Conference Agenda

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Session Overview
Session
1-03: Analysen zur International Civic and Citizenship Education Study (ICCS 2022): Effekte politischen Wissens bei 14-Jährigen
Time:
Monday, 18/Mar/2024:
10:30am - 12:10pm

Location: H03

Hörsaal, 400 TN

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Presentations
Symposium

Analysen zur International Civic and Citizenship Education Study (ICCS 2022): Effekte politischen Wissens bei 14-Jährigen

Chair(s): Katrin Hahn-Laudenberg (Universität Leipzig), Hermann Josef Abs (Universität Duisburg-Essen, Deutschland)

Discussant(s): Nina Jude (Universität Heidelberg)

Die International Civic and Citizenship Education Study (ICCS) wurde nach 2009 und 2016, 2022 zum dritten Mal als vergleichende Schulleistungsstudie unter Leitung der IEA (vgl. iea.nl) durchgeführt (Schulz et al., 2023; Schulz et al., in Vorbereitung). Während es in 2009 noch keine deutsche Teilnahme gab, nahmen in 2016 zwar Schulen aus Nordrhein-Westfalen (NRW) teil, jedoch erfüllte die Stichproben noch nicht vollständig die Repräsentativitätskriterien (Abs & Hahn-Laudenberg 2017). Mit ICCS 2022 können nun erstmals aus zwei deutschen Bundesländern repräsentative Ergebnisse zu Jahrgangsstufe 8 im Vergleich zu 18 weiteren europäischen Bildungssystemen präsentiert werden. ICCS ist die einzige international vergleichende Studie zur politischen Sozialisation, bei der schulische Kontexte für politische Bildungsprozesse intensiv berücksichtigt und ein Wissenstest implementiert wird. Weil das politische Wissen in der deutschsprachigen Bildungsforschung bislang eher weniger beachtet wurde (vgl. Hahn-Laudenberg, 2017; Alscher, 2022), sind Forschungen in diesem Bereich für die domänenspezifische Forschung in Deutschland von hoher Bedeutung. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal von ICCS besteht darin, dass schulische und gesellschaftliche Kontexte, sowie das in ihnen erworbene Wissen mit weiteren Dimensionen der politischen Bildung und Sozialisation in Verbindung gebracht werden. Es sind dies insbesondere soziale und politische Identifikationen, politischen Einstellungen und Formen der Partizipation in Schule, Zivilgesellschaft und Politik.

Nach der internationalen Freigabe der Ergebnisse zur ICCS ab 28. November 2023, widmet sich das Symposium ersten vertiefenden Analysen, mit denen unterschiedliche Fragestellungen zum politischen Wissen in den Fokus genommen werden. Der erste Beitrag (Hahn-Laudenberg, Goldhammer, Ateş) untersucht die Konstruktion und Validität des Wissenstests, der in ICCS 2022 eingesetzt wurde und stellt zentrale Ergebnisse im internationalen Vergleich vor. Zudem wurde erstmals in der Mehrzahl der Länder computerbasiert getestet. In Teilen des Tests kamen dabei „computer enhanced items“ zum Einsatz, bei denen sich Aspekte einer Aufgabe in Abhängigkeit von vorhergehenden Lösungsschritten entwickeln. Im aktuellen Zyklus lag inhaltlich ein stärkerer Schwerpunkt auf nachhaltlichkeitsbezogenen Fragen.

Der zweite Beitrag (Oberle & Matafora) betrachtet Effekte von politischem Wissen für unterschiedliche EU-bezogene Einstellungen. Mit Daten aus ICCS 2016 wurde schon gezeigt, dass Wissen mit normativen Einstellungen zur EU sowie mit der Bewertung der Ergebnisse ihrer politischen Entscheidungen in Zusammenhang steht (Hahn-Laudenberg & Abs 2020). Auch wurde schon die Bedeutung von Migration für die Identifikation mit Europa herausgearbeitet (Matafora et al. 2023). Die neue Analyse mit Daten von ICCS 2022 führt diese Arbeiten zusammen und zeigt, wie der Effekt von Wissen durch die Identifikation mit Europa mediiert wird.

Der dritte Beitrag (Ziemes) betrachtet Effekte von politischem Wissen auf soziales und institutionelles (politisches) Vertrauen. Auch hier kann auf ausführliche Vorarbeiten mit Daten aus ICCS 2016 zurückgegriffen werden, durch die der Zusammenhang von Wissen und institutionellem Vertrauen in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Bedingungen analysiert wurde (Ziemes, 2020). Mit den Daten aus ICCS 2022 ist es nun möglich parallel Analysen für soziales Vertrauen durchzuführen und dadurch die Spezifik der schulischen Sozialisation von Vertrauen besser herauszuarbeiten.

Der vierte Beitrag (Abs & Deimel), widmet sich der Ausbildung von Einstellungen zur politischen Privilegierung der eigenen Religion. Die Autoren haben in einer aktuellen Analyse mit ICCS 2016-Daten bereits die Bedeutung des Wissens herausgearbeitet (Gutzwiller-Helfenfinger et al. 2022). Dabei blieb die Forschungsfrage ungeklärt, inwiefern religionsbezogene Diskriminierung einen Beitrag zu der Überzeugung leistet, dass die eigene Religion in politischen Kontexten privilegiert werden sollte. Aufgrund einer verbesserten Operationalisierung von Diskriminierungserfahrung in ICCS 2022 ist dies Analyse nun möglich.

 

Presentations of the Symposium

 

Politisches Wissen von 14-Jährigen. Operationalisierung und Ergebnisse der Ergebnisse der International Civic and Citizenship Education Study (ICCS 2022)

Katrin Hahn-Laudenberg1, Frank Goldhammer2, Rukiye Ateş3
1Universität Leipzig, 2DIPF, 3Universität Duisburg-Essen

Theoretischer Hintergrund:

Ein grundlegendes politisches Verständnis ist in einer Demokratie die Voraussetzung dafür, die Rolle als Bürger*in selbstbestimmt ausfüllen zu können (Delli Carpini & Keeter, 1996). Die ständige digitale Verfügbarkeit von Informationen zu politischen Fragen, Institutionen und Prozessen relativiert diese Bedeutung nicht, denn konzeptuelles politisches Wissens bildet gerade die Grundlage, die benötigt wird, um die Relevanz und Vertrauenswürdigkeit von Informationen zu beurteilen (Wolak, 2022). Bürger*innen mit umfassenderem politischem Wissen sind nicht nur in der Lage, ihre politischen Interessen effektiver einzubringen, sie zeigen auch häufiger Bereitschaft etwa zur wahlbezogenen Partizipation oder zum politischem Boykott bestimmter Konsumprodukte (Westle & Anstötz, 2020). Ähnliche Effekte zeigen sich bereits bei Jugendlichen (Deimel, 2023). Systematische Unterschiede im politischen Wissen können so Strukturen von Ungleichheit in Demokratien verfestigen. Da Schule die Institution ist, die in vielen Bildungssystemen alle heranwachsenden Bürger*innen erreicht, ist die Entwicklung konzeptuellen politischen Wissens als zentrales Element der Integrationsfunktion von Schule zu betrachten (Hahn-Laudenberg, 2017). Konzeptionen der Erfassung politischen Wissens werden im deutschsprachigen Raum aktuell nicht nur beschränkt auf die Politikdidaktik (Weißeno, 2022), sondern verstärkt in der empirischen Bildungsforschung (Alscher et al., 2022) und der Politikwissenschaft (Tausendpfund & Westle, i.E.) diskutiert. Die International Civic and Citizenship Education Study (ICCS) ermöglicht als einzige Large-Scale-Assessment-Studie die Analyse politischen Wissens im internationalen Vergleich.

Fragestellung:

Wie gestaltet sich die Konzeption der Erfassung politischen Wissens in ICCS 2022 unter Berücksichtigung von Fragen der Validität, Dimensionalität und Trendbestimmung? Welches Ausmaß an konzeptuellem politischem Wissen zeigen Schüler*innen in NRW und SH im internationalen Vergleich und welche sozialen Disparitäten sind hinsichtlich dieses politischen Wissens erkennbar?

Methode:

Politisches Wissen wird in ICCS 2022 über Items erhoben, die auf das konzeptuelle politische Wissen und auf das Argumentieren und Anwenden dieses Wissens zielen. Inhaltlich umfasst der Wissenstest Fragen zu gesellschaftlichen Institutionen und Systemen, Werten, Identität sowie zu Partizipation in einer Demokratie. Gegenüber vorhergehenden Zyklen wurde der Anteil an Items mit Bezug zu Global Citizenship und Nachhaltigkeit gestärkt. Insgesamt werden 141 Items auf 14 Cluster verteilt und anhand eines rotierten Booklet-Designs mit drei Clustern pro Booklet eingesetzt. Erstmals im Kontext von ICCS enthalten drei Cluster Module mit komplexeren Aufgabenszenarien, in denen Antwortformate jenseits klassischen Multiple-Choice-Formate oder offenen Antwortformate eingesetzt wurden sowie Aufgaben, bei denen Aspekte einer Aufgabe in Abhängigkeit des vorhergehenden Antwortverhaltens gestaltet wurden (computer enhanced items).

Ergebnisse:

Anhand von Beispielitems gibt der Beitrag Einblick in die inhaltliche Konzeption des Wissenstests. Die Analyse des Feldtests liefert erste empirische Argumente für eine mit vorhergehenden Zyklen der Studie vergleichbare Skalierung politischen Wissens über ein eindimensionales IRT-Modell. In ICCS 2016 war NRW eins der Bildungssysteme, in denen Schüler*innen im europäischen Vergleich im Mittel geringeres politisches Wissen zeigten, welches gleichzeitig besonders stark durch den familiären sozioökonomischen Status vorhergesagt werden konnte (Hahn-Laudenberg & Abs, 2017). Der Beitrag diskutiert, inwieweit ein entsprechendes Bild auf Basis von ICCS 2022 für NRW und SH gezeichnet werden kann. Angesichts der Vertraulichkeit der Daten vor dem Veröffentlichungstermin der hierauf bezogenen Studienergebnisse von ICCS 2022 am 28. November kann eine genauere Darstellung der Ergebnisse im Rahmen des Abstracts noch nicht erfolgen.

 

Effekte von politischem Wissen und schulischen Milieus auf Einstellungen zur Europäischen Union und zu den Ergebnissen ihrer politischen Entscheidungen

Monika Oberle1, Beatriz Matafora2
1Universität Göttingen, 2Universität Duisburg-Essen

Theoretischer Hintergrund:

Politik in Deutschland ist heute ohne Berücksichtigung der europäischen Dimension weder angemessen zu begreifen noch zu gestalten. Dem muss eine zeitgemäße politische Bildung Rechnung tragen (Oberle, 2012). In der politischen Europabildung kommt der Europäischen Union (EU) ein zentraler Stellenwert zu – als transnationaler Zusammenschluss mit supranationalen und intergouvernementalen Elementen prägen ihre Entscheidungen zunehmend das Leben ihrer Bürger*innen und sind zugleich auch über europäische Beteiligungsverfahren wie die Europawahlen zu beeinflussen (Knelangen & Oberle, 2021). Die Komplexität der EU erschließt sich jedoch nicht nebenbei. Entsprechend sehen die Curricula der Sekundarstufen allgemeinbildender Schulen in allen Bundesländern die Behandlung der EU im politischen Fachunterricht verbindlich vor. Neben Kenntnissen zur Eingebundenheit Deutschlands in die EU und Wissen um die Bedeutung von deren Entscheidungen für das eigene Leben sollen bei den Lernenden laut Empfehlung der Kultusministerkonferenz (2020) auch ein Bewusstsein europäischer Zusammengehörigkeit bzw. die Auseinandersetzung mit einer europäischen Identität gefördert werden. In Anlehnung an das Modell der Politikkompetenz (Detjen et al., 2012) bestehen Ziele des Politikunterrichts entsprechend u.a. in der Förderung konzeptuellen Wissens zu europäischer Politik in ihren Dimensionen polity, politics und policy sowie in der Förderung EU-bezogener Motivationen (z.B. Interesse, Selbstwirksamkeitsüberzeugung) und Einstellungen (z.B. Institutionenvertrauen). In Anlehnung an David Eastons (1965) Unterscheidung von diffuser und spezifischer politischer Unterstützung lassen sich generelle und performanzbezogene politische Einstellungen unterscheiden und damit ein „harter“ von einem „weichen“ Euroskeptizismus (Knelangen, 2015). Im Gegensatz zu einer „fundamentalen“ EU-Skepsis entspricht eine „konstruktive“ EU-Skepsis durchaus den Zielen der politischen EU-Bildung. Studien zeigen Zusammenhänge von politischem Wissen und Einstellungen zur EU, allerdings mit unterschiedlichen Ausprägungen für generelle und performanzbezogene Einstellungen (Oberle & Forstmann, 2015).

Fragestellung:

Der Beitrag untersucht, wie sich die Ausprägung der EU-bezogenen Orientierungen der Schüler*innen in Nordrhein-Westphalen und Schleswig-Holstein im internationalen Vergleich darstellt. Außerdem wird der Frage nachgegangen, wie das Wissen der Schüler*innen zur Europäischen Union ihre Einstellungen zu deren System und politischen Ergebnissen beeinflusst. Schließlich wird untersucht, inwiefern sich dieser Zusammenhang je nach politische Wissen, soziodemografischem Hintergrund der Schüler*innen und ihrer Schulformzugehörigkeit unterscheidet.

Methode:

Politisches Wissen wird in ICCS 2022 über Items erhoben, die auf das konzeptuelle politische Wissen und auf das Argumentieren und Anwenden dieses Wissens zielen (vgl. Beitrag Hahn-Laudenberg et.al). Einstellungen zur EU wurden mit Hilfe von Likert-skalierten Items erfasst, wobei sich zwei unterschiedliche Dimensionen mit reliablen Skalen modellieren lassen: positive und negative Einstellungen zur EU. Multiple Regressionen und latente Strukturgleichungsmodelle werden in Mplus berechnet.

Ergebnisse:

Der Beitrag gibt erstens anhand von Beispielitems Einblick in die Operationalisierung der untersuchten Orientierungen von Schüler*innen zur Europäischen Union und stellt die Messmodelle vor. Zweitens werden deskriptive Statistiken zu den im Sample der beiden deutschen Bundesländer vorliegenden EU-bezogenen Kenntnissen und Einstellungen vorgestellt, die im europäischen Vergleich laut Feldtest unterdurchschnittlich ausfallen. Auf Grundlage multipler Regressionen und Strukturgleichungen werden Zusammenhänge zwischen den EU-bezogenen Orientierungen der Schüler*innen und ihrem politischen Wissen sowie der Einfluss soziodemografischer Hintergrundvariablen auf deren Ausprägung eruiert. Der Beitrag diskutiert vorliegende differentielle Effekt von politischem Wissen und Migrationshintergrund auf die EU-bezogenen Einstellungen der Schüler*innen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Angesichts der Vertraulichkeit der Daten vor dem Veröffentlichungstermin der hierauf bezogenen Studienergebnisse von ICCS 2022 am 28. November kann eine genauere Darstellung der Ergebnisse noch nicht erfolgen.

 

Wissen als Prädiktor von sozialem und institutionellem Vertrauen – Analysen aus ICCS 2022

Johanna Ziemes
Universität Duisburg-Essen

Theoretischer Hintergrund:

Vertrauen beschreibt die Überzeugung, dass Andere zumindest nicht gegen die eigenen Interessen arbeiten, auch dann, wenn sie nicht beständig kontrolliert werden (Flanagan, 2013). Institutionelles Vertrauen stabilisiert das Regierungssystem (Norris, 2017), wohingegen soziales Vertrauen auch genutzt werden kann, um institutionelle Änderungen einzufordern (Newton, 2006). Wo die Entwicklung eines grundlegenden Vertrauens als Entwicklungsaufgabe der Kindheit gilt (Erikson, 1959/1994), ist die Jugend eine wichtige Phase für die Entwicklung von politischen Einstellungen, wie dem Vertrauen in politische Institutionen (Claes & Hooghe, 2017; Ziemes, 2022). Vertrauen in abstrakte Konstrukte scheint sich erst in der Adoleszenz zu entwickeln. Für die Entwicklung von Vertrauen in Menschen allgemein wird der Beziehung zu den Eltern und zu Gleichaltrigen eine große Rolle zugeschrieben (Flanagan, 2013; Flanagan & Stout, 2010). Es gibt Befunde, welche die Bedeutsamkeit von Sozialbeziehungen auch für das Vertrauen in politische Institutionen unterstreichen (Claes & Hooghe, 2017; Ziemes et al., 2020). Gleichzeitig findet sich zunehmend Evidenz dafür, dass der Zusammenhang von politischem Wissen und Institutionenvertrauen durch die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Institutionen moderiert wird: In Ländern mit wenig Korruption vertrauen politisch kompetentere Schüler*innen den Institutionen mehr und in korrupteren Ländern weniger als ihre Mitschüler*innen mit geringerem politischem Wissen (Deimel et al., 2022; Hahn-Laudenberg & Abs, 2020). Der Forschungsstand lässt folgende Fragen bislang offen: Sind politisches Wissen und Sozialbeziehungen für das Vertrauen in Intuitionen und Menschen allgemein jeweils ähnlich relevant? Finden sich internationale Variationen in der Relevanz der Prädiktoren von Vertrauen in Menschen allgemein?

Fragestellung:

Dieser Beitrag vergleicht die differentielle Bedeutsamkeit von schulischen Sozialbeziehungen und politischem Wissen für soziales Vertrauen und Vertrauen in politische Institutionen im internationalen Vergleich. Es wird angenommen, dass Sozialbeziehungen einen engeren Zusammenhang zu Vertrauen in Menschen zeigen und Wissen international variabel mit Vertrauen in politischen Institutionen interagiert. Umgekehrt sollte das politische Wissen für soziales Vertrauen und Sozialbeziehungen für Vertrauen in politische Instituierenden jeweils eine geringere Bedeutung haben.

Methoden:

Für den Vortrag werden die Daten der Hauptstudie von ICCS 2022 genutzt. In diesem Abstract werden Feldtestanalysen vorgestellt, weil die Daten der Hauptstudie noch einer Sperrfirst unterliegen. Die Daten der Hauptstudie umfassen circa 74.000 Schüler*innen aus 24 Bildungssystemen. Die Schüler*innen waren zum Erhebungszeitpunkt idR im achten Jahr der Beschulung. Vertrauen in politische Institutionen wurde erfasst mit einer Skala zum Vertrauen von Schüler*innen in sechs Institutionen (z.B. die Regierung, die Polizei). Für das Vertrauen in Menschen allgemein stand lediglich ein Item zur Verfügung. Politisches Wissen wurde erfasst über einen 45-minütigen Test im rotierendem Booklet-Design. Eine Skala mit drei Items wurde genutzt, um die schulischen Sozialbeziehungen der Schüler*innen zu messen (z.B. „Die meisten Schüler*innen behandeln einander mit Respekt“) (Schulz et al., 2023; Schulz et al., in Vorbereitung).

Ergebnisse:

Die vorläufigen Ergebnisse beziehen sich auf die Bildungssysteme Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein; im Vortrag werden Ergebnisse aus 24 Bildungssystemen vorgestellt. In beiden Bundesländern korrelieren die Aspekte des Vertrauens moderat miteinander (rNRW=36; rSH=.31). Für Schüler*innen handelt es sich also um distinkte Konzepte. Separate Regressionsanalysen zeigen, dass die Sozialbeziehungen der Schüler*innen signifikant mit dem institutionellen Vertrauen (βNRW=26; βSH=.28) und dem Vertrauen in Menschen allgemein verbunden sind (βNRW=24; βSH=.26). Es zeigt sich jedoch nur ein geringfügiger Zusammenhang zwischen politischem Wissen und den beiden Aspekten des Vertrauens (jeweils β<.10).

Diskussion:

Die Ergebnisse lassen sich vollständig erst mit den Analysen der Daten der Hauptstudie interpretieren. Diese ersten Analysen weisen bereits darauf hin, dass Sozialbeziehungen für den Aufbau von Vertrauen in Institutionen und in Menschen allgemein ähnlich bedeutsam sind. Diese vorläufigen Analysen zeigen so die Bedeutsamkeit von Sozialbeziehungen für die politische Sozialisation und die politische Bildung auf. Gleichzeitig unterstützen die Ergebnisse nicht die Annahme, dass unterschiedliche Sozialisationsbedingungen für die Entwicklung der differenten Vertrauensaspekte relevant sind.

 

Die Bedeutung Diskriminierungserfahrung und politischem Wissen für Überzeugungen zur Privilegierung von Religion in der Gesellschaft

Hermann Josef Abs, Daniel Deimel
Universität Duisburg-Essen

Theorie:

Die positive Bewertung gesellschaftlicher Meinungs- und Interessenvielfalt wird unter dem Begriff des Pluralismus (Manson, 2023) gefasst und ist eine Voraussetzung für Chancengleichheit in der demokratischen Willensbildung (Wenzel, 2023). Deshalb ist es problematisch, wenn einzelne Gruppen grundsätzlich davon ausgehen, dass ihren Sichtweisen ein Vorrang gegenüber den Sichtweisen anderer in der Demokratie zukommt, oder wenn einzelne Gruppen davon ausgehen (müssen), dass sie geringere Chancen haben, ihre Meinungen und Interessen in gesellschaftliche Diskurse einzubringen. Es gehört zu den Aufgaben von politischer Bildung und schulischer Demokratieerziehung, den Pluralismus der Schüler:innen untereinander zu stärken. Dies beinhaltet, sie dazu zu befähigen, gegen gruppenbezogene Diskriminierung initiativ zu werden und vermeintliche Privilegien aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zurückzuweisen.

Fragestellung:

Der Beitrag geht der Frage nach, inwiefern Überzeugungen zur Privilegierung der eigenen Gruppe durch gruppenbezogene Diskriminierung aufgeklärt werden kann und inwieweit politisches Wissen einen Schutz vor der Ausprägung entsprechender Überzeugungen bietet. Dies geschieht am Beispiel der Überzeugung, dass die eigene Religion in der Gesellschaft privilegiert werden sollte und der Diskriminierung wegen Religionszugehörigkeit.

Methode:

Die International Civic and Citizenship Education Study (ICCS) ermöglicht es, den Status quo hinsichtlich der Überzeugungen zur Privilegierung von Religion, Diskriminierungswahrnehmung und -erfahrung bei Schüler:innen der 8. Jahrgangsstufe im schulischen Kontext zu erfassen. Im Fokus steht die Skala zur Privilegierung von Religion mit sechs Items (z.B. „Religiöse Autoritäten sollten mehr Macht in der Gesellschaft haben.“). Weiterhin besteht eine Skala zur Diskriminierungswahrnehmung in der Gesellschaft, die auch die Diskriminierung von religiösen Minderheiten erfasst. Schließlich wurde die individuelle Diskriminierungserfahrung in der Schule erfragt, wobei Religion als Anlass der Diskriminierung angegeben werden konnte. Weil für Ergebnisse zur Haupterhebung von ICCS 2022, die für NRW repräsentativ N = 3.269 Schüler*innen in 145 Schulen umfasst, eine Sperrfrist besteht, bezieht sich das Abstrakt auf eine eigene Vorläuferstudie und Feldtestergebnisse.

Ergebnisse:

Gutzwiller-Helfenfinger et al. (2022) konnte mit Daten aus ICCS 2016 für Nordrhein-Westfahlen gezeigt zeigen, dass Schüler:innen, die sich als einer Religion zugehörig ausweisen und an religiösen Feiern teilnehmen, eher dazu tendieren, einen stärkeren Einfluss von Religion in der Gesellschaft zu wünschen. Dies gilt in unterschiedlichem Ausmaß für alle Religionen im Vergleich zu Schüler:innen, die sich keiner Religion zuordnen. Die Selbstzuordnung zum Islam als Religion weist in diesem Kontext einen deutlich stärkeren Effekt auf als die angegebene Zugehörigkeit zum Christentum. So stimmen dem oben genannten Beispielitem 61% der muslimischen und 18% der christlichen Schüler:innen zu. Weiterhin wird eine Zustimmung zur Privilegierung von Religion dann wahrscheinlicher, wenn eine Zuwanderungsgeschichte (mindestens ein Elternteil im Ausland geboren) vorliegt. Dahingegen erweist sich politisches Wissen (vgl. Wissenstest in ICCS) als protektiver Faktor gegen die antipluralistische Überzeugung.

Mit den Daten aus ICCS 2022 stehen im Vergleich zu ICCS 2016 erweiterte Maße zur Erfassung gesellschaftlicher Diskriminierungswahrnehmung und (als nationale Ergänzung) persönlicher Diskriminierungserfahrung der Schüler:innen zur Verfügung. Nach Feldtestdaten nehmen 77% der Schüler:innen eine Diskriminierung religiöser Minderheiten wahr, wodurch Religion als ein vergleichsweise bedeutender Diskriminierungsanlass erkennbar wird. Daneben werden in Form einer nationalen Ergänzung auch persönliche Diskriminierungserfahrungen im schulischen Kontext erfasst. Hier liegen die Werte insgesamt deutlich niedriger. Die Analyse mit Feldtestdaten zeigt, wie Diskriminierungswahrnehmung und -erfahrung auf unterschiedliche Weise mit Überzeugungen zur Privilegierung von Religion in Zusammenhang stehen. Covid-bedingt ist die Stichprobe im Feldtest jedoch zu klein um eine signifikante Prädiktion der privilegierenden Überzeugungen aus der gesellschaftlichen Diskriminierungswahrnehmung und/oder individuellen Diskriminierungserfahrung zu ermöglichen. Dahingegen ist mit den Daten der Haupterhebung eine vollständige Schätzung des Modells möglich. Hierzu wird ein regressionsanalytisches Verfahren gewählt.

Diskussion:

Die Überzeugung zur Privilegierung der eigenen Gruppe und Diskriminierungserfahrungen sind als Gefährdungen des Pluralismus komplex miteinander verbunden. Die Ergebnisse erlauben eine neue Diskussion der Frage, inwiefern sich die Tendenz zur Privilegierung der eigenen Gruppe aus wahrgenommener bzw. erfahrener gruppenbezogener Diskriminierung speist.



 
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