismussensible Beschulung (Lindmeier, 2018; Theunissen & Sagrauske, 2019). Autistische Kinder erleben eine Reihe an autismusspezifischen Barrieren in Regelschulen. Dazu gehören Überempfindlichkeiten in verschiedenen sensorischen Bereichen oder Ereignisse, die von der üblichen Routine abweichen (Bailey & Baker, 2020). Eine zentrale Herausforderung für die Inklusion autistischer Kinder ist daher die Identifizierung und der Abbau autismusspezifischer Barrieren in der Schule. Barrieren wurden in der existierenden Forschung hauptsächlich aus der Perspektive von pädagogischen Fachkräften (z.B. Stephenson et al., 2012) und Eltern untersucht (z.B. Falkmer et al., 2015). Nur wenige Studien haben bisher die Perspektive der Kinder selbst einbezogen. Diese zeigen allerdings, dass die von Eltern und pädagogischen Fachkräften berichteten Probleme nicht unbedingt mit denen der Kinder berichteten übereinstimmen (z.B. Saggers et al., 2015). Da Barrieren, wie sensorische Besonderheiten, individuell und kontextabhängig sind (Fernández-Andrés et al., 2015; Theunissen & Sagrauske, 2019), ist davon auszugehen, dass es für Lehrkräfte schwierig ist, diese zuverlässig zu identifizieren.

Ziele der Studie

In diesem Beitrag wird eine Pilotstudie präsentiert, deren Ziel es war, individuelle Barrieren, die im Schulkontext auftreten, mittels der Experience-Sampling-Methodik zu erfassen. Es sollten erste Erkenntnisse darüber erlangt werden, wie häufig bestimmte Barrieren in der Regelschule bei autistischen und nicht-autistischen Kindern auftreten und wie sich Kinder in der Häufigkeit und der Bandbreite berichteter Barrieren voneinander unterscheiden. Weiterhin stellte sich die Frage, inwiefern Lehrkräfte aufgetretene Barrieren als solche identifizieren können. Außerdem wurde die technische und praktische Umsetzbarkeit überprüft.

Methode

Es nahmen insgesamt 48 autistische und nicht-autistische Kinder (6 autistisch, 15 Mädchen) an der Pilotstudie teil. Die Kinder besuchten die vierte bis sechste Klasse und waren zwischen 9 und 13 Jahren alt (MW=10.52, SD=0.87). Zusätzlich nahmen noch die jeweiligen Lehrkräfte teil (N=4). Die Studie bestand aus einer Einführungsveranstaltung in der Schule, einer zweiwöchigen Phase mit einer täglichen Befragung über Studien-Smartphones für Kinder und Lehrkräfte sowie einem Feedback-Fragebogen. Die Barrieren umfassten die Kategorien auditive, visuelle und taktile Wahrnehmung, Geruch und Geschmack, Unvorhersehbarkeit von Ereignissen sowie Sonstiges (White Unicorn e.V., 2018).

Ergebnisse

Die deskriptive Auswertung der Daten zeigte, dass an 39.1% der Tage Barrieren auftraten. Barrieren, die der Kategorie Sonstiges zugeordnet wurden, traten am häufigsten auf, gefolgt von Barrieren aus dem auditiven Bereich, Barrieren, die Geruch und Geschmack betreffen und Barrieren aus dem taktilen Bereich. Barrieren aus dem visuellen Bereich traten im Gegensatz zu den anderen Barrierebereichen am seltensten auf. Die Kinder unterschieden sich darin, wie viele und welche Barrieren sie angaben und wie stark sie diese als störend empfunden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Erfassen individueller Barrieren im Schulalltag mit Hilfe von smartphone-basierten Befragungen, einen vielversprechenden Ansatz darstellt. Darauf aufbauend sollen empirische Erkenntnisse über Zusammenhänge mit subjektivem Wohlbefinden und Unterschiede in der Stärke dieser Zusammenhänge gewonnen werden. Ziel ist die Entwicklung eines Prototyps einer App, welcher von Lehrkräften und ihren Kindern genutzt werden kann, um die Identifizierung von Barrieren zu unterstützen.

 

Entwicklung eines Self-Assessment-Tools für pädagogisches Personal

Nick Gerrit Hasche1, Charlotte Dignath2, Mareike Kunter1
1DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Frankfurt, 2TU Dortmund

Theoretischer Hintergrund

Für die individuelle Entwicklung und den schulischen Erfolg von autistischen Kindern ist nach Jordan (2019) vor allem ihr sozio-emotionales Wohlbefinden von Bedeutung. Um zum Wohlbefinden beizutragen, ist ein autismussensibles Verhalten der Lehrkraft notwendig. Eckert und Sempert (2013) fassen in Ihrem Rahmenmodell der schulischen Förderung von Kindern im Autismus-Spektrum acht verschiedene Kernbereiche aus der aktuellen Debatte zusammen, die einen zentralen Beitrag leisten sollen, um den Unterricht entsprechend zu gestalten. Die Anforderungen, die darin an die Lehrkraft gestellt werden, lassen sich gut in die Kompetenzbereiche Wissen, Motivation und Überzeugungen zusammenfassen, die nach dem COACTIV-Modell von Kunter et al. (2011) wesentliche Aspekte professioneller pädagogischer Kompetenz von Lehrkräften darstellen.

Fragestellung/ Projektvorhaben

Im Teilprojekt 3 von INCLASS – Inklusion von Kindern im Autismus-Spektrum in der Schule adaptieren wir das COACTIV-Modell für den Bereich der autismussensiblen Beschulung und entwickeln ein Self-Assessment Tool, das Lehrkräften und pädagogischem Personal bei der Einschätzung der eigenen Kompetenzen in diesem Bereich helfen soll. Ziel ist es, dass die Nutzenden des Assessments individuelles Feedback zu ihrer professionellen Kompetenz bzgl. der inklusiven Beschulung von autistischen Kindern erhalten. Dieses Feedback sollen Lehrkräfte nutzen können, um eigenständig zu entscheiden, in welchen Bereichen sie noch Fortbildungsbedarf haben.

Methoden

Bei der breit angelegten Recherche haben wir systematisch nach bereits validierten Tests bzw. Fragebögen gesucht, die einen oder mehrere der Kompetenzbereiche Wissen, Einstellung und Motivation erfassen.

Nach einem ersten Selektionsprozess blieben von den anfänglich über 10.000 Ergebnissen 91 übrig, die genauer untersucht wurden. Für unser Assessment haben wir schließlich 6 Instrumente ausgesucht, die bereits in der Wissenschaft verwendet und validiert wurden, haben sie übersetzt und für den deutschen Kontext angepasst. In einigen Fällen wurden zusätzliche Items von uns konstruiert. Für den Bereich des Wissens über autismussensible Unterrichtsstrategien konnte kein bestehendes Instrument gefunden werden, so dass wir an dieser Stelle einen eigenen Test konstruiert haben.

Das komplette Instrument mit über 180 Items wurde zunächst einer inhaltlichen Validierung (N = 15 Lehrkräfte mit viel Erfahrung im Unterrichten von autistischen Kindern) unterzogen und nach einer ersten Überarbeitung mit N = 129 Lehramtsstudierenden pilotiert. Ein Teil dieser Lehramtsstudierenden (N = 78) hat nach dem ersten Ausfüllen des Self-Assessments ein digitales Modul zum Thema Autismus bearbeitet. Nach einer Woche wurde das Self-Assessment mit beiden Gruppen wiederholt (Kontrollgruppe: N = 51).

Mit den Daten aus dieser Piloterhebung wird geprüft, ob das Assessmentinstrument die theoretisch angenommenen Kompetenzaspekte valide und reliabel erfassen kann. Zudem wird untersucht, ob das Assessmentinstrument veränderungssensitiv ist, indem es Veränderungen des Wissens, der Einstellung oder der Motivation der Lehramtsstudierenden nach der Bearbeitung des digitalen Moduls zum Thema Autismus abbilden kann.

Ergebnisse

Erste Analysen zeigen, dass das Assessmentinstrument eine zufriedenstellende Reliabilität und Validität aufweist. So spricht eine erste Testung mit der Methode der bekannten Gruppen für die Kriteriumsvalidität des Instruments. Danach verfügen Lehramtsstudierende aus dem Bereich des Förderschullehramts und Lehramtsstudierende, die sich privat mit dem Thema Autismus befasst haben, über mehr Wissen und eine höhere Motivation als die anderen Lehramtsstudierenden. Eine Untersuchung der Veränderungssensitivitäten weist zudem darauf hin, dass ein Wissenszuwachs bei den Studierenden, die das digitale Modul bearbeitet haben, gemessen werden kann.

Diese und weitere psychometrische Kennwerte bzgl. Validität und Reliabilität des Instruments aus der ersten Pilotierung liegen bis zum Zeitpunkt der Konferenz vor und sollen bei diesem Vortrag vorgestellt und diskutiert werden.

 

„Viele autistische Menschen haben eine Inselbegabung!“ – Können solche Fehlvorstellungen bei Lehramtsstudent:innen durch Refutationstexte reduziert werden?

Jörg Wittwer, Elisabeth Reichle, Thamar Voss, Lena Wimmer
Universität Freiburg

Theoretischer Hintergrund

Dass viele autistische Menschen eine Inselbegabung haben, ist ein Beispiel für eine häufig vorkommende Fehlvorstellung über Autismus. Solche Fehlvorstellungen können zur Stigmatisierung autistischer Personen beitragen. Besonders im Schulkontext können sie Lehrer:innen daran hindern, autistische Schüler:innen im Unterricht erfolgreich zu inkludieren. Deshalb ist es wichtig, Fehlvorstellungen über Autismus zu reduzieren. Bislang gibt es jedoch kaum Studien zu Interventionen, die speziell Fehlvorstellungen über Autismus adressieren. Eine zum Abbau von Fehlvorstellungen grundsätzlich geeignete Interventionsart ist die Verwendung von Refutationstexten. Refutationstexte benennen explizit eine Fehlvorstellung zu einem Sachverhalt und kontrastieren sie mit wissenschaftlich richtigen Informationen über diesen Sachverhalt. Die Wirksamkeit von Refutationstexten wird theoretisch damit erklärt, dass durch die Kontrastierung der Fehlvorstellung mit wissenschaftlich richtigen Informationen ein kognitiver Konflikt ausgelöst wird, der zum Abbau der Fehlvorstellung führt. Dabei wird angenommen, dass Fehlvorstellungen nicht einfach durch wissenschaftlich richtige Informationen ersetzt werden, sondern Fehlvorstellungen im Gedächtnis als Inhalte erhalten bleiben, deren Aktivierung aber unwahrscheinlicher wird. Inwieweit Refutationstexte dazu beitragen können, speziell Fehlvorstellungen über Autismus zu reduzieren, wurde in der Forschung bislang nicht geprüft.

Fragestellung

Wir untersuchten, ob Refutationstexte Lehramtsstudent:innen darin unterstützten, (1) ihre Fehlvorstellungen über Autismus abzubauen, (2) die Sicherheit, mit der sie richtige Vorstellungen über Autismus hatten, zu erhöhen und (3) Autismus positiver wahrzunehmen.

Methode

An unserer Studie nahmen N = 31 Lehramtsstudent:innen teil. Die Ausprägung ihrer möglichen Fehlvorstellungen über Autismus wurde in den Bereichen (1) Kognitive Fähigkeiten, (2) Lernstil und (3) Soziale Kompetenzen mit jeweils fünf Aussagen auf einer fünfstufigen Skala von 1 (stimme vollkommen zu) bis 5 (stimme gar nicht zu) vor und nach dem Lesen eines Refutationstexts erhoben. Wurde den Aussagen mit einem Wert von höchstens 3 zugestimmt, wurde dies als Vorhandensein einer Fehlvorstellung betrachtet. Es wurde auf einer fünfstufigen Skala von 1 (nicht sicher) bis 5 (sicher) auch erfasst, wie sicher sich die Lehramtsstudent:innen in ihren Antworten waren. Der Refutationstext stellte zu jedem der drei Bereiche Fehlvorstellungen (= Irrglauben) zusammen mit einer Begründung für ihr Vorhandensein (= Trugschluss) dar und kontrastierte sie mit wissenschaftlich richtigen Informationen (= Fakt). Nach dem Lesen des Refutationstexts wurde zudem die im Nachhinein eingeschätzte Änderung in der Wahrnehmung von Autismus auf einer fünfstufigen Skala von 1 (negativer) bis 5 (positiver) erfasst.

Ergebnisse

Häufigkeitsanalysen zeigten, dass die Lehramtsstudent:innen vor dem Lesen des Refutationstexts bei der Mehrheit der Aussagen in allen drei Bereichen eine Fehlvorstellung aufwiesen. Die t-Tests für abhängige Stichproben deckten auf, dass die Fehlvorstellungen in allen drei Bereichen nach dem Lesen des Refutationstexts signifikant geringer als vor dem Lesen des Refutationstexts ausgeprägt waren. Die gefundenen Effekte waren je nach Bereich mittel bis stark. Auch stieg die Sicherheit, mit der die Lehramtsstudent:innen den Aussagen zustimmten, nach dem Lesen des Refutationstexts signifikant an. Wie ein t-Test für Einstichproben bestätigte, schätzten Lehramtsstudent:innen ihre Wahrnehmung von Autismus durch das Lesen des Refutationstexts im rückblickenden Vergleich signifikant positiver ein.

Diskussion

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Refutationstexte erfolgreich dazu beitragen, Fehlvorstellungen über Autismus bei Lehramtsstudent:innen zu reduzieren. Gleichzeitig kann durch Refutationstexte das eigene Vertrauen in die Richtigkeit der Vorstellungen über Autismus erhöht werden. Auch wird die Wahrnehmung von Autismus im rückblickenden Vergleich positiver eingeschätzt. Trotz der nachgewiesenen Wirksamkeit von Refutationstexten zur Reduktion von Fehlvorstellungen über Autismus lehnten Lehramtsstudent:innen manche Aussagen, die Fehlvorstellungen darstellten, auch nach dem Lesen des Refutationstexts nicht vollständig ab. Deshalb erscheint es notwendig, Refutationstexte hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zu optimieren und auch andere Arten von Interventionen zum Abbau von Fehlvorstellungen zu verwenden. Die Ergebnisse der Studie sollen mit einer größeren Stichprobe, mit optimierten Refutationstexten und mit Fehlvorstellungen zu weiteren Themenbereichen repliziert werden.



 
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