11. GEBF-Tagung
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Haupttagung: 18. - 20.03.2024 | Nachwuchstagung: 21.03.2024
Universität Potsdam
Veranstaltungsprogramm
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Sitzungsübersicht | |
Ort: S17 Seminarraum, 70 TN |
Datum: Montag, 18.03.2024 | |
10:30 - 12:10 | 1-09: Empirische Evidenz zur Wirksamkeit von Klimabildung Ort: S17 |
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Symposium
Empirische Evidenz zur Wirksamkeit von Klimabildung Zahlreiche wissenschaftliche Belege weisen darauf hin, dass menschliche Aktivitäten und Handlungen wesentlich zum Klimawandel beitragen und sich dieser negative auf natürliche und gesellschaftliche Systeme auswirkt (IPCC 2018; Cook et al. 2013). Um die individuellen und gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels abzuschwächen bzw. sich an diese anzupassen, kommt der Bildung als einem social tipping Element eine entscheidende Rolle zu (Otto, et al., 2020). Konzepte aus der Klimabildung (englisch Climate Change Education, CCE) und der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BNE) vermitteln den Lernenden Wissen zu den Ursachen und Folgen des Klimawandels und fördern Einstellungen und Handlungskompetenzen, die zur Bewältigung und Abschwächung seiner Folgen notwendig sind (UNFCCC 2016). Während das theoretische Potential von Bildungsmaßnahmen im Kontext des Klimawandels unstrittig ist, gibt es bislang nur wenige empirische Befunde zu ihrer tatsächlichen Wirkung. Die existierenden Studien haben zudem eine deutlich begrenzte Gültigkeit, da sie oft nur Teilaspekte der Wirkung von Klimabildung untersuchen. Bislang fehlt eine integrative Perspektive, welche im Sinne eines Angebots-Nutzungs-Modelles (Seidel, 2014) empirische Befunde zur Wirksamkeit von Lernangeboten, deren Nutzung durch die Lernenden sowie deren Wirkung auf die Lernenden in realen Unterrichtssetting zusammenführt. Ziel des Symposiums ist es vier aktuelle empirische Studien zur Klimabildung, welche die Elemente Wirkung, Unterrichtsangebot, und Kontextbedingungen des Angebot-Nutzen-Modells adressieren, zusammenzuführen. Die übergeordnete Fragestellung des Symposiums lautet: Wie wirksam ist die Klimabildung? Der erste und zweite Beitrag des Symposiums beschreiben Studien, zu medialen Angeboten in der Klimabildung. Aufgrund der Komplexität der systemischen Zusammenhänge im Kontext des Klimawandels und seiner Folgen, werden interaktive und motivierende mediale Darstellungsformen in der Klimabildung als besonders lernförderlich angesehen. Der erste Beitrag beschreibt eine experimentelle Studie zur Wirkung motivational designter Lernvideos (Emotional Design) zum Kohlenstoffkreislauf und deren Verbindung mit abrufbasiertem Lernen (Retrieval Practice) Die Ergebnisse bestätigten, dass eine motivationale Gestaltung der Lernvideos nicht nur das Lernern erleichtert, sondern auch die Motivation für anschließende Festigungsaufgaben (Retrieval Practice). Der zweite Beitrag des Symposiums beschreibt eine quasi-experimentelle Studie mit Grundschulkindern, welche die Wirksamkeit eines dynamischen computerbasierten Systemmodells zum Klimawandel mit für den (Sach-)Unterricht in der Grundschule häufig empfohlenen statischen Systemmodellen (Vernetzungskreise) vergleicht. Es zeigt sich, dass ein dynamisches Systemmodell zu größeren Zuwächsen im Fachwissen und im systemischen Denken führt als ein statisches. Der dritte Beitrag des Symposiums befasst sich mit der Wirkung von Klimabildungsmaßnahmen auf Wissen, Einstellung und Verhalten von Schüler*innen im Kontext des Klimawandels. Er stellt die Befunde einer Meta-Analyse vor, die die Ergebnisse von 53 Interventionsstudien zur Klimabildung zusammenfasst. Es zeigt sich, dass Maßnahmen zur Klimabildung einen großen Effekt auf das Wissen der Lernenden bezüglich der Ursachen und Folgen des Klimawandels (g = 0.77) hat, jedoch nur kleine Effekte auf Einstellungen (g = 0.39) und Verhalten (g = 0.36). Allerdings ist gleichzeitig eine hohe Heterogenität in den in die Metaanalyse einbezogenen Studien und ein Bedarf an qualitativ höherwertigen Wirksamkeitsstudien im Feld der Klimabildung festzustellen. Der vierte Beitrag des Symposiums erweitert die Perspektive, indem er den Einfluss von schulischen Kontextbedingungen auf die Wirkung von Klimabildung beleuchtet. Er stellt eine Mehrebenenanalyse von Daten des Projekts „BNE im Unterricht – Gelingensbedingungen für die Entwicklung von Nachhaltigkeitskompetenz“ (BUGEN) vor. Ziel der Analysen ist es den Einfluss von Schulformen und weiterer Kontextbedingungen auf die Entwicklung von kognitiven (Nachhaltigkeitswissen), affektiven (nachhaltigkeitsbezogene Einstellungen) und verhaltensbezogenen (selbstberichtetes nachhaltigkeitsbezogenes Verhalten) Aspekte der Nachhaltigkeitskompetenz zu untersuchen. Es zeigt sich, dass nicht alle Schüler*innen gleichermaßen von Angeboten zur Klimabildung profitieren, da schulformspezifische Schereneffekte zugunsten der Gymnasien sowie zu Ungunsten der Gemeinschaftsschulen vorliegen. Der Beitrag diskutiert mögliche Ursachen und Folgen dieser Scherreneffekte. Die Vortragenden sind Mitglied des “Consortium for Climate Change Education and Education for Sustainable Development (ICCE)” und kooperieren in der empirischen Beforschung der Klimabildung und BNE. Die Beiträge werden von einem externen Diskutanten kritisch reflektiert. Beiträge des Symposiums Lernerfolg und Metakognition in der Bildung für nachhaltige Entwicklung durch kognitive und motivationale Lernmechanismen fördern - Emotional Design und Retrieval Practice in der BNE Theoretischer Hintergrund: In der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) sind komplexe systematische Zusammenhänge eine erhebliche Herausforderung für die Lernenden. Um diese komplexen Inhalte zu verstehen, brauchen die Lernenden häufig lange Lernzeiten und müssen sich anschließend in Übungs- und Festigungsaufgaben anstrengen. Um diesen motivationalen Herausforderungen zu begegnen können Lehrende effektive Lernangebote anbieten, die sowohl längere Lernzeiten als auch hohes Engagement in nachfolgenden Festigungsaufgaben wahrscheinlicher machen. In der vorliegenden Studie beabsichtigen wir, zwei bewährte didaktische Methoden einzusetzen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Erstens vergleichen wir emotional gestaltete Lernvideos mit neutralen Lernvideos. Vorangegangene Untersuchungen zeigen, dass emotional gestaltete Videos das situative Interesse der Lernenden steigern können (Endres et al., 2020). Dieses gesteigerte Interesse erleichtert es den Lernenden, sich länger mit komplexen Inhalten auseinanderzusetzen, fördert eine anhaltende Motivation für das Thema und den Lernerfolg über die Dauer des Videos. Zweitens untersuchen wir, ob die Kombination von Emotional Design Lernvideos mit Retrieval Practice (abrufbasiertem Lernen, Roelle et al. 2022) zu einer verbesserten und nachhaltigeren Lerneffektivität führt. Retrieval Practice ist besonders effektiv, wenn die Lernenden sich anstrengen, so viel wie möglich abzurufen (Carpenter, 2009). Diese wünschenswerte Schwierigkeit (desirable difficulty) wird jedoch oft nicht optimal genutzt (Rivers, 2021). Durch die gesteigerte Motivation nach den Emotional Design Videos könnte auch diese Festigungsaufgabe einen noch größeren Lernerfolg erzielen. Eine gezielte Kombination der beiden Methoden könnte somit den Lernerfolg nachhaltig verbessern. Hypothesen: Wir erwarten eine Interaktion der beiden didaktischen Methoden Emotional Design Videos und Retrieval Practice, die Kombination sollte zum besten Lernerfolg führen. Wir erwarteten das die Emotional Design Videos das situative Interesse der Lernenden erhöht und das diese Erhöhung die Anstrengung in den Festigungsaufgaben verbessert, was schlussendlich zu einem besseren ausdauernden Lernerfolg nach zwei Wochen führt (Mediationshypothese). Methode: In einem 2x2x2-Design lernten 120 Gymnasiasten aus einem Lernvideo, das entweder emotional oder neutral gestaltet war (Zwischensubjekt Faktor). Den zweiten Faktor stellen die Festigungsaufgaben dar. Lernende festigten ihr Wissen entweder durch Retrieval Practice oder durch erneutes Lernen (Zwischensubjekt Faktor). Den dritten Faktor stellte eine Messwiederholung des Lernerfolgs dar (Lernleistung im ersten Abschnitt vs. Lernleistung im zweiten Abschnitt). Nach dem Erheben relevanter demographischer Daten sahen Lernende entweder ein Lernvideos das emotional oder neutral gestaltet war. Anschließend wurden das situationale Interesses sowie der investierte mentale Aufwand, sowie metakognitives Monitoring erhoben. Abschließend festigten die Lernenden ihr Wissen entweder über Retrieval Practice oder über erneutes Lernen des Lernmaterials. Erneut wurden das situationale Interesses sowie der investierte mentale Aufwand, sowie metakognitives Monitoring erhoben. Nach zwei Wochen wurde der erzielte Lernerfolg mit offenen Lernaufgaben gemessen für beide abschnitte gemessen. Ergebnisse: Die Lernenden in der kombinierten Bedingung erzielten den höchsten Lernerfolg (p < .05). Die Mediationsanalysen bestätigten ein erhöhtes situatives Interesse in der Bedingung der Emotional Design Videos, welches zu einer erhöhten mentalen Anstrengung in den Festigungsaufgaben und letztendlich zu einer erhöhten Lernleistung führte (Indirekter Effekt, Mediationshypothese). Die Lernenden in der Festigungsaufgaben Bedingung zeigten einen verbesserte metakognitive Akkuratheit. Eine Überprüfung, ob die Daten eine Multilevel-Struktur aufweisen, steht noch aus. Diskussion: Motivational gestaltetes Material kann das Lernen von komplexen Inhalten wie die Systemischen zusammenhänge in der BNE verbessern. Insbesondere zeigt sich eine positive Wechselwirkung zwischen Emotional Design und Retrieval Practice. Die Verbindung dieser beiden Methoden konnte komplexes , systematisches Wissen am besten fördern. Zusätzlich zu diesem Lernerfolg ist die erhöhte metakognitive Bewusstheit der Abrufübung zu betone. Lernende die genauer wissen was sie noch nicht wissen können ihre Wissenslücken besser schließen und dadurch in folgenden Lernaufgaben noch besser profitieren. Dieser Vorteil ist besonders relevant, wenn weiterführende Konzepte auf dieses Wissen aufbauen. Zukünftige Forschung könnte nun untersuchen ob diese motivationale Steigerung auch über längere Zeit besteht und die Einstellung zur BNE nachhaltig verändert. Systemisches Denken lernen mit Systemmodellen zum Klima(wandel) in der Grundschule 1. Theoretischer Hintergrund Der anthropogene Klimawandel und seine Folgen zählen zu den größten Herausforderungen für uns und die nachfolgenden Generationen. Um diesen gerecht zu werden, bedarf es systemischen Denkens – der „Fähigkeit komplexe Wirklichkeitsbereiche als Systeme erkennen, beschreiben und modellieren zu können“ (Mischo & Rieß, 2008, S. 348–349). Möglichkeiten einer Erfassung und Förderung systemischen Denkens zur Lösung komplexer Probleme in Nachhaltigkeitskontexten wurden bislang vor allem bei SchülerInnen der Sekundarstufen und bei Studierenden untersucht (Brockmüller, 2019; Fanta et al., 2020). Es wurde jedoch nachgewiesen, dass sich systemisches Denken bereits in der Grundschule grundsätzlich fördern lässt (Sommer, 2005; Assaraf & Orion, 2009). Die in diesen Studien getesteten Interventionen fokussierten sich auf vergleichsweise einfache Systeme mit einer überschaubaren Anzahl von Systemelementen und Wechselwirkungen (Sommer, 2005). Es stellt sich die Frage, ob sich systemisches Denken in der Grundschule auch in einem komplexen sowie im aktuellen Diskurs hoch relevanten System, wie dem Klimasystem, fördern lässt. Ein Argument hierfür ist, dass angesichts der globalen Auswirkungen auch schon Kinder für den Klimawandel sensibilisiert und in ihren Kompetenzen gestärkt werden sollten, damit sie sich grundlegend mit dem Klimawandel auseinandersetzen und in ihren noch eingeschränkten Verantwortungsbereichen zur Zielerreichung der Klimaneutralität beitragen können (Bassen et al., 2021). Für das Verständnis der komplexen Dynamiken des Klimawandels, bietet der Einsatz digitaler Systemmodelle besondere Vorteile, da diese einen aktiven Umgang mit dem Klimasystem ermöglichen. In der hier vorgestellten Studie geht es darum, die Wirksamkeit eines computerbasierten, einfachen Systemmodells zum Klimawandel im Vergleich zu in der Primarstufe häufig verwendeten Systemmodellen (z.B. Vernetzungskreis, Wirkungs- und Zeitdiagramme) zur Förderung systemischen Denkens bei GrundschülerInnen zu untersuchen. Durch den Einsatz verschiedener Systemmodelle sollen gewichtige Erkenntnisse für das unterrichtliche Handeln gewonnen werden. 2. Fragestellung Welche Wirkungen gehen vom Einsatz alternativer (digitaler) Systemmodelle mit variierender Veranschaulichung zeitlicher Entwicklungen auf die Förderung verschiedener Facetten systemischen Denkens bei Schülerinnen und Schüler der Grundschule aus? 3. Methode Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde ein Quasi-Experiment mit 293 ViertklässlerInnen an Grundschulen durchgeführt. Mit einem Prä-Posttest-Design ermittelten wir sowohl das themenspezifische Wissen zum Klimawandel als auch die Fähigkeit systemischen Denkens und das lernbezogene Interesse. Die digital gestützte Intervention umfasste insgesamt fünf Unterrichtsstunden. In den letzten beiden Stunden wurden in vier Experimentalgruppen variierte Systemmodelle eingesetzt: Ein Vernetzungskreis ohne Zeitdiagramm, ein Vernetzungskreis mit Zeitdiagramm, ein Simulationsmodell mit Zeitdiagramm und eine Kontrollgruppe ohne Intervention. 4. Ergebnisse Die digitale Lernumgebung hat sich insgesamt als wirksam erwiesen. Alle drei Experimentalgruppen verbesserten sich über die Zeit signifikant im Vergleich zur Kontrollgruppe, sowohl im Fachwissen, F(3, 289) = 25.39, p <.001, ηp2 = .21, als auch im systemischen Denken, F(3, 289) = 20.35, p <.001, ηp2 = .17. Im Posttest unterschieden sich die Gruppen im Fachwissen: F(3, 289) = 10.23, p <.001, ηp2 = .10; und systemischen Denken, F(3, 289) = 10.07, p <.001, ηp2 = .10. Post-hoc-Tests zeigen, dass der Einsatz des Systemmodells „Vernetzungskreis mit Zeitdiagramm“ im Fachwissen deskriptiv zu höheren Lernzuwächsen als in den anderen beiden Experimentalgruppen führt, jedoch nicht signifikant. Auch im systemischen Denken zeigen sich Vorteile des Einsatzes dieses Systemmodells. So konnten die SchülerInnen, die damit arbeiteten, einen signifikant höheren Kompetenzzuwachs erzielen als die Kontrollgruppe (p < .001) und die Experimentalgruppe „Vernetzungskreis ohne Zeitdiagramm“ (p = .003). Auch gegenüber der Experimentalgruppe „Simulationsmodell mit Zeitdiagramm“ zeigten sich marginale Unterschiede zugunsten des Systemmodells „Vernetzungskreis mit Zeitdiagramm“ (p = .321). In Bezug auf das heuristische Kompetenzmodell (Rieß et al., 2015) zeigen sich die Vorteile dieses Systemmodells besonders in der Systemmodellierungsfähigkeit und im Lösen komplexer Probleme mit Hilfe von Systemmodellen. Eine potenzielle Erklärung liegt im themenspezifischen Interesse, welches durch das Systemmodell „Vernetzungskreis mit Zeitdiagramm“ gesteigert werden konnte, während es sich in den übrigen Experimentalgruppen über die Zeit tendenziell verringert, F(3, 273) = 3.70, p = .01, ηp2 = .04. Evidenzakkumulierung zur Bestimmung einer wirksamen Klimabildung: Eine Meta-Analyse Hintergrund: Der Klimawandel ist eines der dringlichsten Themen unserer Zeit. Zahlreiche wissenschaftliche Belege weisen darauf hin, dass menschliche Aktivitäten und Handlungen wesentlich zum Klimawandel beitragen und mit Folgen für viele natürliche und gesellschaftliche Systeme einhergehen (IPCC 2018; Cook et al. 2013). Schätzungen legen nahe, dass uns weniger als zwölf Jahre verbleiben, um der sich anbahnenden Klimakatastrophe entgegenzuwirken (IPCC 2018; UNFCCC 2016). In diesem Zusammenhang spielt insbesondere die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BNE) sowie die Klimabildung (englisch Climate Change Education, CCE) eine wichtige Rolle (z.B. UNFCCC 2016). Die Klimabildung soll bei den Lernenden ein Bewusstsein für den Klimawandel, dessen Ursachen und Folgen entwickeln, sowie entsprechende Handlungskompetenzen fördern. In der Literatur finden sich zahlreiche Studien, die unterschiedliche methodische als auch inhaltliche Ansätze untersuchen, um solche Ziele zu fördern (z.B., Cartwright et al., 2021; Deisenrieder et al., 2020; Karpudewan & Mohd Ali Khan, 2017; Reinfried et al., 2012) sowie mehrere Reviews, welche diese Studien inhaltlich beschreiben und zusammenfassen (z.B., Bhattacharya et al., 2021; Kranz et al., 2022). Bislang existieren jedoch noch keine Meta-Analyse, welche die Wirksamkeit von Interventionen im Bereich der Klimabildung quantifizieren. Fragestellung: Das Ziel der vorliegenden Meta-Analyse war es, die Wirksamkeit von Klimabildungsinterventionen auf unterschiedliche Personenmerkmale wie Wissen, Einstellung und Verhalten zu untersuchen. Dabei wurde einerseits der Frage nach der mittleren Wirksamkeit über alle Interventionsstudien hinweg nachgegangen und andererseits der Frage nach Moderatorvariablen, welche Unterschiede in der Wirksamkeit der Studien erklären können. Methode: Das methodische Vorgehen richtete sich nach den typischen Schritten einer Meta-Analyse (PRISMA). Eine systematische Literatursuche wurde durchgeführt in den Datenbanken ERIC, PsycInfo und Web of Science. Zusätzlich wurden Studien auf früheren Reviews miteinbezogen. Die Studien mussten die folgenden Einschlusskriterien erfüllen: (1) eine Bildungsintervention mit einem expliziten Fokus auf das Thema Klimawandel untersuchen, (2) eine Population von Grund- oder Sekundarschülern untersuchen, (3) ein Prä-Post-Design, ein quasi-experimentelles oder ein randomisiertes kontrolliertes Design anwenden, (4) in einer preer-reviewten Zeitschrift veröffentlicht worden sein, (5) in englischer Sprache verfasst sein, sowie (6) ausreichend Daten zur Berechnung von Effektstärken enthalten. Die Daten wurden mittels eines Mehrebenen Ansatzes für Meta-Analysen untersucht. Konkret wurde ein Random-Effects-Modell mit vier Ebenen berechnet, welches Varianz zwischen den einzelnen Effektstärken (Level 1), Varianz innerhalb der einzelnen Subgruppen einer Studie (Level 2), Varianz innerhalb der einzelnen Studien (Level 3), sowie Varianz zwischen den Studien (Level 4) berücksichtigt. Zusätzlich wurden Moderatoranalysen durchgeführt um potentielle Faktoren identifizieren zu können, welche Unterschiede zwischen den einzelnen Effektstärken erklären können. Untersuchte Moderatorvariablen beinhalteten unter anderem die Dauer der Intervention, von wem die Intervention durchgeführt wurde, die Inhalte der Intervention, sowie das Studiendesign. Ergebnisse: Die Datenbankrecherche ergab insgesamt 6 159 Treffer, von denen 53 Studien in die Meta-Analyse eingeschlossen werden konnten. Die Ergebnisse weisen auf einen signifikanten, großen Effekt auf kognitive Variablen hin (42 Studien mit 131 Effektstärken, standardisierte mittlere Differenz [SMD] = 0.77, 95% CI = 0.58, 0.96), einen kleinen, signifikanten Effekt auf einstellungsbezogene Variablen (17 Studien mit 46 Effektstärken, SMD = 0.39, 95% CI = 0.17, 0.62), sowie verhaltensbezogene Variablen (11 Studien mit 30 Effektstärken, SMD = 0.36, 95% CI = 0.12, 0.61). Innerhalb der Moderatoranalysen gab es marginal signifikante Effekte für die Art des Studiendesigns (i.e., Prä-Post Designs erzeugten höhere Effektstärken als andere Designs), die Lehrperson, welche konkreten Inhalte behandelt wurden (i.e., Interventionen, welche die Grundlagen von Klimabildung behandelten, scheinen den Wissenszuwachs besonders effektiv zu fördern), sowie einen singifikanten Effekt für die Dauer der Intervention für einstellungsbezogene Variablen (i.e., 90-minütige oder kürzere Interventionen scheinen effektiver zu sein als längere). Bildung für nachhaltige Entwicklung im gegliederten Schulsystem: Differenzielle Entwicklungsverläufe in der Nachhaltigkeitskompetenz von Schüler:innen? Theoretischer Hintergrund Die Idee der nachhaltigen Entwicklung erfährt aktuell, mit Blick auf sich verschärfende globale Herausforderungen, neuen „Rückenwind“ und breite gesellschaftliche Akzeptanz. Beim Praxistransfer spielen Bildungsinstitutionen und das Programm einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) an (Hoch)Schulen eine entscheidende Rolle (Rieß et al., 2022). Eine wirksam verankerte BNE vermittelt nachwachsenden Generationen Fähigkeiten, die sie benötigen, um die Herausforderungen der Gegenwart und die Transition in eine zukunftsfähige Gesellschaft zu bewältigen. Auch im Sinne intergenerationaler Gerechtigkeit sollten daher intensive Anstrengungen unternommen werden, die Entwicklung von Nachhaltigkeitskompetenz in einem ganzheitlichen Bildungskonzept zu unterstützen (Waltner et al., 2021). In Baden-Württemberg wurde die Leitperspektive BNE mit dem neuen Bildungsplan für die Sekundarstufe I zum Schuljahr 2016/2017 eingeführt (MWK, 2016). Bislang ist jedoch noch nichts darüber bekannt, inwiefern die Einführung dieser Leitperspektive zur Entwicklung von Nachhaltigkeitskompetenz bei Schüler:innen beiträgt und inwiefern schulstrukturelle Rahmenbedingungen hierbei eine Rolle spielen. Charakteristisch für das deutsche Schulsystem in der Sekundarstufe ist die externe Differenzierung in Bildungsgänge mit unterschiedlichen Anforderungsniveaus. Zwar entwickeln sich die Bundesländer zunehmend hin zur Zweigliedrigkeit, in einigen Bundesländern wie z.B. in Baden-Württemberg gibt es allerdings nach wie vor neben dem Gymnasium eine Reihe weiterer nicht-gymnasialer Schulformen (Neumann et al., 2017; Nikolai, 2022). Eine solche externe Differenzierung kann einerseits zu sozialer Stratifizierung bzw. Segregation (Baumert et al., 2003, 2006) führen. Andererseits eröffnen differenzielle Lern- und Entwicklungsmilieus den Schüler:innen je nach besuchter Schulform unterschiedliche Entwicklungschancen, die dazu führen, dass ihre individuelle Entwicklung ungleich verläuft, erschwert oder sogar verhindert wird (Baumert et al., 2006). Schulformspezifische Schereneffekte im Verlauf der Sekundarstufe wurden wiederholt für die Kompetenzentwicklung von Schüler:innen in verschiedenen Domänen nachgewiesen (z.B. Baumert et al., 2006, 2009, 2010; Becker et al., 2006, 2012; Dumont et al., 2013; Gröhlich et al., 2010a, 2010b; Neumann et al., 2007; Scharenberg et al., 2014). Inwiefern solche Schereneffekte auch für die Entwicklung von Nachhaltigkeitskompetenz existieren, ist bisher jedoch nicht bekannt. Fragestellung Der Beitrag geht daher der Frage nach, inwiefern sich Effekte differenzieller Lern- und Entwicklungsmilieus für die Entwicklung der Nachhaltigkeitskompetenz von Schüler:innen in der Sekundarstufe I nachweisen lassen. Daten und Methode Datengrundlage ist eine Sekundäranalyse basierend auf der Studie „BNE im Unterricht – Gelingensbedingungen für die Entwicklung von Nachhaltigkeitskompetenz“ (BUGEN). Dabei wurden zu Beginn und Ende des Schuljahres 2018/2019 kognitive (Nachhaltigkeitswissen), affektive (nachhaltigkeitsbezogene Einstellungen), verhaltensbezogene (selbstberichtetes nachhaltigkeitsbezogenes Verhalten) Aspekte der Nachhaltigkeitskompetenz erfasst. Die Analysestichprobe umfasste n=1.178 Schüler:innen (Jahrgangsstufen 5–8) aus 63 Schulklassen aus zehn zufällig ausgewählten Schulen in Baden-Württemberg. Methodisch wurde ein Mehrebenenmodell (Mplus 8.7.1; Muthén & Muthén, 2022) mit zwei Analyseebenen spezifiziert. Abhängige Variable war die Nachhaltigkeitskompetenz am Schuljahresende. Prädiktoren auf Individualebene waren das Geschlecht, die Sprache im Haushalt und die Nachhaltigkeitskompetenz zu Schuljahresbeginn. Auf Klassenebene wurde für über Aggregation gebildete Kompositionsmerkmale und die Schulformzugehörigkeit kontrolliert. Ergebnisse Die Varianzzerlegung ergab signifikante Unterschiede zwischen Schulklassen für das Wissen (ICC=0.376), die Einstellungen (ICC=0.114) und das Verhalten (ICC=0.112, jeweils p<.001), die auf die Bedeutsamkeit der Schulklassenzugehörigkeit hinweisen. Mehrebenenanalysen zeigten für alle drei Facetten der Nachhaltigkeitskompetenz, dass das jeweilige Ausgangsniveau zu Schuljahresbeginn unter Kontrolle des Geschlechts und der Sprache im Haushalt der stärkste Prädiktor ist (Wissen: β=0.558; Einstellungen: β=0.521; Verhalten: β=0.511, jeweils p<.001). Auf Aggregatebene ließen sich für alle drei Kompetenzfacetten günstigere Entwicklungen bei höherem durchschnittlichen Ausgangsniveau zu Schuljahresbeginn (Wissen: β=0.448, p<.001; Einstellungen: β=0.406, p<.05; Verhalten: β=0.247, p<.10) nachweisen. Schulformspezifische Schereneffekte bestanden zugunsten der Gymnasien (Wissen: β=0.431, p<.05) sowie zuungunsten der Gemeinschaftsschulen (Einstellungen: β=-0.679, Verhalten: β=-0.637, jeweils p<.001). Diskussion Die vorliegende Studie belegt erstmals differenzielle Entwicklungsverläufe für verschiedene Facetten der Nachhaltigkeitskompetenz bei Schüler:innen in Abhängigkeit der besuchten Schulform. Die Befunde sind insofern problematisch, als es Schulen offenbar in unterschiedlichem Ausmaß gelingt, nachwachsende Generationen auf aktuelle, gesamtgesellschaftlich bedeutsame Herausforderungen vorzubereiten. Abschließend soll diskutiert werden, welche Rolle hierbei die Lehrkräfte spielen. |
13:10 - 14:50 | 2-09: Universitätsschulen - Impulse für die empirische Bildungsforschung? Ort: S17 |
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Offenes Beitragsformat
Universitätsschulen - Impulse für die empirische Bildungsforschung? 1Universität Potsdam; 2Universität zu Köln; 3Technische Universität Dresden; 4Universität Bielefeld; 5Universität Duisburg-Essen Zielstellung Ob die empirische Bildungsforschung nachhaltige Erkenntnisse für die Entwicklung von Lernenden generieren kann, hängt auch davon ab, ob es Schulen als Praxispartnerinnen ermöglicht wird, innovative Lehr-Lern-Konzepte in den Bildungsalltag zu implementieren, zu adaptieren und zu evaluieren (Holtappels, 2019, Palowski et al., 2019). Universitätsschulen unterstützen diesen bidirektionalen Wissenstransfer zwischen Bildungswissenschaft und Schulpraxis durch ihre Verbundenheit mit einer lehrkräftebildenden Hochschule in besonderer Weise. Sie zeichnen sich durch eine ausgeprägte Offenheit gegenüber Innovationen aus und ermöglichen auf vielfältige Art bildungswissenschaftliche Forschung im Schulalltag (Coriand, 2003). Wenngleich Formen von Universitätsschulen auch in Deutschland seit längerem bestehen, so wurden in jüngster Zeit an mehreren Hochschulstandorten in Deutschland neue Universitätsschulen gegründet bzw. sind in Planung. In der Session sollen anhand von fünf ausgewählten Standorten sowohl die Konzepte der Schulen als auch die Formen der Kooperation zwischen Universität und Schule präsentiert werden. Im Vordergrund steht somit eine vergleichende Vorstellung der Schwerpunkte der ausgewählten Universitätsschulen und die Diskussion der Impulse, die sich daraus für eine interdisziplinäre empirische Bildungsforschung ergeben können. Inhalt Im ersten Impulsbeitrag wird der Ansatz der Laborschule Bielefeld vorgestellt. Das wissenschaftliche Bielefelder Profil ist im Paradigma der Praxisforschung zu verorten (Zenke et al., 2019). Das Hauptmerkmal dieses partizipativen Forschungsansatzes ist die Generierung von Fragestellungen, die Durchführung von Forschungsvorhaben und die Dissemination der Resultate durch Praktiker:innen mit dem Ziel, sowohl eine Professionalisierung von Lehrer:innen (Altrichter & Posch 2007; James & Augustin, 2018; McLaughlin, 2011) als auch einen Wandel von Schule, in Verbindung mit Kenntnissen über einen solchen, zu erreichen (Klewin et al., 2016). Dabei kann die Laborschule Bielefeld auf langjährige Erfahrung in der Zusammenarbeit von universitären Forscher:innen (als Angehörige der Wissenschaftlichen Einrichtung Laborschule) und forschenden, mit einem gesonderten Stundenpool ausgestatteten Lehrer:innen (als Angehörige der Versuchsschule Laborschule) zurückblicken. Im Impulsbeitrag soll am Beispiel der Forschungs- und Entwicklungsprojekte „LabSchoolsEurope“ sowie der „Absolvent*innenstudie“ ausgelotet werden, wie die Kollaboration von Lehrer:innen, pädagogischen Mitarbeiter:innen sowie universitären Wissenschaftler:innen in der Praxis verläuft und welche Chancen und Herausforderungen sich dabei ergeben. Im Fokus des zweiten Impulsbeitrags steht die Universitätsschule Dresden, die zum Schuljahr 2019/2020 als Schulversuch des Landes Sachsen gestartet ist. Die Anforderungen an Schule und den damit verbundenen Bildungsprozessen steigen stetig an: Schule soll kompetent für das künftige Leben machen; im Angesicht von Globalisierung, Individualisierung, Digitalisierung und Teamfähigkeit ist dies eine Herausforderung für jeden Einzelnen und für die Gestaltung von Schule. Zur Klärung dieser Fragen wurde ein „Real-Labor“ (Schäpke et al., 2018) durch die Technische Universität Dresden geschaffen, in dem vor allem auch dazu geforscht werden soll, wie Metakompetenzen für den Einsatz von digitalen Werkzeugen im Bildungsprozess etabliert werden können. Insgesamt ist die Universitätsschule darauf ausgerichtet, innovative und vor allem längsschnittliche Forschung im Bereich der Institution Schule zu ermöglichen. Im Rahmen des Beitrages wird das Design zur Forschung an der Universitätsschule vorgestellt und diskutiert, welche Möglichkeiten sich durch ein Real-Labor für die empirische Bildungsforschung ergeben. Der dritte Impulsbeitrag widmet sich der Heliosschulen – Inklusive Universitätsschule Köln. Die Entstehung der Kölner Universitätsschule(n) ist eng verbunden mit der Initiative von Studierenden an der Universität, die sich im Jahr 2008 in der Lehrkräftebildung nicht ein schlichtes Mehr, sondern eine andere Form pädagogischer Praxis gewünscht und dies mit hoher Durchsetzungskraft politisch überzeugend artikuliert haben (Hensel et al., 2020). Sie forderten eine Verbesserung des Theorie-Praxis-Verhältnisses während des Lehramtsstudiums. Im Vortrag werden das Ausbildungs- und Forschungskonzept der Universitätsschule vorgestellt. Beide Konzepte sind in hohem Maße auf Integration unterschiedlicher Forschungs- und Ausbildungskulturen und -paradigmen an den vier lehrkräftebildenden Fakultäten orientiert (Reich, 2019). Zum anderen soll das Konzept mit Blick auf die pädagogische Architektur und Raumgestaltung präsentiert werden (Kricke et al., 2018). Entlang dieser Schwerpunkte werden Chancen und Herausforderungen für die empirische Bildungsforschung skizziert. Im vierten Impulsbeitrag wird das Konzept der Universitätsschule Potsdam vorgestellt. Im Fokus einer zeitgemäßen schulischen Bildung im Kontext gegenwärtiger Veränderungsprozesse stehen dabei die drei Schwerpunktthemen a) Weiterentwicklung schulischer Inklusion b) die alters- und entwicklungsangemessene Verschränkung analoger und digitaler Lehr-Lern-Settings sowie c) die Einbindung der Schule in das Quartier. Die Forschungsaktivitäten an der Universitätsschule sollen einerseits Erkenntnisse liefern, die der Absicherung und Weiterentwicklung der Universitätsschule dienen. Entsprechend steht die Schule in ihrer Gesamtheit im Fokus dieser Art von Forschung. Andererseits dient die Forschung an der Schule der Überprüfung spezifischer schulbezogener Forschungsfragen, die über eine direkte Nutzbarkeit durch die Schule hinausweisen und somit einen Mehrwert für andere Kontexte generiert (Spörer & Völkner, 2021). Da die Potsdamer Bildungsforschung sich vorwiegend quantitativ orientiert, soll im Impulsvortrag spezifischer ausgelotet werden, welche Art von Forschungsdesigns im Rahmen der Forschung an der Universitätsschule zur Anwendung kommen sollen. Zudem wird das Konzept der Transferwerkstatt zur Koordination der Forschungsaktivitäten vorgestellt. Schließlich wird im fünften Impulsbeitrag der aktuelle Entwicklungsstand der Universitätsschule Essen vorgestellt. Für die Neugründung der dreizügigen Grundschule in unmittelbarer Nähe zum Campus Essen haben sich Stadt Essen, Schulaufsicht und Universität Duisburg-Essen (UDE) vernetzt, um gemeinsam den Schulaufbau und perspektivisch die Schulentwicklung zu begleiten und mitzugestalten. Bisher konnten im Rahmen dieser Zusammenarbeit das Raumprogramm für die Ausschreibung des Architekturwettbewerbs entwickelt werden, welches auf den konzeptionellen Ideen für die Universitätsschule aufbaut. Die Verhältnissetzung von Pädagogik, Didaktik und Raum stellt somit eine erste Forschungsperspektive dar. Darauf aufbauend wird derzeit ein Forschungskonzept entwickelt. Es wird sich dem Standort der Schule folgend auf die forschende Begleitung der Schul- und Unterrichtsentwicklung in herausfordernden Kontexten und die Förderung von Bildungsgerechtigkeit zentrieren. Inwiefern vor dem Hintergrund einer sich im Aufbau befindlichen Universitätsschule deren Akteure (Schulleitung, Lehrer:innen, Kinder, Eltern & Wissenschaftler:innen) partizipativ beteiligt werden können, ist eine offene Frage, die im Beitrag diskutiert wird. Ablauf Im ersten Teil (ca. 50 Minuten) wird sich zunächst jeder Standort in jeweils 8 bis 10 Minuten kurz präsentieren. Insgesamt soll verdeutlicht werden, dass sich jede Universitätsschule durch eine individuelle Schwerpunktsetzung auszeichnet. Während einige Standorte den Fokus auf die Ausbildung von Studierenden legen, steht an anderen Standorten die Implementation bestimmter Lehr-Lern-Konzepte oder Forschungsansätze im Fokus. Der zweite Teil der Session besteht sodann aus einer moderierten Diskussion mit dem Plenum. Im Fokus der Diskussion steht, auf welchen Ebenen Universitätsschulen Impulse für die empirische Bildungsforschung geben können. |
15:20 - 17:00 | 3-09: Erfassung selbstregulierten Lernens: Innovative Möglichkeiten im Rahmen multimethodaler Ansätze (DFG-Netzwerk SeReNe) Ort: S17 |
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Symposium
Erfassung selbstregulierten Lernens: Innovative Möglichkeiten im Rahmen multimethodaler Ansätze (DFG-Netzwerk SeReNe) Selbstreguliertes Lernen (SRL) und seine Komponenten (Kognition, Motivation und insbesondere Metakognition) zeigen sich als wichtige Prädiktoren für akademischem Erfolg (Dent & Koenka, 2016) und werden als trainierbar angesehen (Dignath et al., 2008). Um entsprechende Fördermaßnahmen einleiten und evaluieren zu können, sind reliable und valide Erfassungsmethoden zur Diagnostik von SRL unabdingbar (Cleary & Callan, 2018). Bisherige Studien sprechen für maximal moderate Zusammenhänge zwischen verschiedenen Instrumenten zur Erfassung von SRL (z.B. Dörrenbächer-Ulrich et al., 2021), weshalb die Kombination verschiedener Messinstrumente vielversprechend zu sein scheint, um das Konstrukt umfassend abzubilden (Rovers et al., 2019). Das Symposium beinhaltet vier Beiträge, die auf die (multimethodale) Erfassung von SRL sowie metakognitive Überwachung fokussieren sowie innovative Erfassungsmöglichkeiten vorstellen. Im Rahmen einer Meta-Analyse untersucht der erste Beitrag den aktuellen Forschungsstand zur multimethodalen Erfassung des selbstregulierten Lernens in Primar-, Sekundar- und Hochschulbildung. Basierend auf vorher definierten Inklusions- (Erfassung von SRL mit mindestens zwei Instrumenten, Messung von mindestens zwei der drei SRL-Komponenten, Einbezug von Leistungsvariablen) und Exklusionskriterien (keine Populationen mit Lernschwierigkeiten) wurden elf Studien ausgewählt, die im Hinblick auf die Zusammenhänge der Instrumente untereinander, der Zusammenhänge zu Leistung sowie Alter als mögliche Moderatorvariable analysiert werden. Der zweite Beitrag stellt eine Testbatterie zur aufgabenspezifischen Erfassung des Lernstrategiewissens und –gebrauchs beim Lesen für Fünft- und Sechstklässler*innen vor. Das Set umfasst einen Vignettetest, einen Fragbogen, die Auswertung im Text genutzter Organisationsstrategien sowie die Messung des Lernerfolgs. Die bereits in früheren Studien gefundene Fünf-Faktoren-Struktur des Fragebogens konnte bestätigt werden, die Interraterreliabilität für den Vignettentest und den Strategiegebrauch erwiesen sich als sehr gut und es zeigten sich Hinweise für die konvergente sowie diskriminante Validität. Weder Intelligenz noch Lesekompetenz zeigten einen Einfluss auf den Zusammenhang der Lernstrategien mit tatsächlichem Lernerfolg. Lerntagebücher haben neben einer diagnostischen Funktion auch eine Interventionswirkung, da sie sich mittels Reaktivitätseffekten positiv auf das selbstregulierte Lernen (z.B. Motivation) auswirken können. Dies kann verstärkt werden, indem Feedback sowie Strategieempfehlungen integriert werden. In diesem Kontext stellt der dritte Beitrag die Entwicklung eines Lerntagebuchs vor, das für Schüler*innen der Klassenstufen 5 bis 9 genutzt werden kann. Es werden die Ergebnisse einer Validierungsstudie hinsichtlich Reliabilität, konvergenter und diskriminanter Validität und Verlaufsdaten berichtet. Basierend auf den Ergebnissen der Studie soll automatisch generiertes Feedback in das Lerntagebuch integriert werden. Der vierte Beitrag untersucht die Bedeutung der metakognitiven Komponente von SRL für die Adaptivität beim Rechnen von Grundschulkindern. Dazu wurde die metakognitive Urteilsfähigkeit, der Einsatz metakognitiver Strategien bei verschiedenen Rechenmethoden sowie kognitive Rechenstrategien mittels Laut-Denk-Protokollen erfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass die adaptive Nutzung von Rechenstrategien mit besserer metakognitiver Urteilsfähigkeit und stärkerer Nutzung von metakognitiven Strategien zusammenhängt. Darüber hinaus scheint es im Hinblick auf die gemessenen metakognitiven Variablen einen Unterschied zu machen, ob die Schüler*innen die Rechenmethode frei wählen dürfen oder vorgegeben bekommen. Beiträge des Symposiums Multimethodale Erfassung von SRL in Primar-, Sekundar- und Hochschulbildung - Eine Metaanalyse Selbstreguliertes Lernen (SRL) wird definiert als "self-generated thoughts, feelings, and actions for attaining academic goals" (Zimmerman, 1998). Auch wenn verschiedene Konzeptualisierungen von SRL existieren, wird im Allgemeinen angenommen, dass das Konstrukt aus drei verschiedenen Komponenten besteht: Kognition, Metakognition und Motivation (Perels et al., 2020). Da die Wichtigkeit von SRL für den gesamten Bildungsweg von Grundschule bis hin zum Studium (Kitsantas et al., 2008; Throndsen, 2011; Perels et al., 2009) unbestreitbar ist, ist es wichtig SRL möglichst umfassend zu erfassen, um Interventionen o.ä. planen zu können. Es existieren unterschiedliche Methoden zur Erfassung von SRL. Diese lassen sich grob unterteilen in "Online-" und "Offline-" Instrumente (Wirth & Leutner, 2008). Während Offline-Instrumente SRL als ein eher allgemeines Konstrukt und retrospektiv erfassen, beziehen sich Online-Instrumente auf eine bestimmte Aufgabe und erfassen den SRL Prozess in Echtzeit (ibid.). Häufig genutzte Offline-Instrumente sind Fragebögen, während Verfahren wie die Mikroanalyse oder Laut-Denk-Protokolle zu den Online-Instrumenten zählen. Offline-Instrumente sind nach aktuellem Stand die am häufigsten genutzten Instrumente, auch wenn ihre Nutzung viel Kritik mit sich bringt (Dinsmore et al., 2013; Endedijk et al., 2016). Der Hauptkritikpunkt besteht darin, dass sie sich nicht dafür eignen, "tatsächliches" SRL zu erfassen und dass nicht klar ist, auf welche Situationen Lernende sich beziehen, wenn sie z.B. einen Fragebogen ausfüllen. Andererseits sind sie gut geeignet, um einen allgemeinen Überblick über die generelle SRL-Nutzung/Präferenzen einer Person zu geben (Dinsmore et al., 2013). Online-Instrumente hingegen können die konkrete SRL-Nutzung in Echtzeit während einer spezifischen Aufgabe wiedergeben, eignen sich aber nicht dazu, Aussagen zu dem allgemeinen SRL-Verhalten einer Person zu machen (ibid.). Es gibt Bestrebungen, SRL multimethodal zu erfassen, entweder durch mehrere Instrumente einer Messkategorie oder durch eine Kombination von sowohl Online- als auch Offline-Instrumenten (e.g., Callan & Cleary, 2018; Dörrenbächer-Ulrich et al., 2021). Durch eine Kombination von Instrumenten soll die Reliabilität der Messung gesteigert (Perry & Rahim, 2011; Veenman, 2011) und die Vor- und Nachteile der verschiedenen Instrumente ausgeglichen werden. Erste Studien zeigen Zusammenhänge zwischen SRL-Komponenten, die mit unterschiedlichen Instrumenten einer Messkategorie erhoben wurden (Cleary et al., 2015; Dörrenbächer-Ulrich et al., 2021), allerdings nur wenig Zusammenhänge zwischen online und offline Maßen (ibid.). Ziel der vorliegenden Metaanalyse ist es, Studien, die eine multimethodale Herangehensweise zur Erfassung von SRL nutzen, genauer zu beleuchten und zu untersuchen, wie die unterschiedlichen Instrumente miteinander zusammenhängen. Sowie, ob es Unterschiede zwischen den Instrumenten gibt, wenn es um die Erfassung konkreter Komponenten geht. Des Weiteren soll das Alter als Moderator des Zusammenhangs untersucht werden, da sich die Art der eingesetzten Instrumente v.a. für jüngere Altersgruppen unterscheidet (Perels et al., 2022). Zudem wird betrachtet, ob sich verschiedene Instrumente besser dafür eignen Performanz (z.B. Noten) vorherzusagen. Als Basis für die Literaturrecherche werden genaue Inklusions- und Exklusionskriterien definiert. So werden nur Studien in Betracht gezogen, die zwischen 2003 und 2023 publiziert wurden. In den Studien muss SRL mit mindestens zwei unterschiedlichen Instrumenten erhoben worden sein, sowie auf mindestens zwei der drei Komponenten Bezug genommen werden. Als Zielstichproben werden Schüler*innen der Primar- oder Sekundarstufe sowie Studierende angenommen. Des Weiteren werden Studien ausgeschlossen, die sich exklusiv auf Stichproben mit Lernbeeinträchtigungen oder Hochbegabungen beziehen. Als weiteres Kriterium muss eine Performanzvariable vorliegen, also z.B. Noten oder Leistung in einem Wissenstest. Basierend auf diesen Kriterien konnten elf Artikel identifiziert werden, die in die Analyse aufgenommen werden. Derzeit wird die Vorauswahl auf Volltextebene nochmal von einer zweiten Person gescannt, sodass die Reliabilität der Auswahl sichergestellt werden kann. Die Ergebnisse liegen zum Tagungszeitpunkt vor. Die Meta-Analyse soll Anhaltspunkte liefern, wie SRL am besten erfasst wird (auch im Hinblick auf Performanzvariablen), ob unterschiedliche Instrumente sich besser zur Erfassung unterschiedlicher Komponenten eignen, und ob es Unterschiede zwischen verschiedenen Altersstufen gibt. Multimethodale Diagnostik von Lernstrategien beim Lesen. Eine Validierungsstudie Die Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen (SRL) wirkt sich positiv auf die Schulleistungen von Schülerinnen und Schülern aus (Dent & Koenka, 2016; Dignath & Büttner, 2008, 2018; Donker et al., 2014). Um sie entsprechend ihres individuellen Entwicklungsstandes in Bezug auf SRL effektiv zu unterstützen, ist es von hoher Bedeutsamkeit, eine differenzierte Diagnostik durchzuführen (Dignath & Sprenger, 2020; Van de Pol et al., 2010). Es existieren zwar mehrere Methoden zur Messung von SRL, doch mangelt es ihnen häufig an Validität und Reliabilität (Veenman & van Cleef, 2019). Die Kombination verschiedener diagnostischer Ansätze und die Berücksichtigung aufgaben- und situationsspezifischer Faktoren scheint vielversprechend zu sein, um Zusammenhänge zwischen SRL und akademischem Erfolg aufzudecken (Cleary & Callan, 2018; Fan et al., 2023; Rovers et al., 2019; Spörer & Brunstein, 2006; Zepeda & Nokes-Malach, 2023). Zu diesem Zweck wurde eine Testbatterie für fünfte und sechste Jahrgangstufen, das „Münsteraner Analyseset zur aufgabenspezifischen Erfassung von Lernstrategien beim Lesen“ (MALS; Unkel, 2023) 2023), weiterführend validiert. Die Testbatterie umfasst für jede Klassenstufe zwei parallele Testformen, die jeweils einen Sachtext und sechs Multiple-Choice (MC)-Aufgaben, einen Vignettentest zur Erfassung des Lernstrategiewissens und einen Fragebogen zur Erfassung des aufgabenspezifischen Einsatzes von Lernstrategien bei der Bearbeitung des Sachtextes enthalten. Der tatsächliche Einsatz von Lernstrategien wird durch sichtbare Organisationsstrategien im Testheft (z. B. Textmarkierungen und Notizen) gemessen. Die Validierung des MALS (Untersuchung der Faktorenstruktur des Fragebogens, der Interrater-Reliabilitäten für die Bewertung des Lernstrategiewissens und des Organisationsstrategiegebrauchs sowie die Überprüfung der Konstruktvalidität) erfolgte anhand einer Stichprobe von N = 184 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen fünf und sechs. Darüber hinaus diente die Studie der mehrebenenanalytischen Untersuchung der Fragestellung, ob die Faktoren Intelligenz und Lesekompetenz die Zusammenhänge zwischen Lernstrategiewissen sowie Lernstrategiegebrauch und dem MC-Testergebnis als abhängiger Variable moderieren. Die MC-Aufgaben fragen Informationen über den Textinhalt ab und liefern ein Maß für den Lernerfolg bei der Leseaufgabe. Die in früheren Studien für den Fragebogenteil gefundene Fünf-Faktoren-Struktur (Unkel, 2023) konnte bestätigt werden (χ² = 213, df = 116, p < .003, CFI = .97, TLI = .97, SRMR = .06, RMSEA = .04). Die Interrater-Reliabilitäten für die Bewertung des Lernstrategiewissens und des Organisationsstrategiegebrauchs erwiesen sich als gut bis sehr gut (Lernstrategiewissen: κ = .64 bis .1; Organisationsstrategieeinsatz: κ = .70 bis .1). Die Überprüfung der Konstruktvalidität ergab überwiegend erwartungskonforme Ergebnisse in Bezug auf die konvergente und diskriminante Validität. Weder in Bezug auf die Intelligenzleistung noch auf die Lesekompetenz ließen sich signifikante Interaktionseffekte mit den hier untersuchten Lernstrategiefacetten (Lernstrategiewissen, tatsächlicher Organisationsstrategiegebrauch, selbst berichteter Lernstrategiegebrauch) zur Vorhersage des Lernerfolgs (MC-Testergebnis) nachweisen. Signifikante Haupteffekte ergaben sich für die Prädiktoren Intelligenz und Lesekompetenz. Darüber hinaus trug insbesondere das Leseselbstkonzept zur Varianzaufklärung in Bezug auf das MC-Testergebnis als Kriterium bei. Hinsichtlich der Lernstrategien wurden lediglich geringe signifikante Effekte für das Lernstrategiewissen und die Gesamtsumme Textmarkierung (nicht aber für die Textmarkierungsqualität) gefunden. Die geringen Effekte in Bezug auf die untersuchten Lernstrategien stehen jedoch im Einklang mit früheren Befunden, die belegen, dass der Zusammenhang zwischen Lernstrategieeinsatz und Lernerfolg erst mit zunehmendem Alter konsistenter wird (Leopold & Leutner, 2002). Zudem gilt es zu bedenken, dass es sich mit dem MALS zwar um ein valides und reliables Testinstrument handelt, das jedoch vor allem kognitive Lernstrategien (insbesondere Organisationsstrategien) in den Blick nimmt. In einem Ausblick werden zukünftige Forschungsideen vorgestellt, die einen stärkeren Fokus auf metakognitive Lernstrategien unter Verwendung innovativer Messmethoden (z.B. mit retrospektiven Protokollen und der Erfassung von Logdaten) richten. Erfassung von selbstregulatorischen Variablen beim Rechnen von Grundschulkindern Die Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen (SRL) ist von zentraler Bedeutung für akademischen Erfolg an Schulen (Dent & Koenka, 2016; Dignath et al., 2008). Um SRL weiter erforschen zu können, werden daher Messinstrumente benötigt, die dieses facettenreiche Konstrukt erfassen können. Obwohl die meisten SRL-Modelle das Lernen als Prozess auffassen (Schmitz & Wiese, 2006; Winne & Hadwin, 1998; Zimmerman, 2008), dominieren querschnittliche Fragebögen deutlich die Forschungsliteratur (Roth et al., 2016). Lerntagebücher hingegen bieten die Möglichkeit, alltägliches Lernverhalten in situo im Lernkontext zu erfassen und dieses Lernhalten in seinem Verlauf zu dokumentieren (Perels et al., 2007). Dadurch können auch zentrale theoretische Annahmen von SRL-Modellen empirisch überprüft werden, wie z.B. dass sich die Outcomes eines Lerntages auf die Motivation des Folgetags auswirkt (Bellhäuser et al., 2021) und dass sich daraus sowohl positive als auch negative intraindividuelle Feedback-Loops entwickeln können (virtuous and vicious circles; Theobald et al., 2023). Im Gegensatz zu SRL-Fragebögen haben sich allerdings bisher keine SRL-Lerntagebücher als Standard-Messinstrumente etablieren können (Roth et al., 2016), was die Vergleichbarkeit von Studien erschwert. Ziel des vorliegenden Beitrags ist daher die Entwicklung eines Lerntagebuchs, das bei unterschiedlichen Zielgruppen und unterschiedlichen Rahmenbedingungen von Schüler*innen einsetzbar ist und auch von anderen Forschungsgruppen adaptiert werden kann. Lerntagebücher erfüllen zwei Funktionen: Neben dem oben beschriebenen Einsatz zur Datenerhebung, können sie auch als Intervention eingesetzt werden (Panadero et al., 2015). Dabei führt die tägliche Konfrontation mit standardisierten Fragen (z.B. „Welche Ziele setzt du dir für den heutigen Tag?“) zu einer veränderten Aufmerksamkeit, die wiederum eine Verhaltensänderung nach sich zieht, was als Reaktivitätseffekt bezeichnet wird (Zimmerman, 2002). Wie Dignath und Kolleg*innen (2023) zeigen konnten, haben Lerntagebücher und ähnliche Self-Monitoring-Tools kleine positive Effekte auf SRL und Motivation und moderate positive Effekte auf akademische Leistungen. Eine Weiterentwicklung von Lerntagebüchern als Intervention besteht darin den Versuchspersonen auf ihre Lernprozessdaten ein automatisch generiertes Feedback anzubieten. Dabei werden die individuellen Daten von einem digitalen Lerntagebuch erfasst, algorithmisch verarbeitet und unmittelbar im Lerntagebuch in Form von visuellem oder textuellem Feedback angezeigt. So präsentierten Wäschle und Kolleg*innen (2014) in einem wöchentlichen Tagebuch eine dynamische Grafik, in der individuelle Verlauf der Prokrastination der Proband*innen angezeigt wurde. Das Feldexperiment konnte zeigen, dass durch die Präsentation dieses Verlaufs die Prokrastinationsneigung der Proband*innen gesenkt werden konnte. Theobald und Bellhäuser (2022) sowie Bellhäuser und Kolleg*innen (2023) setzten hingegen textuelles Feedback ein: Dabei wurden die individuellen täglichen Daten der Proband*innen verglichen mit Normwerten einer größeren Stichprobe. Basierend auf Cut-off-Werten wurden dann vorformulierte Textbausteine ausgewählt und präsentiert. Es zeigte sich insgesamt ein positiver Effekt dieses Feedbacks auf viele SRL-Facetten, insbesondere wenn sowohl metakognitive als auch motivationale Aspekte im Feedback berücksichtigt wurden und wenn das Feedback auch eine Feed-Forward-Komponente, also konkrete Strategieempfehlungen, enthielt. In der vorliegenden Studie wird ein neues Lerntagebuch für Schüler*innen der Klassenstufen 5 bis 9 erprobt. Ziel ist es, ein reliables und valides Messinstrument zu entwickeln, das an den Schulalltag (zunächst an Gymnasien) angepasst ist und in möglichst kurzer Zeit ein möglichst umfassendes Bild des täglichen SRL-Verhaltens erfasst. Die erhobenen Daten der vorliegenden Studie dienen der Normierung, um in zukünftigen Studien automatisch generiertes Feedback anbieten zu können. Wir konnten N=461 Schüler*innen der Klassenstufen 5 bis 9 an Gymnasien in Rheinland-Pfalz rekrutieren (MGesamt=12,0 Jahre, SD=1,5 Jahre; n=179 weiblich, n=259 männlich, n=13 non-binär oder keine Angabe; 5. Klasse: n=100, 6.Klasse: n=104, 7. Klasse: n=22, 8. Klasse: n=199, 9. Klasse: n= 26). Nach einer querschnittlichen T1-Fragebogen-Erhebung füllten die Schüler*innen über einen Zeitraum von vier Wochen täglich morgens im Schulunterricht das Lerntagebuch aus (Gesamtrücklauf: K=5.327 Tagebuch-Einträge), gefolgt von einer weiteren querschnittlichen T2-Fragebogen-Erhebung (N=454). Im Vortrag präsentieren wir Daten zu Reliabilität, konvergenter und divergenter Validität sowie Verlaufsdaten für die unterschiedlichen Altersgruppen. |
Datum: Dienstag, 19.03.2024 | |
10:30 - 12:10 | 4-09: Professionelle Unterrichtswahrnehmung: Wie blicken Lehrkräfte auf ihre Schülerinnen und Schüler? Ort: S17 |
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Symposium
Professionelle Unterrichtswahrnehmung: Wie blicken Lehrkräfte auf ihre Schülerinnen und Schüler? Professionelle Unterrichtswahrnehmung ist eine zentrale Kompetenz von Lehrkräften, da sie in der Lage sein müssen, relevante Ereignisse wahrzunehmen und als solche zu identifizieren, um entsprechend darauf reagieren zu können (Wolff et al., 2016). Studien konnten zeigen, dass Eye Tracking eine vielversprechende Methode darstellt, professionelle Unterrichtswahrnehmung bei Lehrkräften zu untersuchen (für ein Review dieser Arbeiten, Grub et al., 2020). Eye Tracking ermöglicht die präzise Erfassung der Blickbewegungen von Lehrkräften und somit die Analyse der Anzahl und Dauer von Fixationen auf Schüler:innen sowie die Untersuchung der Aufmerksamkeitsverteilung im gesamten Klassenzimmer (Stahnke & Blömeke, 2021). Das Symposium präsentiert vier Beiträge, die mit Hilfe der Eye-Tracking-Technologie neue Einblicke in die professionelle Unterrichtswahrnehmung von Lehrkräften in komplexen schulischen Kontexten geben und der Frage nachgehen, wie Lehrkräfte ihre Aufmerksamkeit auf das Unterrichtsgeschehen und ihre Schüler:innen fokussieren. Individuelle Schülermerkmale, darunter Geschlecht sowie motivational-affektive und kognitive Voraussetzungen, beeinflussen Lehrer-Schüler-Interaktionen im Unterricht (Brophy & Good, 1970). Obwohl ihre Bedeutung in der Unterrichtsforschung anerkannt ist, wurden sie in Untersuchungen zur professionellen Unterrichtswahrnehmung bisher vernachlässigt. Ungeklärt ist daher, ob auch die den Lehrkrafthandlungen oftmals vorausgehenden Aufmerksamkeitsprozesse der Lehrkräfte systematisch mit individuellen Schüler:innenmerkmalen zusammenhängen. In diesem Zusammenhang fokussiert Studie 1 auf die Heterogenität im Klassenzimmer im Hinblick auf das Geschlecht und geht der Frage nach, ob es Unterschiede im Blickverhalten von Lehrkräften gibt, je nachdem, ob sie Schülerinnen oder Schüler betrachten. Dabei argumentieren die Autor:innen, dass mögliche Geschlechterstereotype (z.B. Mädchen haben geringes Interesse in Mathematik; Stanat et al., 2018) Aufmerksamkeitsprozesse der Lehrkraft im Unterricht abbilden – angenommen wird, das trotz ähnlichem Verhalten der Schüler:innen, Schüler häufiger und länger Aufmerksamkeit von der Lehrkraft bekommen als Schülerinnen. Zusätzlich wird in der Studie untersucht, ob es einen Unterschied zwischen erfahrenen und unerfahrenen Lehrkräften gibt. In Studie 2 wird untersucht, wie Lehrkräfte ihre Aufmerksamkeit auf Schüler:innen mit unterschiedlichen kognitiven und motivational-affektiven Schüler:innenmerkmalen verteilen (dazu zählen Vorleistung, Interesse und Selbstkonzept). Aufbauend auf Forschungsergebnissen, die zeigen, dass Lehrkräfte häufig mit leistungsstarken Schüler:innen interagieren (Lipowsky et al. 2007), ist bislang ungeklärt, wie sie ihre Aufmerksamkeit auf beispielsweise leistungsschwächere oder desinteressierte Schüler:innen richten, unabhängig von stattfindenden Interaktionen. Es wird vermutet, dass Lehrkräfte zwar weniger häufig mit leistungsschwächeren Schüler:innen interagieren, dass sie diese aber über die Dauer und Verteilung des Unterrichts hinweg immer wieder wahrnehmen und monitoren. Auch in Studie 3 wird argumentiert, dass das Wahrnehmen von Schüler:innenvoraussetzungen eine wichtige Kernkompetenz von Lehrkräften darstellt, insbesondere um den Unterricht in heterogenen Klassenzimmern differenziert gestalten zu können. Aufbauend auf vorherigen Studien, die aufgezeigt haben, dass professionelle Unterrichtswahrnehmung mit spezifischen Wissensstrukturen der Lehrkraft in Zusammenhang stehen (Gegenfurtner et. al., 2023), wird in der Studie Professionswissen (pädagogisch-psychologisches Wissen) und Überzeugungen/Werthaltungen (z.B. Einstellungen zu Inklusion) der Lehrkraft in Verbindung mit ihren Aufmerksamkeitsprozessen beim Betrachten von Unterrichtsvignetten gebracht. Es wird analysiert, ob ein umfassendes Unterrichtswissen und eine hohe Selbstwirksamkeit in Bezug auf inklusiven Unterricht mit einem intensiveren Monitoring aller Schüler:innen sowie einer generell stärkeren Schüler:innenzentrierung (gemessen an der Anzahl und Dauer der Fixationen) einhergehen. Während Eye Tracking präzise Daten über visuelle Aufmerksamkeitsprozesse liefert, bleibt die Interpretationstiefe dieser Aufmerksamkeitsprozesse ohne die Integration von weiteren Datenströmen—wie beispielsweise verbale Rückmeldungen—oftmals vage (Orquin & Holmqvist, 2017). Diese Methoden-Triangulation, obwohl in Eye-Tracking-Studien im Bereich der empirischen Unterrichtsforschung selten verwendet, bietet vertiefte Einblicke in kognitive Vorgänge. In diesem Zusammenhang leistet Studie 4 einen wichtigen Beitrag für zukünftige Forschungsarbeiten, indem die Autor:innen analysieren, wie verbale Rückmeldungen von Lehrkräften zu videografierten Unterrichtsereignissen mit ihrem Blickverhalten korrespondieren. Das Symposium endet mit der Diskussion einer renommierten Unterrichtsforscherin über die Implikationen dieser vier Beiträge zur Integration von Eye Tracking in das Methodenrepertoire der empirischen Unterrichtsforschung. Beiträge des Symposiums Noticing-Fähigkeit von Lehrkräften auf Geschlechter von Schüler*innen Theoretischer Hintergrund Seidel und Stürmer (2014) definieren professionelle Unterrichtswahrnehmung als die Fähigkeit, relevante Unterrichtssituationen zu erkennen und zu interpretieren. Studien in diesem Bereich werden häufig mit der Eye-Tracking-Technologie durchgeführt, um die Augenbewegungen von Lehrkräften (z. B. die Anzahl und Dauer ihrer Fixationen) während des Unterrichtsgeschehens genau zu beobachten und für weitere Analysen zugänglich zu machen (Stahnke & Blömeke, 2022). Die Komponente des Erkennens wird häufig der Noticing-Fähigkeit gleichgesetzt. Diese ist im Bereich des Klassenmanagements sehr bedeutsam und meint eine wissensbasierte Fähigkeit, die Lehrkräfte dazu befähigt selektiv auf relevante Ereignisse in einer Unterrichtssituation zu achten und wahrzunehmen (van Es & Sherin, 2002). Ein professionelles Klassenmanagement zeigt sich unter anderem in der Beurteilungsfähigkeit und dem Verhalten der Lehrkraft im Klassenzimmer. Diese können jedoch durch Stereotype (z.B. Vorurteile gegenüber dem Geschlecht) und Unterrichtsstörungen (z.B. unangemessenes Verhalten einer Schüler*in) verzerrt werden (Glock & Baumann, 2022). Bisherige Befunde zeigen, dass vor allem Stereotype gegenüber Mädchen im Mathematikunterricht bestehen (Denn et al., 2015). Mädchen zeigen geringes Interesse am Fach sowie eine geringe Motivation, wodurch die aufmerksame Beteiligung am Mathematikunterricht erschwert wird (Stanat et al., 2018). Bisherige Forschungen zeigen, dass Lehrkräfte Mädchen im Mathematikunterricht weniger zutrauen als Jungen (Denn et al., 2015). Dabei stellt sich die Frage, ob sich diese Erwartungshaltung schon in der visuellen Aufmerksamkeit bemerkbar macht. Bislang ist unklar, wie Lehrkräfte Schüler*innen Geschlechter wahrnehmen und wie ihre Wahrnehmung mit den schulischen Leistungen der Schüler*innen zusammenhängen. Zweifelsohne impliziert Lehrkraftprofessionalität, dass Lehrkräfte Schüler*innen ohne Voreingenommenheit wahrnehmen, um eine hohe Unterrichtsqualität für alle Schüler*innen unabhängig von ihrem Geschlecht und deren Unterrichtsbeteiligung zu gewährleisten. Forschungsfrage Aufgrund von wenigen Erkenntnisse zu Heterogenitätsaspekten im Zusammenhang mit der professionellen Wahrnehmung von Lehrkräften in Eye-Tracking Studien (Keskin et al., 2022) sind die Forschungsfragen dieser Studie wie folgt: (a) Wie unterscheidet sich der Blick von Lehrkräften, wenn sie Schüler und wenn sie Schülerinnen fixieren, die ähnliche Verhaltensmuster zeigen, (b) wie unterscheiden sich in diesem Fall das Blickverhalten von erfahrenen und angehenden Lehrkräften? Da erfahrene Lehrkräfte ein globaleres Monitoring im Unterricht aufweisen (Gegenfurtner et al., 2023), wird angenommen, dass diese unaufmerksame Jungen früher erkennen.Außerdem wird angenommen, dass erfahrene Lehrkräfte aufmerksame Mädchen erst später erkennen, da Lehrkräfte Mädchen im Mathematikunterricht weniger beachten. Methode An der Studie nahmen 20 erfahrene (15 weiblich, 5 männlich, MAlter = 45.10 Jahre, SDAlter = 9.69) und 20 unerfahrene (12 weiblich, 8 männlich, MAlter = 26.70, SDAlter = 3.79) Lehrkräfte teil. Dabei hatten erfahrene Lehrkräfte im Durchschnitt 18.30 Jahre (SD = 10.89) Berufserfahrung nach abgeschlossenem Referendariat und übernahmen zusätzlich eine Vorgesetztenrolle an ihrer Schule (z.B. Leitung der Fachschaft Mathematik oder Betreuung der Referendar*innen). Unerfahrene Lehrkräfte waren im Durchschnitt im letzten Semester ihres Masterstudiums (MSemester = 3.35, SDSemester = .90) zur Sekundarstufenlehrkraft. Den Teilnehmenden wurden zwei kurze Videoausschnitte gezeigt, in denen jeweils ein authentischer Mathematikunterricht aus der Sekundarstufe zu sehen war. Während der Betrachtng wurden die Augenbewegungen der Teilnehmenden mit Hilfe eines Eye Trackers aufgenommen. Ergebnisse Aufgrund der nicht normalverteilten Daten haben wir Mann-Whitney U tests durchgeführt. Dabei konnten wir feststellen, dass Lehrkräfte länger (U = 10.00, z = -2.13, p = .03) und öfter (U = 110.00, z = -2.10, p = .04) auf Schüler und weniger auf Schülerinnen blicken, wobei die Expertise einen signifikanten Einfluss zeigte. Diskussion Die aufgestellten Hypothesen, lassen die praktische Implikation vermuten, dass angehende Lehrkräfte schon früh in der universitären Ausbildung auf bestehende Stereotype sensibilisiert werden müssten. Damit ist auch die Vermittlung von bestimmten Strategien zum Klassenmanagement verbunden. Weiterhin können situierte Lerngelegenheiten ermöglichen, dass angehende Lehrkräfte lernen in bestimmten Situationen professionell zu handeln. Unterstützend kann dabei beispielsweise der Eye Tracker als Reflexionsinstrument eingesetzt werden. Im Blickfeld der Lehrkraft: Wie verteilen Lehrkräfte ihre Aufmerksamkeit auf Schüler:innen mit unterschiedlichen kognitiven und motivational-affektiven Lernermerkmalen? Einleitung Die Fähigkeit von Lehrkräften, ihre visuelle Aufmerksamkeit im komplexen Umfeld des Klassenzimmers gezielt auf relevante Informationen zu lenken, wird als professionelle Unterrichtswahrnehmung (PU) bezeichnet (Seidel & Stürmer, 2014). Um diese Wahrnehmungsprozesse tiefergehend untersuchen zu können, werden in der aktuellen Bildungsforschung häufig Eye-Tracking-Studien durchgeführt (Grub et al., 2020). Die Erfassung von Blickbewegungen und die Analyse von Fixationsfrequenzen und –dauern, sowie die Betrachtung der Aufmerksamkeitsverteilung im Klassenzimmer ermöglichen eine umfassende Analyse der PU. Bisherige Forschungsarbeiten haben sich darauf konzentriert, inwieweit Lehrkräfte beim Monitoring alle Schüler:innen gleichermaßen berücksichtigen können (Dessus et al., 2016). Allerdings wird in diesen Studien nicht berücksichtig, ob die Aufmerksamkeitsverteilung im Zusammenhang zu den individuellen Lernvoraussetzungen der Schüler:innen steht. Unterschiede in den kognitiven und motivational-affektiven Lernvoraussetzungen beeinflussen das Interaktionsverhalten mit der Lehr-kraft (Jurik et al., 2013). Forschungsergebnisse aus videobasierten Unterrichtsstudien zeigen, dass Lehrkräfte oftmals mit leistungsstarken Schüler:innen interagieren, um einen reibungslosen Unterrichtsfluss zu gewährleisten (Lipowsky et al. 2007) — wie sie jedoch beim Monitoring ihrer Schüler:innen ihre Aufmerksamkeit auf beispielsweise leistungsschwächere oder desinteressierte Schüler:innen richten, ist bislang unerforscht. Ziel der Studie Die vorliegende Studie untersucht die Verteilung der Aufmerksamkeitsprozesse von Lehrkräften in Abhängigkeit von kognitiven und motivational-affektiven Lernvoraussetzungen der Schüler:innen (dazu zählen Vorleistung, Interesse und Selbstkonzept). In einem ersten Schritt sollen Schülerprofile aus den verschiedenen Lernvoraussetzungen erstellt werden. Auf der Grundlage bisherigere Forschungsergebnisse erwarten wir sowohl konsistente Schülerprofile (z.B. starke und schwache Schüler:innen) als auch inkonsistente Schülerprofile (z.B. überschätzende Schüler:innen, die ein geringes Vorwissen aber ein hohes Interesse und Selbstkonzept aufweisen) (Jurik et al., 2013). In einem zweiten Schritt soll dann mittels Eye-Tracking Analysen überprüft werden, ob systematische Unterschiede in der Aufmerksamkeitsverteilung zwischen den identifizierten Schülerprofilen existieren. Dabei soll sowohl die Dauer als auch die Häufigkeit der Fixation auf die jeweiligen Schülerprofile verglichen werden. Methode An der Studie nahmen fünf Gymnasiallehrkräfte (2 weiblich) im Fach Mathematik teil. Mittels mobilen Eye-Tracking (Tobi Pro Glases 2) wurde das Blickverhalten der Lehrkräfte während einer gesamten Mathematikstunde in der neunten Jahrgangsstufe erhoben. Das Stundenthema und der Ablauf der Stunde waren vorgegeben. Im Anschluss an die Unterrichtsstunde wurden die 92 Schüler:innen mittels Fragebogen zu ihrer Vorleistung, dem fachspezifisches Interesse und dem fachspezifischen Fähigkeitsselbstkonzept befragt. Zur Identifizierung der Schülerprofile wurde eine explorative Profilanalyse mit dem R package tidyLPA gerechnet. Die Analyse der Fixationen auf diese Schülerprofile befindet sich aktuell noch in Bearbeitung. Derzeit werden die Areas of Interest (AOIs) mit Hilfe Tobii Pro definiert, um daraus die Blickbewegungsparameter für jede:n Schüler:in zu extrahieren. Die Ergebnisse zu den Aufmerksamkeitsprozessen für jedes Schülerprofil werden in den kommenden Wochen aufbereitet und auf der Konferenz präsentiert. Ergebnisse und ihre Bedeutung Die explorativen Profilanalyse ergab vier Schülerprofile. Erwartungsgemäß konnten sowohl ein starkes Profil (n = 18) als auch ein schwaches Profil (n = 34) identifiziert werden. Zudem ergaben sich zwei inkonsistente Schülerprofile: Ein durchschnittliches Schülerprofil mit besonders niedriger Vorleistung (n = 32) und ein überschätzendes Schülerprofil, dass eine geringe Vorleistung aufweist und gelichzeitig durch ein starkes Fähigkeitsselbstkonzept und ein hohes Interesse charakterisiert ist (n = 16). Die zusätzlichen Analysen der mobilen Eye-Tracking Daten sollen Aufschluss darüber geben, ob Lehrkräfte ihre Aufmerksamkeit vergleichbar über diese Schülerprofile verteilen oder ob einzelne Schülerprofile tendenziell übersehen werden, während anderen mehr Aufmerksamkeit zugewandt wird. Die Ergebnisse dieser Forschung sollen Lehrkräfte für die Heterogenität der Schüler:innen sensibilisieren und eine adaptive Aufmerksamkeitsverteilung fördern, damit die unterschiedlichen Schülertypen ihren Bedürfnissen entsprechend gesehen und gefördert werden können. Oculus Inclusio – Eine quasi-experimentelle Eye-Tracking Studie zur Wahrnehmung inklusiver Unterrichtssituationen Inklusive Bildung bedeutet die gemeinsame Beschulung aller Kinder, um die Grundlage für Teilhabe an der Gesellschaft zu schaffen (Ainscow, 2007; Göransson & Nilholm, 2014) . So stellt das Wahrnehmen und Identifizieren von physischen wie psychischen Voraussetzungen individueller Schüler:innen eine Kernkompetenz von (angehenden) Lehrkräften dar, um Unterricht adaptiv und differenziert gestalten zu können (Soodak, 2003). Im Sinne eines schülerorientierten, adaptiven Unterrichts bei dem allen Schüler:innen trotz unterschiedlicher Voraussetzungen die gleichen Chancen auf Lernerfolg geboten werden, ist ebendiese Professionelle Wahrnehmung von notwendiger Lernunterstützung und individuellen Lernangeboten im heterogenen Klassenraum besonders relevant. Professionelle Wahrnehmung wurde bisher meist im Rahmen von Studien zur Klassenführung (z. B. Wolff et al., 2016; Stahnke & Blömeke, 2021) verwendet, wobei der Fokus hierbei meist auf Unterrichtsstörungen lag (siehe Grub et al., 2020). Der konstruktive Umgang mit Heterogenität nimmt mit fortschreitender Inklusion zu (Akalin & Sucuoglu, 2015) und im Gegensatz zu einer auf Homogenität ausgelegten Lerngruppe, bei der grundsätzlich ein ähnliches Arbeitstempo und -pensum vorausgesetzt werden, ist diese Annahme für inklusive Klassen nicht mehr haltbar. Die Merkmale effektiver Klassenführung: Allgegenwärtigkeit und Überlappung, Reibungslosigkeit und Schwung, Gruppenmobilisierung und Abwechslung und Herausforderung (Kounin, 2006) stellen demnach eine besondere Herausforderung dar. Die Studie kombiniert Aspekte professioneller Handlungskompetenz, die insbesondere für den inklusiven Unterricht von Bedeutung sind (Södervik et al., 2022): Professionswissen – insbesondere pädagogisch-psychologisches Wissen – sowie Überzeugungen/Werthaltungen (Baumert & Kunter, 2011). Aus den Einstellungen zu Inklusion leitet sich die Bereitschaft zur Umsetzung ab (Dignath et al., 2022), während die Selbstwirksamkeit die Überzeugung abbildet, diese Umsetzung auch durchführen zu können. Bisherige Forschung zeigt insbesondere, dass Unterschiede in der Professionellen Wahrnehmung mit spezifischen Wissensstrukturen in Zusammenhang stehen und ein ganzheitliches Bild von Unterricht erlauben (Carter et al., 1987; Grub et al., 2022a, 2022b). Das Ziel unserer Eye-Tracking-Studie lag in einer differenzierten Analyse der Professionellen Wahrnehmung Lehramtsstudierender im Bereich der Klassenführung als eine Voraussetzung Differenzierten Unterrichts. Untersucht wurde mittels eines quasirandomisierten Versuchsdesigns mit vier Unterrichtsvignetten (Toolbox Lehrerbildung, Lewalter et al., 2020), ob ein größeres Wissen über Unterricht(en) sowie eine höhere Selbstwirksamkeit hinsichtlich inklusiven Unterrichts mit (a) einem Monitoring (Fixationsverteilung) sowie (b) einer Schülerorientierung (Fixationsanzahl, -dauer) einhergeht. Dabei werden Pädagogisches Unterrichtswissen (PUW; König & Blömeke, 2010), Einstellungen zu Inklusion (Lüke & Grosche, 2017), sowie Selbstwirksamkeitserwartungen zum adaptiven Unterrichten in heterogenen Lerngruppen (SAUL; Meschede & Hardy, 2020) – und Blickbewegungsdaten mittels stationärem Eye-Tracking (Fixationsanzahl, Fixationsdauer sowie Fixationsverteilung/Gaze Relational Index; Grub et al., 2020; Gegenfurtner et al., 2020) zusammengebracht. Die Blickbewegungsmaße werden basierend auf bestimmten vorab definierten und anhand eines Masterratings mit einer erfahrenen Lehrkraft validierten Ereignissen ausgewertet (AOI-basierte Analysen). Hierzu werden Situationen mit einem Fokus kognitiver Aktivierung im Rahmen einer effektiven Klassenführung näher betrachtet (z. B. Notwendigkeit der Lernunterstützung). An der Studie nahmen N = 80 Lehramtsstudierende (44 weiblich, 34 männlich, 2 divers) der Universität des Saarlandes (MAlter= 24, SDAlter= 6,03) teil, die im Durschnitt im 5. Fachsemester Bildungswissenschaften studierten. Vorläufige inferenzstatistische Regressionsanalysen mit Einstellung bzw. Selbstwirksamkeit als Prädiktoren und den Blickbewegungsparametern als Kriterien (am Beispiel einer der Videosequenzen) zeigen keine signifikanten Ergebnisse: Weder Selbstwirksamkeit im Umgang mit heterogenen Lerngruppen, noch Einstellungen zu Inklusion können die Ausprägung der Blickbewegungsparameter vorhersagen, Fixationsanzahl: F(3,74) = 0.810, p = .492), Fixationsdauer; F(3,74) = 0.954, p = .419), Fixationsverteilung/Gaze Relational Index: F(3,74) = 0.652, p = .584). Die vollständigen Ergebnisse für alle vier Videos unter Bezugnahme des Wissenstests werden bis zur GEBF 2024 ausgewertet sein. Die Ergebnisse werden im Hinblick auf bisherigen, publizierten Forschungsergebnissen zur Professionellen Wahrnehmung und Inklusion diskutiert und verschiedene Erklärungsmöglichkeiten dargeboten (z. B. zu geringe Power, Priming durch den Wissenstest, etc.). Außerdem werden die Ergebnisse vor dem Hintergrund der Unterstützungsmöglichkeiten für Lehramtsstudierende diskutiert, um zukünftig Methoden zu entwickeln, die eine effektivere Identifikation relevanter Unterrichtssituationen in der universitären Ausbildung ermöglichen. Was können uns Blickverhalten und verbale Aussagen über Professional Vision offenbaren? Erkenntnisse einer Mixed Methods Studie mit angehenden und erfahrenen Lehrkräften Lehrkräfte sind tagtäglich mit komplexen Unterrichtssituationen konfrontiert. Sie müssen daher wissen, worauf sie im Unterricht achten müssen, wie diese Informationen zu interpretieren sind und welche Unterrichtsentscheidungen daraus resultieren sollten (Kohler et al., 2008). In der Bildungsforschung werden diese Kompetenzen als "Professional Vision" (PV) bezeichnet (Keller et al., 2022). PV ist typischerweise durch zwei miteinander verbundene wissensbasierte Teilprozesse gekennzeichnet: Noticing und Knowledge-based Reasoning (Seidel et al., 2017; Todorova et al., 2017). Noticing bedeutet, die Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Aspekte des Unterrichts zu richten (Ereignisse, die das Lernen fördern oder beeinträchtigen), während nicht relevante Ereignisse ignoriert werden. Knowledge-based Reasoning ist die Fähigkeit, auf der Grundlage von professionellem Wissen und Überzeugungen über Unterrichtsbeobachtungen nachzudenken (Meschede et al., 2017). Um PV im Rahmen der Lehrkräftebildung zu fördern und zu überprüfen werden heute mehrheitlich videobasierte Ansätze verwendet, da diese als besonders vielversprechend gelten (Kramer et al., 2020). Bislang wurde die PV von Lehrkräften zumeist anhand von verbalen Daten untersucht. Lehrkräfte wurden dementsprechend gebeten, sich zu Unterrichtssituationen zu äussern, die in der Regel als Videoclips zur Verfügung gestellt wurden (Minarikova et al., 2021). Solche Verfahren fokussieren damit hauptsächlich auf den Teilprozess des Knowledge-based Reasonings. Ein relativ neuer Ansatz zur Untersuchung der PV von Lehrkräften basiert auf der Erfassung ihrer Blickbewegungen mit Hilfe von Eye Tracking Technologien (Vogt & Schmiemann, 2020). Anhand von remote und mobilem Eye Tracking kann die visuelle Aufmerksamkeit beim Betrachten von Unterrichtsvideos oder im Klassenzimmer selbst ermittelt werden. Es wird dadurch möglich, auch den Teilprozess Noticing spezifisch zu untersuchen. Insbesondere in Kombination mit verbalen Daten in Mixed Methods Ansätzen ergeben sich neue Möglichkeiten der Analyse der PV. Solche Studien sind bislang jedoch noch weitestgehend inexistent (Muhonen et al., 2021). In einer Studie mit 31 angehenden und 20 erfahrenen Lehrkräften wurde ein solches Mixed Methods Design umgesetzt. Die Studie hatte zum Ziel, die Möglichkeiten dieses Ansatzes zu erproben und dabei zu untersuchen, ob sich die Gruppen darin unterscheiden, was sie wahrnehmen und wie sie über videografierte Unterrichtsereignisse argumentieren sowie inwieweit ihr Blickverhalten mit ihren verbalen Aussagen korreliert. Konkret wurden folgende Forschungsfragen bearbeitet: - Unterscheiden sich angehende und erfahrene Lehrkräfte hinsichtlich der von ihnen beobachteten und beschriebenen Aspekte des Unterrichts? - Inwiefern korrespondieren das Blickverhalten und die verbalen Aussagen? Die Testpersonen wurden gebeten, sich einen Videoclip von authentischem Unterricht im Fach Deutsch anzusehen. Die Unterrichtsstunde war aus unterschiedlicher Kameraperspektive aufgezeichnet. Zwei Aufnahmen zeigen die Perspektive des/der Beobachtenden und wurden mit statischen Kameras aufgenommen. Die dritte Aufnahme zeigt die Perspektive der Lehrkraft, die während der Unterrichtsstunde eine Eye-Tracking-Brille (Tobii Pro Glasses 2) trägt. Der visuelle Aufmerksamkeitsfokus der Testpersonen beim Betrachten der Videoclips wurde mit einem Desktop Eye Tracker (Tobii Pro Nano, 60 HZ) aufgezeichnet. Anschliessend berichteten die Testpersonen in einem Interview, was ihnen aufgefallen war. Für die Analyse der Eye Tracking Videos wurden in Anlehnung an Cortina et al. (2018) sogenannte Areas of Interest (AOIs) festgelegt und jede Fixation einem dieser AOIs zugeordnet. Die verbalen Aussagen wurden mit analogen Kategorien anhand qualitativer Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2018) in MAXQDA analysiert. Die triangulierten Daten zeigen, dass sich das Blickverhalten der angehenden und erfahrenen Lehrkräfte nicht unterscheidet, wohl aber der Inhalt ihrer verbalen Äusserungen. Je nach Videoperspektive fokussierten die Testpersonen häufiger auf einen der AOIs, dieser Unterschied spiegelte sich jedoch nicht in den verbalen Daten wider. Das Blickverhalten und die verbalen Aussagen waren demgemäss nicht überall konsistent. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Berücksichtigung mehrerer Datenquellen und -typen für die Erforschung der PV wertvoll sein kann und neue Einsichten in die PV von Lehrkräften ermöglicht. Im Beitrag werden die gewonnen Erkenntnisse wie auch die Herausforderungen solcher Mixed Methods Studien dargestellt und diskutiert. |
13:10 - 14:50 | 5-09: Prozessqualität im naturwissenschaftlichen Unterricht der Grundschule: Effekte von Diagnose- und Unterstützungsstrategien auf Konzeptlernen, Interesse und selbstbezogene Kognitionen Ort: S17 |
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Symposium
Prozessqualität im naturwissenschaftlichen Unterricht der Grundschule: Effekte von Diagnose- und Unterstützungsstrategien auf Konzeptlernen, Interesse und selbstbezogene Kognitionen Die Interaktion von Lehrer:innen und Schüler:innen im Unterricht gilt als wichtiger Einflussfaktor für die Entwicklung des Konzeptverständnisses, der Motivation sowie des Selbstkonzeptes von Schüler:innen (Wubbels & Brekelmans, 2005; Hollo & Wheby, 2017). Im Sinne eines ko-konstruktiven Unterrichts sind Schüler:innen aktiv am Verständnisaufbau beteiligt und konstruieren Verständnis immer auch im Austausch und mit Hilfestellungen von Lehrer:innen (vgl. Fthenakis, 2009; Wygotski, 1987). Diese Hilfestellungen können zum Beispiel in Form von Scaffolding stattfinden, indem die Lehrperson ein Lerngerüst bereitstellt, das die Konzeptentwicklung der Lernenden ermöglicht (vgl. Wood et al., 1976). Gleichzeitig soll das Unterrichtsangebot möglichst so gestaltet werden, dass neben dem Lernfortschritt und dem Konzeptaufbau auch selbstbezogene Kognitionen, wie Selbstkonzept und empfundene Kompetenz sowie Interesse, gefördert werden können (vgl. bspw. Reusser & Pauli, 2010). Wie Lehrer:innen ihren Unterricht gestalten, hängt demnach maßgeblich mit der kognitiven und motivationalen Entwicklung von Schüler:innen zusammen (vgl. Decristan et al., 2020, 2023; Gardner, 2019; Schnitzler et al., 2021; van der Veen & van Oers, 2017). Dabei kann insbesondere der Einsatz von adaptiven Unterstützungsstrategien zur Steigerung der Prozessqualität führen (vgl. bspw. van de Pol et al., 2010). Zu diesen Strategien gehören sowohl Formen der Aktivierung, wie das Einfordern von Erklärungen, die Anregung zur Hypothesenbildung, die Vorwissensaktivierung, als auch Formen der Strukturierung, wie Sequenzierung, das Wiederholen, Zusammenfassen und Herausstellen von Schüler:innenäußerungen (vgl. Kleickmann et al., 2010). Um die Passung zwischen Unterstützungsstrategie und Lernstand der Schüler:innen sicherzustellen, sind Diagnosestrategien unerlässlich (vgl. Bell & Cowie, 2001; Black & Wiliam, 1998; Brühwiler & Vogt, 2020). In diesem Symposium untersuchen wir die Prozessqualität in naturwissenschaftlichen Lehr-Lern-Kontexten der Grundschule. Das gemeinsame Ziel der Studien ist es, einen tieferen Einblick in Bildungsprozesse zu gewinnen. Die Beiträge fokussieren dabei sowohl auf Diagnosestrategien als auch auf Unterstützungsstrategien und stellen dar, welchen Effekt diese Strategien auf die konzeptuelle sowie motivationale Entwicklung von Schüler:innen haben. Während sich empirische Untersuchungen zu Interaktionsqualität bisher häufig auf Kleingruppen oder tutorielle Situationen beschränken, beleuchten die Beiträge in diesem Symposium den Klassenunterricht und tragen dadurch zu einer Erweiterung des Forschungsstandes bei. Zur Erfassung der Strategien wurden Video- und Transkriptanalysen von naturwissenschaftlichem Unterricht eingesetzt. Der erste Beitrag fokussiert die Entwicklung selbstbezogener Kognition und Interesse. Die Studie geht der Frage nach wie Unterstützungsstrategien, im Sinne des Scaffoldings und Revoicings, auf die empfundene Kompetenz, die Selbstwirksamkeit, das Fähigkeitsselbstkonzept und das Interesse wirken. Hierfür wurden Fragebögen und Videoaufnahmen analysiert. Der zweite Beitrag beschäftigt sich ebenso mit dem Einsatz von Unterstützungsstrategien, die mittels Videokodierung erfasst wurden. Diese Studie beleuchtet die kognitive Entwicklung von Schüler:innen und geht der Frage nach, wie Unterstützungsstrategien den Konzeptwandel von Schüler:innen unterstützen kann. Dabei werden differentielle Effekte dieser Unterstützungsstrategien bei unterschiedlichen Lernausgangslagen der Schüler:innen aufgezeigt. Der dritte Beitrag zeigt die Bedeutung von adaptiver Gesprächsführung und deren Einzelindikatoren für das Lernen von Schüler:innen auf. Die Grundlage hierfür bilden die Analyse von Transkripten und Leistungstests. Die Implikationen der Ergebnisse aller Beiträge für die pädagogische Praxis werden vorgestellt und diskutiert. Beiträge des Symposiums Der Einfluss verbaler Unterstützungsstrategien auf den Konzeptwandel von Schüler:innen – eine latente Profiltransitionsanalyse Die Gestaltung des Unterrichtsgesprächs durch die Lehrperson beeinflusst Unterrichtsbeteiligung und Lernerfolg von Schüler:innen (Bürgermeister et al., 2019; Decristan et al., 2020, 2023; Gardner, 2019; Schnitzler et al., 2021; van der Veen & van Oers, 2017). Besonders der ko-konstruktive Diskurs, der sich durch Nutzung von Scaffolding- und Revoicing-Techniken auszeichnet, zeigte sich dabei als effektiv (e.g., Hardy et al., 2006; Herrmann et al., 2021; Ing et al., 2015; O’Connor et al., 2017; O’Connor & Michaels, 1993; Pauli, 2010; van de Pol et al., 2010). Weniger Studien beschäftigten sich bislang jedoch mit den Auswirkungen des ko-konstruktiven Unterrichtsgesprächs auf selbstbezogene Kognitionen (wie Selbstwirksamkeit, Fähigkeitsselbstkonzept, empfundene Kompetenz) und Interesse der Schüler:innen. Die bisherigen Forschungsergebnisse dazu zeigen ein gemischtes Bild: Einige Studien finden einen positiven Zusammenhang zwischen einzelnen Scaffolding-Techniken (z.B. Kognitive Aktivierung oder Challenge) und selbstbezogenen Kognitionen sowie dem Interesse von Schüler:innen (Böheim et al., 2021; Jin et al., 2021; Kiemer et al., 2015; Pehmer et al., 2015; Schiepe-Tiska et al., 2016). Andere Studien fanden diesen Zusammenhang jedoch nicht (Henschel et al., 2019; Milles & Jansen, 2021). Allerdings beruhen diese Studien meist auf einer Einschätzung der Unterrichtsgesprächsführung durch (jugendliche) Schüler:innen. Aussagekräftiger erscheint jedoch die direkte Observation der Unterrichtsgespräche mittels Videographie, um die tatsächliche Umsetzung von Scaffolding- und Revoicing-Techniken zu beobachten und zu quantifizieren. Zudem ist es wichtig, die Auswirkungen von Unterrichtsgesprächen auch auf jüngere Altersgruppen zu prüfen, nicht zuletzt, weil selbstbezogene Kognitionen und Interesse substantiellen Einfluss auf das Lernverhalten von Schüler:innen haben (e.g., Eccles & Wigfield, 2020) und als Langzeitprädiktor für die Motivation und Lernerfolg gesehen werden können (Schunk & DiBenedetto, 2021; Schwarzer & Jerusalem, 2002). Daher fragen wir in der vorliegenden Studie, inwieweit die (objektiv erfasste) Gestaltung des Unterrichtsgespräch die Entwicklung selbstbezogener Kognitionen und Interesse von Schüler:innen in der Grundschule beeinflusst. Dazu haben wir videografierten Unterricht aus der Studie PLUS (e.g., Tröbst et al., 2016) re-analysiert. In dieser Studie wurden vor und nach dem Unterricht selbstbezogene Kognitionen und Interesse von 995 Schüler:innen aus 51 Klassen der Primarstufe erfragt. Die Fragebögen erfassten das Fähigkeitsselbstkonzept, die Selbstwirksamkeit und empfundene Kompetenz sowie das Interesse der Schüler:innen in sechs 4-Punkt Likert-Skalen (Blumberg, 2008; Kauertz et al., 2011). Für die Analyse des Unterrichtsgesprächs haben wir 90 Minuten einer Unterrichtseinheit zum Thema Aggregatzustände des Wassers, welches neu für die Kinder war, kodiert. Das Kodierschema erfasste die Scaffolding-Techniken Clarify, Focus, Activate und Challenge (Studhalter et al., 2021; see also Kleickmann et al., 2010; Mannel et al., 2016) sowie Revoicing-Techniken, bei denen die Lehrperson selbst Äußerungen von Schüler:innen zusammenfasste und elaborierte (Teacher Revoicing) oder diese Aufgabe anderer Schüler:innen übertrug (Student Revoicing, cf. O’Connor et al., 2017; O’Connor & Michaels, 1993). Die deskriptiven Daten zeigen, dass selbstbezogene Kognitionen sowohl im Prä- als auch im Posttest im mittleren bis hohen Bereich rangieren (alle Ms > 2.6, alle SDs < 0.9). Scaffolding wurde sehr selten eingesetzt, dabei wurden am meisten Challenge-Techniken genutzt (M = .06, SD = .05; Clarify: M = .02, SD = .02; Focus: M = .02, SD = .02; Activate: M = .04, SD = .04; No Scaffolding: M = .61, SD = .12). Am häufigsten wurde Teacher Revoicing angewandt (M = .24, SD = .08), Student Revoicing wurde hingegen selten angeregt (M = .01, SD = .02). In vorläufigen Analysen mit Multilevel-Modellen zeigten sich negative Einflüsse der Scaffolding-Techniken Activate und Challenge auf das Fähigkeitsselbstkonzept und die Selbstwirksamkeit der Schüler:innen, nicht jedoch auf deren Interesse. Wir diskutieren diese Ergebnisse vor dem Hintergrund ähnlicher Ergebnisse in Bezug auf den Lernerfolg (Studhalter et al., 2021) und den kontrastierenden bisherigen Forschungsergebnissen. Maßnahmen, die der kognitiven Aktivierung von Präkonzepten und der Auseinandersetzung mit diesen dienen, scheinen Schüler:innen zunächst zu verunsichern, sind jedoch langfristig für einen Konzeptwandel unerlässlich. Der Einfluss des Unterrichtsgesprächs auf selbstbezogene Kognitionen und Interesse von Schüler:innen Der Aufbau belastbarer Konzepte gehört zu den Zielen des naturwissenschaftlichen Unterrichts (vgl. bspw. Posner et al., 1982). In ihrem Alltag sammeln Schüler:innen Erfahrungen mit naturwissenschaftlichen Phänomenen und konstruieren Erklärungen für diese. Diese weichen jedoch häufig von wissenschaftlichen Konzepten ab und werden als alternative Vorstellungen bezeichnet (vgl. Driver et al., 1994). Im naturwissenschaftlichen Unterricht wird eine Konzeptveränderung hin zu einem fachlich korrekten Konzept angestrebt (vgl. ebd.). Der Einsatz von strukturierenden und aktivierenden Unterstützungsstrategien kann das Konzeptverständnis unterstützen (vgl. Hardy et al., 2006; Leuchter & Saalbach, 2014). Jedoch gibt es auch Studien, die keinen oder einen negativen Effekt einzelner Unterstützungsstrategien auf die Lernleistung zeigten (vgl. Studhalter et al., 2021). Mit Blick auf die Conceptual-Change-Theorie lässt sich annehmen, dass Unterstützung je nach Lernausgangslage differentiell wirkt und diese in empirische Untersuchungen einbezogen werden sollte (vgl. Carey, 2000). So konnte bereits gezeigt werden, dass sich Schüler:innen unterschiedlichen Konzeptprofilen zuordnen lassen und unterschiedlichen Pfaden bei der Konzeptveränderung folgen (vgl. Schneider & Hardy, 2013). Allerdings fehlt es bislang an Studien, die untersuchen, wie sich Unterstützungsstrategien der Lehrperson auf diese Konzeptveränderung auswirken. Fragestellungen 1. Welche Konzeptprofile zeigen Schüler:innen zum Thema Aggregatzustände und ihre Übergänge? 2. Wie verändern sich die Konzeptprofile durch Unterricht? 3. Wie wirkt sich der Einsatz von Unterstützungsstrategien auf die Konzeptveränderung aus? Methode Um die aufgestellten Fragestellungen zu beantworten, wurde die DFG-Studie PLUS re-analysiert (vgl. Tröbst et al., 2016). Mit 1162 Schüler:innen aus 53 vierten Klassen wurde vor und nach einer Unterrichtssequenz ein Leistungstest durchgeführt, bei dem den Schüler:innen naturwissenschaftliche Phänomene sowie dazugehörige Erklärungen präsentiert wurden. Die Erklärungen umfassten sowohl typische alternative Vorstellungen zu Aggregatzuständen und ihren Übergängen als auch wissenschaftlich anerkannte Konzepte. Für jede der Antwortmöglichkeiten sollten die Schüler:innen entscheiden, ob sie diese als richtig oder falsch einstufen. Die Unterstützungsstrategien der Lehrpersonen wurden mittels Videokodierung erfasst. Das angewandte Kodiersystem erfasst sowohl strukturierende, fokussierende, aktivierende und problematisierende Scaffoldingmaßnahmen, als auch Revoicing und Student Revoicing (vgl. Ing et al., 2015; Kleickmann et al., 2010; Mannel et al., 2016; Studhalter et al., 2021). Statistische Analysen Die Leistungstests wurden mittels latenter Profilanalyse in Mplus 8.5 untersucht (Muthén & Muthén, 1998-2012). Die Profilanzahl wurde durch den Vergleich von Fitindizes (AIC, BIC) ermittelt. Danach wurde eine latente Profiltransitionsanalyse durchgeführt. Erneut wurden die Fitindizes verglichen. Die Mittelwerte zu Zeitpunkt 1 (vor dem Unterricht) und Zeitpunkt 2 (nach dem Unterricht) wurden zur Gewährleistung der besseren Vergleichbarkeit konstant gehalten. Im dritten Schritt wurde die Unterstützungsstrategien als Kovariate in die Analyse einbezogen. Richtung und Signifikanz der Zusammenhänge von Transitionswahrscheinlichkeit und Unterstützungsstrategie wurden mittels odds ratio unter Einbezug des Konfidenzintervalls ermittelt. Ergebnisse und Diskussion Bei der Analyse wurden drei Konzeptprofile identifiziert: - Konzeptprofil 1: Überwiegend alternatives Konzept - Konzeptprofil 2: Überwiegend Koexistenz von alternativem und wissenschaftlichem Konzept - Konzeptprofil 3: Überwiegend wissenschaftliches Konzept Zu Zeitpunkt 1 befand sich ein Großteil der Schüler:innen in den Konzeptprofilen 1 (511 Schüler:innen) und 2 (517 Schüler:innen). Etwa die Hälfte von ihnen verbleibt in diesem Konzeptprofil, während rund ein Drittel in das Konzeptprofil 3 wechselt. Von den 134 Schüler:innen die sich zu Zeitpunkt 1 in Konzeptprofil 3 befanden, verblieben 93% in diesem. 7% von ihnen wechselten in die Konzeptprofile 1 und 2. Der Einbezug der Unterstützungsstrategien zeigt differentielle Effekte auf die Transitionswahrscheinlichkeit. Die Transitionswahrscheinlichkeit von Konzeptprofil 1 zu Konzeptprofil 2 steigt beim Einsatz problematisierender Strategien. Die Transitionswahrscheinlichkeit von Konzeptprofil 1 zu Konzeptprofil 3 wird positiv durch aktivierende und strukturierende Strategien sowie Revoicing beeinflusst, verringert sich jedoch bei fokussierenden Strategien. Beim Wechsel von Konzeptprofil 2 in Konzeptprofil 3 zeigen sich aktivierende Strategien und Revoicing als förderlich. Die Ergebnisse zeigen, dass Unterstützungsstrategien nicht für alle Schüler:innen gleichermaßen förderlich sind und erlauben die Schlussfolgerung, dass Lehrpersonen den Lernstand ihrer Schüler:innen fortlaufend diagnostizieren sollten, um Unterstützungsstrategien adaptiv einzusetzen. Adaptive Gesprächsführung im Klassenkontext: Effekte auf das konzeptuelle Verständnis im Sachunterricht Adaptivität ist ein zentrales Ziel von Unterricht (Parsons et al., 2018). Sie bezieht sich auf die Passung von lehrkräftegesteuerten Unterrichtsaktivitäten zu den individuellen Voraussetzungen der Lernenden. Dabei wurde beispielsweise von Corno (2008) eine Unterscheidung der Aktivitäten auf Makro- und auf Mikroebene vorgenommen. Während die Makroebene eine übergeordnete Anpassung des Curriculums, beispielsweise durch Differenzierungsmaßnahmen, umfasst, steht auf der Mikroebene die prozessbezogene Anpassung im Rahmen der Lehrkraft-Schüler:innen-Interaktion im Fokus. Die Mikroebene wird auch mit dem Begriff des Scaffolding beschrieben, bei dem die Passung bzw. Kontingenz der Interaktionen für die individuellen Lernbedarfe auf einem abgestimmten Zusammenspiel aus diagnostischen Strategien und Unterstützungsmaßnahmen basiert (van de Pol et al., 2011). Studien zeigen, dass sich die Umsetzung eines adaptiven Unterrichts auf der Mikroebene positiv auf das Lernen von Schüler:innen auswirkt (z.B. van de Pol et al., 2015). Allerdings beziehen sich bisherige Befunde insbesondere auf Kleingruppen bzw. tutorielle Situationen und Effekte der einzelnen Indikatoren einer adaptiven Interaktion für das Lernen wurden bislang nicht untersucht. Ziel und Fragestellungen Vor diesem Hintergrund zielt die vorliegende Studie auf die Erfassung mikroadaptiver Prozesse im Klassendiskurs zur Beantwortung folgender Fragestellungen: 1. Inwiefern lässt sich durch die adaptive Gesprächsführung im Klassenkontext das Konzeptwissen von Grundschulkindern zum Inhaltsgebiet Schwimmen und Sinken in zwei Posttests vorhersagen? 2. Welchen Beitrag leisten die Einzelindikatoren der Diagnostischen Strategien, der Instruktionalen Unterstützung und des Schüler:innenverständnisses? Methode Die Datengrundlage der Studie bilden Unterrichtstranskripte von N=17 Lehrkräften mit ihren dritten Klassen (N=341 Schüler:innen), die eine Unterrichtsreihe mit zwei Einheiten zum Thema Schwimmen und Sinken im Sachunterricht umsetzten (Decristan et al., 2015). Dabei wurde jeweils die dritte Stunde aus der ersten Einheit videografiert und transkribiert. Das Analyseinstrument wurde auf Grundlage bisheriger Ansätze zur Erfassung adaptiver Mikroprozesse entwickelt und auf den Klassenkontext übertragen. Es umfasst die drei zentralen Einzelindikatoren der diagnostischen Strategien, der instruktionalen Unterstützung und des Schüler:innenverständisses (Ruiz-Primo & Furtak, 2007; van de Pol et al., 2011). Zudem wurden Kodierregeln für die Kombination der drei Indikatoren definiert, um einen Globalindex für Adaptivität zu bestimmen (vgl. Hermkes et al.,2018; van de Pol et al.,2012). Zur Berücksichtigung der fachlichen Lernprozesse wurden die Analyseeinheiten an zentralen Schritten des naturwissenschaftlichen Arbeitens ausgerichtet (vgl. Furtak et al.; 2010). Die Anwendung des Instruments erfolgte durch zwei unabhängige Rater mit einer sehr guten Übereinstimmung (κmin = 0.74; κmax = 0.86). Das Konzeptwissen der Lernenden zum Schwimmen und Sinken wurde durch einen standardisierten Leistungstest erfasst (EAP/PV-Reliabilität=.52 [Prätest] / .70 [Posttest 1 nach Einheit 1] /.76 [Posttest 2 nach Einheit 2]). Als Kontrollvariablen auf Individualebene wurden naturwissenschaftliche Kompetenz (Martin et al., 2008; EAP/PV-Reliabilität=.70), kognitive Fähigkeit (CFT 20-R, Weiß, 2006; α=.72) sowie Sprachfähigkeit (Eigenentwicklung, α=.72) erhoben. Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden Mehrebenenregressionen mit den Indikatoren für adaptive Gesprächsführung auf Klassenebene unter Kontrolle der Variablen auf Individualebene mit Mplus 7 (Muthén & Muthén, 1998-2012) gerechnet. Ergebnisse und Diskussion Die Ergebnisse (Hardy et al., 2022) zeigen positive Effekte der adaptiven Gesprächsführung (Globalindex) auf das konzeptuelle Verständnis der Lernenden in Posttest 2 (β=.44, p≤.05, R²=.19), nicht jedoch in Posttest 1 (β=.50, p>.05, R²=.25). Dieses weist auf die Bedeutung von Adaptivität insbesondere für die langfristige Konzeptentwicklung hin. In Ergänzung dazu wird derzeit die ebenfalls in der Studie erfasste Bedeutung der Unterrichtsqualitätsdimensionen der kognitiven Aktivierung und konstruktiven Unterstützung geprüft und im Vortrag berichtet. Die Einzelindikatoren erwiesen sich ebenfalls nur in Posttest 2 als prädiktiv für das Lernen der Schüler:innen (Diagn. Strategien: β=.70, p≤.001, R²=.49, Instrukt. Unterstützung: β=.40, p≤.05, R²=.16; Schülerverst.: β=.42, p≤.05, R²=.17). Hierbei hatte insbesondere die Verwendung diagnostischer Strategien die deskriptiv größte Vorhersagekraft, was die zentrale Bedeutung der Analyse der Lernstände und Denkweisen von Lernenden unterstreicht. Die Befunde zeigen jedoch, dass die Lehrkräfte insgesamt ein niedriges Niveau an adaptiver Gesprächsführung aufwiesen. |
15:20 - 17:00 | 6-09: Chancengerechtigkeit in der Hochschule: Die Rolle von Beratung vor dem Abitur Ort: S17 |
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Symposium
Chancengerechtigkeit in der Hochschule: Die Rolle von Beratung vor dem Abitur Die soziale Herkunft beeinflusst die nachschulischen Bildungsentscheidungen junger Erwachsener in Deutschland nach wie vor deutlich (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2020; Hillmert & Jacob, 2010; Schindler & Lörz, 2012). Dies betrifft nicht nur die Wahl zwischen einem Studium und einer Berufsausbildung, sondern auch die Wahl zwischen einer Universität und einer Fachhochschule (z.B. Neugebauer et al., 2016), die Wahl des Studienfachs (Georg & Bargel, 2017) und die Absicht, ein Masterstudium aufzunehmen (z.B. Neugebauer et al., 2016). Auch vor diesem Hintergrund stieg in den letzten Jahren in der Politik und der Forschung das Interesse an Programmen, die darauf zielen, soziale Disparitäten in der Hochschule abzubauen. Diese Programme haben oftmals zum Ziel, die nachschulischen Bildungsentscheidungen von der sozialen Herkunft zu entkoppeln, um horizontale und vertikale Ungleichheiten in der Hochschule zu reduzieren. Die Forschung zu solchen Beratungen steht in Deutschland jedoch noch am Anfang. So gibt es kaum Forschungsarbeiten dazu, wie diese Beratungen ablaufen, wie sie von den Akteur:innen erlebt werden und welche Wirkung sie entfalten. Zwar existieren bereits einige Studien zur Wirkung von Informationsworkshops auf die Einschreibung von Studierenden ohne akademischen Hintergrund (z. B. Barone et al. 2017; Ehlert et al. 2017), jedoch ist die Forschung zur Wirkung individueller Beratungen für Oberstufenschüler:innen in Europa noch sehr spärlich (Herbaut & Geven, 2020). Das Symposium bringt empirische Studien zur Ausgestaltung und Wirkung von individuellen Beratungen in der Oberstufe zusammen, die versuchen, die nachschulische Bildungsentscheidung von sozialen Kontextfaktoren zu lösen. Diese Studien bearbeiten einige Wissenslücken in der aktuellen Forschungslandschaft, so etwa die Themen der Selektionsprozesse beim Zugang zu Beratungsprogrammen, der Beziehung zwischen beratenden Schüler:innen und Berater:innen und letztlich der Wirkung von intensiven Beratungen auf die nachschulischen Bildungsentscheidungen von jungen Menschen und damit ihrer Partizipation an der Hochschulbildung in Deutschland. Damit bietet das Symposium besondere Erkenntnisse darüber, ob und auf welche Weise junge Menschen dabei unterstützt werden können, Bildungswege zu wählen, die ihren Interessen und Potentialen entsprechen, statt Entscheidungen zu treffen, die recht eng an die familiäre Bildung angelehnt sind. Das Symposium beginnt mit der Vorstellung der Ergebnisse zur Wirkung eines individuellen Beratungsprogramms auf die Bildungsentscheidung für einen nachschulischen Bildungsweg. In diesem Beitrag zeigen Erdmann et al. anhand eines experimentellen und längsschnittlichen Forschungsdesigns, dass eine individuelle Beratung von Oberstufenschüler:innen vor allem in der letzten Phase eines längeren Prozesses, der von der Studienintention bis zur Studienaufnahme verläuft, eine beachtliche ungleichheitsreduzierende Wirkung aufweist. Als größte Limitation der Studie wird diskutiert, dass aufgrund des Designs keine Aussagen über die konkreten Wirkmechanismen getroffen werden können und die Intervention somit eine Black Box bleibt. Diese Black Box wird im zweiten Beitrag von Bienek aufgebrochen, indem der Beitrag Befunde zur Zusammenarbeit von Abiturient:innen nichtakademischer Herkunft mit einem:r Berater:in vorstellt. Dabei arbeitet Bienek in ihrer qualitativ-rekonstruktiven Studie drei Typen der Zusammenarbeit heraus: die stetige berufswahlbezogene Kooperation, die engmaschige lebensbereichsübergreifende Begleitung und die punktuelle anlassbezogene Unterstützung. Die gefundenen Typen machen deutlich, dass eine Beratung individuell und flexibel sein sollte, um der Heterogenität der Bedarfe junger Menschen gerecht zu werden. Der dritte Beitrag von Schuchart knüpft an das Thema der individuellen Bedürfnisse bei der Berufsfindung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund an. In diesem Beitrag untersucht Schuchart, welche Bedeutung die Beziehung zwischen Berater:innen und Schüler:innen dafür hat, dass Schüler:innen handlungsmotiviert sind und eine nachschulische Bildungsentscheidung treffen, die als sicher empfunden wird. Besonderes Augenmerkt wird dabei auf die gegenseitige Übereinstimmung in der Wahrnehmung von Beratungsmotiven und der Wertschätzung gelegt. Anhand von quantitativen Befragungsdaten zu den Beratungsgesprächen zeigt Schuchart, dass vor allem eine gesteigerte Wertschätzung die Handlungsmotivation und Entscheidungssicherheit von Personen mit Migrationshintergrund erhöht. Es sind insbesondere die unterschiedlichen Perspektiven und die Methodenvielfalt der Beiträge, die dabei helfen, ein tieferes Verständnis über individuelle Beratungen zur Reduzierung von Bildungsungleichheiten zu erhalten. Beiträge des Symposiums Individuelle Beratungsprogramme als Chance Bildungsungleichheiten entgegenzuwirken. Ergebnisse einer randomisiert kontrollierten Studie Trotz steigender Zahl der Studienberechtigten in Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit, ein Studium aufzunehmen, stark von der sozialen Herkunft junger Menschen abhängig (Quast et al. 2023). Dies steht im Widerspruch zur Chancengerechtigkeit und führt auf Ebene der Hochschulen zu einer eher homogenen Zusammensetzung der Studierendenschaft. Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten Jahren zunehmend Maßnahmen implemen-tiert, die von kurzen Informationsworkshops bis hin zu individuellen Beratungsprogrammen reichen. Ziel dieser Maßnahmen ist es, junge Menschen zu befähigen ihre nachschulische Bildungsentscheidung unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und ihrem sozialen Kontext zu treffen und umzusetzen. Studien, die insbesondere die Wirksamkeit individueller Beratungsprogramme kausalanalytisch untersuchen, existieren im europäischen Raum jedoch kaum (Herbaut und Geven 2020). Mit der Studie „Zukunfts- und Berufspläne vor dem Abitur“ (ZuBAb) tragen wir dazu bei, die vorhandene Wissenslücke zu schließen, indem wir anhand eines experimentellen Studiendesigns die Wirkung eines Beratungsprogramms in NRW untersuchen (Pietrzyk et al., 2019). Das untersuchte Beratungsprogramm hat das übergeordnete Ziel, Oberstufenschüler:innen bei der Verwirklichung ihrer Bildungswünsche zu unterstützen und die Passung zwischen ihren Interessen und Fähigkeiten und des gewählten nachschulischen Bildungswegs zu erhöhen. In unserem Beitrag betrachten wir die Aufnahme eines nachschulischen Bildungswegs als Ergebnis eines Prozesses mit mehreren Phasen, in denen sowohl Selbst- als auch Fremdselektionsprozesse stattfinden (siehe z.B. Finger 2022). Untersuchungen zu den jeweiligen Phasen zeigen, dass Ungleichheiten in der Bildungsaspiration vor dem Schulabschluss (Schneider und Franke, 2014; Woisch et al., 2019), im Bewerbungsverhalten (Ehlert et al. 2017) und letztlich in der Aufnahme unterschiedlicher nachschulischer Bildungswege (Neugebauer 2015; Quast et al. 2023) existieren. Eine intensive und lange Beratung kann potentiell auf verschiedene Phasen Wirkung entfalten. Wir untersuchen daher, auf welche dieser Phasen und Selektionsprozesse eine intensive Beratung wirkt, um soziale Ungleichheiten zu verringern. Für die Beantwortung dieser Frage stellen wir entlang der Phasen Ergebnisse verschiedener Teilstudien vor. Die Grundlage für die Analysen bieten die Daten von anfänglich 1404 Schüler:innen, die über einen Zeitraum von vier Jahren in Rahmen des ZuBAb-Projekts erhoben wurden. Für die Analyse nutzen wir lineare Wahrscheinlichkeitsmodelle und wenden für die Bestimmung des Programmeffekts die intention-to-treat Analysestrategie an. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich sichtbare Programmeffekte erst bei der letzten Phase, der Studienaufnahme, beobachten lassen. So zeigt die intensive Beratung keine Wirkung auf die während der Schulzeit erfasste Studienaspiration der Schüler:innen. Zudem unterscheidet sich das Bewerbungsverhalten der Programmteilnehmenden im ersten Jahr nach dem Abitur nicht signifikant von ehemaligen Schüler:innen, die der Vergleichsgruppe zugeordnet wurden. Erst anderthalb Jahre nach dem Schulabschluss zeigt sich ein deutlicher ungleichheitsreduzierender Effekt. Dieser verzögerte Effekt wird teils dadurch erklärt, dass sich soziale Ungleichheiten beim Studienübergang in Deutschland erst ein Jahr nach dem Erlangen der Hochschulreife herausbilden. Vor allem Abiturient:innen aus akademischen Elternhäusern absolvieren nach der Schule ein sogenanntes Gap Year und nehmen erst ein Jahr später ein Studium auf. Weil wir keinen Effekt auf die Studienaspiration beobachten, lassen die Ergebnisse für die verschiedenen Phasen darauf schließen, dass das Programm vor allem die Umsetzung einer Studienaspiration unterstützt. Unser Beitrag schließt mit einer Diskussion der Limitationen und bildungspolitischen und forschungspraktischen Implikationen unserer Ergebnisse. Die größte Limitation unserer Studie ist, dass die vorgestellten Ergebnisse keine Schlüsse über die zugrundeliegenden Wirkmechanismen der Beratung zulassen. Ohne tiefergehende Analysen zum konkreten Geschehen innerhalb der Beratung stellt sich diese als Black Box dar. Dennoch zeigen unsere Ergebnisse, wie bedeutend eine Beratung von Oberstufenschüler:innen für die Reduzierung von sozialer Ungleichheit sein kann. Wie gestalten Abiturient:innen nichtakademischer Herkunft die Zusammenarbeit mit einem Talentscout? Befunde einer qualitativ-rekonstruktiven Studie zur Berufsfindung von Teilnehmenden des NRW-Talentscoutings Als Fundament für eine erfolgreiche Bewältigung des nachschulischen Übergangs hat der Berufsfindungsprozess junger Menschen eine hohe individuelle und gesellschaftliche Relevanz. Die Berufsfindung wird auch von Abiturient:innen als herausfordernd erlebt (Hurrelmann et al. 2019), wobei junge Menschen nichtakademischer Herkunft vermehrt angeben, kurz vor dem Abitur noch keine gefestigte Bildungsintention zu haben und ihren eigenen Informationsstand niedriger einschätzen als Befragte mit akademischem Familienhintergrund (Süßlin 2014; Woisch et al. 2019). Unabhängig von der sozialen Herkunft sind sich viele Abi-turient:innen unklar über ihre Fähigkeiten und äußern den Wunsch nach persönlicher und bedarfsbezogener Beratung (Oechsle et al. 2009). Ein bildungspolitisch stark unterstütztes und medial präsentes Beratungsangebot für junge Menschen in der Phase der Berufsfindung ist das NRW-Talentscouting. Im Rahmen des Programms begleiten sogenannte Talentscouts von 23 Universitäten und Hochschulen landesweit Schüler:innen von Berufskollegs, Gesamtschulen und Gymnasien auf ihrem Bildungsweg. Das Talentscouting richtet sich insbesondere an engagierte Schüler:innen der Sekundarstufe II, die Potenziale aufweisen und aus weniger privilegierten oder nichtakademischen Familien stammen. Das Angebot ist langfristig, freiwillig und hinsichtlich der Anschlussoption (Studium, Berufsausbildung, FSJ etc.) ergebnisoffen angelegt (Kottmann & Bienek 2023; Kottmann & Meetz 2019). Individuelle Angebote der Berufsorientierung werden von Abiturient:innen zumeist positiv bewertet (Oechsle et al. 2009). Während einzelne Effekte individueller Beratungsangebote, z. B. eine Steigerung der Selbstwirksamkeit und der subjektiven Erfolgserwartung (Mohrenweiser & Pfeiffer 2016), belegt sind, fehlt es an Studien, die die Subjektsicht der teilnehmenden Abiturient:innen in den Blick nehmen. Anknüpfend an dieses Forschungsdesiderat stellt der Beitrag Befunde zur Zusammenarbeit von Abiturient:innen nichtakademischer Herkunft mit einem Talentscout vor. Der Beitrag basiert auf einer qualitativ-rekonstruktiven Studie zur Berufsfindung von Abiturient:innen nichtakademischer Herkunft, die am Programm NRW-Talentscouting teilnehmen (Bienek 2023). Die Studie nimmt eine praxeologisch-wissenssoziologische Perspektive (Bohnsack 2017) ein, entsprechend derer davon ausgegangen wird, dass die Handlungspraxis in der Berufsfindung und die Inanspruchnahme des Talentscoutings insbesondere durch implizite, atheoretische Wissensbestände angeleitet wird. Dementsprechend folgt das methodische Vorgehen der Methodologie der Dokumentarischen Methode (ebd.). Um einen Zugang zum impliziten, handlungsleitenden Wissen der Akteur:innen zu erhalten, wurden 15 narrativ-fundierte Interviews mit Abiturient:innen benachteiligter Herkunft geführt, die mindestens ein Jahr durch einen Talentscout begleitet wurden und ihre (Fach-)Hochschulreife auf Gesamtschulen und Berufskollegs im Ruhrgebiet abgelegt haben. Die Datenanalyse erfolgte mittels des mehrstufigen Verfahrens der Dokumentarischen Interviewinterpretation (Bohnsack 2021; Nohl 2017). Die rekonstruierten sinngenetischen Typen können als unterschiedliche Bearbeitungsweisen (modi operandi) eines gemeinsamen Themas verstanden werden. Als Ergebnis lassen sich drei Modi der Zusammenarbeit im Talentscouting differenzieren, die sich hinsichtlich des Gegenstands der Zusammenarbeit, der Interaktionsgestaltung sowie bezüglich der Sicht auf das Programm Talentscouting unterscheiden. Während der Talentscout beim ersten Typ als stetiger berufswahlbezogener Kooperationspartner fungiert und die Interaktion durch eine selbstbestimmte Beziehungspflege und Hilfe zur Selbsthilfe gekennzeichnet ist, erscheint der Talentscout beim zweiten Typ als engmaschige lebensbe-reichsübergreifende Begleitung, in der eine Asymmetrie der Beziehung und emotionaler Rückhalt zentral sind. Für den dritten Typ fungiert der Talentscout als punktuelle anlassbezogene Unterstützung, wobei der Erhalt von Informationen und eine Arbeitsteilung charakteristisch sind. Im Beitrag werden mögliche Relationen zu verschiedenen Bearbeitungsweisen der Berufsfindung sowie zu unterschiedlichen familiären Bildungserwartungen diskutiert. Die Befunde verweisen auf den Stellenwert der Interaktionsgestaltung für die Zusammenarbeit und knüpfen damit an Studien zu Coaching- oder Mentoringansätzen (Stein 2020; Wahl 2021) sowie zum pädagogischen Arbeitsbündnis (Oevermann 2017) an. Insgesamt zeigen die Ergebnisse am Beispiel des Talentscoutings auf, dass die Bedürfnisse sowie die Inanspruchnahme eines individuellen Beratungsangebots durch junge Menschen höchst heterogen sind. Um dieser Heterogenität gerecht zu werden, bedarf es eines Angebots, das flexibel und langfristig angelegt ist und jungen Menschen eine selbstbestimmte Nutzung erlaubt. Gegenseitige Übereinstimmung zwischen schulischen Berater:innen und Schüler:innen: Zur Entwicklung der wechselseitigen Gesprächswahrnehmung über die Zeit Einleitung/Theorie Schüler:innen mit Migrationshintergrund haben größere Schwierigkeiten, ihre Bildungsziele und Karrierepläne zu verwirklichen als Schüler:innen ohne Migrationshintergrund. Einer der Gründe dafür ist, dass viele von ihnen weder über das notwendige Wissen über das Bildungssystem noch über den Zugang zur Hilfe anderer verfügen (Stanton-Salazar et al., 2001). Schulische Berater:innen können Schüler:innen dabei unterstützen ihre Bildungsziele umzusetzen (Heath et al., 2010). Einige Autoren weisen darauf hin, dass die Berater:innen nicht nur kompetent sein müssen, sondern auch in der Lage sein sollten, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. (Schneider et al., 2014; Stanton-Salazar, 2011). Darauf sind besonders nichtprivilegierte Schüler:innen angewiesen (Dogan & Dollarhide 2021). Vertrauensvolle Beziehungen entwickeln sich als Ergebnis der Erfahrung von „Gegenseitigkeit“, d.h. eines gemeinsamen Verständnisses zu Motiven und Zielen der Beratung sowie einem gegenseitigen Rollenverständnis (Bryk & Schneider, 2002, Holland, 2015). Eine wichtige Grundlage ist die durch Berater:innen ausgedrückte Wertschätzung, wie sie sich bspw. im Interesse an der Zukunft der Schüler:innen und im persönlichen Engagement ausdrückt (Noddings 2005). Wenn zwischen Schüler:innen und Berater:innen jedoch aufgrund unterschiedlicher sozialer und kultureller Erfahrungen Differenzen bestehen, kann es schwierig sein, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Dementsprechend weisen einige Studien darauf hin, dass es den Berater:innen besonders schwerfällt, die Bedürfnisse und Ziele von Studierenden mit Migrationshintergrund zu verstehen, mit dem Ergebnis, dass diese Studierenden häufiger entmutigt werden (z. B. Holland, 2015; Tatar, 2012). Insgesamt wissen wir immer noch wenig über die Qualität und Dynamik zwischenmenschlicher Prozesse und ihrer Ergebnisse in der Beratung, da nur wenige Studien sich mit den prozessualen Aspekten der Beratung befasst haben und damit, wie diese durch den Migrationsstatus der Schüler:innen beeinflusst werden. Außerdem sind diese Studien qualitativer Natur, und es ist wenig über die Übertragbarkeit ihrer Ergebnisse auf andere Kontexte bekannt. Die vorliegende Studie richtet sich auf Merkmale gegenseitiger Übereinstimmung in Beratungsbeziehungen und fragt: 1. Ist die Entwicklung von Übereinstimmung beeinflusst durch den Migrationsstatus der Schüler:innen? 2. Beeinflusst Übereinstimmung in Wechselwirkung mit dem Migrationsstatus der Schüler:innen die Ergebnisse der Beratung? Methode Die vorliegende Studie basiert auf einer quantitativen Befragung von Schüler:innen der gymnasialen Oberstufe und von Berater:innen, die als externe "Talentscouts" regelmäßig Beratungen an diesen Schulen anbieten. Für unsere Studie wurden über einen Zeitraum von neun Monaten (2018-2019) Daten zu 265 Beratungsgesprächen von 169 Studierenden und 10 Berater:innen erhoben. Beratenden und Schüler:innen wurden nach jedem Gespräch die gleichen Fragen vorgelegt: Variablen: Beratungsmotive der:s Schüler:in (5 Items zur Studien- und Berufsplanung, ja/nein). Pro Motiv wurden beide Parteien nach der Einschätzung gefragt, ob die Beratung hilfreich war (Effektivität, Skala 1-4). Schließlich wurde nach der persönlichen Wertschätzung durch die Berater:innen gefragt (7 items, α = .91, Skala 1-5). Die Übereinstimmung zwischen Schüler:in und Berater:in wurde durch die Differenz in ihren Angaben zu den drei Aspekten ermittelt. Die Beratungseffekte wurden durch jeweils ein Item zur Handlungsmotivation (1-5) und Entscheidungssicherheit (0-1) erfasst. Weiterhin wurde der Migrationshintergrund (erste/zweite Generation) erfasst. Die Analysen wurden mittels Mehrebenenregressionen durchgeführt. Ergebnisse Frage 1: Zu Beginn des Beratungsprozesses bestand eine geringere Übereinstimmung zwischen Berater:innen und Schüler:innen bezüglich der Beratungsmotive bei Gesprächen mit Schüler:innen der ersten Generation, die über die Zeit jedoch abnahm. Die Effektivität der Beratung als auch die Wertschätzung von beiden Seiten wurde insgesamt als sehr positiv eingeschätzt. Zunehmende migrationsspezifische Differenzen in der Einschätzung der Effektivität und der Wertschätzung sind auf eine zunehmend skeptische Haltung der Berater:innen zurückzuführen, die möglicherweise auf Unsicherheit beruht. Frage 2: Eine höhere Wertschätzung führt insbesondere bei Schüler:innen mit Migrationshintergrund zu einer höheren Handlungsmotivation und zu einer insgesamt höheren Entscheidungssicherheit. Diskussion Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass es den externen Berater:innen gelingt, über eine auf shared understanding beruhende Beziehung Bildungsentscheidungen von Schüler:innen mit Migrationshintergrund zu unterstützen. Gefragt werden muss, ob dieser Grad an vertrauensvollen Beziehungen auch zu Lehrkräften aufgebaut werden kann. |
Datum: Mittwoch, 20.03.2024 | |
9:00 - 10:40 | 7-09: Diagnose von Lernendenmerkmalen im Kontext von Bildung für nachhaltige Entwicklung und Klimabildung Ort: S17 |
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Symposium
Diagnose von Lernendenmerkmalen im Kontext von Bildung für nachhaltige Entwicklung und Klimabildung Problemstellung/Ausgangslage Bildung ist ein wesentlicher Faktor, um Menschen auf den Umgang mit dem Klimawandel und seinen Herausforderungen vorzubereiten. Klimabildung soll bei Lernenden ein Bewusstsein für den Klimawandel, dessen Ursachen und Folgen entwickeln, sowie Handlungskompetenzen fördern, die für eine Abschwächung des anthropogen verursachten Klimawandels (Mitigation) bzw. zum Ergreifen von Maßnahmen für eine Verringerung nachteiliger Auswirkungen des Klimawandels (Adaption) benötigt werden (Lohmann et al., 2021; Monroe et al., 2019; Rieß, 2010; UNESCO, 2021). Dies mit dem Ziel, dass Entscheidungen informiert getroffen und Bedürfnisse der heutigen Generation so befriedigt werden, dass die Lebensgrundlagen der nächsten Generation nicht gefährdet werden (Michaelis et al., 2020; UNESCO, 2021). Es liegen inzwischen zahlreiche Kompetenzmodelle zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung für die Schul- und Hochschulbildung vor (bspw. Haan, 2008; Rieckmann, 2018; Wiek, 2016). Der Fokus dieser Modelle liegt jedoch zumeist auf umfassenden überfachlichen Handlungs-, Gestaltungs-, Problemlösungs- oder Schlüsselkompetenzen (Lozano et al., 2017). Die theoretisch angenommenen Dimensionen in diesen Modellen sind oft schwer zu operationalisieren und strukturelle Zusammenhänge sind nur unzureichend definiert. Daher entziehen sich die meisten Ansätze einer empirischen Überprüfung (Michaelis et al., 2020). Um aber die Wirkungen von Bildungsangeboten auf den Lernerfolg, d. h. auf den Erwerb von nachhaltigkeitsspezifischem Wissen, Kompetenzen, motivationale und volitionale Orientierungen, emotionales Erleben, Einstellungen und Verhaltensbereitschaften erfassen und messen zu können, bedarf es valider und reliabler Instrumente zur Erfassung empfohlener Lernendenmerkmale sowie Erkenntnisse darüber, wie diese Lernendenmerkmale miteinander wechselwirken (Rieß et al., 2018). Zielsetzung/Zuschnitt des Symposiums Die Beiträge des Symposiums greifen diese Desiderata auf und befassen sich mit der Diagnose und dem Zusammenspiel von Lernendenmerkmalen im Kontext von Klimabildung und Nachhaltigkeit. Dabei werden zum einen Messinstrumente zur Erfassung von Climate Literacy und von Einstellungen zum Klimawandel sowie von nachhaltigkeitsbezogenen Einstellungen vorgestellt und zum anderen Prädiktoren von Nachhaltigkeitseinstellungen sowie deren Einfluss auf individuelle Entscheidungsprozesse im Nachhaltigkeitskontext untersucht. Der erste Beitrag befasst sich mit der Entwicklung und empirischen Prüfung eines Tests zur Erfassung der Climate Literacy von Schüler*innen am Ende der Sekundarstufe I. Der Fokus des Beitrags liegt dabei auf den kognitiven Facetten des Tests, dessen 164 Items neben naturwissenschaftlich-technischen auch sozial- und geisteswissenschaftliche Fachwissensinhalte abdecken. Der zweite Beitrag widmet sich den Einstellungen von Schüler*innen der 9. Klasse zum Klimawandel. Basierend auf bereits vorhandenen Instrumenten zu Umwelteinstellungen auf Basis selbstberichteten Verhaltens entwickelt die Arbeitsgruppe ein Instrument, das klimarelevante Aspekte integriert und validiert die daraus resultierenden Einstellungsmaße mit traditionellen Einstellungsmaßen zum Klimawandel. Die Genese entsprechender nachhaltigkeitsrelevanten Einstellungen wird in dem dritten Beitrag in den Blick genommen. Die Autoren untersuchen wie die nachhaltigkeitsbezogenen Einstellungen von Schüler*innen mit denen ihrer Eltern zusammenhängen. Hierzu analysieren sie die PISA-2015-Daten von 16 Ländern und prüfen dabei, ob und wie sich Zusammenhänge von elterlichen und kindlichen Nachhaltigkeitseinstellungen in den Ländern unterscheiden und inwieweit diese Unterschiede ggf. durch Prädiktoren auf Schul- oder Schulsystemebene erklärt werden können. Mit dem Ziel, die Entscheidungsfähigkeit von Schüler*innen im Unterricht gezielt zu fördern, nimmt der vierte Beitrag die Diagnose von Entscheidungsprozessen im Kontext einer Nachhaltigen Entwicklung mit dem Fokus auf Ernährung in den Blick und untersucht, wie vorhandenes Wissen und Einstellungen auf individuelle Entscheidungsprozesse wirken. Eine abschließende Diskussion adressiert die Limitationen der Einzelbeiträge und künftige Herausforderungen für die Forschung im Feld. Beiträge des Symposiums Climate Literacy von Jugendlichen – Wissen und Können messbar machen Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Für die Bewältigung der Herausforderungen, die der Klimawandel an die Gesellschaft stellt, spielt Klimabildung eine zentrale Rolle (vgl. Otto et al., 2022). Während die Kompetenzen von Schüler*innen in Mathematik, Deutsch oder den Naturwissenschaften regelmäßig überprüft werden, z. B. im Rahmen der PISA-Studien (OECD, 2017), ist jedoch wenig bekannt über Kompetenzen von Jugendlichen im Umgang mit dem Klimawandel. Um den aktuellen Stand der Klimabildung in Deutschland zu überprüfen sowie weitere notwendige Maßnahmen abzuleiten, ist ein Messinstrument notwendig, das reliabel und valide die Climate Literacy von jungen Menschen als Ergebnis von Klimabildung erfassen kann. Für den deutschen Sprachraum existieren bereits Instrumente, die relevante Teilaspekte einer Climate Literacy erfassen, z. B. naturwissenschaftliches Grundlagenwissen über den Klimawandel (Schubatzky et al., 2023) oder Systemkompetenz (Roczen et al., 2021). Für ein regelmäßiges und umfassendes Monitoring schulischer Klimabildungsmaßnahmen ist jedoch ein Messinstrument erforderlich, das der Multidisziplinarität von Klimabildung gerecht wird. In der hier vorgestellten Studie wurde daher ein Test zur Erfassung der Climate Literacy von Schüler*innen am Ende der Sekundarstufe I (Ende Klasse 9) entwickelt. Analog zu Scientific Literacy in PISA verstehen wir unter Climate Literacy sowohl kognitive Facetten als auch Einstellungen und Verhaltensbereitschaften. Im vorliegenden Beitrag soll der Fokus auf den kognitiven Facetten von Climate Literacy liegen, also welches Wissen zum Klimawandel Schüler*innen haben und inwiefern sie dieses Wissen z. B. beim Lösen von Problemen im Zusammenhang mit dem Klimawandel anwenden können. Als Grundlage der Testentwicklung dient ein Kompetenzstrukturmodell (Autoren, eingereicht), das an bestehende Kompetenzmodelle (z. B. OECD, 2017; Sumfleth et al., 2019) anknüpft. Darin werden die vier Kompetenzbereiche (1) Umgang mit Fachwissen, (2) Gewinnung und Beurteilung von Erkenntnissen, (3) Information und Kommunikation und (4) Normative Bewertung unterschieden. Da vermehrt der Einbezug einer politischen Perspektive (z. B. im Kontext von Handlungsmaßnahmen) gefordert wird (Kranz et al., 2022), liegt ein Fokus der abgedeckten Fachwissensinhalte neben naturwissenschaftlichen Aspekten einer Climate Literacy (USGCRP, 2009) auch auf sozial- und geisteswissenschaftlichen Aspekten. Methode Die Testaufgaben (vorwiegend Multiple-Choice) wurden von Fachdidaktiker*innen aus neun Fachbereichen (z. B. Biologie, Geographie, Politik) entwickelt und mithilfe einer think-aloud-Pilotierung (N = 20 Schüler*innen) sowie zwei quantitativen Pilotierungsstudien (N1= 353, N2 = 310) iterativ weiterentwickelt. Das finale Instrument umfasst insgesamt 164 Testitems in 43 Themenblöcken (z. B. „Klimapolitik“, „Brennstoffe“, „Moral und Werte“) und wird im Multi-Matrix-Design mit sieben Testheften (je ca. 70 Items) administriert. Die Schüler*innen bearbeiten den Test in Einzelarbeit am PC; die Bearbeitungszeit beträgt 70 Minuten. Ergebnisse Dem vorgestellten Beitrag liegen Daten aus einer Erhebung mit 810 Neuntklässler*innen (MAlter = 15,6, SDAlter = 0,96) verschiedener weiterführender Schulen in [Bundesland] zugrunde. Die Skalierung der Daten erfolgte mittels der Item-Response-Theory. Der Test erzielte eine hohe Reliabilität mit EAP-Rel = .908 und WLE-Rel = .902. Die Lösungshäufigkeiten der Items streuten zwischen 4 % und 78 % (M = 36 %). Aufgaben aus dem Kompetenzbereich Information und Kommunikation wurden dabei signifikant seltener gelöst (M = 25 %) als Aufgaben aus den anderen Kompetenzbereichen, F(3, 160) = 4,61, p = .004. Diskussion Ziel des im Beitrag vorgestellten Projektes ist die Integration natur- und sozialwissenschaftlicher Aspekte in ein umfassendes Instrument zur Erfassung der Climate Literacy unter Jugendlichen. Erste Erhebungen mit dem Instrument zeigen Bereiche auf, in denen schulische Klimabildung ansetzen könnte, um die Kompetenzen von Jugendlichen im Umgang mit dem Klimawandel zu stärken. Vor allem die Testaufgaben, in denen Informationen aus Diagrammen oder Tabellen entnommen und interpretiert werden müssen, scheinen herausfordernd für die Zielgruppe von Schüler*innen am Ende der Klassenstufe 9 zu sein. In den nächsten Monaten sollen auf Basis des entwickelten Kompetenzmodells sowie der vorliegenden Daten kriterienorientierte Kompetenzstufen (s. Rauch & Hartig, 2020) einer Climate Literacy formuliert werden, um konkrete Rückmeldungen zum Ist-Stand sowie Indikationen zu Fördermaßnahmen ermöglichen. „Man kann das am Anfang vielleicht auch abfragen“ – Messung von Einstellungen Jugendlicher zum Klimawandel Schulische Klimabildung ist ein bedeutsamer Baustein, um den Klimawandel zu begrenzen und in seinen Folgen erfolgreich zu bewältigen (Conninck et al., 2018; Otto et al., 2020). Im zentralen Fokus schulischer Bildungsmaßnahmen steht in der Regel die Wissensvermittlung. Versteht man die Förderung von Climate Literacy als Ziel von Klimabildung, also die Vermittlung einer klimawissenschaftlichen Grundbildung, die Schüler*innen zur erfolgreichen Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen im Zusammenhang mit dem Klimawandel befähigt, umfasst diese neben kognitiven Facetten (z. B. Wissen) auch Einstellungen und Verhaltensbereitschaften (Azevedo & Marques, 2017; Mochizuki & Bryan, 2015). Dabei wird entsprechend des Tripartite-Modells der Einstellungen (Rosenberg et al., 1960) angenommen, dass sich diese in kognitiven, affektiven und behavioralen Reaktionen zeigen. Einstellungen sind insofern von besonderer Relevanz, da Wissen im Kontext des Klimawandels nicht automatisch zum Handeln führt (Braun & Dierkes, 2019; Kollmuss & Agyeman, 2002), weshalb Schule als wichtige Sozialisationsinstanz nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch motivational-affektive Aspekte fördern sollte. Hier kann zunächst danach gefragt werden, welche Rolle die Einstellungen von Schüler*innen zum Klimawandel beim Unterrichten von Klimathemen für Lehrkräfte spielen. In einer Vorstudie wurden deshalb zehn leitfadengestützte Interviews mit Gymnasiallehrkräften (Geografie, Biologie, Gemeinschaftskunde) geführt und mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Kuckartz & Rädiker, 2022) ausgewertet. Aus den Ergebnissen geht hervor, dass die Einstellungen von Schüler*innen zum Klimawandel unterrichtsrelevant sind und Lehrkräfte sowohl ihren Unterricht auf diese Einstellungen aufbauen als auch die Einstellungsbildung als Unterrichtsziel fördern wollen. Gleichzeitig wird deutlich, dass Lehrkräfte nur sehr wenig über die tatsächlich vorhandenen Einstellungen ihrer Schüler*innen wissen und über keine systematischen Messmethoden verfügen, um diese zu erfassen. Aus dieser Erkenntnis leitet sich das weitergehende Ziel ab, ein praktikables Messinstrument zu entwickeln, mit dem die Einstellungen von Schüler*innen zum Klimawandel reliabel, valide und unkompliziert gemessen werden können. Dazu wurden zwei bestehende Instrumente adaptiert. Einerseits wird auf einen Fragebogen (GEB-40) von Kaiser et al. (2007) zurückgegriffen, der Umwelteinstellungen von Jugendlichen auf Basis von selbstberichtetem Verhalten im Rahmen des Campbell-Paradigmas (Kaiser et al., 2010) misst. Er wurde mit dem Ziel der Anpassung an die aktuelle Lebenswelt von Jugendlichen und einer stärkeren Integration klimarelevanter Aspekte überarbeitet. Ein weiterer Fragebogen, der als traditionelles Einstellungsmaß bezeichnet werden kann, misst klimarelevante Einstellungen anhand der Stärke der Zustimmung zu Aussagen durch Ratingskalen und dient als Kriterium zur Validierung der Messwerte. Dieser leitet sich ebenfalls aus bestehenden Skalen (Bostrom et al., 2019; Poortinga et al., 2018) ab und erfasst Einstellungen zum Klimawandel im Rahmen des Value-Belief-Norm-Modells nach Stern (2000). Beide Fragebögen wurden in einer Pilotierung (N = 236) überprüft und in überarbeiteter Version von 785 Schüler*innen der 9. Klasse verschiedener Schularten in [Bundesland] beantwortet. Eine Rasch-Skalierung des Fragebogens zur verhaltensbasierten Einstellung erzielte eine zufriedenstellende Reliabilität (EAP-Rel. = 0.831; WLE-Rel. = 0.822), zeigt eine gleichmäßige Verteilung der Itemschwierigkeiten und zufriedenstellende Fit-Indizes (Infit = 0.8 – 1.2; Outfit = 0.8 – 1.4). Die a priori erwarteten Schwierigkeiten der Verhaltensitems decken sich mit den empirisch ermittelten Schwierigkeiten. Zwischen den verhaltensbasierten Einstellungswerten (WLE-Personenschätzern) und den Konstrukten des traditionellen Einstellungsmaßes (z. B. Überzeugungen, Besorgnis, Verantwortungsattribution) ergeben sich Zusammenhänge zwischen r = .22 und r = .51. Zusammen-genommen erklären letztere etwa 36 % der Varianz in der verhaltensbezogenen Einstellung der Jugendlichen. Bezogen auf die Ergebnisse der Vorstudie können zwei Instrumente für Lehrkräfte zur Verfügung gestellt werden, die unterschiedliche Erkenntnisinteressen bedienen: Steht die Evaluation des eigenen Unterrichts zu Klimathemen und seine Wirkung auf die Einstellungen der Schüler*innen im Fokus, eignet sich der Fragebogen zur verhaltensbasierten Einstellung sehr gut, da er zeitsparend einen zusammengefassten Einstellungswert ausgibt und sich somit für Veränderungsmessungen eignet. Ist dagegen zu Beginn einer Unterrichtseinheit von Interesse, welche Einstellungen bei den Schüler*innen vorzufinden sind, um den Unterricht darauf aufzubauen, liefert das traditionelle Einstellungsmaß detailliertere Einsichten in klimarelevante Konstrukte wie Überzeugungen oder Besorgnis. Nachhaltigkeitseinstellungen von Schüler*innen und Eltern im internationalen Vergleich: Bedeutung der nationalen- und Schulebene Theoretischer Hintergrund Globale Herausforderungen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit erfordern sowohl politische Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene als auch individuelles Handeln. Um individuelle Handlungskompetenzen zu fördern, ist es entscheidend, verschiedene Voraussetzungen für diese Kompetenzen zu verstehen, darunter Einstellungen, Werthaltungen und Wissen sowie deren Wechselwirkungen. Bei Kindern und Jugendlichen gelten die familiäre Sozialisierung sowie die schulische Bildung als bedeutsam für die Entwicklung dieser Voraussetzungen. Bisherige Studien zur Genese und dem Zusammenspiel nachhaltigkeitsbezogener Einstellungen von Kindern und Jugendlichen betrachten dabei zumeist nur einzelne oder wenige Länder (z. B. Ando et al., 2015). Die OECD-Studie PISA 2015 (OECD, 2017) bietet Daten, um die Zusammenhänge zwischen nachhaltigkeitsbezogenen Einstellungen unter Berücksichtigung des familiären und schulischen Kontexts simultan in verschiedenen Ländern zu analysieren. In einigen der an der PISA-Studie teilnehmenden Länder werden auch Eltern befragt. Diese Elterninformationen werden in der Regel verwendet, um Schüler*innenleistungen vorherzusagen. Aufbauend auf dem Forschungsstand zum Zusammenhang von Schüler*innen- und Elterneinstellungen sowie Prädiktoren von Nachhaltigkeitseinstellungen (Ando et al., 2015; Grønhøj & Thøgersen, 2012, 2017; List et al., 2020) untersuchen wir die Zusammenhänge zwischen den nachhaltigkeitsbezogenen Einstellungen von Schüler*innen und ihren Eltern in einem gemeinsamen Modell. Wir vergleichen dieses Modell in verschiedenen Ländern, um Unterschiede zwischen kulturellen Kontexten und Schulsystemen zu berücksichtigen. Dazu integrieren wir Prädiktoren auf Schulebene sowie auf nationaler Ebene und untersuchen, inwieweit diese die unterschiedlich starken Zusammenhänge zwischen Schüler*innen und ihren Eltern in den verschiedenen Kontexten (Schulen, Schulsysteme) erklären können. Fragestellung Unsere Fragestellungen beziehen sich (1) auf die Zusammenhänge zwischen Schüler*innen und Eltern sowie (2) auf den internationalen Vergleich: 1) Zusammenhänge zwischen Schüler*innen- und Elterneinstellungen a. Hängen die nachhaltigkeitsbezogenen Einstellungen von Schüler*innen mit denen ihrer Eltern zusammen? 2) Internationaler Vergleich a. Lässt sich ein Zusammenhangsmodell in allen Ländern bestätigen? b. Wie unterscheiden sich die Zusammenhänge von elterlichen und kindlichen Umwelteinstellungen in den unterschiedlichen Ländern? c. Gibt es Prädiktoren auf Schulebene oder Schulsystemebene, die die Unterschiedlichkeit in der Stärke der Zusammenhänge erklären können? Methode Unsere Analysen basieren auf den PISA-2015-Daten von 16 Ländern von insgesamt N=22.400 Schüler*innen und ihren Eltern. Als nachhaltigkeitsbezogene Einstellungen untersuchen wir auf Schüler*innenseite Skalen zu (1) dem Bewusstsein für umweltbezogene Probleme wie Atommüll oder Luftverschmutzung (Umweltbewusstsein), (2) der Einschätzung, inwieweit sich diese Probleme in den nächsten Jahren verbessern oder verschlechtern werden (Umweltoptimismus), und (3) dem Interesse an Naturwissenschaften. Auf Elternseite untersuchen wir (4) Umweltoptimismus und (5) eine Skala zur Besorgnis bezüglich der o.g. Umweltprobleme (Umweltbesorgnis). Alle Analysen wurden mittels Multigruppen-Strukturgleichungsmodellen in der Software Mplus durchgeführt. Um der genesteten Datenstruktur (Personen genestet in Schulen genestet in Ländern) gerecht zu werden, verwenden wir einen Mehrebenenansatz und schätzen Effekte auf Individual-, Schul- und Länderebene. Ergebnisse und Bedeutung Deskriptive Analysen zum Umweltoptimismus zeigen, dass in fast allen Ländern Schüler*innen in Bezug auf die meisten Umweltthemen optimistischer sind als ihre Eltern. Die Stärke dieser Unterschiede variiert zwischen Ländern. Allgemein unterscheiden sich Schüler*innen und Eltern in ihrem Optimismus in Bezug auf "Energieknappheit", "Wasserknappheit" und "Atommüll" stärker als in Bezug auf die übrigen Umweltprobleme. Die Überprüfung der Mehrgruppen Strukturgleichungsmodelle zur Beschreibung der Zusammenhänge zwischen nachhaltigkeitsbezogenen Einstellungen von Schüler*innen und Eltern indizieren eine gute Passung, d.h. es kann davon ausgegangen werden, dass die Struktur dieser nachhaltigkeitsbezogenen Einstellungen in den Ländern vergleichbar ist. Die Modelle zeigen für die meisten Länder signifikante Zusammenhänge zwischen nachhaltigkeitsbezogenen Einstellungen von Schüler*innen und Eltern. Die Stärke der Zusammenhänge unterscheidet sich z.T. deutlich zwischen einzelnen Ländern. Erste Analysen zu Variablen auf Schulsystem- und Schulebene legen nahe, dass diese die Unterschiede nur in geringem Maße erklären können. Nachhaltigkeitsbezogene Einstellungen wie Umweltbewusstsein und -optimismus gelten als wichtige Voraussetzung für den Erwerb von Handlungskompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung. Mit unserem Beitrag liefern wir Erkenntnisse, die dazu beitragen, das Zusammenspiel dieser nachhaltigkeitsbezogenen Einstellungen besser zu verstehen. Diagnose von Lernendenmerkmalen zur Förderung individueller Entscheidungsprozesse von Schüler*innen im Kontext einer NE Im Hinblick auf eine bewusste (Mit-)Gestaltung des eigenen und des gesellschaftlichen Lebens im Kontext einer Nachhaltigen Entwicklung (NE) ist die Fähigkeit, reflektierte Entscheidungen zu treffen, von Bedeutung (de Haan, 2008; Künzli & Bertschy, 2008; UNEP 2010). Entscheidungen in diesem Kontext sind durch mehrere Kriterien gekennzeichnet, aus denen unterschiedliche, zum Teil konfligierende Handlungsoptionen ergeben können (Cebrian et al., 2020; Sander & Höttecke, 2018). Solche Entscheidungen sind dementsprechend komplex (Böhm et al., 2020) und erfordern, dass Individuen unterschiedliche Handlungsoptionen erkennen und gegeneinander abwägen, sich fundiert entscheiden und ihre Entscheidungsprozesse reflektieren können (Bögeholz et al., 2018; Dittmer et al., 2019). Für die Gestaltung des eigenen Alltags sowie die aktive Partizipation an gesellschaftlichen Prozessen im Kontext einer NE ist die Fähigkeit, solche Entscheidungen zu treffen, zentral und muss daher gezielt gefördert werden (Ardwiyanti & Prasetyo, 2021; Garrecht et al., 2018; Gresch et al., 2017). Dies erfordert, dass Lehrpersonen in der Lage sind, die Entscheidungsfähigkeit ihrer Schüler*innen im Kontext einer NE zu diagnostizieren und sie gezielt zu fördern. Unter bislang vorliegenden Forschungsarbeiten finden sich Interventionsstudien zur Förderung von Entscheidungskompetenz von Schüler*innen im Rahmen einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE). Sie konzentrieren sich auf die Förderung einzelner spezifischer Fähigkeiten in Entscheidungsprozessen. Obwohl diese Studien gewisse Erfolge der jeweiligen Intervention verzeichnen, können wichtige Interventionsziele nicht nachweisen (Eggert & Bögeholz, 2010; Gresch et al., 2013; Gresch, 2012; Gresch & Bögeholz, 2013; Nahum et al., 2010). Zudem werden die Werte von Schüler*innen in den Studien kaum berücksichtigt (Lee & Grace, 2010; Ratcliffe & Grace, 2003) und die Rolle des Wissens der Lernenden im Entscheidungsprozess bleibt offen (Gausmann et. al., 2010; Sakschewski et al. 2014). Einige dieser Studien deuten darauf hin, dass Schüler*innen keine Schwierigkeiten haben, Handlungsoptionen zu entwickeln. Sie haben jedoch Schwierigkeiten, NE-Wissen im Entscheidungsprozess angemessen zu berücksichtigen (Gausmann et al., 2010; Ratcliffe, 1997). Darüber hinaus verweisen einige Studien auf die Schwierigkeit der Schüler*innen, Abwägungsprozesse zu vollziehen und mit widersprüchlichen Werten umzugehen (Eggert, 2008; Eggert & Bögeholz, 2010). Mit Blick auf die Förderung von Entscheidungskompetenz im Sinne einer NE geht es im Betrag darum zu verstehen, wie Schüler*innen Entscheidungen treffen, damit Lehrpersonen die diesbezüglichen Merkmale der Lernenden erkennen und ihre Entscheidungsfähigkeit im Unterricht gezielt fördern können: Wie gestalten 11- bis 12-jährige Schüler*innen ihre Entscheidungsprozesse im Kontext einer NE? Welche Typen von Entscheidungsprozessen lassen sich erkennen? Hierzu werden die Daten aus dem qualitativen Forschungsprojekt EKoN-E (Entscheidungsprozesse im Kontext einer Nachhaltigen Entwicklung mit dem Fokus Ernährung) verwendet. Im Projekt wurden die die Schüler*innen nach einem mehrstufigen kriterienorientierten Auswahlverfahren ausgewählt, welches die Zusammenstellung einer variationsmaximierten Stichprobe (Misoch, 2019) gewährleistete. Hierzu wurden die Kriterien Standort, Wissensniveau, Wertorientierung (im Sinne von Schwartz et al., 2012), Geschlecht sowie sozioökonomischer Status der Eltern berücksichtigt. Insgesamt wurden 27 Schüler*innen der sechsten Schulklasse aus fünf Schulen der Deutschschweiz ausgewählt. Zur Datenerhebung wurde die Methode des unstrukturierten Lauten Denkens (Ericsson & Simon, 1993) in Kombination mit einer Phase der Retrospektion (Konrad, 2020; Sandmann, 2014) genutzt. Hierzu wurde jedes Kind mittels eines offenen Impulses in eine Entscheidungssituation zum Thema Fleisch versetzt. Als Auswertungsmethode diente zunächst die inhaltlich strukturierende und anschliessend die inhaltlich zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2020). Zur Konstruktion einer Typologie von Entscheidungsprozessen fand die Methode der empirisch begründeten Typenbildung gemäß Kelle & Kluge (2010) Anwendung. Daraus ergaben sich fünf Typen individueller Entscheidungsprozesse. Die Unterschiede zeigten sich insbesondere im Formulieren und Berücksichtigung mehrerer Handlungsoptionen sowie im Abwägen zwischen konfligierenden Handlungsoptionen. Die Befunde zeigten auch, dass der Einbezug widersprüchlicher Werte Entscheidungen im Sinne einer NE unterstützt. Diese Ergebnisse stellen Merkmale dar, die Lehrpersonen diagnostizieren und verstehen sollten, um die Entscheidungsfähigkeit der Lernenden im Unterricht gezielt zu fördern. |
11:10 - 12:50 | 8-09: MINT-Bildung am Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe fördern – Verschiedene Perspektiven auf das Potential außerschulischer Lernorte und den Einsatz digitaler Medien Ort: S17 |
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Symposium
MINT-Bildung am Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe fördern – Verschiedene Perspektiven auf das Potential außerschulischer Lernorte und den Einsatz digitaler Medien Sowohl die MINT-Bildung als auch die Medienbildung bei Kindern und Jugendlichen nachhaltig zu stärken, sind zentrale bildungspolitische Forderungen und aktuelle Herausforderungen für Schule und Unterricht (BMBF, 2019; KMK, 2016, 2019). Adressiert wird dabei nicht nur die Ebene der Schüler*innen, sondern auch die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte und im MINT-Bereich besonders die Förderung von Mädchen und Frauen. Im Sinne einer „Scientific Literacy“ (Bybee, 1997; AAAS, 2009) bzw. „ICT-Literacy“ (International ICT Literacy Panel, 2007) geht es zentral um den Aufbau anwendungsbezogener fachlicher und überfachlicher Kompetenzen bei gleichzeitiger Stärkung motivational-affektiver und selbstbezogener Dimensionen wie Motivation, Interesse, Selbstwirksamkeit und Selbstkonzept. Einer solchen frühen multikriterialen Zielerreichung (Blumberg, 2008, 2020) wird vor allem in der Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Fragestellungen immer mehr Bedeutung zugemessen, v.a. für ein erfolgreiches weiterführendes und lebenslanges Lernen (Schiepe-Tiska et al., 2019). Nicht zuletzt um den aktuellen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts u.a. im Kontext von Nachhaltigkeit und Klimawandel (BMZ, 2021) gewachsen zu sein, ist die frühe Anbahnung einer naturwissenschaftlich-technischen und medialen Grundbildung unabdingbare Voraussetzung für alle Kinder und Jugendlichen. Die internationalen Schulleistungsstudien TIMSS (Trends in International Mathematics and Science Study) und PISA (Programme for International Student Assessment) bescheinigen Deutschland jedoch nach wie vor einen erheblichen Optimierungsbedarf beim naturwissenschaftlichen Lernen (Schwippert et al., 2020a; Reiss et al., 2019): Dies zeigt sich zusammenfassend u.a. nicht nur in einem defizitären Kompetenzniveau sowohl bei Grund- als auch Sekundarstufenschüler*innen, sondern auch im Hinblick auf eine Interessensabnahme und einen Bruch in der Unterrichtsgestaltung am Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe (Möller, 2014; Schiepe-Tiska et al., 2016; 2019; Steffensky et al., 2020). Darüber hinaus wurden Defizite bei den Schüler*innen im Kontext der digitalen Testdurchführung offensichtlich, während Sachunterrichtslehrkräfte sich äußerst selten zum Einsatz digitaler Medien fortbilden (Guill & Wendt, 2020; Schwippert et al., 2020b). Eine bislang in den TIMSS- und PISA-Studien unbeachtete Möglichkeit stellen außerschulische Lernorte dar, die eine besonders motivierende und kognitiv stimulierende Anregungsqualität einhergehend mit einer Interessenssteigerung aufweisen, wie verschiedene Studien belegen (Henriksson, 2018; Füz, 2018; Schiefer et al., 2020). Die Nutzung dieser Chancen außerschulischen Lernens in Kombination mit digitalen Medien zur Optimierung des Übergangs beim naturwissenschaftlich-technischen Lernen von der Primar- in die Sekundarstufe stellt jedoch ein Forschungsdesiderat wie Praxisproblem dar. Entsprechende empiriebasierte praxisorientierte Beispiele zur Verzahnung naturwissenschaftlich-technischen Lernens am Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe fehlen. Auf diese Forschungslücken reagiert das BMBF geförderte Forschungsprojekt „transMINT4.0“ (https://www.bildung-forschung.digital/digitalezukunft/de/bildung/mint-forschung/transmint4_0.html), das im Fokus dieses Symposiums steht und dessen übergreifendes Ziel es ist, durch die Einbindung außerschulischer Lernorte sowie den unterstützenden Einsatz digitaler Medien langfristig die MINT-Bildung von Kindern und Jugendlichen am Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe zu optimieren. Das im Mixed-Methods-Design angelegte Kooperationsprojekt der naturwissenschaftlichen Sachunterrichtsdidaktik und Technikdidaktik verfolgt dazu drei Forschungslinien: (1) ein quer- und längsschnittlich angelegtes quasi-experimentelles Vergleichsgruppendesign in der Primarstufe mit quantitativen und qualitativen Erhebungen auf Schüler*innen- und Lehrkräfte-Ebene, (2) eine qualitative Interview- und Beobachtungsstudie in der Sekundarstufe und (3) eine empiriebasierte Zusammenführung der Forschungsergebnisse zur Entwicklung schulstufenübergreifender naturwissenschaftlich-technischer Lernmodule. Im Rahmen dieses Symposiums werden erste Ergebnisse aus den Primar- und Sekundarstufenteilstudien vorgestellt und im Hinblick auf die verschiedenen Perspektiven diskutiert: Im ersten Beitrag werden Ergebnisse aus den schriftlichen quantitativen Prä-Post-Befragungen von Viertklässler*innen (N = 101) zu motivationalen und selbstbezogenen Effekten im Rahmen der quasi-experimentellen Unterrichtsstudie am außerschulischen Lernort zum Thema „Ressourcenschonender Umgang mit Wasser“ vorgestellt. Im zweiten Beitrag werden Ergebnisse einer qualitativ angelegten leitfadengestützten Interviewbefragung bei Sachunterrichtslehrkräften (N = 18) berichtet, die die Einschätzungen der Lehrkräfte zum Einsatz digitaler Medien an außerschulischen Lernorten aufzeigen. Im dritten Beitrag werden Ergebnisse aus der ersten im Sekundarstufenbereich qualitativ angelegten Teilstudie berichtet, in der die Moderator*innen eines Workshops (N = 8) des mobilen Paderborner Schüler*innenlabors „coolMINT“ zu ihren ortsabhängigen Erfahrungen leitfadenstützt befragt hat. Beiträge des Symposiums Auswirkungen außerschulischen Lernens auf die MINT-Bildung von Grundschüler*innen – Differentielle Analysen zu motivationalen und selbstbezogenen Zieldimensionen Die MINT-Bildung bei Kindern und Jugendlichen nachhaltig zu stärken, ist nicht zuletzt aufgrund des bestehenden Fachkräftemangels nach wie vor ein zentrales Thema der Bildungspolitik. Die frühe Förderung einer naturwissenschaftlich-technischen Grundbildung im Sinne der internationalen Rahmenkonzeption der „Scientific Literacy“ (Bybee, 1993; AAAS, 2009) gilt als konsensfähig. Sie stellt mehr denn je eine zwingend erforderliche Voraussetzung dar, um den aktuellen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gemäß der AGENDA 2030 (BMZ, 2021) im Kontext von Nachhaltigkeit und Klimawandel, wie z.B. die umweltschonende Nutzung erneuerbarer Energien oder ein verantwortungsvoller und ressourcenschonender Umgang mit Wasser, gewachsen zu sein. Neben dem Aufbau fachlicher Kompetenzen wird diesbezüglich im Sinne einer multikriterialen Zielerreichung (Blumberg, 2008, 2020) der Förderung überfachlicher „21st century skills“ (OECD, 2019) wie Kooperations- und Problemlösekompetenzen und der Stärkung motivational-affektiver und selbstbezogener Dimensionen wie Motivation, Interesse, Selbstwirksamkeit und Selbstkonzept in der Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlich-technischen Fragestellungen immer mehr Bedeutung zugemessen, v.a. für weiterführendes und lebenslanges Lernen (Schiepe-Tiska et al., 2019). Angesichts der nachgewiesenen Bedeutung selbstbezogener Kognitionen auf das Interesse (Krapp & Prenzel, 2011) ist die nachhaltige Förderung von Selbstkonzepten im MINT-Bereich notwendig. Schüler*innen interessieren sich tendenziell wahrscheinlicher für Themengebiete, in denen sie stärkere Fähigkeitsselbstkonzepte zeigen. In Bezug auf die naturwissenschaftliche Interessenentwicklung lässt sich generell ein negativer Trend im Entwicklungsverlauf verzeichnen (z.B. Jacobs et al., 2002; Krapp, 2002), u.a. zurückzuführen auf zunehmende akademische Ansprüche und strengere Benotung an weiterführenden Schulen (Eccles & Midgley, 1989). Gegenwärtige Forschungsergebnisse unterstreichen ein abnehmendes Interesse im Zusammenhang mit naturwissenschaftlichem Lernen und eine geschlechterabhängige Interessendiskrepanz von Schüler*innen im MINT-Bereich (Oppermann et al., 2020). Eine kaum beachtete Möglichkeit zur Förderung des naturwissenschaftlich-technischen Lernens und Interesses bieten außerschulische Lernorte (ASL) (Guderian, 2007). ASL zeichnen sich daraus aus, Schüler*innen zu motivieren und kognitiv zu stimulieren, letztendlich resultierend in einer Interessensförderung (Henriksson, 2018; Füz, 2018; Schiefer et al., 2020). An diesem Punkt setzt unsere quasi-experimentelle Studie im Rahmen des transMINT4.0-Forschungsprojekts an. Viertklässler*innen partizipieren an einer naturwissenschaftlich-technischen Lehr-Lerneinheit im Sachunterricht zum Thema „Ressourcenschonender Umgang mit Wasser“. Diese besteht aus zwei 90-minütigen Unterrichtssequenzen plus der Besuch eines außerschulischen Lernorts. An einem Vormittag besuchen die Schüler*innen-Gruppen das Paderborner Wasserwerk, durch das sie ein Vor-Ort-Experte anhand eines didaktisch aufbereiteten Angebots führt. Durch Prä- und Postfragebögen erfassen wir die multiplen Lerneffekte der Viertklässler*innen. Das vorliegende Projekt zielt darauf ab, den Übergang des naturwissenschaftlich-technischen Lernens von der Primar- zur Sekundarstufe durch die Symbiose von ASL und dem Unterricht im Klassenraum zu optimieren. An unserer Studie haben insgesamt N = 101 Viertklässler*innen (M = 10,71 Jahre, SD = 0,76 Jahre) teilgenommen. Prä- und postexperimentell haben wir die Viertklässler*innen gebeten, einen Fragebogen zu unterschiedlichen Domänen des bereichsspezifischen Selbstkonzeptes im Sachunterricht („In diesem Sachunterricht gehöre ich zu den besten Schüler*innen“; Alpha = .84/.85) und zum Fähigkeitsselbstkonzept in Bezug auf das Thema „Ressourcenschonender Umgang mit Wasser“ („Über dieses Thema weiß ich eine Menge“; Alpha = .68/.71) auszufüllen. Die ersten Ergebnisse unserer Studien zeigen eine deutliche Geschlechterdiskrepanz im Hinblick auf die unterschiedlichen Domänen des bereichsspezifischen Selbstkonzeptes im Sachunterricht von Viertklässler*innen. So starten Jungen mit signifikant höheren Selbstkonzeptwerten als Mädchen. Außerdem zeigen die teilnehmenden Viertklässler ein signifikant höheres Fähigkeitsselbstkonzept in Bezug auf das Thema „Ressourcenschonender Umgang mit Wasser“ als die teilnehmenden Viertklässlerinnen. Allerdings zeigen die ersten Ergebnisse unserer Intervention auch, dass unabhängig vom Geschlecht eine statistisch signifikante Zunahme der unterschiedlichen bereichsspezifischen Selbstkonzepte durch den Besuch des außerschulischen Lernortes „Wasserwerk“ nicht bedingt werden kann. Die gegenwärtigen Forschungsergebnisse bestätigen bestehende Befunde, dass Mädchen in einigen MINT-Bereichen ein negativeres Fähigkeitsselbstkonzept vorweisen als Jungen (Jansen et al., 2014). Dies hat negative Auswirkungen auf ihr Interesse für MINT-Themen (Krapp & Prenzel, 2011). Die von uns registrierten Befunde unterstreichen eine geschlechterabhängige Diskrepanz im Hinblick auf selbstbezogene Kognitionen im Sachunterricht von Grundschüler*innen im Übergang zur Sekundarschule. Der Einsatz digitaler Medien an außerschulischen Lernorten – Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie mit Sachunterrichtslehrkräften Die zunehmende Verbindung von schulischen und außerschulischen Lernorten stellt eine charakteristische Veränderung der modernen Schule in Deutschland dar (Budde & Hummrich, 2016). Dies ist insbesondere für den naturwissenschaftlich-technischen Sachunterricht in der Grundschule erforderlich (Blaseio, 2016). Zudem ist die Digitalisierung omnipräsent und der Zugang zu Informationen, Kommunikationsmöglichkeiten und die Teilhabe an der Gesellschaft wird durch die digitalen Möglichkeiten und Angebote maßgeblich kanalisiert. Aus diesem Grund ist eine qualifizierte Medienkompetenz von Schüler*innen unumgänglich, damit sie als sichere Akteur*innen digitale Medien handlungssicher nutzen können (Medienberatung NRW, 2020). Vogelsang et al. (2019) konnten zeigen, dass Lehrkräfte mit mindestens einem naturwissenschaftlichen Fach wenig Hintergrunderfahrung mit digitalen Tools haben. Insgesamt kommt jedoch der Vermittlung von Medienkompetenz in der Grundschule eine wegweisende Rolle zu, da sie den Grundstein für die weitere Medienbildung legt. Der Umgang mit digitalen Medien und Medienkompetenz kann in verschiedenen Lernkontexten erlernt werden (Süss, Lampert & Trültzsch-Wijnen, 2018), somit auch an außerschulischen Lernorten. Die Bedeutung der außerschulischen Lernorte für die Bildung in Deutschland wird seit den ersten PISA-Ergebnissen 2001 deutlich hervorgehoben. Für den Besuch eines außerschulischen Lernortes werden zahlreiche Vorteile gesehen. Sowohl digitale Medien als auch außerschulische Lernorte haben einen hohen Stellenwert in der deutschen Schulpolitik. Allerdings gibt es kaum Forschung darüber, wie die beiden Konzepte miteinander kombiniert werden können. Forschungsfragen: Da es bisher keine Studien gibt, die sich mit den Meinungen und Einstellungen von Sachunterrichtslehrkräften zum Thema digitale Medien an außerschulischen Lernorten beschäftigen, wurde im Rahmen des vom BMBF geförderten Forschungsprojekt „transMINT4.0“ eine Studie mit folgenden Forschungsfragen entwickelt: 1) Welche Möglichkeiten sehen Sachunterrichtslehrkräfte für digitale Medien an außerschulischen Lernorten? 2) Welche Hindernisse und Nachteile sehen sie für digitale Medien an außerschulischen Orten? Methode: Die Interviews (N = 18) wurden anhand eines selbst entwickelten Interviewleitfadens durchgeführt, der Fragen zu verschiedenen Aspekten digitaler Medien und des außerschulischen Lernorts. Die Methode des Leitfadeninterviews wurde gewählt, weil sie eine allgemeine Struktur für das Interview vorgibt, aber dennoch Raum für Flexibilität im Prozess lässt (Döring & Bortz, 2016). Das Datenmaterial wurde mit der inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz und Rädiker (2022) ausgewertet. Dabei wurden alle Prozessschritte durchlaufen und durch Iterations- und Feedbackschritte ergänzt. Die Bildung der Kategorien erfolgt induktiv und anschließend wird ein Codebuch zur Fixierung erstellt. Zur Überprüfung der Qualität wird die Intercoder-Reliabilität ermittelt (in vergleichbaren Studien lag Cohens Kappa bei .80). Ergebnisse: Die ersten Ergebnisse zeigen, dass die befragten Lehrkräfte eine positive Einstellung zu digitalen Medien haben. Zudem würden die meisten Lehrkräfte diese auch am außerschulischen Lernort einsetzen. Insgesamt nennen die Lehrkräfte verschiedene Einsatzmöglichkeiten der digitalen Medien am außerschulischen Lernort, wie die Dokumentation von Ergebnissen mithilfe von Fotos oder Videos sowie die Recherche von Informationen. Diese Einsatzmöglichkeiten sind allerdings nicht besonders divers, sodass viele Kompetenzen des Medienkompetenzrahmens (Medienberatung NRW, 2020) nicht berücksichtigt und die Potenziale der digitalen Medien am außerschulischen Lernort nicht ausgeschöpft werden. Jedoch ist die Mediennutzung am außerschulischen Lernort für einige Lehrkräfte eine wichtige Ergänzung zum Unterricht, da dort andere Möglichkeiten realisiert werden können. Dabei werden beispielsweise die (bessere) Medienausstattung sowie die Betreuung durch Expert*innen genannt. Neben diesen und weiterer Vorteile werden auch Nachteile benannt, dazu zählt unter anderem der mögliche Verlust der originalen Begegnungen der Schüler*innen am außerschulischen Lernort. Ähnliche Ergebnisse konnten bereits in einer Studie mit Lehramtsstudierenden aufgezeigt werden. Gelingensbedingungen non-formalen Lernens an außerschulischen Lernorten – Eine qualitative Interviewstudie mit Workshop-Moderator*innen Unsere Gesellschaft ist durch Naturwissenschaften und Technik geprägt (Prenzel et al., 2003), sodass der MINT-Bildung von Schüler*innen besondere Bedeutung zukommt. Da sich Interesse an einem Lerngegenstand u.a. positiv auf den Lernerfolg und eine langfristige Auseinandersetzung damit auswirkt (Blankenburg & Scheersoi, 2018), ist die Förderung der Schüler*innen-Interessen im MINT-Bereich besonders wünschenswert. Allerdings scheint es nach wie vor einen Interessenverlust der Schüler*innen am Übergang von der Grund- zur weiterführenden Schule im Bereich der MINT-Fächer zu geben (Kleickmann, 2011; Möller, 2014). Zu einer Förderung von Interesse können außerschulische Lernorte wie Schüler*innenlabore auf verschiedenen Ebenen beitragen (Brandt, 2005; Guderian, 2007; Pawek, 2009). Im Rahmen des Projektes „tranMINT4.0“ soll die MINT-Bildung von Kindern und Jugendlichen daher u.a. durch die Einbindung außerschulischer Lernorte am Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe optimiert werden. Für Schüler*innen der Sekundarstufe I wurden hierzu im Rahmen des MINT-Clusters MINT4.OWL (https://www.mint4owl.de/) bestehende Workshop-Angebote des Paderborner Schüler*innenlabors coolMINT (https://www.coolmint-paderborn.de/) als mobile außerschulische Lernorte weiterentwickelt, sodass sie an für die Jugendlichen vertrauten Orten (z.B. Jugendzentren, Bibliotheken) durchgeführt werden können. Die Jugendlichen-Gruppen buchen diese Angebote aus eigenem Interesse und nehmen somit freiwillig daran teil. Durchgeführt werden diese mobilen Workshops von studentischen Mitarbeitenden der AG Technikdidaktik der Universität Paderborn. Das Angebot und die Evaluation solcher speziellen außerschulischen Lernorte stellt ein Forschungsdesiderat dar, das im Rahmen dieser Teilstudie des transMINT4.0-Projekts bearbeitet wird. Fragestellung Um erste Erkenntnisse zu erlangen, wird in der vorliegenden Untersuchung folgender Fragestellung nachgegangen: Welche Gelingensbedingungen liegen dem non-formalen Lernen an mobilen außerschulischen Lernorten aus Sicht der Workshop-Moderator*innen zu Grunde? Methode Hierzu wurden im Juni und Juli 2023 mit acht Workshop-Moderator*innen leitfadengestützte Interviews durchgeführt. Die Methode des leitfadengestützten Interviews wurde gewählt, da sie einerseits Struktur, andererseits Möglichkeiten zu flexiblen Handlungen während der Erhebung bietet (Döring & Bortz, 2016). Der für die Studie neu entwickelte Interviewleitfaden umfasst zwei große Themenblöcke: lern- und Interessensfördernde Merkmale potenzieller außerschulischer Lernorte und Gelingensbedingungen non-formalen Lernens an temporären außerschulischen Lernorten. Die Datenauswertung erfolgte mit einem kombiniert deduktiv-induktiven Vorgehen anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2022). Für die Hauptuntersuchung wurden deduktiv acht Oberkategorien gebildet, die im Verlauf der Auswertung durch 24 induktiv gebildete Unterkategorien ergänzt wurden. Ergebnisse Laut der Moderator*innen ist es möglich, alle Institutionen öffentlichen Lebens mit passender Ausstattung zu mobilen außerschulischen Lernorten werden zu lassen. Den Kompetenz- und Wissenserwerb der Lernenden schätzen die meisten Moderator*innen jedoch im Schüler*innenlabor höher ein, da dieser für sie einen untergeordneten Stellenwert an den mobilen außerschulischen Lernorten einnimmt und sie nicht das Gefühl haben, Erwartungen von Lehrkräften erfüllen zu müssen. Die individuelle Ausrichtung und Gestaltung, angepasst an die Wünsche der Lernenden, an den mobilen Standorten wurde häufig hervorgehoben. Die mobilen außerschulischen Lernorte seien mehr auf freies Ausprobieren ausgelegt unter weniger Leistungsdruck. Die Teilnehmer*innen seien dort häufiger motivierter und interessierter. U.a. kann dies auch mit der unterschiedlich gewählten Sprache der Moderator*innen im Schüler*innenlabor und beim mobilen außerschulischen Workshopangebot zusammenhängen. Als gelungen betrachtet wird ein durchgeführter Workshop an einem mobilen außerschulischen Lernort zumeist, wenn die Teilnehmenden Spaß und Freude empfunden haben. Außerdem gaben die Moderator*innen an, einen schulischen Charakter vermeiden zu wollen. Auf Grundlage der Ergebnisse wird davon ausgegangen, dass grundlegende psychologische Bedürfnisse an mobilen außerschulischen Lernorten befriedigt werden können, positive wertebezogene und emotionale Valenzen begünstigt werden sowie eine bereits höhere motivationale Disposition der Teilnehmenden anzunehmen ist. |
Datum: Donnerstag, 21.03.2024 | |
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