11. GEBF-Tagung
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Haupttagung: 18. - 20.03.2024 | Nachwuchstagung: 21.03.2024
Universität Potsdam
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Sitzungsübersicht | |
Ort: S26 Seminarraum, 70 TN |
Datum: Montag, 18.03.2024 | |
10:30 - 12:10 | 1-10: Die Erfassung epistemischer Überzeugungen – Herausforderungen und neue Wege Ort: S26 |
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Symposium
Die Erfassung epistemischer Überzeugungen – Herausforderungen und neue Wege Epistemische Überzeugungen sind die Annahmen einer Person über Wissen und den Prozess des Wissenserwerbs (Gruber & Stamouli, 2009). Sie beeinflussen, wie eine Person mit Wissen umgeht – ob sie einer Aussage traut, sie in Frage stellt, überdenkt oder ablehnt (Oschatz, 2011). Zudem stehen epistemische Überzeugungen in Zusammenhang mit verschiedenen bedeutenden Lernergebnissen, wie bspw. Studienerfolg oder Konzeptwandel (vgl. Greene, Cardiff & Duke, 2018, Stathopoulou & Vosniadou 2007). Daher sind Instrumente zur Erfassung epistemischer Überzeugungen mit entsprechend guten psychometrischen Eigenschaften erforderlich. Allerdings weisen diese jedoch häufig schlechte psychometrische Eigenschaften auf (vgl. Greene & Yu, 2014) bzw. zeigen nicht oder nur schlecht replizierbare Faktorenstrukturen (vgl. DeBacker et al., 2008; Klopp & Stark, 2017; Moschner & Gruber, 2017). Zum einen werfen Befunde wie mangelnde Replizierbarkeit der Faktorenstruktur Fragen nach deren Ursachen auf, zum anderen sind solche Befunde problematisch hinsichtlich der Interpretation der Skalen(werte) sowie der Interpretation der Zusammenhänge von epistemischen Überzeugungen mit Lernergebnissen. Beiträge des Symposiums Wie denken Studierende über wissenschaftliche Erkenntnisse zu Bildung? Validierung eines Instruments zur Messung epistemischer Überzeugungen Theoretischer Hintergrund Der Erwerb pädagogisch-psychologischen Fachwissens ist für die professionelle Kompetenz von Studierenden der Erziehungswissenschaft und des Lehramts essenziell (Kunina-Habenicht & Terhart, 2020). Bildungswissenschaftliches Wissen besteht jedoch häufig aus widersprüchlichen Befunden, ist stark kontextabhängig und durch persönliche Bildungserfahrungen von Lernenden geprägt (Bromme et al., 2014). Im (reflektierten) Umgang mit Wissen spielen epistemische Überzeugungen von Studierenden eine zentrale Rolle (Rosman et al., 2017). Sie werden als „Vorstellungen eines Individuums zu Wissen und seiner Genese“ (Oschatz, 2011, S. 25) definiert. Epistemische Überzeugungen sind assoziiert mit dem selbstregulierten Lernen (Muis et al., 2006), dem Umgang mit widersprüchlichen Informationen (Rosman et al., 2017) und mit der Qualität des pädagogischen Handelns (Dubberke et al., 2008). Basierend auf dem Fragebogen zur Erfassung des Entwicklungsniveaus epistemologischer Überzeugungen (FREE; Krettenauer, 2005) entwickelten Merk et al. (2017) eine domänenspezifisch adaptierte Version des FREE zu pädagogischem Wissen. Dieser erfasst anhand szenariobasierter Aussagen zu unterschiedlichen Bildungsthemen (z.B.: „Immer wieder wird diskutiert, ob ‚Sitzenbleiben‘ tatsächlich sinnvoll ist oder abgeschafft werden sollte.“) den individuellen Entwicklungsstand epistemischer Überzeugungen (Absolutismus, Multiplizismus und Evaluativismus) von Studierenden. Laut Kuhn (1991) wird die Art über Wissen zu denken zunehmend sophistizierter, sodass sich Individuen von absoluten Ansichten wie „Wissen ist eindeutig wahr oder falsch“ zu multiplizistischen Ansichten wie „Wissen ist willkürlich und basiert auf subjektiven Meinungen“ und schließlich zunehmend hin zu evaluativistischen Ansichten wie „Wissen ist durch die Bewertung und Gewichtung von Beweisen mehr (oder weniger) sicher“ entwickeln. Im FREE wird der individuelle Entwicklungsstand einer Person anhand eines D-Index quantifiziert. Bisher wurde jedoch nicht untersucht, ob die im D-Index enthaltenen Items tatsächlich die Faktoren Absolutismus, Multiplizismus und Evaluativismus messen. Methoden Im vorliegenden Beitrag wurde der FREE mittels konfirmatorischer Faktorenanalyse (CFA) und Exploratory Structrual Equation Modeling (ESEM) an einer Stichprobe von N = 468 Lehramtsstudierenden und N = 149 Studierenden der Erziehungswissenschaften validiert. Es wurden unterschiedliche Modelle (u.a. Correlated Trait-Correlated Uniqueness Model) gerechnet, um der verschachtelten Struktur des Fragebogens Rechnung zu tragen (d.h., drei Einzelitems beziehen sich jeweils auf einen gemeinsamen Stimulus). Wir prüften außerdem auf konvergente und diskriminante Validität anhand zusätzlicher Instrumente zur Messung von epistemischen Überzeugungen (EBI-AM; Peter et al., 2017, FEE; Moschner & Gruber, 2017) und ein Instrument zur Erfassung von Lernstrategien im Studium (LIST-K; Klingsieck, 2019).
Ergebnisse und Diskussion Die Ergebnisse zeigen eine schlechte Passung der Messmodelle zu den Daten und damit keine interne faktorielle Validität des Instruments FREE. Dies ist im Einklang mit früheren Befunden, die ebenfalls eine schlechte psychometrische Qualität von Instrumenten zur Erfassung epistemischer Überzeugungen feststellten (Greene & Yu, 2014). Die konvergente Validität konnte für die Skalen Absolutismus und Multiplizismus bestätigt werden, die positiv mit den äquivalenten Skalen des FREE korrelierten. Entgegen den Erwartungen zeigten sich allerdings keine Zusammenhänge zwischen der FEE-Skala „Reflexive Natur des Wissens“ und der Evaluativismus-Skala des FREE. Im Einklang mit früheren Befunden (z.B. Dahl et al., 2005) waren tiefenorientierte Lernstrategien (Elaboration, kritisches Denken, Regulation) mit multiplizistischen und evaluativistischen Überzeugungen assoziiert. Im Widerspruch zu vorherigen Befunden korrelierte die oberflächliche Lernstrategie Rehearsal nicht mit Absolutismus. Die Befunde der vorliegenden Studie sowie frühere Ergebnisse (z.B. Barzilai & Weinstock, 2015) werfen die Frage auf, ob faktorenanalytische Messmodelle überhaupt in der Lage sind, die komplexe Struktur szenariobasierter Instrumente zur Erfassung epistemischer Überzeugungen adäquat abzubilden. Ein Konstrukt mit variabler Struktur? Überlegungen zur Messung epistemischer Überzeugungen Theoretischer Hintergrund Epistemische Überzeugungen über die Natur des Wissens und den Wissenserwerb stellen eine mögliche Brille dar, durch die Lernende betrachten, was und wie sie lernen (Bernholt et al., 2017; Hofer & Pintrich, 1997; Kuhn, 1991). Theoretisch sollten sie daher Lernprozesse vorhersagen können. Dazu ist aber Klarheit nötig, welche Überzeugungen genau existieren. Die faktorielle Struktur von epistemischen Überzeugungen variiert jedoch über Messinstrumente und -situationen hinweg, so dass diesbezüglich nach drei Jahrzehnten noch immer keine Einigkeit besteht (Barzilai & Weinstock, 2015; Klopp & Stark, 2017; Moschner & Gruber, 2017). Wir schlagen daher ein neues Vorgehen auf Basis einer veränderten Grundannahme vor: Epistemische Überzeugungen sind je nach a) Thema und b) Vorwissen der Befragten zu diesem Thema nicht nur unterschiedlich ausgeprägt (Barzilai & Weinstock, 2015), sondern auch unterschiedlich strukturiert. Für die Konstruktion entsprechender Messinstrumente ergibt sich dadurch, dass (1) zu allen bisher nur implizit in verschiedenen Instrumenten aufscheinenden Subfacetten epistemischer Dimensionen eigenständige Kurzskalen konstruiert werden müssen. (2) Für eine Studie sollten dann aus diesem Pool von Facetten nur genau jene ausgewählt werden, die für das vorliegende Thema und diesbezüglich vorhandenes Vorwissen auch relevant sind. (3) Mittels personenzentrierter Verfahren wird untersucht, ob sich aus diesen Facetten übergreifende Perspektiven (= Typen/Cluster) zusammensetzen – gültig nur für die spezifische Kombination aus Thema und Vorwissen. Um diese Grundannahme zu stützen, analysieren wir die Faktorstruktur verschiedener populärer Instrumente in zwei Stichproben und leiten daraus erste Vorschläge für die zukünftige Messung epistemischen Überzeugungen ab. Methode In zwei explorativen Studien beantworteten N=285 und N=254 Lehramtsstudierende (75%/78% weiblich; M=21.67/22.56 [SD=2.51/4.30] Jahre; im M=4.47/4.61 [SD=1.25/1.20] Semester) verschiedene Fragebögen. In Studie 1 wurden die epistemischen Überzeugungen auf drei verschiedenen Ebenen gemessen: allgemein, themenspezifisch und situationsspezifisch. Für allgemeine epistemische Überzeugungen verwendeten wir vier Skalen aus dem Fragebogen zur Erfassung epistemischer Überzeugungen (FEE; Moschner & Gruber, 2017): Gewissheit des Wissens („wissenschaftliches Wissen ist objektiv und stabil“), Autorität („Vertrauen in Autorität/Experten“), reflexive Natur des Wissens („Wissen entwickelt sich durch Reflexion und neue Erkenntnisse“) und soziale Komponente des Wissens („Wissen ist nur real, wenn es öffentlich ist“). Mit dem Topic-Specific Epistemic Beliefs Questionnaire (TSEBQ; Bråten et al., 2009) wurden die Dimensionen Gewissheit („Wissen ist instabil“), Quelle („Vertrauen in die Quelle“), Einfachheit („Wissen ist einfach“) und Rechtfertigung („Wissen muss selbst bewertet werden“) gemessen. Zuletzt wurden mit dem Epistemic Thinking Assessment (ETA; Barzilai & Weinstock, 2015) die epistemischen Perspektiven Absolutismus, Multiplizismus und Evaluativismus in Studie 1 in Bezug auf ein spezifisches, in einem Video gezeigtes Lernproblem (Beispiel-Itemstamm „Gibt es eine Antwort darauf, was das Problem bei der Gruppenarbeit im Video ist?“) und in Studie 2 bezogen auf das Thema „problematische Unterrichtssituationen“ gemessen (Beispiel-Itemstamm „Gibt es eine Antwort darauf, wie man eine problematische Unterrichtssituation lösen kann?“). Ergebnisse Konfirmatorische Faktoranalysen wiesen für keines der Instrumente einen adäquaten Fit der jeweils theoretisch angenommenen Faktorstruktur aus, CFI<.74, TLI<.70, RMSEA>.065, SRMR>.085. In explorativen Faktorenanalysen (oblique Rotation) luden die Items zur sozialen Komponente des Wissens (FEE) und zur Einfachheit des Wissens (TSEBQ) nicht auf je einem gemeinsamen Faktor und wurden daher ganz von der weiteren Analyse ausgeschlossen. Bezogen auf zukünftig zu berücksichtigende Facetten hier exemplarisch die Befunde zur Dimension „Gewissheit”: Der FEE enthielt Gewissheits-Items, die auf zwei Facetten „Objektivität“ und „Stabilität“ luden, wohingegen der TSEBQ die Facetten „Vorläufigkeit des Wissens“ und „Mehrdeutigkeit des Wissens“ unterschied. Das ETA enthielt absolutistische, multiplizistische und evaluativistische Varianten von Gewissheit. Diskussion Angenommene Faktorstrukturen konnten für die vorliegenden Kombinationen aus Probandenvorwissen und Thema nicht repliziert werden. Zukünftige Fragebogenentwicklung sollte mindestens für die Varianten der Gewissheit von Wissen eigenständige Kurzskalen bereitstellen, die dann je nach Thema und Vorwissen zur Erfassung epistemischer Überzeugungen herangezogen werden können. Analog sind auch für die anderen Dimensionen Differenzierungen vorzunehmen. R- und P-epistemische Überzeugungen – Über die inter- und intraindividuelle Struktur epistemischer Überzeugun Theoretischer Hintergrund Im dimensionalen Ansatz werden epistemische Überzeugungen (eÜ) als Dimensionen interindividueller Unterschiede konzeptualisiert und ihre dimensionale Struktur aus Querschnittsdaten abgeleitet. Dieser Datentyp stellt R-Daten im Sinne Cattels (1952) dar. Im Folgenden werden die aus R-Daten abgeleiteten eÜ daher als R-eÜ bezeichnet. Ein Beispiel sind die beiden domänenspezifischen Dimensionen Textur und Variabilität des Wissens, die aus dem CAEB-Fragebogen abgeleitet wurden (Stahl & Bromme, 2007). Die übliche Annahme ist, dass die dimensionale Struktur interindividueller Unterschiede der dimensionalen Struktur intraindividueller Unterschiede entspricht. Letztere wird aus Längsschnittdaten abgeleitet, die nach Cattel (1952) als P-Daten bezeichnet werden. Daher wird im Folgenden die Struktur intraindividueller eÜ als P-eÜ bezeichnet. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Annahme zutreffend ist (Molenaar & Campbell, 2009). Z.B. kann dies für die Big Five verneint werden (Borkenau & Ostendorf, 1998). Da es sich bei den P-Daten um wiederholte Messungen handelt, können außerdem vorhergehende P-eÜ die aktuellen P-eÜ beeinflussen. Zudem sind eÜ domänenabhängig (Muis et al., 2006), d. h. die derzeit in der Wahrnehmung einer Person saliente Domäne kann die aktuellen eÜ einer Person beeinflussen, was wegen der Variabilität der salienten Domäne wiederum auf die Variabilität der eÜ innerhalb einer Person hindeutet. Fragestellung In der vorliegenden, explorativen Pilotstudie soll mittels Längsschnittdaten die dimensionale Struktur von P-eÜ mittels des CAEB untersucht werden. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob frühere P-eÜ bzw. die saliente Domäne die aktuellen P-eÜ beeinflussen. Methoden Die Stichprobe besteht aus zwei Studierenden, die an N=80 aufeinanderfolgenden Tagen nach der täglichen Lernaktivität den CAEB in Bezug auf die saliente Domäne (Stahl & Bromme, 2007) bearbeiteten. Zusätzlich wurde die saliente Domäne erfasst und mit einer Dummy-Kodierung versehen. Eine P-Technik EFA (Molenaar & Nesselroade, 2009) mit Geomin-Rotation wurde zur Bestimmung der P-eÜ benutzt. Die Anzahl der P-Faktoren wurde anhand von Informationskriterien bestimmt. Anschließend wurden die Faktorenscores in einem vektorautoregressiven (VAR) Modell verwendet, um die zeitliche Abhängigkeit der aktuellen P-eÜ von früheren sowie die Abhängigkeit von der salienten Domäne zu untersuchen. Ergebnisse Der erste Teilnehmer lernte in den Domänen Interkulturelle Kommunikation, Wirtschaft und Deutschdidaktik. Es ergaben sich drei P-Faktoren: Genaues/absolutes Wissen (EAK), Dynamisches Wissen (DK) und Offenes/relatives Wissen (ORK). Das VAR-Modell ergab, dass für EAK und ORK die P-eÜ des Vortages signifikante Prädiktoren für die aktuellen P-eÜ waren (βEAK=.25, βOK=.25). Zusätzlich war für EAK der Deutschdidaktik-Dummy signifikant (βDeutschd=-.67). Der zweite Teilnehmer lernte in den Domänen Französische Sprachwissenschaft, Theologie und Bildungswissenschaften. Es ergaben sich vier P-Faktoren: Objektives Wissen (OK), Genaues/präzises Wissen (EPK), Dynamisches/offenes Wissen (DOK) und Sortiertes/strukturiertes Wissen (SSK). Das VAR-Modell zeigte, dass für alle Faktoren die Vortage signifikante Prädiktoren waren (βOK=.67, βEPK=.37, βDOK=.49, βSSK=.78). Für DOK war zusätzlich der Faktor OK des Vortages ein signifikanter Prädiktor (βDOK,OK=.28). Für ENK waren die Dummyvariablen für Theologie und Bildungswissenschaften signifikante Prädiktoren (βTheol=-.69, βBiwi=-.79). Diskussion Die Ergebnisse zeigen, dass R-eÜ und P-eÜ strukturell nicht übereinstimmen. Die Struktur der R-eÜ kann also nicht auf einzelne Personen übertragen werden. Darüber hinaus zeichneten sich Abhängigkeiten der aktuellen P-eÜ von vorhergehenden P-eÜ sowie von der aktuell salienten Domäne ab. Insgesamt deutet dies auf eine Aktualgenese der P-eÜ in Abhängigkeit von der salienten Domäne sowie den zeitlich vorhergehenden P-eÜ hin. Dies kann zu potenziellen Problemen bei der Messung von R-eÜ führen, da die querschnittlichen R-Daten bedingt durch die jeweilige Aktualgenense keine gemeinsame Grundlage aufweisen (Borsboom et al., 2009). Ein häufiger Befund sind nicht replizierbare R-Faktorenstrukturen (DeBacker et al., 2008), eine mögliche Erklärung dafür kann in der Zeit- und Domänenabhängigkeit der P-eÜ in Kombination mit der Inkongruenz von R-und P-eÜ liegen. Allerdings weist die Pilotstudie auch Limitationen auf. So sind mehr Probanden mit längeren Bobachtungsreihen und eine weiterführende statistische Modellierung, z.B. mit dynamischen Faktormodellen, und mit anderen, domänenspezifischen und domänenübergreifenden, Messinstrumenten nötig. |
13:10 - 14:50 | 2-10: Die Vielfalt der Weiterbildung(sdaten) – Potentiale und Herausforderungen bei Sekundäranalysen zur Weiterbildungsbeteiligung Ort: S26 |
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Symposium
Die Vielfalt der Weiterbildung(sdaten) – Potentiale und Herausforderungen bei Sekundäranalysen zur Weiterbildungsbeteiligung Weiterbildungsbeteiligung findet in unterschiedlichen Lernkontexten, bei unterschiedlichen Anbietern und in unterschiedlichen Zielgruppen von Weiterbildung statt. Weiterbildungsbeteiligung ist daher im Vergleich zu Bildungsentscheidungen und Bildungsbeteiligung im primären, sekundären und tertiären Bildungssektor heterogener und durch Faktoren beeinflusst, die zuvor noch keine Rolle spielten. Für Sekundäranalysen heißt das, ihre Ergebnisse zur Weiterbildungsbeteiligung hängen mitunter sehr stark von der Verfügbarkeit von Variablen, ihrer Operationalisierung und Messung ab. Zwar existiert ein allgemeines Grundverständnis, was Weiterbildung ist – und welchen Nutzen diese haben soll (bspw. Anpassung an sich verändernde Arbeitsbedingungen, Fachkräftesicherung), jedoch müssen sich Forschende im Bereich von Weiterbildung immer zuerst über die zugrundeliegende Definition (z.B. hinsichtlich der Berücksichtigung formaler, non-formaler und/oder informeller Weiterbildung) verständigen und sind in ihren Analysemöglichkeiten oftmals durch die verfügbare Datenbasis eingeschränkt. Das vorgeschlagene Symposium bringt Forschende aus verschiedenen Disziplinen (Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Ökonomie) zusammen, die anhand unterschiedlicher Datensätze den Zugang zu bzw. die Teilnahme an Weiterbildung untersuchen. Die Beiträge berücksichtigen individuelle, sozio-demographische, betriebliche und strukturell-institutionelle Faktoren (in verschiedenen Kombinationen) zur Erklärung von Unterschieden im Weiterbildungsverhalten. Trotz der unterschiedlichen theoretischen Fundierungen (bspw. Rational Choice Ansätze, Wert-Erwartungstheorie, segmentationstheoretische Annahmen, Transaktionskostentheorie), methodischen Herangehensweisen und verwendeten Datenquellen zeigt sich in den fünf Beiträgen ein konsistentes Ergebnis, das auch dem bekannten Forschungsstand entspricht (BMBF, 2022): Weiterbildung ist ungleich verteilt und vor allem Personengruppen, die bereits hinsichtlich Bildung und Erwerbstätigkeit privilegiert sind, haben leichteren Zugang zu Weiterbildung. Der erste Beitrag untersucht sog. Weiterbildungsketten, d.h. nehmen Personen, die früher bereits eine Weiterbildung absolviert haben, häufiger an weiteren Weiterbildungen teil? Dies zeigen die Autor:innen anhand der Daten des Nationalen Bildungspanels. Der Vorteil einer früheren Weiterbildung ist bei geringer qualifizierten Personen (ohne berufliche Ausbildung) jedoch niedriger ausgeprägt, was auf eine Kumulation der Benachteiligung für Gering(er)qualifizierte hinweist. Betrachtet man informelles Lernen am Arbeitsplatz als spezielle Form von Weiterbildung, wie im zweiten Beitrag auf Basis der Daten des Programme for the International Assessment of Adult Competencies, zeigen sich ähnliche qualifikationsspezifische Unterschiede: höher gebildete Personen sowie Beschäftigte in Berufen mit höherer Qualifikationsanforderung berichten häufiger von informellen Lernaktivitäten im Beruf. Zusätzlich trägt eine höhere Lernmotivation zu informellem Lernen bei. Unter besonderer Berücksichtigung ost-west-spezifischer Arbeitsmarktstrukturen zeigt sich der Vorteil von hoher Initialbildung für eine Teilnahme an selbstinitiierter beruflicher Weiterbildung auch anhand der Daten des Berichtssystems Weiterbildung und Adult Education Survey in Beitrag 3. Es wird darüber hinaus deutlich, dass regionale und strukturelle Unterschiede sowie Merkmale des Erwerbskontexts Weiterbildungsverhalten unterschiedlich stark beeinflussen. Der Frage nach der Rolle von Betrieben und der jeweiligen Arbeitsorganisation und Personalentwicklungsstrategien widmet sich der vierte Beitrag. Mit den Daten des Betriebspanels zur Qualifizierung und Kompetenzentwicklung wird gezeigt, dass Weiterbildungsungleich zwischen Beschäftigungsgruppen mit unterschiedlich hohem Tätigkeitsniveau unter bestimmten betrieblichen Bedingungen reduziert werden kann. Der fünfte und letzte Beitrag untersucht – basierend auf den Daten des mit den administrativen Konjunkturindikatoren angereicherten Mikrozensus – einen möglichen Einfluss von externen Schocks (bspw. Finanzkrise, COVID-19 Pandemie) auf individuelles, berufsbezogenes Weiterbildungsverhalten. Es zeigen sich differentielle Effekte konjunktureller Schwankungen auf Weiterbildungsteilnahme; diesbezügliche Unterschiede nach Bildungsniveau sind theoretisch ebenfalls möglich. Die Datensätze werden durch die Autor:innen mit Blick auf ihre Potentiale und Herausforderungen für die Weiterbildungsforschung reflektiert. Dabei wird deutlich, dass die unterschiedlichen Datenquellen ihre Vor- und Nachteile bei der Analyse der Determinanten von Weiterbildungsverhalten haben, die Verschränkung der Perspektiven der Disziplinen sowie die Verwendung unterschiedlicher Datenquellen und Analyseebenen (Individuum, Organisation/Betrieb, Gesellschaft) jedoch zu einem ganzheitlichen Bild von Weiterbildungsteilnahme beiträgt. Das Symposium zeigt auf, dass Maßnahmen zur Erhöhung von Weiterbildungsteilnahme – besonders bei den sonst eher benachteiligten Personengruppen – auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen müssen. In der Diskussion werden die Erträge der empirischen Beiträge aus Sicht der Forschung und der Praxis erörtert. Beiträge des Symposiums Weiterbildungsketten im Lebensverlauf: Zum Einfluss von kumulativen Vorteilen auf die Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland In Zeiten technologischer Innovationen ist eine ständige Anpassung an sich verändernde Qualifikationsanforderungen am Arbeitsplatz erforderlich. Einige Studien haben jedoch gezeigt, dass die Weiterbildungsbeteiligung aufgrund individueller und arbeitsplatzbezogener Merkmale ungleich verteilt ist. Darüber hinaus kann auch frühere Weiterbildung eine Rolle spielen, da sie die weitere Teilnahme erleichtert und motiviert. In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob die Teilnahme an Weiterbildung in einem Jahr weitere Teilnahmen in der Zukunft hervorruft und ob sich diese Prozesse zwischen Bildungsgruppen unterscheiden. Ketten der Weiterbildungsbeteiligung im Laufe der Zeit können durch zwei Arten von Mechanismen verursacht werden: Erstens können sie die Folge von individuellen und berufsspezifischen, stabilen Risiko-/Erfolgsfaktoren sein, die auch mit der Weiterbildungsbeteiligung in einem bestimmten Jahr zusammenhängen. Zweitens können sie durch eine frühere Ausbildungsteilnahme verursacht wer-den. Die „theory of skill formation“ von Cunha und Heckman (2007) sagt voraus, dass frühere Bildungsinvestitionen nachfolgende Bildungsinvestitionen fördern sollten. Dies liegt daran, dass die in einer Phase erworbenen Fähigkeiten den späteren Erwerb von Fähigkeiten fördern und damit die Produktivität von Investitionen in Fähigkeiten erhöhen. Daher kann die weitere Teilnahme an einer Ausbildung in einer Phase zu einem kumulativen Vorteil führen, da die weitere Teilnahme durch die vorherige Teilnahme verursacht wird ("true state dependence"). Die Expectancy-Value-Theorie von Eccles (2005) besagt, dass (1) die Determinanten von Bildungsentscheidungen hauptsächlich auf den individuellen Erfolgserwartungen und dem Wert beruhen, den Individuen den verschiedenen verfügbaren Optionen beimessen, und dass (2) Erwartungen und Werte einen Einfluss auf Bildungsentscheidungen haben und Bildungsentscheidungen Auswirkungen auf Erwartungen und Werte in Bezug auf zukünftige Entscheidungen haben. Wenn die Teilnahme an einer Weiterbildung zum Zeitpunkt t-1 die Erfolgserwartung und den Wert beeinflusst, die einer Weiterbildung zum Zeitpunkt t zugewiesen werden, dann könnte diese Dynamik erklären, warum eine frühere Weiterbildung zu einer weiteren Teilnahme führen und dadurch kumulative Vorteile auslösen könnte (Gorges & Kandler, 2012). Wir testen diese Vorhersagen anhand von Daten der Startkohorte 6 des Nationalen Bildungspanels (NEPS). Wir verwenden „dynamic random effects probit models“ (Rabe-Hesketh & Skrondal, 2013), die es uns ermöglichen, den kausalen Effekt der früheren Ausbildungsteilnahme auf die aktuelle Ausbildungsteilnahme zu bewerten, indem wir für unbeobachtete Heterogenität kontrollieren. Dies geschieht durch die Kontrolle für den Ausgangszustand der abhängigen Variable sowie für die Ausgangsbedingungen und individuellen Zeitmittelwerte der zeitvariablen Störfaktoren. Wir beschränken unsere Stichprobe auf Arbeitnehmende im Haupterwerbsalter (25 bis 55 Jahre) und kontrollieren für Geschlecht, Bildung, Zusammenleben und Familienstand, Anzahl der Kinder, Teilzeitarbeit, Berufswechsel, Unternehmensgröße und Berufe. In Deutschland erhöht eine frühere Weiterbildungsteilnahme (t-1) die Wahrscheinlichkeit einer Weiterbildung im folgenden Jahr (t) um 7 Prozentpunkte. Obwohl wir einen beträchtlichen und statistisch signifikanten Effekt der früheren Weiterbildungsteilnahme auf die spätere Weiterbildungsteilnahme zeigen können, bleibt die unbeobachtete Heterogenität (erfasst durch die anfängliche Ausbildungsbedingung) der Hauptfaktor für die Persistenz. Zudem finden wir, dass frühere Weiterbildungen einen kleineren Effekt bei Personen ohne berufliche Ausbildung haben Informelles Lernen im Beruf: Zusammenhänge mit Lernmotivation und Lernstrategien Erwachsener Erwachsene entwickeln ihre beruflichen Kompetenzen – neben formalen und non-formalen Lernaktivitäten – vor allem über informelles Lernen an ihrem Arbeitsplatz weiter. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage nach den Bedingungen dieser Lernprozesse. Ausgehend von theoretischen Modellen sowie empirischen Forschungsarbeiten zum informellen Lernen am Arbeitsplatz wurden hierfür Faktoren auf individueller (Lernmotivation, Lernstrategien, Skill Mismatch), kontextueller (Autonomie und Komplexität am Arbeitsplatz) und struktureller (Betriebsgröße, Art des Arbeitsvertrag, Qualifikationsanforderungen der Arbeitsstelle) Ebene identifiziert, die theoretisch mit informellen Lernaktivitäten am Arbeitsplatz in Verbindung stehen, und ihre prädiktive Validität mittels multipler linearer Regression überprüft. Als Grundlage für die Analyse dienten Querschnittsdaten des Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC) von 2012. Die PIAAC Studie wurde 2008 von den OECD-Mitgliedsstaaten initiiert und wird analog zur PISA-Studie in regelmäßigen Zyklen von 10 Jahren international durchgeführt (Rammstedt, 2013). PIAAC misst die Basiskompetenzen von Erwachsenen (16-65 Jahre) in den Bereichen Lesen, Schreiben, Rechnen und Problemlösung in technologie-intensiven Umgebungen (PSTRE). Die in PIAAC gemessenen Kompetenzen bilden dabei keine wah-ren Kompetenzwerte einzelner Personen ab, sondern vielmehr einen probabilistischen Wert, der mittels eines Item Response Theory (IRT) Modells geschätzt wird. Im PIAAC Datensatz sind zehn solcher Plausible Values (PVs) enthalten. Die erste Erhebungsrunde der PIAAC Studie fand zwischen 2008 und 2013 in 24 Ländern statt, darunter auch Deutschland. Neben der Messung der Basiskompetenzen wurden in der ersten Erhebungswelle umfangreiche Hintergrunddaten der befragten Personen erfasst, wie beispielsweise Daten zum Lernverhalten am Arbeitsplatz, zur Bildungsbiographie sowie zu den im Alltag und am Arbeitsplatz genutzten Kompetenzen. Die Erhebung wurde mit einer Wahrscheinlichkeitsstichprobe durchgeführt, die repräsentativ für die erwachsene Zielbe-völkerung ist (Deutschland: N = 5.465). Die Stichprobe wurde für die Analyse auf Erwerbstätige reduziert, die weder selbständig beschäftigt oder noch in Ausbildung sind und vollständige Angaben bei den relevanten Variablen haben (Analysestichprobe: N = 3.108, 1.558 weiblich; Alter: M = 41,18; SD = 11,71). Informelles Lernen sowie Lernmotivation, Lernstrategien und Autonomie am Arbeitsplatz wurden durch Zustimmungswerten zu zwei bis vier Items auf einer Likert-Type Skala operationalisiert. Skill Mismatch wurde definiert als extreme Abweichung der Skills zum durchschnittlichen Kompetenzniveau innerhalb einer Berufsgruppe (elementary / semi-skilled blue collar / semi-skilled white collar / skilled occupations), während die Komplexität der Arbeit dichotom darüber erfasst wurde, ob zur beruflichen Tätigkeit Aufgaben gehören, die ein längeres Nachdenken erfordern. Die weiteren Variablen wurden direkt erfragt. Die Analysen wurden mit Hilfe des IEA IDB Analyzer und SPSS durchgeführt. Der IEA IDB Analyzer ist eine Anwendung, die Syntaxdateien für die Programme R, SPSS und SAS erstellt, mit denen sich Daten aus sogenannten Large-Scale-Assessments wie PISA und PIAAC unter Berücksichtigung der methodischen Spezifikationen (bspw. sampling weights, replicate weights und PVs) analysieren lassen. Die Ergebnisse der Regressionsanalysen zeigten zunächst, dass mit zunehmendem Alter die Teilnahme am informellen Lernen sinkt. Zudem scheint die Teilnahme an informellem Lernen umso höher, je höher die Qualifikationsanforderungen des Berufes sind, sowie analog dazu je höher das eigene Bildungsniveau ist. Zudem scheint informelles Lernen vor allem in hoch komplexen Berufen eine Rolle zu spielen. Auch Personen mit höherer Lernmotivation und Nutzung elaborierter Lern-strategien scheinen unter Berücksichtigung der genannten Faktoren häufiger in informeller Form zu lernen. Die Ergebnisse bestätigen größtenteils ältere Befunde zur „doppelten Privilegierung“ höher Gebildeter im Weiterbildungskontext auch für das informelle Lernen am Arbeitsplatz. Längsschnittliche Daten könnten im Anschluss daran jedoch konkretere Einsichten in die Wirkungsrichtung der einzelnen Faktoren liefern. Betriebliche Weiterbildungsungleichheit: Wie strukturelle und relationale Bedingungskontexte in Betrieben den Zugang zu non-formaler Weiterbildung beeinflussen Die bisher bedeutsamste und umfangreichste Studie zum individuellen Weiterbildungsverhalten in Ost- und Westdeutschland stellt das Berichtssystem Weiterbildung (BSW) und dessen Nachfolger Adult Education Survey (AES) dar. Auffallend ist hier der Befund, dass ein Großteil der beruflichen Weiterbildungsaktivitäten ostdeutscher Beschäftigter bis Mitte der 2000er Jahre durch den Arbeitgeber veranlasst wurde, während sich im Vergleich dazu ein höherer Anteil westdeutscher Beschäftigter selbstinitiiert beruflich weiterbildete (Kuwan et al. 2003). Inwieweit sich diese ost-west-spezifischen Unterschiede auch auf Basis aktueller AES-Daten zeigen, wurde bisher nicht unter-sucht. Studien weisen darauf hin, dass sich der ostdeutsche Arbeitsmarkt auf Grund historischer und arbeitsmarktpolitischer Entwicklungen bis dato vom westdeutschen Arbeitsmarkt unterscheidet. Im Bereich der Weiterbildungsforschung existieren allerdings kaum Studien, die (individuelle) Teilnahmeentscheidungen für Weiterbildung mit sich wandelnden Arbeitsmarktstrukturen ins Verhältnis setzen (vgl. Becker 2019). Vor dem Hintergrund ost-west-spezifischer Entwicklungen der Berufs- und Arbeitsmarktstrukturen geht der Beitrag der Frage nach, inwieweit diese spezifischen Strukturdifferenzen Dynamiken selbstinitiierter Weiterbildungsbeteiligung beeinflussen. Rekurrierend auf bildungsökonomische und segmentationstheoretische Annahmen lassen sich hier ost-west-spezifische Teilnahmemuster vermuten. Datenbasis der Analysen bilden die Erhebungen des Berichtssystems Weiterbildung 1991-2007 und des Adult Education Survey 2010-2018. Die einzelnen Erhebungen wurden im Rahmen einer Harmonisierung aufbereitet und in einen Trenddatensatz integriert. Um die selbstinitiierte Weiterbildungsteilnahme im Trend zu untersuchen, wird das im BSW und AES kontinuierlich erhobene Kontextmerkmal „Anlass der Weiterbildung“ genutzt. Die Analyse betrachtet ausschließlich erwerbstätige Personen im Alter von 19-64 Jahren. Um den Einfluss ost-west-spezifischer Arbeitsmarktstrukturen zu prüfen, liegt der Fokus auf der Analyse betriebs- und beschäftigungsbezogener Prädiktoren. Regionale und soziodemographische Merkmale werden als Kontrollvariablen berücksichtigt. Die Untersuchung erfolgt mithilfe binär logistischer Regressionen. Die Befunde zeigen insgesamt, dass die Teilnahmeselektivität im Zeitverlauf schwankt und eng mit segmentspezifischen Beschäftigungs- und Förderstrukturen verbunden ist. Eine erhöhte Teilnahme an selbstinitiierter beruflicher Weiterbildung zeigt sich sowohl für ost- als auch westdeutsche Beschäftigte in kleineren Betrieben der Privatwirtschaft im Vergleich zu größeren Betrieben. Die er-höhte Teilnahme für Beschäftigte im öffentlichen Dienst lässt darauf schließen, dass institutionali-sierte Strukturen im öffentlichen Sektor die Teilnahme an Weiterbildung insgesamt fördern. Beschäftigungsbezogene Merkmale (Befristung, Arbeitslosigkeit) nehmen, konform zu bildungsökonomischen Annahmen, einen stärkeren Einfluss auf die Teilnahmeselektivität ostdeutscher Beschäftigter im Vergleich zu westdeutschen Beschäftigten. Die Teilnahme an selbstinitiierter beruflicher Weiterbildung ist insgesamt stark durch Merkmale des Erwerbskontexts geprägt. Ferner lässt sich unter Kontrolle beschäftigungsbezogener Prädiktoren jedoch ein Effekt des Alters und des Bildungsniveaus auf die Teilnahme beobachten. Allerdings zeigen sich auch hier Unterschiede zwischen Ost und West. Der Beitrag identifiziert wesentliche Einflussfaktoren selbstinitiierter Teilnahme an beruflicher Weiterbildung vor dem Hintergrund sich verändernder Arbeitsmarktkontexte in Ost und West. Angesichts des zunehmenden Strukturwandels und Fachkräftemangels verspricht die Einbeziehung weiterer branchen- und regionalspezifischer Merkmale (siehe IAB-Betriebspanel) ein hohes Analysepotential vor allem mit Blick auf die Frage des Einflusses (fehlender) betrieblicher Unterstützungsstrukturen. Die beiden Berichtskonzepte BSW und AES stellen auf Grund ihrer konsistenten Erfassung der Weiterbildungsbeteiligung in Ost- und Westdeutschland eine valide Datenbasis dar, um Entwicklungen der Teilnahmestrukturen anhand ausgewählter Kontextmerkmale differenziert im Zeitverlauf abzubilden. Um eine differenzierte Trendberichterstattung auf Basis der BSW- und AES-Zeitreihen fortzuführen, bedarf es jedoch weiterführender Analysen, die die Qualität der Datenlage und der Erhebungsinstrumente beider Berichtskonzepte eruieren. Weiterbildung in der Krise? Der Zusammenhang von Konjunkturzyklen und Weiterbildungsteil-nahmen Geringqualifizierte Beschäftigte mit einfachen Tätigkeiten sind beim Zugang zu betrieblicher Weiterbildung in Deutschland persistent benachteiligt (Mohr, Troltsch & Gerhards, 2016). Dies hat negative Folgen sowohl für die Beschäftigten als auch für die Betriebe, die wichtige Potenziale zur Kompetenzentwicklung in ihren Belegschaften ungenutzt lassen. Obwohl der Großteil der non-formalen Weiterbildung in Betrieben stattfindet, wird die betriebliche Perspektive in bisherigen Studien zu Weiterbildungsungleichheiten aufgrund fehlender quantitativer Datenlage meist vernachlässigt. Bisherige Analysen konzentrieren sich vor allem auf individuelle und institutionelle Faktoren und nutzen oft nur Branche oder Betriebsgröße als Kontrollvariablen für betriebliche Heterogenität bei der Erklärung von Chancenungleichheit in Weiterbildung. Inwiefern sich Betriebe in ihrem Weiterbildungsverhalten strukturell unterscheiden und welche Aushandlungsbedingungen einzelne Beschäftigtengruppen beim Zugang zu Weiterbildung haben, ist somit in der bisherigen quantitativen Forschung zu Weiterbildungsungleichheit ein Randthema. Dieser Beitrag geht daher der Frage nach, wie strukturelle und relationale Bedingungen in Betrieben die Chancenungleichheit beim Zugang zu non-formaler betrieblicher Weiterbildung beeinflussen. Mit dem BIBB-Betriebspanel zur Qualifizierung und Kompetenzentwicklung (Gerhards, Mohr & Troltsch, 2012) kann hierfür auf einen repräsentativen Betriebsdatensatz zurückgegriffen werden, der seit 2011 jährlich detaillierte Einblicke in das Weiterbildungsverhalten von aktuell rund 4.000 Betrieben ermöglicht. Neben tätigkeitsspezifischen Teilnahmequoten der Beschäftigten an non-formaler betrieblicher Weiterbildung stellt das Panel tiefgehende Informationen über die Organisationsstruktur, die Arbeitsorganisation sowie die Personalentwicklung der Betriebe bereit. Darüber hinaus kann das soziale Gefüge u.a. anhand von Informationen zur betrieblichen Mitbestimmung oder in Form von Indikatoren zur sozialstrukturellen Zusammensetzung der Belegschaft untersucht werden. Auf dieser empirischen Grundlage wird als zentrale zu erklärende Variable des Beitrags die betriebliche Weiterbildungsungleichheit (WBU) als Differenz in den Teilnahmequoten zwischen den Beschäftigtengruppen mit (hoch)qualifiziertem und mit einfachem Tätigkeitsniveau operationalisiert. Hinsichtlich der betrieblichen Einflussfaktoren auf dieses Ungleichheitsmaß werden zwei Aspekte konzeptionell verknüpft: strukturell der Grad systematischer Personalentwicklung im Betrieb und relational die unterschiedliche Aushandlungsmacht von Beschäftigtengruppen. Hinsichtlich des ersten Einflussfaktors lässt sich aus der Transaktionskostentheorie (Williamson, 1985) ableiten, dass Beschäftigte mit einfachen Tätigkeiten bei der Weiterbildungsteilnahme zu ihren (hoch)qualifizierten Kolleg*innen aufschließen können und somit die WBU in Betrieben sinkt, wenn der Grad systematischer Personalentwicklung steigt (H1). Denn je mehr Personalentwicklungsressourcen auf betrieblicher Seite zur Verfügung stehen und je sichtbarer die Weiterbildungsrendite für die Beschäftigten ist, desto geringer sind die Transaktionskosten auf beiden Seiten und desto höher ist die zu erwartende Weiterbildungsteilnahme (vgl. Wotschack & Solga, 2014, S. 369). Im Hinblick auf die Aushandlungsmacht von Beschäftigtengruppen greift der Beitrag auf die Theorie Relationaler Ungleichheiten (Tomaskovic-Devey & Avent-Holt, 2019) zurück und geht davon aus, dass sowohl die Existenz eines Betriebsrats als auch eine steigende relative Gruppengröße von Beschäftigten mit einfachen Tätigkeiten den H1-Effekt verstärken (H2 und H3). Denn Betriebsräte können als institutionalisiertes Gremium die Interessen aller Beschäftigten vertreten und somit den Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen für Beschäftigte mit einfachen Tätigkeiten erleichtern. Zu-dem kann eine steigende relative Gruppengröße der Beschäftigten mit einfachen Tätigkeiten zu einer Stärkung der Aushandlungsposition dieser Gruppe führen. Vorläufige Ergebnisse auf Basis hierarchisch genesteter Regressionsmodelle zeigen, dass unter Kontrolle von organisationsstrukturellen Einflüssen (u.a. Betriebsgröße, Digitalisierungsgrad und Branche) ein zunehmender Grad systematischer Personalentwicklung mit einer signifikanten Reduktion von WBU in Betrieben einhergeht. Erwartungsgemäß wird dieser Zusammenhang durch eine zu-nehmende relative Gruppengröße der Beschäftigten mit einfachen Tätigkeiten verstärkt, während der Einfluss der betrieblichen Mitbestimmung zunächst uneindeutig erscheint. Durch die Interaktion struktureller und relationaler Einflüsse trägt die Untersuchung sowohl theoretisch als auch empirisch zu einem vertieften Verständnis der (Re-)Produktion betrieblicher WBU bei. Das BIBB-Betriebspanel zur Qualifizierung und Kompetenzentwicklung liefert hierzu neue Einsichten in die zugrundeliegenden Mechanismen und zeigt konkrete Ansatzpunkte für betriebliche Maßnahmen auf, die den Weiterbildungszugang für geringqualifizierte Beschäftigte verbessern können. |
15:20 - 17:00 | 3-10: Leading (Digital) Change? Die Rolle der Schulleitung bei der digitalen Transformation von Schulen in Deutschland und der Schweiz Ort: S26 |
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Symposium
Leading (Digital) Change? Die Rolle der Schulleitung bei der digitalen Transformation von Schulen in Deutschland und der Schweiz Theoretischer Rahmen Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz ist die digitale Transformation von Schulen bereits seit vielen Jahren ein breit diskutiertes Thema. Durch die COVID19-Pandemie und die damit verbundenen Herausforderungen ist sie in der jüngsten Vergangenheit nochmals verstärkt in den Fokus gerückt (u.a. Feldhoff et al., 2022; Huber et al., 2020). Wie vielschichtig die digitale Transformation im schulischen Kontext ist, verdeutlichen verschiedene Modelle (u.a. Ifenthaler & Egloffstein, 2020; Ilomäki & Lakkala, 2018). In diesem Zusammenhang wird der Schulleitung bei der Initiierung und Begleitung digitalisierungsbezogener Entwicklungsprozesse eine besondere Bedeutung zugesprochen (Dexter, 2018; Gerick & Eickelmann, 2019; Tulowitzki et al., 2021). Dabei hat das Schulleitungs- bzw. Führungshandeln sowohl Effekte auf die Gestaltung schulischer Rahmenbedingungen als auch auf die Integration von ICT im Unterricht (Petko et al., 2018). Übergeordnete Fragestellung Das Symposium setzt sich mit der übergeordneten Fragestellung auseinander, welche Rolle die Schulleitung im Kontext digitaler Schulentwicklungsprozesse einnimmt. Hierbei wird untersucht, inwieweit verschiedene Formen des Schulleitungshandelns auf die digitalisierungsbezogenen Rahmenbedingungen der Schule sowie auf entsprechende Lehr- und Lernprozesse auf Unterrichtsebene wirken. Darauf aufbauend wird betrachtet, wie Schulleitungen ihr Handeln bzgl. der digitalen Transformation begründen. Beiträge des Symposiums Der erste Beitrag geht der Frage nach, wie Führungshandeln im Sinne des digital instructional leadership von Schulleitungen und Lehrpersonen wahrgenommen wird. Darauf aufbauend werden Zusammenhänge zwischen dem digital instructional leadership und lehrpersonenbezogenen Faktoren sowie Lernprozessen auf Seiten der Schüler*innen untersucht. Als Datenbasis dient der zweite Zyklus der ICIL Studie (Eickelmann et al., 2019); die Stichprobe umfasst n = 2.328 Lehrpersonen und n = 3.655 Schüler*innen, auf die die Daten der Schulleitungen gewichtet werden. Die Fragen, wie die digitale Transformation an schweizerischen Schulen der Sekundarstufe II gesehen wird und welche Begründungen Schulleitungen für die Digitalisierungsstrategien ihrer Schulen nennen, stehen im Fokus des zweiten Beitrags. Auf Basis eines soziologischen Ansatzes wird dargestellt, wie Schulleitungen die strategische Vorgehensweise bei der digitalen Transformation in ihrer Schule legitimieren bzw. rechtfertigen. Hierfür wurden in einem ersten Schritt n = 9 „digitale Vorreiterschulen“ identifiziert und im Anschluss halbstandardisierte Interviews mit den Schulleitungen dieser Schulen durchgeführt. Der abschließende dritte Beitrag untersucht die Effekte innovativen Schulleitungshandelns sowohl auf die digitalisierungsbezogenen Rahmenbedingungen der Schule als auch die Integration von ICT im Unterricht. Unter innovativem Schulleitungshandeln wird dabei die Förderung aktiver Entwicklungsarbeit bei den Lehrpersonen sowie die Schaffung kooperativer Rahmenbedingungen verstanden. Zu diesem Zweck wurden n = 306 Schulleitungsmitglieder beruflicher Schulen in der Schweiz befragt. Das Symposium vereint somit eine allgemein- und berufsbildende Perspektive in einem internationalen Kontext mit Beitragenden aus insgesamt fünf Institutionen. Das Schulleitungshandeln wird aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, wodurch die weitreichende Bedeutung der Schulleitung für digitalisierungsbezogene Entwicklungsprozesse untermalt wird. Dabei kommen sowohl quantitative als auch qualitative Analyseverfahren zum Einsatz. Beiträge des Symposiums Digital instructional leadership aus Schulleitungs- und Lehrpersonensicht Theoretische Fundierung Das Leitungshandeln von Schulleitungen ist hoch bedeutsam für die Kompetenzen, die Motivation und die Arbeitsbedingungen von Lehrpersonen, was sich wiederum auf den Unterricht und die Leistungen von Schüler*innen auswirkt (Leithwood et al., 2017; Grissom et al., 2021). Schulleitungen werden auch als "Change Agents" bezeichnet, da sie eine wichtige Rolle als Treiber von Innovationen in Schulen spielen können (Fullan, 1993; Hall & Hord, 2019). Zu diesen Innovationen gehört die Integration digitaler Medien in Schule und Unterricht (u.a. De Florio-Hansen, 2018). Es hat sich gezeigt, dass Schulleitungen das Wissen über und die Nutzung von digitalen Medien der Lehrkräfte beeinflussen können (Dexter, 2018). Dies wurde unter anderem mit ihrem Führungshandeln in Verbindung gebracht (z. B. Navaridas-Nalda et al., 2020). Es wird angenommen, dass es für Lehrkräfte sowie Schüler*innen förderlich ist, wenn die Schulleitung in ihrem Führungshandeln digitalisierungsbezogene Aspekte explizit berücksichtigt. Dem Konzept des instructional leadership (oder auch unterrichtsbezogene Führung) wird eine besondere Wirkung zugeschrieben (Robinson et al., 2009; Pietsch & Tulowitzki, 2020) und erscheint daher für den Kontext der Digitalisierung von Schule und Unterricht interessant. Fragestellung Bisher existieren jedoch kaum Forschungsergebnisse zu digital instructional leadership. Vorhandene Beiträge richten sich häufig an Praktiker*innen (Sorenson et al., 2016) oder stützen sich ausschließlich auf Selbstberichte der Schulleitung (z. B. Nurabadi et al., 2022) und sind zudem zumeist auf die Kompetenzen oder Einstellungen der Schulleitung fokussiert. Es fehlt u. a. an Beiträgen, die den (möglichen) Einfluss von digital instructional leadership auf die Unterrichtspraktiken oder das Lernen der Schüler*innen analysieren, sowie an Studien zum Leitungshandeln, die mehrere Perspektiven berücksichtigen (z. B. Daten von Schulleitungen und Lehrkräften) und auf großen, repräsentativen Datensätzen basieren. Diese Desiderata werden noch deutlicher, wenn es sich um Beiträge handelt, die große, internationale Datensätze nutzen. Mit diesem Beitrag sollen einige dieser Desiderata bearbeitet werden. Die Fragestellungen dieses Beitrags lauten daher: 1. Wie wird digital instructional leadership von Schulleitungen und Lehrpersonen in Deutschland wahrgenommen und inwieweit unterscheiden sich diese Wahrnehmungen? 2. In welchem Zusammenhang steht das (wahrgenommene) digital instructional leadership mit verschiedenen lehrpersonenbezogene Faktoren sowie dem Lernen der Schüler*innen? Methode Die Analysen basieren auf Daten des zweiten Zyklus der International Computer and Information Literacy Study (ICILS 2018; Eickelmann et al., 2019). Im Fokus steht digital instructional leadership, das sowohl im Schulleitungs- als auch im Lehrkräftefragebogen anhand von fünf Items (modifizierte und auf den Digitalisierungskontext bezogene Items aus PISA 2006; Vennemann et al., 2021) erfasst wurde. Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden Sekundäranalysen mittels deskriptiver Statistik (Forschungsfrage 1) sowie Korrelationsanalysen und Strukturgleichungsmodellierung (Forschungsfrage 2) durchgeführt. Der komplexen Datenstruktur wird durch den Einsatz des IEA IDB Analyzers (u.a. Mikheeva & Meyer, 2020) sowie der Software Mplus Rechnung getragen. Die Analysestichprobe für diesen Beitrag umfasst durchschnittlich n = 2.328 Lehrpersonen und n = 3.655 Schüler*innen, auf die die Daten der Schulleitungen gewichtet werden. Ergebnisse und ihre Bedeutung Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse zu Forschungsfrage 1, dass Schulleitungen ihr digital instructional leadership ausgeprägter einschätzen als die Lehrkräfte dies wahrnehmen. Dies gilt insbesondere für die Wahrnehmung der Unterstützung von Lehrkräften, die Schwierigkeiten mit dem Einsatz von digitalen Medien im Unterricht haben. Das für Forschungsfrage 2 geschätzte Strukturgleichungsmodell (Modellfit: CFI=.96, TLI=.94, RMSEA=.02, SRMR=.04) zeigt u. a. einen positiven Zusammenhang des wahrgenommenen digital instructional leadership durch die Lehrpersonen mit der nachdrücklichen Förderung computer- und informationsbezogener Kompetenzen bei den Schüler*innen. Mit den computer- und informationsbezogenen Kompetenzen der Schüler*innen konnte kein signifikanter Zusammenhang festgestellt werden. Es ist möglich, dass die hohe Autonomie der Lehrkräfte als "Puffer" für einen möglichen Einfluss der Schulleitung fungiert. Die Befunde werden vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen und Perspektiven der Schulleitungsforschung in einer digitalen Welt diskutiert (u.a. Tulowitzki et al., 2022). Digitalisierungsstrategien an digitalen Vorreiterschulen aus Schulleitungsperspektive Theoretische Fundierung Obwohl die bedeutsame Rolle von Schulleitungen hinsichtlich digitaler Transformation an Schulen bekannt ist, gibt es wenig Evidenzen dafür, wie Schulleitende ihre Digitalisierungsstrategien rechtfertigen. Einen guten Orientierungspunkt bietet die Rechtfertigungssoziologie, die bezüglich des gesellschaftlichen Wandels und Reformen in der Arbeitswelt und im Bildungswesen bei verschiedenen Akteur*innen unterschiedliche Legitimationsmuster unterscheidet (Hägi, 2019; Saner, 2019). So bezieht sich eine (staats-)bürgerliche Rechtfertigung auf gesellschaftliche Teilhabe, Solidarität und soziale Integration, während eine industrielle Legitimation Effizienz und Fachkompetenzerwerb adressiert. Eine marktwirtschaftliche Legitimation wiederum fokussiert auf Wettbewerb und Kosten. Pädagogische Werte und Vertrauen werden der sogenannten häuslichen Konvention zugeordnet (Leemann & Imdorf, 2019). Diese vier (von – gemäß Rechtfertigungssoziologie – insgesamt sieben) zentralen Rechtfertigungen prägen den Bildungsbereich und sollen in diesem Beitrag auf Digitalisierungsstrategien und -umsetzungen in Schulen der Sekundarstufe II in der Schweiz bezogen werden. Fragestellung Der Beitrag geht vor diesem Hintergrund folgenden Fragestellungen nach: 1. Wie wird die digitale Transformation an schweizerischen Schulen der Sekundarstufe II (Berufsschulen, Gymnasien, Fachmittelschulen) gerechtfertigt? 2. Werden hierbei von Seiten der Schulleitungen für alle Beteiligten hinsichtlich Digitalisierungsstrategien tragfähige Begründungen gefunden? Methode Im Rahmen eines Projektes zum Stand der Digitalisierung in schweizerischen Schulen der Sekundarstufe II wurden neben einer umfangreichen quantitativen Studie auch qualitative Daten erhoben. Neun besonders innovative, digitale Schulen (6 Berufsfachschulen und 3 Gymnasien) wurden für halbstandardisierte Interviews mit Schulleitungen identifiziert. Die Basis dafür beruhte auf Nominationen durch 117 Schulleitende, die in einer Umfrage digitale Vorreiterschulen beschreiben sollten. Als weitere Kriterien dienten die Daten der quantitativen Studie des Projektes selbst: Häufigkeitsangaben des Technologieeinsatzes von 2247 Lehrpersonen für kognitiv aktivierende Lernaktivitäten (Antonietti et al., 2023) und Einschätzungen von 225 Schulleitenden zum pädagogischen Innovationspotenzial ihrer Schule (Johnson et al., 2007). Die Interviewdaten wurden gemäß der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (vgl. Kuckartz, 2018). Es wurden sowohl deduktive Kategorien gemäß der Rechtfertigungssoziologie gebildet als auch induktive Kategorien auf Basis der Daten abgeleitet. Ergebnisse und ihre Bedeutung Erste inhaltsanalytische Auswertungen zeigen, dass alle erfassten Legitimationsansätze der Rechtfertigungssoziologie von Schulleitungen in digital innovativen Schulen verwendet werden. Dabei ist die Dimension der häuslichen Konvention besonders dominant, da Schulleitende sich immer wieder auf den pädagogischen Mehrwert digitaler Medien berufen. Dies stimmt mit vorherigen Befunden überein, dass an digital innovativen Schulen der Fokus vor allem auf der Pädagogik liegt (Venezky & Davis, 2002). Auch die industrielle Rechtfertigung ist prominent vertreten, da Schulleitende den Erwerb von digitalen Kompetenzen und die Entlastung bei administrativen Arbeiten durch digitale Medien betonen. Eine wirtschaftliche Legitimation wird lediglich an Berufsfachschulen genannt und steht nicht im Fokus der Überlegungen von Schulleitungen an Gymnasien. Ebenso konnten induktiv weitere Rechtfertigungen identifiziert werden: Unter anderem beschreiben Schulleitende die COVID19-Pandemie als einen starken Anschub für Digitalisierungsbemühungen und weitere Vernetzungen an ihrer Schule. Ebenso berichten manche, sich verpflichtet zu fühlen, gesellschaftliche Trends nachzuvollziehen. Diese Rechtfertigungen entsprechen gemäß Leemann und Imdorf (2019) der Projektkonvention, bei der es darum geht, auf Veränderungen von außen zu reagieren. Insgesamt liefert die Studie erste Befunde dazu, wie Schulleitende ihre Digitalisierungsstrategien rechtfertigen und gibt Einblicke, welche Prioritäten an digital innovativen Schulen gesetzt werden. Schulen, die einen vorbildlichen Umgang mit der digitalen Transformation anstreben, sollten die Pädagogik in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen. Effekte innovativen Schulleitungshandelns auf die Integration von ICT in Lehr- und Lernprozesse Theoretische Fundierung Verschiedene Modelle betonen im Hinblick auf die Integration von Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) in Lehr- und Lernprozesse die Relevanz organisationaler sowie intrapersoneller Rahmenbedingungen (u.a. Ifenthaler & Egloffstein, 2020; Ilomäki & Lakkala, 2018). Petko et al. (2018) verwenden in diesem Zusammenhang die Begriffe der Teacher Readiness und School Readiness: Während unter Teacher Readiness die digitalen Kompetenzen sowie die Einstellungen der Lehrpersonen gegenüber ICT fallen, umfasst das Konstrukt der School Readiness neben der technischen Infrastruktur, der formellen und informellen Kollaboration und der Bedeutung sowie der Zielklarheit von ICT auch die Unterstützung der Schulleitung. Der Schulleitung wird dabei eine besondere Bedeutung für die Initiierung und Umsetzung von Innovationen und Veränderungsprozessen zugeschrieben (u.a. Bonsen, 2003; Gräsel et al., 2020); sie wird auch als „Treiber der Schulentwicklung“ (Bonsen, 2016, S. 319) bezeichnet. Dies lässt sich auf Entwicklungsprozesse im Kontext der digitalen Transformation übertragen (u.a. Dexter, 2018; Gerick & Eickelmann, 2019; Tulowitzki & Gerick, 2018; Tulowitzki et al., 2021). Vor dem Hintergrund dieser „Schlüsselrolle“ (Gerick et al., 2019, S. 175) der Schulleitung bei der Planung, Initiierung und Begleitung von (digitalisierungsbezogenen) Schulentwicklungsprozessen, stellt sich die Frage, ob das Schulleitungshandeln als integrativer Teil der organisatorischen Rahmenbedingungen verstanden werden kann (vgl. Petko et al., 2018) oder ob es viel-mehr als vorgelagerte Instanz wirkt. Fragestellung Auf Basis dieser theoretischen Überlegungen geht der Beitrag der übergeordneten Fragestellung nach, welche Effekte innovatives Schulleitungshandeln, also die Förderung aktiver Entwicklungsarbeit sowie die Schaffung kooperativer Bedingungen, auf die Integration von ICT im Unterricht hat. Hierbei wird analysiert, ob die digitalisierungsbezogenen Rahmenbedingungen – das heißt, sowohl organisatorische als auch intrapersonelle Faktoren – als Mediator fungieren; das Schulleitungshandeln wird dabei als vorgelagerter Faktor modelliert. Methode Die für die Beantwortung der Fragestellung verwendeten Daten entstammen einer Online-Befragung von Schulleitungsmitgliedern beruflicher Schulen in der Schweiz aus dem Februar 2023. An der Studie haben n = 306 Personen teilgenommen. Mithilfe eines Fragebogens wurde unter anderem das innovative Schulleitungshandeln (inhaltlich losgelöst von der digitalen Transformation) mit sieben Items gemessen (Diel & Steffens, 2010; ω = .90). In Anlehnung an Petko et al. (2018) wurden als digitalisierungsbezogene Rahmenbedingungen (Faktor 2. Ordnung) zudem die Teacher Readiness (Kompetenzen, Einstellungen) und die School Readiness (Infrastruktur, (in)formelle Kollaboration, Bedeutung, Zielklarheit) erfasst. Zur Ermittlung der Nutzung von ICT im Unterricht dienten zwei adaptierte Skalen von Quast et al. (2021). Um die Wirkungsbeziehungen zwischen den Merkmalen untersuchen zu können, wurden Strukturgleichungsmodelle mit Mplus Version 8.7 (Muthén & Muthén, 2017) geschätzt. Das finale Modell weist dabei einen guten bis sehr guten Fit aus (CFI = .971; TLI = .966; RMSEA = .044; SRMR = .043). Ergebnisse und ihre Bedeutung Die Ergebnisse zeigen einen starken signifikanten Effekt des innovativen Schulleitungshandelns auf die digitalisierungsbezogenen Rahmenbedingungen der Schule (β = .746; p < .001). Darüber hinaus wird ersichtlich, dass die digitalisierungsbezogenen Rahmenbedingungen signifikant positiv auf die Integration von ICT in Lehr- und Lernprozesse wirken (β = .868; p < .001), während das Schulleitungshandeln gleichzeitig keinen direkten Effekt hierauf ausweist (β = -.073; p < .466). Die Modellierung der indirekten Wirkungsbeziehung verdeutlicht allerdings, dass das innovative Schulleitungshandeln durchaus auf die Unterrichtsebene wirkt – allerdings wird dieser Effekt vollständig durch die digitalisierungsbezogenen Rahmenbedingungen mediiert (β = .648; p < .001). Die Befunde unterstreichen zum einen die (indirekte) Bedeutung der Schulleitung für die Integration von ICT in Lehr- und Lernprozesse und zum anderen die initiative Rolle der Schulleitung für die Gestaltung förderlicher digitalisierungsbezogener Rahmenbedingungen auf Schulebene. Mit Blick auf zukünftige Forschung wäre es erstrebenswert, (1) das aufgestellte Modell in anderen Kontexten zu validieren (u.a. allgemeinbildende Schulformen, andere Länder) und (2) einen multi-perspektivischen Ansatz zu wählen, der die verschiedenen Betrachtungsweisen der unterschiedlichen schulischen Akteur*innen berücksichtigt. |
Datum: Dienstag, 19.03.2024 | |
10:30 - 12:10 | 4-10: Zusammenarbeit von Regellehrkräften und sonderpädagogischen Lehrkräften im inklusiven Unterricht: Welche Faktoren spielen eine Rolle? Ort: S26 |
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Symposium
Zusammenarbeit von Regellehrkräften und sonderpädagogischen Lehrkräften im inklusiven Unterricht: Welche Faktoren spielen eine Rolle? Der Zusammenarbeit von Regellehrkraft (RLK) und sonderpädagogischer Lehrkraft (SLK) wird eine große Bedeutung bei der Umsetzung inklusiven Unterrichts zugeschrieben (Urban & Lütje-Klose, 2014). Diese Zusammenarbeit kann hinsichtlich verschiedener Faktoren betrachtet und analysiert werden: der Zufriedenheit mit der Zusammenarbeit, den Herausforderungen, der Intensität und der Formen der Zusammenarbeit im Unterricht oder der Rahmenbedingungen (Gebhard et al., 2014; Grosche et al., 2020; Pool Maag & Moser Opitz, 2014; Scruggs et al., 2007). Eine besondere Bedeutung für gelingenden inklusiven Unterricht wird oft der Intensität der Kooperation zugeschrieben (Grosche et al., 2020; Lütje-Klose & Urban, 2014). Grosche et al. (2020) unterscheiden in ihrem Modell die drei Zusammenarbeitsformen Austausch, arbeitsteilige Kooperation und kokonstruktive Kooperation, von denen die Kokonstruktion als die intensivste Form gilt. Eine intensive Form der Kooperation wird z.B. darin gesehen, dass die Lehrkräfte innerhalb des Unterrichts so zusammenarbeiten, dass keine räumliche Separation der Schüler*innen stattfindet und gemeinsame Lernsituation realisiert werden (Grosche et al., 2020). Allerdings zeigen Studien, dass sich die Zusammenarbeit häufig auf die weniger anspruchsvollen Formen Austausch und Arbeitsteilung beschränkt (Kalinowski et al., 2022; Rogge et al., 2021). Bisher ist nur wenig darüber bekannt, welche individuellen Lehrkraftmerkmale (z.B. Geschlecht, Überzeugungen, Selbstwirksamkeit) und welche Rahmenbedingungen (z.B. zeitliche Ressourcen, Anzahl Lernende mit Förderbedarf, Schulkultur) die Intensität der Zusammenarbeit beeinflussen (Kalinowski et al., 2022; Rogge et al., 2021). Trotz intensiver Forschung zur Kooperation von Lehrkräften im inklusiven Unterricht zeigen sich nach wie vor Forschungsdesiderate. Erstens wurde noch wenig untersucht, wie verschiedene individuelle Lehrkraftvariablen sowie Rahmenbedingungen und eine kokonstruktive Zusammenarbeit zusammenhängen. Zweitens fehlen Untersuchungen zu Unterscheidungsmerkmalen der Kooperation sowie deren Abhängigkeit von verschiedenen Variablen. Nach Jones und Brownell (2014) ist die Berücksichtigung beider Lehrkräfte eines Teams wichtig, da sich in der Untersuchung der Zusammenarbeit im inklusiven Unterricht die Herausforderung der „nested instruction“ stellt. Nested instruction steht für die komplexe Situation, in der Lehrkräfte gemeinsam in einer Klasse unterrichten und als Team nicht nur den Unterricht, sondern sich auch gegenseitig beeinflussen. Das Symposium soll einen Beitrag zur Untersuchung solch komplexer Zusammenarbeitssituationen leisten, indem verschiedene forschungsmethodische Zugänge gewählt werden. Die ersten beiden Beiträge beziehen sich auf das Modell der kokonstruktiven Kooperation (Grosche et al., 2020). Im ersten Beitrag wird mit Mehrebenenregressionsanalysen untersucht, welche Lehrkraftmerkmale und schulische Rahmenbedingungen einen Einfluss auf kokonstruktive Handlungen der RLK und SLK im inklusiven Unterricht haben. Im zweiten Beitrag wird die Zusammenarbeit von RLK und SLK mittels Clusteranalysen untersucht. Es werden Profile von Lehrkräften sowie von Teams aus RLK und SLK unter Berücksichtigung von Variablen zur Kooperationszufriedenheit und Kooperationsintensität sowie weitere Variablen auf Individual- und Teamebene erstellt und verglichen. Im dritten Beitrag wird anhand der Analyse von Interviews mit Teams von RLK und SLK untersucht, welche Überzeugungen die RLK und SLK bezüglich des Umgangs mit Leistungsheterogenität haben und wie sich dies auf die Kooperationsintensität hinsichtlich der Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen auswirkt. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Kooperation von Lehrkräften im inklusiven Unterricht ein sehr komplexer Untersuchungsgegenstand ist und unterschiedliche methodische Zugänge notwendig sind. Beiträge des Symposiums Welche schulischen Rahmenbedingungen und individuellen Lehrkraftmerkmale unterstützen die kokonstruktive Kooperation von Regellehrkräften und sonderpädagogischen Lehrkräften in inklusiven Schulen der Sekundarstufe I? Theoretischer Hintergrund Der kokonstruktiven Kooperation als anspruchsvollste Kooperationsform werden positive Effekte für eine inklusive Schul- und Unterrichtsentwicklung zugesprochen (Grosche et al., 2020; Lütje-Klose & Urban, 2014). Studien zur Kooperation belegen allerdings immer wieder, dass sich die Zusammenarbeit von Lehrkräften häufig auf die weniger anspruchsvolleren Formen, den Austausch und die Arbeitsteilung, beschränkt (Kalinowski et al., 2022; Rogge et al., 2021). Das gilt insbesondere für Schulen der Sekundarstufe I (Drossel & Willems, 2014; Richter & Pant, 2016; Zhang & Zheng, 2020). Es ist davon auszugehen, dass (intensive) Kooperationsprozesse eine Vielzahl von Voraussetzungen erfordern. Hierzu zählen bspw. gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen der Lehrkräfte oder Zeitfenster für die Kooperation sowie ein kooperationsförderliches Schulleitungshandeln (Grosche et al., 2020; Lütje-Klose & Urban, 2014). Bisher ist jedoch nur wenig darüber bekannt, welche individuellen Lehrkraftmerkmale und schulischen Rahmenbedingungen die Umsetzung von intensiver Kooperation unterstützen (Kalinowski et al., 2022; Rogge et al., 2021). Diesem Forschungsdesiderat widmet sich der vorliegende Beitrag. Als theoretische Hintergrund dient das Modell der kokonstruktiven Kooperation (Grosche et al., 2020). Fragestellung Welche intra- und interpersonalen Lehrkraftmerkmale sowie schulstrukturellen- und -kulturellen Rahmenbedingungen hängen mit den kokonstruktiven Handlungen von Lehrkräften in inklusiven Schulen der Sekundarstufe I zusammen? Methode Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden Daten aus dem Forschungsprojekts „Inklusion in und nach der Sekundarstufe I in Deutschland“ (INSIDE, Schmitt et al., 2020) herangezogen. Die Stichprobe umfasst 1204 Lehrkräfte der 6. Jahrgangsstufe, darunter 963 Regellehrkräfte und 241 sonderpädagogische Lehrkräfte, und 156 Schulleitungen aus 234 Schulen der Sekundarstufe I. Die kokonstruktive Kooperation wurde mit einem Kurzfragebogen in Anlehnung an die Kokonstruktionstheorie (Grosche et al., 2020) erfasst. Die Skala kokonstruktive Handlungen stellt die abhängige Variable dar. Die Skala Arbeitsatmosphäre wurde als interpersonales Merkmal in die Analysen einbezogen. Als intrapersonale Merkmale wurden neben den demografischen Angaben Geschlecht, Disziplin und Berufsjahre, das Gefühl, (a) insgesamt auf den gemeinem Unterricht und (b) auf das gemeinsame Unterrichten (Team-Teaching) vorbereitet zu sein, die Einstellung zu schulischer Inklusion (PREIS-K; Bruns et al., 2023) und die Selbstwirksamkeit in Anlehnung an Bosse und Spörer (2014) in die Analysen einbezogen. Die schulischen Rahmenbedingungen wurden von den Schulleitungen berichtet. Sie umfassen als schulstrukturelle Merkmale die Umsetzungsdauer von Inklusion, die Anzahl der Schüler*innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf sowie die Anzahl an Schüler*innen insgesamt. Zu den untersuchten schulkulturellen Merkmalen gehören die Schulkultur, die Kooperationskultur (in Anlehnung an Steinert et al., 2006) und das direkte sowie indirekte Schulleitungshandeln (in Anlehnung an Drossel & Eickelmann, 2013). Alle Analysen wurden in R (R Core Team, 2020) durchgeführt. Die Intraklassenkorrelationen der Lehrkraftvariablen lagen zwischen .059 und .231, was eine mehrebenenanalytische Betrachtung begründete. Davon ausgehend wurden Mehrebenenregressionsanalysen berechnet. Die vier Dimensionen intra- und interpersonale Lehrkraftmerkmale sowie schulstrukturelle und -kulturelle Merkmale wurden schrittweise in das Regressionsmodell aufgenommen. Fehlende Werte wurden zuvor in einem Mehrebenenmodell imputiert. Bei den berichteten Ergebnissen handelt es sich um die nach Rubin (1987) gepoolten Ergebnisse. Ergebnisse Die Ergebnisse der Mehrebenenregressionsanalyse zeigen, dass eine höhere Selbstwirksamkeit (B = 0.23, p < .001), ein stärkeres Gefühl auf das gemeinsame Unterrichten vorbereitet zu sein (B = 0.12, p < .001), sowie eine positivere Arbeitsatmosphäre (B = 0.65, p < .001) mit ausgeprägteren kokonstruktiven Handlungen einhergehen. Zudem nehmen Regellehrkräfte die Kokonstruktion positiver wahr als sonderpädagogische Lehrkräfte (B = -0.24, p < .001). Auf Schulebene begünstigen eine positive Schulkultur (B = 0.20, p = .003) und ein organisatorisch-strukturell unterstützendes Schulleitungshandeln (B = 0.10, p = .005) die kokonstruktiven Handlungen. Alle anderen untersuchten Lehrkraft- und Schulmerkmale erweisen sich als nicht bedeutsam. Das Modell erklärt 44.4% der Varianz in den kokonstruktiven Handlungen. Aufbauend auf den Ergebnissen und vor dem Hintergrund des theoretischen Modells der kokonstruktiven Kooperation werden Ansatzpunkte zur Unterstützung von kokonstruktiver Kooperation diskutiert und Limitationen der Studie aufgezeigt. Zusammenarbeit von Regellehrkräften und sonderpädagogischen Lehrkräften: Profile auf Individual- und Teamebene Theoretischer Hintergrund Eine enge Zusammenarbeit zwischen Regellehrkraft (RLK) und sonderpädagogischer Lehrkraft (SLK) wird als zentrale Gelingensbedingung für die Umsetzung von Inklusion gesehen (Scruggs et al., 2007; Urban & Lütje-Klose, 2014). Grosche et al. (2020) unterscheiden die Formen Kokonstruktion, Arbeitsteilung und Informationsaustausch, wobei eine intensive Kooperation, bei der die beiden Lehrkräfte gemeinsam Verantwortung für alle Kinder übernehmen (Grosche et al., 2020) und bei der möglichst wenig räumliche Separation der Schüler*innen stattfindet (Nes et al., 2018), als besonders gewinnbringend betrachtet wird. Welche Faktoren eine kokonstruktive Zusammenarbeit sowie die Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen begünstigen, wurde noch wenig untersucht. Gemäß Avramidis et al. (2000) ist die Einstellung zur Inklusion hinsichtlich der Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen zentral. Zudem wird angenommen, dass gemeinsame Lernsituationen eher umgesetzt werden, wenn RLK und SLK mit der Kooperation im Team zufrieden sind (Gebhard et al., 2014). Pool Maag und Moser Opitz (2014) vermuten, dass die zur Verfügung stehenden Ressourcen (Förderstunden der SLK) eine zentrale Rolle spielen: Je weniger Förderstunden zur Verfügung stehen, desto häufiger wird separativ gefördert. Im Beitrag interessiert, ob sich hinsichtlich der Variablen Kooperationsintensität, Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen, Einstellung zur Inklusion, Kooperationszufriedenheit und Ressourcen Profile von Lehrkräften auf Individual- und Teamebene eruieren lassen. Fragestellung 1. Welche Profile von Lehrkräften lassen sich auf der Individualebene bezüglich der Einstellung zur Inklusion sowie der Kooperationszufriedenheit identifizieren? 2. Welche Profile von Unterrichtteams (RLK und SLK) lassen sich bezüglich der Kooperationsintensität, der Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen und der Anzahl Förderlektionen identifizieren? Methode Die Stichprobe umfasst N = 79 Unterrichtsteams (N = 173 Lehrkräfte, RLK: n = 102, SLK: n = 71) aus inklusiven Klassen (2. - 4. Jahrgang). Instrumente Mit den Lehrkräften wurden zwei Mal nach einem Unterrichtsbesuch Einzelinterviews zur Kooperationsintensität und zur Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen geführt und die Aussagen wurden eingeschätzt. Kooperationsintensität: Einzelinterview (z.B. Wie teilt ihr euch die Verantwortung für die Förderung von xy auf?). Einschätzung auf Teamebene in welcher Intensität die gemeinsame Unterrichtsplanung und -reflexion erfolgt (1 = Informationsaustauch, 2 = arbeitsteilige Kooperation, 3 = kokonstruktive Kooperation; Übereinstimmung g = .77). Umsetzung gemeinsamer Lernsituationen: Einzelinterview (z.B. Heute habt ihr die Klasse aufgeteilt und deine Kollegin ging in den Gruppenraum. Arbeitet ihr häufig in dieser Form zusammen? Einschätzung auf Teamebene, wie häufig gemeinsame Lernsituationen umgesetzt werden (1 = sehr separativ bis 4 = sehr inklusiv; Übereinstimmung g =.91). Einstellung zur Inklusion: Fragebogen Attitudes towards the inclusion of students with SEN (AIS) (Sharma & Jacobs, 2016, 8 Items, αRLK = .83, αSLK = .63) Kooperationszufriedenheit: Fragebogen zur Arbeit im Team (FAT) (Gebhard et al., 2014, 10 Items, αRLK = .84, αSLK = .83f) Anzahl Förderlektionen: Fragebogen Analyse: zwei Clusteranalysen nach Ward, Kriterien und Prüfung der Clusteranalyse nach Bacher et al. (2010), Kontingenzanalysen. Variablen Ebene Individuum: Einstellung zur Inklusion, Kooperationszufriedenheit Variablen Ebene Team: Umsetzung gemeinsamer Lernsituationen, Kooperationsintensität, Anzahl Förderlektionen Ergebnisse Ebene Individuum: Die Clusteranalyse ergab drei Gruppen von Lehrkräften: Inklusionsbefürwortend-sehr zufrieden; inklusionsambivalent-sehr zufrieden; und eher inklusionskritisch-moderat zufrieden. Ebene Team: Es konnten vier Cluster identifiziert werden: Cluster 1: eher wenig gemeinsame Lernsituationen, arbeitsteilige Kooperation, moderate Ressourcen Cluster 2: gemeinsame Lernsituationen/Separation ausgeglichen, arbeitsteilige Kooperation, viel Ressourcen Cluster 3: eher viel gemeinsame Lernsituationen, arbeitsteilige Kooperation, moderate Ressourcen Cluster 4: eher viel gemeinsame Lernsituationen, kokonstruktive Kooperation, moderate Ressourcen. Auf Individualebene ist interessant, dass Lehrkräfte trotz unterschiedlicher Einstellung zur Inklusion mit der Zusammenarbeit zufrieden sein können. Auf Teamebene fällt auf, dass die arbeitsteilige Kooperation in drei Clustern vorkommt und zu dominieren scheint, dass diese jedoch mit einer unterschiedlichen Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen einhergeht. Mögliche Gründe für diese Ergebnisse werden im Symposium diskutiert. Die Überzeugungen von Lehrkräfteteams beim Umgang mit Leistungsheterogenität im inklusiven Mathematikunterricht Theoretischer Hintergrund Studien haben gezeigt, dass sich die Überzeugungen von Lehrkräften auf die Unterrichtsgestaltung auswirken bzw. dass sich die Überzeugungen in der Unterrichtsgestaltung manifestieren (Gheyssens et al., 2020; Jordan, 2018; Prediger & Buró, 2021; Reusser & Pauli, 2014). Zur Untersuchung dieser Überzeugungen stellen sich im inklusiven Unterricht, in dem eine Regellehrkraft (RLK) und eine sonderpädagogische Lehrkraft (SLK) gemeinsam unterrichten, besondere Herausforderungen. Die Unterrichtsgestaltung wird von den Überzeugungen beider Lehrkräfte beeinflusst. Dadurch entstehen immer wieder neue Dynamiken, sodass sich kaum bestimmen lässt, welchen Einfluss die einzelne Lehrkraft auf den Unterricht und das Lernen der Schüler*innen hat (Lindacher, 2021). Diese komplexe Situation wird auch als nested instruction bezeichnet (Jones & Brownell, 2014). Welche Überzeugungen der einzelnen Teammitglieder für die gemeinsame Gestaltung inklusiven Unterrichts und die Kooperationsintensität (Grosche et al., 2020) von Bedeutung sind, wurde bislang noch nicht untersucht. Dies erfolgt in dieser Studie am Beispiel der herausfordernden Thematik des Umgangs mit Leistungsheterogenität, die im inklusiven Unterricht besonders bedeutsam ist (Hahn, 2020). Fragestellungen 1. Welche Überzeugungen zeigen sich in Teams von RLK und SLK, wenn sie berichten, wie sie mit der Leistungsheterogenität in ihrer Klasse umgehen? 2. Wie unterscheiden sich die Überzeugungen der Lehrkräfte innerhalb der einzelnen Teams und zeigt sich ein Zusammenhang mit der gemeinsamen Unterrichtsgestaltung und der Kooperationsintensität? Methode Die Forschungsfrage erfordert einen Zugang, der es ermöglicht, die Überzeugungen beider Lehrkräfte im Kontext ihrer Unterrichtsgestaltung sowie die entstehende Dynamik zu erfassen. Gewählt wurde deshalb eine Kombination von Unterrichtsbeobachtung und anschließender Befragung. Teams bestehend aus einer RLK und einer SLK, die in einer inklusiven Klasse (Jahrgangstufe 2-4) unterrichteten, wurden im Anschluss an die Beobachtung einer Mathematikstunden, in der die Lehrkräfte gemeinsam unterrichteten, zwei Mal (November/Dezember und Februar/März) mittels Leitfrageninterview zu ihrem Umgang mit Leistungsheterogenität befragt. Insgesamt wurden Interviews mit 79 Teams geführt. Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden die Interviews von fünf Teams (n = 10), die eine 3./4. Klasse unterrichten, mit einer inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring & Fenzl, 2019) analysiert. Ausgewählt wurden Teams, deren Interviews hohe Erzählanteile aufwiesen und die sich hinsichtlich der Beschreibung ihres Unterrichts unterschieden (z.B. in den Sozialformen oder in der Differenzierung mit Hilfe von Plänen, Arbeitsblättern oder Schulbuchaufgaben). Um die Überzeugungen der Lehrkräfte herauszuarbeiten, wurde induktiv ein Kategoriensystem erarbeitet, indem alle Äußerungen zum Thema Leistungsheterogenität von zwei Forschenden in Sinneinheiten gegliedert, paraphrasiert und anschließend interpretiert wurden. Die Kategorien wurden thematisch geordnet, kommunikativ validiert und an vier Interviews, die nicht in die Analysen einbezogen wurden, überprüft. Ergebnisse Die Analysen ergaben Überzeugungen zu fünf Themen: 1) Verantwortungsübernahme für die Lernenden, (2) Differenzierungsmaßnahmen, (3) Förderabsichten, (4) Rollenverständnis der Lehrkräfte und (5) Umgang mit Herausforderungen. Wie angenommen wurde, hängt die Unterrichtsgestaltung von den Überzeugungen beider Lehrkräfte ab. In nur zwei Teams stimmten die Überzeugungen von RLK und SLK überein, was aber nicht heißt, dass die Lehrkräfte auch gemeinsam unterrichten und intensiv kooperieren. Als besonders bedeutsam für einen gemeinsamen Unterricht, in dem RLK und SLK intensiv kooperieren und alle Lernenden gemeinsam unterrichten, erwiesen sich Überzeugungen hinsichtlich der Verantwortungsübernahme. Wenn sich die RLK für den Regelunterricht und die SLK für die besondere Förderung zuständig fühlte, führt das nicht nur zu einem getrennten Unterricht mit niedriger Kooperationsintensität, sondern auch dazu, dass die Kompetenzen der SLK nicht in den Unterricht eingebracht wurden. Diese Orientierung an den Professionen (RLK/SLK) spiegelte sich in den Überzeugungen von vier Teams wider. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass es wichtig ist, die „nested instruction“ zu berücksichtigen, wenn vertiefte Erkenntnisse zum inklusiven Unterricht gewonnen werden sollen. Forschungsmethodisch stellt sich dabei die Frage, inwieweit das induktiv erstellte Kategoriensystem genutzt werden kann, um Daten einer großen Stichprobe zu analysieren und die Perspektiven von gemeinsam unterrichtenden Lehrkräften herauszuarbeiten. |
13:10 - 14:50 | 5-10: Exekutive Funktionen und selbstreguliertes Lernen im Vor- und späten Grundschulalter (DFG-Netzwerk SeReNe) Ort: S26 |
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Symposium
Exekutive Funktionen und selbstreguliertes Lernen im Vor- und späten Grundschulalter (DFG-Netzwerk SeReNe) Mit dem Wechsel der Bildungseinrichtung, z.B. vom Kindergarten in die Grundschule oder von der Grund- in die weiterführende Schule, sind Kinder mit gesteigerten Anforderungen an ihr zielgerichtetes Verhalten konfrontiert (Obergriesser & Stoeger, 2016). Um diese Anforderungen meistern zu können, sind die Lernenden auf ihre Fähigkeiten in den exekutiven Funktionen (EF) und im selbstregulierten Lernen (SRL) angewiesen (z.B. Cortés Pascual et al., 2019; Dent & Koenka, 2016). EF werden als domänenunspezifische Prozesse zur zielgerichteten Überwachung und Kontrolle des eigenen Denkens und Handelns definiert (Miyake et al., 2000). SRL ist hingegen spezifisch im Kontext des Lernens von Bedeutung; es umfasst eigengesteuerte Kognitionen, Emotionen und Handlungen zur Erreichung selbstgesetzter Lernziele (Zimmerman, 2000). Beide Konstrukte beinhalten also Prozesse der zielgerichteten Planung und Kontrolle von Kognitionen und Verhalten. Entsprechend lassen sich auch empirische Zusammenhänge zwischen ihnen feststellen (z.B. Davis et al., 2021). Sowohl EF als auch SRL liefern einen Beitrag zur Vorhersage akademischer Ergebnisse über Intelligenz hinaus (z.B. Latzman et al., 2010; Zuffianò et al., 2013). Es ist folglich wichtig, diese Fähigkeiten in Altersgruppen, die sich in akademischen Übergangsphasen befinden, tiefergehend zu erforschen, um den Aufbau sowie die Entwicklung der Fähigkeiten in diesem Zeitraum besser nachvollziehen zu können. Weiterhin sind Studien zum Zusammenhang zwischen EF und SRL sowie zu ihrer Relation zu anderen für den akademischen Erfolg wichtigen Kompetenzen wünschenswert. Ein besseres Verständnis dieser Zusammenhänge ermöglicht beispielsweise die Ableitung von Interventionskonzepten mit möglichen Transfereffekten, die den Übergang von einer Bildungseinrichtung in die nächste erleichtern. Zusammengefasst adressiert das Symposium zwei übergeordnete Fragestellungen: (1) Wie lässt sich die Faktorenstruktur von EF und SRL im Vor- und Grundschulalter beschreiben? (2) Wie hängen EF und SRL bei Vor- und Grundschulkindern zusammen? Die ersten beiden Beiträge fokussieren dabei die erste oben genannte Fragestellung: Der erste Beitrag thematisiert die faktorielle Struktur von EF sowie den Zusammenhang der EF mit Intelligenz bei Vor- und Grundschulkindern. Die Autorinnen fanden Evidenz für eine einfaktorielle EF-Struktur in beiden untersuchten Kohorten. Außerdem zeigten sich in beiden Stichproben bedeutsame Zusammenhänge zu Intelligenz. Der zweite Beitrag beschäftigt sich mit der faktoriellen Struktur von SRL in den beiden Zielgruppen. Die vorläufigen Ergebnisse der Studie geben erste Hinweise auf eine einfaktorielle SRL-Struktur sowohl im Vorschulalter als auch im späten Grundschulalter. Beiträge drei und vier widmen sich der zweiten oben formulierten Fragestellung: Der dritte Beitrag fokussiert den Zusammenhang zwischen heißen, in motivationalen Situationen wichtigen EF (Zelazo & Carlson, 2012) und SRL im Vorschulalter sowie ihr Zusammenspiel bei der Vorhersage akademischer Kompetenz. Die Autorinnen fanden, dass SRL als Mediator zwischen heißen EF und akademischer Kompetenz agiert. Der vierte Beitrag beinhaltet eine derzeit laufende Studie zum Zusammenhang des Arbeitsgedächtnisses (AG) als EF-Komponente (Miyake et al., 2000) mit der Lernzielsetzung sowie der Zielerreichungsüberwachung als SRL-Prozesse (Zimmerman, 2000) bei Grundschulkindern. Den vorläufigen Ergebnissen zufolge geht eine höhere AG-Kapazität mit realistischerer Zielsetzung und einer genaueren Zielerreichungsüberwachung einher. Abschließend werden die vier Beiträge integrierend diskutiert. Zusammenfassend leistet das Symposium einen Beitrag zum besseren Verständnis von EF und SRL als für den Bildungserfolg hochbedeutsame Kompetenzen. Es liefert Hinweise sowohl auf ihre faktorielle Struktur als auch auf ihre Beziehung miteinander sowie mit anderen Fähigkeiten. Dabei werden unterschiedliche Altersgruppen in den Blick genommen, die sich in akademischen Übergangsphasen befinden und deren EF- und SRL-Kompetenzen hierdurch besonders gefordert sind. Beiträge des Symposiums Die faktorielle Struktur von Exekutiven Funktionen im Vor- und Grundschulalter und Zusammenhänge mit Intelligenz In der psychologischen Forschung sind Exekutive Funktionen (EF) aufgrund ihrer Relevanz für verschiedene Entwicklungsbereiche, etwa akademische Kompetenzen, von ungebrochenem Interesse (Best et al., 2011). Unter EF werden mentale Prozesse zur zielgerichteten Steuerung und Kontrolle von Kognitionen und Verhalten subsumiert (Friedman & Miyake, 2017; Karbach & Unger, 2014). Miyake et al. (2000) postulieren drei distinkte, aber korrelierte EF-Komponenten: Das Arbeitsgedächtnis, die Fähigkeit zur Inhibition und kognitive Flexibilität. Im Kindesalter liegen kontroverse Befunde im Hinblick auf die Struktur von EF vor. Studien mit Vorschulkindern legen überwiegend eine einfaktorielle (z.B. Wiebe et al., 2008), seltener auch eine zweifaktorielle Struktur des Konstrukts nahe (z.B. Usai et al., 2014). Im Grundschulalter liegen Hinweise auf eine ein-, zwei- und dreifaktorielle Struktur von EF vor (z.B. Lee et al., 2012; Lehto et al., 2003; Xu et al., 2013). Überdies konnten altersbedingte Unterschiede im Zusammenhang von EF mit anderen kognitiven Konstrukten, etwa fluider Intelligenz, gefunden werden. Empirische Studien deuten auf eine starke Überlappung im frühen Kindesalter hin (z.B. Nelson et al., 2016), während sich in der späten Kindheit differenzielle Beziehungen zeigen (z.B. Duan et al., 2010). Vor dem Hintergrund dieser heterogenen Befunde wurde eine vergleichende Analyse der Struktur von EF und Beziehungen des Konstrukts mit fluider Intelligenz in zwei Altersgruppen durchgeführt. 177 Vorschulkinder (MAlter = 5.9 Jahre, SDAlter = 0.39, RangeAlter = 5.0 - 6.75 Jahre, 49.4 % weiblich) und 135 Grundschulkinder (MAlter = 9.9 Jahre, SDAlter = 0.51, RangeAlter = 8.8 – 11.8 Jahre, 48.8 % weiblich) nahmen an der Erhebung teil. Zur Erfassung von EF wurden für jede Komponente zwei behaviorale Aufgaben verwendet (Arbeitsgedächtnis: eine verbale und eine visuell-räumliche Spannenaufgabe; Inhibition: Go/No-Go-Aufgabe und eine AX – Continuous Performance Task; Flexibilität: Wisconsin Card Sorting Tests und der Flexible Item Selection Task). Fluide Intelligenz wurde mit dem Subtest „Muster ergänzen“ aus der K-ABC-II erhoben. Konfirmatorische Faktorenanalysen zeigten, dass jeweils ein einfaktorielles Modell, in welchem alle sechs Indikatoren der EF-Aufgaben auf einen gemeinsamen Faktor laden, die Variabilität in der Performanz in der Vorschulkohorte (N = 145, χ2(df = 9) = 10.43, p = .32, CFI = .98, RMSEA = .03, SRMR = .04) und auch in der Grundschulkohorte (N = 109, χ2(df = 8) = 8.55, p = .38, CFI = .98, RMSEA = .03, SRMR = .04) am besten repräsentierte. Im multiplen Gruppenvergleich zeigte ein konfirmatorisches Faktorenmodell mit metrischer Messinvarianz (Δχ2(df = 5) = 10.08, p = .07), dass zwischen dem latenten EF-Faktor und fluider Intelligenz äquivalente Beziehungen in den beiden Altersgruppen bestehen (N = 254, χ2(df = 31) = 37.56, p = .19, CFI = .97, RMSEA = .04, SRMR = .06). Die Stärke des Zusammenhangs war hoch in der Altersgruppe der Vorschulkinder (r = .69) und Grundschulkinder (r =. 65). Der Befund zur Struktur von EF steht in der Vorschulkohorte in Einklang mit zahlreichen Befunden in dieser Altersgruppe (z.B. Wiebe et al., 2008). Der Befund zur Grundschulkohorte deutet darauf hin, dass eine Differenzierung in mehrere EF-Komponenten erst nach dem Grundschulalter erfolgt (z.B. Xu et al., 2013). Konträre Vorbefunde einer mehrfaktoriellen Struktur im Vor- und Grundschulalter sind vor allem vor dem Hintergrund unterschiedlicher methodischer Ansätze zu erklären, welche insbesondere die Auswahl der Messinstrumente und Indikatoren sowie Stichprobencharakteristika betreffen (Bardikoff & Sabbagh, 2017). Die Untersuchung von Stichproben mit großen Altersunterschieden hat in vergangenen Studien möglicherweise dazu geführt, dass sparsamere Faktorenmodelle nicht angenommen wurden (z.B. Lehto et al., 2003). Der Zusammenhang zwischen EF und Intelligenz war stabil über verschiedene Altersgruppen hinweg, was die Bedeutung von EF im Kindesalter aufzeigt. Analyse der faktoriellen Struktur selbstregulierten Lernens im Vor- und Grundschulalter Selbstreguliertes Lernen (SRL) kann definiert werden als „aktiver, konstruktiver Prozess, bei dem sich die Lernende Ziele für ihr Lernen setzen und dann versuchen, ihre Wahrnehmung, ihre Motivation und ihr Verhalten zu überwachen, zu regulieren und zu kontrollieren“ (Pintrich, 2000, S. 453). In Übereinstimmung mit dieser Definition, sind sich die meisten Autor:innen einig, dass sich SRL aus drei Komponenten (Kognition, Metakognition und Motivation) zusammensetzt (Perels et al., 2020). Obwohl diese allgemeine Annahme besteht, gibt es vor allem im Vor- und Grundschulalter nur wenig empirische Evidenz zur faktoriellen Struktur SRLs. Vorschulkinder zeigen bereits erste selbstregulative Fähigkeiten (z.B. Bronson, 2000; Neitzel & Connor, 2018). So können sie z.B. in Ansätzen ihr Verhalten planen, ihren Fortschritt bei der Aufgabenbearbeitung beobachten und Strategien zur Problemlösung nutzen. Empirisch gibt es erste Hinweise dafür, dass eine Differenzierung SRLs in die drei Komponenten Kognition, Metakognition und Motivation allerdings noch nicht möglich ist (Dörr & Perels, 2018). Da sich metakognitive Bewusstheit und auch die deklarative Metakognition besonders im Grundschulalter entwickeln (Bronson, 2000; Schneider & Lockl, 2008), wäre im Vorschulalter auch eine zwei-faktorielle Struktur, bestehend aus einer (meta-)kognitiven und einer motivationalen Komponente, nicht auszuschließen ist. In der Grundschulzeit erlangen die Kinder die Fähigkeit zur bewussten Kontrolle von Aufmerksamkeit, Planung und Strategienutzung (Bronson, 2000). Zudem hängt die Entwicklung von Wissen, Strategienutzung und Sprachfertigkeiten mit der Entwicklung von SRL zusammen (Wigfield et al., 2011). Studien in diesem Kontext geben erste Hinweise darauf, dass eine Konzeptualisierung von SRL als Konstrukt mit mehreren Komponenten und auch Phasen möglich ist (z.B. Benick et al., 2018; Ferreira et al. 2015; Ferreira et al., 2022). Die systematische Überprüfung einer dreifaktoriellen Struktur SRLs mit den Komponenten Kognition, Metakognition und Motivation stellt jedoch noch eine Forschungslücke dar. Um die empirische Befundlage zu erweitern, ist es das Ziel der Studie, die faktorielle Struktur von SRL im Vor- und Grundschulalter querschnittlich zu untersuchen. Dabei wird im Vorschulalter eine einfaktorielle Struktur erwartet, wohingegen in der Grundschulkohorte eine drei-faktorielle Struktur SRLs mit den Komponenten Kognition, Metakognition und Motivation angenommen wird. In der derzeit laufenden Studie wird SRL bei Vor- und Grundschulkindern mittels einer adaptierten Version eines SRL-Strategiewissenstests für Studierende (Dörrenbächer-Ulrich et al., 2021) gemessen, bei dem die Nützlichkeit hilfreicher und nicht hilfreicher Strategien für ein bestimmtes Szenario bewertet werden muss. Die Szenarien stellen dabei Problemsituationen dar, deren Lösungsstrategien, laut eines Expertenratings, einer der drei Komponenten (Kognition, Metakognition und Motivation) zugeordnet werden können. In der vorläufigen Stichprobe von n = 153 Vorschulkindern (MAlter = 71.0 M., SDAlter = 4.53 M., 50.98 % weiblich) und n = 97 Grundschulkindern (MAlter = 118.7 M., SDAlter = 5.86 M., 51.55 % weiblich), weisen die auf den Komponenten basierenden Subskalen akzeptabel Reliabilitäten auf (Cronbach’s α = .65 - .78). Zur Beantwortung der Forschungsfragen werden in den beiden Kohorten konfirmatorische Faktorenanalysen durchgeführt und auf Basis ihrer Modell-Fits verglichen: Sowohl in der Vorschul- als auch in der Grundschulkohorte wird ein Modell mit einem latenten SRL-Faktor und den Werten aller Szenarien als Indikatoren, mit einem Modell mit drei latenten Faktoren (Kognition, Metakognition und Motivation), die durch die Werte der korrespondierenden Szenarien indiziert werden, verglichen. Zudem wird in der Vorschulkohorte die Modellpassung eines Modells mit zwei latenten Faktoren erster Ordnung ((Meta-)Kognition und Motivation), welche durch die Paarvergleichswerte der korrespondierenden Szenarien indiziert werden, mit den beiden bereits genannten Modellen verglichen. Die vorläufigen Ergebnisse deuten auf eine einfaktorielle Struktur SRLs im Vorschulalter (χ2 = 39.21, df = 42, p = .594, CFI = 1.00, RMSEA = .00, SRMR = .04) als auch im Grundschulalter (χ2 = 41.77, df = 42, p = .481, CFI = 1.00, RMSEA = .00, SRMR = .06) hin. Mögliche Erklärungsansätze für diese Ergebnisse werden diskutiert. Zusammenhänge zwischen vorschulischen heißen exekutiven Funktionen, selbstreguliertem Lernen und akademischer Kompetenz Während mit dem Begriff exekutive Funktionen (EF) allgemeine Prozesse der zielorientierten Kognitions- und Verhaltenssteuerung beschrieben werden (Karbach & Unger, 2014), bezeichnet das Konstrukt des selbstregulierten Lernens eigengesteuerte Prozesse zur zielgerichteten Gedanken-, Verhaltens- und Motivationsregulierung im Lernkontext (Zimmerman & Schunk, 2011). Bereits aus den Definitionen wird die konzeptuelle Überschneidung der beiden Konstrukte deutlich. Auch empirisch konnten Zusammenhänge zwischen EF und SRL gefunden werden (z.B. Garner, 2009). Da sich in beiden Kompetenzen bedeutsame Entwicklungsschritte im Vorschulalter zeigen (z.B. Bronson, 2000; Carlson et al., 2005), stellt sich die Frage, welche Fähigkeit als Vorläuferkompetenz der anderen angesehen werden kann. Erste theoretische und empirische Arbeiten hierzu (Bailey & Jones, 2019; Davis et al., 2021) legen nahe, dass EF die Entwicklungsgrundlage für SRL darstellen. Da beide Konstrukte bedeutsam zur Vorhersage akademischer Kompetenzen beitragen (z.B. Cortés Pascual et al., 2019; Dent & Koenka, 2016), soll mit der vorliegenden Arbeit einerseits überprüft werden, ob sich die berichteten Vorhersagebefunde zwischen EF, SRL und akademischer Kompetenz replizieren lassen. Andererseits soll untersucht werden, ob SRL den Zusammenhang zwischen EF und akademischer Kompetenz mediiert. Evidenz für die angenommene Mediation konnte in ersten Studien gefunden werden, die mit Grundschulkindern durchgeführt wurden (Neuenschwander et al., 2012; Rutherford et al., 2018). Dabei wurden allerdings kühle EF, die in affektiv neutralen Situationen von Bedeutung sind (Zelazo & Carlson, 2012), als Prädiktoren in die Vorhersagemodelle aufgenommen. Das Lernen in der (Vor-)Schule findet jedoch auch in einem emotional-motivationalen Kontext statt – Kinder erwarten bspw. Lob von Erziehungs- und Lehrkräften für ihre Lernleistung. Deshalb zielt die vorliegende Studie darauf ab, die Gültigkeit des Modells in einer Vorschulkohorte und bei Annahme heißer EF, die in emotional-motivational angereicherten Situationen wichtig sind (Zelazo & Carlson, 2012), als Prädiktoren zu prüfen. Hierfür wurden n = 77 Vorschulkinder (MAlter = 71.61 Monate, SD = 4.13; 51.9% Mädchen) multimethodal erhoben. Heiße EF wurden dabei über zwei Maße der Geschenkaufgabe (Kochanska et al., 2000) erfasst. Zur Messung von SRL wurde eine Überarbeitung des SRL-Strategiewissenstests von Jacob et al. (2019) sowie ein Elternrating mittels COMPSCALE (Lange et al., 1989) genutzt. Die akademische Kompetenz wurde durch eine Adaptation des Tests Logisch-Mathematisches Denken der IDS-2 (Grob & Hagmann-von Arx, 2018) sowie eine selbst konstruierte Elternrating-Kurzskala zum erwarteten Schulerfolg gemessen. Die beiden Maße für je ein Konstrukt wurden z-standardisiert und dann zusammengefasst, indem der Mittelwert aus beiden z-Werten gebildet wurde. Somit lag für die Datenanalysen ein Wert pro Konstrukt vor. Die Datenanalysen zeigten eine teilweise Übereinstimmung mit den oben genannten Hypothesen: Die Ergebnisse sprechen für SRL als Prädiktor für akademische Kompetenz sowie für heiße EF als Prädiktoren für SRL, jedoch nicht für heiße EF als Prädiktoren für akademische Kompetenz. Trotz dieses fehlenden direkten Effekts von heißen EF auf akademische Kompetenz fanden wir einen signifikanten indirekten Effekt von heißen EF auf akademische Kompetenz via SRL. SRL kann folglich bei Vorschulkindern als Mediator zwischen heißen EF und akademischer Kompetenz angenommen werden. Die Tatsache, dass ein indirekter Effekt gefunden wurde, legt nahe, dass es auch einen direkten Effekt von heißen EF auf akademische Kompetenz gibt, der jedoch unterpowert getestet wurde (Rucker et al., 2011). Dies könnte möglichweise durch Deckeneffekte bedingt sein, die sowohl für die beiden Maße heißer exekutiver Funktionen als auch für das Elternrating zum erwarteten Schulerfolg gefunden wurden. Künftige Forschung zu den Zusammenhängen zwischen heißen EF, SRL und akademischer Kompetenz sollte daher Maße für heiße EF und akademische Kompetenz einbeziehen, die ausreichend Varianz erzeugen und somit auch die Aufdeckung direkter Zusammenhänge ermöglichen. Die Rolle des Arbeitsgedächtnisses für die Überwachung der Zielerreichung und das Setzen realistischer Ziele beim Lernen Eine wichtige Fähigkeit beim selbstregulierten Lernen ist das Setzen von Zielen und die regelmäßige Überprüfung ihrer Erreichung (Zimmerman, 2000). Eine akkurate Einschätzung, ob ein Ziel erreicht oder verfehlt wurde, ist von entscheidender Bedeutung, da es den Lernenden ermöglicht, sich realistische Ziele zu setzen. Wenn ein Ziel beispielsweise nicht erreicht wurde, kann es anschließend so angepasst werden, dass es dem eigenen Leistungsniveau entspricht (Theobald et al., 2021). Besonders bei jüngeren Kindern kommt es jedoch häufig zu einer Überschätzung der eigenen Leistungen (z. B. Finn & Metcalfe, 2014). Hierdurch kann eine unzutreffende Einschätzung der Zielerreichung und eine unrealistische Zielsetzung entstehen. Eine akkurate Selbsteinschätzung erfordert einen Abgleich zwischen dem Ziel und der tatsächlichen Leistung. Diese Fähigkeit kann von individuellen Unterschieden in der Arbeitsgedächtniskapazität abhängen (Roebers, 2017). Die Arbeitsgedächtniskapazität beschreibt die Fähigkeit, Informationen im Kopf zu behalten und zu verarbeiten (Diamond, 2013). Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass eine hohe Arbeitsgedächtniskapazität mit allgemein besseren metakognitiven Fähigkeiten einhergeht (z. B. Bryce et al., 2015), wurde der Zusammenhang zwischen Arbeitsgedächtniskapazität und der akkuraten Einschätzung der Zielerreichung noch nicht untersucht. Es ist zudem unklar, ob Kinder mit höherer Arbeitsgedächtniskapazität eher in der Lage sind, sich realistischere Ziele zu setzen, also Ziele, die ihrem eigenen Leistungsniveau entsprechen. Ausgehend von der bisherigen Forschung werden daher folgende Hypothesen geprüft: H1: Eine höhere Arbeitsgedächtniskapazität sagt eine akkuratere Einschätzung der Zielerreichung vorher. H2: Eine höhere Arbeitsgedächtniskapazität sagt eine realistischere Zielsetzung vorher. Zudem wird im Rahmen der experimentellen Studie eine explorative Hypothese geprüft. Diese umfasst die Frage, ob Feedback zur eigenen Leistung (vs. kein Feedback), insbesondere Kindern mit niedrigen Arbeitsgedächtniskapazitäten zu einer akkurateren Selbsteinschätzung und realistischeren Zielsetzung verhilft. Die präregistrierten Hypothesen werden im Rahmen einer laufenden Studie mit Grundschulkindern getestet (aktuell: N = 80, Alter: M = 10.31 Jahre, SD = .88). Bis zur Konferenz wird die vorgesehene Stichprobengröße von 112 Kindern erreicht. Die Studie besteht aus 6 Blöcken, die alle gleich aufgebaut sind. Vor jedem Block setzen sich die Kinder ein Ziel, wie viele Multiple-Choice-Quizfragen sie korrekt lösen möchten (max. 15 Fragen pro Block aus den Bereichen Deutsch, Mathematik und Allgemeinwissen). Anschließend beantworten die Kinder die Multiple-Choice-Quizfragen in einem Zeitraum von 2 Minuten. Sie schätzen nach jedem Block, wie viele Fragen sie richtig beantwortet haben. Anschließend bekommen sie abhängig von den Experimentbedingungen Feedback oder kein Feedback zu ihrer Leistung. Die Akkuratheit der Einschätzung wird durch die Differenz zwischen der Selbsteinschätzung und der tatsächlichen Leistung operationalisiert (geringere Differenzen implizieren eine akkuratere Selbsteinschätzung). Eine realistische Zielsetzung wird durch die Differenz zwischen Ziel und tatsächlicher Leistung operationalisiert (betragsmäßig kleinere Abweichungen implizieren eine realistischere Zielsetzung). Nach der Haupttestung bearbeiten die Kinder eine numerische Arbeitsgedächtnisaufgabe (vgl. Dirk & Schmiedek, 2016) zur Erfassung der Arbeitsgedächtniskapazität. Die Daten wurden mehrebenenanalytisch ausgewertet. Kinder mit höherer Arbeitsgedächtniskapazität schätzen ihre Zielerreichung akkurater ein (geringere Differenz zwischen selbst eingeschätzter und tatsächlicher Leistung, ß = .22, 95%CI[.03, .41], p = .030). Kinder mit höherer Arbeitsgedächtniskapazität sind zudem besser darin, sich Ziele zu setzen, die sie auch erreichen können (geringere Differenz zwischen Ziel und tatsächlicher Leistung, ß = .25, 95%CI[.05, .46], p = .018). Bezüglich der explorativen Forschungsfrage zeigt sich ein Trend in die erwartete Richtung. Kinder mit geringerer Arbeitsgedächtniskapazität scheinen in Bezug auf die Einschätzung der Zielerreichung (ß = -.16, 95%CI[-.34, .01], p = .068) sowie das Setzen realistischer Ziele (ß = -.14, 95%CI[-.34, .06], p = .175) stärker von Feedback zu profitieren. Die Analysen werden bis zur Konferenz mit der vollständigen Stichprobe wiederholt. Die bisherigen Ergebnisse bestätigen die präregistrierten Hypothesen. Die Ergebnisse der Studie können dazu genutzt werden, Kinder mit niedrigerer Arbeitsgedächtniskapazität gezielt in ihrer Selbsteinschätzung zu unterstützen, um ihre Fähigkeit zur Selbstregulation zu fördern (möglicherweise indem ihnen Feedback zur eigenen Leistung gegeben wird). |
15:20 - 17:00 | 6-10: „Alle dabei“ bei Inklusion? Inklusive Schulentwicklung von, für und mit Lehrkräften, Schüler:innen und Eltern Ort: S26 |
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Symposium
„Alle dabei“ bei Inklusion? Inklusive Schulentwicklung von, für und mit Lehrkräften, Schüler:innen und Eltern Die Gestaltung eines inklusiven Schulsystems gehört zu den großen Reformvorhaben der heutigen Zeit, an dem Lehrkräfte und weiteres Schulpersonal, Schüler:innen und Eltern beteiligt sind. Entsprechend wurden Gelingensbedingungen einer inklusiven Schulentwicklung in den letzten Jahren in zahlreichen Forschungsprojekten thematisiert (bspw. INSIDE, BiLieF, EiBiSch). Ziel dieses Symposiums ist es, empirische Befunde der Inklusionsforschung zu verschiedenen Akteursgruppen zusammen zu bringen und ihre Bedeutung für die weitere Forschung und für die Praxis zu diskutieren. Gemeinsame Datengrundlage aller Beiträge ist das Projekt BiFoKi – Bielefelder Fortbildungskonzept zur Kooperation an inklusiven Schulen. In BiFoKi wurde eine modular aufgebaute Fortbildung entwickelt und in 28 inklusiven Gesamt- und Sekundarschulen in Nordrhein-Westfalen implementiert. Die Fortbildungsmodule richteten sich an Schulleitungen, Jahrgangsteams (Lehrkräfte, Schulbegleitungen, Schulsozialarbeiter:innen usw.) und Eltern der Schüler:innen der fünften Jahrgänge. Die Fortbildung wurde auf Basis längsschnittlicher Datenerhebungen bei Schulleitungen, Lehrkräften, Schüler:innen und Eltern der teilnehmenden Schulen evaluiert und fokussierte u.a. die psychosoziale und Leistungsentwicklung der Kinder, Merkmale des Unterrichts, Einstellungen und Rollenverteilungen der Lehrkräfte sowie Einschätzungen der und Motivation zur Kooperation zwischen Eltern und Schulen. Die Beiträge adressieren ausgewählte Einflussfaktoren aus dem zugrundeliegenden Prozessmodell, welches, angelehnt an das Angebots-Nutzungs-Modell (Helmke, 2017), Einflussfaktoren, Mediatoren und Outcomes modelliert. Im ersten Beitrag steht die Einstellung der Lehrkräfte zur Inklusion im Mittelpunkt, die in der Literatur häufig als neuralgischer (Ansatz-)Punkt für Inklusion verstanden wird. Die Befunde zeigen jedoch zunächst keine längsschnittliche prädiktive Validität für das Wohlbefinden der Kinder und stellen damit die Relevanz von Einstellungen als Prädiktor für gelingende Inklusion in Frage. Ein längsschnittlicher Effekt von Einstellungen auf das Wohlbefinden der Schüler:innen scheint vielmehr abhängig zu sein von der inklusionsbezogenen Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte. Aus der Perspektive der Schüler:innen untersucht der zweite Beitrag die Fragen, inwiefern wichtige Merkmale der sozialen Lernumwelt (Angenommensein durch Lehrkräfte, Sozial- und Klassenklima, usw.) und der Unterrichtsqualität (Anspruchsniveau und Individualisierung) bei Schüler:innen mit und ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf gleichermaßen valide und reliabel erfasst werden können, und inwiefern sich ihre Einschätzungen unterscheiden. Erste Auswertungen zeigen eine reliable und vergleichbare Messung sowie Unterschiede zwischen Schüler:innen mit und ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf. Im dritten Beitrag wird eine gelingende Kooperation zwischen Schule und Eltern als zentrales Ziel inklusiver Schulentwicklung fokussiert. Ausgehend vom Modell des elterlichen Schulengagements wurde untersucht, inwiefern sich Eltern von Kindern mit versus ohne Unterstützungsbedarf in ihrer Einschätzung der Qualität der Kooperation (bspw. Willkommens- und Begegnungskultur) unterscheiden und welche Rolle diese für die erwartungs-wert-theoretisch konzeptualisierte elterliche Motivation zur Kooperation spielt. Die Ergebnisse zeigen für beide Elterngruppen gleichermaßen die erwarteten positiven Zusammenhänge zwischen wahrgenommener Kooperationsqualität und Motivation zur Kooperation, allerdings beurteilen Eltern von Schüler:innen mit Lernschwierigkeiten die Willkommens- und Begegnungskultur negativer als Eltern von Schüler:innen ohne Unterstützungsbedarf. Ebenfalls aus der Perspektive der Erwartungs-Wert-Theorie geht der vierte Beitrag der Frage nach, welche Faktoren Eltern dazu bewegen (können), sich im Rahmen des Elternmoduls der Fortbildung mit der Kooperation zwischen Schule und Familie auseinanderzusetzen. Konkret wurde die elterliche Motivation zur Teilnahme am Eltern-Workshop untersucht und u.a. die kindliche Leseleistung im Vergleich zu den Mitschüler:innen (i.S.v. einer über-/unterdurchschnittlichen Leistung) erstmals als Prädiktor modelliert, um die Hypothese zu prüfen, dass eine Überforderung des Kindes die Eltern-Schule-Kooperation beeinträchtigt. Die Ergebnisse stützen diese Annahme jedoch nicht; vielmehr erweisen sich die Motivation zur Kooperation, der elterliche sozio-ökonomische Status sowie eine nicht-deutsche Familiensprache als bedeutende Prädiktoren. Anknüpfend an die empirischen Beiträge nehmen die Autorinnen des fünften Beitrags eine Meta-Perspektive auf das BiFoKi-Projekt ein und erörtern Einsichten a) zur Veränderbarkeit von Kooperationsbeziehungen an weiterführenden inklusiven Schulen sowie b) zu Zusammenhängen zwischen den Kooperationspraktiken von Schulen und ihrer breit gefassten Leistungsfähigkeit. Ansätze und Erträge sowie Limitationen des BiFoKi Projektes, auch im Vergleich mit anderen Forschungsprojekten zur Umsetzung schulischer Inklusion (bspw. die INSIDE Studie), werden daran anschließend von Dr. C. Gresch diskutiert. Beiträge des Symposiums Wie gelingt Inklusion für alle? Das Wohlbefinden von Kindern in inklusiven Schulen und die Rolle der inklusionsbezogenen Einstellung und Selbstwirksamkeitserwartung von Lehrkräften Das schulische Wohlbefinden aller Schüler*innen stellt ein Bildungsziel dar (Venetz 2015; Wang et al. 1990) und ist eng verbunden mit deren mentaler Gesundheit (Bryan et al. 2004; Singh et al. 2014). Deshalb gilt es gerade nach dem Übergang von der Grundschule auf eine weiterführende Schule, eine positive psychosoziale Entwicklung aller Schüler*innen der fünften Klassen zu fördern. Insbesondere bei inklusiven Schulen stellt sich die Frage, ob Einstellung (nach De Boer 2012: Standpunkte bzw. Dispositionen eines Individuums gegenüber einem Einstellungsobjekt) zu Inklusion, die häufig als zentrale Gelingensbedingung für inklusiven Unterricht angesehen wird (Avramidis und Norwich 2002; Beacham und Rouse 2012; Ruberg und Porsch 2017), auch Auswirkungen auf das Wohlbefinden hat. Ziel der vorliegenden Studie ist es, auf Grundlage der Theory of planned behavior (Ajzen 1991), der Rolle von fachlicher, sozialer, persönlicher Einstellung zu Inklusion seitens der Lehrkräfte für das Wohlbefinden von Schüler*innen nachzugehen. Zusätzlich untersuchen wir eine Interaktion von fachlicher bzw. sozialer und persönlicher Einstellungsdimension (inklusionsbezogene Selbstwirksamkeit). Die Stichprobe umfasste Angaben von 1873 Schüler*innen (Alter: M = 10.37 (SD = 0.59); 48.7% weiblich; Kinder mit SPF: n = 205) von 26 inklusiven Gesamtschulen, die am Anfang (t1) und am Ende der 5. Klasse (t2) schriftlich befragt wurden. Die Daten von N = 173 Lehrkräften des 5. Jahrgangs (davon Sonderpädagog*innen: n = 22) wurden mit einem Online-Survey erfasst. Die Einstellung zu Inklusion der Lehrkräfte wurden zu t1 mithilfe des EFI-L (Einstellungsfragebogen zur Inklusion, Lehrkräfte; Seifried und Heyl, 2016) dreidimensional (fachliche Förderung, soziale Integration, persönliche Bereitschaft/Selbstwirksamkeit) mit einer fünfstufigen Likert-Skala erfasst. Das Wohlbefinden der Kinder wurde zu zwei Messzeitpunkten in vier Dimensionen (subjektives Wohlbefinden, körperliches Wohlbefinden, positiver Aspekt, negativer Aspekt) mit einer fünfstufigen Likert-Skala erfasst (mit angepassten Items etablierter Messinstrumente: The KIDSCREEN Group 2004; Krause et al. 2004; Laurent et al. 1999; Rauer und Schuck 2004; Ravens-Sieberer und Bullinger 2000). Die Effekte der Einstellung auf das Wohlbefinden wurden mit Mehrebenenregressionanalysen für jede abhängige Variable getestet, sowohl querschnittlich als auch längsschnittlich (Level 1 = Schüler*innen, Level 2 = Schule). Geschlecht, kognitive Grundkompetenz, Gruppe (Experimental- / Kontrollgruppe) und sonderpädagogischer Förderbedarf sowie bei längsschnittlichen Analysen die jeweilige Ausprägung des Konstruktes zu t1 wurden als Kovariate aufgenommen. Alle Prädiktoren waren grand-mean zentriert und standardisiert. Wie erwartet, waren fachliche und soziale Einstellung zu Inklusion sowie Selbstwirksamkeit querschnittlich signifikante Prädiktoren des Wohlbefindens der Schüler*innen. Die Selbstwirksamkeit zeigte die größten Effektstärken. Die Längsschnittanalysen zeigten keine direkten Effekte der Einstellung auf das Wohlbefinden zum zweiten Messzeitpunkt (unter Kontrolle t1). Die Prüfung der prädiktiven Validität der Interaktion zwischen der fachlichen/sozialen Einstellungsdimensionen und der Selbstwirksamkeit zeigte sowohl querschnittlich als auch längsschnittlich signifikante Interaktionseffekte auf die Vorhersage von positivem Affekt, negativem Affekt und subjektivem Wohlbefinden (unter Kontrolle von t1). Es zeigten sich gegenläufige Effekte der Einstellung (d.h. ein positiver Effekt wurde verstärkt, wenn die Selbstwirksamkeit hoch war, kehrte sich aber ins Negative, wenn die Selbstwirksamkeit niedrig war) und einen negativen Effekt einer niedrigen Selbstwirksamkeit (d.h. die Einstellung hatte bei niedriger Selbstwirksamkeit einen negativen Effekt auf das Wohlbefinden). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Einstellung der Lehrkräfte zu Inklusion möglicherweise keinen direkten Einfluss auf die Entwicklung des Wohlbefindens hat, sondern durch die Selbstwirksamkeit moderiert wird. Die querschnittlich gezeigten direkten Effekte der fachlichen und sozialen Einstellung sind statistisch signifikant, werden jedoch durch die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte moderiert. Aufgrund der gezeigten potenziell nachteiligen Auswirkungen einer geringen Selbstwirksamkeit auf das Wohlbefinden der Schüler*innen sollte die Steigerung der Selbstwirksamkeit von Lehrkräften ein besonderer Schwerpunkt in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften sein. So sollte Lehrkräften bspw. die Möglichkeit gegeben werden, von positiven Beispielen zu lernen (Wang et al. 2004) und das Sammeln positiver Erfahrungen in integrativen Kontexten sollte durch günstige Arbeitsbedingungen und unterstützende Kollegien und Schulleitungen gefördert werden. Eltern von Schüler:innen mit und ohne Lernschwierigkeiten zur Zusammenarbeit mit der Schule motivieren – Welche Rolle spielen Kooperationsangebote an inklusiven Sekundarstufenschulen? Die Beteiligung von Eltern ist für die Umsetzung schulischer Inklusion zentral, da die (häusliche) Unterstützung durch die Eltern nicht nur die Lernfortschritte ihrer Kinder positiv beeinflussen kann (Hill & Tyson, 2009), sondern durch den Austausch von Informationen auch die Schaffung einer inklusiven Lernumgebung in der Schule gefördert wird (Hornby, 2010). Obwohl insbesondere Eltern von Schüler:innen (SuS) mit Lernschwierigkeiten (z. B. sonderpädagogische Förderbedarfe, Teilleistungsstörungen) zur Zusammenarbeit mit der Schule ihres Kindes bereit sind, fühlen sie sich vergleichsweise weniger willkommen, wodurch es nicht zuletzt zu Vertrauensverlusten, Verunsicherung und in der Folge zu einer Zurückhaltung in der Zusammenarbeit mit der Schule kommen kann (Yotyodying & Wild, 2019). Mit Blick auf die Erhöhung chancengleicher Teilhabe für alle SuS durch die Umsetzung schulischer Inklusion erscheint es insbesondere in der von Leistungsselektion geprägten Sekundarstufe essenziell, die Passung zwischen schulischen Kooperationsangeboten an inklusiven Schulen und den Bedürfnissen von Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten zu untersuchen. In diesem Beitrag wird daher der Frage nachgegangen, welche Rolle die von Eltern subjektiv wahrgenommenen schulischen Kooperationsangebote für die elterliche Motivation zur tatsächlichen Zusammenarbeit spielen. Ferner wird beleuchtet, ob sich für Eltern von SuS mit vs. ohne Lernschwierigkeiten verschiedene Formen von Kooperationsangeboten als bedeutsam erweisen. Basierend auf dem Modell des elterlichen Schulengagements beeinflussen vor allem persönliche Motivationsfaktoren der Eltern, Einladungen der Schule sowie familiäre Kontextfaktoren das aktive Elternengagement (Hoover-Dempsey et al., 2005). Als Einladungen der Schule werden eine vielfältige und respektvolle Kommunikation, ein inhaltlich qualitativer Austausch mit den Klassenlehrkräften sowie eine einladende Atmosphäre in der Schule („Willkommens- und Begegnungskultur“; Vodafone Stiftung Deutschland, 2013) verstanden, die nachweislich mit motivationalen Faktoren assoziiert sind (Whitaker & Hoover-Dempsey, 2013). In diesem Beitrag werden unter Berücksichtigung des motivationspsychologischen Ansatzes der Erwartungs-Wert-Theorie (Eccles & Wigfield, 2002) die persönlichen Motivationsfaktoren der Eltern über den subjektiven Wert (Intrinsischer Wert, Persönliche Bedeutung, Kosten) sowie die Erfolgserwartung der Eltern hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der Schule spezifiziert. An der im Rahmen des BiFoKi-Projektes durchgeführten Elternbefragung nahmen 881 Eltern bzw. Erziehungs- und Sorgeberechtigte (78.1 % Mütter, 11.3 % Väter, 8.4 % beide Elternteile) von SuS am Ende der fünften Klasse teil, davon 119 (13.5 %) Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten (sonderpädagogischer Förderschwerpunkt Lernen oder Teilleistungsstörung) sowie 43 (4,9 %) Eltern von SuS mit weiteren Förderschwerpunkten. Voranalysen bestätigen die Faktorenstruktur der Wertkomponenten sowie das Vorliegen starker Messinvarianz (Eltern von SuS mit vs. ohne Lernschwierigkeiten). Zur Überprüfung der angenommenen Zusammenhänge zwischen den Kooperationsangeboten Willkommens- und Begegnungskultur, vielfältige und respektvolle Kommunikation sowie Qualität der Eltern-Lehrkräfte-Kooperation und der persönlichen Motivation der Eltern zur Zusammenarbeit wurde ein Strukturgleichungsmodell spezifiziert. Zur Überprüfung möglicher Unterschiede in der Bedeutsamkeit der Kooperationsangebote wurden anschließend die Regressionsgewichte zwischen den Gruppen in einem Mehrgruppenstrukturgleichungsmodell gleichgesetzt. Mit den Ergebnissen kann nachgezeichnet werden, dass die Willkommens- und Begegnungskultur als Kooperationsform signifikant positiv mit der Erfolgserwartung der Eltern in Bezug auf die Kooperation zusammenhängt. Übereinstimmend mit vorliegenden Befunden beurteilen Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten die Willkommens- und Begegnungskultur negativer als Eltern von SuS ohne Unterstützungsbedarf. Die Qualität der Eltern-Lehrkräfte-Kooperation hängt positiv mit der Erfolgserwartung, geringer wahrgenommenen Kosten sowie mit dem Intrinsischen Wert zusammen. Der Intrinsische Wert ist ebenfalls bei den Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten niedriger ausgeprägt. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass sich die Zusammenhänge zwischen den verglichenen Gruppen nicht signifikant unterscheiden und für die Motivation der beiden Elterngruppen die direkte Kooperation mit den Lehrkräften ihres Kindes von besonderer Bedeutung ist. Dass Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten weniger Freude in der Zusammenarbeit mit der Schule erleben, könnte auf bisherige Erfahrungen (z. B. im Rahmen der Feststellungsdiagnostik) und eine Defizitorientierung in den bestehenden Kontakten zurückzuführen sein. Implikationen für die schulische Elternarbeit an inklusiven Schulen im Sekundarbereich werden diskutiert. Eltern in die Schule bringen – Welche Rolle spielen sozialer Hintergrund, Motivation zur Eltern-Schule-Kooperation und kindliche Schulleistung für die elterliche Teilnahmemotivation an einem Eltern-Workshop? Die Corona-Krise hat erneut gezeigt, wie entscheidend effektive Eltern-Schule-Kooperation (ESK) für den Lernerfolg von Schüler*innen ist. Empirische Studien zeigen positive Zusammenhänge zwischen dem schulischen sowie häuslichen Engagement von Eltern, einschließlich der Fähigkeit und Bereitschaft zur ESK und der psychosozialen, motivationalen und Kompetenzentwicklung ihrer Kinder (Fan & Chen, 2001; Gonzalez-DeHass et al., 2005; Wong et al., 2018). Es zeigt sich jedoch, dass Eltern mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status (SES), einem Migrationshintergrund und leistungsschwächeren Kindern weniger mit Lehrkräften und Schulpersonal kooperieren, obwohl ihnen ein erhöhter Unterstützungsbedarf zugeschrieben wird (Killus & Tillmann, 2012; Lee & Bowen, 2006). Desgleichen unterliegen Bemühungen zur Umsetzung von Elternbildungsangeboten und -trainings, die zur Förderung von ESK beitragen können, einem Präventionsdilemma, d.h. Eltern mit niedrigerem SES und einem Migrationshintergrund nehmen trotz erhöhtem zugeschriebenen Unterstützungsbedarf weniger daran teil (Bauer & Bittlingmayer, 2005). So besteht die Gefahr, dass präventive Angebote mit dem Ziel der Verringerung des Ressourcengefälles, im Gegenteil zu einem noch größeren Ressourcengefälle beitragen (Walper, 2021). Um dieses Phänomen besser zu verstehen, untersuchte die vorliegende Studie (N = 888, 86.9% weiblich) mit Rückgriff auf die Erwartungs-Wert-Theorie (Eccles & Wigfield, 2020) und mit Bezug auf einen kostenlosen, schulbasierten Eltern-Workshop zur Förderung von ESK (Wild et al., 2020), welche Rolle elterliche soziokulturelle Faktoren (SES über ISEI [Ganzeboom et al., 1992]; nicht-deutsche Familiensprache), ihre Motivation zur ESK (utilitaristischer, intrinsisch-persönlicher Wert) und die kindliche Leseleistung im Vergleich zu den Mitschüler*innen für den subjektiven Wert und die wahrgenommenen Kosten des Workshops spielen. Subjektiver Wert und Kosten wurden wiederum als Prädiktoren der elterlichen Teilnahmemotivation (i.S. einer Gesamtbewertung des Eltern-Workshops) und Teilnahmeintention am Eltern-Workshop angenommen. Mediationsanalysen zeigten, dass ein niedrigerer SES, eine nicht-deutsche Familiensprache und ein höherer utilitaristischer Wert von ESK mit einer höheren Einschätzung des subjektiven Werts des Workshops einhergehen. Eine nicht-deutsche Familiensprache der Eltern hing positiv mit den wahrgenommenen Kosten des Workshops zusammen, während ein höherer intrinsisch-persönlicher Wert von ESK und eine überdurchschnittliche Leseleistung des Kindes im Vergleich zu Mitschüler*innen die wahrgenommenen Kosten des Workshops verringerte. Zwischen elterlichem SES und wahrgenommenen Kosten des Workshops zeigte sich entgegen den Erwartungen kein signifikanter Zusammenhang. Der subjektive Wert des Workshops hing positiv, die wahrgenommenen Kosten des Workshops negativ mit der elterlichen Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention am Workshop zusammen. Der subjektive Wert des Workshops mediierte die Zusammenhänge von elterlichem SES, nicht-deutscher Familiensprache und Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention partiell, da ein direkter positiver Effekt von SES auf die Teilnahmeintention sowie ein negativer Effekt der nicht-deutschen Familiensprache auf die Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention bestehen blieben. Die Zusammenhänge der elterlichen Motivation zur ESK und Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention wurden vollständig durch die wahrgenommenen Kosten des Workshops mediiert. Die Ergebnisse deuten insgesamt darauf hin, dass Eltern mit niedrigerem SES und einem Migrationshintergrund zwar an dem Workshop interessiert sind und dessen Nutzen sehen, zugleich aber auch die Kosten einer Teilnahme höher einschätzen und im Gesamturteil eine geringere Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention am Workshop aufweisen. Möglicherweise sind die wahrgenommenen Kosten des Workshops zu hoch und / oder nicht überwindbare Barrieren (z.B. zeitlich, finanziell, sprachlich) stehen einer Teilnahme im Weg. Eine höhere elterliche Motivation zur ESK kann zu einer Reduktion der wahrgenommenen Kosten und einer höheren Einschätzung des subjektiven Werts des Workshops beitragen. Eine überdurchschnittliche kindliche Schulleistung im Vergleich zu Mitschüler*innen kann weiterhin zur Reduktion der Kosten beitragen, wohingegen für eine unterdurchschnittliche Schulleistung keine Effekte gefunden wurden. Die elterlich wahrgenommene Schulleistung könnte für die Einschätzung von subjektivem Wert und Kosten eines Eltern-Workshops von größerer Bedeutung sein als die tatsächliche kindliche Schulleistung; dies gilt es in zukünftigen Studien zu überprüfen. Eine Berücksichtigung des kulturellen Hintergrunds von Eltern sowie aufsuchende Elternbildung (zur Förderung von ESK) werden als Strategien zur Verringerung der wahrgenommenen Kosten und zur Überwindung potenzieller Teilnahmebarrieren von sozial benachteiligten Eltern diskutiert. Beitrag des BiFoKi-Projekts zur Gestaltung eines inklusiven Schulsystems – Fazit und Ausblick Fragen rund um die gemeinsame Beschulung von jungen Menschen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf sind seit langem Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, wurden aber in den letzten 10 Jahren in Folge der Anerkennung des Rechts auf inklusive Beschulung sehr viel intensiver und verstärkt interdisziplinär untersucht. Im BMBF geförderten Projekt Bielefelder Fortbildungskonzept zur Kooperation in inklusiven Schulen (BiFoKi) Entwicklung und Evaluation eines interdisziplinären Fortbildungsangebots wurde die Erkenntnis aufgegriffen, dass die Zusammenarbeit der beteiligten Professionen innerhalb der Schule sowie mit den Eltern der Schüler:innen einerseits zentrale Bedingungen für das Gelingen einer inklusiven Beschulung von Schüler:innen mit und ohne besondere Förderbedarfe darstellen und dass andererseits in der Umsetzung insbesondere im Sekundarbereich Optimierungsbedarfe bestehen. Vor diesem Hintergrund wurde unter Einbeziehung sonderpädagogischer und psychologischer Expertise eine praxistaugliche Fortbildung entwickelt und evaluiert, die zur Weiterentwicklung inklusiv arbeitender Gesamt- und Sekundarschulen beitragen soll. Durch das in Anlehnung an Kirkpatrick (1996) konzipierte Evaluationsdesign konnten im Projekt Forschungslücken – insbesondere mit Blick auf die inklusionsbezogene Weiterbildung von Lehr- und weiteren Fachkräften, aber auch zu grundlagenorientierten Fragestellungen – adressiert werden. Aufbauend auf den ersten vier Beiträgen des Symposiums, in denen Befunde zu inklusionsbezogenen Einstellungen von Lehrkräften, zur Wahrnehmung von schul- und unterrichtsbezogenen Aspekten durch Schüler:innen, zur Kooperation von Schule und Elternhaus sowie zu Weiterbildungsbedarfen von Eltern dargestellt werden, werden im vorliegenden Beitrag Einsichten a) zur Veränderbarkeit von Kooperationsbeziehungen an weiterführenden inklusiven Schulen sowie b) zu Zusammenhängen zwischen den Kooperationspraktiken von Schulen und ihrer breit gefassten Leistungsfähigkeit erörtert. Im Fokus stehen dabei Chancen und Grenzen der Unterstützung sowohl multiprofessioneller Teams (vgl. Lütje-Klose & Urban, 2014; Lütje-Klose et al., 2022) als auch der Optimierung von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften zwischen Familien und Schulen (vgl. Wild et al., 2020, Wild & Lütje-Klose, 2017) unter Berücksichtigung der Einstellungen und Verhaltensweisen von Schüler:innen. Diese sind dem Modell der überlappenden Sphären von Epstein (1998) folgend für die Qualität der Lehrer-Schüler*innen sowie der Eltern-Kind-Kommunikation (mit-) entscheidend. Ein zentrales Ergebnis (vgl. auch Wild 2021, 2022) der Studie ist der sowohl aus Leitungsperspektive als auch seitens des Schulpersonals an vielen Schulen geäußerte Bedarf an Teamweiterbildungen im Bereich Inklusion, multiprofessioneller Kooperation sowie Elternarbeit. Die Beteiligten sind hoch motiviert, traditionelle Rollen und Aufgabenverteilungen innerhalb der Teams (Neumann et al., 2021) zu überwinden und zentrale Merkmale einer qualitätsvollen Erziehungs- und Bildungspartnerschaft (Grüter et al., 2019) umfänglicher einzulösen. Die Fortbildungskonzeption und -materialien regten zur Selbstreflexion und Weiterentwicklung der Teamstrukturen an und führten zur bewussten Reflexion von Rollen und Aufgaben des multiprofessionellen Personals, von Stärken und Ressourcen im Team sowie ihrer verbesserten Nutzung, was sich in einer insgesamt hohen Zufriedenheit der Jahrgangsteams mit der Fortbildung ausdrückt (Lütje-Klose, et al., 2022). In Teilen ist jedoch auch ein erheblicher Widerstand gegen den Inklusionsauftrag insgesamt festzustellen, weil das Schulpersonal (und auch Teile der Elternschaft) nicht länger bereit ist, bildungspolitisch verantwortete, strukturelle Mängel (z. B. Mangel an sonderpädagogisch qualifiziertem Personal, fehlenden Kooperationszeiten) zu kompensieren. Dennoch konnten einige Effekte der Fortbildung abgesichert werden: So wurden in Schulen der Interventionsgruppe vermehrt feste Teamzeiten eingerichtet und das selbstberichtete Engagement der Lehr- und Fachkräfte im Bereich der Elternkooperation entwickelte sich positiver. Unterschiede in der Aufgeschlossenheit der Jahrgangsteams korrespondierten mit den vorzufindenden Aufgaben- und Rollenmustern von Sonderpädagog:innen und Schulsozialarbeit (Neumann et al, 2021) sowie mit einer stark variierenden Resonanz auf die Veranstaltungen für Eltern, wobei an den Elternforen häufig Erziehungsberechtigte teilnahmen, die als ‚schwer erreichbar‘ gelten. Zudem befürworten rund 60 Prozent der befragten Fünftklässler*innen einen engen Kontakt zwischen Eltern und Lehrkräften, wobei die Zustimmung systematisch mit dem wahrgenommenen Unterstützungsverhalten der Eltern assoziiert ist (Grüter et al., 2023). Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse eine hohe Bereitschaft zur Kooperation einerseits und bieten andererseits Einblicke in Herausforderungen bei der Umsetzung, die auch vor dem Hintergrund bildungspolitischer Entwicklungen diskutiert werden. |
Datum: Mittwoch, 20.03.2024 | |
9:00 - 10:40 | 7-10: Erstakademiker:innen an der Hochschule – Zusammenhänge zwischen Herkunft und Studienerfolg Ort: S26 |
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Symposium
Erstakademiker:innen an der Hochschule – Zusammenhänge zwischen Herkunft und Studienerfolg Sowohl beim Hochschulzugang als auch beim Studienerfolg und Studienabbruch lassen sich ausgeprägte soziale Disparitäten zum Nachteil von Studierenden nicht-akademischer Herkunft, deren Eltern selbst nicht studiert haben, beobachten (Bachsleitner et al., 2022; Klein & Müller, 2020). Während die Ursachen für den sozial selektiven Zugang vielfach untersucht wurden (Quast et al., 2023), sind die Mechanismen sozialer Disparitäten beim Studienerfolg sowie dem Studienabbruch weitgehend ungeklärt. Es gibt zwar Untersuchungen, die auf Unterschiede in den Studienleistungen zwischen Studierenden unterschiedlicher sozialer Herkunft hinweisen (Schlücker & Schindler, 2019), jedoch können diese allein die bestehenden Ungleichheiten im Studienerfolg und Studienabbruch nicht vollständig erklären (Klein & Müller, 2020). Neben den Studienleistungen als einem Indikator für die akademische Integration dürfte nach Tinto (1975) zudem die soziale Integration positiv den Studienverlauf und somit den Studienerfolg bzw. negativ den Studienabbruch beeinflussen. Internationale Untersuchungen haben gezeigt, dass Studierende nicht-akademischer Herkunft oftmals eine geringere soziale Eingebundenheit berichten (Ostrove & Long, 2007, Rubin, 2012) und eine geringere kulturelle Passung zum Hochschulmilieu wahrnehmen (Stephens et al., 2019). Das Gefühl, nicht dazu zugehören, wirkt sich wiederum negativ auf die motivationale und leistungsbezogene Entwicklung aus (Walton & Cohen, 2007, Stephens et al., 2012). In Deutschland mangelt es bislang an systematischen Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen der Bildungsherkunft und der sozialen Integration sowie zu den daraus resultierenden Unterschieden in der Studienmotivation und den Studienleistungen. Das Ziel des Symposiums ist es daher, aus einer interdisziplinären Perspektive aufzuzeigen, inwiefern die akademische und soziale Integration von der Bildungsherkunft der Studierenden abhängt und welchen Einfluss diese auf verschiedene motivationale Dimensionen des Studienerfolgs sowie den Studienverlauf ausübt. Die einzelnen Beiträge greifen dazu auf unterschiedliche Datengrundlagen und Methoden zurück. Aus einer soziologischen Perspektive analysiert Daniel Klein im ersten Beitrag, wie die akademische und soziale Integration abhängig von der Herkunft der Studierenden das Studienabbruchrisiko beeinflusst. Auf Basis des Nationalen Bildungspanels und des Deutschen Studierendensurveys zeigt er, dass sich die Leistungsorientierung kaum zwischen Studierenden akademischer und nicht-akademischer Herkunft unterscheidet. Allerdings fällt es Erstakademiker:innen im Vergleich schwerer, ein Freundschaftsnetzwerk aufzubauen und sich sozial zu integrieren, wodurch sich wiederum das Risiko eines Studienabbruchs für diese Gruppe erhöht. Im zweiten Beitrag prüfen Stefan Janke und seine Kolleginnen aus einer psychologischen Perspektive herkunftsspezifische Unterschiede im Zugehörigkeitserleben sowie längsschnittliche Zusammenhänge mit der Studienzufriedenheit und dem Studienabbruch. Im Ergebnis zeigt sich ein vermindertes Zugehörigkeitserleben bei Erstakademiker:innen, das – anders als bei Studierenden mit Migrationshintergrund – zwar nicht mit einem sozialen Ausschluss einhergeht, aber dennoch negative Folgen für die Studienzufriedenheit hat und den Abbruch wahrscheinlicher werden lässt. Johannes Vollmer und Matthias Nückles gehen aus einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive im dritten Beitrag der Frage nach, inwiefern ein höheres Fremdheitserleben die motivationale Regulation, die Lern- und Leistungsmotivation sowie die Wahl der Lernstrategien von Erstakademiker:innen im Lehramtsstudium beeinflusst. Die Ergebnisse ihrer Fragebogenstudie zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen dem Fremdheitserleben und einer Vermeidungsleistungszielorientierung und identifizieren Unterschiede bezüglich der introjizierten Regulation in Relation zur Bildungsherkunft. Ergänzend dazu führten sie halbstandardisierte Interviews und konnten zeigen, dass Erstakademiker:innen seltener Elaborationsstrategien anwenden als ihre Mitstudierenden akademischer Herkunft. Im vierten Beitrag untersuchen Christina Bauer und ihre Kolleginnen aus psychologischer Perspektive das Talent-Selbstkonzept von Studierenden in Abhängigkeit ihrer Bildungsherkunft. In verschiedenen korrelativen und (quasi-)experimentellen Studien können sie zeigen, dass sich Erstakademiker:innen auch unter Kontrolle der Leistungen als weniger talentiert einschätzen und damit einhergehend ein geringes akademisches Engagement beweisen. Der Beitrag hebt darüber hinaus die Bedeutung des Kontextes hervor, indem die Autorinnen zeigen können, dass die Benachteiligungen für Erstakademiker:innen umso geringer ausfallen, je stärker das Umfeld Anstrengung statt Talent betont. Insgesamt stellen die Beiträge wichtige Erkenntnisse darüber bereit, wie sich soziale Disparitäten im Studienerfolg und im Studienverlauf erklären lassen. Sie liefern zudem empirische Hinweise darauf, wo mögliche Maßnahmen zum Abbau von Bildungsbarrieren ansetzen können. Beiträge des Symposiums Soziale Herkunft und Studienabbruch: Eine Frage der sozialen Integration? Das Studienabbruchrisiko hängt von der sozialen Herkunft ab; das ist seit mehr als einem halben Jahrhundert bekannt (z. B. Heublein et al., 2003; Kath et al., 1966; Klein & Müller, 2020). Studien zu den Ursachen dieses Zusammenhangs sind aber auch heute noch erstaunlich rar (Bachsleiter et al., 2022). Insbesondere das Erklärungspotenzial des international etablierten „Student Integration Model“ (Tinto, 1975, 1987) wurde diesbezüglich bisher kaum überprüft (Dahm et al., 2016). Vor diesem Hintergrund gehe ich in meinem Beitrag der Frage nach, inwiefern sich soziale Ungleichheit beim Studienabbruch durch die soziale und akademische Integration der Studierenden erklären lässt. Aus theoretischer Perspektive zeichne ich zunächst die zentralen Dimensionen der sozialen und akademischen Integration nach und zeige deren Abhängigkeit von der sozialen Herkunft auf. Dabei gehe ich knapp auf unterschiedliche Modellvarianten (Tinto, 1975, 1987) ein und diskutiere auch Wechselwirkungen zwischen der sozialen und akademischen Integration. Als Datengrundlage der empirischen Überprüfung des Modells verwende ich das Nationale Bildungspanel (NEPS) und den Deutschen („Konstanzer“) Studierendensurvey. Die Analysen basieren auf Regressionsmodellen und der nicht-linearen Dekompositionsmethode von Karlson et al. (2012). Die Ergebnisse bestätigen, dass Studierende aus Nichtakademiker-Familien Schwierigkeiten haben, Kontakte zu Kommiliton:innen zuknüpfen. Weiterhin deutet sich an, dass eine misslungene soziale Integration in Form fehlender Kontakte zu Kommiliton:innen den positiven Einfluss bestimmter Formen der akademischen Integration reduziert und so das Studienabbruchrisiko weiter erhöht. Es zeigt sich aber auch, dass Kontakte zu Dozierenden und die akademische Integration in Form von Leistungserwartungen und Leistungsorientierung kaum von der sozialen Herkunft abhängen. Insgesamt lässt sich deshalb nur ein geringer Anteil der sozialen Ungleichheit beim Studienabbruch auf mangelnde Integration zurückführen. Vermindertes Zugehörigkeitsgefühl an der Universität für Erstakademiker:innen und Studierende ethnischer Minoritäten: Gleiches Erleben, unterschiedliche Gründe? Studierende deren Eltern nicht selbst studiert haben (sog. Erstakademiker:innen), sowie Studierende die nicht der Majoritätsethnie angehören, schildern in der Studieneingangsphase verstärkt Unsicherheit in Bezug auf die eigene Zugehörigkeit an der Universität (u.a. Janke et al., 2017; Johnson et al., 2007). Bisherige Erklärungsmodelle sehen diese Zugehörigkeitsunsicherheit insbesondere als Folge fehlerhafter Attributionen sozialer Hinweisreize und resultierenden selbsterfüllende Prophezeiungen (siehe Walton & Cohen, 2011). Dieser vorwiegend in internalen Prozessen verankerte Mechanismus wird dabei sowohl für Erstakademiker:innen als auch für Studierende aus ethnischen Minoritäten angenommen, obwohl sich beide Gruppen mutmaßlich in der Visibilität des Merkmals unterscheiden, welches sie von der Majorität an ihrer Universität abhebt. Während der familiäre Bildungshintergrund wenig visibel ist, kann die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minorität durchaus für andere Studierende visibel sein. In Einklang mit dem Prinzip der Homophilie ist dabei zu erwarten, dass Studierende sich eher Kommiliton:innen annähern, welche ihnen auch (sichtbar) ähnlich sind (Jaffé et al., 2019). Während also für Erstakademiker:innen eher davon ausgegangen werden kann, dass Zugehörigkeitsunsicherheit eine Folge internaler Prozesse ist, könnte für Studierende aus Minoritäten mit assoziierten visiblen Merkmalen tatsächlicher sozialer Ausschluss einen wesentlichen Wirkfaktor darstellen. Diese differentiellen Annahmen wurden von uns in einer Stichprobe von 973 Universitätsstudierenden aus zwei konsekutiven Jahrgängen untersucht (ausschließlich reguläre Studierende, keine Gaststudierende), welche zu Beginn ihres ersten und ihres zweiten Semesters im Rahmen einer Längsschnittstudie befragt wurden. Zur Datenakquise wurde jeweils der vollständige Jahrgang über zentrale Verteiler einer mittelgroßen deutschen Universität angeschrieben und um Teilnahme gebeten. Hypothesen wurden mittels latenter Strukturgleichungsmodellierung geprüft. Im Ergebnis können wir aufzeigen, dass sowohl Erstakademiker:innen als auch Studierende mit Migrationshintergrund mit Bezug zum Nahen Osten, Afrika, Südostasien oder Lateinamerika ein vermindertes Zugehörigkeitserleben schildern. Allerdings ist dieser Zusammenhang nur für die letztere Gruppe, die sich durch potenziell sichtbare Ethnizität oder kulturellen Hintergrund auszeichnen, vermittelt durch ein erhöhtes Erleben sozialen Ausschlusses. Weitergehend interessant ist, dass Studierende mit Migrationshintergrund mit Bezug zu dem ehemaligen Ostblock und Europa im Vergleich zur Majorität wiederum weder ein beeinträchtigtes Zugehörigkeitserleben noch vermehrte Ausschlusserfahrungen schilderten. Unabhängig davon, ob ein vermindertes Zugehörigkeitserleben direkt oder vermittelt mit dem Minoritätsstatus zusammenhing, zeigten sich langfristige negative Zusammenhänge mit Studienzufriedenheit, Abbruchintention und faktischem Studienabbruch zu Beginn des zweiten Studiensemesters. Die Befunde legen nahe, dass sich Minoritätsgruppen an der Universität nicht nur in ihrem Zugehörigkeitsgefühl unterscheiden, sondern auch darin, ob dieses Zugehörigkeitsgefühl in Zusammenhang mit dem Erleben sozialen Ausschlusses steht. Auch wenn weitere Forschung zur Ergründung der Ursachen des erlebten sozialen Ausschlusses notwendig ist, zeigt die Studie schon jetzt die Notwendigkeit einer kritischen Diskussion von Erklärungsansätzen auf, welche die Ursache von Zugehörigkeitsunsicherheit primär bei dem betroffenen Individuum verorten. Während für Erstakademiker:innen individuumszentrierte psychologische Interventionen möglicherweise das Mittel der Wahl zur Verminderung von Zugehörigkeitsunsicherheit sind, sollten insbesondere in Bezug auf Studierende aus gesellschaftlich stark stereotypisierten Minoritäten verstärkt systemische Ursachen wie beispielhaft sozialer Ausschluss auf Grund von Gruppenzugehörigkeit adressiert werden. Erstakademiker:innen – Fremdheitserleben, akademische Leistung und Studienerfolg Studienerfolg hängt nach dem Student Interaction Model (Tinto, 1975) in erheblichem Maße von einer gelungenen sozialen und akademischen Integration der Studierenden ab. Wenn Studierende in die kommunikativen Strukturen der Hochschule integriert sind (soziale Integration) und sich mit den vorherrschenden Normen und Werten an der Hochschule identifizieren (akademische Integration), entsteht ein stärkeres Verpflichtungsgefühl, was die Wahrscheinlichkeit für einen gelingenden Studienverlauf sowie erfolgreichen Studienabschluss erhöht. Bei sozialer sowie akademischer Integration zeigen sich allerdings soziale Disparitäten zuungunsten von Erstakademiker:innen (EA) (Hicks & Wood, 2016). Es kann angenommen werden, dass für EA die soziale und akademische Integration im Vergleich zu Akademikerkindern (AK) deutlich schwieriger ist. So können sich EA an Hochschulen fremd fühlen, da sie bestimmte kulturelle Codes nicht beherrschen und es kann ihnen aufgrund einer hochschulferneren Sozialisation schwerfallen, sich mit den vorherrschenden Werten und Normen zu identifizieren (Bourdieu & Passeron, 1971). Diese Schwierigkeiten könnten wiederum Gründe für die schlechteren akademischen Leistungen (Jaksztat, 2014) und die höhere Studienabbruchquote von EA sein (Heublein et al., 2017). Fragestellung In dem vorliegenden Beitrag untersuchen wir, welche Faktoren Fremdheitserleben und soziale Integration beeinflussen und wie dieses Erleben mit der motivationalen Regulation der Studierenden zusammenhängt? Uns interessieren zudem mögliche Unterschiede in der Lern- und Leistungsmotivation zwischen EA und AK. Ferner möchten wir herausfinden, ob EA und AK unterschiedliche Lernstrategien nutzen und was die Wahl spezifischer Lernstrategien bedingt. Methode In zwei Studien haben wir Erstsemesterstudierende im Lehramtsstudium untersucht. Studie I war als Fragebogenstudie angelegt. Mit einem Subsample derselben Population wurden halbstandardisierte Interviews durchgeführt (Studie II). Die Fragebogenerhebung konzentriert sich auf Bereiche wie Kulturkapital, soziale Integration, Fremdheitserleben, wahrgenommene Unterstützung, motivationale Regulation, Lern- und Leistungsmotivation sowie Lernstrategien. Die halbstandardisierten Interviews beinhalteten einen Metawissenstest, der das Strategiewissen erfasste. Zusätzlich wurde, um eine handlungsnahe Erfassung der angewendeten Lernstrategien zu erreichen, anhand vierer Prüfungsszenarien ermittelt, wie sich die Studierenden auf diese vorbereiten würden. N = 304 (MAlter = 20.03, SD = 1.73, n = 192weiblich) nahmen an Studie-I teil. Davon waren n = 110 (36,2 %) EA. Die Stichprobe der Studie-II umfasst N = 51 (MAlter = 20.59, SD = 1.96, n = 35weiblich), n = 18 (35,3 %) waren EA. Ergebnisse In Studie I stellten wir fest, dass im Besonderen der Bildungsstand des Vaters einen signifikanten Einfluss auf das Fremdheitserleben der Studierenden hat. Ferner wurde deutlich, dass EA im Gegensatz zu AK ein signifikant höheres Fremdheitserleben aufweisen und weniger sozial integriert sind. Das Fremdheitserleben und die soziale Integration hängt mit der motivationalen Regulation der Studierenden zusammen, wobei Unterschiede zwischen EA und AK hauptsächlich in der introjizierten Regulation bestehen. Auch zeigten sich positive Zusammenhänge zwischen Fremdheitserleben und Vermeidungsleistungsziel-Orientierung sowie zwischen sozialer Integration und Lernziel-Orientierung. Hinsichtlich der Lernstrategien waren nur bei der Anwendung von Wiederholungsstrategien und Ressourcenstrategien tendenzielle Unterschiede zwischen AK und EA erkennbar. In Studie II waren bezüglich des Strategiewissens keine Unterschiede zwischen EA und AK festzustellen. Bei den generativen Antworten zeigte sich jedoch, dass AK signifikant häufiger Elaborationsstrategien anwenden als EA. Zusammenfassend legen unsere Ergebnisse nahe, dass Fremdheitserleben und soziale Integration im Studium wichtige Faktoren sind, die Studienverlauf und Studienerfolg beeinflussen können. Wir konnten Zusammenhänge zwischen dem Fremdheitserleben bzw. der sozialen Integration, der motivationalen Regulation, der Zielorientierung und den Lernstrategien finden. Darüber hinaus deuten die Daten darauf hin, dass sich EA und AK hinsichtlich ihres Strategiewissens nicht unterscheiden, jedoch zeigen EA bei der situativen Anwendung der Lernstrategien ein Produktionsdefizit. Wer darf sich selbst als talentiert betrachten? Sozialisierte Unterschiede in Talent-Selbstkonzepten benachteiligen Erstakademiker:innen in talentorientierten Feldern In westlichen Bildungskontexten gilt angeborenes intellektuelles Talent gemeinhin als wichtiger und erstrebenswerter Erfolgsfaktor. Eine Umfrage unter 1.820 westlichen Forscher:innen in verschiedenen Fachgebieten ergab beispielsweise eine breite allgemeine Zustimmung zu Aussagen wie "Wenn man in [meinem Fachgebiet] erfolgreich sein will, reicht harte Arbeit allein nicht aus; man muss eine angeborene Begabung oder ein Talent haben" (Leslie et al., 2015). Außerdem deutet Forschung darauf hin, dass Menschen talentierte "Naturtalente" gegenüber fleißigen "Strebern" selbst dann bevorzugen, wenn Letztere für eine Stelle besser qualifiziert sind (Tsay, 2016). In solchen talentorientierten Umgebungen - d.h., Umgebungen, die Talent eine hohe Bedeutung zumessen – spielt das Ausmaß, in dem sich Studierende selbst für talentiert halten, eine wichtige Rolle. Studierende, die sich für relativ weniger talentiert halten, mögen sich zum Beispiel unsicher fühlen und sich weniger trauen, sich an der Universität einzubringen. Dabei erlauben die unterschiedlichen Sozialisationserfahrungen, die Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen machen, es nicht jeder Person, sich in gleichem Maße für talentiert zu halten (Eccles & Wigfield, 2020). Fragestellung In der vorliegenden Studie untersuchen wir Unterschiede im Talentselbstkonzept von Studierenden in Abhängigkeit von ihrer Bildungsherkunft. Wir vermuten, dass Erstakademiker:innen sich selbst als relativ weniger talentiert sehen als ihre Altersgenossen, selbst wenn man frühere Leistungsunterschiede berücksichtigt. Wir nehmen an, dass diese Verzerrung spezifisch für das Talentselbstkonzept ist und sich nicht für anstrengungsbezogene Komponenten des Selbstkonzepts wie das Fleiß-Selbstkonzept zeigt. Darüber hinaus vermuten wir, dass die Verzerrung des Talentselbstkonzepts zu Nachteilen hinsichtlich des akademischen Erlebens und Engagements unter Erstakademiker:innen in talentorientierten Umgebungen beiträgt. Schließlich untersuchen wir, ob die Kultivierung von anstrengungs- statt talentorientierten Umgebungen die negativen Folgen von verzerrten Talentselbstkonzepten abfedern kann. Methode Wir untersuchen unsere Hypothesen in fünf Studien mit insgesamt 3.584 Studierenden in westlichen Ländern. Dabei nutzen wir unterschiedliche Methoden. Um die Auswirkung von Bildungshintergrund auf Talent-Selbstkonzepte zu untersuchen, vergleichen wir die Selbstkonzepte von Erstakademiker:innen und Nicht-Erstakademiker:innen in einem quasi-experimentellen Design unter Kontrolle bisheriger Leistungen (Quasi-Experimente 1a-b; N = 694; 316). Zum Nachweis von Konsequenzen dieser Talent-Selbstkonzept-Verzerrungen kombinieren wir eine korrelative Feldstudie, die indirekte „Bildungshintergrund -> Talent-Selbst-Konzept -> Outcome“-Pfade testet (Feldstudie 2a; N = 1.881) mit einer experimentellen Studie, die das Talent-Selbstkonzept experimentell manipuliert und kausale Folgen untersucht (Experiment 2b; N = 372). Damit folgen wir dem „Causal Chain Approach“, der uns erlaubt, Kausalität in unserem Mediationsmodell nachzuweisen (Spencer et al., 2005). Schlussendlich manipulieren wir unseren angenommenen Moderator – den Anstrengungs- vs. Talent-Fokus in der akademischen Umgebung – in einem Experiment (Experiment 3; N = 331), um zu untersuchen, ob so Disparitäten, die durch verzerrte Talent-Konzepte entstehen, vermindert werden können. Ergebnisse Quasi-Experimente 1a und b zeigen, dass sich Erstakademiker:innen als relativ weniger talentiert, aber nicht weniger fleißig einschätzen. Diese Unterschiede zeigen sich auch unter Kontrolle bisheriger Leistungsunterschiede. Feld- und experimentelle Studien 2a-b zeigen weiterhin, dass Verzerrungen im Talent-Selbstkonzept zu Benachteiligungen von Erstakademiker:innen beitragen: Die geringeren Talent-Selbstkonzepte von Erstakademiker:innen sagen Benachteiligungen in ihrem akademischen Erleben und Engagement vorher (korrelative Feldstudie 2a) und eine experimentelle Verminderung von Talent-Selbstkonzepten (Experiment 2b) führt zu solchen Benachteiligungen. Experiment 3 demonstriert schlussendlich, dass Benachteiligungen, die aus verzerrten Talentselbstkonzepten stammen, am stärksten in talentorientierten Umfeldern ausgeprägt sind. Wenn jedoch das Umfeld Anstrengung statt Talent betont, werden die mit dem Talentselbstkonzept verbundenen Nachteile gemildert. Insgesamt scheinen die Erfahrungen, die Erstakademiker:innen in derzeitigen westlichen Umfeldern machen, sie dazu zu bringen, sich selbst als relativ weniger talentiert zu sehen. Dies trägt zu sozialen Disparitäten bei. Die Kultivierung von anstrengungs- statt talent-orientierten Umfeldern kann diesen Disparitäten entgegenwirken und Gleichstellung fördern. |
11:10 - 12:50 | 8-10: Die Studiensituation internationaler Studierender in Deutschland – (institutionelle) Rahmenbedingungen, Unterstützungsangebote der Hochschulen und ihre Bedeutung für den Studienerfolg Ort: S26 |
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Symposium
Die Studiensituation internationaler Studierender in Deutschland – (institutionelle) Rahmenbedingungen, Unterstützungsangebote der Hochschulen und ihre Bedeutung für den Studienerfolg Internationale Studierende, d.h. Studierende ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben haben, sind mit einem Anteil von 12% eine bedeutende Gruppe an deutschen Hochschulen, die die Heterogenität der Studierendenschaft maßgeblich prägt (DAAD & DZHW, 2023). Jedoch sind sie im Vergleich zu einheimischen Studierenden seltener erfolgreich in ihren Bemühungen, einen Studienabschluss zu erlangen (Heublein et al., 2022). Trotz einer Intensivierung der Forschungsaktivitäten in den vergangenen Jahren (z.B. Pineda et al., 2022; Wisniewski et al., 2022) liegen im Vergleich zum internationalen Forschungsstand weiterhin vergleichsweise wenige empirische Erkenntnisse zur Studiensituation und den Bedingungsfaktoren des Studienerfolgs dieser Studierenden vor. Im Vergleich zu deutschen Studierenden sind internationale Studierende mit vielfältigen zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert (Pineda et al., 2022). Fast die Hälfte der internationalen Studierenden berichtet beispielsweise Schwierigkeiten bei der Bewältigung alltäglicher Angelegenheiten wie der Wohnungssuche (DAAD & DZHW, 2019). Wenngleich viele Hochschulen sich um die gezielte Unterstützung internationaler Studierender bemühen, fehlt es an systematischen Überblicken bzgl. der Angebotsstrukturen und der Wirkung von hochschulseitigen Angeboten, wie z.B. Buddy- und Mentoring-Programmen auf Studienerfolg und Wohlbefinden der Studierenden. Auch die Bedeutung außeruniversitärer Faktoren, wie z.B. der Wohnsituation, für die erfolgreiche Gestaltung des Studienverlaufs wurde bislang nicht systematisch untersucht. Im Rahmen des Symposiums werden drei Beiträge präsentiert, die diese Fragen aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Disziplinen (Psychologie und Soziologie) adressieren. Die quantitativ-empirischen Forschungsarbeiten bilden sowohl die individuelle als auch die institutionelle Perspektive ab und nutzen komplexe Verfahren der (längsschnittlichen) Datenanalyse. Der erste Beitrag widmet sich hochschulexternen Rahmenbedingungen der Studienerfahrung und adressiert die Bedeutung von Wohnformen und sozialen Kontakten für Studienerfolg und Wohlbefinden internationaler Studierender in Deutschland. Mittels Mediationsanalysen in einer Stichprobe von (N = 3,738) internationalen Studierenden wird der Frage nachgegangen, ob vermehrte Kontakte zu unterschiedlichen Studierendengruppen (host nationals, co-nationals und internationals) positive Effekte von Wohnformen, die das Zusammenleben mit Peers implizieren (Flurgemeinschaft im Wohnheim, Wohngemeinschaft im oder außerhalb des Wohnheims), im Verlgeich zum Alleinwohnen vermitteln. Im zweiten Beitrag liegt der Fokus auf der Bedeutung institutioneller Unterstützungsmaßnahmen für internationale Studierende. Hier wird der Einfluss von Buddy- und Mentoring-Programmen auf die soziale Integration, das akademische Selbstkonzept und die Studienzufriedenheit internationaler Studierender in Deutschland mittels propensity score-Analysen anhand von Daten aus dem International Student Survey (Falk et al., 2021) untersucht. Der dritte Beitrag adressiert aus einer organisations- und institutionentheoretischen Perspektive die Frage, inwieweit Hochschulen Unterstützungsangebote zum Arbeitsmarkeintritt internationaler Studierender unterbreiten, wie sie diese ausgestalten, in ihren Selbstdarstellungen begründen und welche Bezüge zu den institutionellen und regionalen Kontextbedingungen bestehen. Dazu wird ein paralleles Mixed-Methods-Studiendesign eingesetzt (Kelle, 2008), das sowohl die explorative Auswertung quantitativer Informationen zu allen Hochschulen in Deutschland und ihren Standorten mithilfe einer multiplen Korrespondenzanalyse (Blasius, 2001), als auch eine qualitative Inhaltsanalyse der Internetseiten ausgewählter Fallhochschulen (Mayring, 2022) umfasst. Die Beiträge werden abschließend durch den benannten Diskutanten diskutiert und hinsichtlich des theoretischen Erkenntnisgewinns und ihrer praktischen Implikationen reflektiert. Beiträge des Symposiums Die Bedeutung von Wohnformen und sozialen Kontakten für Studienerfolg und Wohlbefinden internationaler Studierender in Deutschland Die Gestaltung der Wohnsituation wird von vielen internationalen Studierenden in Deutschland als eine zentrale Herausforderung erlebt (DAAD & DZHW, 2019; Zimmermann et al., 2021). Die Wahl einer Wohnform wird dabei nicht nur durch Persönlichkeitsmerkmale (Jonkmann et al., 2014) und individuellen Präferenzen (Wank et al., 2009), sondern auch durch die Bedingungen des Wohnungsmarktes (DAAD & DZHW, 2019) beeinflusst. Gemäß der 22. Sozialerhebung leben 38% der internationalen Studierenden in Deutschland in einer Wohngemeinschaft, demgegenüber gaben 31% an, allein zu wohnen (Kroher et al., 2023). Flade (2020) beschrieb unterschiedliche Wohnformen mit Bezug zu ihrer Funktion in der Bedürfnisbefriedigung: Die Wohnung bietet Schutz und Sicherheit, ist ein Ort zu Regeneration und Stressabbau und soll Privatheit ebenso wie auch Aktivitäten ermöglichen. Mit Blick auf das Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit bieten verschiedene Varianten von geteiltem Wohnraum (z.B. Zusammenleben mit Peers in einer Flurgemeinschaft im Wohnheim oder in einer Wohngemeinschaft innerhalb oder außerhalb des Wohnheims) unterschiedliche Kontaktmöglichkeiten. Soziale Kontakte stellen ein grundlegendes menschliches Bedürfnis dar, das Fehlen interpersonaler Beziehungen hat demzufolge negative Konsequenzen für das Wohlbefinden (Baumeister & Leary, 1995). Dementsprechend zeigte eine Studie zur Wohnsituation Studierender in Großbritannien (Easterbrook & Vignoles, 2015), dass Studierende in Wohnheimen mit Gemeinschaftsräumen gegenüber denjenigen, denen diese nicht zur Verfügung standen, mehr Kontakte berichteten, was in positivem Zusammenhang mit ihrem Wohlbefinden stand. Für die internationalen Studierenden lassen sich der funktionalen Netzwerktheorie zufolge verschiedene Gruppen von Kontakten unterscheiden, d.h. Kontakte zu Studierenden des Gastlandes (host nationals), zu anderen Studierenden aus dem eigenen Herkunfstland (co-nationals) sowie zu internationalen Studierenden aus Drittländern (internationals) (Bochner, 2006). Kontakte zu Personen aus dem Herkunftsland (co-nationals) haben eine starke emotionale Komponente (Berry, 2006) und stellen zudem eine Ressource in Form von informeller Unterstützung dar, besonders in der Anfangsphase des Aufenthaltes im Gastland (Kim, 2005). Kontakten der Kategorie internationals wird eine wichtige Funktion bei der Freizeitgestaltung zugeschrieben wohingegen Kontakte zu host nationals vor allem für Unterstützung in akademischen Belangen relevant sein sollen (Bochner, 2006). In Anbetracht der dargestellten Bedeutung der Wohnform für die Gestaltung sozialer Kontakte und der spezifischen Funktionen, die verschiedenen Gruppen von Kontakten im Hinblick auf das Wohlbefinden sowie die Bewältigung der Studienanforderungen zugeschrieben werden, ging die vorliegende Studie der Frage nach, ob unterschiedliche Wohnformen mit Wohlbefinden, Studienzufriedenheit und Studienabbruchintentionen assoziiert sind und ob diese Effekte über vermehrte Kontakte zu verschiedenen Kontaktgruppen vermittelt werden. Es wurde erwartet, dass Wohnformen, die das Zusammenleben mit Peers implizieren (Flurgemeinschaft im Wohnheim, Wohngemeinschaft innerhalb oder außerhalb des Wohnheims), im Vergleich zum Alleinwohnen zu vermehrten host national, co-national und international Kontakten führen. Den spezifischen Kontaktfunktionen entsprechend, wurden zudem indirekte Effekte dieser Wohnformen auf Wohlbefinden (vermittelt über vermehrte co-national-Kontakte), Studienzufriedenheit und Abbruchintentionen (vermittelt über vermehrte host-Kontakte) angenommen. Es bestanden keine spezifischen Hypothesen hinsichtlich der Bedeutung der Wohnform „Wohnen mit Familienangehörigen“ sowie der Funktion internationaler Kontakte. Die Hypothesen wurden anhand der Daten (N = 3,738) aus der ersten Erhebungswelle des International Student Survey (Falk et al., 2021) geprüft. Mediationsanalysen mit der Software Process (Hayes, 2018) ergaben, dass das Wohnen in einer Flurgemeinschaft im Wohnheim oder in einer Wohngemeinschaft innerhalb oder außerhalb des Wohnheims indirekt – vermittelt über spezifische Kontaktmuster – mit höheren Ausprägungen in Studienzufriedenheit und Wohlbefinden sowie geringeren Abbruchintentionen im Vergleich zum Alleinwohnen assoziiert ist. Die Zusammenhänge wurden über vermehrte Kontakte zu anderen internationalen Studierenden (alle Outcomes) und über vermehrte Kontakte zu co-nationals (nur Wohlbefinden) vermittelt. Es ergaben sich keine Unterschiede zwischen Studierenden, die mit Familienangehörigen lebten und den Alleinwohnenden. Die Befunde werden abschließend hinsichtlich ihrer Implikationen für das theoretische Verständnis der Funktion verschiedener Kontaktgruppen internationaler Studierender sowie der Bedingungsfaktoren ihrer erfolgreichen psychologischen und akademischen Adaptation reflektiert. Des Weiteren werden praxisbezogene Schlussfolgerungen hinsichtlich der Gestaltung von Wohnraumangeboten für Studierende diskutiert. Der Einfluss von Buddy- und Mentoring-Programmen auf die soziale Integration, das akademische Selbstkonzept und die Studienzufriedenheit internationaler Studierender in Deutschland Buddy- und Mentoring-Programme (sog. Peer-Pairing Programme) sind eine beliebte und vergleichsweise kostengünstige Maßnahme an Hochschulen weltweit, um internationale Studierende mit einheimischen Studierenden in Kontakt zu bringen, den sprachlichen und kulturellen Austausch zwischen den Studierenden zu fördern und den Studienerfolg zu steigern. Bisherige internationale Studien zeigen, dass Peer-Pairing Programme den Studienerfolg internationaler Studierender erhöhen können (z. B. Westwood & Barker, 1990; Herrmann-Werner et al. 2018). Obwohl viele Hochschulen in Deutschland diese Programme anbieten, gibt es bislang keine hinlängliche Evidenz der Wirksamkeit dieser Programme für die soziale und akademische Integration und die Studienzufriedenheit internationaler Studierender. Im Zentrum der Studie steht daher die Frage, ob die Teilnahme an einem Buddy- oder Mentoring-Programm mit einer höheren sozialen Integration, einem höheren akademischen Selbstkonzept und einer höheren Studienzufriedenheit bei internationalen Studierenden einher geht. Datengrundlage ist das International Student Survey, eine Online-Panelbefragung von internationalen Bachelor- und Masterstudierenden an über 100 Hochschulen in Deutschland, die eine ausländische Staatsbürgerschaft und Hochschulzugangsberechtigung haben (Falk et al. 2021). Um für die Selektion der Teilnahme an einem Buddy- oder Mentoring-Programm zu kontrollieren, wenden wir Matching-Verfahren an, um die unterschiedliche Verteilung von Studierenden in die Treatment-Gruppe (Teilnahme an Buddy- und Mentorenprogramm) und Kontrollgruppe (keine Teilnahme) auszugleichen. Mittels OLS-Regressionen wird für die ersten drei Wellen des Panels untersucht, ob die Teilnahme an Buddy- oder Mentoring-Programmen die soziale oder akademische Integration (im Sinne des akademischen Selbstkonzepts) stärkt oder mit einer Verbesserung der Studienzufriedenheit einhergeht. Bei der Schätzung der Propensity Scores basierend auf zeitkonstanten, voruniversitären Merkmalen zeigt sich, dass das Informationsverhalten vor dem Studium, aber auch der Migrationsgrund (z. B. Verbesserung von Sprachkompetenzen, ein fremdes Land kennenlernen), frühere Bildungswege und Abschlüsse sowie viele weitere Variablen mit der Teilnahme an den Peer-Pairing Programm korrelieren. Durch das Matching wurde die Balance zwischen Treatment und Kontrollgruppe substantiell in Bezug auf die Selektionsvariablen verbessert. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die Teilnahme an Buddy- oder Mentoring-Programmen in den ersten drei Semestern mit einer höheren Studienzufriedenheit einher geht. Insbesondere Studierende aus Asien und Pazifik und der Ingenieurwissenschaften profitieren von der Teilnahme an diesen Programmen. Auf Basis der Ergebnisse kann empfohlen werden, Buddy- und Mentoring-Programme an Hochschulen beizubehalten oder diese bereits bei Studienbeginn einzuführen.
Die institutionelle Unterstützung internationaler Graduierter beim Arbeitsmarkteintritt. Eine Mixed-Methods-Studie zu Initiativen deutscher Hochschulen Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand Unter dem Eindruck des demographischen Wandels (Destatis, 2019; IAB, 2021) und dem damit einhergehenden sinkenden Anteil qualifizierter Fach- und Führungskräfte in verschiedenen Wirtschaftssektoren gerät die Zuwanderung über die Hochschulen zunehmend in den Fokus. Um internationale Studierende nach ihrem Hochschulabschluss für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen, müssen diese jedoch auch im Land verbleiben. Die Rahmenbedingungen dafür werden in der empirischen Forschung zunehmend adressiert. Dabei wurden in erster Linie bislang individuelle sozioökonomische Merkmale und Einstellungen der Studierenden auf der gesellschaftlichen Mikroebene in den Blick genommen (z.B. Hooijen et al., 2017; Koenings et al., 2020; Sykes & Chaoimh, 2012). Darüber hinaus weisen einige Befunde auf die sozialen Beziehungen (z.B. Cheung & Xu, 2015; Wut et al., 2022) und ökonomischen Entwicklungsmöglichkeiten in den Herkunftsländern auf der Makroebene (z. B. Avivor et al., 2022; Thies, 2022) für Migrationsabsichten hin. Demgegenüber liegen nur sehr wenige Befunde zu den organisationalen und regionalen Bedingungen eines Verbleibs vor, wobei insbesondere die institutionelle Unterstützung und berufliche Erfahrungen in der Region betont werden (z. B. Nachatar, 2022; Niebuhr et al., 2022). In der vorliegenden Studie wird daher die neben der Mikro- und der Makroebene relevante Mesoebene gesellschaftlicher Institutionen in den Blick genommen. Zusätzlich zu den Graduierten und den potentiell Arbeitgebenden werden die Hochschulen als kollektive Akteure in den Sphären von Bildungssystem und Arbeitsmarkt identifiziert und deren Angebote für internationale Studierende bei der Arbeitsmarktvermittlung beleuchtet. Dabei wird einerseits eine organisations- und institutionentheoretische Perspektive eingenommen (Wilkesmann, 2019) und andererseits ein multimethodisches Forschungsdesign eingesetzt. Fragestellung Es wird konkret gefragt, inwieweit Hochschulen Unterstützungsangebote unterbreiten, wie sie diese ausgestalten, in ihren Selbstdarstellungen begründen und welche Bezüge zu den institutionellen und regionalen Kontextbedingungen bestehen. Methode Zur Beantwortung der Fragestellung wird ein paralleles Mixed-Methods-Studiendesign eingesetzt (Kelle, 2008), das sowohl die explorative Auswertung quantitativer Informationen zu allen Hochschulen in Deutschland und ihren Standorten mithilfe einer multiplen Korrespondenzanalyse (Blasius, 2001), als auch eine qualitative Inhaltsanalyse der Internetseiten ausgewählter Fallhochschulen (Mayring, 2022) umfasst. Die zugrundeliegenden standardisierten Daten basieren auf einer Vollerhebung ausgewählter Merkmale aller zum Jahresbeginn 2023 aktiven N = 425 Hochschulen in Deutschland. Die institutionellen Merkmale der Hochschulen wurden mittels Internetrecherche zusammengetragen. Die regionalen Kontextmerkmale entstammen der INKAR-Datenbank. Die explorativen Analysen, erlauben die Abschätzung der Muster institutioneller und regionaler Bedingungen, unter denen Hochschulen als Agentinnen der Studierenden verschiedene Unterstützungsangebote unterbreiten. Die zusätzliche qualitative Inhaltsanalyse baut systematisch darauf auf, bereichert die Interpretation der quantitativen Ergebnisse und sichert diese ab. Auf diese Weise wird ein fundierter Einblick in bestehende Angebotsstrukturen für internationale Studierende durch Hochschulen in Deutschland gewonnen. Ergebnisse und ihre Bedeutung Die Korrespondenzanalyse ermöglicht es, verschiedene statistische Kategorien in einen zweidimensional aufgespannten Raum zu projizieren, sodass neben der statistischen Überprüfung des Zusammenhangs eine Visualisierung erfolgt. So werden, neben der Dimension der Organisationsgröße der Hochschulen, Eigenschaften einer Region mittels Regionaldaten, wie Arbeitslosenquote, die Einwohnerzahl oder der Ausländeranteil abgebildet. Auf Grundlage dieser Projektion wurden 20 Fallhochschulen ausgewählt und eine qualitative Inhaltsanalyse der Leitbilder und Selbstverständnisse, welche über die öffentlich zugänglichen Webseiten der Hochschulen zu finden waren, durchgeführt. Neben typischen Angebotsstrukturen für internationale Studierende, konnten auch regionale Besonderheiten oder Limitationen kontrastierend herausgearbeitet werden. Es werden verschiedene implizite Strategien identifiziert, wie Hochschulen unterschiedlicher Standorte in Deutschland entweder einen allgemeinen Beitrag zur Internationalisierung in Deutschland leisten oder z. B. mittels spezieller Studien-, Berufsvorbereitungs- und Kulturangebote als gezielten Beitrag zur Integration internationaler Studierender in den deutschen Arbeitsmarkt und darüber hinaus in Deutschland ermöglichen. Der Beitrag der Studie liegt insbesondere darin, über die Bedeutung individueller Merkmale der internationalen Studierenden hinauszugehen und die unterbelichtete Perspektive der Hochschulen als Agenturen näher auszuleuchten. |
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