11. GEBF-Tagung
BILDUNG VERSTEHEN - PARTIZIPATION ERREICHEN -
TRANSFER GESTALTEN
Haupttagung: 18. - 20.03.2024 | Nachwuchstagung: 21.03.2024
Universität Potsdam
Veranstaltungsprogramm
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Sitzungsübersicht | |
Ort: S18 Seminarraum, 70 TN |
Datum: Montag, 18.03.2024 | |
10:30 - 12:10 | 1-07: "Ach, das bist du!" - Perspektiven auf gelingende Transferprozesse zwischen Wissenschaft und Praxis im Kontext der Digitalisierung Ort: S18 |
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Offenes Beitragsformat
"Ach, das bist du!" - Perspektiven auf gelingende Transferprozesse zwischen Wissenschaft und Praxis im Kontext der Digitalisierung 1Universität Potsdam, Deutschland; 2Forum Bildung Digitalisierung; 3Bergische Universität Wuppertal Die digitale Transformation von Schule und Unterricht hält zahlreiche Herausforderungen für Lehrkräfte (Scheiter, 2021) und Entscheidungsträger*innen im Bildungssystem (McCarthy et al., 2023) bereit und nimmt auch die Bildungsforschung in die Pflicht, Erkenntnisse über digitalisierungsbezogene Lehr-Lernprozesse für den Transfer in Bildungspraxis bereitzustellen. Transfer kann (aus bildungswissenschaftlicher Perspektive) als „Verbreitung wissenschaftlich fundierter Innovationen im Bildungswesen“ (Gräsel, 2010, S. 7) verstanden werden. Holtappels (2019) betont ergänzend, dass Transfer aber auch ein interaktiver Prozess ist, bei dem die Übertragung bestimmter innovativer Ansätze „in kommunikativer Weise“ (S. 276) erfolgt. Transferprozesse betreffen diverse beteiligte Akteur*innen in unterschiedlichem Maße und unterschiedlicher Art und Weise – auch und speziell im komplexen Prozess des digitalen Wandels (Endberg et al., 2022). Neuere Ansätze gehen davon aus, dass die partizipative Begleitung und Weiterentwicklung von Innovationsprozessen über einen ko-konstruktiven Aushandlungsprozess erreicht werden kann, in dessen Rahmen „Akteure unterschiedlicher Bezugssysteme gleichermaßen an der Lösung eines Bildungsanliegens […] zusammenarbeiten“ (Kerres et al., 2022, S. 1). Der Kompetenzverbund lernen:digital unterstützt eine solche Weiterentwicklung in der digitalen Schulentwicklung und digitalisierungsbezogenen Lehrkräftebildung. In vier Kompetenzzentren werden dazu Erkenntnisse aus rund 180 Forschungs- und Entwicklungsprojekten zu je spezifischen Themenfeldern gewonnen und gebündelt. Eine Transferstelle unterstützt über einen systematischen Dialog zwischen Stakeholdern im Mehrebenensystem des Bildungswesens die nachhaltige Implementierung in das System Schule. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es zum einen, verschiedene Akteur*innen, welche die digitale Transformation adressieren bzw. durch diese adressiert sind, zu identifizieren und in Beziehung zueinander zu setzen. Dazu soll zum anderen erreicht werden, mögliche Perspektiven auf deren Handlungslogiken sicht- und erlebbar zu machen („Ach, das bist du!“), um ein akteur*innentheoretisch begründetes Verständnis über Kommunikations- und Kooperationsprozesse im Kontext der digitalen Transformation des Bildungswesens aufzubauen. Schließlich sollen Logiken und Erfahrungen der Dialoggestaltung im Kompetenzverbund lernen:digital abgebildet werden. Aus governance-theoretischer Perspektive (Altrichter & Maag Merki, 2016) unterliegen die verschiedenen Bezugssysteme spezifischen Eigenlogiken, die eine schlichte Übertragung von Erkenntnissen von einem in den anderen Kontext unmöglich machen (Cooper et al., 2019, Rolff, 2016). Missverständnisse über die eingenommenen Rollen sowie damit zusammenhängende Möglichkeiten und Grenzen können Transferprozesse zwischen diesen Akteur*innen entscheidend behindern (Farrell et al., 2019). Insbesondere die Verantwortlichkeit gegenüber der Innovation von Bildungsprozessen ist als kritisches Spannungsfeld zwischen den unterschiedlichen Perspektiven Praktizierender und Forschender sowie Vertreter*innen der Bildungsadministration anzusehen (Cooper et al., 2019). Dies lässt eine bewusste Perspektivübernahme gewinnbringend erscheinen, in deren Rahmen die beteiligten Akteur*innen die Verantwortlichkeiten und Erwartungen reflektieren und diskutieren können. Damit können „die Differenz der Sichten, Interessen und Handlungslogiken der Akteure von Bildungsforschung und -praxis in den Vordergrund“ (Kerres et al., 2022, S. 12) gestellt, gleichzeitig aber auch produktiv bearbeitet werden. Die Perspektivübernahme kann nachweislich die Kreativität in heterogenen Arbeitsgruppen erhöhen, indem sie eine ausführlichere Erläuterung von Ideen und das gegenseitige Verständnis begünstigt (Hoever et al., 2012). Es erscheint sinnvoll, in einem derlei komplexen Beziehungsgefüge zwischen verschiedenen Stakeholdern von bildungsbezogenen Innovationen zu vermitteln. Mit dem Knowledge Brokering ist eine ebensolche Vermittlungsarbeit umschrieben (Cooper et al., 2019). Über die bloße Weitergabe von (Forschungs-) Wissen hinaus besteht die Rolle von so genannten Knowledge Broker*innen zuvorderst darin, Beziehungen zwischen den verschiedenen Stakeholdern aufzubauen sowie Netzwerke und sonstige Kollaborationen zu unterstützen. Das erfordert ein solides Verständnis von Forschung, ein Bewusstsein für die Bedürfnisse und Befindlichkeiten der beteiligten Akteur*innen sowie einen profunden Blick für systemische Zusammenhänge. Mithin bezeichnen Cooper et al. (2019) die Aufgaben von Broker*innen als „incredibly demanding work“ (S. 95). All die genannten Aspekte werden im offenen Beitragsformat aufgegriffen. In einem ersten Schritt wird eine Stakeholderanalyse vorgestellt: Um die Akteurskonstellationen in den verschiedenen Bezugssystemen sowie die in ihnen aufscheinenden „unterschiedlichen Beteiligungs- und Einflusschancen“ (Altrichter & Maag Merki, 2016, S. 9) beschreiben und analysieren zu können, haben wir in einem ersten Schritt eine systematische Stakeholderrecherche anhand öffentlich zugänglicher Dokumente in den einzelnen Bundesländern durchgeführt. Deren Zwischenergebnisse möchten wir im Sinne von „Informationslandschaften“ (Krempel 2005, S. 196; zitiert nach Kolleck, 2014, S. 174) als Ausgangspunkt der weiteren Schritte visualisieren. Auf der Grundlage der Mehrebenenstruktur des Bildungswesens im Kontext der Digitalisierung (Breiter et al., 2021, S. 4f.) unterscheiden wir dabei in einer ersten Heuristik in administrative Ebene (Land), administrative Ebene (Kommune), wissenschaftliche Ebene (Land) und zivilgesellschaftliche Ebene (Land oder länderübergreifend). Aufbauend auf den Ergebnissen der Stakeholderrecherche sollen in einem zweiten Schritt spezifische Handlungslogiken erarbeitet werden: Um ein kohärentes Verständnis für die jeweiligen Handlungslogiken aufzubauen, sollen in einer gemeinsamen Erarbeitungsphase Prozesse der Perspektivübernahme angeregt werden. In Anlehnung an Elemente der Design Thinking-Methodik (Chon & Sin, 2019) geht es insbesondere darum, unterschiedliche Perspektiven relevanter Akteur*innen sichtbar zu machen und deren Wünsche und Bedürfnisse zu beleuchten. Ziel ist es hierbei, Momente für (neue) Ideen zu schaffen und nutzer*innenorientierte Formate, Produkte und Forschungssynthesen ggf. noch einmal aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten. In einem moderierten und interaktiven Prozess sollen in Anlehnung an die Thinking-Hats-Methode verschiedene Rollen eingenommen werden. Aus diesen heraus sollen Leitfragen diskutiert werden, um diese Rollen und Bereiche, die für eine zukunftsweisende digitale Transformation wichtig sind, zu verstehen und gemeinsam zu definieren. Auf diese Weise werden gemeinsame Erkenntnisse generiert sowie neue Anregungen dazu entwickelt, wie der Transfers zwischen Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Bildungspraxis in einem ko-konstruktiven Austausch gestaltet werden kann. In der Zusammenschau des Austauschs sollen die erarbeiteten Erkenntnisse durch Vertreter*innen aus den jeweiligen Bezugssystemen authentisch kommentiert werden. Hierfür werden Vertreter*innen ausgewählter Stakeholder (Schulleitungen, Lehrkräfte, Landesinstitute) eingeladen, um Ihre Perspektiven und Ihre Erwartungen an gelungenen Transfer gleichsam in Reaktion auf die Ergebnisse der Erarbeitungsphase darzustellen. Im Anschluss an die gemeinsame Erarbeitung der jeweiligen Handlungslogiken sollen in einem dritten Schritt anhand der Rolle von Broker*innen im Kompetenzverbund lernen:digital Möglichkeiten der Dialoggestaltung nachgezeichnet werden: Es wird kurz auf den Kompetenzverbund lernen:digital im Allgemeinen sowie auf die Rolle von Broker*innen im Besonderen eingegangen. Es kann davon ausgegangen werden, dass im Rahmen eines groß angelegten Transferprojektes eine derartige Integration einer solchen Rolle erstmalig explizit vorgesehen ist. Um ein Verständnis auch von dieser Rolle zu entwickeln, wird in Anknüpfung an Cooper et al. (2019) die Funktion von Broker*innen vorgestellt und auf Grundlage der bisherigen Aktivitäten im Projektkontext diskutiert. Den Beitrag abschließend wird ein Ausblick darüber gegeben, wie die transferbezogenen Maßnahmen in lernen:digital die Perspektiven der beteiligten Stakeholder berücksichtigen und somit ein role model für zukünftige Transferaktivitäten darstellen können. |
13:10 - 14:50 | 2-08: Unterrichtsstörungen als Interaktionsereignis: Empirische Untersuchungen zu Abweichungen, Herstellung und Wahrnehmung von Interaktionsordnungen im Unterricht Ort: S18 |
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Symposium
Unterrichtsstörungen als Interaktionsereignis: Empirische Untersuchungen zu Abweichungen, Herstellung und Wahrnehmung von Interaktionsordnungen im Unterricht Grundlegend für die im Symposium versammelten Forschungsansätze ist ein Verständnis von Unterricht als komplexem, durch multimodale Interaktionen zwischen Lehrkräften und Schüler*innen ko-konstruiertem Prozess (Proske, Rabenstein & Meseth, 2022; Vieluf, Praetorius, Rakoczy, Kleinknecht & Pietsch, 2020). Im Zusammenhang dieses interaktiven Prozesses werden soziale Ordnungen und damit verbundene Verhaltenserwartungen im Zusammenspiel schüler*innen und lehrkraftseitiger Interaktionspraktiken produziert (Hester & Francis, 2000). Während sowohl Schüler*innen als auch Lehrkräfte an der kontextbezogenen Herstellung unterrichtlicher Interaktionsordnungen beteiligt sind, wird insbesondere von Lehrkräften die Übernahme von Verantwortung zur Steuerung und Gestaltung des Interaktionsgeschehen als lehr-lernbezogenes Geschehen erwartet (Ophardt & Thiel, 2013). Verbunden damit sind Anforderungen der Etablierung, Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von Interaktionsordnungen (Decristan, Jansen & Fauth, 2023; Thiel, 2016). Das der Lehrkraft obliegende Wiederherstellen einer erwarteten sozialen Ordnung (Doyle, 2006, 2013) wird relevant, wenn von korrespondierenden Verhaltenserwartungen abweichendes, überwiegend schüler*innenseitiges Verhalten (Scherzinger, Wettstein & Wyler, 2018) zu Störungen der Interaktionen zwischen Lehrkräften und Schüler*innen im Unterricht führt (Lohmann, 2018; Thiel, 2016; Wettstein & Scherzinger, 2019). Dementsprechende Unterrichtsstörungen, die das Lehren und Lernen „behindern“ (Nolting, 2017, S. 13), „unterbrechen oder unmöglich machen“ (Lohmann, 2018, S. 13), stellen ein alltägliches Phänomen in der unterrichtlichen Praxis dar (Eckstein, Grob & Reusser, 2016; Krause, 2004; OECD, 2014) und lassen Unterricht als „störanfällige Interaktionsordnung“ (Proske et al., 2022) gelten. Um Unterrichtsstörungen als Störungen der unterrichtlichen Interaktionsordnung zu untersuchen, wird in diesem Symposium eine multiperspektivische Betrachtung des Phänomens vorgenommen, was in der empirischen Bildungsforschung bislang noch eher selten vorzufinden ist (Helsper & Klieme, 2013). Mit Hilfe quantitativer und qualitativer Ansätze wird in den Beiträgen zum Symposium untersucht, a) wie Lehrkräften im Unterricht mit schüler*innenseitigen Störungen der Interaktionsordnung umgehen, b) wie Interaktionsordnungen durch Praktiken der Interaktionssteuerung (lehrkraftseitig) überhaupt hergestellt werden und c) wie bestehende Ordnungen schüler*innenseitig wahrgenommen werden und ob dies mit bestimmten Verhaltensweisen der Schüler*innen im Unterricht assoziiert ist. Beitrag A führt mit der quantitativen Methode der Verhaltensbeobachtung in das Symposium ein und systematisiert welche Formen von Schüler*innenverhalten sich in klassenöffenlichen Unterrichtssettings als Störungen der unterrichtlichen Interaktionsordnung beobachten lassen. Dabei unterscheidet der Beitrag zwischen aktiven Störungen der Unterrichtsinteraktion und passiven Störungen und untersucht auf Basis dessen, welchen interaktionalen Umgang mit den jeweiligen Störungsformen Lehrkräfte zur Wiederherstellung von Interaktionsordnungen im Unterricht einsetzen. Diesbezüglich zeigt der Beitrag auf, dass aktive Störungen zwar seltener stattfinden, sich aber ein signifikanter Zusammenhang mit einem regulierend-reaktiven, lehrkraftseitigen Umgang - in Form von Ermahnungen - beobachten lässt. Passive Störungen treten dagegen häufiger auf, stehen jedoch mit keiner untersuchten Form des lehrkraftseitigen Umgangs mit Störungen der Interaktionsordnung in systematischem Zusammenhang. Vor dem Hintergrund dieser differenziellen Befunde zum lehrkraftseitigen Umgang mit Störungen der unterrichtlichen Interaktionsordnung stellt Beitrag B die Frage, wie geltende Interaktionsordnungen und Verhaltenserwartungen im Unterricht durch Lehrkräfte überhaupt kommuniziert werden. Dazu analysiert der Autor lehrkraftseitige Praktiken der Interaktionssteuerung im Rahmen einer qualitativ-rekonstruktiven Analyse von mehrperspektivischen Unterrichtsvideos. Herausgearbeitet werden Differenzen zwischen verbal-expliziten und nonverbal-impliziten Praktiken der Interaktionssteuerung, kontextbezogene Besonderheiten ihres Auftretens in Settings, in denen starke oder abgeflachte Rollenasymmetrien zwischen Lernenden und Lehrkräften vorherrschen sowie Anforderungen, Chancen und Risiken, die mit dem Einsatz nonverbal-impliziter Praktiken der Interaktionssteuerung für die Entstehung von Störungen einhergehen können. An diese zentralen Befunde unterschiedlicher lehrkraftseitiger Praktiken der Vermittlung geltender Interaktionsordnungen und ihrer Implikationen für den Unterrichtsprozess schließt Beitrag C mit einem Fokus auf die Schüler*innenperspektive an und untersucht im Rahmen eines Mixed-Methods-Ansatzes die schüler*innenseitige Wahrnehmung sozialer Ordnungen und deren Einfluss auf das Schüler*innenverhalten. Die Befunde der Untersuchung deuten auf komplexes Wissen der Schüler*innen zu verschiedenen Aspekten unterrichtlicher Interaktionsordnungen hin, welches allerdings in keinem signifikanten Zusammenhang mit gezeigtem Unterrichtsverhalten steht. Beiträge des Symposiums Störungen der unterrichtlichen Interaktionsordnung durch Schüler*innen und der lehrkraftseitige Umgang Unterrichtsstörungen manifestierten sich als Ausprägung dysfunktionaler unterrichtlicher Interaktionen zwischen Schüler*innen und Lehrkräften (Nolting, 2017; Winkel, 2011). Dadurch werden geltende Interaktionsordnungen von Unterrichtssettings gestört (Thiel, 2016; Wettstein & Scherzinger, 2019), was sich negativ auf den Unterrichtverlauf auswirken kann (Scherzinger et al., 2018; Winkel, 2011), die zur Verfügung stehende aktive Lernzeit reduziert (Angus et al., 2010; Scherzinger & Wettstein, 2019) und auf diese Weise die Lernprozesse einzelner Schüler*innen oder ganzer Lerngruppen negativ beeinträchtigt (Helmke & Weinert, 1997; Wettstein & Scherzinger, 2019). Die Ausprägungsformen dieser Störungen lassen sich grundsätzlich in aktive (nach außen gerichtete) und passive (innerliche) Verhaltensweisen unterscheiden (Nolting, 2017). Aktive Störungen können durch ihre expressiven Ausprägungen (z.B. motorische Unruhe oder unpassende Lautäußerungen) die Interaktionsordnung einer gesamten Lerngruppe und somit deren Lehren und Lernen stören (Lohmann, 2018; Nolting, 2017). Passive Störungen (z.B. in Form von Tagträumerei oder Ablenkung) beeinträchtigen vor allem die Lernprozesse betroffener Schüler*innen selbst (Nolting, 2017). Beide Formen verletzen Verhaltenserwartungen im Kontext geltender Interaktionsordnungen (Hester & Francis, 2000) und stören somit die Interaktion zwischen Lehrkräften und Schüler*innen. Infolge dieser unterschiedlichen Implikationen kann erwartet werden, dass Lehrkräfte differenziell mit den beschriebenen Störungsformen umgehen (Plax, Kearney, McCroskey & Richmond, 1986; Thiel, 2016), um gestörte unterrichtliche Interaktionsordnungen wiederherzustellen (Doyle, 2006, 2013). So kann angenommen werden, dass Lehrkräfte mit dem Ziel einer schnellen Unterbindung disruptiver, aktiver Störungen, einen regulierenden Umgang, durch verbale Interventionen wie Ermahnungen, wählen (z.B. Keller, 2014; Nolting, 2017). Im Umgang mit dem weniger disruptiven Störungspotential passiver Störungen kann dagegen ein aktivierender Umgang, z.B. über Aufruf zur (Wieder-)Einbindung ins Unterrichtsgespräch, angenommen werden (Keller, 2014), denn diese können einerseits eine Refokussierung der Aufmerksamkeit betroffener Schüler*innen fördern und andererseits implizit an geltende Verhaltenserwartungen erinnern (z.B. aktive Partizipation statt Tagträumen im Unterrichtsgespräch). Die empirische Untersuchung entsprechender Zusammenhänge lehrkraftseitiger Verhaltensweisen im Umgang mit aktiven bzw. passiven Ausprägungsformen von Störungen der unterrichtlichen Interaktionsordnung stellt jedoch bisher ein Desiderat der Unterrichtsforschung dar. Daher untersucht diese Studie: Welche Ausprägungsformen schüler*innenseitiger Störungen der unterrichtlichen Interaktionsordnung lassen sich im klassenöffentlichen Unterrichtsgespräch beobachten? Welche lehrkraftseitigen Umgangsformen steht mit den Ausprägungsformen schüler*innenseitiger Störungen der unterrichtlichen Interaktionsordnung in Zusammenhang? Dazu wurden 10-minütige Videosequenzen des klassenöffentlichen Unterrichtsgesprächs aus 35 Lerngruppen (681 Schüler*innen) der dritten Jahrgangsstufen an Grundschulen in Deutschland selektiert und aktive sowie passive, schüler*innenseitge Störungen der Interaktionsordnung anhand eines niedrig-inferenten Kategoriensystems erfasst. Geschulte Beobachter*innen kodierten das Auftreten (1) bzw. Nicht-Auftreten (0) typischer Verhaltensindikatoren der beiden Kategorien (in Anlehnung an die definitorische Grundlage von Nolting, 2017) in 30-sekündigen Intervallen für jede*n teilnehmende*n Schüler*in (aktive Störungen – substanzielle IRR, Fleiss κ = .67; passiver Störungen – moderate IRR, Fleiss κ = .57, Landis & Koch, 1977). Die lehrkraftseitigen Verhaltensweisen im Umgang mit diesen Störungen wurde im Rahmen eines ergänzenden Kodiersystems erfasst und in Form von Ermahnungen (regulierender Umgang) und Aufrufen ohne Meldung (aktivierender Umgang) einbezogen. Die Ergebnisse dieses Beitrags zeigen im klassenöffentlichen Unterrichtsgespräch ein häufigeres Auftreten passiver Störungen, die mit 42% aller Kodierungen in knapp der Hälfte aller Beobachtungssequenzen dokumentiert wurden, gegenüber aktiven Störungen, die in nur 14% der ausgewerteten Sequenzen kodiert wurden. Beide Störungsformen korrelierten nicht signifikant miteinander. Mehrebenen-Regressionsanalysen zeigen bei der Analyse des Interaktionsgeschehens innerhalb von Lerngruppen (within class), dass aktive Störungsformen mit einem regulierenden Umgang der Lehrkräfte durch Ermahnungen assoziiert waren. Für passive Störungen finden sich dagegen keine signifikanten Zusammenhänge mit dem untersuchten regulierenden oder aktivierenden, lehrkraftseitigen Umgang mit diesen Störungsereignissen. Die Befunde zum Umgang mit aktivem Störverhalten bei Schüler*innen untermauern bisherige Annahmen anhand empirischer Daten. Das Fehlen eines Zusammenhangs von passiven, schüler*innenseitigen Störungen mit den untersuchten Formen des lehrkraftseitigen Umgangs mit Störungen (Ermahnungen bzw. Aufrufe ohne Meldung), soll im Rahmen des Symposiums hinsichtlich möglicher Ursachen (z.B. ein weniger konsistenter Umgang oder ein allgemein selteneres, lehrkraftseitiges Adressieren von weniger disruptiven Störungsformen) diskutiert werden. Störungsfreiheit als ganz normale Unwahrscheinlichkeit?! Empirische Untersuchungen zu Praktiken und Kontexten der Herstellung von Interaktionsordnungen klassenöffentlichen Unterrichts Anschließend an ethnomethodologische Ansätze der Unterrichtsinteraktionsforschung im anglo-amerikanischen Raum (Cazden, 1986; Hester & Francis, 2000; O’Connor & Snow, 2018) kann Unterricht als in-situ-Geschehen betrachtet werden, das aus der Verkettung multimodaler Interaktionsereignisse emergiert. Interaktionsordnungen werden im Unterricht konstruiert, indem selektiv Interaktionsbeiträge von Lehrkräften und Schüler:innen aneinander anschließen bzw. deren Nicht-Anschließen als Erwartungsabweichung kommuniziert wird (Proske et al., 2022). Je nach Kontext werden dabei bestimmte Verhaltensweisen als (in)adäquat interpretiert: „each context makes different interactional demands on the memberts of the class“ (Shultz & Florio, 1979, S. 169). Aus dieser Perspektive kann Unterricht „als störanfällige Interaktionsordnung“ (Proske et al. 2022, S. 916) betrachtet werden, für dessen Herstellung und Aufrechterhaltung von den Beteiligten praktisch-operative Lösungen gefunden werden müssen. Aufgrund der asymmetrisch angelegten Rollenverteilung in (Schul-)Unterrichtssettings fungiert die Lehrkraft als primär verantwortlich für die Herstellung sozialer Ordnungen (Paoletti & Fele, 2004), indem sie Handlungsprogramme situativ in primäre Handlungsvektoren übersetzt, auf die sie „die Schülerinnen und Schüler verpflichtet“ (Ophardt & Thiel, 2013, S. 53). Aus dieser Perspektive erscheinen Unterrichtsstörungen als Abweichungen von Ordnungserwartungen, die durch Aktivitäten in Relation zum Kontext ihrer Hervorbringung bzw. in Relation zu dem von der Lehrkraft situativ-enaktierten Handlungsprogramm produziert werden: „misbehavior is any behavior by one or more students that is perceived by the teacher to initiate a vector of action that competes with or threatens the primary vector of action at a particular moment in a classroom activity” (Doyle, 2006, 2013, S. 112). Vor diesem theoretischen Hintergrund wird im Projekt „Pädagogische Interaktion als Koordinationsproblem“ die Frage verfolgt, welche multimodalen Praktiken Schüler:innen und insb. Lehrkräfte im Unterricht realisieren, um Interaktionsordnungen herzustellen und deren Reproduktion zu ermöglichen. Im hier projektierten Beitrag sollen Befunde einer Teilstudie dargestellt werden, in der die Fragestellung untersucht wird, wie Lehrkräfte Ordnungserwartungen im klassenöffentlichen Unterricht kommunizieren: Welche Interaktionspraktiken realisieren Lehrkräfte im Umgang mit Anforderungen der Interaktionssteuerung in Settings klassenöffentlichen Unterrichts? Gezielt wird bei dieser qualitativ-rekonstruktiv angelegten Studie darauf, ein breites Spektrum an Varianten der Interaktionssteuerung zu identifizieren und Hypothesen zu kontextbezogen Besonderheiten zu generieren. Als Grundlage dafür fungieren zwei Datenkorpora an mehrperspektivischen Videoaufzeichnungen des prozessförmigen Geschehens in Veranstaltungen der Erwachsenen-/Weiterbildung (n= 128) sowie des Haupt-, Real- und Gymnasialunterrichts der sechsten Klasse (n= 24). Zum Einbezug relevanter Fälle wird sich an Strategien des Theoretical Sampling orientiert (Glaser & Strauss, 2005), um anhand minimaler und maximaler Kontrastierungen das empirische Spektrum an Varianten lehrkraftseitiger Interaktionssteuerung auszuloten. Die Analyse der videographischen Daten orientiert sich an Ansätzen mikroethnographischer und konversationsanalytischer Interaktionsforschung (Erickson, 2006; Herrle, 2020; Mondana, 2016). Mit Hilfe segmentierungsanalytischer und sequenzanalytischer Verfahren werden Ablaufordnungen von Unterrichtsinteraktionen analysiert und kontextbezogen Formen und Funktionen von Interaktionspraktiken identifiziert, die Lehrkräfte im Umgang mit Herausforderungen der Interaktionssteuerung in Phasen klassenöffentlichen Unterrichts zum Einsatz bringen. Erste Befunde, die im Vortrag am Datenmaterial illustriert werden sollen, zeigen, dass (1) die Form von Praktiken der Interaktionssteuerung insbesondere hinsichtlich ihres Explizitheitsgrades bzw. der zu ihrer Darstellung genutzten Äußerungsressourcen differiert; (2) dass die selektive Realisierung von Praktiken der Interaktionssteuerung an das Ausmaß der im jeweiligen Kontext vorherrschenden Rollenasymmetrie zwischen Lehrkraft und Lernenden gebunden scheint – besondere Kontraste ergeben sich hier zwischen schulischen und volkshochschulischen Settings; (3) dass eine beiläufige Realisierung minimaler Übergänge zwischen Phasen im klassenöffentlichen Unterricht mit besonderen Anforderungen an die lehrkraftseitige Darstellung von Kontextualisierungshinweisen und deren Wahrnehmung und Interpretation durch die Schüler:innen gebunden ist, um eine störungsfreie Reproduktion der jeweiligen lehr-lernbezogenen Interaktionsordnung zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund erscheint weniger die Störungen als vielmehr die Ordnung von Unterricht als komplexes und erklärungsbedürftiges Phänomen (Vanderstraeten, 2001), zu dessen Aufklärung Untersuchungen zur Funktionsweise von Interaktionskontexten und zu Praktiken ihrer koordinierten Herstellung wichtige Beiträge liefern können (Herrle & Dinkelaker, 2018). „Nicht kippeln, nicht reinrufen und keinen Blödsinn machen.“ – Die Wahrnehmung schulischer Ordnung und ihr Einfluss auf das Unterrichtsverhalten von Grundschüler*innen Regeln besagen, welches Verhalten im Rahmen der sozialen Ordnung der Schule als legitim gilt. Sowohl das theoretische als auch das didaktische Verständnis von Regeln impliziert, dass das Wissen über bestehende schulische Ordnungsstrukturen als Indikator für die Produktion legitimen und regelkonformen Verhaltens seitens der Schüler*innen betrachtet werden kann (Alter & Haydon, 2017). Ausgehend von einem interaktionistischen Verständnis schulischer Ordnung, welches deren Produktion nicht ausschließlich als eine Leistung der Lehrkräfte versteht, lässt sich schulische Ordnung als situativ und komplex beschreiben, da Regeln und Verhaltenserwartungen häufig unscharf, mehrdeutig oder widersprüchlich sind (Jäger, 2019; MacLure, Jones, Holmes & MacRae, 2012; Mehan, 2014; Schuchart & Bühler-Niederberger, 2022). Entgegen der lehrer*innenzentrierten Betrachtung schulischer Ordnung wird in diesem Beitrag die Perspektive der Kinder fokussiert, deren Beitrag bei der Aufrechterhaltung dieser Ordnung als zentral verstanden werden muss. Während es bereits Arbeiten gibt, die die subjektive Sicht von Schüler*innen auf Regeln und Sanktionierung retrospektiv mit Hilfe von Fragebögen untersuchen (z.B. Payne, 2015), verfolgen wir einen innovativen Ansatz, bei dem Experteninterviews mit Kindern mit deren objektiv beobachtetem Unterrichtsverhalten verknüpft werden können. Damit bearbeiten wir ein auch für Lehrkräfte relevantes Forschungsdefizit. So zeigt eine Studie von Kumschick, Piwowar und Thiel (2018), dass es Lehrkräften besser gelingt, adäquat auf Störungen zu reagieren, wenn sie die Perspektive der Schüler*innen kennen und berücksichtigen. In unserer explorativ angelegten Studie betrachten wir die folgenden Fragen: Wie wird schulische Ordnung aus der Perspektive von Grundschüler*innen wahrgenommen? Welchen Einfluss hat die individuelle Wahrnehmung von schulischer Ordnung auf das Verhalten der Grundschüler*innen im Unterricht? Wir verwenden einen Mixed-Methods-Ansatz, der sich aus Verhaltensbeobachtungen und qualitativen Interviews zusammensetzt. Die Beobachtungen wurden in 22 ersten Klassen in 209 Unterrichtsstunden von jeweils 2 geschulten Beobachter*innen zu 2 bis 5 Zeitpunkten durchgeführt. In Anlehnung an validierte Messinstrumente (Gadow, Sprafkin & Nolan, 1996; Muris, Meesters & van den Berg, 2003; Shapiro, 2011) wurden motorische, verbale, aggressive und passive Unterrichtsstörungen individuell erfasst. Im Anschluss an die Beobachtungen wurden einzelne Kinder in qualitativen Interviews gefragt, welche Empfehlung sie anderen Kindern geben würden, um in der Schule „gut zurechtzukommen und wenig Ärger zu bekommen“. Die insgesamt 149 geführten Interviews, bei denen 107 Kinder teilweise wiederholt befragt werden konnten, wurden dann mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring & Fenzl, 2019) ausgewertet. Zur Prüfung der Zusammenhänge zwischen der individuellen Regelkenntnis (ja/nein) und dem Störverhalten (Häufigkeit) wurden bivariate lineare Regressionen durchgeführt. Die inhaltsanalytischen Interviewauswertungen zeigen, dass die Erstklässler*innen vor allem über Wissen zu verbalen Verhaltensregeln (76,5%) und zur Beteiligung am Unterricht (62,4%) verfügen, während sie motorisches Handeln (31,5%) deutlich seltener als Teil schulischer Ordnung betrachten. Eine häufig genannte Kategorie stellt dabei auch das Wissen über die Bestrafung abweichenden und die Belohnung legitimen Verhaltens (49,7%) dar. Daneben kannten die Kinder auch allgemeine Regeln der sozialen Interaktion. So äußerten sich mehr als die Hälfte aller befragten Kinder über Regeln des sozialen Miteinanders (54,4%) und etwa ein Drittel über die Vermeidung von physischer Gewaltanwendung (34,2%). Als weitere Kategorie ließen sich zudem auch Äußerungen über das Befolgen von Anweisungen und Vorgaben von Autoritäten (17,4%) sowie unspezifische Äußerungen über erwartetes oder unerwünschtes Verhalten (34,2%) kodieren. Die regressionsanalytische Auswertung zeigt, dass in allen Kategorien Regelkenntnis nur tendenziell, jedoch nicht signifikant im Zusammenhang mit der Häufigkeit des jeweiligen Störverhaltens der Kinder steht. Die Vielzahl von Verhaltensregeln, die die Kinder nennen konnten, spiegelt die komplexen Anforderungen an das Verständnis der Kinder wider, die mit Schuleintritt an sie gerichtet sind. Dass die Regelkenntnis keinen Niederschlag im Verhalten findet, kann mehrere Gründe haben. So müssen Kinder lernen, dass Regeln nicht in jeder Situation gelten (Doyle, 2006, 2013; Jäger, 2019), und nur 40% der Verstöße werden unseren Daten zufolge durch die Lehrkraft geahndet. Im nächsten Schritt sollen diese Zusammenhänge im Längsschnitt genauer untersucht werden. |
15:20 - 17:00 | 3-07: Transfercafé - Transferformate gemeinsam mit Wissenschaft und Schulpraxis gestalten Ort: S18 |
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Offenes Beitragsformat
Transfercafé - Transferformate gemeinsam mit Wissenschaft und Schulpraxis gestalten 1Universität Potsdam; 2Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg; 3Leuphana Universität Lüneburg; 4Universität Münster; 5Universität Tübingen; 6Pädagogische Hochschule Freiburg Zahlreiche Transferformate bringen Wissenschaft und Schulpraxis in Deutschland in den Austausch, wie zum Beispiel Hochschul-Schulnetzwerke, Fortbildungen für Lehrkräfte und die gemeinsame Entwicklung von Unterrichtsmaterialien. Das Transfernetzwerk Bildung bringt seit 2021 insbesondere Akteure aus Hochschulen und Landesinstituten zusammen (z. B. Mitarbeitende in Professional Schools of Education, Schulnetzwerk-Koordinator:innen, Mitarbeitende in Transferprojekten), die sich über Rahmen- und Gelingensbedingungen der von ihnen gestalteten Transferformate untereinander und mit externen Experten austauschen. Die Vielfalt solcher Transferformate ergibt sich aus den im Rahmen der “Third Mission” der Hochschulen entwickelten Transferstrategien und wurde unter anderem durch Projekte innerhalb der Qualitätsoffensive Lehrerbildung unterstützt. Die konkrete und praktische Umsetzung von Transferformaten ist dabei mit einer Vielzahl von Hürden verbunden (Farley-Ripple et al., 2018; Roessler et al., 2020; Schrader et al. 2020; Taszarek, 2022). Hochschulen können jedoch institutionell Wissenschaftler:innen durch geeignete Strukturen bei der Organisation und Durchführung von Transferaktivitäten sowie bei der Dissemination von Transferprodukten unterstützen. Ziel dieser Session ist, Transferformate exemplarisch vorzustellen und zu diskutieren, inwiefern sie als institutionelle Struktur gestaltet werden können, damit sie Forschende optimal unterstützen. Ein einführender Beitrag stellt das Transfernetzwerk Bildung vor und situiert es vor dem Hintergrund professioneller Lerngemeinschaften und anderer Netzwerke für Transfer. Anschließend werden Transferformate von Mitglieder:innen des Netzwerks in einem Transfercafé präsentiert. Gemeinsam werden entlang der individuellen Projektkonzeptionen Fragen wie die folgenden diskutiert:
Abschließend werden wir gemeinsam den Blick auf die Frage richten, was Schul-Hochschulkooperationen hinsichtlich Transfers leisten können und wie wir diesen Prozess fördern und empirisch untersuchen können. Im Transfercafé werden die folgenden Transferformate von Netzwerkmitgliedern präsentiert: Die Arbeit in Entwicklungsteams an der Leuphana Universität Lüneburg: Was uns die Empirie lehrt Dr. Sandra Fischer-Schöneborn (Dekanat Fakultät Bildung & Zukunftszentrum Lehrkräftebildung, Leuphana Universität Lüneburg) Leitidee des QLB-Projekts „Zukunftszentrum Lehrkräftebildung-Netzwerk“ (ZZL-Netzwerk) der Leuphana Universität Lüneburg ist es, durch institutionenübergreifende Vernetzung mit Vertreter:innen aus Universität, Schule, Studienseminar und weiteren Bildungsinstitutionen der Region in ko-konstruktiver Zusammenarbeit innovative Formate für Unterricht, Lehrkräfteaus- und -fortbildung zu entwickeln und zu erproben. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten die am Projekt beteiligten Forscher:innen mit Lehrkräften, Studierenden und weiteren Schul- und Bildungsvertreter:innen (insgesamt über acht Jahre n>230 Akteur:innen) seit 2016 in neun so genannten Entwicklungsteams zusammen (Fischer-Schöneborn & Straub, 2022). Diese multiprofessionelle Zusammenarbeit sowie ihre Erträge werden im Projekt konstant beforscht und evaluiert (bspw. Fischer-Schöneborn & Ehmke, 2023). Im Beitrag werden Einblicke in die empirischen Ergebnisse zu Erfolgsfaktoren, Herausforderungen sowie der Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“ gegeben. Transfer gemeinsam fördern! Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Hochschulen und Landesinstituten im Bereich Transfer Dr. Michael Wiedmann (Pädagogische Hochschule Freiburg), Dr. Alexandra Dehmel (Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg) Wie können Hochschulen und Bildungsadministration - spezifisch: Landesinstitute - zusammenarbeiten, um Transfer zu fördern? Die Landesinstitute sind als intermediäre Akteure wichtige Player im Bereich Transfer und haben aufgrund ihrer Stellung im System besondere Potenziale, Transfer zu fördern (Dehmel, 2019). Transfergegenstand können Produkte, Theorien aber auch evidenzerzeugende Verfahren sein (Leuders et al., 2023). Die Pädagogische Hochschule Freiburg und das Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) stellen verschiedene Transferaktivitäten vor, bei denen Landesinstitute und Hochschulen zusammenarbeiten. Die PH Freiburg präsentiert Formate der Kooperation mit der Regionalstelle des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung in Freiburg, die insbesondere Fortbildende als Multiplikator:innen adressieren, um in die Fläche zu wirken. Die Landesinstitute sind zur Konzeption dieser Formate ideale Partner für die PH Freiburg. Das IBBW stellt verschiedene Transferaktivitäten vor, unter anderem die Veranstaltungsreihe „IBBW-Wissenschaft im Dialog“ und Publikationsreihen zum Transfer bildungswissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. Ziel dieses Beitrags im World Café ist es, Möglichkeiten der Zusammenarbeit Hochschulen - Landesinstitute beim Transfer aufzuzeigen und auch Ideen für neue Formate zu generieren. Wissenschaft begeistert! Dr. Eike Wille, Tübingen School of Education, Universität Tübingen Wie können Schülerinnen und Schüler für spannende Forschungsthemen begeistert werden? Wie kann es Wissenschaft gelingen, mit der heranwachsenden Generation in Austausch zu kommen? In der Veranstaltungsreihe ‚Wissenschaft begeistert‘ der Tübingen School of Education (Uni Tübingen) diskutieren Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aktuelle, spannende Themen aus unterschiedlichen Fachgebieten. Neben einer schülerorientierten Aufbereitung eines Forschungsthemas steht die gemeinsame Diskussion der Inhalte im Zentrum der 90-minütigen Veranstaltungen. Schülerinnen und Schüler erhalten so einen Einblick in aktuelle wissenschaftliche Fragestellungen, Denk- und Arbeitsweisen, während Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine neue Sichtweise auf ihr Forschungsthema bekommen und neue Ideen für weitere Forschungsprojekte generieren können. Wie gelangen wissenschaftliche Erkenntnisse in die Schulpraxis? Salome Wagner, Tübingen Center for Digital Education (TüCeDE) Wie können Lehrkräfte und Lehrkräftebildende digitale Medien forschungsbasiert in der Praxis nutzen? Am TüCeDE gibt es verschiedene Ansätze, um bidirektionalen Transfer und den Austausch von Wissenschaft und Praxis zu fördern. Ein Ansatz stellt die Clearinghouse-Plattform TüDi-BASE dar, auf der wissenschaftliche Erkenntnisse zum Unterrichten mit und über digitale Medien anhand von Forschungssynthesen für (angehende) Lehrkräfte und Lehrpersonenbildende aufbereitet werden. Ein weiterer Ansatz stellt das Projekt DiA:Net dar, in dem Lehrkräfte und Wissenschaftler:innen ko-konstruktiv Unterrichtseinheiten erstellen, die in der Schule, begleitet durch empirische Erhebungen, eingesetzt und dann als OER zur Verfügung gestellt werden. Durch solche Transferformate können sowohl Lehrkräfte als auch Wissenschaftler:innen viel voneinander lernen. Gelingensbedingungen für praxisorientierte Forschung und Forschungstransfer in Hochschul-Schul-Netzwerken am Beispiel des Campusschulennetzwerk am Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung (ZeLB) der Universität Potsdam Dorothea Körner (ZeLB, Universität Potsdam), Prof. Dr. Winnie-Karen Giera (Deutschdidaktik im inklusiven Kontext, Universität Potsdam), Dr. Julius Erdmann (ZeLB, Universität Potsdam) Eine gewinnbringende und als wertvoll erachtete Zusammenarbeit zwischen den Institutionen Hochschule und Schule stellt einen Grundpfeiler für gelingenden Transfer im Bildungsbereich dar. Das Projekt Campusschulen bietet als Konzept niedrigschwelliger Netzwerkarbeit die Möglichkeit, gemeinsam an selbstgesetzten Zielen der der Schul- und Unterrichtsentwicklung zu arbeiten. Kennzeichnend ist dabei ein Dreiklang der Akteursgruppen Lehrkräfte, Lehramtsstudierende sowie Wissenschaftler:innen der Universität Potsdam (Kleemann et al., 2019). Auf Basis dieses Netzwerkkonstrukts werden Erfahrungen und Learnings für eine gelingende Gestaltung von Zusammenarbeit berichtet. Der Beitrag verbindet einen wissenschaftlichen Blick auf Gelingensbedingungen der Netzwerkarbeit, bestehend aus Daten der Projektevaluation und einem theoretischen Framing, sowie die praktische Perspektive eines beteiligten Netzwerks. Dieses fokussiert auf die Förderung sprachlicher und kommunikativer Fähigkeiten in verschiedenen kulturellen/politischen/berufsorientierten Schulprojekten (Giera, i.V.). |
Datum: Dienstag, 19.03.2024 | |
10:30 - 12:10 | 4-08: Mehrsprachigkeit im Unterricht!? Ergebnisse der X-Studie zu den Überzeugungen von Grundschullehrkräften im Umgang mit Mehrsprachigkeit Ort: S18 |
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Symposium
Mehrsprachigkeit im Unterricht!? Ergebnisse der BLUME-Studie zu den ÜBerzeugungen von GrundschulLehrkräften im Umgang mit MEhrsprachigkeit Kontext: Mehrsprachigkeit ist weltweit und auch in Deutschland durch die internationalen Migrations- und Fluchtbewegungen die Regel (Tracy, 2014). Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit bezieht sich dabei auf die verschiedenen Familiensprachen von Grundschulkindern, die die sprachliche Heterogenität im Grundschulunterricht prägen und ein zentrales Kennzeichen von Grundschulklassen darstellen (Grosjean, 2020). Aktuelle Ergebnisse der IQB-Studie zeigen, dass jedes fünfte Kind erst in der Grundschule mit Deutsch in Berührung kommt (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Davon ausgehend ist es gerade im grundschulpädagogischen Mehrsprachigkeitsdiskurs notwendig den Blick gezielter auf unterrichtsnahe Fragestellungen zu richten. Professionstheoretische Verortung: In der BLUME-Studie werden Überzeugungen ausgehend von einem kompetenztheoretischen Verständnis professioneller Kompetenz (Baumert & Kunter, 2006) überwiegend dem affektiv-motivationalen Bereich zugeordnet, wobei diese auch kognitive Komponenten umfassen (Reusser, et al., 2011). Überzeugungen werden als selbst-normativ und individuell verstanden und zeichnen sich durch emotionale Gehalte aus. Die Überzeugungen von Lehrkräften sind als Forschungsgegenstand interessant, weil ihnen zugeschrieben wird, dass sie das Handeln steuern und Lehrkräfte ihr Handeln mit ihren Überzeugungen auch begründen (Buehl & Beck, 2015; Voss et al., 2011) Forschungsstand & Forschungsdesiderat: Berufsbezogene Überzeugungen sind grundsätzlich auf eine bestimmte berufliche Anforderung gerichtet (Reusser et al., 2011, S. 642), wobei der Umgang mit Mehrsprachigkeit – insbesondere in Bezug auf berufstätige Grundschullehrkräfte und deren Überzeugungen – ein Forschungsdesiderat in der Grundschulpädagogik darstellt. Im internationalen Forschungsstand liegen einzelne Studien vor, welche die Überzeugungen von Lehrkräften zum Umgang mit kultureller und sprachlicher Vielfalt untersuchen (z.B. Haukas, 2015; Lundberg, 2019). Insgesamt deutet der Forschungsstand darauf hin, dass die Überzeugungen von Grundschullehrkräften gegenüber dem Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht insgesamt tendenziell positiv ausgeprägt sind. Zusammenfassend lässt sich das Forschungsdesiderat, auf das reagiert wird, wie folgt beschreiben: Vorliegende Studien fokussieren entweder nicht spezifisch das Konstrukt der Überzeugungen, sondern die Erhebung von Einstellungen über Mehrsprachigkeit (Maak et al., 2015), nicht spezifisch das Thema Mehrsprachigkeit, sondern Migrationshintergrund (Wischmeier, 2012) oder untersuchen als Zielgruppe Lehramtsstudierende (Fischer & Ehmke, 2019) oder pädagogische Fachkräfte (Kratzmann et al., 2017) – jedoch nicht berufstätige Grundschullehrkräfte. Im vorliegenden Symposium werden die Überzeugungen von berufstätigen Grundschullehrkräften in den Blick genommen. Erkenntnisinteresse: Bei der DFG-geförderten BLUME Studie („ÜBerzeugungen von GrundschulLehrkräften zum Umgang mit MEhrsprachigkeit“) handelt es sich um eine Qualitative Vignettenstudie. Ziel der Studie ist eine differenziertere und tiefergehendere Analyse der mehrsprachigkeitsbezogenen Überzeugungen entlang von theoretisch entwickelten didaktischen Funktionen (Lange & Pohlmann-Rother, 2024/i.V.), die Grundlage waren für die Entwicklung von sechs Vignetten. Im vorliegenden Symposium werden die theoretischen und empirischen Ergebnisse der BLUME-Studie vorgestellt. Datenerhebung und -auswertung: Die Stichprobe der vorliegenden Studie beläuft sich auf N=43 Grundschullehrkräfte in sechs verschiedenen Bundesländern. Als Stimulus für die Interviews dienten Unterrichtsvignetten als kurze Fallbeispiele (Atria et al., 2006) zu alltäglichen Mehrsprachigkeitssituationen im Unterricht. Das Interview gliedert sich in eine narrative Einstiegsphase (Teil 1) mit offener Fragestellung und eine Vignettenphase (Teil 2), in der die Lehrkräfte gebeten wurden zu zwei der sechs theoretisch entwickelten Unterrichtsvignetten Position zu beziehen (vgl. Lange & Pohlmann-Rother, 2024/i.V.). Jeder Unterrichtsvignette lag dabei eine der in Vortrag 1 beschriebenen didaktischen Funktionen von Mehrsprachigkeit im Unterricht zugrunde. Ablauf des Symposiums: Nach einer kurzen Einführung werden in Vortrag 1 die theoretischen Ergebnisse der BLUME-Studie in Form der theoretisch ausgearbeiteten didaktischen Funktionen zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht vorgestellt. Anschließend werden in Vortrag 2 die empirischen Ergebnisse der Vignettenstudie präsentiert, indem zum einen die induktiv-deduktiv herausgearbeiteten Kategorien zur fallübergreifenden Beschreibung der Ausprägungen der Überzeugungen der Lehrkräfte und zum anderen die fünf Überzeugungstypen der Typenbildung nach Kelle und Kluge (2010) präsentiert werden. Abschließend werden in Vortrag 3 die Ergebnisse der deduktiv-induktiven Sekundäranalyse präsentiert, mit der im Rahmen der DFG-geförderten Zusatzstudie BLUME IV-Migration die Konstruktion von Linguizismus im Unterricht untersucht wurde. Abschließend werden die Vorträge aus Sicht der Diskutantin kritisch-konstruktiv reflektiert. Beiträge des Symposiums Didaktische Funktionen zum Einbezug von Familiensprachen im Unterricht Hinführung: Das Thema Mehrsprachigkeit ist von hoher pädagogischer und gesellschaftlicher Relevanz, da Grundschullehrkräfte täglich sprachlicher Heterogenität begegnen. Im aktuellen Diskurs lässt sich ein Perspektivwechseln von der Defizitperspektive hin zu ressourcenorientierter Betrachtung von migrationsbedingter Mehrsprachigkeit erkennen (Autor:innen, 2020). Der Grundschule als „Schule der Vielfalt und Gemeinsamkeit“ (Schorch, 2007, S. 35) kommt ein demokratischer Bildungsauftrag als ‚Schule für Alle‘ sowie die Aufgabe zu, kindgemäße Lernumgebungen zu gestalten sowie unterschiedliche Vorerfahrungen und Wissensstände der Kinder einzubeziehen (Jung, 2021). Ausgangspunkt des Beitrags ist die Ausformulierung eines theoretisch begründeten grundschulpädagogischen Selbstverständnisses hinsichtlich der lernförderlichen Nutzung von nicht-deutschen Familiensprachen im Grundschulunterricht. Der ressourcenorientierte Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht kann u.a. bildungstheoretisch und pädagogisch begründet werden (Autor:innen). Grundschulpädagogisches Selbstverständnis: Zur theoretischen Untermauerung der Bedeutung des Themas Mehrsprachigkeit im Unterricht wurden sechs Begründunglinien zu einem grundschulpädagogischen „Selbstverständnis“ ausformuliert. So wird postuliert, dass der Einbezug von Mehrsprachigkeit in den Unterricht (a) die Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung der Schüler:innen unterstützen kann (Martschinke, 2014), (b) das Selbstwertgefühl und die Lernmotivation der Kinder fördern (Lohrmann & Hartinger, 2014) und (c) die Vermittlung sprachbezogener Basiskompetenzen bestärken kann (Busch, 2013). Eine (d) diversitätssensible Orientierung des Unterrichts kann sicherstellen, dass der Unterricht an den sprachlichen Lernvoraussetzungen aller Kinder orientiert wird (Fürstenau, 2011). Außerdem kann die Wertschätzung von Mehrsprachigkeit im Unterricht (e) die Verbindung sprachlicher Bildungsprozesse mit fachlichen Inhalten unterstützen (Gogolin, 2020) sowie (f) außerschulische und kulturelle Spracherfahrungen aufgreifen (Neuhaus, 1991). Didaktische Funktionen zur Ausdifferenzierung des lernförderlichen Nutzens von Mehrsprachigkeit im Grundschulunterricht: Aufbauend auf diesen Begründungslinien wird für die Unterrichtsebene eine Systematisierung zu sechs verschiedenen didaktischen Funktionen entworfen, die mit dem Einbezug von nicht-deutschen Familiensprachen im Unterricht verfolgt werden können. Diese Funktionen wurden auf Grundlage des aktuellen Forschungsstands zur migrationsbedingten Mehrsprachigkeit sowie unter Einbezug der spezifischen grundschulpädagogischen Kernaufgaben entwickelt. Es handelt sich um die identitätsstiftende, soziale, spracherwerbsstützende, diskriminierungskritische, fachliche und kulturelle didaktische Funktion (vgl. Autor:innen). Die identitätsstiftende didaktische Funktion bspw. bezieht sich auf das Bewusstsein verschiedener sprachlicher Identitäten. Dies kann bei den Schüler:innen ein Identitätsbewusstsein fördern; die Stärkung des Selbstkonzepts kann zur Identitätsentwicklung der Schüler:innen beitragen (Krumm, 2020) und das Selbstbewusstsein von mehrsprachigen Kindern als Herkunftssprecher:innen fördern (Riehl, 2014). Bei der sozialen didaktischen Funktion geht es um die Bildung einer Gemeinschaft in der Schulklasse durch Wertschätzung und Darstellung der Mehrsprachigkeit (Fürstenau, 2017). Mit der spracherwerbsstützenden didaktischen Funktion kann durch Sprachvergleiche, sowie Vorteile des grammatischen Grundgerüst der Erstsprachen der Kinder sprachliche Bildung erfolgen (Akbulut et al., 2017). Durch die gleiche Wertschätzung und Berechtigung aller Sprachen soll mit der diskriminierungskritischen didaktischen Funktion der Diskriminierung einzelner Schüler:innen entgegengewirkt (Riehl, 2014) und vorurteilsbewusste Bildung angestrebt werden. Die fachliche didaktische Funktion definiert sich durch mögliche kognitive und kommunikative Vorteile, die der Einbezug der Familiensprachen in den Unterricht für das fachliche Lernen bringen kann (Prediger et al., 2019). Mit der kulturellen didaktische Funktion kann ausgehend von einer kindlichen Lebenswelt über den Vergleich von Gemeinsamkeiten und Unterschieden kulturelle Bildung erreicht werden (Nießeler, 2016). Diskussion: Die ausgeführten didaktischen Funktionen sind hypothetische und theoriefundierte Unterscheidungen zum Einbezug von Mehrsprachigkeit in den Grundschulunterricht und beschreiben didaktische Prozesse und Zielsetzungen. Das Ziel besteht darin, zu einer Ausdifferenzierung der bisher im Diskurs dominierenden Polarisierung zwischen stark befürwortenden oder ablehnenden Positionen in der Mehrsprachigkeitsforschung beizutragen, um den Blick zu schärfen für das breitere Spektrum der verschiedenen Möglichkeiten des Einbezugs von Mehrsprachigkeit im Grundschulunterricht. In der Diskussion wird ausgeführt, wie die zentralen Aspekte der didaktischen Funktionen in Unterrichtsvignetten operationalisiert wurden, die im Rahmen der DFG-geförderten X-Studie in Interviews mit Grundschullehrkräften eingesetzt wurden, in der die Überzeugungen von Grundschullehrkräften zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht untersucht werden. Die vorliegenden Ergebnisse zur Theoriebildung aus der X-Studie stellen den Kern des Beitrags dar. „Also es ist utopisch“ – Ergebnisse der Typenbildung zu den Überzeugungen von Grundschullehrkräften zum Umgang mit Mehrsprachigkeit Fragestellung: Um dem Ziel der X-Studie nachzukommen, die Überzeugungen der Grundschullehrkräfte in ihrer Vielschichtigkeit und auch möglichen Widersprüchlichkeit zu beschreiben, wurden mit 43 Grundschullehrkräften vignettengestützte Interviews durchgeführt und qualitativ ausgewertet. Datenauswertung: Um der Herausforderung nachzukommen, die Überzeugungen der Lehrkräfte in den Beschreibungen und Begründungen im Vignetteninterview sichtbar zu machen, wurden zunächst mit einer Basiskodierung ‚Positionierungsaussagen‘ identifiziert. Diese Positionierungsaussagen zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine subjektive Bewertung der Lehrkräfte darstellen und eine klare und eindeutige eigene Positionierung zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht mit inhaltlichem „Ich“-Bezug aufweisen. (1) Induktiv-deduktive Kategorienbildung: Im Rahmen der Kodierung der Positionierungsaussagen wurde zunächst ein Kategoriensystem aus einzelnen Interviews mit Haupt- und Unterkategorien erarbeitet, um fallübergreifend die Ausprägungen der Überzeugungen der Grundschullehrkräften zum Umgang mit Mehrsprachigkeit zu beschreiben. Das so entstandene Kategoriensystem umfasst elf Hauptkategorien, welche die mehrsprachigkeitsbezogenen Positionierungen der Lehrkräfte zu Mehrsprachigkeit im Unterricht abbilden. Jedes Interview wurde in zwei unabhängigen Durchgängen doppelt kodiert und in regelmäßigen Auswertungstreffen in der Forschungsgruppe konsensuell validiert (Hopf & Schmidt, 1993). Parallel fand eine Beratung über die Kodierentscheidung statt, um das Kategoriensystem gegebenenfalls noch zu präzisieren und im Sinne der induktiven Datenauswertung an das Datenmaterial anzupassen (vgl. Levasier, 2022). (2) Typenbildung: Ausgehend vom Kategoriensystem wurde eine Typenbildung nach Kelle & Kluge (2010) durchgeführt. Zunächst wurden Vergleichsdimensionen erarbeitet – ausgehend vom Kategoriensystem und auch fallspezifisch ausgehend von den Fallzusammenfassungen zu den Interviews. Folgend wurden die Fälle anhand der Vergleichsdimensionen gruppiert und die empirischen Regelmäßigkeiten analysiert, die Merkmalskombinationen mit Hilfe von Kreuztabellen erstellt und inhaltliche Sinnzusammenhänge herausgearbeitet. Abschließend wurden die konstruierten Typen anhand ihrer Merkmalskombinationen und der übergreifenden Zusammenhänge charakterisiert. Für jeden gebildeten Typ wurde ein repräsentativer Prototyp herausgestellt. Empirische Ergebnisse: (1) Kategorienbildung: Die Ausprägungen der Überzeugungen von Grundschullehrkräften zu Mehrsprachigkeit im Unterricht lassen sich in vier übergeordnete Bereiche fassen, die durch verschiedene Ober- und Unterkategorien ausdifferenziert werden: (1) Befürwortende Kategorien zur Bedeutung von Mehrsprachigkeit im Unterricht, (2) Eher ablehnende Kategorien zu Schwierigkeiten und Grenzen von Mehrsprachigkeit im Unterricht, (3) Priorisierung des Deutschen im Unterricht im Gegensatz zu ‚Normalität‘ von Mehrsprachigkeit und (4) Reflexion der eigenen Überzeugungen durch die Lehrkraft. Diesem Bereich werden auch Aussagen der Lehrkräfte zugeordnet, in denen sie ihre eigene Ambivalenz zum Thema beschreiben. (2) Typenbildung: Die Typenbildung ergab fünf Überzeugungstypen, die eine große Bandbreite und Widersprüchlichkeiten im Umgang der Lehrkräfte mit Mehrsprachigkeit aufzeigen. Typ 1: Der selbstsichere, mehrsprachigkeitsbefürwortende Typ zeichnet sich dadurch aus, dass er Mehrsprachigkeit gegenüber aufgeschlossen und sehr zugewandt ist. Typ 2: Der unsichere, offene Typ zeichnet sich durch Unsicherheiten im unterrichtlichen Umgang mit Mehrsprachigkeit aus. Typ 3: Der hierarchisierende, ambivalente Typ ist Mehrsprachigkeit gegenüber teilweise aufgeschlossen, teilweise (leicht) zurückhaltend. Typ 4: Der ambivalente, unsichere Typ zeichnet sich durch Unsicherheiten im gewählten Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht aus. Typ 5: Der zurückweisende, funktionale Typ ist Mehrsprachigkeit im Unterricht gegenüber zurückweisend eingestellt. Mehrsprachigkeit wird von diesen Lehrkräften nicht als Aufgabe angesehen und nicht als Thema im Unterricht berücksichtigt. Diskussion: Trotz der sozialen Erwünschtheit bei diesem Thema und des Rahmens einer Interviewsituation, ist es gelungen, die ganze Bandbreite der Überzeugungen von Lehrkräften zu erfassen. Neben der Vielschichtigkeit zeigen die Ergebnisse der X-Studie auch die Widersprüchlichkeiten der Überzeugungen der Lehrkräfte zum Umgang mit Mehrsprachigkeit. Sprachliche Diskriminierung im Unterricht – Ergebnisse einer linguizismuskritischen Sekundäranalyse Kontext der Studie sind die empirisch erwiesenen, stabilen Bildungsungleichheiten und -gerechtigkeiten in Grundschulen in Deutschland, wie sie bereits vor zehn Jahren insbesondere an den Übergängen zu und von der Grundschule empirisch sichtbar wurden (Gomolla, 2013; Gresch, 2016; Ditton, 2016; Cloos, 2017; Schräpler & Weishaupt, 2019). Wenn Sprache als Differenzmittel in der Zuordnung von Personen zu gesellschaftlichen, meist untergeordneten Gruppen verwendet wird und dies zu Abgrenzungs- und Ausgrenzungspraktiken führt, bezeichnet Dirim (2010) dies als Linguizismus. Empirische Befunde zu sprachbezogenen Bildungsungleichheiten zeigen bspw., dass es einen Zusammenhang bei Kindern mit Migrationserfahrungen zwischen den Kompetenzen der Zweitsprache Deutsch mit Blick auf (1) Rückstellungen vor der Einschulung und hinsichtlich (2) Schulleistungen gibt (Kemper, 2015). Zwar ist eine Entwicklung des theoretischen Verständnisses von sprachbezogenen Ungerechtigkeiten in der Grundschule zu beobachten, jedoch sind Fragen zur Konstruktion der belegten Diskriminierungsphänomene nach wie vor offen. Theoretisch liegt der Studie ein migrationspädagogisches Bildungsverständnis zugrunde, mit dem differenz-, macht- und rassismuskritische Perspektiven auf Bildungsinstitutionen sowie deren Akteur:innen und entsprechende Bildungspraktiken gerichtet werden (Mecheril, 2004). Dabei sollen insbesondere der Zusammenhang von Kultur, Macht und Sprache sowie systematische Marginalisierungsprozesse im Kontext von Migration aufgedeckt und reflektiert werden (Auernheimer, 2013; Emmerich & Hormel, 2015). Im Unterricht zeigt sich dies häufig durch Abgrenzungspraktiken und binäre Trennung vom Eigenen und vermeintlich Fremden – nach Spivak (1985) mit ‚Othering‘ bezeichnet. Solche Abgrenzungspraktiken sind häufig mit herabmindernden Zuschreibungen und damit erwarteten, identitätsstiftenden Wirkungen hinsichtlich der Illusion von innerer ‚Homogenität‘ und Ordnung verbunden (Foroutan & İkiz, 2016; Akbas & Polat, 2020, S. 152). Erkenntnisinteresse und Methode: Empirische Grundlage stellt die DFG-geförderte X-Studie dar, in der Interviews mit Grundschullehrkräften (N=43) in sechs Bundesländern erhoben wurden, um die berufsbezogenen Überzeugungen von Grundschullehrkräften zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht zu analysieren. In der vorliegenden Teilstudie werden diese Interviews unter linguizismuskritischer Perspektive anhand der qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2016) mit deduktiv-induktiver Kategorienbildung analysiert. Das Ziel der Studie ist es, die Konstruktion von möglichen, linguizismusbezogenen Benachteiligungen in der alltäglichen Bildungspraxis zu analysieren, um folgende Forschungsfragen zu beantwortet: (1) Welche Alltagspraktiken von Grundschullehrkräften sind hinsichtlich des Umgangs mit Mehrsprachigkeit im Unterricht aus linguizismuskritischer Sicht zu beschreiben? (2) Welche Begründungen und Legitimierungen werden von Lehrkräften geäußert, um hypothetisches linguizistisches Verhalten zu rechtfertigen? Ergebnisse und Diskussion: Die Auswertung ergab acht zentrale Themen, die aus linguizismuskritischer Perspektive in den Äußerungen der Lehrkräfte eine besondere Bedeutung einnehmen. Diese umfassen die Beschreibungen von Hierarchisierungen zwischen Sprachen. So äußern die Lehrkräfte bspw. Auf- und Abwertungen zwischen verschiedenen Sprachen, wobei Deutsch und Sprachen wie Englisch oder Französisch im Hinblick auf die Vorbereitung auf zukünftige Bildungswege als überlegen und prestigeträchtiges angesehen werden („wenn Kinder aufs Gymnasium wechseln möchten / (.) ist nun mal ähm Englisch Minimum. Deutsch dann ja schon dazu. Und dann natürlich noch mindestens Französisch, (.) Spanisch oder halt, welche Sprache dann noch anerkannt ist“; I1, Pos. 409-411). Als auch zentral zeigten sich Sprachgebote und Sprachverbote in Schule und Unterricht. Auch die Sonderstellung der Kinder aufgrund der Familiensprachen sowie die Distanzierung von der Aufgabe mehrsprachige Kinder zu unterrichten sind Themen im empirischen Material. Zudem beschäftigen die Lehrkräfte Probleme, die besonders mehrsprachigen Schüler:innen zugeschrieben werden – insbesondere bezogen auf Sprachnutzung und Lernausgangslagen – sowie sprachbezogene Schwierigkeiten im familiären Kontext. Ferner reflektieren sie sprachbezogene Diskriminierung und benennen ihre Vorstellungen von Normalität und Alterität in Bezug auf Mehrsprachigkeit im Unterricht. Die Ergebnisse können dazu beitragen, einen Anstoß für Veränderungsprozesse im Bildungssystem im Sinne der demokratischen Teilhabegerechtigkeit zu geben. Das bessere Verstehen der Konstruktion von Linguizismus kann dazu beitragen, in der Ausbildung von Grundschullehrkräften den Fokus darauf zu richten, Lehrkräftekompetenzen im Umgang mit sprachlicher Vielfalt auszubilden, indem Lehrkräfte für die verschiedenen Erscheinungsformen von Differenz und Diskriminierung sensibilisiert werden (Winter, 2022). |
13:10 - 14:50 | 5-08: Ist es so, wie es scheint? Indirekte Methoden zur Erfassung impliziter Stereotype und Vorurteile Ort: S18 |
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Symposium
Ist es so, wie es scheint? Indirekte Methoden zur Erfassung impliziter Stereotype und Vorurteile Einstellungen sind in unserem Alltag allgegenwärtig und spielen eine wichtige Rolle bei der Art und Weise, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und auf sie reagieren (Eagly & Chaiken, 1993). Einstellungen bestehen aus verschiedenen Komponenten (Eagly & Chaiken, 1993): Die kognitive Komponente wird als Stereotype bezeichnet und beschreibt Kognitionen zu Eigenschaften und Verhalten von Mitgliedern einer sozialen Gruppe (Hilton & von Hippel, 1996). Vorurteile als affektive Komponente beschreiben Gefühle gegenüber einem Einstellungsobjekt (Eagly & Chaiken, 1993). Im Schulkontext spielen Einstellungen ebenfalls eine wichtige Rolle: Studien zeigen, dass Schüler*innen bessere Chancen haben, wenn die Lehrkraft positiver eingestellt ist (van den Bergh et al., 2010). Bestimmte Gruppen von Schüler*innen sind dabei besonders von Stereotypen und Vorurteilen betroffen, zum Beispiel diejenigen mit einem Förderbedarf und/oder Migrationshintergrund (z.B.: Glock et al., 2020; Pit-ten Cate & Krischler, 2020). Die meiste Forschung hierzu konzentriert sich auf direkte Messmethoden, wobei Stereotype und Vorurteile bewusst abgerufen und in Worte gefasst werden, und widmet weniger Aufmerksamkeit impliziten Stereotypen und Vorurteilen, die tendenziell unbewusster Natur sind (Glock et al., 2020). Allerdings sind diese, besonders bei sensiblen Themen, anfällig für soziale Erwünschtheit und können implizite, das heißt unbewusste, automatische Assoziationen nicht erfassen (Gawronski & De Houwer, 2014). Implizite Einstellungen gelten jedoch als relevant, wenn es um Verhalten geht (Fazio, 1995). Diese bestimmen das Verhalten insbesondere in stressreichen Situationen, in denen wenig Zeit, wenige kognitive Ressourcen und wenig Motivation vorhanden ist. Lehrkräfte nehmen ihre Arbeit als sehr stressreich wahr (Skaalvik & Skaalvik, 2015), weshalb die impliziten Einstellungen im Schulkontext eine hohe Relevanz haben. Wenngleich indirekte Messmethoden mittlerweile viel Beachtung finden, werden diese dennoch weniger häufig eingesetzt als direkte Methoden, die ökonomischer sind. Gerade weil Studien zeigen, dass implizite und explizite Einstellungen bei sensiblen Themen in der Regel nicht übereinstimmen (Nosek, 2007), sollten indirekte Methoden nicht vernachlässigt werden. Daher beschäftigt sich dieses Symposium mit Möglichkeiten, implizite Stereotype und Vorurteile von (angehenden) Lehrkräften zu untersuchen. Es werden bewährte, aber auch neue Methoden vorgestellt. Der erste Beitrag von Schell und Kolleginnen untersucht implizite Stereotype von Lehramtsstudierenden gegenüber verschiedenen Gruppen von Schüler*innen mit Förderbedarf mittels eines Lexical Decision Task. Dieses Verfahren ist durchaus bewährt, fand jedoch im Kontext der Erfassung von Stereotypen gegenüber Schüler*innengruppen bisher kaum Beachtung. Lehramtsstudierende zeigten sowohl implizite als auch explizite Stereotype gegenüber Schüler*innen mit Förderbedarf. Im zweiten Beitrag verwenden Stang-Rabrig und Kolleginnen den Impliziten Assoziationstest (IAT), um implizite Einstellungen von Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund gegenüber Schüler*innen mit türkischem Migrationshintergrund zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl Kinder als auch Jugendliche im Durchschnitt negative implizite Einstellungen haben, wobei Geschlechtsunterschiede bei den Kindern beobachtet wurden. Während die beiden ersten Beiträge implizite Verfahren verwenden, die auf der Messung von Reaktionszeiten beruhen, wird im dritten Beitrag von Reichardt und Schmid mit einer Misattributionsaufgabe ein alternatives Maß verwendet, um Inkompetenz-Stereotype von Lehramtsstudierenden gegenüber Schüler*innenn mit türkischem und osteuropäischem Migrationshintergrund zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen implizite Stereotypen, wobei die Art der Stereotypen je nach Herkunftsregion variiert. Der letzte Beitrag von Bonefeld und Beissert beschäftigt sich ebenfalls mit einem relativ neuen Verfahren: Er untersucht, ob das Linguistic Category Model auf die deutsche Sprache anwendbar ist, um implizite Stereotypen von Lehrkräften zu messen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Anwendung auf die deutsche Sprache Schwierigkeiten aufwirft, da die Beschreibungen von Lehrkräften tendenziell in konkreten Kategorien verbleiben und keine klaren sprachlichen Unterschiede aufweisen. Insgesamt verdeutlichen alle vier Beiträge die Relevanz von impliziten Stereotypen und Vorurteilen im Bildungskontexten. Insbesondere die Einblicke in die verschiedenen indirekten Methoden können Chancen aufzeigen, wie innovative Methoden aus der Einstellungsforschung zu einem besseren Verständnis bezüglich der Rolle von Stereotypen und Vorurteilen bei der Bildungsbenachteiligung führen können. Diskutiert werden die Beiträge von Dr. Ineke Pit-ten Cate. Beiträge des Symposiums What’s in a label? Indirekte Erfassung von Stereotypen gegenüber Kindern mit Förderbedarf mittels Lexical Decision Task Durch die Konvention der UN zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen (United Nations, 2006) hat das Thema Inklusion in den letzten Jahren in Schulen weltweit an Bedeutung gewonnen. Für die erfolgreiche Umsetzung von Inklusion spielen Lehrkräfte und deren Einstellungen eine entscheidende Rolle (Markova et al., 2016). Dazu gehören Stereotype als die kognitive Komponente. Stereotype sind Überzeugungen über Eigenschaften und Verhaltensweisen von Mitgliedern einer sozialen Gruppe (Hilton & von Hippel, 1996) und können sich auf Verhalten, Urteile und Entscheidungen und damit auf die Entwicklung von Schüler*innen auswirken - unabhängig von deren individuellen Voraussetzungen (Murdock-Perriera & Sedlacek, 2018). Bezüglich der Inklusion unterscheiden sich jedoch die Stereotype je nach Förderbedarf der Schüler*innen: Schüler*innen mit Down-Syndrom werden stereotyp beispielsweise als warm, aber nicht sehr kompetent wahrgenommen (Fiske, 2012). Autistische Schüler*innen hingegen werden oft mit Savant-Fähigkeiten assoziiert (Bennett et al., 2018). Schüler*innen mit Lese-Rechtschreibstörung werden mit deutlich geringerer Kompetenz und Leistungsfähigkeit assoziiert, als es tatsächlich der Fall ist (Pit-ten Cate & Krischler, 2020). Ein Großteil dieser Forschung beschäftigt sich jedoch mit expliziten Stereotypen, die bewusst abgerufen und verbalisiert werden können und weniger mit impliziten Stereotypen, die eher unbewusst sind (Glock et al., 2020). Stereotype explizit zu erfassen kann allerdings, besonders angesichts der Sensibilität des Themas (Avramidis & Norwich, 2002), anfällig für soziale Erwünschtheit sein (Lüke & Grosche, 2018b, 2018a, zitiert nach Lautenbach & Antoniewicz, 2018). Dies zeigt sich auch aufgrund der niedrigen Korrelationen zwischen impliziten und expliziten Einstellungen (Nosek et al., 2007). Da jedoch speziell implizite Einstellungen handlungsleitend sein können (Fazio, 1995), ist es besonders relevant, auch implizite Stereotype zu erheben. Eine Möglichkeit dies zu tun, stellt der Lexical Decision Task (Meyer & Schvaneveldt, 1971) dar. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Aktivierung eines Konzepts damit assoziierte Begriffe leichter zugänglich macht (Macrae et al., 1997). Fragestellung Daraus ableitend gehen wir der Frage nach, welche impliziten und expliziten Stereotype Lehramtsstudierende gegenüber autistischen Kindern, Kindern mit Down-Syndrom und Kindern mit Lese-Rechtschreibstörung haben. Methode Untersucht wurden N = 76 Lehramtsstudierende (67.1% weiblich, MAlter= 22.75, SD = 3.29). Während der Lexical Decision Task mussten sie per Tastendruck entscheiden, ob es sich bei einem präsentierten Wort um ein real existierendes Wort oder ein Nichtwort handelte. Bei den Wörtern handelte es sich um stereotype (z.B. „hochbegabt“ bei Autismus) versus nicht-stereotype Adjektive (z.B. „spiegelverkehrt“), welche in einer vorherigen Studie validiert wurden (Schell et al., under review). Vor jedem Adjektiv wurde der Förderbedarf als Prime gezeigt. Jede Versuchsperson durchlief in randomisierter Reihenfolge drei Lexical Decision Tasks: jeweils mit Autismus, Down-Syndrom und Lese-Rechtschreibstörung als Prime. Die Lehramtsstudierenden beantworteten zudem einen Fragebogen auf Basis von Fiske et al. (2002) zu expliziten Stereotypen mit einer Likert-Skala von 1 „gar nicht zutreffend“ bis 6 „sehr zutreffend“ sowie demographische Fragen. Ergebnisse Mittels t-Tests wurden die Reaktionszeiten für stereotypen und nicht-stereotypen Adjektive für jeden Förderbedarf miteinander verglichen: Für alle drei zeigte sich, dass stereotype Adjektive schneller als Wort erkannt wurden, tAutismus(148.56) = -3.27, p = 0.001; d = .53, tDown-Syndrom(127.23) = -3.57, p < .001, d = .58, tLese-Rechtschreibstörung(122.79) = -4.27, p < .001, d = .69. Bezogen auf die expliziten Stereotype zeigte sich, dass alle stereotypen Adjektive als eher zutreffend eingestuft wurden. t-Tests zeigten, dass die Mittelwerte der stereotypen Adjektive fast alle signifikant höher als der Mittelwert der Skala waren. Nur bezüglich Schüler*innen mit Lese-Rechtschreibstörung unterschieden sich die Einschätzungen der Adjektive „verhaltensauffällig“ und „introvertiert“ nicht signifikant vom Mittelwert der Skala. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass Lehramtsstudierende stereotype Eigenschaften mit den drei Schüler*innengruppen assoziieren. Überraschenderweise zeigen sich implizit und explizit ähnliche Muster, welche Adjektive als zutreffend angesehen werden. Dies ist insbesondere mit Blick auf Einstellungs-Verhaltens-Relationen interessant und sollte in zukünftigen Bestrebungen für eine erfolgreiche Umsetzung von Inklusion berücksichtigt werden. Implizite Einstellungen zu Menschen mit Migrationshintergrund: Kinder und Jugendliche im Vergleich Weltweite Migrationsbewegungen führen zu einer kulturell-ethnischen Heterogenität in Schulklassen (International Organization for Migration, 2021). Lernende mit einem türkischen Migrationshintergrund stellen dabei die größte Herkunftsgruppe nichtdeutschstämmiger Kinder und Jugendlicher dar (Statistisches Bundesamt, 2022). Gegenüber Lernenden mit Migrationshintergrund bestehen beispielsweise bei signifikanten Sozialisationsagent*innen wie Lehrkräften jedoch negative leistungsbezogene Stereotype (z.B. Costa et al., 2022; Glock & Klapproth, 2017), wobei Stereotype die kognitive Komponente von Einstellungen sind. Einstellungen sind im Gedächtnis vorhandene Assoziationen zwischen einem Einstellungsobjekt und der Bewertung des Objektes und können anhand ihrer Valenz (positiv/negativ), Intensität (stark/schwach) und Art (implizit [unbewusst]/explizit [bewusst]; z.B. Maio et al., 2019) differenziert werden. Das Vorliegen negativer Einstellungen kann per Ingroup/Outgroup-Favorisierung (Tajfel, 1982) erklärt werden: Der Eigengruppe gegenüber bestehen eher positive, der Fremdgruppe, der man nicht angehört, gegenüber hingegen eher negative Einstellungen (z.B. Nosek et al., 2002; Stang et al., 2021). Implizite Einstellungen zum Beispiel bezüglich Geschlecht oder ethnischen Minderheiten entwickeln sich bereits ab einem Alter von fünf Jahren (z.B. Bigler & Liben, 2006). Relevante Altersphasen stellen Kindheit und Jugend dar, in denen zudem verschiedene, wichtige Entwicklungsaufgaben bewältigt werden müssen (Havighurst, 1953). Diverse Determinanten können die Ausprägung von Einstellungen erklären, wobei oftmals kontextuelle Determinanten (z.B. Kontakthäufigkeit) betrachtet wurden (z.B. Bowyer, 2009). Theoretische Modelle und empirische Befunde legen jedoch nahe, dass personale Determinanten ebenfalls relevant sind (z.B. Social Identity Theory; Tajfel & Turner, 1986; König et al., 2022). Vor diesem Hintergrund wurden folgende Forschungsfragen untersucht: 1) Liegen in den zwei zentralen Altersphasen (Kindheit, Jugend) negative implizite Einstellungen gegenüber Menschen mit türkischem Migrationshintergrund vor? 2) Unterscheiden sich die zwei Altersgruppen in der Ausprägung ihrer negativen impliziten Einstellungen? 3) Wie hängen verschiedene personale Faktoren (Geschlecht, Identifikation mit Deutschland, wahrgenommene Diskriminierung gegenüber der Fremdgruppe) bei Kindern und Jugendlichen mit negativen impliziten Einstellungen zusammen? Analysegrundlage bildeten zwei Datensätze, an denen 196 Kinder (41.3% weiblich, MAlter= 9.86, SD = 0.61, vierte Klassenstufe) beziehungsweise 142 Jugendliche (58.5% weiblich, MAlter= 15.92, SD = 1.11, ab achter Klassenstufe) ohne Migrationshintergrund teilnahmen. Zur Erfassung impliziter Einstellungen wurde in beiden Kohorten derselbe implizite Assoziationstest (IAT) mit den Kategorien „Deutsch“ und „Türkisch“ sowie leistungsbezogenen positiven und negativen Adjektiven eingesetzt (Greenwald et al., 1998; Nosek et al., 2007). Die Studienteilnehmer*innen beantworteten zudem Fragen zur Soziodemografie und den interessierenden Variablen. Die Items wurden auf vier- beziehungsweise fünfstufigen Likert-Skalen gemessen (1 = stimme überhaupt nicht zu bis 4 bzw. 5 = stimme voll und ganz zu). Die Reliabilitäten lagen in einem zufriedenstellenden bis guten Bereich (.76 ≤ α ≤ .90). Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden Einstichproben-t-Tests gegen +0.15, als Grenzwert für das Vorliegen negativer impliziter Einstellungen, eine Varianzanalyse in SPSS 28 sowie ein Mehrgruppenvergleich in einem latenten Strukturgleichungsmodell in Mplus 8.1 (Muthén & Muthén, 1998–2017) gerechnet. Der Modellfit war zufriedenstellend (χ²= 100.65, df= 72, p = .015, CFI = .97, RMSEA = .05). T-Tests verdeutlichten, dass bei Kindern (M = 0.29, SD = 0.35, t(195) = 5.51, p = .001, d = .35) und Jugendlichen (M = 0.23, SD = 0.35 , t(141) = 2.65, p = .004, d = .35) ohne Migrationshintergrund im Mittel negative implizite Einstellungen gegenüber Menschen mit türkischem Migrationshintergrund vorlagen, da die Mittelwerte signifikant vom Grenzwert abwichen. Die Varianzanalyse ergab, dass sich Kinder und Jugendliche in ihren negativen impliziten Einstellungen im Mittel nicht statistisch signifikant unterschieden (F(1,336) = 2.41, p = .121, 1-β = .34). Der Mehrgruppenvergleich zeigte keine Zusammenhänge für Identifikation mit Deutschland oder Diskriminierungswahrnehmung, aber einen signifikanten Zusammenhang mit dem Geschlecht für die Gruppe der Grundschulkinder (β = .15, SE = .07, p = .030): Das Ausmaß der negativen impliziten Einstellungen war bei Mädchen höher als bei Jungen ausgeprägt. Die Ergebnisse werden inhaltlich und methodisch diskutiert sowie Implikationen für die Forschung abgeleitet. Implizite und explizite Kompetenz-Stereotype über Schüler:innen mit einem osteuropäischen vs. türkisch/arabischen Migrationshintergrund Soziale Kategorisierung und damit zusammenhängende Prozesse wie Eigengruppen-Präferenz und Stereotypisierung sind grundlegende Phänomene sozialer Kognition. Aktuelle Forschung zeigt, dass auch Lehrkräfte in dieser Hinsicht „ganz normale Menschen“ sind. Beispielsweise wurden in einer Reihe von Studien negative implizite Einstellungen gegenüber Schüler:innen mit Migrationshintergrund bei Lehrkräften und Lehramtsstudierenden beobachtet (Pit-ten Cate & Glock, 2019). Gleichzeitig berichten Lehrkräfte in direkten Maßen (Fragebögen) überwiegend positive (explizite) Einstellungen gegenüber ethnischen Minderheiten. Die Dissoziation impliziter und expliziter Einstellungen ist interessant, da aufgrund von Zwei-Prozess-Theorien und empirischen Befunden (Gawronski & Bodenhausen, 2011; Greenwald & Lai, 2020) zu erwarten ist, dass implizite Einstellungen unter bestimmten Bedingungen (z.B. Zeitdruck, eingeschränkte kognitive Ressourcen durch Multi-Tasking) einen stärkeren Einfluss auf Urteilen und Verhalten nehmen als explizite Einstellungen. In Bezug auf Schüler:innen mit Migrationshintergrund wurden bislang vor allem implizite Einstellungen untersucht. Zu impliziten Stereotypen gibt es nur wenig Befunde (z.B. (Glock & Böhmer, 2018). Jedoch könnten implizite Stereotype, insbesondere Stereotype über Kompetenz, gerade in Bildungskontexten besonders interessant sein, da sie einen spezifischeren Bezug zu bildungsrelevanten Variablen haben. Ziel der aktuellen Studie war es daher, erste Evidenz zu impliziten Kompetenz-Stereotypen über Schüler:innen mit Migrationshintergrund zu sammeln. Zudem differenzierten wir nach Herkunftsregion. Wir wählten Osteuropa und Türkei, da dies die beiden größten Einwanderungsgruppen in Deutschland sind. In bisherigen Studien wurde häufig die Gruppe der Schüler:innen mit Migrationshintergrund nicht weiter differenziert, oder nur eine spezifische Gruppe untersucht (z.B. türkischer Migrationshintergrund). Aus aktueller Forschung zum Stereotype Content Model (Fiske, 2018) wissen wir jedoch, dass verschiedene Herkunftsregionen mit unterschiedlicher Kompetenz in Verbindung gebracht werden (Froehlich & Schulte, 2019). Ein weiteres Ziel unserer Studie war, ein alternatives indirektes Maß für implizite Stereotype (Misattributionsaufgabe) einzusetzen, da dieses einige Vorteile gegenüber den bisher häufig verwendeten reaktionszeitbasierten Maßen aufweist. Zudem verwendeten wir zwei verschiedene direkte Maße (Vornamen-basierte vs. Gruppen-basierte Ratings), um das explizite Kompetenz-Stereotyp zu erfassen. Da das Stereotype Content Modell neben Kompetenz auch Wärme als zweite fundamentale Dimension von stereotypen Eigenschaften ansieht, haben wir diese zusätzlich im Gruppen-basierten direkten Maß erfasst. Daten von N = 153 Lehramtsstudierenden zeigen eine Reihe von interessanten Ergebnissen: Im indirekten Maß (Misattributionsaufgabe) wurden beide Einwanderungsgruppen mit geringerer Kompetenz assoziiert als deutschstämmige Schüler:innen, wobei türkischstämmige Schüler:innen die geringsten Kompetenzwerte aufwiesen. Überraschenderweise zeigte sich dasselbe Ergebnismuster auch im direkten Vornamen-basierten Maß, sogar mit größeren Effektstärken. Individuelle Unterschiede in der Motivation zur Kontrolle von Vorurteilen korrelierten zudem nicht mit den Stereotypindizes aus beiden Maßen. Insgesamt deutet dies darauf hin, dass das direkte Vornamen-basierte Maß ähnlich wie das indirekte Maß implizite Stereotype abbildet. Ein anderes Ergebnismuster zeigte sich im direkten Gruppen-basierten Maß: Schüler:innen mit türkischem Migrationshintergrund wurde weniger Kompetenz, aber mehr Wärme zugeschrieben als deutschstämmigen Schüler:innen. Schüler:innen mit osteuropäischem Migrationshintergrund wurde hingegen ähnlich hohe Kompetenz wie deutschstämmigen Schüler:innen zugeschrieben, aber weniger Wärme. Individuelle Unterschiede in der Motivation zur Kontrolle von Vorurteilen korrelierten zudem mit Kompetenz-Stereotypindizes aus diesem Maß. Zusammengefasst zeigt unsere Studie, dass Lehramtsstudierende starke implizite Inkompetenz-Stereotype gegenüber Schüler:innen mit türkischem und osteuropäischem Migrationshintergrund haben. Die Ergebnisse legen zudem nahe, dass es bei der Erfassung von Stereotypen wichtig ist, Herkunftsregionen und Eigenschaftsdimensionen (Kompetenz vs. Wärme) zu differenzieren. Weiterhin zeigen die Befunde, dass implizite Kompetenz-Stereotype auch mit direkten Vornamen-basierten Maßen aufgedeckt werden können. Dies eröffnet neue, effiziente Möglichkeiten zur Erfassung impliziter Stereotype. Chancen und Grenzen der Verwendung des linguistischen Kategorienmodells als Messinstrument für implizite Stereotypen von Lehrkräften in Deutschland Stereotype und Vorurteile gegenüber Personen mit Migrationshintergrund sind ein wichtiges Thema in Bildungskontexten. Die vorliegenden Arbeit konzentriert sich auf die Frage, wie sich solche Stereotypen in Sprache manifestieren, und untersucht, ob das Linguistic Category Model (LCM) (Semin & Fiedler, 1988) verwendet werden kann, um die (impliziten) Stereotypen von deutschsprachigen Lehrkräften zu messen. Stereotype können in Sprache auf viele verschiedene Arten kommuniziert werden. Sie können nicht nur auf offensichtliche Weisen ausgedrückt werden, wie beispielsweise durch offenkundige Aussagen, sondern auch unbewusst, auf subtilere Weise. Zum Beispiel kann die Abstraktion der genutzten Sprache, die Einstellungen und Überzeugungen von Sprecher*innen widerspiegeln (u.a. Linguistic Intergroup Bias, LIB). Semin und Fiedler (1988, 1991) beschreiben solche Unterschiede in der linguistischen Abstraktion in ihrem linguistischen Kategorienmodell (Linguistic Category Model, LCM). Sie konnten in vielfältigen Forschungsarbeiten zeigen, dass die sprachliche Abstraktion je nach den Stereotypen der Sprecher*innen hinsichtlich des Gesprächsinhalts variiert. In diesem Modell definieren sie verschiedene Abstraktionsstufen, die auf Nutzung unterschiedlicher Wortarten, in der Beschreibung von beobachtetem Verhalten, basieren (siehe Semin und Fiedler, 1991; Maas, Cecarelli, & Rudin, 1996 für weitere Details). Das LCM wurde umfassend getestet und ist in der Forschung allgemein anerkannt (Maass et al., 1996; Semin & Fiedler, 1991). Während die Anwendbarkeit der LCM englischsprachigen Ländern gut belegt ist, mangelt es an Studien zu anderen Sprachen. Auf Grundlage von zwei Studien (Studie 1: N = 124 Lehramtsstudierende, 76,6% weiblich; Studie 2: N = 104 Lehramtsstudierende, 67,6% weiblich) wurde in der vorliegenden Arbeit daher untersucht, ob das LCM auch auf die deutsche Sprache anwendbar ist und sich die von Semin & Fiedler erarbeiteten Kategorien auf die deutsche Sprache übertragen lassen. Dazu sahen die Versuchspersonen Bilder von Schüler*innen-Interaktionen, die sie beschreiben sollten. Studie 1 arbeitete dazu mit einem freien Antwortformat während Studie 2 ein geschlossenes Format nutzte, in dem die Antwortkategorien, sich an den von Semin und Fiedler (1988) vorgeschlagenen Abstraktionsebenen orientierten. In beiden Studien umfasste das Kategoriensystem entsprechend der vorangegangenen Studien fünf Kategorien: (1) konkret (deskriptives Handlungsverb, „Max schlägt Murat.“), (2) eher konkret (Interpretatives Handlungsverb; „Max verletzt Murat.“, (3) eher abstrakt (Zustandsverb, „Max hasst Murat.“) (4) abstrakt (Adjektiv, „Max ist aggressiv.“) und (5) sehr abstrakt (Substantiv, „Max ist ein Rassist.“). In Studie 1 kodierten zwei unabhängige Rater*innen anhand eines auf Grundlage des Kategoriensystems erstellen Kodierschemas, die niedergeschriebenen Beschreibungen der Interaktion. Die Antworten waren vorwiegend am konkreten Ende der Kategorien angesiedelt (M = 1,59, SD = 0,73): 87,7% aller Antworten wurden in den Kategorien 1 und 2 kodiert, 11,9% in Kategorie 3, 0,8% in Kategorie 4 und keine in Kategorie 5. In Studie 2 wurde den Versuchspersonen ein Bild präsentiert sowie fünf Bildbeschreibungen (orientiert an den Kategorien von Semin & Fiedler) aus denen sie die für sie passendste auswählen sollten. Die meisten Antworten der Teilnehmer*innen waren ebenso am konkreten Ende der Kategorien angesiedelt (M=1,28 - 1,47; SD=0,48 -0,98). Insgesamt wählten die meisten Teilnehmer*innen Beschreibungen aus Kategorie 1 (von 58,8% bis 75%), gefolgt von Kategorie 2 (von 16,2 % bis 38,2 %). Der Rest der Antworten verteilte sich auf die Kategorien 3 bis 5 (3: 0-1,5%, 4: 1,5-7,4%, 5: 0%-2,9%). Die Analyse beider Studien zeigte Schwierigkeiten bei der Anwendung des LCM auf die deutsche Sprache auf. In beiden Studien zeigte sich eine geringe Varianz in der Nutzung der an Wortkategorien festgemachten Abstraktionslevel in dem Sinne, dass die Aussagen, der angehenden Lehrkräfte vorwiegend in die konkreten Kategorien einzuordnen waren. Gleichermaßen wurden allerdings sprachliche Unterschiede in den Bildbeschreibungen offensichtlich, die sich allerdings nicht in der Nutzung unterschiedlicher Wortarten äußern. Wir diskutieren das fehlende Auftreten differentieller Nutzung von Wortarten als Anker für Abstraktionslevel in der deutschen Sprache und diskutieren daraus resultierende Chancen und Grenzen der Anwendung des Kategoriensystems auf andere Sprachen. |
15:20 - 17:00 | 6-07: World Café: Research-Practice-Partnerships ko-konstruktiv gestal-ten Ort: S18 |
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Offenes Beitragsformat
World Café: Research-Practice-Partnerships ko-konstruktiv gestal-ten DIPF | Leibnizinstitut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland Die themenbezogene Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Schulen hat sich in den vergangenen Jahren als eine erfolgreiche Methode des Wissenschafts-Praxis-Transfers herausgestellt. In langfristig angelegten Research-Practice-Partnerships (RPPs) arbeiten Forschende und Praktiker:innen ko-konstruktiv daran, Lösungen zu konkreten Praxisproblemen und Ansätze zur Schulentwicklung gemeinschaftlich zu erproben (Coburn, Penuel & Geil, 2013). RPPs dienen dazu, die Kluft zwischen Forschung und Praxis in der Bildung zu überbrücken, evidenzbasierte Entscheidungsfindungen zu fördern und somit positive Veränderungen in Schulen und Bildungseinrichtungen zu unterstützen. Neben Schulen selbst werden dabei auch Strukturebenen des Schulsystems in den Veränderungsprozess einbezogen, so dass RPPs auch geeignet sind, die Flächenwirkung von Maßnahmen zu fördern (Coburn, Penuel & Farrell, 2021; Donovan, 2013). Nach Coburn und Penuel (2016) wird der Ansatz durch die folgenden Kriterien charakterisiert:
Eine wesentliche Herausforderung dabei bilden neben der Herstellung einer gemeinsamen Kommunikationsebene zwischen Wissenschaft und Praxis auch unterschiedliche Normen, Rollenerwartungen und Verantwortlichkeiten der Akteur*innen (Coburn & Penuel, 2016). So kann es aufgrund unterschiedlicher Erwartungen hinsichtlich von Normen, Rollen und Verantwortlichkeiten zu Konflikten in der Zusammenarbeit zwischen Praktiker:innen und Forschenden kommen, die die Zusammenarbeit wesentlich erschweren (Rosen, 2010). Weitere Herausforderungen ergeben sich aus den Organisationsstrukturen der Schulverwaltung und der Schule: So führen beispielsweise personelle Veränderungen, wie sie im Wissenschaftsbetrieb häufig vorkommen, zu einer Neuetablierung der Beziehung, zudem existieren mitunter unterschiedliche Interessengruppen, deren Positionen die Dynamik der RPPs beeinflussen (Coburn & Penuel, 2016; Rosenquist et al., 2015). Wesentlich ist es daher, innerhalb von RPPs eine gemeinsame Identität bzw. geteilte Vorstellungen von Sinn und Bedeutung der gemeinsamen Arbeit zu erarbeiten und in die Beziehungsarbeit zu investieren. Obwohl Unterschiedlichkeit in den Perspektiven der Teammitglieder vorteilhaft ist, sollte dabei eine ausreichende Überschneidung der Perspektiven existieren, um effizient an gemeinsamen Themen arbeiten zu können (Coburn & Stein, 2010). Darüber hinaus ist auch eine wissensbasierte, partizipativ und diskursiv angelegte Evidenzgenese von hoher Bedeutung für den Erfolg von RPPs. Hierfür sind u.a. die Integration unterschiedlicher Logiken der Akteursgruppen eine wesentliche Voraussetzung, die beispielsweise gemeinsame Kommunikationssettings und spezifische Diskussion- und Aushandlungsprozesse erfordern (Manitius & Bremm, 2021). Bislang liegen nur aus wenigen Projekten Erfahrungen und Erkenntnisse zur gelingenden Gestaltung von RPPs vor, so dass unklar bleibt, wie die entsprechenden Prozesse tragfähig gestaltet werden können. Die Daten, die über die Prozesse der Zusammenarbeit existieren, sind zudem meist von Wissenschaftler:innen während des Prozesses angefertigte Notizen und deshalb stark durch die Perspektive der Forschenden geprägt. Das geplante Format zielt daher darauf ab, die Teilnehmenden im Rahmen eines World Cafés dazu anzuregen, gemeinsam Ideen und Impulse für die Gestaltung tragfähiger Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis im Rahmen von Forschungsprojekten zu generieren. Hierbei soll im Sinne eines Austausches zu next practices auf bereits vorliegende Erfahrungen in der ko-konstruktiven Gestaltung von Forschungsvorhaben zurückgegriffen werden. Insbesondere für Nachwuchswissenschaftler:innen kann das Format somit dazu beitragen, die Besonderheiten gelingender Kooperationen mit der Bildungspraxis in zukünftigen Forschungsprojekten adäquat zu berücksichtigen. Inhalte und Ablauf des geplanten Formats Im Rahmen eines World Cafés sollen die Teilnehmenden Gelegenheit erhalten, sich zu Aspekten gelingender RPPs auszutauschen und Ideen zur deren Gestaltung zu sammeln und zu strukturieren. Das Format des World Cafés eignet sich besonders, um große Gruppen große Gruppen miteinander ins Gespräch zu bringen und das Wissen und die Erfahrung der Mitglieder produktiv zu nutzen (z.B. Fouché & Light, 2011). Durch wiederholte Diskussion von Impulsfragen an mehreren Café-Tischen erzielen die Teilnehmenden einen Erkenntnisgewinn aus einer breiten Palette von Wissensressourcen, Meinungen und Erkenntnissen. Das Format strukturiert und befördert somit die Ideenfindung und erzielt innerhalb kürzester Zeit verwertbare und konzentrierte Ergebnisse. Das World-Café starte mit einem Überblick über Ablauf und Ziele des Formats (vgl. Tabelle 1). Von besonderer Bedeutung ist die Erläuterung der verschiedenen Rollen während des Formats: Die Organisator*innen bzw. Antragsteller*innen veranstalten das Café, übernehmen die Vorbereitung, die Einweisung in den Ablauf sowie die Nachbereitung des Cafés. Die Gastgeber*innen betreuen die wechselnden Teilnehmenden an einem konkreten Tisch durch Verknüpfung der Erkenntnisse aus den verschiedenen Diskussionsrunden. Diese Gastgeber*innen werden zum Auftakt des Cafés unter den Teilnehmenden auf freiwilliger Basis gesucht. Die Teilnehmenden selbst wechseln nach jeder Runde den Tisch und bringen eigene Ideen, Impulse und Erfahrungen ein. Tabelle 1. Ablauf des geplanten World Cafés. Auftakt und Vorbereitung (15 min)
Durchführung (60 min + 10 min für Wechselpausen) Gesprächsrunde 1 (15 min)
Gesprächsrunde 2 (15 min)
Gesprächsrunde 3 (15 min)
Gesprächsrunde 4 (15 min)
Auswertung und Verabschiedung (15 min)
Im Rahmen des World Cafés werden insgesamt vier Austauschrunden an vier bis fünf Tischen realisiert. Für vier der Tische bereiten die Organisator*innen Impulsfragen vor, ein fünfter Tisch dient der Bearbeitung von Fragen/Impulsen, die die Teilnehmenden mitbringen. Ideen und Erkenntnisse, die an den Tischen generiert werden, werden von den Teilnehmenden anhand von Vorlagen für die nachfolgenden Gäste notiert und können so einerseits für die folgende Diskussionsrunde genutzt, aber auch für die Dokumentation des Formats aufbereitet werden. Nach Ablauf des World Cafés bereiten die Organisator*innen die Ergebnisse auf und senden sie – ein entsprechendes Einverständnis der Tielnehmenden vorausgesetzt – an die Gruppe. Folgende Fragen können beispielsweise im Rahmen des World Cafés behandelt werden:
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Datum: Mittwoch, 20.03.2024 | |
9:00 - 10:40 | 7-08: Financial Literacy als Voraussetzung für erfolgreiche individuelle Lebensgestaltung und für gesellschaftliche Partizipation Ort: S18 |
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Symposium
Financial Literacy als Voraussetzung für erfolgreiche individuelle Lebensgestaltung und für gesellschaftliche Partizipation Hintergrund: In modernen Volkswirtschaften wird die Fähigkeit von (Wirtschafts-)Bürger:innen, finanzielle Angelegenheiten kompetent zu regeln, immer wichtiger. Financial Literacy (finanzielle Allgemeinbildung) beeinflusst nicht nur das persönliche finanzielle Wohlergehen, sondern hat auch Einfluss auf die gesamte Volkswirtschaft (Klapper, Lusardi & Panos, 2012). Bisherige Studien zeigen jedoch trotz großer Heterogenität in Definition und Messung von Financial Literacy eine deutliche Übereinstimmung: Jugendlichen und jungen Erwachsenen mangelt es an Financial Literacy und sie sind besonders anfällig für ein ungünstiges Finanzverhalten (z. B. Aprea et al., 2016; Lusardi, 2019). Evidenzbasierte Strategien für die Förderung finanzieller Allgemeinbildung sind deshalb dringend notwendig. Ihre Entwicklung erfordert ein ganzheitliches Verständnis dieses vielschichtigen Konstrukts (siehe z. B. die Definition der OECD, 2022) sowie geeignete Messverfahren und Interventionen. Das geplante Symposium betrachtet daher in vier Beiträgen Einflussfaktoren auf Finanzielles Handeln (Kraitzek et al.), Interventionen zur Förderung von Financial Literacy (Aprea et al. sowie Malik, Fürstenau und Hommel) sowie eine alternative Methode zur Messung von Finanzkompetenz (Wagner, Wuttke und Happ). Damit werden insgesamt betrachtet sowohl Einflussfaktoren, die ggf. für Fördermaßnahmen zu berücksichtigen sind, als auch Förderansätze selbst und eine zielführende Messung des zu fördernden Konstruktes in den Blick genommen. Gemeinsamkeiten der vier Beiträge: Die vier Beiträge gehen der gemeinsamen Fragestellung nach, wie Financial Literacy als Voraussetzung für erfolgreiche individuelle Lebensgestaltung und für gesellschaftliche Partizipation definiert, gemessen und gefördert kann. Alle Beiträge fokussieren Jugendliche und junge Erwachsene, die am Anfang einer eigenständigen finanzbezogenen Lebensgestaltung stehen. Gemeinsam ist den Beiträgen ein Verständnis von Financial Literacy, das nicht ausschließlich Finanzwissen, sondern auch Können bzw. Handeln in den Blick nimmt. Methodisch ergänzen sich die vier Beiträge, die Zugänge reichen von Design-Based Research bis hin zu Laborexperimenten. Inhaltlich werden verschiedene Bereiche von Financial Literacy in den Blick genommen. Kurze Vorstellung der vier Beiträge: Ausgangspunkt des Beitrags von Kraitzek et al. (Beitrag 1) ist die Erkenntnis, dass finanzielles Verhalten von Jugendlichen nicht nur von ihrer Finanzkompetenz, sondern auch von dem Grad der institutionalisierten oder informellen (Finanz-)Bildung, dem Elternhaus oder dem Einfluss von Peer-Gruppen bestimmt ist. Die Studie untersucht daher Einflussfaktoren der Sozialisation auf das Finanzverhalten von 16-25-jährigen in Deutschland. Die Ergebnisse zeigen, dass knapp 28% der Varianz im untersuchten finanziellen Verhalten durch Sozialisationsfaktoren und soziodemografische Merkmale erklärt werden können. Der zweite Beitrag (Aprea et al.) fokussiert Altersvorsorge als zentralen Bereich von Financial Literacy, der in Zeiten des demografischen Wandels eine hohe Bedeutung erlangt. Bislang existieren allerding kaum wissenschaftlich fundierte und zugleich unabhängig von Finanzakteuren entwickelte Lernangebote in diesem Bereich. In der Studie wurde deshalb ein neutrales und evidenzbasiertes Lernangebot für junge Erwachsene entwickelt und evaluiert, welches deren Interesse am Thema wecken und ihr Verständnis für das deutsche Rentensystem fördern soll. Im dritten Beitrag (Malik et al.) wird analysiert, inwieweit ein lernförderliches User Interface Design Verständnisschwierigkeiten und Fehlentscheidungen entgegenwirken kann, die im Rahmen von informellem Lernen durch Internetrecherchen entstehen können. Im Fokus stehen Informationen zu Baufinanzierung. In der Studie wurde geprüft, ob multimedial aufbereitete Webseiten das Erinnern der Informationen und das Anwenden des Wissens besser unterstützen als Webseiten, die nicht entsprechend aufbereitet sind. Die Befunde zeigen ein insgesamt besseres Abschneiden der Experimentalgruppe sowohl im Erinnern als auch im Anwenden der Inhalte. Im vierten Beitrag (Wagner et al.) wird die Entwicklung, Evaluation, Überarbeitung und erneute Evaluation eines Situational Judgement Tests (SJT) zur Messung von Financial Literacy präsentiert. Dieser richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene und enthält Situationen, die das Planen und Verwalten alltäglicher Finanzangelegenheiten fokussieren. Die Befunde zeigen, dass die Leistung der 246 berufsbildenden Schüler:innen insgesamt auf einem mittleren Niveau eingeordnet werden kann. Die Testgüte ist bei zwei Faktoren zufriedenstellend, beim dritten Faktor trotz Überarbeitung nicht. Korrelationen mit dem Außenkriterium Kaufverhalten weisen auf valide Testwertinterpretationen hin. Beiträge des Symposiums Finanzielle Sozialisation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Untersuchung des Einflusses von Sozialisationsfaktoren auf das Finanzverhalten Theoretischer Hintergrund: Vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen kommt der Grundbildung im Bereich der persönlichen Finanzen bzw. der Financial Literacy (FL) ein immer bedeutenderer Stellenwert in der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu (OECD 2020). Als übergeordnetes Ziel gilt es daher, die Financial Literacy junger Menschen zu stärken, damit diese den Übergang ins Erwachse-nenleben finanziell kompetent bewältigen und als mündige Wirtschaftsbürger:innen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Über finanzielles Wissen zu verfügen bedeutet allerdings nicht automatisch, dass dieses Wissen auch in adäquates Finanzverhalten überführt werden kann. Beeinflusst wird das tatsächli-che finanzielle Verhalten von Jugendlichen dabei nicht nur von ihrer grundlegenden Finanzkompetenz, sondern zusätzlich von einer Vielzahl an Faktoren wie bspw. dem Grad der institutionalisierten oder in-formellen (Finanz-)Bildung, dem Elternhaus oder auch dem Einfluss von Peer-Gruppen (Deenanath et al. 2019; Rudeloff 2019; Förster et al. 2019). Die finanzielle Sozialisation einer Person spielt somit beim tat-sächlichen Umgang mit Geld eine bedeutende Rolle (Kaiser 2017). Um die Entwicklung von finanzieller Kompetenz sowie das konkrete Finanzverhalten von jungen Leuten zu verstehen gilt es daher verschiede-ne Sozialisationskontexte zu berücksichtigen. Ein Großteil bisheriger Studien zur finanziellen Sozialisation stammt dabei entweder aus einem internationalen Kontext oder fokussiert primär auf Studierende und Jugendliche höherer Bildungsniveaus. Folglich können Erkenntnisse auf Grund unterschiedlicher Rahmen-bedingungen nur eingeschränkt auf die finanzielle Lebenssituation von Jugendlichen und nicht-akademisch gebildeten jungen Erwachsenen in Deutschland übertragen werden. Leitende Fragestellung: Um diese Lücke zu adressieren untersucht die vorliegende Studie daher Einflussfaktoren der Sozialisation auf das Finanzverhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 16-25 Jahren in Deutsch-land. Es soll der Frage nachgegangen werden, welche Sozialisations- und Persönlichkeitsfaktoren das Fi-nanzverhalten von jungen Leuten erklären können. Hierunter fallen familiäre-, soziale- und persönliche Einflussfaktoren sowie bspw. auch Einstellungen zum Umgang mit digitalen Finanztechnologien. Methode: Die Daten von N=249 Personen im Alter von 16-25 Jahren (M = 20.97, SD = 2.87) wurden durch einen ei-gens konzipierten Fragebogen erhoben und mittels einer sequentiellen Regressionsanalyse sowie Struk-turgleichungsmodellen ausgewertet. Das Finanzverhalten der Personen wurde dabei primär durch likert-skalierte Items zur Selbstauskunft erfasst, die sich an der Studie von Deenanath et al. (2019) orientieren und für die vorliegende Studie angepasst wurden. Inhaltlich wurden die Studienteilnehmer:innen bspw. nach ihrem konkretem Sparverhalten, der pünktlichen Rückzahlung von Schulden oder der Durchführung von Preisvergleichen bei anstehenden Käufen gefragt. Ergebnisse: Erste Ergebnisse zeigen, dass knapp 28% der Varianz im finanziellen Verhalten der Jugendlichen durch Sozialisationsfaktoren und soziodemografische Merkmale erklärt werden können. Insbesondere die direk-te finanzielle Erziehung durch die Eltern, die individuelle Finanzbildung, das Einkommen, das Alter sowie die institutionalisierte Finanzbildung zeigen signifikante Zusammenhänge mit dem Finanzverhalten der Jugendlichen. Es ist ersichtlich, dass viele dieser Faktoren, im Vergleich zu Faktoren wie dem Geschlecht, dem Rollenbild der Eltern oder dem Migrationshintergrund, individuell beeinflussbar sind. So können die Eltern, die Schule, das selbstständige Verdienen von Geld oder individuelle Bildungsbemühungen der Jugendlichen signifikant dazu beitragen, deren finanzielles Verhalten zu verbessern. Diese Ergebnisse stüt-zen zum einen die Befunde aus bisherigen Forschungsarbeiten. Zum anderen untermauern sie die Forde-rung nach der Implementierung einer einheitlichen finanziellen Bildungsstrategie für Deutschland. In Zu-kunft könnten zusätzliche Studien die Einflüsse detaillierter untersuchen, indem diese durch Leistungs-tests bzw. dedizierte Kompetenz-Assessments oder durch Längsschnitts-Untersuchungen im Laufe des Sozialisationsprozesses ergänzt werden. Rente verstehen: Design, Erprobung und Evaluation eines evidenzbasierten Lernangebots für junge Erwachsene Theoretischer Hintergrund. Der demografische Wandel bringt viele Herausforderungen mit sich. Eine da-von ist die nachhaltige Finanzierung der Alterssicherung in Deutschland (OECD, 2021). Dabei ist in den vergangenen Jahren eine zunehmende Eigenverantwortung der Bevölkerung in diesem Sozialversiche-rungsbereich zu konstatieren. Diese Notwendigkeit betrifft insbesondere die jüngeren Generationen, weshalb sie ein fundiertes Verständnis der Funktionsweise des Alterssicherungssystems aufbauen sollten. Zudem ist ein solches Verständnis wichtig, um am politischen Willensbildungsprozess bezüglich Reformen des Rentensystems teilnehmen zu können (Fornero & Lo Prete, 2023). Allerdings existieren bislang kaum wissenschaftlich fundierte und zugleich unabhängig von Finanzakteuren entwickelte Lernangebote in die-sem Bereich. An dieser Stelle setzen die hier vorgestellten Forschungsaktivitäten an, welche im Rahmen des vom BMAS geförderten Forschungsprojekts „Verständnis und Haltungen zur Altersvorsorge in Deutschland (VHAlt)“ stattfanden und die Intention verfolgen, die mittels qualitativer Interviews und einer repräsentativen Befragung identifizierten Missverständnisse zur Altersvorsorge im Sinne eines Trans-fers der Projektergebnisse zu adressieren. Insbesondere zielen sie darauf ab, ein neutrales und evidenzba-siertes Lernangebot für junge Erwachsene bzw. Berufseinsteigende bereitzustellen, welches deren Inte-resse am Thema wecken und ihr Verständnis für das deutsche Rentensystem fördern soll. Zur Erreichung dieser Zielsetzung wurden unter Rekurs auf Ansätze des spielbasierten Lernens (z.B. Schutz & Schwartz, 2022) sowie des multimedialen Lernens (Mayer, 2020) drei am Design-Based Research Ansatz (z.B. Arm-strong et al. 2020) orientierte Forschungszyklen durchlaufen, in denen das Lernangebot entwickelt, er-probt und evaluiert bzw. sukzessive optimiert wurde. Fragestellung. Zentral ist damit die Forschungsfrage, wie ein Lernangebot zum Thema Altersvorsorge ge-staltet sein sollte, um die Zielgruppe effektiv beim Erwerb des erforderlichen Wissens und Könnens zu unterstützten. Methode. Im Rahmen eines partizipativen Ansatzes waren an den drei Forschungszyklen sowohl Mitglie-der der Zielgruppe als auch Fachexperten beteiligt. Im ersten Forschungszyklus stand vor allem die inhalt-liche Ausgestaltung des Lernangebots im Vordergrund. Gemeinsam mit Masterstudierenden der Wirt-schaftspädagogik wurde im Rahmen eines universitären Seminars eine erste Fassung des Lernangebots entwickelt, welche vier Fachexperten aus Wissenschaft, Bildung und Rentenpolitik vorgelegt und von diesen im Hinblick auf die Passung für die Zielgruppe und die fachliche Korrektheit beurteilt wurde. Auf Basis dieser Rückmeldungen wurde im nächsten Forschungszyklus eine zweite Version des Lernangebots erstellt und mit einer Gruppe von 20 Bachelorstudierenden umgesetzt, die mittels Fragebögen beurteilen sollten, inwiefern das Lernangebot und dessen Gestaltung ihr Interesse am Lerngegenstand bzw. ihre Motivation, sich mit diesem auseinanderzusetzten, unterstützt. Dabei sollten sie auch angeben, welche Elemente des Lernangebots sie besonders ansprechend bzw. hilfreich für ihr Lernen fanden und wo sie Verbesserungsbedarf sehen. Um weitere Hinweise in Bezug auf die Verständlichkeit des Lernangebots zu erhalten, kamen außerdem geschlossene und offene Testfragen zum Einsatz. Die so gewonnenen Opti-mierungshinweise flossen in den dritten Forschungszyklus ein, in dessen Mittelpunkt die Evaluation der einzelnen Elemente (insb. Texte, Abbildungen, Lernaufgaben) des Lernangebots stand. Hierzu wurde das Lernangebot fünf Berufseinsteigenden aus verschiedenen Berufsgruppen vorgelegt, deren Bearbeitungs-prozesse mittels der Methode des lauten Denkens erfasst wurden. Zusätzlich wurden auch sie nach der wahrgenommenen Lernförderlichkeit gefragt und gebeten, die bereits im zweiten Zyklus eingesetzten Testfragen zu beantworten. Ergebnisse. Als Ergebnis der Forschungsaktivitäten wurde die Rentenrallye entwickelt, die am Prinzip des Stationenlernens orientiert ist. An bisher sieben Stationen können sich junge Erwachsene selbstorgani-siert Wissen über das Alterssicherungssystem aneignen. Wie die Befunde der oben genannten For-schungszyklen zeigen, unterstützen die einzelnen Stationen den Wissenserwerb und die Motivation durch eine Kombination aus Karikaturen, Erklärvideos, Informationstexten und Quizelementen. Die Rentenrallye liegt in digitalisierter Form vor. Die Forschungsaktivitäten leisten damit einen Beitrag zur Erkenntnisge-winnung im Kontext eines praxisrelevanten, jedoch bislang in der empirischen Bildungsforschung noch nicht hinreichend berücksichtigten Lerngegenstands. Sie bildet die Grundlage für derzeit in Planung be-findliche feldexperimentelle Untersuchungen, die sich u. a. mit der Frage befassen, wie sich das entwi-ckelte Lernangebot wirksam in schulische Curricula oder auch außerschulische Lernkontexte einbetten lässt. Förderung informellen Online-Lernens über Baufinanzierungen durch User Interface Design von Webseiten Hintergrund Financial Literacy (FL) wird als wesentliche Fähigkeit im 21. Jahrhundert gesehen, die sowohl individuelles als auch gesellschaftliches finanzielles Wohlergehen beeinflussen kann (Lusardi 2015). Verunsicherungen durch Krisen, wie die Coronapandemie oder Rezessionen, aber auch veränderte Sozial- und Finanzsyste-me erfordern mehr als bisher private Vorsorge und eigenverantwortliche finanzielle Entscheidungen. Um sich zu informieren und Entscheidungen zu treffen, konsultieren die Menschen häufig das Internet. Sol-che zielbezogenen Internetrecherchen lassen sich als informelles Lernen einordnen (Baumgartner, 2008). Da jedoch die Informationen im Internet oft umfangreich sind und nicht speziell unter Lerngesichtspunk-ten dargeboten werden, sind Verständnisschwierigkeiten und Fehlentscheidungen möglich. Daher stellt sich die Frage, ob ein lernförderliches User Interface Design (UI) von Webseiten (Abascal-Mena, López-Ornelas & Zepeda 2012) das informelle Online-Lernen unterstützen kann. Eine Möglichkeit des UI-Designs ist die Anwendung der Prinzipien multimedialen Lernens (Malik, Fürstenau & Hommel, 2023). In unserer Studie wurde geprüft, ob die multimediale Aufbereitung von Webseiten informelles Online-Lernen zu Baufinanzierungen besser unterstützt als die ursprünglichen Banken-Webseiten. Aus den Ergebnissen lassen sich Schlüsse darüber ziehen, wie informelles Online-Lernen, speziell FL, gefördert werden kann. Theoretische Grundlagen Angelehnt an das Verständnis der OECD (2020) ist finanzielles Wissen ein zentraler Aspekt von FL und Grundlage für fundierte Finanzentscheidungen (S. 6). Weiterhin spielen Einstellungen, Interesse und ma-thematische Fähigkeiten eine Rolle. Inhaltlich bezieht sich FL dabei u.a. auf die Verwaltung der persönli-chen Finanzen in Bezug auf Einnahmen und Ausgaben, Sparen, Kredite und Investitionsentscheidungen (Hilgert, Hogarth & Beverly 2003). Das UI-Design von Webseiten beeinflusst die direkte Erfahrung des Nutzers mit der Website (Rodrigues, Costa & Oliveira 2017) und damit auch informelles Lernen (Livingstone, 2001). Anzunehmen ist, dass die auf der kognitiven Theorie des multimedialen Lernens (CTML) (Mayer, 2021) basierenden Prinzipien mul-timedialen Lernens geeignet sind, das UI-Design von Webseiten und damit informelles Lernen zu verbes-sern. Methode In einer Studie wurde geprüft, ob multimedial aufbereitete Webseiten über Baufinanzierungsdarlehen, d. h. einem komplexen Finanzprodukt mit langfristigen Auswirkungen auf die persönliche Finanzsituation, das Erinnern der Informationen und das Anwenden des Wissens besser unterstützen als Webseiten, die nicht entsprechend aufbereitet sind. Die Datenerhebung erfolgte in einem Laborexperiment mit einem Prä-/Post-Test-Design. Die Stichprobe umfasste 37 Studierende (21 w, 15 m; Alter M = 22, SD = 2,1) eines Bachelorstudiengangs Wirtschaftswissenschaften einer deutschen Universität, die randomisiert auf Expe-rimental (EG) (18 Personen) und Kontrollgruppe (KG) verteilt wurden. Die Teilnehmer der KG beschäftigten sich mit Informationen über Baufinanzierungsdarlehen auf den Webseiten der HypoVereinsbank (ausgewählt nach Zufallsprinzip aus den 10 größten deutschen Banken nach Bilanzsumme). Die Informationen waren jeweils Teil des Kreditrechners mit Daten zum Kaufpreis, zur Kreditsumme, zur Zinsbindung und zur Tilgung. Die Teilnehmer der EG beschäftigten sich mit ver-gleichbaren, aber nach multimedialen Lernprinzipien umgestalteten Webseiten. Im Prätest bearbeiteten die Teilnehmer Items zu ihrem finanziellen Interesse (angelehnt an Mayer & Moreno 2003; Mayer 1997), ihrem Finanzwissen (Lusardi, 2019) und ihren Rechenfähigkeiten (Banks & Oldfield, 2007). Der Posttest bestand aus je vier Items, die das Erinnern und Anwenden der Informationen erforderten. Ergebnisse und Diskussion Im Prätest zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen (α < .05) in Bezug auf fi-nanzielles Interesse, Finanzwissen und Rechenfähigkeiten. Hinsichtlich des Posttests zeigt sich insgesamt ein besseres Abschneiden der EG (t-Test, t(35) = 2.31, p = .027, d = 0.76). Die EG zeigt sowohl im Erinnern (t(35) = 2.19, p = .035, d = 0.77) als auch im Anwenden bessere Ergebnisse (t(35) = 2.31, p = 0.027, d = 0.61). Insgesamt weisen die Ergebnisse darauf hin, dass ein UI-Design, das die Prinzipien multimedialen Lernens berücksichtigt, die Entwicklung von FL in informellen Lernprozessen unterstützen kann. Limitierend ist zu berücksichtigen, dass in der Studie mehrere Prinzipien multimedialen Lernens auf die Webseiten ange-wendet wurden. Damit können die Effekte nicht differenziert nach einzelnen Prinzipien analysiert werden. Revision und Analyse eines Situational Judgement Tests zur Messung von Financial Literacy Theoretischer Hintergrund: Zahlreiche Studien messen Financial Literacy auf Basis von geschlossenen Aufgabenformaten, die das Wis-sen und Verstehen der persönlichen Finanzen in den Vordergrund rücken (Förster, Happ & Molerov, 2017; Lusardi & Mitchell, 2011; Walstad & Rebeck, 2017). Es ist jedoch unbestritten, dass für finanziell kompetentes Verhalten nicht nur Wissen allein, sondern auch das bewusste Treffen von finanziellen Ent-scheidungen von Bedeutung ist. Mit dem Situational Judgment Test (SJT) zur Messung von Financial Lite-racy (Wuttke & Aprea, 2018) wurde ein Instrument entworfen, das das Treffen von finanziellen Entschei-dungen fokussiert und damit Financial Literacy handlungsnah misst. SJT, die bereits in den 1920er Jahren (McDaniel et al., 2001) in arbeits- und berufsbezogenen Anwendungskontexten verwendet wurden (Muck, 2013, S. 188), fanden bislang bei der Messung von Financial Literacy keine Berücksichtigung. Bei der vorliegenden Testform werden die Proband:innen gefragt, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie sich in einer dargestellten Situation für eine bestimmte Handlungsoption entscheiden würden (McDaniel & Nguyen, 2001). Nach einem ersten Einsatz des Tests und mit Blick auf die einschlägige Literatur (McDaniel et al., 2001) zeigte sich ein Überarbeitungsbedarf des Tests. In dem Vortrag wird die Konstruktion und die Revision des SJT beschrieben. Es wird insbesondere auf Aspekte der Validierung auf Basis der AERA Stan-dards (AERA, APA & NCME, 2014) eingegangen. Fragestellung Zeigen sich durch die Revision eines Situational Judgement Tests in den Analysen Hinweise, die dafür sprechen, dass die erzielten Testwerte der Proband:innen valide Testwertinterpretationen zulassen? Methode Der revidierte SJT richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene. Er enthält Situationen, die das Pla-nen und Verwalten alltäglicher Finanzangelegenheiten fokussieren. Im Zuge der Revision wurden im Rah-men von think-aloud Studien problematische Items identifiziert, reformuliert und neu konstruiert. Die revidierte Version wurde gegen Ende des zweiten Schulhalbjahres 2022/2023 bei 246 Schüler:innen aus 15 Klassen von drei Schulen aus dem berufsbildenden Bereich in Sachsen eingesetzt. Derzeit laufen noch Erhebungen an weiteren berufsbildenden Schulen in Hessen. Die vollständigen Daten liegen bis zur GEBF 2024 in Potsdam ausgewertet vor und werden dort präsentiert. Der Fokus in dem Vortrag liegt auf der Analyse der Testgüte, was Reliabilität und unterschiedliche Validierungskriterien einschließt. Es wer-den Befunde aus Faktor-, Reliabilitäts- und Korrelationsanalysen berichtet. Ergebnisse Die Befunde zeigen, dass die Leistung der berufsbildenden Schüler:innen ingesamt auf einem mittleren Niveau eingeordnet werden kann. Im Mittel haben die Schüler:innen von max. 126 Punkten 87,88 Punkte erreicht. Durch Faktoranalysen können drei Faktoren bestimmt werden, die sich inhaltlich in die folgen-den Dimensionen untergliedern lassen 1) Budget-/Haushaltsplanung 2) Kontrolle der eigenen finanziellen Situation 3) Sensibler Umgang mit Geld. Die Testgüte auf Basis der internen Konsistenz (Cronbachs` alpha) kann für die ersten beiden Dimensionen als zufriedenstellend eingeordnet werden (Faktor 1: .807, Faktor 2: .659). Faktor 3 weicht mit .446 davon ab und zeigt auch nach der Revision der Items keine zufrieden-stellenden Werte. Das Kaufverhalten (erhoben mit dem Fragebogen von Ray & Najman, 1986) korreliert mit dem Testscore der Proband:innen. Über das Außenkriterium ‚Kaufverhalten‘ im Sinne der Relations to other Variables (AERA et al., 2014) können also Hinweise auf valide Testwertinterpretationen gegeben werden. Es werden mit dem SJT in der Stichprobe keine geschlechtsspezifischen Unterschiede festgestellt. Das stellt ein deut-licher Unterschied zu dem häufig in standardisierten Testungen mit Multiple- und Single-Choice Aufgaben festgestellten geschlechtsspezifischen Unterschieden dar, bei denen Probanden besser als Probandinnen abschneiden (Driva, Lührmann & Winter, 2016; Förster, Happ & Maur, 2018; Klapper & Lusardi, 2020; Hammer & Zureck, 2022; Preston & Wright, 2023). Dieser Aspekt wird mit dem Publikum auf der GEBF diskutiert. Insgesamt haben nicht alle Überarbeitungen der Revision des SJT die erwarteten Effekte auf Testgüte und Validierung gezeigt. Alles in allem ist aber eine Verbesserung gelungen, sodass der SJT nun in weiteren Assessments eingesetzt wird. |
11:10 - 12:50 | 8-07: Kognitive Aktivierung in den Fachdidaktiken: von einem besseren Verständnis des Konstrukts hin zur Instrumentenentwicklung Ort: S18 |
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Offenes Beitragsformat
Kognitive Aktivierung in den Fachdidaktiken: von einem besseren Verständnis des Konstrukts hin zur Instrumentenentwicklung 1Pädagogische Hochschule Zürich, Schweiz; 2Universität Zürich, Schweiz; 3Universität Hamburg; 4Universität Tübingen; 5Schiller Universität Jena; 6Universität Kassel; 7Bayrisches Landesamt für Schule 1. Einleitung Als kognitiv aktivierend wird Unterricht in der Unterrichtsqualitätsforschung dann verstanden, „wenn er Lernende zum vertieften Nachdenken und zu einer elaborierten Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand anregt“ (Lipowsky, 2020, S. 92). Das Konstrukt wurde ursprünglich im Rahmen der TIMSS-Videostudie entwickelt (Klieme et al., 2001), wird aber in den letzten Jahren in unterschiedlichen Fachdidaktiken verwendet und unterschiedlich konzeptualisiert (Praetorius et al. 2020). Eine zentrale Frage dabei ist, in welchem Umfang kognitive Aktivierung als generisches Konstrukt verstanden werden kann und in welchem Umfang es Unterschiede zwischen verschiedenen Fächern und Lerngegenständen gibt. Eine Arbeitsgruppe des Leibniz-Netzwerks Unterrichtsforschung bemüht sich um ein gemeinsames Verständnis von kognitiver Aktivierung über verschiedene Fachdidaktiken hinweg. Ein solches Verständnis und stärkere Klarheit über fach- und lerngegenstandsspezifische Unterschiede würde es erleichtern, Forschungsergebnisse besser in Beziehung zu setzen und damit zu kumulativem Erkenntnisgewinn beizutragen. Ein gemeinsames Verständnis könnte zudem eine Chance für die Unterrichtspraxis darstellen, wenn zentrale Konstrukte wie die kognitive Aktivierung kohärenter beschrieben und genutzt werden (z.B. in der Ausbildung von Lehrpersonen, Diskussion von Unterricht, usw.). In diesem Zusammenhang interessiert primär die Frage, welche Gültigkeit fächerübergreifende Unterrichtsqualitätsmodelle für verschiedene Fächer besitzen, wenn man berücksichtigt, dass sich die Lernziele, Lerngegenstände und fachliche Lernmodelle sowie Lehrmodelle teils stark unterscheiden (z.B. Inquiriy Based Learning in den Naturwissenschaften, motorisches Lernen im Sport, usw.). In dem hier vorgeschlagenen, Workshop will die Gruppe unterschiedliche Perspektiven auf kognitive Aktivierung in einem interdisziplinären Setting diskutieren und damit Ideen generieren, wie erste Schritte für die Entwicklung eines über Fächer hinweg einsetzbaren Instrumentes zur Erfassung kognitiver Aktivierung aussehen könnte. Ablauf 1. Teil: Kognitive Aktivierung in sechs Schulfächern: where we are now? (ca. 15 Min.) Im ersten Teil des Workshops sollen die konzeptuellen Überlegungen zum Konstruktverständnis über verschiedene Fächer hinweg vorgestellt werden, das in der Arbeitsgruppe über die letzten Monate erarbeitet wurde. Zentral dabei ist ein vergleichender Überblick über das Konstruktverständnis in sechs Schulfächern, welcher von Fachdidaktik-Expert*innen erarbeitet wurde. In dieser Analyse werden zentrale Bildungsziele sowie Lerntheorien in diesen Fächern aufgezeigt. Darauf aufbauend wird vorgestellt, welche fachspezifischen Formen der kognitiven Aktivierung sich aus diesen Bildungszielen ergeben und was zentrale Lerngegenstände sind, auf welche sich die kognitive Aktivierung bezieht. Daraus lassen sich sowohl Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede in den Konzeptualisierungen erkennen, welche in den verschiedenen Fächern für das Konstrukt der kognitiven Aktivierung existieren. Für diese Analyse haben wir Fächer ausgewählt, welche ein breites Spektrum der schulischen Aufgabenfelder und damit auch zentrale «Modi der Weltbegegnung» (Baumert, 2002) abdecken: Mathematik und Naturwissenschaften (primär der «kognitiv-instrumentellen Rationalität» zugeordnet); Deutsch, Englisch und Sport (primär der «ästhetisch-expressiven Rationalität» zugeordnet, Sport im Sinne leiblicher Expressivität) sowie Geschichte (primär der «moralisch-evaluativen Rationalität» zugeordnet). 2. Teil: Kognitive Aktivierung in den Sprachen und den Naturwissenschaften: Same same but different? (ca. 15 Minuten) In zweiten Teil des Workshops werden die Konzeptualisierungen der kognitiven Aktivierung in zwei Fächern bzw. Fächergruppen exemplarisch vertieft, welche auch unterschiedliche „Modi der Weltbegegnung“ repräsentieren: Deutsch und Naturwissenschaften. Dabei werden Übereinstimmungen und Unterschiede aufgezeigt und auf konkrete Lerngegenstände in den jeweiligen Fächern bezogen. Diese vertiefende Darstellung geschieht auch mit Hinblick auf ein mögliches Beobachtungsinstrument für kognitive Aktivierung. Für die beiden Fächer soll exemplarisch herausgearbeitet werden, welchen Ansprüchen ein solches Instrument genügen müsste, um Gemeinsamkeiten zwischen den Fächern aufzuzeigen, und gleichzeitig an fachspezifische Konzepte anschlussfähig zu sein. Dabei werden folgende Fragen diskutiert: - Welche Subdimensionen oder Facetten eines solchen Instruments könnten zwischen den Fächern identisch sein? - Wo gibt es Reibungsflächen und wo liegen fachspezifische Unterschiede? - Wie könnte mit solchen Unterschieden bei der Instrumentenentwicklung umgegangen werden (z.B. bei der Formulierung von Items)? In diesem Teil findet also der Übergang von der konzeptuellen Diskussion hin zu einer Instrumentenentwicklung statt, welche die Gruppe als nächsten Projektschritt anstrebt. Diese Entwicklungsperspektive soll anschliessend auch im Fokus der Diskussion mit den Teilnehmenden stehen. 3. Teil: Ein fächerübergreifendes Instrument zur Beschreibung von Unterrichtsqualität: what are next steps? (ca. 60 Min.) In diesem Teil sollen mögliche Entwicklungsperspektiven für den nächsten Projektschritt konkret mit den Teilnehmer:innen des Workshops diskutiert werden, wobei der Fokus besonders auf einem möglichen Instrument zur Erfassung von kognitiver Aktivierung gelegt wird. Ziel des Austausches ist es, die Ideen und Wünsche der Workshopteilnehmenden aus deren spezifischen Blickwinkeln abzuholen für das geplante open access Instrument: (A) Externe Rückmeldung zur Projektidee - Welche Chancen und Potentiale sehen die Teilnehmenden in dem Projekt? - Wie ist mit eingangs skizzierten Herausforderungen umzugehen (z.B. fachspezifische Unterschiede)? (B) Ansprüche an ein mögliches Beobachtungsinstrument - Welche Ansprüche würden die Workshopteilnehmer:innen aus ihrer Perspektive an ein solches Beobachtungsinstrument formulieren? - Welchen Anforderungen müsste dieses genügen, um in verschiedenen Fächern oder Kontexten (z.B. Forschung, Lehrpersonenbildung) einsetzbar zu sein? Diese Fragen werden in einem Padlet vorstrukturiert und anschliessend im Plenum diskutiert und ausgewertet. Bedeutung Wir betrachten diesen Workshop als Fortsetzung des seit einigen Jahren verstärkt stattfindenden interdisziplinären Dialogs in der Unterrichtsqualitätsforschung. Im Kern steht die bisher wenig untersuchte Frage, ob sich hinter verschiedenen Konzeptionen des zentralen, bislang aber nur unscharf konzeptualisierten Konstrukts kognitiver Aktivierung in unterschiedlichen Fächern ein gemeinsamer Kern verbirgt, und wo fach- oder lerngegenstandsspezifische Unterschiede liegen. Diese Frage soll zunächst konzeptuell ausgeleuchtet werden, um anschliessend auf mögliche Instrumentenentwicklungen zu fokussieren. In diesem Sinne passt sich der geplante Workshop exzellent in das Tagungsmotto „Bildung verstehen • Partizipation erreichen • Transfer gestalten“ ein. |
Datum: Donnerstag, 21.03.2024 | |
10:00 - 12:30 | NWT - 07: On Writing Well Ort: S18 |
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