11. GEBF-Tagung
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Haupttagung: 18. - 20.03.2024 | Nachwuchstagung: 21.03.2024
Universität Potsdam
Veranstaltungsprogramm
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Sitzungsübersicht | |
Ort: H08 Hörsaal, 91 TN |
Datum: Montag, 18.03.2024 | |
10:30 - 12:10 | 1-06: Inklusion von Kindern im Autismus-Spektrum in den Unterricht Ort: H08 |
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Symposium
Inklusion von Kindern im Autismus-Spektrum in den Unterricht Die Forschung und der Diskurs um Autismus haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Unter anderem der Verständniswandel von Autismus als einem recht eng gefassten Störungsbild hin zu einem weit gefassten Spektrum an neurologischer Variation führte zu einer stark ansteigenden Anzahl an Kindern, die in dieses Spektrum fallen (Gómez-Marí et al., 2022). Für Deutschland liegen zwar keine aktuellen Zahlen vor, es ist jedoch davon auszugehen, dass die Prävalenz von 1% (Theunissen & Sagrauske 2019) mittlerweile überholt und somit weit über 800.000 Personen in Deutschland im Autismus-Spektrum zu verorten sein dürften. Mehrere Untersuchungen legen dementsprechend nahe, dass auch die Zahl an Kindern im Autismus-Spektrum steigt, die von ihrem Recht Gebrauch machen, eine Regelschule zu besuchen. Ihre persönliche und schulische Entwicklung gestaltet sich dabei jedoch nicht so gut, wie man vermuten würde (Wittwer, 2022). Der in der ICD-10 und der aktuellen DSM-5 noch immer verwendete „Störungs“-Begriff lässt oftmals den Fehler dafür bei dem autistischen Kind vermuten. Doch sind es weniger die akademischen Anforderungen, die zu den schlechteren Leistungen führen, als vielmehr Herausforderungen bei der Bewältigung, bspw. durch Probleme bei der Arbeitsorganisation oder der sozialen Interaktion und Kommunikation mit Mitschüler*innen und der Lehrkraft (Knorr, 2014). So können Wahrnehmungsbesonderheiten dazu führen, dass autistische Kinder abgelenkt werden und der Lehrkraft nicht in der gleichen Weise folgen können wie Kinder ohne diese Barrieren. Das führt dazu, dass autistische Kinder etwa nur die Hälfte der Zeit im Unterricht kognitiv aktiviert sind (van der Steen et al., 2020). Es gibt viele verschiedene Ansätze, die untersuchen, wie eine „autismusfreundliche Schule“ gestaltet werden kann. Es geht dabei vor allem um die Frage, wie die individuellen Barrieren der autistischen Kinder reduziert werden können und sie somit keinen Bildungsnachteil erfahren, sowie um die Professionalisierung von Lehrkräften (vgl. Berdelmann et al., 2021). In diesem Symposium sollen aktuelle Projekte vorgestellt und besprochen werden, die aktiv an diesen Zielen arbeiten. Hierzu bietet das Symposium eine Sammlung von Papern, in denen sowohl die Barrieren für autistische Lernende untersucht werden, als auch die professionelle Kompetenz von Lehrkräften untersucht und gefördert werden sollen. Im ersten Beitrag werden mögliche Barrieren der Inklusion autistischer Kinder im Unterricht psychometrisch identifiziert. Im zweiten Beitrag werden solche Barrieren im Schulalltag mithilfe der Experience Sampling Methode gemessen. Der dritte Beitrag untersucht die Rolle der Lehrkraft bei der Bewältigung dieser Barrieren, indem erfasst wird, welche professionellen Kompetenzen Lehrkräfte zu diesem Thema mitbringen. Der vierte Beitrag stellt abschließend eine Intervention dar, um die Stereotype von angehenden Lehrkräften ggb. Kindern mit Autismus zu reduzieren. Beiträge des Symposiums Die psychometrische Erfassung von Barrieren in der Inklusion autistischer Schüler:innen Theoretischer Hintergrund Für eine förderliche Gestaltung des schulischen Alltags ist es hilfreich, die Voraussetzungen aller Schüler:innen zu kennen und zu berücksichtigen. Für ein inklusives Arbeiten ist die Kenntnis individueller Barrieren hier entscheidend (vgl. Boban & Hinz, 2009). Sensorische Barrieren, die insbesondere bei autistischen Schüler:innen Lernen und Teilhabe beeinträchtigen oder sogar zu Zusammenbrüchen führen können, sind nicht ohne weiteres erkennbar und werden oft erst durch Eskalationen deutlich (z.B. Theunissen & Sagrauske, 2019). Fragestellung Ziel des vorgestellten Projekts ist es, ein leicht nutzbares Tool zu entwickeln, mit dessen Hilfe Lehrkräfte potenzielle sensorische Barrieren identifizieren und ihnen entgegenwirken können. Methode In mehreren Schritten (drei Vorstudien, n gesamt = 1500, qualitativ und quantitativ) wurde ein psychometrischer Fragebogen aus 50 Items entwickelt, in dem Schüler:innen angeben, wie sehr sie bestimmte Situationen beeinträchtigen würden. Der Bogen wurde in drei Bundesländern in 1., 5. und 7. Klassen eingesetzt (n = 1092), um seine Validität und psychometrischen Eigenschaften zu untersuchen sowie in den beteiligten Schulen Prozesse der Barrierenreduktion zu initiieren. Parallel dazu wird eine Handreichung erarbeitet, die Lösungsansätze aus der Literatur, der autistischen Community und von pädagogischen Fachkräften bündelt. Ergebnisse Die quantitativen Ergebnisse zeigen, dass das mittlere Risiko, Situationen als stark beeinträchtigend zu erleben, für autistische Teilnehmer:innen signifikant größer ist als für nicht-autistische Teilnehmer:innen. Weiterhin zeigen autistische wie nicht-autistische Kinder ein ähnliches Profil in den Bewertungen. Faktorenanalytisch lassen sich die ursprünglich qualitativ identifizierten 25 Barrieren bei sehr guter Reliabilität acht Bereichen zuordnen, in denen es zu Überlastung kommen kann. Die Workshops mit den Lehrkräften der beteiligten Schulen machten einerseits ein generell großes Interesse an der Thematik und andererseits stark variierende Grade an Reflexion und Offenheit für die Reduktion sensorischer und sozialer Lernbarrieren deutlich. Diskussion und Implikationen für Theorie und Praxis Potenzielle sensorische und soziale Barrieren lassen sich mit dem vorliegenden Instrument hinreichend reliabel und valide erfassen, um Lehrkräfte beim Kennenlernen ihrer Schüler:innenschaft und der Individualisierung ihres Vorgehens zu unterstützen. Unabhängig von klinischen Diagnosen oder Symptomen (vgl. SchAUT, 2021) ist es mit Hilfe des Barrierenbogens möglich, Schlussfolgerungen für eine inklusive Alltags- und Umfeldgestaltung abzuleiten. Das Instrument in Verbindung mit der Handreichung ist geeignet, zu Fortbildungen und Schulentwicklungsprozessen beizutragen, die ein inklusiveres Lernumfeld anstreben. Insbesondere autistische Schüler:innen, aber auch alle anderen können von der Berücksichtigung und Reduktion sensorischer und sozialer Barrieren im Schulalltag profitieren. Welche Barrieren erleben autistische Kinder in der Schule? Die Entwicklung einer App zur Identifizierung individueller Barrieren Theoretischer Hintergrund Während die Prävalenz von Autismus in den letzten Jahren gestiegen ist (Bachmann et al., 2018), ist das Wissen darüber in Deutschland noch wenig entwickelt. Dies ist insbesondere im Hinblick auf das deutsche Schulsystem der Fall. Lehrkräften fehlt es an Wissen und Ressourcen für eine autismussensible Beschulung (Lindmeier, 2018; Theunissen & Sagrauske, 2019). Autistische Kinder erleben eine Reihe an autismusspezifischen Barrieren in Regelschulen. Dazu gehören Überempfindlichkeiten in verschiedenen sensorischen Bereichen oder Ereignisse, die von der üblichen Routine abweichen (Bailey & Baker, 2020). Eine zentrale Herausforderung für die Inklusion autistischer Kinder ist daher die Identifizierung und der Abbau autismusspezifischer Barrieren in der Schule. Barrieren wurden in der existierenden Forschung hauptsächlich aus der Perspektive von pädagogischen Fachkräften (z.B. Stephenson et al., 2012) und Eltern untersucht (z.B. Falkmer et al., 2015). Nur wenige Studien haben bisher die Perspektive der Kinder selbst einbezogen. Diese zeigen allerdings, dass die von Eltern und pädagogischen Fachkräften berichteten Probleme nicht unbedingt mit denen der Kinder berichteten übereinstimmen (z.B. Saggers et al., 2015). Da Barrieren, wie sensorische Besonderheiten, individuell und kontextabhängig sind (Fernández-Andrés et al., 2015; Theunissen & Sagrauske, 2019), ist davon auszugehen, dass es für Lehrkräfte schwierig ist, diese zuverlässig zu identifizieren. Ziele der Studie In diesem Beitrag wird eine Pilotstudie präsentiert, deren Ziel es war, individuelle Barrieren, die im Schulkontext auftreten, mittels der Experience-Sampling-Methodik zu erfassen. Es sollten erste Erkenntnisse darüber erlangt werden, wie häufig bestimmte Barrieren in der Regelschule bei autistischen und nicht-autistischen Kindern auftreten und wie sich Kinder in der Häufigkeit und der Bandbreite berichteter Barrieren voneinander unterscheiden. Weiterhin stellte sich die Frage, inwiefern Lehrkräfte aufgetretene Barrieren als solche identifizieren können. Außerdem wurde die technische und praktische Umsetzbarkeit überprüft. Methode Es nahmen insgesamt 48 autistische und nicht-autistische Kinder (6 autistisch, 15 Mädchen) an der Pilotstudie teil. Die Kinder besuchten die vierte bis sechste Klasse und waren zwischen 9 und 13 Jahren alt (MW=10.52, SD=0.87). Zusätzlich nahmen noch die jeweiligen Lehrkräfte teil (N=4). Die Studie bestand aus einer Einführungsveranstaltung in der Schule, einer zweiwöchigen Phase mit einer täglichen Befragung über Studien-Smartphones für Kinder und Lehrkräfte sowie einem Feedback-Fragebogen. Die Barrieren umfassten die Kategorien auditive, visuelle und taktile Wahrnehmung, Geruch und Geschmack, Unvorhersehbarkeit von Ereignissen sowie Sonstiges (White Unicorn e.V., 2018). Ergebnisse Die deskriptive Auswertung der Daten zeigte, dass an 39.1% der Tage Barrieren auftraten. Barrieren, die der Kategorie Sonstiges zugeordnet wurden, traten am häufigsten auf, gefolgt von Barrieren aus dem auditiven Bereich, Barrieren, die Geruch und Geschmack betreffen und Barrieren aus dem taktilen Bereich. Barrieren aus dem visuellen Bereich traten im Gegensatz zu den anderen Barrierebereichen am seltensten auf. Die Kinder unterschieden sich darin, wie viele und welche Barrieren sie angaben und wie stark sie diese als störend empfunden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Erfassen individueller Barrieren im Schulalltag mit Hilfe von smartphone-basierten Befragungen, einen vielversprechenden Ansatz darstellt. Darauf aufbauend sollen empirische Erkenntnisse über Zusammenhänge mit subjektivem Wohlbefinden und Unterschiede in der Stärke dieser Zusammenhänge gewonnen werden. Ziel ist die Entwicklung eines Prototyps einer App, welcher von Lehrkräften und ihren Kindern genutzt werden kann, um die Identifizierung von Barrieren zu unterstützen. Entwicklung eines Self-Assessment-Tools für pädagogisches Personal Theoretischer Hintergrund Für die individuelle Entwicklung und den schulischen Erfolg von autistischen Kindern ist nach Jordan (2019) vor allem ihr sozio-emotionales Wohlbefinden von Bedeutung. Um zum Wohlbefinden beizutragen, ist ein autismussensibles Verhalten der Lehrkraft notwendig. Eckert und Sempert (2013) fassen in Ihrem Rahmenmodell der schulischen Förderung von Kindern im Autismus-Spektrum acht verschiedene Kernbereiche aus der aktuellen Debatte zusammen, die einen zentralen Beitrag leisten sollen, um den Unterricht entsprechend zu gestalten. Die Anforderungen, die darin an die Lehrkraft gestellt werden, lassen sich gut in die Kompetenzbereiche Wissen, Motivation und Überzeugungen zusammenfassen, die nach dem COACTIV-Modell von Kunter et al. (2011) wesentliche Aspekte professioneller pädagogischer Kompetenz von Lehrkräften darstellen. Fragestellung/ Projektvorhaben Im Teilprojekt 3 von INCLASS – Inklusion von Kindern im Autismus-Spektrum in der Schule adaptieren wir das COACTIV-Modell für den Bereich der autismussensiblen Beschulung und entwickeln ein Self-Assessment Tool, das Lehrkräften und pädagogischem Personal bei der Einschätzung der eigenen Kompetenzen in diesem Bereich helfen soll. Ziel ist es, dass die Nutzenden des Assessments individuelles Feedback zu ihrer professionellen Kompetenz bzgl. der inklusiven Beschulung von autistischen Kindern erhalten. Dieses Feedback sollen Lehrkräfte nutzen können, um eigenständig zu entscheiden, in welchen Bereichen sie noch Fortbildungsbedarf haben. Methoden Bei der breit angelegten Recherche haben wir systematisch nach bereits validierten Tests bzw. Fragebögen gesucht, die einen oder mehrere der Kompetenzbereiche Wissen, Einstellung und Motivation erfassen. Nach einem ersten Selektionsprozess blieben von den anfänglich über 10.000 Ergebnissen 91 übrig, die genauer untersucht wurden. Für unser Assessment haben wir schließlich 6 Instrumente ausgesucht, die bereits in der Wissenschaft verwendet und validiert wurden, haben sie übersetzt und für den deutschen Kontext angepasst. In einigen Fällen wurden zusätzliche Items von uns konstruiert. Für den Bereich des Wissens über autismussensible Unterrichtsstrategien konnte kein bestehendes Instrument gefunden werden, so dass wir an dieser Stelle einen eigenen Test konstruiert haben. Das komplette Instrument mit über 180 Items wurde zunächst einer inhaltlichen Validierung (N = 15 Lehrkräfte mit viel Erfahrung im Unterrichten von autistischen Kindern) unterzogen und nach einer ersten Überarbeitung mit N = 129 Lehramtsstudierenden pilotiert. Ein Teil dieser Lehramtsstudierenden (N = 78) hat nach dem ersten Ausfüllen des Self-Assessments ein digitales Modul zum Thema Autismus bearbeitet. Nach einer Woche wurde das Self-Assessment mit beiden Gruppen wiederholt (Kontrollgruppe: N = 51). Mit den Daten aus dieser Piloterhebung wird geprüft, ob das Assessmentinstrument die theoretisch angenommenen Kompetenzaspekte valide und reliabel erfassen kann. Zudem wird untersucht, ob das Assessmentinstrument veränderungssensitiv ist, indem es Veränderungen des Wissens, der Einstellung oder der Motivation der Lehramtsstudierenden nach der Bearbeitung des digitalen Moduls zum Thema Autismus abbilden kann. Ergebnisse Erste Analysen zeigen, dass das Assessmentinstrument eine zufriedenstellende Reliabilität und Validität aufweist. So spricht eine erste Testung mit der Methode der bekannten Gruppen für die Kriteriumsvalidität des Instruments. Danach verfügen Lehramtsstudierende aus dem Bereich des Förderschullehramts und Lehramtsstudierende, die sich privat mit dem Thema Autismus befasst haben, über mehr Wissen und eine höhere Motivation als die anderen Lehramtsstudierenden. Eine Untersuchung der Veränderungssensitivitäten weist zudem darauf hin, dass ein Wissenszuwachs bei den Studierenden, die das digitale Modul bearbeitet haben, gemessen werden kann. Diese und weitere psychometrische Kennwerte bzgl. Validität und Reliabilität des Instruments aus der ersten Pilotierung liegen bis zum Zeitpunkt der Konferenz vor und sollen bei diesem Vortrag vorgestellt und diskutiert werden. „Viele autistische Menschen haben eine Inselbegabung!“ – Können solche Fehlvorstellungen bei Lehramtsstudent:innen durch Refutationstexte reduziert werden? Theoretischer Hintergrund Dass viele autistische Menschen eine Inselbegabung haben, ist ein Beispiel für eine häufig vorkommende Fehlvorstellung über Autismus. Solche Fehlvorstellungen können zur Stigmatisierung autistischer Personen beitragen. Besonders im Schulkontext können sie Lehrer:innen daran hindern, autistische Schüler:innen im Unterricht erfolgreich zu inkludieren. Deshalb ist es wichtig, Fehlvorstellungen über Autismus zu reduzieren. Bislang gibt es jedoch kaum Studien zu Interventionen, die speziell Fehlvorstellungen über Autismus adressieren. Eine zum Abbau von Fehlvorstellungen grundsätzlich geeignete Interventionsart ist die Verwendung von Refutationstexten. Refutationstexte benennen explizit eine Fehlvorstellung zu einem Sachverhalt und kontrastieren sie mit wissenschaftlich richtigen Informationen über diesen Sachverhalt. Die Wirksamkeit von Refutationstexten wird theoretisch damit erklärt, dass durch die Kontrastierung der Fehlvorstellung mit wissenschaftlich richtigen Informationen ein kognitiver Konflikt ausgelöst wird, der zum Abbau der Fehlvorstellung führt. Dabei wird angenommen, dass Fehlvorstellungen nicht einfach durch wissenschaftlich richtige Informationen ersetzt werden, sondern Fehlvorstellungen im Gedächtnis als Inhalte erhalten bleiben, deren Aktivierung aber unwahrscheinlicher wird. Inwieweit Refutationstexte dazu beitragen können, speziell Fehlvorstellungen über Autismus zu reduzieren, wurde in der Forschung bislang nicht geprüft. Fragestellung Wir untersuchten, ob Refutationstexte Lehramtsstudent:innen darin unterstützten, (1) ihre Fehlvorstellungen über Autismus abzubauen, (2) die Sicherheit, mit der sie richtige Vorstellungen über Autismus hatten, zu erhöhen und (3) Autismus positiver wahrzunehmen. Methode An unserer Studie nahmen N = 31 Lehramtsstudent:innen teil. Die Ausprägung ihrer möglichen Fehlvorstellungen über Autismus wurde in den Bereichen (1) Kognitive Fähigkeiten, (2) Lernstil und (3) Soziale Kompetenzen mit jeweils fünf Aussagen auf einer fünfstufigen Skala von 1 (stimme vollkommen zu) bis 5 (stimme gar nicht zu) vor und nach dem Lesen eines Refutationstexts erhoben. Wurde den Aussagen mit einem Wert von höchstens 3 zugestimmt, wurde dies als Vorhandensein einer Fehlvorstellung betrachtet. Es wurde auf einer fünfstufigen Skala von 1 (nicht sicher) bis 5 (sicher) auch erfasst, wie sicher sich die Lehramtsstudent:innen in ihren Antworten waren. Der Refutationstext stellte zu jedem der drei Bereiche Fehlvorstellungen (= Irrglauben) zusammen mit einer Begründung für ihr Vorhandensein (= Trugschluss) dar und kontrastierte sie mit wissenschaftlich richtigen Informationen (= Fakt). Nach dem Lesen des Refutationstexts wurde zudem die im Nachhinein eingeschätzte Änderung in der Wahrnehmung von Autismus auf einer fünfstufigen Skala von 1 (negativer) bis 5 (positiver) erfasst. Ergebnisse Häufigkeitsanalysen zeigten, dass die Lehramtsstudent:innen vor dem Lesen des Refutationstexts bei der Mehrheit der Aussagen in allen drei Bereichen eine Fehlvorstellung aufwiesen. Die t-Tests für abhängige Stichproben deckten auf, dass die Fehlvorstellungen in allen drei Bereichen nach dem Lesen des Refutationstexts signifikant geringer als vor dem Lesen des Refutationstexts ausgeprägt waren. Die gefundenen Effekte waren je nach Bereich mittel bis stark. Auch stieg die Sicherheit, mit der die Lehramtsstudent:innen den Aussagen zustimmten, nach dem Lesen des Refutationstexts signifikant an. Wie ein t-Test für Einstichproben bestätigte, schätzten Lehramtsstudent:innen ihre Wahrnehmung von Autismus durch das Lesen des Refutationstexts im rückblickenden Vergleich signifikant positiver ein. Diskussion Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Refutationstexte erfolgreich dazu beitragen, Fehlvorstellungen über Autismus bei Lehramtsstudent:innen zu reduzieren. Gleichzeitig kann durch Refutationstexte das eigene Vertrauen in die Richtigkeit der Vorstellungen über Autismus erhöht werden. Auch wird die Wahrnehmung von Autismus im rückblickenden Vergleich positiver eingeschätzt. Trotz der nachgewiesenen Wirksamkeit von Refutationstexten zur Reduktion von Fehlvorstellungen über Autismus lehnten Lehramtsstudent:innen manche Aussagen, die Fehlvorstellungen darstellten, auch nach dem Lesen des Refutationstexts nicht vollständig ab. Deshalb erscheint es notwendig, Refutationstexte hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zu optimieren und auch andere Arten von Interventionen zum Abbau von Fehlvorstellungen zu verwenden. Die Ergebnisse der Studie sollen mit einer größeren Stichprobe, mit optimierten Refutationstexten und mit Fehlvorstellungen zu weiteren Themenbereichen repliziert werden. |
13:10 - 14:50 | 2-06: Neue Perspektiven in der Bildungsforschung: Einbezug multipler Datenquellen in lern- und leistungsbezogener Motivations- und Emotionsforschung Ort: H08 |
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Symposium
Neue Perspektiven in der Bildungsforschung: Einbezug multipler Datenquellen in lern- und leistungsbezogener Motivations- und Emotionsforschung Zahlreiche Studien der Lern- und Unterrichtsforschung nutzen zur Erfassung kognitiver sowie motivational-affektiver Lernmerkmale und sozialer Interaktionsmerkmale im Lernkontext Daten, die auf Selbstberichten aus Fragebogenuntersuchungen basieren (Sharma & Giannakos, 2020). Auch wenn Selbstberichtsdaten zur nuancierten Erfassung emotionaler und kognitiver Zustände als unabdingbar angesehen werden können (Pekrun, 2020), mehrt sich Kritik an der ausschließlichen Verwendung von Selbstberichtsdaten in der aktuellen Lehr-Lernforschung (Connors et al., 2016). So sind Selbstberichte besonders anfällig für soziale Erwünschtheitseffekte, Fehlinterpretationen der Fragestellung und Verzerrungen durch individuelle Referenzrahmen (Howard, 1980; Rosenman et al., 2011). Weiterhin zeigen Studien, dass die Ergänzung von Selbstberichtsdaten durch andere Methoden, wie beispielsweise Beobachtungsdaten (Ellis et al., 2017) oder Daten aus Eyetracking-Experimenten (Catrysse et al., 2017) einen umfassenderen Blick auf lern- und unterrichtsbezogene Merkmale und auf die damit einhergehenden Prozesse ermöglichen (Sharma et al., 2019). Besonders für die Motivations- und Emotionsforschung könnten umfassendere methodische Betrachtungen situationsbezogener und längsschnittlicher Veränderungen gewinnbringend sein (Fulmer & Frijters, 2009; Gonçalves et al., 2017). Da technologiegestützte Lernkontexte die Erhebung und Untersuchung solcher Prozessdaten vereinfachen (z.B., Hutt et al., 2019; Dindar et al, 2020), ermöglicht der zunehmende Fokus auf technologiegestützte Lernszenarien besonders gute Bedingungen für multimodales Assessment in der Bildungsforschung. Vor diesem Hintergrund hat dieses Symposium zum Ziel, Forschungsergebnisse zusammenzubringen, die lernprozessbezogene Fragestellungen mit multimodalem Assessment verbinden. Im Rahmen dieses Symposiums wird der Einbezug multipler Datenquellen als Möglichkeit der Weiterentwicklung von lern- und leistungsbezogener Motivations- und Emotionsforschung diskutiert. Dabei untersuchen die Beiträge des Symposiums Fragestellungen, die sich mit Veränderungen motivational-affektiver und kognitiver Merkmale in Lernkontexten befassen und nutzen zur Untersuchung dieser technologiegestützten Lernszenarien (Beiträge 2, 3 und 4) oder künstliche Intelligenz als Möglichkeit der Datenverarbeitung (Beitrag 1). Die Beiträge beziehen sich auf unterschiedliche Bildungskontexte wie Schule (Beitrag 1 und 4) und Hochschule (Beiträge, 2 und 3) und nutzen multimodale Daten, um umfassendere und differenziertere Betrachtungen von Lehr-Lern-Prozessen zu erhalten. Das Symposium gibt dabei Einblicke in die prozessbezogene Erforschung (meta-)kognitiver, affektiver und physiologischer Lernmerkmale in Bildungskontexten. Der erste Beitrag untersucht basierend auf Audiotranskripten und Selbstberichten Zusammenhänge zwischen motivierender Unterrichtssprache (Selbstbestimmungstheorie der Motivation), Unterrichtshandeln und motivationalen Merkmalen Lehramtsstudierender. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Lehramtsstudierende in ihrer Unterrichtssprache nur partiell grundlegende motivationale Bedürfnisse der Lernenden ansprechen. Besonders das Kompetenzerleben wird in der Instruktion effektiv adressiert. Der zweite Beitrag untersucht mittels Eyetracking- und Selbstberichtsdaten, wie sich das nonverbale Sozialverhalten von Lehrkräften in einem Instruktionsvideo auf Lernfreude, Motivation, Aufmerksamkeit und Lernergebnisse von Studierenden auswirkt. Die Ergebnisse zeigen, dass nonverbales Sozialverhalten einer Lehrkraft in einem Instruktionsvideo im Zusammenhang mit affektiv-motivationalen jedoch nicht kognitivem Lernen steht und gleichzeitig die Aufmerksamkeit der Lernenden lenkt. Der dritte Beitrag untersucht anhand von biophysiologischen Markern (elektrodermale Aktivität) und Selbstberichtsdaten den Zusammenhang von Vorwissen und der affektiven Verarbeitung von computerbasiertem Feedback Studierender. Die Ergebnisse verweisen darauf, dass Lernende mit hohem Vorwissen Feedback anders aufnehmen als Lernende mit geringerem Vorwissen und dadurch eine höhere emotionale Erregung aufweisen, sich jedoch keine signifikanten Zusammenhänge mit den Lernergebnissen ergeben. Der vierte Beitrag untersucht durch Kombination multipler Datenquellen, zu denen Logdaten, Fragebogenselbstberichte sowie einem Test zur Messung der kognitiven Flexibilität zählen, inwiefern kognitive Belastbarkeit, Vorwissen, Lernfreude, Konzentration und wahrgenommenes soziales Interaktionsverhalten mit Lernfortschritt in einem intelligenten tutoriellen System (ITS) mit Roboterkomponente zusammenhängen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Wahrnehmung der Interaktion mit dem Roboter und die kognitive Belastung eine zentrale Rolle für das emotionale Erleben und den Lernfortschritt in der Arbeit mit ITS einnehmen. Beiträge des Symposiums Motivierende Sprache von Lehrkräften. Wie setzen Lehramtsstudierende in ihrer Unterrichtssprache die Förderung von Kompetenz-, Autonomieerleben und der sozialen Eingebundenheit ein? Theoretischer Hintergrund Das Erleben von Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit hat eine maßgebliche Bedeutung für die Lernmotivation (Ryan & Deci, 2017). Empirische Studien, die sich auf die theoretischen Annahmen der Selbstbestimmungstheorie der Motivation (SDT; Deci & Ryan, 2004) beziehen, zeigen, dass Lernende in Lernkontexten, die zur Erfüllung ihrer grundlegenden psychologischen Bedürfnisse beitragen, für Lernaufgaben intrinsisch motivierter sind (Bureau et al., 2022). Gleichzeitig zeigen Studien, dass instruktionale Settings, welche das Erleben von Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit nicht erfüllen, negative Auswirkungen auf die Lernmotivation haben (z.B. Bartholomew et al., 2018). Eine Möglichkeit, Lernenden Autonomie, Kompetenzerleben und soziale Eingebundenheit zu vermitteln, ist die Instruktionssprache im Unterricht. Allerdings fokussieren aktuelle Forschungsarbeiten, die sich mit der Unterrichtssprache von Lehrkräften befassen, häufig auf den Einsatz von motivierender Sprache in Test- und Leistungssituationen (z.B. Santana-Monagas et al., 2021; Putwain et al., 2017). Dabei werden Ansätze genutzt, die die Verwendung motivierender Sprache in Verknüpfung mit gewinnbringenden oder verlustbringenden Appellen setzen (z.B. gain- und loss-framed Ansatz; z.B. Falcon et al., 2023; Putwain et al. 2019). Derartige Ansätze eignen sich gut für die Untersuchung des verbalen Lehrverhaltens von Lehrkräften, die sich auf die Lernmotivation für Tests fokussieren. Weniger geeignet ist dieser theoretische Ansatz jedoch für die Untersuchung, inwiefern Lehrkräfte motivierende Sprache einsetzen, um Lernende in ihren grundlegenden psychologischen Bedürfnissen zu unterstützen. Eine aktuelle Arbeit von Ahmadi et al. (2023) kategorisiert basierend auf der SDT hingegen das Lehrverhalten von Lehrkräften und geht auch auf sprachliches Verhalten ein. Dieser Ansatz wird in der vorliegenden Studie für die Kodierung motivierender Lehrsprache verwendet. Fragestellung Anknüpfend an dem Kategorisierungsschema von Ahmadi et al. (2023) untersucht der vorliegende Beitrag die motivierenden verbalen Sprachgehalte von Lehramtsstudierenden in authentischen Unterrichtssituationen. Die Studie untersucht, inwiefern Bachelor-Lehramtsstudierende motivierende Sprache in ihrem Unterricht einsetzen und welche Zusammenhänge die motivierende Unterrichtssprache zu weiteren motivationalen und unterrichtsbezogenen Merkmalen der Studierenden aufweisen. Methode In der Studie wurden anhand von N=56 Lehramtsstudierenden im Bachelorstudium (50% weiblich; MAlter=23.31, SD=3.53) längsschnittliche Fragebogendaten und Sprachtranskripte aus dem Unterricht ausgewertet. Die Selbstwirksamkeit der Studierenden wurde zu Beginn des Semesters sowie zu fünf weiteren Messzeitpunkten mit einer Skala von Pfitzner-Eden et al. (2014) erhoben. In der Mitte des Semesters unterrichteten und videographierten die Lehramtsstudierenden eine Unterrichtsstunde. Die KI-Transkriptionssoftware DaVinci Resolve Studio wurde zur Transkription der Audioaufnahmen der Videos genutzt. Anschließend wurden die Sprachtranskripte von zwei unabhängigen Rater:innen mit MAXQDA in Hinblick auf die motivierende Sprache klassifiziert. Die Klassifizierung der Transkripte erfolgte basierend auf dem Schema Teacher Motivational Behavior (TMBs) von Ahmadi et al., (2023). In dem Schema sind das unterstützende und hemmende Lehrverhalten auf Ebene des Kompetenz- und Autonomieerlebens als auch der sozialen Eingebundenheit klassifiziert. Ergebnisse Erste Ergebnisse zeigen, dass Studierende in ihrer Unterrichtssprache besonders ausgeprägt die Ebene des unterstützenden Kompetenzerlebens (z.B. Verständnisfragen, Feedback) einsetzen. In den Transkripten lassen sich zudem Sprachgehalte finden, die sich als Autonomie hemmend kodieren lassen (z.B. bedrängende Sprache, Lob als bedingte Belohnung). Auf der Ebene der sozialen Eingebundenheit sind in einem geringen Maße unterstützende sowie hemmende verbale Verhaltensweisen zu beobachten. Die geringere Nutzung der sozialen Eingebundenheit über die Sprache könnte dahingegen erklärt werden, dass die Studierenden über wenig Unterrichtserfahrung verfügten und ihnen die Lerngruppe nur wenig bekannt war. Für weitere Auswertungen werden quantitative Fragebogendaten herangezogen, um mögliche Zusammenhänge zwischen dem Einsatz von motivierender Sprache und weiteren Unterrichts- und Motivationsmerkmalen, wie der Selbstwirksamkeit der Lehramtsstudierenden, längsschnittlich zu untersuchen. Zudem sind für zukünftige Analysen die Auswertung der Transkripte anhand eines Sprachmodells geplant. Gestaltung von Lehrvideos: nonverbales Sozialverhalten von Lehrkräften und seine Auswirkungen auf die kognitiven, affektiven und motivationalen Lernprozesse In den letzten Jahren haben digitale Bildungsformate nicht zuletzt aufgrund von technologischem Fortschritt und der steigenden Nachfrage nach flexiblen Lernumgebungen stark an Bedeutung gewonnen. Unter den verschiedenen Formaten, die in der digitalen Lehre Anwendung finden, sind insbesondere Lehrvideos zunehmend beliebter geworden. Eine zentrale Frage bei der Gestaltung von Lehrvideos betrifft dabei die Rolle der Lehrenden, insbesondere die Rolle ihres nonverbalen Verhaltens in den Videos (Fiorella & Mayer, 2016). Während die Bedeutung des nonverbalen Sozialverhaltens von Lehrenden - wie etwa Mimik, Gestik und Blickbewegungen - im Präsenzunterricht gut erforscht ist, sind die Auswirkungen in Lehrvideos noch nicht vollständig geklärt (Meier et al., 2023). Bestehende Forschung im Bereich multimedialer Lernformate konzentriert sich häufig auf kognitive Lernaspekte und betont die Wichtigkeit der Menge und Art an Informationen, die von den Lernenden während des Unterrichts verarbeitet werden (Mayer et al., 2020). Die Cognitive Load Theory of Multimedia Learning (CLTM) liefert ein konzeptionelles Modell, das die Bedeutung der Reduzierung unnötiger kognitiver Belastung zur Förderung des Lernens betont (Mayer, 2005). Demnach könnten zusätzliche visuelle Reize, wie etwa das nonverbale Sozialverhalten der Lehrenden, die Lernenden von der Verarbeitung der relevanten Lehrinhalte ablenken (Zhang et al., 2018). CLTM kann jedoch nicht erklären, wie bestimmte Formen vermeintlich irrelevanter nonverbaler Zeichen, wie beispielsweise Gesten, Lernergebnisse teilweise stattdessen verbessern (Skulmowski & Xu, 2022). Andere Forschungsansätze zum effektiven Lernen und Lehren in Online-Lernumgebungen heben dagegen die Rolle von affektiv-motivationalen Prozessen und sozialen Faktoren hervor (Schnotz et al., 2009). Die Social-Agency-Theorie legt nahe, dass nonverbale Zeichen in Lehrvideos das Gefühl sozialer Präsenz bei den Lernenden stärken und positive sozio-emotionale Reaktionen hervorrufen können (Mayer et al., 2003), wodurch ihre Motivation und eine tiefere kognitive Verarbeitung gefördert werden kann (Wang & Antonenko, 2017). Forschungsinteresse Die vorliegende Studie untersucht die Rolle der nonverbal immediacy (NVI, Mehrabian, 1968) von Lehrenden in Lehrvideos, ein Konstrukt, das multimodale nonverbale Verhaltensweisen erfasst, welche die psychologische Distanz zwischen Personen verringern (Witt et al., 2004). Insbesondere werden Zusammenhänge zwischen der NVI der Lehrenden und kognitivem, affektivem und motivationalem Lernerfolg der Lernenden betrachtet. Methode Im Rahmen eines Mixed-Method-Ansatzes wurde die Auswertung von Fragebogendaten und Eye-Tracking-Daten kombiniert. Die Studie umfasste 87 Teilnehmende, die sich eine Reihe von Lehrvideos ansahen, in denen der Grad an NVI durch einen Lehrenden systematisch variiert wurde. Die wahrgenommene NVI, der kognitive Lernerfolg, die Motivation und die Lernfreude wurden nach jedem Video per Fragebogen gemessen. Zur Analyse der Aufmerksamkeitsverteilung zwischen dem Lehrenden und den zusätzlichen Lernmaterialien wurden die Blickbewegungen der Teilnehmenden aufgezeichnet. Ergebnisse und Implikationen Die Ergebnisse der Mehrebenen-Pfadanalysen deuten auf einen signifikanten Zusammenhang zwischen wahrgenommener NVI und der Motivation sowie der Lernfreude der Lernenden hin. Ein Zusammenhang mit dem kognitiven Lernerfolg wurde nicht nachgewiesen. Zusätzlich zeigten die Auswertungen der Augenbewegungen der Lernenden, dass sich die Aufmerksamkeitsverteilung je nach NVI-Grad des Lehrenden unterschied. Höhere NVI-Ausprägungen gingen mit einer stärkeren Fixierung auf den Lehrenden einher, was auf einen Einfluss des nonverbalen Sozialverhaltens auf die Aufmerksamkeitslenkung hinweist. Diese Ergebnisse haben wichtige Implikationen für die Gestaltung von Lehrvideos. Die Einbeziehung nonverbaler Verhaltensweisen, die die NVI verstärken, kann positive affektive und motivationale Reaktionen der Lernenden fördern, was das Engagement steigern und tiefere kognitive Verarbeitung begünstigen kann. Jedoch ist ein Gleichgewicht zwischen nonverbalem Sozialverhalten und Lehrinhalten wichtig, um mögliche Ablenkungen zu vermeiden. Diese Studie trägt zum Verständnis der Rolle nonverbalen Sozialverhaltens in der Online-Lehre bei, insbesondere bei Videovorlesungen. Indem sie den Einfluss der NVI auf das Lernen und die Aufmerksamkeitsverteilung untersucht, beleuchtet sie die Bedeutung affektiv-motivationaler Prozesse und sozialer Faktoren in Online-Lernumgebungen. Diese Ergebnisse können Lehrende, Pädagog:innen und Online-Lernplattformen bei der Erstellung effektiver und ansprechender Online-Lehrvideos zur Optimierung der Lernerfahrung unterstützen. Macht Vorwissen einen Unterschied? Effekte von Vorwissen auf die affektive Verarbeitung von computerbasiertem Feedback Theoretischer Hintergrund Die Berücksichtigung der heterogenen Voraussetzungen von Lernenden ist eine zentrale Gelingensbedingung bei der Gestaltung von Unterricht. So zeigen sich beispielsweise auch moderierende Effekte von Vorwissen bei der Implementation von Feedback, da insbesondere Lernende mit niedrigem Vorwissen aber nicht mit hohem Vorwissen von (computerbasiertem) Feedback profitieren (Fyfe & Rittle-Johnson, 2016; Wagner et al., under rev.; Wischgoll, 2017). Neben kognitiven Faktoren, werden insbesondere affektive Faktoren als Erklärfaktoren diskutiert: Höheres Vorwissen kann im Vergleich zu niedrigem Vorwissen zu höheren Kompetenzeinschätzungen führen, was ein höheres physiologisches Erregungsniveau während der Feedbackverarbeitung und niedrigere Lernleistungen zur Folge haben kann. Bislang wurde der Einfluss von Vorwissen auf emotional-affektive Faktoren bei der Verarbeitung von computerbasiertem Feedback jedoch kaum untersucht. Fragestellung Diese Studie wurde als Laborexperiment realisiert, in der das Vorwissen experimentell induziert wurde, sowie affektive Prozesse mit physiologischen Messungen fein-granular erfasst wurden, um affektive Verarbeitungsprozesse nachzuzeichnen. Ziel der vorliegenden Studie war es, den potenziellen Einfluss von Vorwissensinduktion auf die affektive Verarbeitung von computerbasiertem Feedback und auf die Lernleistung zu untersuchen. Hierfür wurde die elektrodermale Aktivität (EDA; siehe Braithwaite et al., 2013; Dawson et al., 2016; Horvers et al., 2021 für Validitätsstudien) der Studierenden anhand von EDA-Armbändern erhoben. Wir vermuteten, dass sich die Erregung der Lernenden, die Vorwissensinduktion erhielten, während der Feedbackverarbeitung erhöhte im Vergleich zu Lernenden, keine vorherige Wissensinduktion erhielten. Methode Die Studie (präregistriert unter: https://aspredicted.org/2W5_8D2) wurde als 2-Gruppen-Design mit N = 47 Studierenden durchgeführt, von denen 42 Teilnehmende in den Analysen berücksichtigt werden konnten (hohes Vorwissen: n = 21, niedriges Vorwissen: n = 21). In einer multimedialen Lernumgebung (Thema: Ohm’sches Gesetz) machten die Studierenden zunächst Angaben zu ihren demografischen Daten und einem Prätest (t1: EDA-Baseline). In der Lernphase (t2) erhielten sie entweder eine Vorwissensinduktion (in Form direkter Instruktion) oder eine themenfremde Kontrollinstruktion, die bereits in einer Vorgängerstudie validiert wurde. In der Übungsphase (t3) berechneten die Studierenden anhand mehrerer Übungsaufgaben die Stromstärke in verschiedenen Stromkreisen und erhielten automatisch computerbasiertes Feedback auf ihre Antworten. Zuletzt berechneten die Studierenden die elektrische Stromstärke in Posttestaufgaben (t4). Vor der Lernphase und jeweils nach der Lern- und Übungsphase schätzten die Lernenden ihre affektive Erregung selbst ein. Während der ganzen Untersuchung trugen die Lernenden das EDA-Armband (E4 Empatica), worüber ihre physiologischen EDA-Daten anhand von vier Messungen pro Sekunde erhoben wurden. Ergebnisse Zunächst berechneten wir einen mittleren EDA-Wert pro Phase (Baseline, Lernphase, Übungsphase, Posttestphase) pro Person (Carroll et al., 2019; Hoogerheide et al., 2019; Khan et al., 2019). Anhand einer ANCOVA mit Messwiederholung analysierten wir mögliche Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich der EDA-Daten über die Zeit hinweg (t2-t4) unter Kontrolle der Baseline-Erregung. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die Gruppen signifikant in ihrer EDA unterschieden, F(3, 38) = 3.789, p = .042, η_p^2 = .09. Die Erregung der Kontrollgruppe sank über die Zeit hinweg linear; das Erregungslevel der Gruppe mit vorheriger Instruktion blieb konstant. Eine ANOVA zeigte jedoch, dass sich die beiden Gruppen nicht in ihrer Posttestleistung unterschieden, F(1, 40) = 0.125, p = .725, η_p^2 = .00. Die Valenz des Feedbacks (positiv oder negativ) hatte keinen moderierenden Effekt, F(3, 38) = 0.370, p = .633, η_p^2 = .03. Bedeutung der Ergebnisse Analog zu unserer postulierten Hypothese zeigte sich, dass bei Studierenden mit niedrigem Vorwissen, die physiologische Erregung sank, im Vergleich zu Studierenden mit hohem Vorwissen. Die Lernleistung unterschied sich jedoch nicht. Diese Ergebnisse können dahingehend erklärt werden, dass die Zugabe von Feedback bei Lernenden mit hohem Vorwissen zu Interferenzeffekten führen kann. Aktuell werden die Daten fein-granular auf Sekundenebene und insbesondere bzgl. der Valenz des Feedbacks (positives versus negatives Feedback) ausgewertet, um feine Schwankungen in der emotionalen Erregung bei der Feedbackverarbeitung zu identifizieren. Diese Befunde werden auf der GEBF-Konferenz ebenfalls vorgestellt. Lernen mit sozialen Robotern und intelligenten tutoriellen Systemen: Welche Rolle spielen wahrgenommenes soziales Interaktionsverhalten des Roboters, Lernfreude und kognitive Belastung für den Lernfortschritt? Theoretischer Hintergrund Forschungsarbeiten zu Mensch-Roboter-Interaktion in sozialen Lernprozessen zeigen, dass physische Roboter in Lernsettings zu höherer Lernfreude (Kennedy et al., 2015) und höherem Lernergebnissen beitragen können (Belpaeme et al., 2018). Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass Roboter Lernende ablenken und den Lernprozess stören können (Chou et al., 2023). Inwiefern der schulische Einsatz von Robotern lernförderlich oder -hinderlich sein kann als auch die zugrundeliegenden Mechanismen erfolgreichen Lernens mit sozialen Robotern sind bisher weitgehend unbekannt und wenig untersucht (Woo et al., 2021). Die Kontroll-Wert Theorie (Pekrun et al., 2007) postuliert, dass der Lernkontext, die emotionale Erfahrung beim Lernen und die Zuweisung kognitiver Ressourcen miteinander im Zusammenhang stehen und gleichzeitig die Grundlage für Lernerfolg bilden. Fragestellung Basierend auf den Annahmen der Kontroll-Wert Theorie (Pekrun, 2007) und der Theorie der kognitiven Belastung (Sweller, 2011) untersucht die vorliegende Studie inwiefern die kognitive Belastung, Vorwissen, wahrgenommene soziales Interaktionsverhalten eines Roboters (Pepper) als auch Lernfreude und Konzentration im Zusammenhang mit dem Lernfortschritt in einem emotional-adaptiven intelligenten tutoriellen System (ITS) mit Roboter-Komponente stehen. Methode Wir verwendeten Daten von N=56 Lernenden (30.36% weiblich; 69.64% männlich; Mage=17.75, SD=2.63) aus vier Klassen in Deutschland. Die Lernenden arbeiteten 60 Minuten lang mit einem ITS mit Roboter-Komponente – die Lernenden wurden von einem physischen oder virtuellen Roboter (Pepper) unterstützt wobei a-priori Analysen keine Hinweise auf Effekte der Art der Einbindung des Roboters zeigen. Mittels Experience Sampling erfassten wir Lernfreude und Konzentration mit einer adaptierten Skala von Pekrun et al. (2017) während der Arbeit mit dem ITS. Um Artefakte des Novelty-Effekts (Metcalf et al., 2019) zu vermeiden, schlossen wir Experience-Sampling-Daten der ersten 30 Minuten aus. Das wahrgenommene soziale Interaktionsverhalten Peppers wurde am Ende der Studie mit einer Skala von Spatola et al. (2021) erhoben. Soziodemographische Daten und Vorwissen (selbst entwickelter Test) wurden zu Beginn der Studie erhoben. Der Lernfortschritt wurde anhand der Leistung im ITS aus Logfiledaten ermittelt. Die kognitive Belastung wurde mit einem angepassten Test zur Messung der kognitiven Flexibilität (voluntary task switching; Arrington & Logan, 2004) vor und nach der Studie gemessen. Unter Kontrolle der Einbindungsart des Roboters (physisch oder virtuell) und Gender spezifizierten wir ein Pfadmodell in Mplus 8.7. Ergebnisse Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein als störender wahrgenommenes soziales Interaktionsverhalten von Pepper und höhere kognitive Belastung vor der Arbeit mit dem ITS negativ mit Lernfreude und Konzentration assoziiert waren. Lernfreude während der Arbeit mit dem ITS war negativ und Konzentration positiv mit kognitiver Belastung im Post-Test assoziiert. Vorwissen war mit geringerer kognitiver Belastung im Posttest und mit höherem Lernfortschritt assoziiert. Höhere kognitive Belastung im Post-Test wiederum stand im Zusammenhang mit geringerem Lernfortschritt. Jungen wiesen generell einen höheren Lernfortschritt auf als Mädchen, wobei dieser Zusammenhang nicht durch die wahrgenommene Interaktion mit dem Roboter, Lernfreude oder Konzentration mediiert war. Unsere Ergebnisse weisen auf die hohe Bedeutung kognitiver Belastung für den Lernfortschritt in einem technologiegestützten Lernsetting, konkret im Kontext eines ITS mit Roboter-Komponente, hin. Lernfreude und Konzentration spielten eine zentrale Rolle für die kognitive Belastung nach der Arbeit mit dem ITS. Dabei war das wahrgenommene soziale Interaktionsverhalten von Pepper assoziiert mit Lernfreude und Konzentration. Die Studie trägt zu einem besseren Verständnis motivational-affektiver und kognitiver Prozesse während der Arbeit in technologiegestützten Lernsettings bei. |
15:20 - 17:00 | 3-06: Lehrkraft- und Lernendenmerkmale als Prädiktoren sozialer Partizipation Ort: H08 |
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Symposium
Lehrkraft- und Lernendenmerkmale als Prädiktoren sozialer Partizipation In überdauernde, positive soziale Beziehungen eingebunden zu sein, ist eines der grundlegendsten menschlichen Bedürfnisse (Baumeister & Leary, 1995). Empirische Befunde belegen, dass mit der Nicht-Befriedigung dieses Grundbedürfnisses nach Zugehörigkeit gravierende negative Konsequenzen einher gehen (Ladd et al., 2017), während gelingende soziale Partizipation mit Wohlbefinden, schulischen Leistungen und Gesundheit assoziiert ist (z. B. Conesa et al., 2022; Stadtfeld et al., 2019). Dabei ist das Konstrukt der sozialen Partizipation komplex und facettenreich. Nach Koster et al. (2009) sind das Vorhandensein von positiven Interaktionen, die Akzeptanz durch die Peers, das Eingebundensein in reziproke Beziehungen sowie die Selbstwahrnehmung von sozialer Integration indikativ für soziale Partizipation. Befunde zur Ausprägung sozialer Partizipation in Schulklassen fallen je nach verwendeter Operationalisierung unterschiedlich aus. Zudem ist die Befundlage zu individuellen und klassenbezogenen Prädiktoren vielfältig. Es konnte wiederholt gezeigt werden, dass Kinder mit schwachen Schulleistungen, mit emotional-sozial auffälligem Verhalten und mit Migrationshintergrund unabhängig von der jeweiligen Operationalisierung sozialer Partizipation seltener sozial integriert und häufiger abgelehnt wurden (siehe zusammenfassend Böttinger, 2021; Schürer, 2020). Gleichzeitig zeigen sich deutliche Variationen zwischen den Klassen (z.B. Huber & Wilbert, 2012). In der Vergangenheit ergaben sich aus verschiedenen Studien erste Hinweise darauf, dass neben Merkmalen des Kindes auch Eigenschaften und Verhaltensweisen der Lehrkraft ein Faktor für die Entwicklung sozialer Partizipationsprozesse in der Schule sein könnten (siehe zusammenfassend Huber, 2019). Die genaue Rolle der Lehrkraft ist bislang jedoch noch unzureichend erforscht. So spricht Farmer (2011) von der Bedeutung der Lehrkraft als „invisible hand“ und Decristan et al. (2022) weisen darauf hin, dass geprüfte Erkenntnis fehlt, welches konkrete Lehrkraftverhalten bzw. welche Lehrkraftmerkmale prädiktiv für die soziale Partizipation sind. Dieses Forschungsdesiderat greifen die Beiträge des Symposiums auf und beleuchtet in vier Beiträgen die soziale Partizipation von Grundschulkindern. Im Zentrum steht dabei immer die Frage nach Zusammenhängen zwischen sozialer Partizipation und Lehrkraftmerkmalen bei gleichzeitiger Berücksichtigung weiterer Lernendenvariablen. In Beitrag 1 präsentieren die Autor*innen erste Ergebnisse aus dem vom BMBF-geförderten Projekt Komm Schreib!. Die Autor*innen analysieren mittels hierarchischer Regressionsmodelle den Zusammenhang der selbstwahrgenommenen sozialen Partizipation von Dritt- und Viertklässler*innen mit der inklusiven Haltung der Lehrkraft als eine Variable auf Klassenebene bei gleichzeitiger Berücksichtigung von individuellen Variablen (Leistungsstand, emotional-soziale Kompetenz, Migrationshintergrund, sozioökonomischer Hintergrund). Im zweiten Beitrag werden Informationen zum verhaltens- und leistungsbezogenen Lehrkraftfeedback aus videografierten Mathematikstunden in Jahrgang 1 genutzt. Die Autor*innen analysieren zum einen die Frage nach verschiedenen Typen von Lehrkräften bezogen auf das Feedbackverhalten und zum anderen den Zusammenhang zwischen diesen Verhaltenstypen und der sozialen Ablehnung der Lernenden unter Berücksichtigung der Merkmale Sozialkompetenz und Leistung. In Beitrag 3 wird ein personenzentrierter Ansatz genutzt. Die Analysen zielen auf die Identifizierung von Lernendengruppen in der Jahrgangsstufe 1 anhand des erhaltenen Lehrkraftfeedbacks zu Sozialverhalten und Leistung (Beobachtungsdaten) sowie der Sozialkompetenzen und der sozialen Ablehnung der Lernenden (Fremdeinschätzung durch Peers). Die Gruppierung der Lernenden erfolgt durch latente Profilanalysen. Im letzten Beitrag wechseln die Autor*innen die Perspektive und legen den Fokus auf einzelne Dyaden. Die Autor*innen gehen der Frage nach, wie soziale Unsicherheit den Zusammenhang zwischen Lehrkraftfeedback und der Präferenz eines anderen Kindes als Sitznachbar moderiert. Mit psycho- und soziometrischen Daten von Dritt- und Viertklässler*innen wird diese Fragestellung mehrebenenanalytisch unter Berücksichtigung der kreuzklassifizierten Datenstruktur überprüft. Die Beiträge werden abschließend zusammenfassend diskutiert. Allen Beiträgen gemeinsam ist der Fokus auf die soziale Partizipation von Grundschulkindern, wobei verschiedene Indikatoren sozialer Partizipation genutzt werden. Weiterhin nehmen alle Beiträge simultan Lernenden- und Lehrkraftmerkmale in ihrem Zusammenhang mit der sozialen Partizipation in den Blick. Dabei unterscheiden sie sich in Bezug auf das betrachtete Konstrukt (Inklusive Haltung, Lehrkraftfeedback) und den gewählten methodischen Zugang. Beiträge des Symposiums Soziale Partizipation in Grundschulklassen: Welchen Unterschied macht die inklusive Haltung der Lehrkraft? Theoretischer Hintergrund Gelingende soziale Partizipation wird als eines der Hauptziele inklusiver Bildung verstanden (z.B. Grosche, 2015). Forschungsbefunde zeigen jedoch, dass die Einbindung aller Kinder gleichermaßen nicht durch inklusive Beschulung allein gesichert werden kann. So hat sich in empirischen Studien wiederholt gezeigt, dass individuelle Faktoren wie Migrationshintergrund, schwache schulische Leistungen und geringe emotional-soziale Kompetenz mit niedrigeren Werten für soziale Partizipation einhergehen. Dabei zeigen sich jedoch insbesondere für die selbstwahrgenommene soziale Partizipation widersprüchliche Befunde (Böttinger, 2021; Schürer, 2020). Farmer (2011) sieht daneben die Lehrkraft als entscheidende Kraft an, die als „invisible hand“ durch ihre Beziehungsgestaltung und ihr Verhalten Einfluss auf die Qualität der Peer-Beziehungen und damit die soziale Partizipation der Kinder nehmen kann (Endedijk et al., 2022). Lehrkräfte mit einer inklusiven Haltung – verstanden als die Wertschätzung von Individualität, Vielfalt und Gemeinschaft als Leitlinien ihres professionellen Handelns – sollten ihr Verhalten auf die Erreichung dieses Ziels ausrichten. Unterschiede in sozialer Partizipation zwischen Schulklassen (z. B. Huber & Wilbert, 2012) könnten somit – so unsere Annahme – auf Unterschiede in der inklusiven Haltung der Lehrkräfte zurückzuführen sein. Inwiefern eine stark ausgeprägte inklusive Haltung der Lehrkraft darüber hinaus dazu beiträgt, dass die Effekte von Merkmalen des individuellen Kindes abgeschwächt werden, so dass soziale Partizipation für alle Kinder gleichermaßen gelingt, ist unseres Wissens bislang nicht untersucht. Fragestellungen In unserem Beitrag gehen wir daher folgenden Fragen nach: 1) Nehmen Migrationshintergrund, schulische Leistungen und sozial-emotionale Kompetenzen Einfluss auf die soziale Partizipation? 2) Steht die inklusive Haltung der Lehrkraft in positivem Zusammenhang mit der individuellen sozialen Partizipation der Lernenden? 3) Variiert der Einfluss der Individualmerkmale auf die soziale Partizipation je nach Ausprägung der inklusiven Haltung der Lehrkraft? Methode In einer standardisierten Befragung wurden Daten von rund 1.500 Lernenden der Jahrgänge 3 und 4 aus 63 Klassen aus Nordrhein-Westfalen erhoben. Die selbstwahrgenommene soziale Partizipation wurde über einen psychometrischen Fragebogen (in Anlehnung an Rauer & Schuck, 2004) erfasst. Der Migrationshintergrund wurde über die Familiensprache erfasst. Für jedes Kind liegen weiterhin Lehrkraftangaben zu den schulischen Leistungen und den sozial-emotionalen Kompetenzen vor. Die inklusive Haltung wurde über ein selbstentwickeltes Instrument mit den drei Subskalen Vielfalt, Individuum und Gemeinschaft erhoben. Zur Beantwortung der Forschungsfragen werden Zwei-Ebenen-Modelle angepasst, und neben den Effekten auf Klassen- und Lernenden-Ebene werden Cross-Level-Interaktionen überprüft. Ergebnisse Da die Daten erst im August/September 2023 erhoben wurden, können an dieser Stelle erst vorläufige Befunde ohne die Berücksichtigung der hierarchischen Datenstruktur berichtet werden. Erste Analysen mit einer Teilstichprobe zeigen leichte Zusammenhänge zwischen der subjektiv wahrgenommenen sozialen Partizipation und den emotional-sozialen Kompetenzen der Lernenden (r=.206, p<.001, N=565), der Leistung (r=.138, p=.001, N=549) sowie dem Migrationshintergrund (M Mig: 3.0, M Dt: 3.11, t(644)= -2.304; p=.011, d=-.183, N=646). Die Ergebnisse werden mit Blick auf Implikationen für die schulische Praxis und weitere Forschungsfragen (im Rahmen des Forschungsprojektes) diskutiert. Der Zusammenhang zwischen Lehrkraftfeedback, Sozialverhalten und Ablehnung in standardisierten Mathematikstunden: Ergebnisse einer Videostudie Theoretischer Hintergrund Ablehnung durch die Peers kann sich negativ auf die Entwicklung von Lernenden auswirken (Ladd et al., 2017). Untersuchungen ergaben, dass das Sozialverhalten (García Bacete et al., 2017), Sprachkompetenzen (Grünigen et al., 2012) und Leistungen (Huber & Wilbert, 2012) Prädiktoren von sozialer Ablehnung sind. Zudem zeigte sich sowohl in experimentellen Studien (Huber al., 2018) als auch in Untersuchungen in natürlichen Unterrichtssituationen ein Zusammenhang zwischen dem Feedbackverhalten der Lehrkraft und der sozialen Ablehnung (Hendrickx et al., 2017; Huber et al., 2018). Beobachtungsstudien ergaben, dass Lehrkräfte insbesondere negatives Feedback zu Sozialverhalten und positives Feedback zu Leistungen erteilen. Diese Feedbackformen wirken sich auf die soziale Akzeptanz auf Klassenebene aus (Wullschleger et al., 2020). Bekannt ist, dass sich Lehrkräfte in ihrem Feedbackverhalten unterscheiden (Rubie-Davies, 2007). Bisher nicht untersucht wurde, ob es Verhaltensmuster in Bezug auf Lehrkräftefeedback (z.B. viel negatives, wenig positives Feedback) gibt und wie solche Muster mit der sozialen Ablehnung von Lernenden und deren Prädiktoren zusammenhängen. Fragestellungen Lassen sich Verhaltenstypen in Bezug auf positives und negatives Feedbackverhalten von Lehrkräften identifizieren? Wie hängen diese Verhaltenstypen mit der sozialen Ablehnung Ende des Schuljahres und deren Prädiktoren, Sozialverhalten, Sprachkompetenzen und Leistungsniveau zusammen? Methode Durchgeführt wurde eine Studie mit 36 inklusiven Primarklassen (N = 709 Lernende, 24 erste Klassen, 12 altersgemischte Klassen) (t1 = Anfang Schuljahr; t2 = Ende Schuljahr). Alle Lehrkräfte setzten 21 standardisierte Fördereinheiten zur Ablösung vom zählenden Rechnen während 8 Monaten ein. In allen Klassen wurde die Umsetzung derselben Fördereinheit videografiert. Erhoben wurden folgende Daten: Sozialverhalten Lernende (t1): 6 Items der Subskalen Prosoziales und Kooperatives Verhalten durch jeweils vier Peers eingeschätzt (SOCOMP; Perren et al., 2012; 6 Items, Cronbach’s alpha = .93). Soziale Ablehnung (t2): Rating mit Smileys “Wie gerne spielst du mit A” (1 = = gar nicht gerne” bis 5 = = “sehr gerne”). Leistungsniveau (t1): Mathematikleistung Arithmetik (Eigenentwicklung) Feedbackverhalten: Codierung des öffentlichen Feedbacks an einzelne Lernende (Übereinstimmung Codierung Cohen’s Kappa ƙ = .81). Für die Analysen wurde die relative Häufigkeit positiver und negativer Feedbacks zum Sozialverhalten und zur Leistung pro Klasse berechnet. Analysen: Multigroup Strukturgleichungsmodelle Ergebnisse Positives Feedback zum Sozialverhalten (M = 0.002) sowie negatives Leistungsfeedback (M = 0.08) kamen nahezu nicht vor. Ausgehend vom Feedbackverhalten der Lehrkräfte wurden zwei Extremgruppen sowie eine Gruppe mit «durchschnittlichem» Feedbackverhalten gebildet: Lehrkräfte (SOZNEG), die viel (25. Perzentile) negatives Feedback zum Sozialverhalten gaben (11 bis 30% aller Feedbacks) und entsprechend weniger positive Leistungsfeedbacks erteilten (M = 74% aller Feedbacks); Lehrkräfte (LEISTPOS), die vor allem (25. Perzentile) positives Feedback (94-100% aller Feedbacks) und kaum negatives Feedback erteilten (M = 2% aller Feedbacks) und Lehrkräfte (AVG), die im Vergleich zu den anderen Gruppen durchschnittlich viele positive Leistungsfeedbacks (> 25. Perzentile; M = 84%) und negative Feedbacks zum Sozialverhalten (> 25. Perzentile, M = 5%) erteilten. Die Gruppen unterschieden sich nicht signifikant bezüglich Sozialverhalten und Leistungsniveau. In allen Gruppen war das Sozialverhalten ein signifikanter Prädiktor der sozialen Ablehnung. Nur in Klassen der Gruppe LEISTPOS war das Leistungsniveau ein signifikanter Prädiktor der sozialen Ablehnung. Das heißt, dass in Klassen, in denen das Lehrkräftefeedback 94 bis 100% positives Leistungsfeedback und durchschnittlich 2% negatives Feedback zu Sozialverhalten war, die Leistungen die soziale Ablehnung von Lernenden voraussagte. Sprachkompetenz war kein signifikanter Prädiktor. Die Ergebnisse weisen erstens darauf hin, dass es bestimmte Verhaltenstypen in Bezug auf Lehrkräftefeedback zu geben scheint. Es gibt Lehrkräfte, die mit den Kindern fast ausschließlich über Lerninhalt sprechen und kaum störendes Verhalten kommentieren. Zweitens scheint positives Leistungsfeedback im Vergleich zu negativem Feedback zu Sozialverhalten hinsichtlich der sozialen Ablehnung eine wichtige Rolle zu spielen. Im Symposium werden die Ergebnisse und Folgerungen für weitere Untersuchungen sowie die praktische Bedeutung der Erkenntnisse diskutiert. Lehrkraftfeedback, soziale Kompetenzen und soziale Ablehnung: Ein personenzentrierter Ansatz zur Identifizierung gefährdeter Lernender Theoretischer Hintergrund Positive Interaktionen in der Klasse sind von entscheidender Bedeutung für die sozio-emotionale Entwicklung von Kindern (Davis & Allen, 2023). Erfahren Lernende häufig negative Interaktionen oder Ablehnung in der Peergruppe, kann dies negative Auswirkungen haben (Ladd et al., 2017). Sowohl individuelle Faktoren, wie mangelnde soziale Kompetenzen, geringe Sprachkompetenzen (Grünigen et al., 2012) als auch Interaktionen mit den Lehrkräften können zu sozialer Ablehnung führen. Lernende, die oft negatives Feedback von ihrer Lehrkraft erhalten, erfahren mehr Ablehnung durch ihre Peers (Hendrickx et al., 2017; Spilles et al., 2023). Manche Kinder erhalten signifikant mehr negatives Feedback von ihren Lehrkräften als andere (Babad, 2009; Tenenbaum & Ruck, 2007). Das heißt, nicht alle Lernende sind im gleichen Ausmaß von negativen Interaktionen mit Lehrkräften und Peers betroffen. Um negative Entwicklungsverläufe zu verhindern ist es wichtig, Risikogruppen zu identifizieren. Im Gegensatz zu variablenzentrierten Ansätzen, die Zusammenhänge zwischen Variablen aufzeigen, ermöglichen personenzentrierte Ansätze Gruppen basierend auf Ähnlichkeiten in Bezug auf mehrere Variablen zu identifizieren. Fragestellungen Mit Daten aus teilstandardisierten Klassendiskussionen, in denen das Lehrkräftefeedback gegenüber einzelnen Lernenden erfasst wurde, wird folgende Forschungsfrageuntersucht: Welche Gruppen von Lernenden lassen sich anhand der Indikatoren Lehrkraftfeedback zu Sozialverhalten und Leistung, soziale Kompetenzen und soziale Ablehnung, identifizieren? Methode Die Daten wurden in 18 inklusiven Primarklassen (N = 358, 48 % Mädchen, 9 erste Klassen, 9 altersgemischte Klassen) am Anfang des Schuljahres erhoben. Die Lehrkräfte führten im Rahmen einer Intervention ein bis zwei Mal pro Woche ca. 15 Minuten eine Klassendiskussion zu regelmäßig stattfindenden Kooperationsaktivitäten durch. Der Ablauf der Diskussion und die Fragen waren vorgegeben (z.B. „Was habt ihr in der Kooperationsaktivität besonders an eurem Partner/eurer Partnerin geschätzt?“). In allen Klassen wurde eine Klassendiskussion videografiert. Die Lehrkräfte reagierten einerseits auf die Beiträge der Kinder, andererseits auf deren Sozialverhalten während der Diskussion. Erhoben wurden folgende Daten: Soziale Kompetenzen: Peerrating des prosozialen und kooperativen Verhaltens mit der Skala Self-and Other-Oriented Social Competences (Perren et al., 2012; α = .95 ). Sprachkompetenzen: Einschätzung der Lehrkräfte mit zwei Items («X versteht die deutsche Sprache im Schulalltag gut» und «X kann sich im Schulalltag in der deutschen Sprache gut ausdrücken») auf einer vierstufigen Likert-Skala (r =.85). Soziale Ablehnung: Peerrating mit Smileys “Wie gerne spielst du mit X?” (1 = „gar nicht gerne” bis 5 = „sehr gerne”). Lehrkraftfeedback: Codierung aller öffentlichen Feedbacks an einzelne Lernende (ƙ = .91) während der Klassendiskussion. Positives Feedback zum Sozialverhalten sowie negatives Leistungsfeedback kamen nahezu nicht vor. Für die Analysen wurde jeweils die relative Häufigkeit negativer Feedbacks zum Sozialverhalten und positiver Feedbacks zur Leistung pro Kind bezogen auf alle öffentlichen Feedbacks der Klasse berechnet. Analyse: Typenbildung erfolgte durch latente Profilanalyse mit den Indikatoren Lehrkraftfeedback zu Leistung und zu Sozialverhalten, soziale Kompetenzen sowie soziale Ablehnung. Multinomiale logistische Regressionsanalyse wurden eingesetzt, um Unterschiede zwischen den Gruppen in Bezug auf Gender und Sprachkompetenzen zu überprüfen. Ergebnisse Es wurden drei Gruppen von Lernenden identifiziert. In Gruppe 1 waren Lernende (15 %) mit den geringsten sozialen Kompetenzen. Sie erhielten am häufigsten negatives Feedback zu ihrem Sozialverhalten aber wenig positives Feedback, und wiesen einen hohen Ablehnungsstatus auf. Männliche Lernende mit geringen Sprachkompetenzen waren übervertreten. In den Gruppen 2 und 3 waren die Lernenden sozial kompetenter. Lernende in Gruppe 2 (23 %) wurden von den Peers signifikant weniger abgelehnt als in den anderen Gruppen und erhielten am häufigsten positives Feedback zu ihren Diskussionsbeiträgen. Die Lernenden der Gruppe 3 (62 %) wiesen durchschnittliche Ablehnungswerte auf und erhielten wenig positives oder negatives Feedback von der Lehrkraft. Zusammenfassend wurde eine Risikogruppe identifiziert mit niedrigen sozialen Kompetenzen, die überwiegend negative soziale Interaktionen mit Lehrkräften und Peers erlebt. Die Analysen zeigen auch, dass es vor allem Jungen mit geringen Sprachkompetenzen betrifft. Zu Bedeutung sozialer Ängste für den Zusammenhang von Lehrkraftfeedback und der Wahl sozialer Interaktionspartner*innen im Grundschulalter Theoretischer Hintergrund Ausgehend von der sozialen Referenzierungstheorie zeigen vergangene Experimental- und Feldstudien (Nicolay & Huber, 2021; Spilles, Huber, Nicolay, König & Hennemann, 2023), dass das Feedback von Lehrkräften die soziale Akzeptanz, die Schüler*innen durch ihre Mitschüler*innen erfahren, beeinflusst. Unklar ist bisher, entlang welcher Merkmale sich Schüler*innen darin unterscheiden, wie stark sie durch das Feedback von Lehrkräften beeinflusst werden. Konzeptionell lassen sich soziale Referenzierungsprozesse als funktional vergleichbar mit anderen sozialen Lern- und Beeinflussungsprozessen verstehen (Walle, Reschke & Knothe, 2017). In diesen Forschungskontexten konnte bereits gezeigt werden, dass soziale Ängste einen Einflussfaktor für Konformität und die Beeinflussbarkeit durch Peers darstellen (Bică, 2022; Cohen & Prinstein, 2006; Feng, Cao, Li, Wu & Mobbs, 2018). Fragestellungen Ausgehend vom Forschungsstand zur Peereinfluss- und Konformitätsforschung sowie den mit sozialen Ängsten assoziierten kognitiven Verzerrungen lassen sich zwei konkurrierende Hypothesen formulieren, wie soziale Unsicherheit den Zusammenhang zwischen Lehrkraftfeedback und sozialer Akzeptanz moderieren könnte: Erstens lässt sich aufgrund der bisherigen Forschungslage zu Peereinflussprozessen (Cohen & Prinstein, 2006; Feng et al, 2018) bzw. der Forschung zu Konformität (Bică, 2022) annehmen, dass sozial unsichere Schüler*innen generell stärker durch Lehrkraftfeedback beeinflusst werden, da ihre Furcht vor der Bewertung durch andere stärker ausgeprägt ist (Konformitätshypothese). Zweitens lässt sich vor dem Hintergrund der Befunde zu mit sozialen Ängsten verbundenen kognitiven Verzerrungen (Glazier & Alden, 2019; Kuckertz & Amir, 2014; Taylor, Bomyea & Amir, 2010) annehmen, dass sozial unsichere Schüler*innen stärker von positivem Lehrkraftfeedback und schwächer von negativem Lehrkraftfeedback beeinflusst werden, da sie negative Informationen stärker und positive Informationen schwächer und als weniger bedeutsam wahrnehmen (Biashypothese). Methode Die Stichprobe bestand aus 826 Dritt- und Viertklässler*innen, die im Rahmen einer Querschnittsuntersuchung befragt wurden. Die soziale Akzeptanz wurde über das soziometrische Ratingsverfahren mit dem Kriterium Sitznachbar*in erfasst (Cillessen, 2009) und im Anschluss dichotomisiert. An diese angelehnt, wurde die Menge an erhaltenem positivem und negativem Lehrkraftfeedback durch die Schüler*innen für jeweils jedes Kind der Klasse eingeschätzt. Soziale Ängste wurden mit der SASC-R-D (Melfsen, 1998) erfasst. Die Überprüfung der Hypothesen erfolgte mit generalisierten Mehrebenenmodellen. Die abhängige Variable soziale Akzeptanz liegt auf der untersten Ebene der Dyaden (Kind-Kind), die sowohl in den beurteilenden als auch den beurteilten Kindern genestet ist (gekreuzte zufällige Effekte). Diese wurde durch die unabhängigen Variablen wahrgenommenes positives und negatives Feedback (Dyaden-Ebene), soziale Ängste (Individual-Ebene) und die entsprechenden Cross-Level Interaktionen vorhergesagt. Ergebnisse Die Ergebnisse der Mehrebenenmodelle zeigen sowohl einen generellen Zusammenhang zwischen dem Feedback, das Schüler*innen gegenüber ihren Mitschüler*innen wahrnehmen und der sozialen Akzeptanz, die sie ihnen entgegenbringen (OR = 1.94, p < .001 bzw. OR = 0.81, p < .001) als auch Interaktionseffekte zwischen der Wahrnehmung von positivem und negativem Feedback und sozialen Ängsten. Eine höhere Ausprägung von sozialen Ängsten war hierbei mit einem geringeren Zusammenhang zwischen positivem Lehrkraftfeedback und sozialer Akzeptanz (OR = 0.88, p = .017) und einem höheren Zusammenhang (OR = 0.87, p = .005) zwischen negativem Lehrkraftfeedback und sozialer Akzeptanz assoziiert. Diskussion Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Schüler*innen mit zunehmender sozialer Unsicherheit bei der Wahl von Sozialkontakten negatives Lehrkraftfeedback stärker und positives Lehrkraftfeedback schwächer gewichten. In Bezug auf die zwei aufgestellten und aus empirischen Befunden der Peer- und Konformitätsforschung bzw. der Forschung zu sozialen Ängsten abgeleiteten konkurrierenden Hypothesen, sprechen die Ergebnisse gegen die Konformitäts- und für die Bias-Hypothese. Für Lehrkräfte ergibt sich hieraus die besondere Problematik, die im Rahmen des Vortrags diskutiert werden soll, dass eine Schüler*innengruppe, die von ihnen häufig nur schwer zu identifizieren ist (Melfsen, 1998), in besonderem Maße in der Wahl ihrer Sozialkontakte von negativem Lehrkraftfeedback beeinflusst wird. Dies wiegt umso schwerer, da diese Gruppe selbst eine geringere soziale Akzeptanz durch Mitschüler*innen erfährt (Weber, Nicolay & Huber, 2021). |
Datum: Dienstag, 19.03.2024 | |
10:30 - 12:10 | 4-06: Using person-centred approaches to examine intraindividual and interindividual differences in students’ motivational beliefs. Ort: H08 |
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Symposium
Using person-centred approaches to examine intraindividual and interindividual differences in students’ motivational beliefs. Previous research has shown that students’ motivational beliefs significantly impact their learning and achievement (Eccles & Wigfield, 2020). Understanding more about how these beliefs arise, and how they change over time is therefore an important goal for educational psychology. However, much of the previous research in the area has made use of variable-centred approaches. Although these approaches provide an understanding of how motivational beliefs typically develop or influence outcomes, they have some important limitations. Firstly, even though such studies typically report significant variance in levels of motivational beliefs or their development over time, they do not examine the different trajectories students can follow. Secondly, statistical constraints typically lead to these studies exploring the impact of motivational beliefs individually, limiting the extent to which we can know how different motivational beliefs might influence outcomes in tandem. Finally, although these studies can identify factors that predict developmental change, they cannot show how they relate to the probability of following specific developmental trajectories. To address these limitations, researchers are increasingly turning to person-centred approaches of analysis. The purpose of our symposium is to showcase these alternative approaches, and to answer the question: ‘How can person-centred approaches increase our theoretical understanding of intraindividual and interindividual differences in students’ motivational beliefs?’ Our proposed symposium brings together four studies that use different person-centred approaches to analyse motivational and/or emotion data collected from students in different national contexts, at different stages of schooling, and from different theoretical perspectives. The four studies include samples from England (paper 1), USA (paper 2), Germany (paper 3) and Finland (paper 4). With regards to the different approaches, paper 1 and paper 2 use two methods for exploring interindividual differences cross-sectionally, namely latent profile analysis (LPA) and latent class analysis (LCA) respectively. Paper 3 and paper 4 utilise two methods for exploring interindividual differences in intraindividual development longitudinally. More specifically, paper 3 uses latent transition analysis (LTA) with two waves of data, whilst paper 4 uses growth mixture modelling (GMM) with three waves of data. In terms of stage of schooling, the fours studies cover primary school (papers 1 and 2), middle school (paper 2), and early secondary school (papers 3 and 4). Finally, our studies show how these approaches can be adopted to explore motivational and emotional development from a variety of theoretical perspectives, including control-value theory (Pekrun, 2006; paper 1), the dual-factor model of mental health (Suldo et al, 2014; paper 2), situated expectancy value theory (Eccles & Wigfield, 2020; study 3) and dimensional comparison theory (Möller & Marsh, 2013; papers 3 and 4). Alongside all using person-centred approaches, the four studies also include similar covariates and/or outcomes. For example, two studies explore how gender relates to the likelihood of belonging to a particular profile (papers 1 and 3), whilst one study examines how gender is related to developmental change (paper 4). In terms of outcomes, papers 1, 2 and 3 all explore how class or profile membership relates to mathematics competence. Papers 2 and 3 additionally explore how class or profile membership relates to outcomes in language (e.g. German) as well. Thus, the combination of different approaches but similar research questions allow for a more nuanced understanding of the factors that might influence the development of multiple motivational beliefs simultaneously, or how different combinations of motivational beliefs might relate to outcomes, thereby increasing our theoretical understanding of motivational development. Together, the four studies demonstrate the theoretical and methodological added value of adopting person-centred approaches to explore both intraindividual and interindividual differences in motivational beliefs. Beiträge des Symposiums Profiles of Control, Value and Achievement Emotions in Primary School Mathematics Lessons Theoretical Background According to control-value theory (CVT, Pekrun, 2006), student emotions about their schoolwork (‘achievement emotions’) arise because of simultaneous and mutually reinforcing control and value appraisals. Although the theory proposes that distinct achievement emotions are related to certain combinations of control and value, it is less clear how these combinations of motivational beliefs relate to the experience of multiple domain-specific emotions. Furthermore, pleasant emotions (e.g., enjoyment) are proposed to positively, and unpleasant emotions (e.g., boredom) negatively, influence achievement via their impact on motivation and learning strategies. Yet it remains unclear how the experience of multiple emotions relates to competencies in a relevant domain. This is because previous research has typically adopted a variable-centred approach that examines average relations between control and value appraisals, discrete emotions, and achievement. Recent research in the field however suggests students may be heterogenous in their profiles of achievement emotions (e.g. Jarell et al., 2016; Tze et al., 2022), or achievement emotions and control and value appraisals (Parker et al., 2021), and that these profiles may relate differentially to achievement (Parker et al., 2021). The present study adopted a person-centred approach to build on this research and to answer the following two research questions: Research Questions 1. Are heterogenous profiles of control and value beliefs and achievement emotions found in a large sample of primary school students? 2. Do these profiles relate differently to mathematics test scores? Method Our sample comprised 883 primary school students (50% girls, mean age = 9.34 years, SD = .48) from 23 primary schools in England. Students sat a mathematics test in January (T1) and June (T3) of the school year, and provided self-reported control and value beliefs, and emotions (T2), approximately one week before T3 data was collected. Control was measured using 4 items from the Academic Self-Description Questionnaire II (Marsh, 1990). Subjective task value was measured using 12 items each from the Michigan Study of Adolescent Life Transitions scales (Eccles et al., 2005). Enjoyment, anxiety and boredom were measured using 4 items each from the Achievement Emotions Questionnaire – Mathematics Elementary Version (Lichtenfeld et al., 2012). Participants responded to all items on a 5-point Likert scale from 1 = strongly disagree to 5= strongly agree. Mathematics tests were worth 20 marks each. We conducted a latent profile analysis in Mplus v. 7 to examine the presence of heterogenous profiles of control and value beliefs and emotions in our sample. Results The 3-profile model was selected as the optimal model based on statistical fit indices, theoretical considerations and class size. Profile one (the ‘high enjoyment’ profile) comprised 52% of the sample and was characterised by high intrinsic value and enjoyment, and low boredom. Profile two (the ‘high boredom’ profile) comprised 12% of the sample and was characterised by low intrinsic value and enjoyment, and high boredom. Profile three (the ‘moderate’ profile) comprised 36% of the sample and was characterised by moderate levels of control, value, enjoyment, anxiety and boredom. We explored profile differences in mathematics test scores at T3, controlling for gender and mathematics test scores at T1. A Wald test indicated a main effect of profile on mathematics test scores, 𝜒2(2) = 25.596, p = <.001. Pairwise difference tests revealed that students in the ‘moderate’ profile had significantly lower mathematics test scores than students in the ‘high enjoyment’ profile (z = -4.344, p <.001). Higher levels of anxiety seemed to compensate for high boredom and low intrinsic value in the ‘high boredom’ group. Studying the impact of emotions and motivational beliefs in combination may be a fruitful area of future research. Profiles of Student Emotion as Predictive of Academic Achievement Theoretical Background Nearly 20% of school-aged children exhibit signs of significant mental health needs with this concern rising over the last several years since the pandemic (De France et al., 2022; Merikangas et al., 2016); however, few of these students are identified and receive timely intervention services. Mental health challenges that are left unaddressed can lead to long-term, negative outcomes for youth, including social problems (e.g., poor relations with peers; Hall‐Lande et al., 2007), increased behavioral concerns (e.g., aggressive behaviours; Taras et al., 2003), as well as substance abuse and school dropout (Perfect et al., 2016). Schools have become an ideal setting for both identifying and intervening for students with mental health concerns (Nemeroff et al., 2008). Screening tools offer benefits over more reactive methods such as teacher referrals, as they are proactive (i.e., regularly scheduled), predictive of salient long-term outcomes (e.g., academic performance), and encompassing complete mental health (i.e., assets and needs). The Dual-Factor Model of Mental Health (Suldo et al., 2014) posits that complete mental health consists of psychological strengths and the absence of psychological problems. As such, (screening) assessment tools should identify both strengths and weaknesses to accurately reflect which students need support. Research on these screeners has yielded promising psychometric evidence (Kilgus et al., 2016; von der Embse et al., 2017). However, schools are often forced to prioritize limited resources when identifying student complete mental health with screening tools. Research is needed to identify the grouping of students in different types (emotional, social) or intensities of need (low, medium, high) to allow for triaging of intervention supports. Evidence that these groupings are linked to socially valid outcomes such as academic performance, would be important to support these critical decisions. Research Questions The purpose of the present investigation is to (1) use latent class analysis (LCA) to identify classes of student emotional behavior and (2) if these classes are linked to student math and reading performance. Identified classes of need could lead to better utilization of limited school resources by aligning intervention to comorbid risk domains (e.g., academic and social risk; Iaccarino et al., 2018). Methods The current study attempts to resolve these gaps in the literature regarding student self‐report scales with a large sample of elementary and middle school‐aged students in the USA. A de-identified dataset was used and included students' responses on the Social, Academic, and Emotional Behavior Risk Screener (SAEBRS), which is a screening tool based on a dual-factor model of mental health (Kilgus & von der Embse, 2014). An LCA was used to identify latent risk classes of children with similar patterns of behaviour risk and to explore their impact on academic outcomes. Results Three distinct classes emerged as the best-fitting model for the SAEBRS scores, including Class 1 with low risk (46.8%), Class 2 with low-moderate risk (33.7%), and Class 3 with high risk (20.8%). Differences indicated significant variations in reading and math outcomes between the classes, with effect sizes ranging from small (-.24) to large (.81). Class 1 indicated higher reading and math scores than Class 2 and Class 3. Class 2 had slightly better reading scores than Class 3 but lower math scores. Overall, there is a statistically significant difference between math and reading outcomes and student emotions between the classes (p=0.000). These findings indicate that different combinations of psychological strengths and problems may relate to academic outcomes in different ways. Screening for students using comprehensive mental health screening tools may therefore be an effective option for offering targeted support. Stability and change in profiles of mathematics and German self-concept and intrinsic value: Relations to perceived teaching behaviours and competence. Theoretical background: Variable-centred studies have shown that students’ motivational beliefs, more specifically their expectancies of success and subjective task values, decline with age (e.g. Jacobs et al., 2002). Findings from research using person-centred approaches have shown, however, that there may be interindividual differences in time-related motivational change (e.g. Archambault et al., 2010). Situated expectancy-value theory (SEVT; Eccles & Wigfield, 2020) proposes that interindividual differences in level and change of motivational beliefs result from socialisation processes. These processes include the beliefs and behaviours of socialisers, such as teachers, which may be influenced by salient student characteristics, such as gender. Furthermore, whilst some students may have high or low levels of motivation across academic domains (Gaspard et al., 2019) others may have higher or lower motivation in some domains than others. According to dimensional comparison theory (DCT; Möller & Marsh, 2013), these domain-related differences arise due to the experiences in one domain influencing the development of expectancies and values in a contrasting domain. Although perceptions of teaching behaviour in one domain have been shown to be influenced by achievement in a contrasting domain (Arens & Möller, 2016), it is less clear how such comparisons relate to the interindividually different development of expectancies and values. Research Questions Accordingly, we used latent transition analysis to answer the following research questions: 1. Which profiles of mathematics and German motivation do students belong to in grades 5 and 6, and how stable is profile membership? 2. Are there grade 6 profile differences in mathematics and German competence, even when controlling for prior levels of competence? 3. How does gender and perceived teaching behaviour relate to grade 5 profile membership and transitions from grade 5 to grade 6. Methods Our sample comprised 721 secondary school students from Germany (54.6% female) who participated in the longitudinal study ‘Educational process, competence development and selection decisions in preschool and school age’ (BiKS 8-14, Artelt, Blossfeld, Faust, Roßbach & Weinert, 2013). Our study focused on data collected in wave 4 (grade 5) and wave 5 (grade 6). Mathematics and German self-concept and intrinsic value were measured using three items each from adapted versions of established scales (Baumert et al., 1997; Marsh, 1992). Students responded to all items on a 5-point Likert scale. Perceived teaching behaviour was measured using an established scale (Rakoczy, Buff, & Lipowsky, 2005). Students responded to all items on a 4-point Likert scale. German competence was assessed with 43 itemsin grade 5 and 31 items in grade 6. Mathematics competence was assessed using 44 items in grade 5 and 40 items in grade 6. We used latent transition analysis and the three-step approach to explore outcomes and covariates of profile membership. Results We selected the 5-class model as the best fitting model at both waves. In grade 5, girls were significantly more likely than boys to belong to a Low Motivation or High German profile than a Low Value profile. Perceived teaching behaviours related to the likelihood of profile membership in grade 5, but not transitions in grade 6. Students in the High German profile in grade 6 scored significantly lower in mathematics than German than students in the High Mathematics or Low Value profile in grade 6, even after controlling for prior competence. Students in the High Mathematics profile in grade 6 scored significantly higher in mathematics than German than students in the High Motivation profile. The findings indicate that perceived teaching behaviour in one domain is related to motivation and outcomes in the same and a contrasting domain, and that these motivational beliefs are relatively stable over time. Growth Trajectories of Self-Concept and Interest in Mathematics and Language – Individual Differences and Cross-Domain Relations Theoretical Background During secondary education, adolescents’ motivation seems to decline on average (Gaspard et al., 2020). Although this may reflect a mismatch between students’ needs and the secondary schools’ resources, general declines may also stem from increasing intraindividual differentiation in competence- and value-beliefs across domains (Möller et al., 2020; Wan et al., 2021). As adolescents become increasingly aware of their abilities and their interests become more specialized, they likely maintain high self-concept and interest in only a few domains, while disengaging from others. Yet, inter- and intraindividual differences in students' co-developmental processes of self-concept and interest across domains have rarely been studied. In addition, considering some consistent gender differences in both mathematics and L1, it seems relevant to investigate whether such dimensional comparison processes differ between genders. Research Questions This study aimed to examine: 1. what kinds of developmental trajectories of self-concept and interest in mathematics and L1 can be identified among adolescents across lower-secondary education, and 2. whether trajectories and cross-domain relations differ between genders. Methods 612 Finnish students were followed across Grades 7–9 (13 to 15-year-olds). Participation was voluntary, and informed consent forms were collected from the student’s parents. In Finland, lower secondary education spans from Grade 7 to Grade 9, after which the students can make an important decision about whether they opt for vocational or general upper secondary education. Students completed electronic questionnaires on their math and L1 self-concept and interest (Marsh, 1992) across four time points. The analyses started with confirming longitudinal measurement invariance for each construct. Next, a series of growth models were tested, comparing both linear and quadratic growth curves to confirm the best-fitting growth trajectory for each construct. Based on the models chosen in the first step, growth mixture models were applied to identify distinct motivational trajectories of math and L1 self-concept and interest across Grades 7–9. Lastly, multi-group growth models were used to compare growth trajectories and cross-domain relations between genders. Results The results revealed that students’ math and L1 motivation development was rather homogenous across grades 7–9, as a one-profile solution fitted the data best. Although variances were found in the overall levels of self-concept and interest in math and L1 (i.e., intercepts), no significant variances were found in the growth rates (i.e., slopes). The growth trajectories indicated that most students experienced a decline in both their math and L1 motivation, but interest and self-concept in math were levelled out by a positive quadratic trend towards the ninth grade. Nevertheless, these findings suggest that many experience challenges while simultaneously entering both early adolescence and lower secondary education, highlighting the importance of supporting students' motivation and well-being during this critical time period when several co-occurring changes take place and while they are making important decisions about their future. When a gendered multi-group growth model was applied, we found that there was a clear differentiation in girls' motivational beliefs across domains: they showed significantly higher L1 motivation as compared to math, whereas boys had similar levels of motivational beliefs across domains. Girls also engaged in more dimensional comparison processes, as we identified several negative cross-domain relations among girls that were not identified among boys. This, coupled with prevailing gender stereotypes, may be harmful in some cases. It could, for example, unnecessarily hinder some from engaging in and aspiring for math-related educational and career alternatives, despite having high performance in math. These findings should be considered in schools while supporting students’ motivation and goal setting, and, while planning targeted interventions to, for example, support girls' relatively low motivation in math. |
13:10 - 14:50 | 5-06: Motivation im Hochschulkontext: Interindividuelle und situationsspezifische Variabilität von Erwartungen und subjektiven Werten und deren Zusammenhängen mit Studienerfolgsindikatoren Ort: H08 |
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Symposium
Motivation im Hochschulkontext: Interindividuelle und situationsspezifische Variabilität von Erwartungen und subjektiven Werten und deren Zusammenhängen mit Studienerfolgsindikatoren Leistungsbezogene Motivationen spielen eine bedeutsame Rolle für Entscheidungsprozesse und Erfolg im Studium (Schneider & Preckel, 2017). So prägt die Motivation nicht nur das momentane Lernverhalten von Studierenden, sondern beeinflusst auch längerfristige akademische Entscheidungen, wie die Studienfachwahl oder die Entscheidung zum Studienabbruch (z.B. Fleischer et al., 2019; Gaspard et al., 2019). Daher sollte sowohl im Sinne der Partizipation an Bildung als auch im Sinne der Steigerung des Studienerfolgs (Neugebauer et al., 2021) die Motivation der Studierenden im Hochschulkontext eingehender betrachtet werden. Etablierte Theorien der Leistungsmotivation wie die Erwartungs-Wert-Theorie (Eccles et al., 1983) beschreiben die Entstehung und Entwicklung der Motivation von Lernenden dabei als komplexe Prozesse. Gemäß der Erwartungs-Wert-Theorie entsteht Motivation auf Basis von subjektiven Erfolgserwartungen („Kann ich das?“) und subjektiven Wertüberzeugungen („Will ich das?“). Diese interagieren dabei allerdings nicht nur miteinander, sondern werden zusätzlich durch persönliche und situationsspezifische Faktoren wie beispielsweise durch die spezifischen Inhalte in einer Lernsituation oder den sozialen und akademischen Kontext geprägt (Eccles, 2022). Die Relevanz der Hinzunahme dieser intraindividuellen wie situativen Aspekte zeigt sich in jüngsten theoretischen Entwicklungen. Mit der Umbenennung der Theorie in situative Erwartungs-Wert-Theorie (SEVT, Eccles & Wigfield, 2020) betonen Eccles und Wigfield die Notwendigkeit der Untersuchung von Fragestellungen, die Aussagen darüber erlauben, wie persönliche und situative Merkmale intra- und interindividuelle motivationale Unterschiede und Entwicklungsverläufe prägen und wie sich diese im Zusammenspiel auf den Studienerfolg sowie akademische Entscheidungen auswirken. Allerdings gibt es bisher vergleichsweise wenige Studien, die diese situative Perspektive auf die Motivation von Lernenden in spezifischen Lernkontexten berücksichtigen (z.B. Dietrich et al., 2017). Zudem gibt es im Vergleich zum Schulkontext weniger Forschung im Hochschulkontext, sodass unklar bleibt, inwiefern bisherige Befunde bezüglich der Bedeutsamkeit sowie postulierte Prozesse von Erwartungen und Werten für Bildungsentscheidungen und akademische Leistungen über verschiedene Kontexte generalisierbar sind. Das vorliegende Symposium beschäftigt sich daher mit inter- und intraindividuellen Unterschieden in Erwartungs- und Wertüberzeugungen von Lernenden im Hochschulkontext und fokussiert dabei auf (1) Interaktionsprozesse zwischen persönlichen und situations- bzw. kontextspezifischen Faktoren bei der Genese von Erfolgserwartungen und subjektiven Werten (Beiträge 1&2) sowie (2) der Rolle von Erfolgserwartungen und subjektiven Werten sowie deren Interaktion in der Vorhersage von Studienerfolgsindikatoren und Studienabbruchtendenzen (Beiträge 3&4). Die vier Beiträge erweitern und ergänzen bisherige Forschungsergebnisse auf Basis der SEVT im Hochschulkontext, indem sie unterschiedliche Forschungsdesigns nutzen und dabei sowohl situations- und kontextspezifische als auch globale und fachspezifische Erwartungs- und Wertüberzeugungen von Studierenden betrachten. In Beitrag 1 werden die situations- und kontextspezifische Variabilität des Fähigkeitsselbstkonzepts (als Proxy der Erwartungskomponente) und der subjektiven Werte in einer Testsituation im Studium sowie interindividuelle und situationsspezifische Faktoren untersucht, die zu dieser Variabilität beitragen. Beitrag 2 stellt mit intensiven Längsschnittdaten, die mittels Experience-Sampling erhoben wurden, neue Methoden vor, die zur Untersuchung der Entwicklung von Stabilität und Variabilität von Erwartungs- und Wertüberzeugungen genutzt werden können, insbesondere in der für Studienerfolg besonders kritischen Phase des ersten Studienjahres, in der Motivationsveränderungen wahrscheinlich sind. Beitrag 3 beschäftigt sich mit der Relevanz von Interaktionseffekten zwischen Erfolgserwartungen und subjektiven Werten in der Vorhersage von Studienabbruchintentionen. Dabei wird insbesondere die Relevanz des Kontextes im Vergleich der Ergebnisse mit bisherigen Studien zu Erwartungs-mal-Wert-Interaktionen im schulischen Kontext herausgearbeitet. Zuletzt untersucht Beitrag 4 im Sinne individueller Werthierarchien interindividuelle Unterschiede in der Bedeutsamkeit verschiedener Erwartungs- und Wertkomponenten in der Vorhersage von Studienerfolgskriterien sowie Studienabbruchsintentionen. Das Symposium wird wie folgt gestaltet: Die Chairs werden zunächst das Thema des Symposiums und die präsentierenden Autor*innen vorstellen. Die Vortragenden haben dann jeweils etwa 17 Minuten Zeit für die Vorstellung ihrer Beiträge, gefolgt von 2 Minuten für Verständnisfragen. Im Anschluss wird unser Diskutant mit Expertise im Bereich der Motivationsforschung die einzelnen Beiträge diskutieren (ca. 15 Minuten). In den übrigen 10 Minuten wird es die Gelegenheit zu einer offenen Diskussion geben. Beiträge des Symposiums Die Bedeutung der Situation in der Erwartungs-Wert-Theorie: Kreuzklassifizierte Analysen zur testspezifischen Motivation von Studierenden in MINT-Fächern Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Der erwartete Erfolg und subjektive Werte in Bereichen wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) sind gemäß der situativen Erwartungs-Wert-Theorie (SEVT, Eccles & Wigfield, 2020) bedeutsame Prädiktoren für akademische Leistungen und Entscheidungsprozesse von Studierenden, beispielsweise bezüglich des investierten Aufwands in spezifische Lerninhalte oder der Wahl eines MINT-Studiengangs im Allgemeinen. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass fachspezifische Erwartungen und Werte über vergleichsweise kürzere Zeiträume, wie etwa ein Semester, sowie über verschiedene Lernsituationen und Themen hinweg stark variieren können (z.B. Dietrich et al., 2017). Ein Absinken dieser motivationalen Überzeugungen, insbesondere in anspruchsvollen Veranstaltungen zu Studienbeginn, kann dabei ein Warnzeichen für spätere Leistungsprobleme und Studienabbruchstendenzen darstellen (z.B. Benden & Lauermann, 2022). Warum sind manche Studierende anfälliger für solche Motivationsverluste, insbesondere in MINT-Veranstaltungen? Einzelne Studien deuten auf situationsspezifische Faktoren wie beispielsweise Leistungsfeedback als zentrale Einflussfaktoren hin (Benden & Lauermann, 2022). Allerdings gibt es bisher kaum Studien, die die Bedeutung situationsspezifischer Merkmale sowie mögliche Interaktionseffekte zwischen situationsspezifischen und persönlichen Merkmalen der Studierenden für diese motivationale Variabilität untersucht haben (Eccles, 2022). Dieser Beitrag untersucht daher die Rolle von situationsspezifischen (z.B. Aufgabenschwierigkeit) und persönlichen (z.B. Geschlecht, Schulleistungen) Merkmalen sowie deren Interaktion in der Vorhersage von situationsspezifischen Erwartungs- und Wertüberzeugungen von Studierenden in einer Testsituation im Studium. Methode Die Stichprobe umfasste 3.213 MINT-Studierende, die im Rahmen von Einführungsveranstaltungen einen landesweiten Mathematiktest zu den inhaltlichen Voraussetzungen für MINT-Studienfächer bearbeiteten. Ein Multi-Matrix-Design mit 22 Booklets, die per Zufall verteilt wurden, wurde genutzt (45-60 Min. Testzeit). Studierende bearbeiteten Schnittmengen der 11 Inhaltsbereiche des Tests (z.B. Differentialrechnung, Trigonometrie). Die Booklets enthielten vier Abschnitte, wobei jeder Abschnitt Aufgaben aus einem Inhaltsbereich enthielt. Nach jedem Abschnitt beantworteten die Studierenden Fragen zu ihren Fähigkeitsselbstkonzepten (Erwartungskomponente in SEVT) und zu subjektiven Werten (Wertkomponente in SEVT) bezüglich der Mathematikaufgaben des bearbeiteten Abschnitts. Zur Berücksichtigung der genesteten Datenstruktur der motivationalen Überzeugungen für jeden Testabschnitt (L1) innerhalb der Studierenden (L2a) und der Inhaltsbereiche des Tests (L2b), wurden die Daten mittels kreuzklassifizierter Modelle analysiert. Zunächst wurden die Varianzanteile der motivationalen Überzeugungen auf den verschiedenen Ebenen geschätzt. Die prädiktiven Effekte von persönlichen Merkmalen (Geschlecht, letzte Mathematiknote und der Besuch eines Mathematikleistungskurses), situationsspezifischen Merkmalen (Testleistung, Aufgabenschwierigkeit, bearbeitete Testinhalte im zugewiesenen Booklet) und ihren Interaktionen wurden anschließend getestet. Ergebnisse Die Analysen unterstreichen die Bedeutung von situationsspezifischen Faktoren sowie Interaktionseffekten zwischen situationsspezifischen und persönlichen Merkmalen bei der Entstehung situationsspezifischer Erwartungs- und Wertüberzeugungen der Lernenden (Eccles, 2022). Ein Großteil der Variabilität der motivationalen Überzeugungen ist dabei auf Unterschiede zwischen den Studierenden zurückzuführen (57%-61%), während die Unterschiede zwischen den Inhaltsbereichen des Tests geringer ausfielen (3%-9%). Männliche Studierende und Studierende mit besseren schulischen Mathematikleistungen und Mathematikleistungskurs hatten signifikant höhere situationsspezifische Fähigkeitsselbstkonzepte und subjektive Werte (R²=3%-42% auf Lernendenebene). Diese Unterschiede blieben bestehen, wenn die situationsspezifische Testleistung kontrolliert wurde (ΔR²=2%-10%). Folglich ging die Qualität früherer Lernerfahrungen und Mathematikleistungen mit höherer Motivation der Studierenden einher, unabhängig von ihrer tatsächlichen Testleistung. Weibliche Studierende hatten zudem selbst unter Kontrolle schulischer Mathematikleistungen und Testleistung ein geringeres Selbstkonzept. Unabhängig von ihrer objektiven Testleistung sind weibliche Studierende und Studierende mit negativen Vorerfahrungen in Mathematik folglich vergleichsweise anfälliger für Motivationsverluste in neuen akademischen Kontexten. Auf der Inhaltsebene erwies sich die Aufgabenschwierigkeit als bedeutsamer Prädiktor der testspezifischen Motivation der Studierenden (R²=17%-67% auf Inhaltsebene). Zudem zeigten sich signifikante Interaktionseffekte zwischen der Aufgabenschwierigkeit und persönlichen Merkmalen der Studierenden: Der negative Effekt der Aufgabenschwierigkeit auf die testspezifische Motivation der Studierenden war signifikant größer für Studierende, die Mathematik als Grundkurs belegt und somit weniger Lerngelegenheiten mit den getesteten Inhalten in der Schule hatten. Gezielte Motivationsfördermaßnahmen für weibliche Studierende und Studierende mit weniger Lerngelegenheiten sind – möglicherweise bereits vor Studienbeginn – notwendig, da diese Studierenden ihr situationsspezifisches Selbstkonzept und ihre subjektiven Werte unabhängig von ihrer tatsächlichen Leistung eher negativ interpretieren. Die Dynamik der Studienmotivation: Individuelle Veränderungen und Stabilisierungsprozesse der Motivation im Semesterverlauf Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Die Veränderung akademischer Motivation im Hochschulstudium ist zentral für den Lernerfolg von Hochschulstudierenden. Obwohl die situative Erwartungs-Wert-Theorie (SEVT) nach Eccles und Wigfield (2020) Aussagen über Motivation in konkreten Lernsituationen trifft, untersuchen wenige Studien die Situationsebene (Gaspard et al., 2015). Um diese Forschungslücke zu adressieren, fokussiert das auf Dynamischen Systemtheorien basierende DYNAMICS-Modell (Moeller et al., 2022) die kurzfristige Entwicklung von einer Lernsituation zur nächsten auf Ebene motivationaler State-Prozesse und deren Zusammenhänge mit langfristig stabileren motivationalen Dispositionen. State-Prozesse beschreiben einerseits relativ stabile Muster wiederkehrender Erlebenszustände (z.B. häufige Langeweile in der Vorlesung) oder Kontingenzen (z.B. häufige Langeweile infolge geringen Werterlebens). State-Prozesse können sich andererseits hinsichtlich ihrer Häufigkeit oder rekursiven Zusammenhänge verändern. Beispielsweise kann Interesse in einer Lernsituation zu stärkerer Anstrengung führen, dadurch einen Lernerfolg auslösen, woraufhin verstärktes Interesse in der nächsten Lernveranstaltung folgt. Das stabiler werdende Interesse wäre Ausdruck eines emergenten Prozesses (Hidi & Renniger, 2006). Operational werden emergente Prozesse als Prozesse definiert, deren Parameter sich über die Zeit verändern. Die vorliegende Studie untersucht bei Studierenden im ersten Studienjahr, inwieweit motivationale State-Prozesse im Semesterverlauf zunehmend stabiler werden (Forschungsfrage 1). In diesem Kontext untersuchen wir zudem, welche statistischen Methoden bzw. Parameter für die Beschreibung zunehmender Stabilität am besten geeignet sind (Forschungsfrage 2). Dazu werden verschiedene statistische Maße für Stabilität identifiziert und verglichen, welche Stabilitätskennwerte welche Schlussfolgerungen hinsichtlich der angenommenen Zunahme von Stabilität zulassen. Methode Mittels Experience-Sampling-Methode wurden Daten von N=7 Studierenden im 2. Fachsemester ihres Psychologiestudiums (n=6 Bachelor, n=1 Master, 100% weiblich, M_Alter=20) erhoben. Die Studierenden wurden über den Verlauf eines Semesters hinweg (~11 Wochen, 45-282 MZP/Person) via Smartphone-App in ihren wöchentlich stattfindenden Lehrveranstaltungen zu ihren motivationalen States befragt. Aufseiten der positiven Aufgabenwerte wurden intrinsischer Wert der aktuellen Aufgabe bzw. des aktuellen Lerninhalts („Das, was gerade besprochen wurde, habe ich gern gemacht“, 1=überhaupt nicht gern bis 5=sehr gern), dessen Wichtigkeit und Nützlichkeit, und aufseiten der negativen Kostenwerte die aktuellen Anstrengungskosten eingeschätzt (adaptiert nach Dietrich et al., 2017). Die Erwartungskomponente wurde über eine aktuelle Kompetenzeinschätzung operationalisiert („Ich fühle mich gerade… 1=stark inkompetent bis 5=sehr kompetent“). Auf Basis von Zeitreihenanalysen über Einzelpersonen und drei Variabilitätsmaßen (Dejonckheere et al., 2019) überprüfen wir folgende Annahmen: (1) Zunehmende Stabilität drückt sich darin aus, dass die Variabilität motivationaler States kleiner wird. Die Varianz in den Zeitreihen sollte sich damit über die Zeit verringern. (2) Zunehmende Stabilität drückt sich darin aus, dass Vorhersagestärke von einem Messzeitpunkt zum nächsten (Parameter: Autokorrelation) über die Zeit größer wird. (3) Zunehmende Stabilität drückt sich darin aus, dass die Fluktuationen von einem zum nächsten Messzeitpunkt über die Zeit kleiner werden (Parameter: Mean-Square-Successive-Difference, MSSD). Wir prüfen diese Annahmen mittels rollierender, also sich über eine Zeitreihe verändernder, Parameter. Ergebnisse Erste Ergebnisse liegen auf Basis von Kernel-Change-Point-Detection-Analysen für (1) die Annahme sinkender Variabilität vor (R-Paket „kcpRS“, Cabrieto et al., 2022). Die Ergebnisse zeigen sinkende Varianzen für jeweils 3 von 7 Personen für den Nützlichkeitswert und für die momentane Erwartung. Für den intrinsischen und den Wichtigkeitswert fand sich jeweils nur bei einer Person eine sinkende Varianz. Bei den momentanen Anstrengungskosten fand sich entgegen unserer Annahme bei einer Person sogar eine steigende Varianz. Weitere Ergebnisse werden es aufgrund der Länge der erfassten Zeitreihen erlauben, die Dynamiken und Entwicklungsprozesse von alltäglichen Erwartungs-Wert-Erlebnissen stärker in die Tiefe zu verstehen als es in bisherigen Feldstudien möglich war. Zukünftige Studien werden mit größeren Stichproben hierauf aufbauen können, um über Einzelfälle hinaus Schlussfolgerungen zu generieren. Grundsätzlich kann das Modellieren motivationaler Verläufe und Mikroprozesse nach Studienstart dazu beitragen zu identifizieren, wie sich motivationale Dispositionen wie Selbstkonzept oder Interesse verfestigen. Es könnte auch dazu dienen zu ermitteln, welche Studierenden beispielsweise einen Risikoverlauf für Studienabbrüche nehmen, um zur richtigen Zeit passende Unterstützungsangebote geben zu können. Erwartungs-Wert-Interaktionen im Hochschulkontext: Können hohe Wertüberzeugungen geringe Erfolgserwartungen kompensieren? Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Erfolgserwartungen und Wertüberzeugungen sind wichtige Prädiktoren für ein erfolgreiches Studium und gute akademische Leistungen (Eccles & Wigfield, 2020; Schnettler et al., 2020). In den vergangenen Jahren legten Studien aus dem Schulkontext zudem nahe, dass auch Erwartungs-Wert-Interaktionen einen Einfluss auf Leistung und Verhalten von Schülerinnen und Schülern haben können (Meyer et al., 2019; Nagengast et al., 2011; Trautwein et al., 2012). Da sich Erwartungen und Werte aber gerade in der Übergangsphase zwischen Schule und Universität erheblich verändern können (Benden & Lauermann, 2022; Fredricks & Eccles, 2002; Lee et al., 2022), benötigt es Forschung, die Erwartungs-Wert-Interaktionen im Hochschulkontext untersucht. Damit könnten kontextspezifische Unterschiede in Erwartungs-Wert-Interaktionen identifiziert werden, was letztendlich dabei helfen soll Leistung und Verhalten von Studierenden besser zu verstehen. Differenziertere Informationen zu interindividuellen Unterschieden könnten beispielsweise dazu beitragen, vom Abbruch gefährdete Studierendengruppen zu erkennen und dadurch Ansatzpunkte für gezieltere Hilfestellungen eröffnen. Mit Bezug darauf untersucht diese Studie den Zusammenhang von Erwartungen, Werten sowie Erwartungs-Wert-Interaktionen und Studienabbruchsabsichten im Hochschulkontext. Methode Daten von N = 1140 Studierenden der Geistes- und Sozialwissenschaften wurden dazu mit Hilfe latent moderierter Strukturgleichungsmodelle (LMS) und dreidimensionalen Response Surface Plots analysiert. Das Durchschnittsalter der Studierenden lag bei 23.50 (SD = 5.05) Jahren und 68.86 % der Studierenden identifizierten sich als weiblich. Wertüberzeugungen wurden dabei multidimensional durch den intrinsischen Wert, die berufliche Nützlichkeit, die Wichtigkeit guter Leistungen, der emotionalen Kosten, Anstrengungskosten und Opportunitätskosten mit jeweils drei Items pro Konstrukt erhoben (Schnettler et al., 2020). Die Studienabbruchsabsicht wurde dabei als Absicht das Studium abzubrechen oder das Studienfach zu wechseln anhand von vier Items erhoben (Dresel & Grassinger, 2013). Als Kontrollvariablen wurden Alter, Geschlecht, First-Generation Status und der bisherige Notendurchschnitt im Studium verwendet. Ergebnisse Unsere Ergebnisse zeigen neben den Haupteffekten signifikante Interaktionen zwischen Erwartungen und dem intrinsischen Wert (positiv, β = .135), der beruflichen Nützlichkeit (positiv, β = .168), der emotionalen Kosten (negativ, β = .201), der Anstrengungskosten (negativ, β = .251) und Opportunitätskosten (negativ, β = .151) in der Vorhersage von Studienabbruchabsichten. Die dazugehörigen Response-Surface-Plots deuten auf eine kompensatorische Interaktion zwischen Erwartungen und Werten hin (im Zusammenhang zur Abbruchsabsicht). Hohe Wertüberzeugungen und niedrige Kosten konnten eine niedrige Erfolgserwartungen bis zu einem gewissen Grad kompensieren. Ebenso konnten hohe Erwartungen die negativen Auswirkungen von niedrigen Wertüberzeugungen und hohen Kosten abfedern. Waren jedoch sowohl die Erwartungen als auch die Wertüberzeugungen niedrig (oder die Kosten hoch), zeigten Studierenden besonders hohe Studienabbruchabsichten. Alles in allem zeigt sich, dass Erwartungs-Wert-Interaktionen auch im Hochschulkontext von Relevanz sind und deshalb in zukünftigen Studien Berücksichtigung finden sollten. Unsere Ergebnisse legen zudem nahe, dass Hochschuleinrichtungen zusätzliche Aufmerksamkeit auf Studierende legen sollten, die nur einen geringen Wert in ihrem Studium sehen und gleichzeitig nicht erwarten, es erfolgreich abzuschließen. Diese Gruppe von Studierenden zeigt Abbruchsabsichten, die weit über die individuellen Effekte geringer Erwartungen und Werte hinausgehen und durch die Interaktion beider motivationaler Komponenten stärker sind, als in vorangegangenen Studien angenommen. Bemerkenswert ist außerdem, dass in bisherigen Studien aus dem Schulkontext meist Interaktionseffekte mit entgegengesetzter Wirkrichtung gefunden wurden (Guo et al., 2016; Meyer et al., 2019; Nagengast et al., 2011; Trautwein et al., 2012): Dort deuten Ergebnisse auf synergistische Interaktionen hin. Demnach reichen hohe Wertüberzeugungen nicht aus, um niedrige Erwartungen auszugleichen und resultieren in geringeren Leistungen (und umgekehrt). Im Gegensatz dazu sind Leistungen besonders hoch, wenn sowohl Erwartungen als auch Werte hoch sind. Insgesamt finden sich in beiden Bildungskontexten signifikante Erwartungs-Wert-Interaktionen, der Zusammenhang zu verschiedenen Erfolgsfaktoren scheint aber nicht zwingend verallgemeinerbar. Ein möglicher Grund dafür könnte beispielsweise sein, dass Wertevorstellungen im Hochschulkontext stärker ausgebildet und deutlich proximaler sind, da erste berufsbezogenen Entscheidungen (z.B. Fach, Berufsorientierung) bereits getroffen wurden. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Die Relevanz individueller Bedeutsamkeit und Erfülltheit verschiedener studienbezogener Erwartungen und Wertüberzeugungen für Studienerfolg Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Die Sicherstellung und Steigerung des Studienerfolgs im Sinne hoher Studienzufriedenheit und niedrigen Abbruchquoten (van der Zanden et al., 2019) stellt ein gesellschaftlich wichtiges Thema dar (Neugebauer et al., 2021). Ein wesentlicher Genesefaktor für Studienerfolg ist optimale Studienmotivation (Schneider & Preckel, 2017). Studienmotivation aufgefasst als studienbezogene Handlungsmotivation entsteht gemäß der situativen Erwartungs-Wert-Theorie (SEVT; Eccles & Wigfield, 2020) im Zusammenspiel aus subjektiven Erfolgserwartungen (“Wird es mir gelingen im Studium erfolgreich zu sein?“) und subjektivem Wert des Studiums („Wofür studiere ich?“). Der subjektive Wert wird dabei in positive (z.B. intrinsischer Wert, Nützlichkeit) und negative (Kosten) Komponenten unterschieden. Gemäß der SEVT können diese Komponenten kontextspezifisch weiter ausdifferenziert werden und sich in ihrer Bedeutsamkeit zwischen Personen unterscheiden (vgl. Gaspard et al., 2015; hierarchy of STVs, Wigfield et al., 2021). So wird im Kontext der Studienwahl zwischen intrinsischer, extrinsisch-materialistischer, extrinsisch-sozialer, bewältigungsorientierter und sozial-induzierter Studien(wahl)motivation unterschieden (Janke et al., 2023). Die intrinsische Motivation und bewältigungsorientierte Motivation leiten sich direkt aus der SEVT ab, aus dem intrinsischen Wert und den Kosten. Die Nützlichkeit der SEVT wird in Nützlichkeit hinsichtlich des gesellschaftlichen Ansehens (extrinsisch-materialistisch) und hinsichtlich der Vereinbarkeit des Studienfachs mit Zeit mit sozialen Kontakten (extrinsisch-sozial) unterschieden. Die sozial-induzierte Studien(wahl)motivation stellt eine Erweiterung der SEVT dar und beschreibt die Konformität des Studienfachs mit den Vorstellungen anderer nahestehender Personen (Janke et al., 2023). Bislang gibt es zahlreiche empirische Studien, die auf interindividueller Ebene positive Zusammenhänge zwischen Erwartung und positiven Wertkomponenten mit Studienerfolg belegen (bspw. Robinson et al., 2019). Allerdings lässt die bisherige Forschung die Annahme außer Acht, dass Unterschiede in der Erfülltheit dieser motivationalen Komponenten, sowie deren persönliche Bedeutsamkeit für verschiedene Personen miteinander interagieren und motiviertes Handeln erklären können (Wigfield et al., 2021). Dies lässt sich aus der Person-Umwelt-Passung-Theorie ableiten, wonach eine Übereinstimmung zwischen den Merkmalen einer Person und den Merkmalen der Umgebung zu mehr Erfolg führt (z.B. Edwards & Shipp, 2007; Le et al., 2014). Übertragen auf den Studienkontext mündet dies in die Vorhersage, dass der Einfluss der Erfülltheit bestimmter Werte und Erwartungen im Studium (Umwelt) für den individuellen Studienerfolg davon abhängen sollte, ob das Individuum diesen Aspekten auch persönliche Bedeutsamkeit zuschreibt (Person). Zusammenfassend nehmen wir basierend auf der SEVT an, dass die Erfüllung verschiedener Komponenten der Motivation (intrinsisch, extrinsisch-materialistisch, extrinsisch-sozial, bewältigungsorientiert, sozial-induziert) zu höherem Studienerfolg (höhere Studienzufriedenheit, höhere Studienwahlsicherheit, geringere Studienabbruchintention) führt. In Kombination mit der Theorie der Person-Umwelt-Passung erwarten wir weiterhin, dass dieser Zusammenhang mit zunehmender persönlicher Bedeutsamkeit der jeweiligen Komponente der Studienmotivation stärker wird. Methode Diese Hypothesen wurden mit Hilfe einer Befragungsstudie getestet, an welcher 457 Psychologiestudierende (M_Alter=22.0, 83.2% weiblich, 1.7% divers) teilnahmen. Dabei beantworteten sie zunächst Fragen sowohl zur persönlichen Bedeutsamkeit als auch zur wahrgenommenen Erfülltheit verschiedener Komponenten von Studienmotivation (intrinsisch, extrinsisch-materialistisch, extrinsisch-sozial, sozial-induziert, bewältigungsorientiert). Anschließend wurde ihre Studienzufriedenheit, -sicherheit und -abbruchintention erfasst. Zur Analyse der Daten wurde eine multiple multivariate moderierte Regression gerechnet, in welcher im ersten Schritt die Erfülltheit der fünf Komponenten der Studienmotivation eingefügt wurden, im zweiten Schritt die persönliche Bedeutsamkeit der Komponenten und im letzten Schritt die fünf Interaktionsterme zwischen jeweils der Erfülltheit und Bedeutsamkeit jeder motivationalen Komponente. Ergebnisse Die multivariaten Ergebnisse zeigten, dass eine höhere Erfülltheit an intrinsischer Studienmotivation und an sozial-induzierter Studienmotivation mit größerem Studienerfolg einhergingen. Für intrinsische und bewältigungsorientierte Studienmotivation verstärkten sich die Zusammenhänge zwischen deren Erfülltheit und Studienerfolgsindikatoren, je höher die persönliche Bedeutsamkeit dieser Komponente der Studienmotivation von den Studierenden eingeschätzt wurde. Die Ergebnisse dieser Studie geben erste Hinweise darauf, dass die Zusammenhänge der Erfülltheit verschiedener motivationaler Komponenten mit Studienerfolg nicht personenübergreifend einheitlich wirken, sondern von deren persönlicher Bedeutsamkeit abhängig sind (Eccles, 2022). Dieses Wissen ist zentral, um beispielsweise motivationsförderliche Maßnahmen zielgerichtet passend für spezifische Personen anzuwenden. Limitationen und zukünftige Forschungsperspektiven werden diskutiert. |
15:20 - 17:00 | 6-06: Voreingenommenheit von Lehrkräften: Veränderbarkeit und Intervention Ort: H08 |
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Symposium
Voreingenommenheit von Lehrkräften: Veränderbarkeit und Intervention In Deutschland sind Schulleistung und Bildungserfolg weiterhin von herkunftsbezogenen Unterschieden charakterisiert (Reiss et al., 2019). Zwar sind Lehrkräfte laut Schulgesetz dazu verpflichtet, Schüler*innen unabhängig von ihrer Herkunft zu behandeln, jedoch zeigt eine Vielzahl an Studien, dass die Einschätzungen von Lehrkräften durch Merkmale der Lernenden abseits ihrer Leistung verzerrt sein können. Dazu zählt unter anderem die ethnisch-kulturelle Herkunft der Schüler*innen (Lorenz et al., 2016; Bonefeld et al., 2017; Nishen & Kessels, 2022). Aktuelle Forschung beschäftigt sich vorwiegend mit dem Nachweis und der Betrachtung von Ursachen für diese Verzerrungen und konnte bisher zeigen, dass unter anderem die Stereotype der Lehrkräfte die Bewertung von akademischer Leistung sowie das Verhalten der Lehrkräfte gegenüber Schüler*innen aus ethnisch-kultureller Minderheiten beeinflussen können (Kleen & Glock, 2018; Bonefeld & Dickhäuser, 2018; Tobisch & Dresel, 2017). Nachdem der Einfluss von Lehrkraftstereotypen in unterschiedlichen Bereichen aufgezeigt werden konnte, wird vielfach über Möglichkeiten der Intervention diskutiert (Glock, 2022). Es mangelt bislang allerdings an Forschungsarbeiten, die sich mit Ansatzpunkten für oder der Wirksamkeit von Interventionen beschäftigen, die (angehende) Lehrkräfte in diesem Bereich sensibilisieren könnten. Hierbei stellt sich neben der Wirksamkeitstestung verschiedener Interventionsansätze zunächst die Frage nach der generellen Veränderbarkeit von Stereotypen und Vorurteilen sowie damit zusammenhängenden begünstigenden Lehrkräftemerkmalen. Laut Rokeach und Cochkane (1972) können Vorurteile durch gezielte Interventionen prinzipiell vermindert werden, es spielen allerdings das Bewusstsein, die Motivation, sowie Fähigkeiten zur Reflexion und Ressourcen der Person eine essenzielle Rolle (Bargh, 1999). Im Zentrum des eingereichten Symposiums stehen daher aktuelle Forschungsarbeiten zur Veränderbarkeit sowie Ansätze zu Verringerung der Einflüsse von Lehrkraftstereotypen. Das Symposium öffnet in vier Beiträgen das Spannungsfeld zwischen empirischer Forschung zu Ansatzpunkten für die Entwicklung von Interventionen und bereits ausgearbeiteten Interventionen, welche in ihrer Wirksamkeit evaluiert werden. Dabei wird bewusst die Frage nach praktisch-anschlussfähigen Lösungen fokussiert und diskutiert. Im ersten Beitrag des Symposiums stellen die Autorinnen, Überlegungen zur Beziehung zwischen der Laientheorie zur wahrgenommenen Veränderbarkeit von Vorurteilen und motivationalen Konstrukten des Umgangs mit ethnisch-kultureller Heterogenität vor. Es zeigt sich, dass Studierende Vorurteile durchschnittlich als relativ veränderbar einschätzen. Die Studie konnte zeigen, dass sich eine stärkere inkrementelle Laientheorie positiv auf den Enthusiasmus für das Unterrichten heterogener Klassen sowie die Wichtigkeit von diversitäts- und nicht diversitätsbezogenen Themen auswirkt. Der zweite Beitrag des Symposiums fokussiert den Zusammenhang der impliziten Intelligenztheorie und impliziten Stereotypen von Lehramtsstudierenden. Die Autorinnen nehmen dabei die in Deutschland besonders benachteiligte Gruppe türkischstämmiger Schüler*innen in den Blick und zeigen, dass Zusammenhänge zwischen der impliziten Intelligenztheorie der Studierenden und deren impliziten leistungsbezogenen Stereotypen bestehen. Im dritten Beitrag des Symposiums testen die Autorinnen in zwei Studien eine Interventionsmaßnahme, die auf Grundlage der Vermittlung von Theorien der Stereotyp- und Einstellungsänderung das Ziel verfolgt, Verzerrungen in Urteilen von Lehramtsstudierenden zu verringern. Sie können die Wirksamkeit der Interventionsmaßnahme in Bezug zu verschiedenen Lehrkrafturteilen, nicht aber für die Veränderung impliziter Einstellungen nachweisen. Auch im letzten Beitrag des Symposiums wird eine Interventionsmaßnahme zur Reduktion von Urteilsverzerrungen vorgestellt und getestet. Im Mittelpunkt der ebenfalls auf angehende Lehrkräfte ausgerichteten Onlineintervention stehen die expliziten Einschätzungen, impliziten Einstellungen und das Bewusstsein über die eigenen Vorurteile. Die Autorinnen können eine Reduktion von expliziten negativen Einschätzungen durch Aufklärungsinformationen und Reflexionsaufgaben zeigen, während für implizite Einstellungen und die Wahrnehmung eigener Voreingenommenheit keine Interventionseffekte gefunden werden konnten. Die Beiträge illustrieren die Notwendigkeit der Beforschung von Ansatzpunkten zur Reduktion von Lehrkraftstereotypen und ihrer Einflüsse im Schulkontext und bieten dabei erste Möglichkeiten an, die Auswirkungen von Stereotypen zu reduzieren. Das Symposium soll damit die Möglichkeit bieten fruchtbare, bestehende Ansätze zu diskutieren und in einen größeren, gemeinsamen Zusammenhang zu stellen, um nachhaltige Interventionen zu entwickeln. Beiträge des Symposiums „Das lässt sich sowieso nicht ändern?“ Erste Ergebnisse zu Beziehungen zwischen Laientheorien zur Veränderbarkeit von Vorurteilen und motivationalen Konstrukten im Umgang mit ethnisch-kultureller Heterogenität Lehrkräfte benötigen für effektives Lehren eine Sensibilität und Handlungswissen in Bezug auf Diversität und Heterogenität (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Ein erhöhtes Stressempfinden, eine Verteidigungshaltung oder negative Emotionen können allerdings bedeutsame Hürden für die tiefergehende Auseinandersetzung mit ethnisch-kultureller Heterogenität und Diskriminierung sein (Gregoire, 2003; Knowles et al., 2014; Trawalter et al., 2009). Um erfolgreiche Interventionen zu ermöglichen, könnte das Stärken motivationaler Ressourcen von Lehrkräften im Umgang mit diesen Herausforderungen bedeutsam sein. Ein effektiver Umgang könnte durch eine inkrementelle Laientheorie zur Veränderbarkeit von Vorurteilen gefördert werden. Laientheorien zur Veränderbarkeit von Eigenschaften werden grob unterschieden in inkrementelle Theorien (veränderbare Eigenschaft) und Entitätstheorien (festgelegte Eigenschaft; Dweck et al., 2004). Eine inkrementelle Laientheorie geht mit einer adaptiveren Motivation bei eigenen – auch vorurteilsbezogenen – Fehlern oder Herausforderungen einher (Burnette et al., 2013; Carr et al., 2012; Dweck et al., 2004; Hennes et al., 2018; Neel & Shapiro, 2012; Nussbaum & Dweck, 2008; Schumann & Dweck, 2014). In der vorliegenden Studie wurde zum ersten Mal geprüft, inwiefern die Wahrnehmung von Vorurteilen als veränderbar mit positiveren motivationalen Ausprägungen von Lehramtsstudierenden im Umgang mit Heterogenität zusammenhängt. Diese Zusammenhänge wurden auf explorativer Basis getrennt für Studierende mit und ohne Migrationsgeschichte betrachtet. Insgesamt nahmen 197 Lehramtsstudierende teil (81% weiblich, 28% mit Migrationsgeschichte, M(Fachsemester) = 3.98, SD = 2.54). Sie beantworteten neun Items zur Laientheorie zur Veränderbarkeit von Vorurteilen (Cronbach’s Alpha = .910; angepasst von Carr et al., 2012), wobei höhere Werte eine stärkere inkrementelle Laientheorie anzeigten. Zusätzlich wurde erfasst, wie wichtig ihnen diversitätsbezogene und nicht diversitätsbezogene Themen in der Lehramtsausbildung sind (1 = gar nicht wichtig, 5 = sehr wichtig). Außerdem wurden ihre Selbstwirksamkeit und ihr Enthusiasmus im Unterrichten von ethnisch-kulturell heterogenen Klassen erfasst (Cronbach’s AlphaSelbstwirksamkeit = .805; Spearman-Brown-KoeffizientEnthusiasmus = .829; Hachfeld et al., 2012). Deskriptiv zeigte sich, dass die Studierenden durchschnittlich Vorurteile als etwas relativ Veränderbares einschätzten, wobei Studierende mit Migrationsgeschichte einer inkrementellen Laientheorie stärker zustimmten, t(195) = −2.65, p < .01, sowie eine höhere Selbstwirksamkeit, t(195) = −4.51, p < .001, und einen höheren Enthusiasmus, t(195) = −2.81, p < .01, berichteten. Anschließend wurden Regressionen durchgeführt, in denen die Laientheorie, Migrationsgeschichte und ihre Interaktion die motivationalen Konstrukte vorhersagten. Es zeigte sich, dass Studierenden mit einer stärkeren inkrementellen Laientheorie sowohl diversitätsbezogene (β = 0.27**, R² = 0.06) als auch nicht diversitätsbezogene Themen im weiteren Lehramtsstudium wichtiger waren (β = 0.21*, R² = 0.08). Studierende mit einer stärkeren inkrementellen Laientheorie gaben außerdem an, höheren Enthusiasmus für das Unterrichten in ethnisch-kulturell heterogenen Klassen zu haben (β = 0.31***, R² = 0.12). Allerdings hingen Laientheorien von Studierenden nicht mit ihrer Selbstwirksamkeit zusammenhingen (β = 0.12, n.s.). Diese Zusammenhänge unterschieden sich nicht für Studierende mit und ohne Migrationsgeschichte (Interaktionskoeffizienten: alle p > .147). Die vorliegende Studie testete zum ersten Mal in Deutschland, inwiefern Laientheorien zur Veränderbarkeit von Vorurteilen mit positiveren motivationalen Ausprägungen bei Lehramtsstudierenden mit und ohne Migrationsgeschichte assoziiert sind. Insgesamt bestätigte sich dieses erwartete Bild mit Ausnahme der Selbstwirksamkeit. Dieses Muster könnte darauf hinweisen, dass eine inkrementelle Laientheorie die Motivation für das eigene Lernen erhöht, aber für eine erhöhte Selbstwirksamkeit weitere Aspekte – beispielsweise das Vermitteln tatsächlicher Kompetenzen – entscheidend sein könnte. Aufgrund der bestehenden Limitationen (z.B. Selbstbericht) können die Ergebnisse nur eine erste Grundlage dafür bieten, die Bedeutsamkeit für die Weiterbildung von Lehrkräften und Lehramtsstudierenden einzuschätzen. Die Ergebnisse zur wahrgenommenen Wichtigkeit des Themas sowie des Enthusiasmus deuten darauf hin, dass eine stärker inkrementelle Laientheorie zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit diversitätssensiblem Unterrichten assoziiert sein könnte. Allerdings waren diese Zusammenhänge nicht spezifisch für diversitätssensible Themen. Weitere Forschung sollte deswegen tatsächliche Entscheidungen von Lehrkräften in den Blick nehmen (z.B. Prioritätensetzung in der Auswahl von Fortbildungen) und prüfen, inwiefern sich Laientheorien zu Vorurteilen von Laientheorien zu Eigenschaften generell abgrenzen lassen. Implizite Intelligenztheorie und implicit bias von Lehramtsstudierenden gegenüber türkischstämmigen Schülern: Gibt es einen Zusammenhang? Soziale Ungleichheiten sind ein präsentes Problem im deutschen Bildungssystem (Autor*innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Schüler*innen mit Migrationshintergrund, insbesondere mit einem türkischen Migrationshintergrund, schneiden schlechter ab als diejenigen Schüler*innen, die keinen Migrationshintergrund aufweisen. In diesem Zusammenhang werden auch die Lehrkräfte in die Verantwortung genommen und als ein Grund für die ethnischen Disparitäten gesehen (Glock et al., 2020). Diesbezüglich werden insbesondere Einstellungen und Urteilsverzerrungen von Lehrkräften gegenüber Schüler*innen bestimmter sozialer Gruppen diskutiert. So ist die Befundlage recht deutlich, dass (angehende) Lehrkräfte implizit negativ gegenüber Schüler*innen mit türkischem Migrationshintergrund eingestellt sind (Glock et al., 2020) und diese – speziell im Fach Deutsch – schlechter beurteilen als Schüler*innen ohne Migrationshintergrund (z.B. Kleen & Glock, 2018). Resultierend aus diesen Erkenntnissen wird vielfach untersucht, wie Unterricht allen Schüler*innen gerecht und fair werden kann. Implizite Intelligenztheorien von Lehrkräften stellen einen Aspekt dar, der ebenfalls mit Bildungsungleichheiten in Zusammenhang steht (z.B. Canning et al., 2019). Bei der impliziten Intelligenztheorie geht es um die subjektiven Vorstellungen von Personen, wie diese die Veränderbarkeit von Intelligenz einschätzen (Dweck et al., 1995). Dabei wird unterschieden zwischen Intelligenz als starrem und nicht veränderbaren Konstrukt, dem fixed mindset, und Intelligenz als veränderbar und entwicklungsfähig, dem growth mindset. Ein growth mindset bei Lehrkräften gilt als vielversprechend für eine Reduzierung von Bildungsungleichheiten und kann auch positiv auf Stereotype und Vorurteile wirken kann (Burnette et al., 2022; Hooper et al., 2017). Gleichzeitig können sich Disparitäten bei einem fixed mindset der Lehrperson verstärken (Seo & Lee, 2021). In der nachfolgenden Studie wird daher untersucht, inwiefern die implizite Intelligenztheorie von angehenden Lehrkräften mit deren Einstellungen und Attributionen gegenüber türkischstämmigen Schüler*innen zusammenhängt. Dafür werden einerseits leistungsbezogene Stereotype von Lehramtsstudierenden betrachtet und andererseits die Attributionen für schulischen Misserfolg in den Fächern Deutsch und Mathematik. Auf Grundlage der Theorie und Empirie wird davon ausgegangen, dass Lehramtsstudierende, die eher den Annahmen eines growth mindsets zustimmen, weniger implizite leistungsbezogene Stereotype aufweisen. Zusätzlich wird erwartet, dass ein growth mindset mit weniger internal stabilen Attributionen verknüpft wird. An der Studie haben 74 Lehramtsstudierende (48 weiblich, MAlter = 25,71, SD = 2,92) teilgenommen. Zu Beginn wurde ein Fragebogen angelehnt an Hong et al. (1999) zur Erfassung der impliziten Intelligenztheorie (α=.94) eingesetzt. Danach folgt ein Leistungsstereotype-IAT (Impliziter Assioziationstest; Bonefeld & Dickhäuser, 2018; Greenwald et al., 1998). Anschließend erhielten die Teilnehmenden eine Schülerbeschreibung (Kleen & Glock, 2018), wobei die Ethnie anhand des Namens variiert wurde. Der gezeigte Schüler wies schlechte Leistungen auf und die Lehramtsstudierenden haben die Gründe für die Leistungen in einem Attributionsfragebogen (αDeutsch=.92, αMathe=.93, Glock & Kleen, 2020) eingeschätzt. Zum Schluss wurden die demografischen Variablen erfragt. Es wurde eine Regression mit den impliziten Stereotypen als abhängiger Variable und der impliziten Intelligenztheorie als Prädiktor gerechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass die implizite Intelligenztheorie der Lehramtsstudierenden mit ihren impliziten leistungsbezogenen Stereotypen zusammenhängen. Diejenigen Lehramtsstudierenden, die eher einem growth mindset zustimmten, wiesen auch geringere implizite Leistungsstereotype gegenüber türkischstämmigen Schülern auf. Weiterhin wurden Regressionen für die Attributionen gerechnet, ebenfalls mit der Intelligenztheorie und zusätzlich dem Migrationshintergrund des Schülers als Prädiktoren. Bei den internal stabilen Attributionen für die Deutschleistung zeigten sich bei dem deutschen Schüler keine Unterschiede je nach Intelligenztheorie der Teilnehmenden. Bei dem türkischstämmigen Schüler wurde jedoch deutlich, dass ein growth mindset mit weniger internal stabilen Attributionen zusammenhängt. Für die internal stabilen Attributionen im Fach Mathematik konnte dies nicht gezeigt werden. Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse, dass das growth oder fixed mindset der Lehrkräfte eine wichtige Variable ist, um Disparitäten entgegenzuwirken. Der Zusammenhang von impliziter Intelligenztheorie mit impliziten Einstellungen, aber auch mit den Attributionen macht deutlich, dass es sich lohnen kann, ein growth mindset bei Lehrkräften zu fördern. Hier könnten Interventionen zum Mindset von Lehrkräften (z.B. Heyder et al., 2023) ein relevanter Schritt sein. Können herkunftsbezogene Urteilsverzerrungen bei angehenden Lehrkräften durch eine kurze Online-Intervention reduziert werden? Eine Pilotstudie Einschätzungen von Lehrkräften können durch irrelevante Merkmale der Lernenden wie deren Herkunft verzerrt sein (z.B. Lorenz et al., 2016; Nishen & Kessels, 2022). In Deutschland bestehen beispielsweise oft hohe Kompetenzerwartungen gegenüber Personen aus Ostasien und eher geringe Erwartungen gegenüber Personen aus Nordafrika (Froehlich & Schulte, 2019) – was dazu führen kann, dass Lernende ostasiatischer Herkunft besser eingeschätzt werden als Lernende nordafrikanischer Herkunft. Um Urteilsverzerrungen vorzubeugen, das Bewusstsein für die eigene Voreingenommenheit (bias awareness; Perry et al., 2015) zu erhöhen und damit insgesamt zu mehr Bildungsgerechtigkeit beizutragen, wurden Interventionen für (angehende) Lehrkräfte entwickelt (z.B. Bonefeld, 2022; Pit-ten Cate & Glock, 2022; Tobisch et al., 2022). Zentrale Elemente solcher Interventionen sind Aufklärungsinformationen und Reflexions- bzw. Übungsaufgaben. Trotz erster Wirksamkeitsnachweise sind noch Fragen offen, zum Beispiel: Zeigen sich Interventionseffekte nur in expliziten Maßen (z.B. Ankreuzverhalten) oder auch in impliziten Maßen (z.B. IAT)? Führt eine Intervention, die die Bias Awareness erhöht, tatsächlich zu weniger verzerrten Urteilen? Inwiefern können auch sehr kurze Interventionen Veränderungen bewirken? In unserer Studie untersuchten wir die Effekte einer kurzen (ca. 20 min.) Online-Intervention darauf, wie angehende Lehrkräfte zwei (fiktive) Schüler einschätzen (= explizite Einschätzungen), wie stark ihre positiven/ negativen Assoziationen gegenüber ostasiatischen/ nordafrikanischen Jungen in einem IAT ausgeprägt sind (= implizite Einstellungen) und wie sehr sie sich der eigenen Voreingenommenheit bewusst sind (= bias awareness). Die Intervention sollte herkunftsbezogene Unterschiede in den (a) expliziten Einschätzungen und (b) impliziten Einstellungen der Lehramtsstudierenden reduzieren und (c) die Bias Awareness erhöhen. An der experimentellen, präregistrierten Online-Studie nahmen 65 Lehramtsstudierende teil (Alter: M = 22.9 Jahre, SD = 4.1; 86% weiblich), die entweder die Stereotypen-Intervention (n = 31) oder eine Kontrollintervention bearbeiteten (n = 34). Die Stereotypen-Intervention beinhaltete Informationen zu den Auswirkungen von Stereotypen in der Schule, Reflexionsaufgaben und Feedback zu den eigenen Einschätzungen. Die Kontrollintervention hatte die gleiche Struktur und Länge, beinhaltete aber Informationen und Reflexionsaufgaben zu kognitionswissenschaftlichen Grundlagen des Lernens. Wir erfassten (a) explizite Einschätzungen zweier fiktiver Schüler namens Takashi und Ahmed hinsichtlich ihrer Anstrengungsbereitschaft und Leistung (diese Namen wurden in einer separaten Studie vorgetestet) mit jeweils einem Item, (b) implizite Einstellungen mittels IAT und (c) die Bias Awareness per Fragebogen (Perry et al., 2015). Die Analysen zeigten, dass (a) herkunftsbezogene Unterschiede in der eingeschätzten Anstrengungsbereitschaft durch die Stereotypen-Intervention reduziert wurden (d = -0.62); Unterschiede in der Leistungseinschätzung verringerten sich in beiden Gruppen (d = -0.41). Diese Effekte waren darauf zurückzuführen, dass Ahmed nach der Stereotypen-Intervention signifikant besser eingeschätzt wurde als vorher (Anstrengungsbereitschaft: d = 0.72; Leistung: d = 0.89). Für (b) herkunftsbezogene Unterschiede in den impliziten Einstellungen und (c) Bias Awareness zeigten sich keine Interventionseffekte (alle ps > .3). Insgesamt konnte die Kurzintervention also teilweise dazu beizutragen, herkunftsbedingte Urteilsverzerrungen zu reduzieren. Insbesondere führte sie dazu, dass ein Junge, dessen Name eine Herkunft impliziert, die mit eher negativen Erwartungen verbunden ist, weniger unterschätzt wurde. Dass die Verzerrungen auch in der Kontrollgruppe abnahmen, könnte darauf hindeuten, dass die Teilnehmenden ihr Ankreuzverhalten in der zweiten Befragung generell stärker reflektierten als in der ersten. Implizite Einstellungen wurden durch die Intervention nicht beeinflusst. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass solche unbewussten, tief sitzenden Einstellungen durch jahrelange Erfahrungen geprägt werden und nur schwer (nachhaltig) verändert werden können (Röhner & Lai, 2021). Entgegen unseren Erwartungen zeigten sich auch keine Effekte auf die Bias Awareness. Dies lag möglicherweise an der Formulierung der Items, die stark auf das „sich Sorgen machen“ fokussierten. Möglicherweise hatten die Lehramtsstudierenden nach der Intervention den Eindruck, nun sensibilisiert zu sein und sich daher weniger „Sorgen“ machen zu müssen. Um die Effekte der Intervention besser zu verstehen und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen, sollen in weiteren Analysen die Antworten auf die Reflexionsfragen ausgewertet werden. Veränderung herkunftsbezogener Stereotype, Einstellungen und Urteilsverzerrungen: Erprobung und Replikation einer Kurzintervention Herkunftsbezogene Unterschiede im Bildungserfolg sind in Deutschland weiterhin auf hohem Niveau (z. B. Reiss et al., 2019). Insbesondere SchülerInnen mit niedrigem sozialem Status und Migrationshintergrund schneiden im Vergleich zu SchülerInnen mit hohem sozialem Status und ohne Migrationshintergrund durchschnittlich schlechter ab und besuchen auch seltener das Gymnasium, was sich nicht ausschließlich durch tatsächliche Fähigkeits- und Leistungsunterschiede erklären lässt. Untersuchungen zum Übergang von der Grundschule auf weiterführende Schulen haben gezeigt, dass sekundäre Effekte des familiären Hintergrunds der SchülerInnen teilweise auf verzerrte Lehrkrafturteile zurückzuführen sind (z. B. Dumont et al., 2014). Erklären lässt sich dies durch verzerrte Prozesse der sozialen Wahrnehmung sowie Kategorisierungs- und Stereotypisierungsprozesse, denen Personen insbesondere bei oberflächlicherer oder eher automatisierter Informationsverarbeitung unterliegen (vgl. Fiske & Neuberg, 1990). Experimentelle Studien ergaben z.T. negativ verzerrte Urteile für männliche Schüler mit türkischem Migrationshintergrund oder niedrigem sozialem Status (z. B. Bonefeld & Dickhäuser, 2018), aber auch positiv verzerrte Urteile für männliche Schüler ohne Migrationshintergrund und mit höherem sozialem Status (z. B. Tobisch & Dresel, 2017). In Übereinstimmung mit dem Kontinuum-Modell der Eindrucksbildung (Fiske & Neuberg, 1990) wurden in ersten experimentellen Studien Einflüsse von Stereotypen und Einstellungen von (angehenden) Lehrkräften auf Urteilsverzerrungen nachgewiesen (z. B. Glock et al., 2016). Um stereotypisierte Urteile zu reduzieren, wurden bereits Interventionsansätze entwickelt, die negative Stereotype und Einstellungen gegenüber stigmatisierten Gruppen reduzieren (z.B. Baadte, 2020). Diese sind allerdings sehr zeitintensiv und lassen sich nur teilweise in die reguläre Lehramtsausbildung integrieren. Vor diesem Hintergrund wurde eine Kurzintervention (3 Seiten) entwickelt, die Elemente aus Theorien der Stereotyp- und Einstellungsänderung (Intergruppenkontakttheorie, vgl. Pettigrew & Tropp, 2008; Elaboration Likelihood Model, Petty & Cacioppo, 1986) kombiniert und in der Lehramtsausbildung eingesetzt werden kann. Dabei erhielten Lehramtsstudierende schriftliches Feedback zu ihren impliziten und expliziten Einstellungen gegenüber türkischem Migrationshintergrund sowie Informationen zum Einfluss von Stereotypen auf die Urteilsbildung im schulischen Kontext. Zudem wurden u.a. praktische Tipps zur Verhaltenskontrolle gegeben. Das Inventionskonzept wurde in einer experimentellen Onlinestudie (Prä-Post-Follow-up-Design mit Placebo-Bedingung) mit N = 215 Lehramtsstudierenden getestet. Erhoben wurden zu allen drei Messzeitpunkten Stereotype und Einstellungen gegenüber SchülerInnen mit türkischem und ohne Migrationshintergrund, sowie Stereotype und Einstellungen in Bezug auf die soziale Herkunft der SchülerInnen. Zudem wurden zu allen drei Messzeitpunkten Schülerbeurteilungen (Leistungserwartung, Gymnasialeignung, Anstrengungsbereitschaft, allgemeine schulische Fähigkeiten) basierend auf Fallvignetten (Halbjahreszeugnis 4. Jgst.; Herkunftsmanipulation durch Vornamen) von den Lehramtsstudierenden erfasst. Die Ergebnisse (zwei-faktorielle mixed ANOVA) zeigten Interventionseffekte (p < .05) auf Stereotype und Einstellungen sowie teilweise auch auf Lehrkrafturteile über Schüler. Eine zweite Studie, in der dieselbe Intervention mit einer alternativen Intervention (in der herkunftsbezogene Emotionen fokussiert wurden) verglichen wurde (N = 203), replizierte die meisten Effekte auf Einstellungen und Stereotype und etliche Effekte auf die Schülerbeurteilungen. Geschlussfolgert werden kann, dass die Kombination von Interventionselementen zur Änderung von Stereotypen und Einstellungen mit Anweisungen zur Kontrolle von Urteilsverzerrungen einen effizienten Ansatz bieten könnte, um (angehende und praktizierende) Lehrkräfte für ihre (zukünftigen) Urteilsverzerrungen zu sensibilisieren. Die entwickelte Kurzintervention kann durch ihren geringeren zeitlichen Aufwand für die Teilnehmenden in der regulären universitären Lehramtsausbildung oder auch im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen eingesetzt werden. |
Datum: Mittwoch, 20.03.2024 | |
9:00 - 10:40 | 7-06: Kooperatives Lernen zwischen Theorie und Praxis Ort: H08 |
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Symposium
Kooperatives Lernen zwischen Theorie und Praxis Kooperatives Lernen beschreibt ein pädagogisches Unterrichtskonzept, bei welchem die Schülerinnen und Schüler (SuS) in Kleingruppen gemeinsam an einer vorab strukturierten Aufgabe arbeiten (Johnson & Johnson 1989; Slavin 1995). Kooperatives Lernen hat sich in vielfacher Hinsicht als wirksam für den Kompetenzerwerb der Lernenden erwiesen (z.B. Kyndt et al., 2013) und wird auch in Bezug auf den Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen häufig propagiert (Büttner et al., 2012). Doch trotz ihres Potenzials werden kooperative Lernformen vergleichsweise weniger häufig eingesetzt (Buchs et al., 2017). Selbst nach Teilnahme an Fortbildungen berichten Lehrkräfte zahlreiche Schwierigkeiten, die sowohl Ressourcen (z.B. Vorbereitungsaufwand), die Schülerschaft (z.B. soziale Kompetenzen), als auch die ablaufenden Lehr-Lernprozesse (z.B. Klassenführung) betreffen (Gillies & Boyle, 2010; Völlinger et al., 2018). Diese Befunde deuten auf eine Diskrepanz zwischen Forschung (empirisch belegte Wirksamkeit) und Praxis (mangelnde Umsetzungsqualität) hin. Modelle der professionellen Kompetenz von Lehrkräften (Kunter et al. 2013) und der Unterrichtsforschung (Eccles & Roeser, 2011, Helmke 2017) verdeutlichen, dass das Unterrichtsgeschehen durch eine Vielzahl komplexer Prozesse geprägt ist, welche einerseits auch Überzeugungen und Einstellungen der Lehrkraft, als anderseits auch die Schülerschaft miteinschließen. In der Untersuchung des kooperativen Lernens sind diese Ansätze jedoch nicht ausreichend differenziert berücksichtigt. Das Symposium geht deshalb der übergeordneten Forschungsfrage nach, welche Faktoren die Umsetzung kooperativer Lernformen beeinflussen und wie die Umsetzungsqualität kooperativer Lernformen in der Unterrichtspraxis unterstützt werden kann. Die Beiträge des Symposiums nehmen jeweils eine individuelle Perspektive auf die Umsetzung und Förderung des kooperativen Lernens ein und adressieren unterschiedliche Forschungsdesiderate. Durch die Verwendung verschiedener methodischer Ansätze und Datenquellen tragen sie zu einer Erweiterung des bisherigen Forschungsstands bei und helfen die Diskrepanz zwischen Forschung und Praxis vertieft zu ergründen sowie Interventionen abzuleiten. Beitrag 1 untersucht mithilfe eines Mixed-method Designs und der Kombination verschiedener Datenquellen die Bedeutung von Überzeugungen und Einstellungen der Lehrkräfte zum kooperativen Lernen. Die quantitativen und qualitativen Analysen zeigen Zusammenhänge zwischen den Selbstwirksamkeits- und Nützlichkeitserwartungen der Lehrkräfte in Bezug auf das kooperative Lernen und der Umsetzungsqualität des kooperativen Lernens. Darüber hinaus zeigt sich, dass sich Lehrkräfte mit hoher und niedriger Umsetzungsqualität in ihren Perspektiven auf das kooperative Lernen unterscheiden. Beitrag 2 untersucht in einem experimentellen Kontrollgruppendesign, in wie weit die Qualität der transaktiven Kommunikation in den Schülergruppen durch ein Training der Kommunikationsfähigkeiten der SuS gesteigert werden kann. Es zeigen sich positive Trainingseffekte in Bezug auf die vertiefende Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand in der Partnerarbeitsphase, als auch auf die wahrgenommene Zufriedenheit der SuS mit der Zusammenarbeit. Beitrag 3 ordnet das pädagogische Konzept des kooperativen Lernens konzeptuell in das Beschreibungssystem der Sicht- und Tiefenstrukturen des Unterrichts ein und untersucht, in wie weit die Lehr-Lernprozesse beim kooperativen Lernen mit bekannten Qualitätsmerkmalen eines lernwirksamen Unterrichts zusammenhängen. Es zeigen sich reziproke Zusammenhänge zwischen Umsetzungsqualität und -quantität kooperativen Lernens mit der Klassenführung, konstruktiver Unterstützung und kognitiver Aktivierung. Abschließend werden die Beiträge in der Gesamtschau mit Blick auf ihre Potenziale zur Auflösung der Diskrepanz zwischen Forschung und Praxis diskutiert. Es werden Implikationen für die Umsetzung kooperativer Lernformen sowie für den Wissenschafts-Praxis Transfer in der Lehrkräftebildung herausgearbeitet. Beiträge des Symposiums Kooperatives Lernen in der Praxis – eine Mixed-Methods-Studie zur Umsetzungsqualität Kooperatives Lernen (KL) umfasst Unterrichtsmethoden, bei denen die Schüler*innen in kleinen Gruppen zusammenarbeiten, um sich gegenseitig beim Lernen zu helfen und ihre Lernergebnisse zu verbessern. Als Basiselemente von KL gelten: (1) positive Interdependenz, (2) individuelle Verantwortlichkeit, (3) fördernde Interaktion, (4) soziale Fähigkeiten und (5) Reflexionsprozesse (Slavin, 1995; Johnson & Johnson, 1989). Die positiven Wirkungen von KL auf fachliche sowie motivationale Lernziele sind vielfach belegt (Ginsburg-Block et al. 2006; Kyndt et al. 2013). Die Wirksamkeit hängt jedoch von der Qualität der Umsetzung ab, die durch die Implementation der fünf Basiselemente bestimmt wird (Supanc et al. 2017; Veenman et al. 2002). Studien deuten vielfach darauf hin, dass diese Umsetzung herausfordernd für Lehrkräfte ist und schlussfolgern zahlreiche Schwierigkeiten, die Lehrkräfte auch nach Teilnahme an Fortbildungen berichten (Buchs et al. 2017). Die Umsetzungsqualität ist zumeist eher gering, die Basiselemente werden nur von wenigen Lehrkräften vollständig implementiert (Abramczyk & Jurkowski 2020; Gillies & Boyle 2010; Völlinger et al. 2018). Zudem zeigen sich Zusammenhänge der Umsetzungsqualität mit den Überzeugungen der Lehrkräfte sowie Einschätzungen der Wirksamkeit der Methode (ebd.). Es ist jedoch anzumerken, dass die Umsetzungsqualität häufig in Selbstberichten erhoben wurde, Beobachtungstudien finden sich nur selten (Veenmann, 2000; Veldmann et al., 2020), obwohl nur diese Informationen zur Umsetzung von KL in der Praxis liefern. Zudem finden sich kaum Studien, die Lehrkräfte mit hoher und niedriger Implementationsqualität vergleichen, obwohl dies hilfreich sein könnte, um Gelingensbedingungen für die Umsetzung von KL in der Praxis ableiten und gezielte Interventionen entwickeln zu können. Hier setzt die vorliegende Studie an. Ziel und Methode: Ziel der Studie ist die Untersuchung der Umsetzungsqualität in der Unterrichtspraxis. Folgende Forschungsfragen stehen dabei im Fokus: 1. Wie werden die Basiselemente von KL in der Praxis umgesetzt? 2. Mit welchen Überzeugungen hängt die Umsetzungsqualität von KL zusammen? 3. Wie unterscheiden sich Lehrkräfte mit hoher und niedriger Umsetzungsqualität in Bezug auf ihre Perspektive auf KL? Es wurde ein sequentielles Mixed-Methods-Design (quantitativ-qualitativ; Ponce & Pagán-Maldonado 2015) angewendet. In insgesamt 49 Klassen wurden Fragebögen zu Überzeugungen und Einschätzungen der Umsetzung eingesetzt. In 30 Klassen wurden zudem Unterrichtsbeobachtungen durchgeführt und die Umsetzungsqualität anhand einer Beobachtungsskala mit Indikatoren für die Basiselemente von KL bewertet (11 Items, Interraterübereinstimmung >63). Zudem wurden strukturierte Interviews mit Lehrkräften zu ihrer Umsetzung durchgeführt, von denen vier in Bezug auf die Umsetzungsqualität kontrastiv ausgewählten Fällen mittels thematischer Kodierung (Strauss 1991, adaptiert nach Flick 2021) ausgewertet wurden. Ergebnisse und Diskussion; Die Ergebnisse zeigen eine eher geringe Umsetzungsqualität von KL. Nur 7% der beobachteten Lehrkräfte setzten die Basiselemente um. Selbst positive Interdependenz und individuelle Verantwortlichkeit, die beiden wichtigsten Elemente von KL, wurden nur in 17 % der beobachteten Unterrichtsstunden umgesetzt. Die Ergebnisse der Fragebögen zeigen, dass die Umsetzungsqualität mit der Bewertung von KL durch die Lehrkräfte in Bezug auf die Eignung für verschiedene Lernziele (r=.40*) und unterschiedliche Schüler*innen (r=.36*) sowie die Selbstwirksamkeitserwartungen der Lehrkräfte (r=.50*) zusammenhängt. Die qualitative Analyse der Lehrerinterviews zeigte Unterschiede zwischen Lehrkräften mit hoher und niedriger Umsetzungsqualität hinsichtlich ihrer Perspektive auf KL. Lehrkräfte mit hoher Umsetzungsqualität schätzen den Wert der sozialen Lernprozesse beim KL als höher ein und fühlen sich stärker für den Erfolg von KL verantwortlich. Ähnliche Ergebnisse finden sich in der Studie von Veldmann et al. (2022) mit fortgebildeten Lehrkräften, was darauf hinweist, dass die Vermittlung von Wissen zu KL nicht ausreicht, um eine hohe Umsetzungsqualität zu ermöglichen. Die Ergebnisse zeigen eine Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis und verweisen auf die Bedeutung von Überzeugungen für die Umsetzungsqualität von KL. Unter Bezugnahme auf Modelle zur professionellen Kompetenz von Lehrkräften (Kunter et al. 2013) sollten zukünftige Interventionen auch diese Bereiche fokussieren, um eine negative Spirale zwischen Überzeugungen und der Umsetzung von KL zu vermeiden. Förderung kooperativen Lernens durch ein unterrichtsintegriertes Training der Schülerkommunikation Studien belegen die positiven Effekte kooperativen Lernens auf den Wissenserwerb (Kyndt et al., 2013). Die Wirksamkeit basiert auf einer intensiven inhaltlichen Lernerkommunikation (Webb, 2009). In der transaktiven Kommunikation nehmen die Gruppenmitglieder in ihren Beiträgen aufeinander Bezug, indem sie Ideen ihrer Lernpartnerinnen und Lernpartner aufgreifen, sie klären, ergänzen, hinterfragen oder mit weiteren Ideen zusammenführen und dadurch gemeinsam Wissen konstruieren (Berkowitz et al., 2008). Damit spiegelt die transaktive Kommunikation den besonderen Nutzen kooperativen Lernens im Vergleich zu einer individuellen intensiven Auseinandersetzung mit den Lerninhalten wieder (Chi & Wylie, 2014). Lernenden fällt es jedoch oftmals schwer, im gemeinsamen Arbeitsprozess intensiv über die Lerninhalte zu kommunizieren, und Lehrkräfte wie auch Schülerinnen und Schüler betrachten geringe Fähigkeiten zur Kommunikation und Kooperation als zentrale Herausforderung für lernwirksames kooperatives Lernen (Abramczyk & Jurkowski, 2020; Le et al., 2018). Diese geringen Kommunikations- und Kooperationsfähigkeiten der Lernenden waren für Lehrkräfte einer der zentralen Gründe für den relativ seltenen Einsatz kooperativen Lernens (Abramczyk & Jurkowski, 2020). Ein weiterer Grund für den seltenen Einsatz war ein hoher Druck durch das Curriculum (Abramczyk & Jurkowski, 2020). Somit sollte eine Förderung der Kommunikationsfähigkeiten möglichst gut in den weiteren Unterrichtsablauf integriert sein. In der vorliegenden Studie wurde deshalb ein in den Unterricht integriertes Training der transaktiven Kommunikation entwickelt und evaluiert. Das Training wurde mit einem quasiexperimentellen Prätest-Posttest-Design an 594 Schülerinnen und Schülern der 9. Klasse aus 23 Sekundarschulklassen getestet. Die Klassen wurden zufällig entweder der Experimental- (Transaktivitätstraining) oder der Kontrollgruppe (Präsentationstraining) zugewiesen. Die Trainings beider Gruppen dauerten 2,5 Schultage und wurden mit dem fächerübergreifenden Thema Nachhaltige Ressourcennutzung kombiniert. Zudem war in beiden Gruppen die Zeit an kooperativen Lehr-/Lernformen identisch. Im Unterschied zur Kontrollgruppe, die ein Präsentationstraining erhielt, bekam die Experimentalgruppe aber im Zuge des kooperativen Lernens Instruktionen, Übungen und Feedback zur transaktiven Kommunikation. Vor und nach der Intervention wurde die Kommunikation der Lernenden während einer Partnerarbeitsphase aufgezeichnet, später transkribiert und im Hinblick auf transaktive Aussagen kodiert. Für die Transaktivität wurden niedrig-transaktive (Beantworten, Paraphrasieren, Nachfragen) und hoch-transaktive (Ergänzen, Hinterfragen, Gegenüberstellen, Zusammenführen) Aussagen unterschieden. Die Kodierungen liegen für eine parallelisierte Teilstichprobe von n = 164 Schülerinnen und Schüler vor. Außerdem wurde zu beiden Messzeitpunkten der Wissenserwerb der Lernenden getestet und sie berichteten über ihre Zufriedenheit mit der Zusammenarbeit auf einer sozial-emotionalen Ebene. Für alle abhängigen Variablen wurden im Posttest höhere Werte in der Experimentalgruppe als in der Kontrollgruppe erwartet. Unter Berücksichtigung der Mehrebenenstruktur der Daten (Messzeitpunkte, Dyaden, Klassen) ergaben sich positive Effekte des Transaktivitätstrainings auf niedrig-transaktive und hoch-transaktive Beiträge. Es zeigten sich jedoch keine Unterschiede zwischen den Bedingungen im Wissenserwerb. Darüber hinaus berichteten die Schülerinnen und Schüler in der Experimentalgruppe über eine höhere Zufriedenheit mit der Zusammenarbeit. Die Ergebnisse lassen sich dahingehend interpretieren, dass ein in den Unterricht integriertes Transaktivitätstraining positive Effekte auf den kooperativen Arbeitsprozess haben kann, gleichzeitig die Umsetzung neu gelernter Kommunikation womöglich so viele kognitive Ressourcen der Lernenden gebunden hat, dass sich noch keine positiven Effekte auf den Wissenserwerb ergeben konnten. Kooperatives Lernen zwischen Sicht- und Tiefenstrukturen des Unterrichts Die positiven Effekte des kooperativen Lernens auf das fachliche Lernen, sozialer Kompetenzen und Motivation der Schülerinnen und Schüler (SuS) sind gut belegt (Kyndt et al., 2013), dennoch wird kooperatives Lernen auch nach Fortbildungsbesu-chen in der Unterrichtspraxis nur wenig eingesetzt (Völlinger et al., 2018). Tiefere Erkenntnisse, wie kooperatives Lernen im Unterricht gelingen und gefördert werden kann, können durch eine Untersuchung der ablaufenden Lehr-lernprozesse gewonnen werden. Dazu ordnet die gegenwärtige Studie das pädagogische Konzept des kooperativen Lernens mit Blick auf die Sicht- und Tiefenstrukturen des Unterrichts (Decristan et al., 2020) ein. Auf Ebene der Sichtstruktur wird kooperatives Lernen als Sozialform umgesetzt, bei welcher die SuS in Kleingruppen zusammenarbeiten. Kooperative Lernaufgaben zeichnen sich jedoch weniger durch die Sozialform, als vielmehr durch die Basisele-mente des kooperativen Lernens (z.B., positive Interdependenz, Übernahme individueller Verantwortung; Slavin, 1995) aus, welche tieferliegende Lehr-lernprozesse (z.B. vertiefende Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand) auf Ebene der Tiefenstrukturen anregen können. Inwieweit kooperatives Lernen jedoch qualitätsvoll umgesetzt werden und lernwirksam werden kann, hängt möglicherweise mit den Qualitätsdimensionen eines lernwirksamen Unterrichts (Klassenführung, konstruktive Unterstützung, kognitive Aktivierung; Klieme et al., 2001) zusammen. Blickt man genauer darauf, wie kooperative Lernaufgaben organisiert sind und mit welcher Qualität soziale und kognitive Prozesse bei der Zusammenarbeit ablaufen, finden sich aus Perspektive der Unterrichtsforschung zahlreiche Ansatzmöglichkeiten, um die Qualitätsdimensionen eines lernwirksamen Unterrichts zu adressieren: Während des kooperativen Lernens beobachtet und unterstützt die Lehrkraft die Lernprozesse in angemessener Weise (z.B. durch Scaffolding und Feedback) und setzt somit kognitive Aktivierung und konstruktive Unterstützung um. Durch effektive Klassenführung (z.B. Monitoring) wird ein störungsfreies Arbeitsumfeld sichergestellt. Ebenso wäre denkbar, dass beispielsweise eine effektive Klassenführung und kognitiv aktivierende Aufgabenstellungen die Rahmenbedingungen für eine hochwertige Implementation kooperativer Lernformen sicherstellen. In wie weit Klassenführung, konstruktive Unterstützung und kognitive Aktivierung je-doch in einer eher schülerzentrierten Lernform wie dem kooperativen Lernen umge-setzt werden, wurde empirisch kaum untersucht. Ziele & Methode: Der Beitrag setzt an dieser Stelle an und untersucht in einer umsetzungspraktischen und einer konzeptionellen Fragestellung, - wie Lehrkräfte die Umsetzung des kooperativen Lernens wahrnehmen und welchen Herausforderungen sie dabei begegnen - inwieweit die Lehrlernprozesse beim kooperativen Lernen mit den Qualitäts-merkmalen des Unterrichts zusammenhängen Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen einer wissenschaftlich begleiteten Fortbil-dungsreihe zum kooperativen Lernen, an welcher Lehrkräfte der Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg teilnahmen. Gemeinschaftsschulen stellen eine integrative Schulform dar, bei welcher SuS unterschiedlicher Leistungsniveaus gemeinsam in der gleichen Klasse unterrichtet werden. Mittels Online-Fragebögen wurden die teilnehmenden Lehrkräfte in einem Prä-post Design zu ihrem (Vor-) Wissen, Einstellungen, sowie zur Quantität und Qualität der Umsetzung des kooperativen Lernens in Ihrem Unterricht befragt. Darüber hinaus wurden die Lehrkräfte gebeten, ihren Unterricht anhand der Dimensionen Klassenführung, konstruktive Unterstützung und kognitive Aktivierung einzuschätzen. An der Befragung nahmen N = 310 Lehrkräfte (71 % weiblich) mit M = 9.9 (SD = 7.1) Jahren Unterrichtserfahrung teil. Ergebnisse & Diskussion: Insgesamt geben die Lehrkräfte an, die Basiselemente des kooperativen Lernens weitgehend umsetzen zu können, berichten jedoch auch Herausforderungen. Fakto-renanalytisch können diese in drei übergeordnete Bereiche eingeteilt werden: Res-sourcen, Aufgaben der Lehrkraft, Verhalten & Kompetenzen der Schülerschaft. Darüber hinaus weisen erste Ergebnisse auf reziproke Zusammenhänge zwischen der Klassenführung, instruktionaler Unterstützung und kognitiven Aktivierung im Unterricht und der Umsetzung des kooperativen Lernens hin. Diese Zusammenhänge ergeben sich hinsichtlich der Umsetzungshäufigkeit (r = .18 bis r = .29, p <.05) als auch der Umsetzungsqualität (r = .36 bis r = .39, p <.05). Es zeigte sich jedoch kein Zusammenhang zwischen der Quantität und der Qualität der Umsetzung kooperativer Lern-formen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass kooperatives Lernen zu einem lernwirksamen Unterricht im Sinne der Qualitätsdimensionen beiträgt. Ebenso können die Qualitätsdimensionen dazu beitragen, die bei kooperativen Lernformen ablaufenden Lehr-lernprozesse zu unterstützen und bekannten Umsetzungshindernissen (z.B. Störverhalten der SuS; Abramczyk & Jurkowski, 2020) zu begegnen. |
11:10 - 12:50 | 8-06: Lernprozesse im Kontext der Digitalisierung – Aktuelle Erkenntnisse aus Large-Scale Assessments Ort: H08 |
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Symposium
Lernprozesse im Kontext der Digitalisierung – Aktuelle Erkenntnisse aus Large-Scale Assessments Die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche führt auch zu einer Veränderung von Lehr- und Lernprozessen an Schulen in Deutschland (Scheiter, 2021). Diese Entwicklung betrifft sowohl das Lernen mit digitalen Medien, d.h. deren Nutzung zur Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen, als auch das Lernen über digitale Medien, d.h. deren kompetente Nutzung wird zum ausdrücklichen Lernziel (KMK, 2017). Dabei ist die Schule nicht der einzige Kontext, in dem Schüler*innen Kompetenzen im Umgang mit digitaler ICT (Information and Communication Technology) anwenden und erwerben können. Auch in der Freizeit ist die Nutzung von ICT von wachsender Bedeutung (Wößmann et al., 2021) und bietet potentielle Lerngelegenheiten für den kompetenten Umgang mit ICT. Neben Schule und Freizeit ist auch der gezielte Einsatz digitaler Lernumgebungen zum Kompetenzerwerb ein wichtiges Feld, welches ICT-bezogene Kompetenzen sowohl erfordert als auch fördern kann. In all diesen Kontexten finden Lernprozesse statt, die mehr oder weniger erfolgreich ablaufen können. Faktoren, die zum Gelingen dieser Lernprozesse beitragen, sind vielfältig und sowohl auf Ebene der Schüler*innen, der Lehrkräfte bzw. des Unterrichts als auch der spezifisch verwendeten digitalen Medien zu finden. Um diese Faktoren zu untersuchen bieten sich verschiedene empirische und methodische Zugänge, wie die drei Beiträge des Symposiums zeigen. Das Symposium stellt aktuelle empirische Forschungsbefunde zur ICT-Nutzung und ICT-bezogenen Lerngelegenheiten Jugendlicher innerhalb und außerhalb des Unterrichts vor. Dabei werden in den Beiträgen verschiedene Perspektiven eingenommen: Die Einbindung von digitalen Medien in die Gestaltung von schulischen Lehr-/Lernprozessen; die Nutzung von digitalen Medien in Schule und Freizeit; sowie selbstgesteuerte Lernprozesse in digitalen Umgebungen. Neben dem Erwerb von ICT-bezogenen Kompetenzen, wird auch der Zusammenhang zwischen der Nutzung von digitalen Medien mit der selbsteingeschätzten ICT-Kompetenz beleuchtet. Der erste Beitrag befasst sich mit der Gestaltung von Lehr-/Lernprozessen unter den Bedingungen der Digitalität an solchen Schulen, die in der ICILS-2018 Studie unerwartet gut abgeschnitten haben. Insbesondere wird der Forschungsfrage nachgegangen, wie an den resilienten Schulen digital-gestützte Lehr-/Lernprozesse im Hinblick auf die Basisdimensionen guten Unterrichts gestaltet werden. In diesem Beitrag stellt der Erwerb von ICT-bezogenen Kompetenzen also kein explizites Lernziel dar, sondern es steht die Qualität von ICT-gestützten Unterrichtsprozessen im Vordergrund. Die qualitative Studie analysiert dazu Unterrichtsvideos sowie Interviews mit Schüler*innen und Lehrkräften. Der zweite Beitrag stellt international vergleichend Befunde zur Mediennutzung von 15jährigen in Schule und Freizeit vor. Zudem untersucht die Studie, wie die schulische und außerschulische Nutzung digitaler Medien mit Lesekompetenz, selbsteingeschätzte Kompetenz und Lernmotivation im Umgang mit digitalen Medien zusammenhängt. Dieser Beitrag betrachtet die Nutzung von ICT als Faktor im Lernprozess, als auch ICT-Kompetenz als Lernziel. Für den internationalen Vergleich mit Deutschland werden Fragebogendaten der aktuellen PISA 2022 Erhebung herangezogen. Der dritte Beitrag nimmt die Modellierung von erworbenem Wissen in der innovativen PISA 2025-Domäne – Lernen in der digitalen Welt (LDW) – in den Blick. Untersucht wird, welche Schüler*innen besser abschneiden, als man es aufgrund ihrer Vorkenntnisse erwarten würde, und ob diese Leistungen als das Resultat erfolgreicher Lernprozesse interpretiert werden können. In diesem Beitrag ist der Erwerb von ICT-bezogenen Kompetenzen ein explizites Lernziel. Dabei werden sowohl Leistungs- als auch Verhaltensdaten aus der nationalen Begleitforschung in Ankopplung an PISA 2022 analysiert. Das Symposium schließt mit einer Diskussion der einzelnen Beiträge und einer Einordnung der präsentierten Ergebnisse. Beiträge des Symposiums Effekte der schulischen und außerschulischen Nutzung digitaler Medien auf Lesekompetenz, selbsteingeschätzte Kompetenz und Lernmotivation im Umgang mit digitalen Medien - Ein internationaler Vergleich anhand von PISA 2022 Die Nutzung digitaler Medien hat sowohl im Unterricht als auch in der Freizeit von Jugendlichen weltweit enorm an Bedeutung gewonnen, nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie (Wößmann et al., 2021). Ziel der schulischen Nutzung digitaler Medien in Deutschland ist unter anderem die Entwicklung und Förderung der ICT (Information and Communication Technology) Literacy der Schüler*innen. So sollen diese die notwendigen Kompetenzen erwerben, um digitale Medien sicher und zielgerichtet als Lernwerkzeuge zu verwenden, sich zu informieren, zu kommunizieren und zu kooperieren und Informationen zu produzieren und zu präsentieren und dabei ihr Tun sowie die digitalen Medien kritisch zu reflektieren und zu bewerten (Kultusministerkonferenz [KMK], 2017, 2021). Darüber hinaus kann die schulische Nutzung von digitalen Medien das Leseverständnis begünstigen (z. B. Moran et al., 2008). Diesen Zielsetzungen stehen große Herausforderungen auf Seiten der Schulen und Lehrkräften gegenüber, einen effektiven Einsatz digitaler Medien im Unterricht zu realisieren (Scheiter, 2021). Neben der quantitativen Ausstattung mit digitalen Medien spielt insbesondere deren gezielter lernförderlicher Einsatz im Unterricht eine große Rolle, sowohl für den fachlichen als auch den medienbezogenen Kompetenzerwerb. Zu dieser Thematik wurde in der PISA 2022 Studie u.a. der Einsatz digitaler Medien im Unterricht sowie deren Nutzung durch die Schüler*innen erfasst. Im Rahmen des Beitrags werden Daten der PISA 2022 analysiert, die auf Antworten von über 20.000 Schüler*innen und über 7.500 Lehrkräften beruhen. Um einen Einblick in die aktuelle Nutzung digitaler Medien im Unterricht zu erhalten, werden Befunde zur Nutzungshäufigkeit digitaler Tools im Unterricht aus Sicht der Lehrkräfte in Deutschland sowie im internationalen Vergleich (Österreich, Schweiz, Dänemark) präsentiert. Diesen Befunden wird die Nutzungshäufigkeit digitaler Medien aus Sicht der Schüler*innen gegenübergestellt und ebenfalls international eingeordnet. Dazu wird die Häufigkeit des Einsatzes digitaler Medien im Unterricht sowie die Häufigkeit verschiedener Nutzungsformen, wie beispielsweise Multimedia-Präsentationen erstellen oder digitale Lernspiele spielen berichtet. Ergänzend werden die Häufigkeit und Art der Nutzung digitaler Medien in der Freizeit vorgestellt. Basierend auf diesen Befunden werden Analysen zur selbsteingeschätzten Kompetenz in Bezug auf ICT-Literacy, und Lernmotivation im Umgang mit digitalen Medien sowie die fachliche Kompetenz im Bereich Lesen der Schüler*innen vorgestellt und mithilfe von Regressionsanalysen zur Mediennutzung in Schule und Freizeit in Bezug gesetzt. Hierbei werden sowohl die Zusammenhänge für die Schüler*innen in Deutschland als auch in ausgewählten OECD-Staaten (Österreich, Schweiz, Dänemark) berichtet. Abschließend werden die Befunde mit Blick auf den aktuellen Stand digitalisierungsbezogener Lerngelegenheiten an Schulen in Deutschland und mögliche Implikationen für deren Weiterentwicklung und Praxis diskutiert. Auf Grund des bis 5.12.2023 bestehenden OECD-Embargos für die PISA 2022 Daten können die Befunde der Analysen zum Zeitpunkt der Beitragseinreichung nicht berichtet werden. Modellierung von erworbenem Wissen in der innovativen PISA-Domäne – Lernen in der digitalen Welt (LDW) Hintergrund Die innovative PISA-Domäne „Lernen in der digitalen Welt (LDW)“ integriert die Erfassung des Vorwissens mit Möglichkeiten zum Wissenserwerb. Die bereitgestellte digitale Umgebung enthält Lernressourcen sowie Lern- und Testaufgaben zur Erfassung der Kompetenz, komplexe Systeme mit Hilfe digitaler Werkzeuge zu modellieren und algorithmische Probleme zu lösen. Dabei durchlaufen die Schüler*innen einen Prozess des selbstgesteuerten Lernens, in dem sie die Lösung von komplexen Problemstellungen erarbeiten. Um konstituierende Faktoren dieses Lernens zu untersuchen, ist es notwendig den Teil der Leistung, der auf bestehende Fertigkeiten und Wissensstrukturen zurückgeht, von dem Teil zu trennen, der sich durch Fertigkeiten und Wissensstrukturen ergibt, die während der Bearbeitung der Lernaufgaben erworben werden. Fragestellung 1) Gibt es systematische interindividuelle Unterschiede in der finalen Testleistung, die sich nicht durch Vorkenntnisse der Teilnehmenden erklären lassen? 2) Können diese Unterschiede als im Lernprozess erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten interpretiert werden? Methode In der Studie wurden sechs Lerneinheiten des Typs „Systemmodellieren“ bzw. „Blockbasiertes Programmieren“ verwendet. Die Schüler*innen bearbeiteten jeweils zwei Einheiten (eine je Typ), wobei eine Einheit ca. 30 Minuten dauerte. Innerhalb einer Einheit erhielten sie zunächst eine Einführung in die Umgebung, gefolgt von einem Test zur Erfassung des für die Einheit spezfischen Vorwissens. Danach durchliefen die Schüler*innen eine Reihe interaktiver Lernaufgaben, in denen sie sich schrittweise Lösungen erarbeiten und in der Lernumgebung angebotenen Lernmaterialien und Hilfen nutzen konnten. Dabei wurde die Nutzung der zur Verfügung stehenden Lernmaterialien als Verhaltensindikator für „Lernen“ erfasst. Abschließend wurden die Schüler*innen in einer „Big Challenge“-Aufgabe, welche alle Anforderungen der vorhergegangenen Lernaufgaben integrierte, getestet. Die Leistung in dieser Aufgabe wurde als Indikator für die Kombination aus Vorwissen und erworbenem Wissen erfasst und als abhängige Variable für die weiteren Analysen verwendet. Zur Validierung der Interpretation dieser Indikatoren wurden Intelligenz (BefKi, Wilhelm et al., 2014), Komplexes Problemlösen (Microdyn, Krieger et al., 2021) und Lernzielorientierung (Spinath et al., 2012) in Form von Leistungstests und Selbstauskünften miterhoben. An der Studie nahmen 737 Schüler*innen der Deutschen PISA 2022-Stichprobe teil. Die Frage, inwieweit Schüler*innen in der „Big Challenge“ gemessen an ihrem Vorwissen besser bzw. schlechter als erwartet abschneiden (Fragestellung 1), wurde per Strukturgleichungsmodell untersucht, in dem das Vorwissen die „Big Challenge“-Leistung vorhersagt und die unerklärte Varianz einer neuen Residualvariable zugewiesen wird. Dadurch wird nur der Teil der Leistung, der linear unabhängig vom Vorwissen ist, von der Residualvariable repräsentiert. Um unspezifische Vorkenntnisse im komplexen Problemlösen zu kontrollieren, wurde in einem weiteren Modell für dieses – analog zum spezifischen Vorwissen – kontrolliert. Die zugrundeliegende Annahme ist dabei, dass die Problemlösekompetenz relevant für das Bearbeiten der Aufgabe ist, nicht aber für den Lernprozess. Um die Interpretation der Residualvariablen als „erworbenes Wissen“ zu validieren (Fragestellung 2), kann diese von diversen Kovariaten erklärt werden. Dazu wurden Effekte von Intelligenz als Lernvorrausetzung und der Nutzung angebotener Lernressourcen als lernbezogenes Verhalten geprüft. Ergebnisse Nach der Vorhersage der Performanz in der „Big Challenge“ durch das Vorwissen und die Problemlösekompetenz verblieb eine signifikante Residualvarianz von 21%. Es gibt also systematische Unterschiede zwischen Schüler*innen über ihr spezifisches Vorwissen und ihre Problemlösekompetenz hinaus. Das Residuum konnte signifikant durch die Nutzung von angebotenen Lernressourcen (β = .58) sowie die Intelligenz der Schüler*innen (β = .50) erklärt werden. Die Nutzung der angebotenen Lernressourcen konnte signifikant durch die Lernzielorientierung der Schüler*innen erklärt werden, wobei der positive Effekt der Lernzielorientierung auf das Residuum komplett durch die Nutzung der Lernressourcen mediiert wurde. Dies unterstützt die Interpretation des Indikators als lernbezogenes Verhalten. Zusammen liefern diese Befunde Evidenz dafür, dass tatsächlich ein Lernprozess bei der Bearbeitung LDW-Einheiten stattfindet und dass die Residualvariable auf interindividueller Ebene anteilig als Indikator für „erlerntes Wissen“ interpretiert werden kann. Diese Erkenntnisse liefern die Basis für weitere Untersuchungen von Vorrausetzungen und Prozessen erfolgreichen Lernens in digitalen Umgebungen. Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen unter den Bedingungen der Digitalität an organisational resilienten Schulen –qualitative Analyse der ICILS-2018-Vertiefungsstudie UneS unter Berücksichtigung der Basisdimensionen guten Unterrichts Hintergrund Die Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche stellt Schulen vor neue Herausforderungen (Eder, Scheiter & Lachner, 2023; Scheiter, 2021). Um auf die veränderten gesellschaftlichen Anforderungen angemessen zu reagieren, gilt es, digitale Medien in unterrichtlichen Lehr- und Lernprozessen so zu nutzen, dass sie zu einem (über)fachlichen Kompetenzerwerb aller Schüler:innen und damit zur Förderung der Chancengerechtigkeit beitragen (KMK, 2021). Bezogen auf die digitalen Kompetenzen hat sich empirisch international und für Deutschland gezeigt, dass diese vergleichsweise hohen sozialen Disparitäten unterliegen (Senkbeil et al., 2019). Dennoch lassen sich auch in Deutschland Schulen identifizieren, deren Schüler:innen trotz herausfordernder Schülerkomposition überdurchschnittliche digitale Kompetenzen erreichen (Drossel et al., 2020). Diese Schulen können für den Bereich der digitalen Kompetenzen, anknüpfend an Studien für andere Kompetenzbereiche (Schelvis et al., 2014), als organisational resilient bezeichnet werden. Studien, die fachspezifische Kompetenzen fokussieren, zeigen, dass diese Schulen gemeinsame Merkmale aufweisen, die sich insbesondere auch auf die Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen beziehen (Agasisti et al., 2018). Unter Rückbezug auf Merkmale guten Unterrichts mit digitalen Medien (Lachner, Scheiter & Stürmer, 2020) geht der vorliegende Beitrag anknüpfend an die ICILS-2018-Studie mit einer vom BMBF geförderten qualitativen Vertiefungsstudie der Forschungsfrage nach, wie digital-gestützte unterrichtliche Lehr- und Lernprozesse im Hinblick auf die Basisdimensionen guten Unterrichts an empirisch identifizierten organisational resilienten Schulen gestaltet werden. Methode Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden Daten des Projektes ‚Unerwartbar erfolgreiche Schulen im digitalen Wandel – eine qualitative Vertiefungsstudie zu ICILS 2018’ (UneS-ICILS 2018; Laufzeit 2020-2023) herangezogen. Schulen werden als ‚unerwartbar erfolgreich‘ identifiziert, wenn der mittlere sozioökonomische Status (SES) der Achtklässler*innen in den Daten der Studie ICILS 2018 unterdurchschnittlich ausfiel (untere 40% im HISEI) und gleichzeitig die mittleren, in ICILS 2018 gemessenen digitalen Kompetenzen (5 Plausible Values, Eickelmann et al., 2019) sich überdurchschnittlich in der repräsentativen Gesamtverteilung für Deutschland einordnen lassen (Drossel et al., 2019). Dieses zweiteilige Kriterium erfüllen in Deutschland 17% (N=36) der ICILS-2018-Schulen (Drossel et al., 2020). In die Analysen gehen videobasierte Unterrichtsanalysen (N=12 an 4 Schulen), Lehrkräfteinterviewdaten (N=22 an 11 Schulen) sowie Schüler:innengruppeninterviewdaten (N=7 an 4 Schulen) ein. Die Auswertung der videographierten Unterrichtsstunden erfolgt mittels quantitativer Videoanalyse (Riordan, 2022; 1=‚trifft nicht zu‘ bis 4=‚trifft im hohen Maße zu‘) unter Berücksichtigung der Intraklassenkorrelation (Rauin et al., 2016). Die einbezogenen Interviews werden inhaltsanalytisch untersucht (Mayring, 2010). Ergebnisse und ihre Bedeutung Die Videoanalysen zeigen, dass eine effiziente Klassenführung besonders häufig zu beobachten ist. Die beobachteten Klassen zeigen einen routinierten Umgang mit digitalen Medien (M=3.50, SD=0.87), effiziente Lösungen mit technischen Störungen (M=3.28, SD=0.92) und Lehrkräfte nutzen zudem häufig digitale Medien zur Unterrichtsorganisation (M=3.60, SD=0.48). Die Ergebnisse zur kognitiven Aktivierung zeigen hingegen, dass digitale Medien selten für die Herstellung ein tieferes Verständnis genutzt (M=1.60, SD=0.76) und zudem die Potenziale neuartiger Aufgabenformate wenig ausgeschöpft werden (M=2.10, SD=0.91). Bezüglich der konstruktiven Unterstützung zeigt sich eine respektvolle gegenseitige Unterstützung zwischen Schüler:innen und Lehrkräften (M=2.10, SD=1.30). Demgegenüber werden digitale Medien selten differenzierend (M=1.20, SD=0.05) und für kollaboratives Arbeiten (M=1.10, SD=0.48) eingesetzt. Diese Beobachtungen entlang der drei Basisdimensionen decken sich mit den Ergebnissen der Analysen der Schüler:innengruppeninterviews. Betrachtet man hingegen die Aussagen der Lehrkräfte, wird ersichtlich, dass diese die Umsetzung der drei Basisdimensionen deutlich positiver einschätzen. Folgt man den Ergebnissen und zieht hinzu, dass Lehrkräfte die ‚key stone species‘ für die erfolgreiche Implementierung digitalen Lernens in Schulen sind (Davis et al., 2014), könnte an der aus den Interviews ersichtlichen positiven Sichtweise der Lehrkräfte angeknüpft werden, um im Sinne eines Transfers die Gestaltung unterrichtlicher Lehr- und Lernprozesse unter den Bedingungen der Digitalität an Schulen mit benachteiligter Schülerkomposition zu verbessern. Die UneS-Studie macht deutlich, dass LSA (hier ICILS) ein Ausgangspunkt für die Analyse von Lernen in der Digitalität sein können, aber gleichzeitig ein vertiefender qualitativer Blick wichtig ist, um Bildungsprozesse zu verstehen. |
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