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Sitzungsübersicht
Ort: S23
Seminarraum, 50 TN
Datum: Montag, 18.03.2024
10:30 - 12:101-19: Methodische Entwicklungen in der Unterrichts- und Lehrkräfteforschung
Ort: S23
 
Paper Session

A Constitutional AI Approach for Educational Helpfulness of Large Language Models

Steffen Brandt

opencampus.sh

Theoretical Background

Large Language Models (LLMs) are assumed to play a core role in future education with serving as learning assistant or tutor being one of the potential roles (cf. Dwivedi et al., 2023; Kasneci et al., 2023). In educational research such applications are called intelligent tutoring systems (ITS). However, to the author’s knowledge there is currently no theoretical framing of LLMs in terms of ITS that are commonly considered using Wenger’s architecture framework (Wenger, 2014).­­­­­

Considering LLMs serving as chatbot assistants their optimization is focused on a training towards the three “H”: helpfulness, harmlessness, and honesty (Bai, Jones, et al., 2022).. To the author’s knowledge there is currently no LLM specifically trained on educational helpfulness, that is on answering in a Socratic style common for ITS (Chi, De Leeuw, Chiu, & LaVancher, 1994; Paladines & Ramirez, 2020)).
LLM based applications are often integrated in a multi-step process, for example, including retrieval augmented generation (Lewis et al., 2020) and one or more custom prompts that enhance the user input. The final output of an LLM-based ITS will therefore typically depend on further elements beyond the LLM.

Research Questions

  • RQ1: How do LLM-based tutors align to Wenger’s architecture for ITS?
  • RQ2: Is it possible to use Anthropic’s Constitutional AI approach (Bai, Kadavath, et al., 2022) to train an LLM serving as ITS?

Method

The Zephyr-7B-α model (Hugging Face, 2023) is fine-tuned via training data generated according to the Constitutional AI approach. Hereby, the model is requested to critique its generated answers and generate improved answers. The new data is then used for further fine-tuning. A set of 1000 questions on physics and history with difficulty levels ranging from Kindergarten to 12th grade is generated using GPT-4 (OpenAI, 2023b). On each of these, fifteen different critique and revision prompt pairs like the following are applied:

[Critique]
Point out instances where the assistant's last response directly provided the answer or did not guide the student through a learning process in a Socratic manner.

[Revision]
Please rewrite the assistant's response to follow a Socratic style of questioning, aimed at guiding the student to think for themselves.

For a baseline comparison answers of OpenAI’s GPT-3.5 and GPT-4 default models are used with custom prompts soliciting an educational helpful, Socratic style answer as proposed by OpenAI (OpenAI, 2023a, 2023b).

To evaluate the answer quality, GPT-4 is prompted to rank the answers of the different models for a given question according to the rules defined by the prompt to generate the training data. Additionally, a qualitative review is conducted by educational experts to provide further insights.

Results

RQ1:

The following mapping to Wenger’s four modules of ITS is proposed:

  • Communication module: Training data of base model including basic subject and proficient language knowledge.
  • Tutorial module: Training data of fine-tuned model including educationally helpful chats.
  • Student module: Custom prompt including a student description.
  • Expert module: Vector database including expert knowledge.

More explanations are given in the presentation.

RQ2:

The model training and evaluation will be conducted in the coming month and will be presented at the conference.

Discussion

The mapping proposed in (1) of LLM-based chat applications is hoped to help in comparing previous work on ITS with LLM-based approaches.
Further, the results will show to what extent current open-source models in combination with the Constitutional AI approach provide a possible basis for application in educational settings and further testing of their effectiveness.

Future directions for improving LLMs as ITS might be the integration of student characteristics in custom prompts and of further expert knowledge via vector databases that additionally help preventing hallucination.



Paper Session

Eine längsschnittliche Mehrebenen-Erweiterung des linear-logistischen Testmodells (LLTM) zur Vorhersage der Instruktionssensitivität von Testitems

Alexander Naumann1,2, Jan Hochweber3

1DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland; 2Institut für Schulentwicklungsforschung, TU Dortmund; 3Pädagogische Hochschule St. Gallen (PHSG)

Theoretischer Hintergrund

Schulische Leistungsmessungen dienen regelmäßig als ein zentrales Kriterium für die Beurteilung der Wirkungen und der Wirksamkeit von Unterricht (z.B. Klieme, 2018; Kultusministerkonferenz, 2006). Üblicherweise werden Unterrichtsprozesse dann als wirksam angesehen, wenn sie mit höheren Testwerten der Schülerinnen und Schüler einhergehen, und entsprechend als unwirksam, wenn nicht. Allerdings setzt eine solche Vorgehensweise voraus, dass die eingesetzten Tests und Items prinzipiell dazu in der Lage sind, mögliche Effekte des Unterrichts zu erfassen, also instruktionssensitiv sind (z.B. Naumann, Musow, Aichele, Hochweber & Hartig, 2019; Popham, 2007). Entsprechend kann die empirische Untersuchung der Instruktionssensitivität von Tests und Items notwendige Belege für eine valide Nutzung und Interpretation der Testwerte liefern (AERA, APA, NCME, 2014).

Zur empirischen Untersuchung der Instruktionssensitivität von Tests und Items sind im Laufe der letzten Jahre verlässliche und kohärente Verfahren vorgeschlagen worden (z.B. Naumann, Hartig & Hochweber, 2017; Naumann, Rieser, Musow, Hochweber & Hartig, 2019). In der Regel werden Sensitivitätsmaße jedoch (wenn überhaupt) erst dann erhoben, nachdem die Itemkonstruktion abgeschlossen und ein Test angewendet wurde. Entsprechend gibt es nach wie vor nur wenig systematisches Wissen darüber, wie neue, instruktionssensitive Items zielgerichtet konstruiert werden können. Im Idealfall wäre jedoch das Wissen über solche Merkmale von Items, die deren Instruktionssensitivität beeinflussen, bereits während der Itemkonstruktion vorhanden, um Items gezielt so zu konstruieren, dass sie das erforderliche Maß an Instruktionssensitivität erreichen.

Fragestellung und Methode

Unsere Arbeit zielt auf diese Forschungslücke. Wir schlagen ein Modell zur Vorhersage der globalen und differentiellen Instruktionssensitivität anhand von Itemmerkmalen vor, das auf dem von Naumann und Kollegen (2017) vorgeschlagenen psychometrischen Rahmen zur Messung von Instruktionssensitivität basiert. Dazu formulieren wir das längsschnittliche Mehrebenen-IRT (LMLIRT)-Modell zur Messung der Instruktionssensitivität von Items im Sinne eines erklärenden IRT-Modells mit Itemprädiktoren um (Wilson & De Boeck, 2004). Das heißt, wir modifizieren das LMLIRT-Modell so in Anlehnung an das linear logistische Testmodell (LLTM; Fischer, 1973), um Regressionskoeffizienten zu schätzen, die den Beitrag der einzelnen Itemmerkmale zur klassenspezifischen Veränderung der Itemschwierigkeit über Messzeitpunkte zu quantifizieren. Zusätzlich fügen wir dem resultierenden längsschnittlichen Mehrebenen-LLTM-Modell einen Fehlerterm hinzu, der es ermöglicht, die vergleichsweise strenge Annahme zu lockern, dass die Itemmerkmale die Itemschwierigkeit vollständig erklären können (Janssen, Schepers, & Peres, 2004).

Zur Veranschaulichung wenden wir das Modell auf Daten aus der DESI-Studie (DESI-Konsortium, 2008) an. In DESI wurde die Sprachbewusstheit von Schüler:innen (N = 10.965 Schüler:innen in 427 Klassen) zu Beginn und am Ende der neunten Jahrgangsstufe anhand von 34 Items gemessen, die den grammatikalisch angemessenen Sprachgebrauch erfassen sollen. In der DESI-Studie wurden Itemmerkmale definiert, die sich auf theoretische Modelle der Sprachbewusstheit beziehen, und von Expert:innen eingeschätzt. Zehn Merkmale der Items des Sprachbewusstheitstests wurden für die Analysen ausgewählt.

Ergebnisse und Diskussion

Die Ergebnisse legten nahe, dass neun der zehn Itemmerkmale statistisch bedeutsam zur Vorhersage der mittleren Veränderung der Itemschwierigkeiten im Laufe der neunten Jahrgangsstufe beitrugen (globale Sensitivität). Ein Vergleich mit dem konventionellen LMLIRT-Modell zeigte, dass 49% der Variation in der globalen Sensitivität erklärt wurde (64%, wenn ein Ausreißer eliminiert wurde). Ein Vergleich mit dem LMLIRT-Modell zeigte, dass 63% der Varianz in der differentiellen Sensitivität durch die Itemmerkmale erklärt werden konnten.

Zusammenfassend funktionierte das Modell gut in der Anwendung auf empirische Daten. Die Möglichkeit, gezielt instruktionssensitive Items zu konstruieren, wird dazu beitragen, die Instruktionssensitivität von Tests und Items zu gewährleisten, ohne umfangreiche Pretests oder Pilotierungen durchzuführen oder sich auf bestehende Instrumente stützen zu müssen, was ökonomisch vorteilhafter ist. Darüber hinaus liefert derartiges Wissen über die Konstruktion von instruktionssensitiven Items einen wichtigen Beitrag zur validen Nutzung von Testverfahren, wenn es um gültige Rückschlüsse über die Wirksamkeit von Unterricht anhand von Testwerten aus schulischen Leistungsmessungen geht.



Paper Session

Ich sehe was, was du nicht siehst – eine Laborstudie zur Untersuchung von Expertiseunterschieden in der professionellen Wahrnehmung von Unterrichtsstörungen mittels mobilem Eye-Tracking

Mandy Klatt, Christin Lotz, Gregor Kachel, Anne Deiglmayr

Universität Leipzig, Deutschland

Theoretischer Hintergrund:
Der Umgang mit Störungen im Klassenzimmer ist ein wesentlicher Aspekt effektiver Klassenführung (Evertson & Weinstein, 2006; Kounin, 2006). Dementsprechend müssen Lehrkräfte in der Lage sein, wichtige Ereignisse im Klassenzimmer schnell zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Diese Fähigkeit wird als professionelle Wahrnehmung bezeichnet (Goodwin, 1994; Seidel & Stürmer, 2014). Forschungen zur Lehrer:inexpertise haben gezeigt, dass sich erfahrene und unerfahrene Lehrkräfte in ihrer Fähigkeit, Ereignisse im Klassenzimmer wahrzunehmen, unterscheiden. Bisher haben sich jedoch nur wenige Studien auf den basalen Prozess des Bemerkens, d.h. das Erkennen möglicher störender Situationen, konzentriert (Grub et al., 2020). Mobile Eye-Tracking-Parameter (wie z.B. Fixationsanzahl und -dauer sowie die Zeit bis zur ersten Fixation auf lernrelevante Bereiche) können diese Forschungslücke schließen, indem sie neue Erkenntnisse darüber liefern, wie sich Expertiseunterschiede in der professionellen Wahrnehmung von Lehrkräften manifestieren (Lachner et al., 2016; Wolff et al., 2016). Bisherige Studien zeigten, dass erfahrene Lehrpersonen im Vergleich zu unerfahren mehr Fixationen mit kürzerer Fixationsdauer aufweisen (Huang, 2018), wohingegen es bei der Zeit bis zur ersten Fixation auf lernrelevante Bereiche noch weiterer Forschung bedarf (Grub et al., 2022b).

Forschungsfragen:
In dieser Studie wurde untersucht, wie die Berufserfahrung von (angehenden) Lehrpersonen (a) die Fixationsanzahl und (b) die Fixationsdauer in lernrelevanten Bereichen (einerseits generell alle Schüler:innen, andererseits speziell die Person, die stört) sowie (c) die Zeit bis zur ersten Fixation auf die störende Person beeinflusst, wobei mobile Eye-Tracking-Daten in einer kontrollierten Micro-Teaching-Unit verwendet wurden. Basierend auf der bestehenden Literatur erwarteten wir, dass erfahrene Lehrkräfte (H1) mehr Fixationen auf relevante Bereiche mit (H2) kürzeren Fixationsdauern zeigen (Huang, 2018), wobei wir (H3) die Zeit bis zur ersten Fixation auf die störende Person explorativ untersuchten.

Methode:
Die Stichprobe bestand aus n = 40 erfahrenen Lehrpersonen (Lehramtsstudium abgeschlossen, im Lehrberuf tätig) und n = 40 unerfahrenen Lehrpersonen (Lehramtsstudierende, erstes Praktikum absolviert). Die Erhebung der kompletten Stichprobe ist abgeschlossen; Daten von n = 16 erfahrenen und n = 25 unerfahrenen Lehrpersonen sind bereits kodiert. Auf der Konferenz werden die Ergebnisse der kompletten Stichprobe vorgestellt.

Im Erhebungssetting dieser Studie unterrichteten die Teilnehmenden eine 15-minütige, selbst vorbereitete Unterrichtseinheit in einer Laborumgebung vor einer "Klasse" von drei Schauspielenden, die neun typische Unterrichtsstörungen (z. B. mit dem Nachbarn plaudern) simulierten. Während der Lektion trug die Versuchsperson eine mobile Eye-Tracking-Brille von Tobii Pro Glasses 2, welche visuelle Daten über das Blickverhalten der Lehrperson auf relevante Bereiche sammelte. Als lernrelevante Bereiche wurden zum einen generell alle Schüler:innen definiert, zum anderen speziell die Person, die die Störung ausführte.

Die Analyse der Eye-Tracking-Daten erfolgte in der Tobii Pro Lab Analyzer Software, um die entsprechenden Eye-Tracking-Parameter auszuwählen (Fixationsanzahl, Fixationsdauer und Zeit bis zur ersten Fixation auf die störende Person). Weitere statistische Analysen wurden in RStudio (RStudio Team, 2020) durchgeführt. Aufgrund der zu geringen Stichprobe wurde bisher nur die Effektstärke d berechnet, um eine Tendenz der Ergebnisse zu indizieren. Mit der finalen Stichprobe werden Mittelwertunterschiede zwischen den Expertisegruppen mittels t-Tests für unabhängige Stichproben für alle drei Hypothesen untersucht.

Ergebnisse:
Vorläufige Ergebnisse aus der aktuellen Stichprobe zeigten, dass erfahrene Lehrpersonen mehr Fixationen auf alle Schüler:innen (dSchüler:innen = 0.32) aufwiesen, wohingegen Lehramtsstudierende häufiger die störende Person fixierten (dStörperson = -0.38). Außerdem hatten Lehrpersonen in beiden Bereichen kürzere Fixationsdauern (dSchüler:innen = -0.41; dStörperson = -0.51) und zeigten schnellere Zeiten bis zur ersten Fixation auf die Person, die die Störung ausführte (dStörperson = -0.20).

Diskussion:
Die vorläufigen Ergebnisse erweitern den Forschungsstand bisheriger Studien, die die professionelle Wahrnehmung von Lehrpersonen mit Hilfe von mobilem Eye-Tracking untersucht haben (Grub et al., 2020; Grub et al., 2022b). Die gefundenen Unterschiede können einen Beitrag leisten, die professionelle Wahrnehmung besser zu verstehen und wichtige Informationen für die Ausbildung sowie Förderung einer professionellen Wahrnehmung für angehende Lehrpersonen liefern.



Paper Session

Computerbasierte Qualitätsbewertung schriftlicher Fremdreflexionen

Lukas Mientus1, Anna Nowak1, Peter Wulff2, Andreas Borowski1

1Universität Potsdam; 2Pädagogische Hochschule Heidelberg

Hintergrund und Forschungsanliegen

Reflexion gilt in der Lehrkräftebildung als eine Schlüsselkategorie der professionellen Entwicklung (Korthagen & Kessels, 1999; Wyss & Mahler 2021). So werden Reflexionsprodukte häufig unter Verwendung von Stufenmodellen für beispielsweise deskriptives, analytisches oder reflexives Argumentieren (z.B. Hatton & Smith, 1995; Larrivee, 2008) herangezogen oder einzelne Facetten aus Prozessmodellen (z.B. Aeppli & Lötscher, 2016; Nowak et al., 2019), wie die Breite adressierter Themen oder die Tiefe der Argumentation bewertet. Eine wesentliche Herausforderung hierbei besteht darin, dass die Qualität einer Reflexion auf mehreren Dimensionen bewertet werden kann, ohne quantifizierbare, absolute Aussagen treffen zu können. Studien im Bereich der Reflective Writing Analytics (z.B. Buckingham Shum et al., 2017; Ullman, 2019; Wulff et al., 2022) könnten bei dieser Herausforderung Abhilfe schaffen, auch da sie (im Prinzip) nicht durch menschliche Schwächen wie begrenztes Kurzzeitgedächtnis, Tagesform oder unterschiedliches Sprachgefühl und Vorwissen eingeschränkt sind. Unklar bleibt jedoch, inwieweit aus diesen ML-basierten Bewertungen quantifizierbare und belastbare Rückschlüsse auf die Qualität schriftlicher Reflexionen möglich sind.

Methode

Aus diesem Grund, wurde unter Verwendung von bereits validierten Machine-Learning-Algorithmen (nach Wulff et al., 2022 und Mientus et al., 2023) ein quantifizierbares Qualitätsmaß für schriftliche Fremdreflexionen zu einer videografierten Unterrichtssituation entwickelt, welches unabhängig menschlicher Ressourcen die Qualität eines Argumentationsprozesses abschätzen kann. Im Rahmen der Studie verfassten N = 134 (angehende) Physiklehrkräfteschriftliche Fremdreflexionen zu einer Unterrichtsvideographie. Expert*innen erstellten theoriegeleitet Qualitätsbewertungen zur Breite, Tiefe, Kohärenz und Spezifität (k > .67) eines jeden Reflexionstextes, um auf ein bekanntes kategoriales Qualitätsmaß zurückgreifen zu können. Unter Verwendung von ML-Algorithmen aus den vorangegangenen Studien wurden für jeden Reflexionstext Informationen zur Argumentationsstruktur aus den Texten extrahiert. Hierzu gehören beispielsweise relative und absolute Häufigkeiten von Beschreibungen, Bewertungen, formulierten Alternativen und abgeleiteten Konsequenzen. Mittels einer explorativen Faktorenanalyse konnten unter Verwendung von 80% der Daten die Faktoren Qualität, Quantität und Deskriptivität interpretiert werden (Inkludierte Variablen mit Kaiser-Meyer-Olkin-Faktor ≥ .45).

Ergebnisse und Schlussfolgerungen

Da alle kategorialen Qualitätsbewertungen durch den Faktor Qualität repräsentiert wurden und quadratische Zusammenhänge zu den extrahierten Informationen der ML-Algorithmen identifiziert werden konnten, konnte ein maximales Qualitätskorrelat kalkuliert werden. Die quadratischen Regressionen aller Gegenüberstellungen stellten sich hierbei mit p < .001 als signifikant geeigneter dar, als lineare Regressionen. Zum identifizierten maximalen Qualitätskorrelat kann dank der vorliegenden Studie für jeden neuen Reflexionstext im Kontext des gesehenen Unterrichtsausschnitts automatisiert eine Distanz bestimmt werden. Diese Distanz zum maximalen Qualitätskorrelat konnte mit den übrigen 20% der Reflexionstextdaten validiert werden (k = .64***) und kann die Qualität der schriftlichen Reflexionen fortan unabhängig von menschlichen Ressourcen quantifizieren.

Methodisch verdeutlicht diese Arbeit im Kontext der fachdidaktischen Reflexionsforschung die Möglichkeit, aussagekräftige Quantifizierungen auch in der Analyse komplexer Konstrukte, wie der Qualität von Reflexionsprozessen,vornehmen zu können.

 
13:10 - 14:502-19: Neue Befunde zur Stratifizierung des Bildungssystems
Ort: S23
 
Paper Session

De-Tracking Reforms in Germany: Using a Difference-in-Difference Approach to Estimate Effects on Students' Educational Aspirations and their Association with Students' Socioeconomic Backgrounds

Marlen Holtmann1,3, Camilla Rjosk2,3, Malte Jansen3,4,5, Oliver Lüdtke4,5

1International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA), Hamburg; 2Universität Potsdam; 3Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), Humboldt-Universität zu Berlin; 4Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN); 5Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB)

Theoretischer Hintergrund: On the way to acquiring high educational qualifications required by the labor market (OECD, 2021), the corresponding educational aspirations are an important determinant (e.g., Beal & Crockett, 2010). Socioeconomic disparities in students' educational aspirations contribute to lower opportunities for students from socioeconomically disadvantaged backgrounds to achieve high qualifications at the same achievement level (e.g., Bodovski, 2014). Tracking practices are associated with socioeconomic disparities in students’ educational aspirations and discussed as contributing to socioeconomic disparities in educational attainment (cf. Boudon, 1974, Buchmann & Dalton, 2002, Buchmann & Park, 2009).

Some German federal states recently reformed their tracking practices by reducing the number of secondary school track options from up to four to a two-path structure, in which students can continue their school career until they acquire the general university entrance qualification in both tracks (academic and comprehensive). These de-tracking reforms aimed to reduce disparities in students' educational aspirations and success across different school types, especially those related to students' socioeconomic backgrounds (cf. Baumert et al., 2017).

The Berlin study, which scientifically accompanied the de-tracking reforms in Berlin,found an increase in the educational aspirations of non-academic track students toobtain the general university entrance qualification (Neumann et al., 2017). However, they also showed a stable, strong relationship between students’ socioeconomic backgrounds and their educational aspirations, despite the general increase in aspirations (Maaz et al., 2017). The trends of students’ educational aspirations in the other states with de-tracking reforms, as well as the association with students’ socioeconomic background, have not been studied yet.

Fragestellung: We examine whether these de-tracking reforms were, as intended, associated with a change in students' educational aspirations and whether they reduced socioeconomic disparities in students' educational aspirations.

Methode: We analyze representative data of around 65,000 ninth graders from states with and without de-tracking reforms from the pre- and post-reform periods between 2012 to 2018, using data from the IQB National Assessment Study 2012, the IQB Trends in Student Achievement Study 2015 and 2018 (Pant et al., 2015; Stanat et al., 2018; Stanat et al., 2022). With a Difference-in-Differences approach, we estimate the effect of de-tracking reforms on students’ educational aspirations. To examine the change of socioeconomic disparities in students’ educational aspirations, we estimate Difference-in-Differences models for different socioeconomic groups. Moreover, we analyze secondary effects of students’ socioeconomic backgrounds on their educational aspirations by regressing students’ educational aspiration on their socioeconomic backgrounds under control of student achievement. Additionally, in further analyses, we expand our results by comparing students’ educational aspirations in Germany to countries with different tracking practices using data from the International Computer and Information Literacy Study (IEA-ICILS 2018), i.e., after the de-tracking reforms in Germany.

Ergebnisse: Our results suggest that students' educational aspirations have increased in the course of the de-tracking reforms, but that socioeconomic disparities in students' educational aspirations, i.e., the relationship between students' educational aspirations and their socioeconomic backgrounds, have increased rather than weakened. One reason for this could be the cost-benefit calculations (Breen & Goldthorpe, 1997) respective the subjective value (Wigfield & Eccles, 2000) regarding the school-leaving qualification, which might lead to different evaluations of the opportunities and benefits that reformed comprehensive schools might offer, depending on students’ socioeconomic backgrounds. In this context, Bittmann and Schindler (2021) observed risk-averse, downward adjustments of educational aspirations among non-academic track students from socioeconomically disadvantaged backgrounds. The study contributes to the ongoing discussion on how structural features of the educational system such as tracking practices affect socioeconomic disparities in educational outcomes (cf. Maaz et al., 2008; Terrin & Triventi, 2023).



Paper Session

Die Rolle schulkompositioneller Merkmale für die Entwicklung beruflicher Aspirationen am Gymnasium

Victoria Zeddies1, Annabell Daniel2,1

1DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation; 2Ludwig-Maximilians-Universität München

Berufliche Aspirationen gelten als zentraler Prädiktor für den späteren Bildungs- und Berufserfolg und regulieren zu einem bedeutsamen Teil die Berufswahl sowie das Übergangsverhalten von der Schule in den Beruf (Ashby & Schoon, 2010). Übereinstimmend mit etablierten Berufswahltheorien (Gottfredson, 1981; Super, 1980) verweisen empirische Befunde auf altersabhängige Veränderungen und individuelle Unterschiede in der Entwicklung der beruflichen Aspirationen im Jugendalter, welche insbesondere auf individuelle Merkmale wie das Geschlecht oder die soziale Herkunft zurückgeführt werden (z.B. Gao & Eccles, 2020; Miyamoto & Wicht, 2020). Jüngste Untersuchungen unterstreichen jedoch theoriekonform auch die Relevanz des schulischen Kontextes: Dabei zeigt sich, dass Schüler:innen am Gymnasium ihre Aspirationen über die Zeit häufiger nach unten korrigieren als Schüler:innen nicht-gymnasialer Schulformen (Basler & Kriesi, 2019; Zeddies et al., submitted). Über diese vorerst deskriptive Befundlage hinausgehend bleibt aber bisher unklar, weshalb sich die Aspirationen in einem Entwicklungskontext, der einen Schulabschluss verleiht, mit dem den Schüler:innen theoretisch alle beruflichen Möglichkeiten offen stehen, ungünstiger entwickeln.

Neben den (nach-)schulischen Opportunitäten gelten die unterschiedlichen Schulformen des gegliederten deutschen Sekundarschulsystems auch aufgrund der leistungsbezogenen und sozialen Segregation als differenzielle Entwicklungsmilieus (Baumert et al., 2006). Das Gymnasium wird aufgrund seiner Zusammensetzung dabei häufig als besonders homogene und unterstützende Umgebung hervorgehoben (Maaz & Dumont, 2019). Entsprechend der prominenten Befunde zum Big-Fish-Little-Pond-Effekt (Marsh, 1987) zeigt sich jedoch, dass sich ein positiv selektiertes Umfeld wie am Gymnasium aufgrund sozialer Aufwärtsvergleiche ungünstig auf die individuelle Entwicklung auswirken kann. Dies wurde insbesondere für motivationale Merkmale vielfach nachgewiesen, welche sich in leistungsstarken Kontexten vermehrt negativ entwickeln. Auch erste Untersuchungen zum Einfluss des Kontextes auf Berufsaspirationen zeigten, dass der Besuch des Gymnasiums positiv mit der Formation der Berufsaspiration zusammenhängt und die Schüler:innen im Mittel überdurchschnittliche bzw. statushöhere Berufswünsche aufwiesen (z.B. Berger, 2020), während eine leistungsstarke Komposition negativ mit der individuellen Berufsaspiration assoziiert ist (z.B. Nagengast & Marsh, 2012). Auswirkungen der Komposition auf die längsschnittliche Entwicklung der Aspirationen blieben bisher jedoch unberücksichtigt.

Ziel der vorliegenden Studie ist es daher, anhand von Längsschnittdaten zu untersuchen, ob und inwieweit sich eine negative Entwicklung der Berufsaspiration am Gymnasium über die leistungsbezogene und soziale Komposition erklären lässt. Basierend auf bisherigen Erkenntnissen wird angenommen, dass sich neben individuellen auch kompositionelle Effekte der leistungsstarken und sozial privilegierten Zusammensetzung am Gymnasium auf die Entwicklung von Berufsaspirationen zeigen, wonach Schüler:innen durch soziale Vergleichsprozesse ihre anfänglich hohen Aspirationen nach unten korrigieren.

Als Datengrundlage dient die Startkohorte 3 des Nationalen Bildungspanels (NEPS; Blossfeld & Roßbach, 2019). Die Längsschnittstichprobe umfasst N = 1.840 Sekundarschüler:innen von Klassenstufe 8 bis 10 an 98 Gymnasien. Zur Analyse bzw. Vorhersage des Absinkens der Berufsaspirationen werden logistische Mehrebenenmodelle in Mplus geschätzt. Als Prädiktoren werden die Leistungen, der sozioökonomische Status sowie die Berufsaspirationen auf Individual- und auf Schulebene berücksichtigt und sukzessive in das Modell aufgenommen.

Erste Ergebnisse zeigen, dass etwa 41% der Schüler:innen ihre Aspirationen im Laufe der Sekundarschulzeit nach unten korrigieren. Insbesondere Jungen tendieren eher dazu, von ihren anfänglich hohen Aspirationen wieder abzukommen, während Schüler:innen aus sozial privilegierteren Familien und mit höheren Leistungen eine geringere Wahrscheinlichkeit für einen Abwärtstrend aufweisen. Darüber hinaus deutet sich an, dass auch unter Kontrolle der Individualmerkmale die soziale und leistungsbezogene Komposition ein Absinken der Aspirationen zu begünstigen scheint, während die mittlere Aspiration die Wahrscheinlichkeit des Absinkens reduziert. Es zeigen sich demnach Hinweise darauf, dass kompositionelle Merkmale an Gymnasien sowohl über Assimilations- als auch Kontrasteffekte mit der Entwicklung der Aspirationen im Zusammenhang stehen. Vertiefende Implikationen werden im Vortrag diskutiert.



Paper Session

Vertikale und horizontale Bildungsunterschiede in der politischen Partizipation: Eine empirische Analyse unter Berücksichtigung heterogener Differenzierungsprozesse

Julia Mayr

Leibniz-Institut für Bildungsverläufe, Deutschland

Das Thema der politischen Ungleichheit ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus gerückt. Hierbei wird vornehmlich auf die ungleichmäßige Verteilung politischer Partizipation sowie Repräsentation verwiesen. So deuten aktuelle Befunde auf das Bestehen systematischer Differenzen in der politischen Teilhabe in Deutschland (WESSELS 2021). Dabei erscheint das gemeinsame Aushandeln der politischen Realität wichtiger denn je. Zumal die moderne Demokratie auf eine interessierte, aufgeklärte Zivilgesellschaft angewiesen ist, deren breite Beteiligung fundamental zur Stabilisierung des demokratischen Systems beiträgt (VAN DETH & ELFF 2004; HADJAR & BECKER 2006).

Die bestehenden Disparitäten können unter anderem damit in Verbindung gebracht werden, dass politische Partizipation voraussetzungsvoll und – gemäß dem civic voluntarism model – von Ressourcen, wie beispielsweise (Partizipations-)Kompetenzen, abhängig ist (VERBA ET AL. 1995). Dahingehend erscheint Bildung von zentraler Bedeutung (NIE ET AL. 1996). So kann laut der Humankapitaltheorie während des Bildungsweges Humankapital in Form von Wissen bzw. Fähigkeiten angehäuft werden (BECKER 1993; MINCER 1974; SCHULTZ 1961). Dem ability-motivation-opportunity triad model entsprechend ist die Grundvoraussetzung politischer Wissensvermittlung im Zusammenspiel aus Fähigkeiten, einer motivationalen Grundlage sowie einer sich ergebenden (Lern-)Gelegenheit zu sehen (DELLI CARPINI & KEETER 1996). Im weiteren Lebensverlauf können sich jene akkumulierten Ressourcen wiederum als nützlich erweisen (BECKER 1993; MINCER 1974; SCHULTZ 1961; KEELEY 2007). So wird der formalen Bildung nicht nur eine positive Einflussnahme auf das Einkommen (als monetäre Bildungsrendite) sondern auch auf weitere Aspekte wie Gesundheit oder Lebenszufriedenheit (als nicht-monetäre Bildungsrenditen) bescheinigt (GROSS ET AL. 2011; HECKMAN ET AL. 2018). Daher untersucht dieser Beitrag, ob sich jene Bildungseffekte auch hinsichtlich politischer Partizipation beobachten lassen.

Im Zentrum der Studie steht sonach die Frage, welcher Zusammenhang zwischen Bildung und verschiedenen politischen Partizipationsformen in der adulten Lebensverlaufsphase besteht und wie sich dieser erklären lässt. Ziel ist es, ein tiefergehendes Verständnis des bildungsinduzierten Einflusses auf (a) Wahlbeteiligung, (b) elitengesteuerte und (c) elitenherausfordernde Partizipationsformen zu gewinnen. Im Sinne des soziostrukturellen Ansatzes wird überdies ein Augenmerk auf formale Bildungsabschlüsse – spezifisch auf die vertikale sowie horizontale Bildungsdifferenzierung – gerichtet (KOGAN 2008; HELSPER ET AL. 2019). Um die Forschung dahingehend zu ergänzen, wurde der Einfluss des Bildungslevels sowie des Bildungstypus’ analysiert und bezüglich der (curriculumsbedingt) variierenden Intensität politischer Bildung diskutiert.

Aufgrund der geringen Anzahl an Literatur, die sich insgesamt sowie für den deutschen Untersuchungsraum differenziert mit politischer Partizipation befasst sowie ambivalenter, wegen des kulturellen und institutionellen Kontextes kaum übertragbarer internationaler Befunde, ergeben sich insbesondere für Deutschland große Forschungsdesiderate (BÖMMEL & HEINECK 2020). Da die aufgeworfene Fragestellung allerdings auch im globalen Kontext noch nicht hinreichend beantwortet wurde, wird dahingehend ebenfalls ein signifikanter internationaler Forschungsbeitrag erwartet.

Basierend auf Längsschnittdaten der Erwachsenenkohorte des Nationalen Bildungspanels (NEPS) wurden detaillierte Analysen des kumulierten Querschnitts umgesetzt. Dazu wurden multiple logistische Regressionsmodelle berechnet. Um beim stufenweisen Modellaufbau Verzerrungen aufgrund unkorrelierter unbeobachteter Heterogenität zu vermeiden, wurden zusätzlich AMEs geschätzt (WOLF & BEST 2010). Eine bestmögliche Approximation des kausalen Effekts erfolgte – der Logik der modernen Kausalanalyse folgend – mittels Identifikation sowie statistischer Berücksichtigung von Selektionseffekten.

Die Ergebnisse zeigen, dass der Bildungseffekt zum einen je nach Partizipationsform differiert und zum anderen, dass neben dem Bildungslevel auch der Bildungstypus entscheidenden Einfluss nimmt. So sind die Effekte des Bildungslevels auf die Wahlbeteiligung statistisch signifikant und stärker als auf andere Partizipationsformen. Bei der elitengesteuerten Partizipation ließen sich mitunter statistisch insignifikante, negative Bildungseffekte beobachten. Hinsichtlich des Bildungstypus’ zeigt sich, dass die allgemeine – im Vergleich zur beruflichen – Bildung durchweg einen positiven, statistisch signifikanten Einfluss auf das Partizipationsniveau hat. Somit ließ sich die Mannigfaltigkeit politischer Beteiligung unter zeitgleicher Berücksichtigung der Bildungsheterogenität eindrucksvoll aufzeigen. Dies hebt erneut die Bedeutsamkeit solch einer differenzierten Betrachtung hervor, deren Resultate als inhaltliche Grundlage einen Beitrag zur gezielten Verabschiedung von Maßnahmen zur Förderung der politischen Gleichstellung leisten können.

 
15:20 - 17:003-19: (Scheinbares) Wissen von Lehrkräften
Ort: S23
 
Paper Session

Erfahrene Lehrer:innen wissen mehr – Entwicklung des pädagogischen-psychologischen Wissens über 15 Jahre

Nikolaus Bönke, Thamar Voss

Universität Freiburg, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Das pädagogische-psychologische Wissen (PPK) ist das professionsspezifische Wissen über die effektive Gestaltung von Lehr-Lernsituation (Voss et al., 2011). Empirische Studien weisen auf die Bedeutung des PPK für den beruflichen Erfolg von Lehrer:innen hin: Die Schüler:innen profitieren durch eine bessere Qualität des Unterrichts von Lehrer:innen mit höherem PPK (z. B. König et al., 2021) und die Lehrer:innen selbst berichten ein höheres berufliches Wohlbefinden (Gindele & Voss, 2017). Im Rahmen der wenigen Studien zur Entwicklung des PPK, zeigte sich, dass das PPK nach dem Ende des Vorbereitungsdienstes bis in die frühe Berufseinstiegsphase im Mittel ansteigt (Blömeke et al., 2015). Unklar ist jedoch, wie das PPK sich langfristig in der beruflichen Phase entwickelt und welche persönlichen Voraussetzungen eine positive Entwicklung begünstigen.

Fragestellung

Die Ziele der vorliegenden Studie sind daher (1) die Beschreibung der langfristigen Entwicklung des PPK sowie (2) die Untersuchung von Prädiktoren dieser Entwicklung. Wir erwarten (1) einen Anstieg des PPK vom Vorbereitungsdienst bis in die berufliche Praxis sowie (2) einen stärkeren Anstieg für Lehrer:innen, die sich als selbstwirksam erleben. Explorativ werden zudem die Zusammenhänge der Veränderung mit Geschlecht und Abiturdurchschnittsnote analysiert.

Methode

Die Stichprobe bestand aus (angehenden) Mathematiklehrer:innen, die an Sekundarschulen in Deutschland unterrichteten. Das PPK der Lehrer:innen wurde zu insgesamt drei Messzeitpunkten über 15 Jahre vom Vorbereitungsdienst bis in die langjährige berufliche Praxis hinein erhoben: zwei Mal während des Vorbereitungsdienstes, in der Anfangsphase (T1: 2007/2008, nT1 = 746) und zum Ende des Vorbereitungsdienstes (T2: 2008/2009, nT2 = 568) sowie ein weiteres Mal nach ca. 15 Jahren (T3: 2022, nT3 = 142).

Erfasst wurde das PPK über eine Kurzversion eines validierten 39-Item-Tests (Voss et al., 2011, 2014). Der Test bestand aus insgesamt 12 Items (offene Fragen und videobasierte Items). Der Test wies in Anbetracht der geringen Anzahl der Test-Items und der Breite des inhaltlichen Konstrukts eine akzeptable Reliabilität auf (ωT1 = .72, ωT2 = .59, ωT3 = .68). Zur Erklärung von Unterschieden in der Veränderung des PPK wurden die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (Schmitz & Schwarzer, 2000; 10 Items, ω = .79), das Geschlecht und die Abiturdurchschnittsnote der Lehrer:innen abgefragt.

Vorläufige Ergebnisse

(1) Die Veränderung des PPK über die Zeit wurde mit einem gemischten linearen Modell (linear mixed model) berechnet. Im Mittel stieg das PPK statistisch signifikant an, sowohl von T1 zu T2 mit einem großen Effekt (β = .67, p < .001) als auch von T2 zu T3 mit einem mittleren Effekt (β = .61, p < .001). Zudem fanden sich substanzielle interindividuelle Unterschiede in den Veränderungen, weshalb wir die Prädiktoren in das Modell zur Erklärung der Unterschiede aufnahmen. (2) Es zeigten sich als Haupteffekte, dass das PPK bei Frauen höher war als bei Männern (β = .11, p = .003). Zudem war eine bessere Abiturdurchschnittsnote (β = .09, p = .013) positiv mit dem PPK assoziiert. Für keine der Prädiktorvariablen zeigten sich signifikante Interaktionseffekte auf die Entwicklung des PPK.

Diskussion

Die Studie leistet einen wichtigen Beitrag zum Erkenntnisgewinn, da es bislang keine Längsschnittstudien gab, die das PPK anhand von validierten Kompetenztests über einen langen Zeitraum hinweg untersucht haben. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass es vielen Lehrer:innen gelingt, die Lerngelegenheiten im Vorbereitungsdienst und in der beruflichen Phase für den Wissenserwerb zu nutzen: Wir fanden einen deutlichen Anstieg im Vorbereitungsdienst und auch in der beruflichen Phase. Jedoch fanden sich neben den mittleren Anstiegen auch substanzielle interindividuelle Unterschiede in den Veränderungen, die sich nur unzureichend durch die untersuchten Merkmale erklären ließen. Daher sollten in weiteren Analysen auch die Einflüsse von Kontextbedingungen an den Schulen und von weiteren persönlichen Merkmalen auf die Veränderung des PPK untersucht werden. Diese Analysen werden bis zur GEBF vorliegen.



Paper Session

Essener Tests zur Erfassung des standardorientierten bildungswissenschaftlichen Wissens (ESBW-Test) – Evaluation der Subskalenerweiterung „Inklusion und Digitalisierung“ (ESBW-ID)

Nils Nolte, Dorit Wiethege, David Alexej Tobinski, Detlev Leutner

Universität Duisburg-Essen, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Die Kultusministerkonferenz (KMK) gibt seit 2004 Standards für die Kompetenzen vor, die in der Lehramtsausbildung erreicht werden sollen (Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland [KMK], 2004-2022). Müser et al. (2022) entwickelten mit dem Essener Test zur Erfassung des standardorientierten bildungswissenschaftlichen Wissens (ESBW) ein Testverfahren, um den Erwerb der in den KMK-Standards festgelegten theoretischen Kompetenzen in den vier Kompetenzbereichen Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren zu überprüfen. Hierbei wurde gezeigt, dass der entwickelte Test klassische Testgütekriterien erfüllt und das bildungswissenschaftliche Wissen sowohl als einheitliches Konstrukt als auch in Form der vier Kompetenzbereiche als einzelne Dimensionen abbilden kann.

Fragestellung

Die KMK-Standards wurden 2015 bzw. 2019 um Anforderungen zur Inklusion und Digitalisierung erweitert, die in der ersten Version des ESBW-Tests noch nicht abgedeckt waren. Der vorliegende Beitrag beschreibt die Erweiterung des Tests um Items zur Inklusion und Digitalisierung und berichtet erste Ergebnisse zur Evaluation der neuen Items. Ein Schwerpunkt wurde bei der Evaluation auf die Abgrenzung des abgefragten bildungswissenschaftlichen Wissens von Alltagswissen gelegt, indem die Testleistung von Studierenden unterschiedlichen Studienfortschritts (Studienanfänger ≤6 Fachsemester n = 195; Studienfortgeschrittene >6 Fachsemester n = 122) mit Lehrkräften (n = 64) einerseits und bildungswissenschaftlichen Laien (n = 183) andererseits verglichen wurde.

Methode

Die neuen Items wurden auf Basis der auf die vier Kompetenzbereichen der KMK-Standards aufgeteilten Anforderungen zu den Themen Inklusion und Digitalisierung in Kooperation mit Fachexperten generiert.

Für die Evaluation der neuen Items wurden Daten von Lehrkräften und fortgeschrittenen Studierenden herangezogen, um ausreichende Kenntnisse für eine robuste Evaluation annehmen zu können. Die Güte des erweiterten Testinstruments wurde mit sowohl klassischen Reliabilitätskriterien als auch mithilfe von IRT-Modellen geprüft. Im Rahmen der IRT-Skalierungen wurde zudem auch die Dimensionalität des erweiterten Tests geprüft. Da der Test sowohl Single- als auch Multiple-Choice-Items beinhaltet, wurden Partial-Credit-Modelle (PCM) geschätzt.

Weiterhin wurden ANOVA-basierte Gruppenvergleiche zwischen den Laien, Studierenden und Lehrkräften angestellt, um die Spezifität des abgefragten Wissens für die Bildungswissenschaften im Vergleich zu Alltagswissen zu prüfen. Hierbei wurden sowohl die Gesamtleistung als auch die Leistungen in den einzelnen Kompetenzbereichen sowie spezifisch in den neuen Themenbereichen Inklusion und Digitalisierung zwischen den Gruppen verglichen.

Ergebnisse

Unter Einschluss aller neu entwickelten Items war Cronbachs Alpha für die Gesamtskala (α = .82) und die Subskalen gut bis akzeptabel (zwischen .63 in der Subskala Erziehen und .42 in der Subskala Beurteilen). DieLösungshäufigkeiten lagen größtenteils im gewünschten Bereich zwischen 5% und 95%.

Sowohl das eindimensionale (EAP-Reliabilität = .84) als auch das vierdimensionale PCM (EAP-Reliabilitäten zwischen .70 und .77) passten gut auf die Daten. Alle Items wiesen einen akzeptablen Itemfit im einparametrischen Modell auf (Infit zwischen 0.86 und 1.29; Bond & Fox, 2007). Bei einigen Items (neuen wie alten) zeigte sich substanzielles DIF zwischen den Gruppen, das noch tiefergehend untersucht und sowohl bei der finalen Itemauswahl für den erweiterten Test als auch bei der finalen Schätzung der Personenfähigkeiten berücksichtigt werden wird.

Hinsichtlich der Testleistungen zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen sowohl in der Gesamtleistung (F(2,362) = 11.58, p < .001) als auch in einzelnen Subskalen (F(2,362) zwischen 3.11 und 15.47, p zwischen .027 und <.001). Bei durch Post-hoc-Tests belegten deskriptiven Vergleichen fiel markant auf, dass in den meisten (Sub-)Skalen auf der einen Seite Laien und Studienanfänger ähnliche Leistungen zeigten, welche signifikant schlecher waren als die (ebenfalls auf vergleichbarem Niveau liegenden) Leistungen der Studienfortgeschrittenen und Lehrkräfte auf der anderen Seite.

Insgesamt wiesen die meisten Items zur Inklusion und Digitalisierung gute Kennwerte auf, sodass die finale Itemauswahl aus sowohl statistischen als auch inhaltlichen Gesichtspunkten durchgeführt werden kann. Der Gruppenvergleich zeigte zudem, dass der ESBW-Test tatsächlich vor allem im Studium erworbenes bildungswissenschaftliches Wissen misst und nicht bloßes Alltagswissen.



Paper Session

Psychologische Fehlvorstellungen, Bildungsmythen und epistemische Überzeugungen von Studierenden

Linda Wirthwein, Rolf Daniel Jürgens, Bernadette Gold, Ricarda Steinmayr

TU Dortmund, Deutschland

Fehlinformationen über psychologische Themen sowie bildungspsychologische Mythen sind in der Bevölkerung, so auch unter Studierenden, weit verbreitet (z.B. Deibl & Zumbach, 2023; Menz et al., 2021). Entsprechende Fehlvorstellungen können insbesondere bei Lehramtsstudierenden ungünstige Auswirkungen auf das unterrichtliche Handeln haben (Asberger et al., 2021; König et al., 2012). Daher ist es relevant, die Entstehung psychologischer Mythen sowie Bildungsmythen besser zu verstehen. Forschung zu Determinanten entsprechender Fehlvorstellungen kommen allerdings zu widersprüchlichen Ergebnissen (vgl. Deibl & Zumbach, 2023). Darüber hinaus existieren Vorurteile gegenüber der Psychologie als Wissenschaft, was sich beispielsweise in unzutreffenden epistemischen Überzeugungen (subjektive Vorstellungen über die Natur des Wissens und den Prozessen des Wissenserwerbs) widerspiegelt (Hofer, 2001; Peter et al., 2016). Bisherige Studien konnten bereits substantielle Zusammenhänge zwischen epistemischen Überzeugungen und dem Vorhandensein von Bildungsmythen aufzeigen (Berweger et al., 2023).

Ziel der vorliegenden Studie ist es zum einen, Lehramtsstudierende unterschiedlicher Fächer und Studierende ohne (bildungs-)psychologische Inhalte in ihren psychologischen Fehlvorstellungen, Bildungsmythen und epistemischen Überzeugungen zu vergleichen. Vermutet wurde eine geringere Ausprägung in den zuvor beschriebenen Konstrukten für Studierende des Unterrichtsfachs Psychologie verglichen mit anderen (Lehramts-)Studierenden. Des Weiteren sollten angehende Lehrkräfte geringere Werte aufweisen als Studierende ohne (bildungs-)psychologische Inhalte im Studium. Darüber hinaus werden ausgewählte Determinanten psychologischer Fehlkonzeptionen und Bildungsmythen untersucht (soziodemographische Variablen, Persönlichkeitsvariablen, epistemische Überzeugungen, Studienfortschritt, Abiturdurchschnittsnote).

Dazu wurden insgesamt N = 391 Bachelorstudierende befragt (n = 103 Lehramtsstudierende mit Unterrichtsfach Psychologie; n = 187 Lehramtsstudierende anderer Fächer; n = 101 Studierende ohne psychologische Inhalte; 73% weiblich; durchschnittliches Alter M = 21.54, SD = 4.06). Vorgegebenen wurden bereits etablierte Skalen zur Erfassung der Bildungsmythen (QUEBEC; Asberger et al., 2020) sowie der epistemischen Überzeugungen (EBI-AM; Peter et al., 2016). Ein Instrument zur Erfassung der psychologischen Fehlkonzeptionen wurde aus dem Englischen übersetzt (Hughes et al., 2013). Die Skalen ließen sich anhand konfirmatorischer Faktorenanalysen überwiegend replizieren, die internen Konsistenzen lagen im zufriedenstellenden Bereich. Analysen zur Messinvarianz wiesen auf zumindest metrische Invarianz zwischen den Gruppen hin.

In den durchgeführten multi- und univariaten Kovarianzanalysen (Kovariaten: Alter, Geschlecht, Semesteranzahl, Persönlichkeit) mit anschließenden Post-hoc-Vergleichen wiesen Studierende ohne psychologische Studieninhalte signifikant mehr psychologische Fehlvorstellungen auf als Studierende des Unterrichtsfachs Psychologie (d = 0.65) und als andere Lehramtsstudierende (d = 0.55). Bezüglich der erfassten Bildungsmythen wurden keine statistisch signifikanten Gruppenunterschiede gefunden. Studierende ohne psychologische Studieninhalte hatten eine statistisch signifikant ungünstigere epistemische Überzeugung zur Psychologie als Wissenschaft als Lehramtsstudierende (d = 0.43) und als angehende Psychologielehrkräfte (d = 0.39). Insgesamt stimmten sämtliche Studierende sowohl den psychologischen Fehlannahmen als auch den jeweiligen Bildungsmythen eher zu.

Neben Persönlichkeitseigenschaften (Extraversion, Gewissenhaftigkeit) erwiesen sich die epistemischen Überzeugungen als positive signifikante Prädiktoren zur Vorhersage der Anzahl an psychologischen Fehlkonzeptionen. Ein niedrigerer sozioökonomischer Status und eine schlechtere Abiturdurchschnittsnote gingen mit einer höheren Anzahl an psychologischen Fehlkonzeptionen einher. Des Weiteren war ein geringeres Alter mit einer höheren Anzahl an Fehlkonzeptionen assoziiert. Bezüglich des Bildungsmythos Klassenwiederholung waren vor allem ausgewählte Persönlichkeitseigenschaften sowie die epistemischen Überzeugungen positive signifikante Prädiktoren; der sozioökonomische Status erwies sich wiederum als negativer Prädiktor. Die restlichen Bildungsmythen ließen sich durch die erfassten Prädiktoren jedoch nicht statistisch signifikant vorhersagen.

Während sich unsere Hypothesen bzgl. der Ausprägung der psychologischen Fehlannahmen bestätigten und vor allem die angehenden Psychologielehrkräfte die geringste Anzahl an psychologischen Fehlkonzeptionen aufwiesen, wurden bezüglich der Bildungsmythen keine signifikanten Gruppenunterschiede gefunden. Die hohe Zustimmung der Lehramtsstudierenden unabhängig vom Fach zu den jeweiligen Bildungsmythen sind ein Hinweis auf die Notwendigkeit, entsprechende Mythen in der universitären Lehrkraftausbildung konkret anzusprechen und zu revidieren, so dass durch psychologische und bildungsbezogene Fehlannahmen (z.B. zur Klassengröße oder Klassenwiederholung) keine Nachteile für Schülerinnen und Schüler oder gesellschaftliche Kosten verursacht werden (König et al., 2012).



Paper Session

Confirmation Bias als Barriere evidenzinformierter Schulpraxis?

Kirstin Schmidt, Emily Lara Moritz, Samuel Merk

Pädagogische Hochschule Karlsruhe, Deutschland

Im Rahmen der sogenannten evidenzinformierten Schulpraxis werden Lehrpersonen dazu angehalten, wissenschaftliche Evidenz in ihre professionellen Überzeugungen und in ihr professionelles Handlungswissen zu integrieren. Ziel dabei ist es die Schul- und Unterrichtsqualität sowie Schüler:innenleistungen zu steigern (z.B. Bauer et al., 2015; Brown et al., 2022). Allerdings identifizieren diverse Studien zahlreiche Barrieren, die Lehrpersonen davon abhalten evidenzinformierte Handlungen zu realisieren. Diese umfassen unter anderem limitierte Ressourcen wie Zeitmangel oder fehlende methodische Kompetenzen (z.B. van Schaik et al., 2018). Auch kognitive Verzerrungen wie der prominente Confirmation Bias (CB) werden als Barrieren diskutiert. CB beschreibt das Phänomen, dass Informationen, die konsistent zu eigenen Überzeugungen sind bevorzugt, weniger kritisch hinterfragt oder eher erinnert werden als Informationen, die inkonsistent zu diesen sind (z.B. Oswald & Grosjean, 2004). Auch wenn umfangreiche Grundlagenforschung zu CB in verschiedenen Kontexten vorliegt, wurde dieser im Kontext evidenzinformierter Schulpraxis weniger systematisch analysiert. Es existieren zwar erste Hinweise, dass CB bei der Bewertung bildungswissenschaftlicher Studien (Masnick & Zimmermann, 2009) und dem Vertrauen in bildungswissenschaftliche Aussagen (Schmidt et al., 2022) zum Tragen kommt. Offen bleibt allerdings, inwieweit CB der Idee evidenzinformierter Schulpraxis–Überzeugungen und Handlungswissen von Lehrpersonen mittels wissenschaftlicher Evidenz zu informieren (auch als Belief-/Knowledge-Updating bezeichnet)–tatsächlich entgegensteht.

Die vorliegende experimentelle Studie setzt an dieser Forschungslücke an und untersucht, inwieweit die Konsistenz zwischen Überzeugungen und wissenschaftlicher Evidenz 1) die Bewertung von Studienergebnissen, das Belief-Updating in 2) Richtung und 3) Sicherheit sowie 4) das Updating der Handlungstendenz bei Lehramtsstudierenden beeinflusst.

Hierfür wurden N = 83 Lehramtsstudierende (65% weiblich; MSemester = 2.3) in einem Between-Person Design mit dem Thema „Gendergerechte Sprache in der Schule“ und der Frage, „ob die Verwendung des generischen Maskulinums bei Lehrpersonen zu einer überproportionalen Assoziation mit männlichen Schülern führt“, konfrontiert. Die Studierenden beantworteten zunächst verschiedene Fragen: Sie sollten 1) anhand einer 7-stufigen Likertskala angeben, inwieweit sie sich in ihrem zukünftigen Unterricht bemühen werden, Bezeichnungen zu verwenden, die über die rein männliche Form hinausgehen (indem sie z.B. die weibliche und männliche Form oder geschlechtsneutrale Bezeichnungen verwenden; Handlungstendenz), 2) aus einem dichotomen Item ihre Überzeugung zu diesem Thema auswählen und 3) anhand einer 5-stufigen Likertskala ausdrücken, wie sicher sie sich in dieser Überzeugung sind. Anschließend erhielten die Teilnehmenden einen Kurzbericht einer experimentellen Studie, in dem die Ergebnisse so manipuliert wurden, dass diese zufällig entweder konsistent oder inkonsistent zur angegebenen Überzeugung waren (Between-Person Faktor; Operationalisierung von Belief-Konsistenz). Die Studierenden wurden dann befragt, wie überzeugend sie das Studienergebnis fanden (Antwortmöglichkeiten mittels 5-stufiger Likertskala), bevor ihre Handlungstendenz, Überzeugungsrichtung und -sicherheit erneut erhoben wurden, um die entsprechenden Updatings zu analysieren.

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden bayesianische verallgemeinerte Mehrebenenmodelle (Kruschke, 2015) mithilfe der propabilistischen Programmiersprache Stan geschätzt. Diese bieten hypothesenkonform starke Evidenz dafür, dass Lehramtsstudierende überzeugungskonsistente Studienergebnisse deutlich überzeugender einschätzen als überzeugungsinkonsistente (d = .92, 95% Highest Density Posterior Intervals [HDPI] = [ .53, 1.32]). Es zeigt sich keine starke Evidenz für eine Änderung der Überzeugungsrichtung (OR = 6.2, 95%HDPI = [0.99, 1.18]) und schwache Evidenz für eine substanzielle Änderung der Überzeugungssicherheit (d = 0.62, 95%HDPI = [0.19, 1.05]). Für eine Änderung der Handlungstendenz lag für diejenigen, die überzeugungsinkonsistente Forschungsergebnisse erhielten, keine starke Evidenz vor (d = .22; 95%HDPI = [0.16, .614]).

Während die befragten Lehramtsstudierende im Sinne eines CB überzeugungsinkonsistente Forschungsergebnisse stark abwerten, passen sie ihre Überzeugungssicherheit an die präsentierte Evidenz an. Weder für eine Anpassung ihrer Überzeugungen und Handlungstendenzen noch für deren Ausbleiben liegt starke Evidenz vor– die Ergebnisse sind eher als inkonklusiv zu interpretieren. Eine Replikation mittels Bayesian Updating ist daher geplant. Zusätzlich sind die Ergebnisse aufgrund einer fehlenden thematischen Variation in ihrer externen Validität eingeschränkt. Dennoch bieten sie interessante Anhaltspunkte mit Blick auf die Frage, inwieweit CB der Idee evidenzinformierter Schulpraxis entgegensteht, welche im Vortrag diskutiert werden.

 
Datum: Dienstag, 19.03.2024
10:30 - 12:104-19: Lehrkräftebildung
Ort: S23
 
Paper Session

Lehrer*in für nur ein Unterrichtsfach? Einstellungen von Lehramtsstudierenden zum Ein-Fach-Lehramt für die Sekundarstufe

Annelie Schulze, Miriam Vock

Universität Potsdam, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Angesichts des massiven Lehrkräftemangels wird derzeit über mögliche Veränderungen des Lehramtsstudiums diskutiert, u.a. auch die Option, Lehrkräfte mit nur einem Fach einzustellen (z. B. KMK, 2023). Die Lehrkräfteausbildung im deutschsprachigen Raum sieht in aller Regel ein Studium von zwei Unterrichtsfächern für die Sekundarstufe vor, international dominiert jedoch das Modell der Ein-Fach-Lehrkraft (Vock, 2021). In diesem Beitrag gehen wir der Frage nach, wie Lehramtsstudierende die Variante eines Ein-Fach-Lehramts einschätzen.

Wenn im Lehramtsstudium die Wahlmöglichkeit bestünde, lediglich ein Fach für die Sekundarstufe zu studieren und damit die volle Lehramtsqualifikation zu erreichen, könnte die Studienzeit verkürzt werden, so dass Abschlüsse schneller erreicht werden. Alternativ könnte das Studium so ausgestaltet werden, dass die Studiendauer zwar gleichbleibt, aber mehr Zeit für fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Inhalte frei würde (Böttcher, 2020). Zudem ist das Erfordernis, zwei Fächer zu studieren, für einen Teil der Studierenden möglicherweise eine (zu) hohe Belastung. Ein beträchtlicher Anteil der Lehramtsstudierenden weist gesundheitliche Risikomuster auf, die mit negativer psychischer Beanspruchung in Verbindung gebracht werden (32%, Rothland, 2013; 46%, Schaarschmidt & Kieschke, 2007). Durch das Ein-Fach-Studium ließen sich Belastungen reduzieren, ohne inhaltliche Standards zu senken. Damit würde sich möglicherweise die Abbrecherquote im Lehramtsstudium verringern (10-16%, z.B. Heublein et al., 2022), die u. a. auf als zu hoch empfundene Anforderungen zurückgeführt wird (Zimmermann et al., 2018). Ein Ein-Fach-Studium könnte darüber hinaus Personen ansprechen, die spezifisches Interesse an einem Fach haben, und neue Qualifizierungswege für Studierende eines fachwissenschaftlichen Studiums eröffnen. Ferner ließe sich der Quer- bzw. Seiteneinstieg sowie die Integration internationaler Lehrkräfte erleichtern (Böttcher, 2020; Vock, 2021) und zumindest in MINT-Fächern könnte ein Ein-Fach-Lehramtsstudium den Lehrkräftemangel mildern (Klemm, 2022).

Fragestellungen

Welche Perspektive haben Lehramtsstudierende auf die (hypothetische) Option eines Ein-Fach-Studiums? Wie bewerten sie mögliche Folgen eines Ein-Fach-Studiums für ihr Studium und die spätere Ausübung des Berufs? Unterscheiden sich die Einschätzungen von Bachelor- und Masterstudierenden?

Methode

Die Datengrundlage bilden N = 273 Studierende im Sekundarschullehramt von vier Universitäten. Gut die Hälfte der Lehramtsstudierenden befand sich zum Befragungszeitpunkt im Sommer 2023 im Bachelorstudium (52%), der Rest im Masterstudium (48%). Der Online-Fragebogen enthielt Fragen zu Demographie, Fächern, Präferenzen und zur Einschätzung eines Ein-Fach-Studiums mit dessen möglichen beruflichen Folgen. Zudem gaben die Studierenden an, wie sie die durch ein Ein-Fach-Studium freiwerdende Studienzeit am ehesten nutzen würden. Ihre Wahl sollten sie ebenso offen begründen.

Die Auswertung der quantitativen Daten erfolgte mithilfe deskriptiver Analysen. Unterschiede in den Einschätzungen zwischen Studierenden im Bachelor- und Masterstudium wurden hinsichtlich der Signifikanz mit χ2-Tests geprüft. Zur Analyse der offenen Frage wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2008) angewandt.

Erste Ergebnisse

Der Großteil der Lehramtsstudierenden (87%) hätte das Studium auch dann gewählt, wenn es nur ein Unterrichtsfach beinhalten würde. Zudem empfand mehr als ein Viertel (28%) diese Alternative als die bessere Option. Während die überwiegende Mehrheit in Betracht zog, später an der Schule nur ein Unterrichtsfach zu unterrichten (59%), war die Zustimmung zu weiteren, daraus möglichen Folgen zurückhaltender. So schlossen 77% aller Lehramtsstudierenden das Unterrichten an verschiedenen Schulen (eher) aus. Insgesamt lagen tendenziell höhere Zustimmungswerte unter den Bachelorstudierenden im Vergleich zu den Masterstudierenden vor. Die Unterschiede waren jedoch nicht signifikant. Die durch das Ein-Fach-Studium freigewordene Zeit würde etwa ein Drittel der Studierenden dazu nutzen, schneller in den Beruf einzusteigen (Bachelorstudierende: 34%; Masterstudierende: 39%). Begründet wurde dies vorrangig mit dem Wunsch nach finanzieller Absicherung und Praxiserfahrungen. Weitere Lehramtsstudierende erklärten dies mit fehlender Studienzufriedenheit (bspw. „Das Studium dauert so schon viel zu lange.“). Ferner würden 20% der Lehramtsstudierenden die Zeit für eine stärkere Vertiefung eines Faches verwenden. Begründet wurde dies etwa mit mangelndem Interesse am zweiten Fach oder der Überforderung mit zwei Fächern (bspw. „Ich habe das zweite Fach nur gewählt, weil ich musste.“).



Paper Session

Besser Lehren und Lernen mit Tandemlehre? Kooperative, interdisziplinäre und kollaborative Seminare in der Lehrerbildung im Fokus.

Sibylle Schneider

Universität Augsburg, Deutschland

In Anbetracht der gewachsenen Heterogenität und Pluralität im Unterricht von heute, vor allem aber auch im Hinblick auf die Lernvoraussetzungen und damit verbundenen Bedürfnisse der Schüler*innen, die höhere Flexibilität im Unterrichten, die daraus gestiegenen (fach-)didaktischen Anforderungen und dafür notwendigen neuen Formen des Lehrens und Lernens macht es aus konstruktivistischer Perspektive unausweichlich, bereits in der universitären Ausbildung der Lehrkräfte von morgen diese Zusammenhänge in der Hochschuldidaktik strukturell zu etablieren, um so Lehramtsstudierenden besser zu qualifizieren und auf ihre zukünftigen Aufgaben vorzubereiten.

Vor diesem Hintergrund werden im Projekt koko „kompetent kooperieren“ an der Universität Augsburg kooperative, interdisziplinäre Seminare mit Tandemlehre und kollaborativen Lernarrangements unter Studierenden (u.a. Zusammenarbeit in der Gruppe, im Team oder Tandem, Hadwin et al., 2011) in der Lehrerbildung an Universitäten unter besonderer Berücksichtigung ihrer Lernmotivationsregulationsstrategien (Boekaerts, 1997) und Motivationsziele, epistemologischen Überzeugungen (Zinn, 2013), Einstellungen zu Kollaboration, verschiedener Kompetenzorientierungen sowie personaler, lernrelevanter, soziodemographischer und studienbezogener Merkmale, einschließlich des Fachinteresses der Lehramtsstudierenden (Moderatoren) untersucht.

Auch aus Sicht der Lehrerprofessionsforschung sind diese hochschuldidaktischen Lehr- und Lernmethoden aufschlussreich, da Schulen in ihrer traditionellen Struktur eher als kooperationshemmend wahrgenommen werden (Rothland, 2016; Altrichter & Eder, 2004). Im Zuge des Trends zum fächerübergreifenden Unterrichten und nicht zuletzt inklusions- und integrationsbedingt wird sich der Lehrberuf jedoch weg vom klassischen Einzelkämpfer hin zur Zusammenarbeit in (multiprofessionellen) Teams (Bertels, 2018) entwickeln.

Im Projekt koko wurden bislang solche Seminare in zwei Teilstudien, davon Teilstudie I mit Schwerpunkt in der Religionsfachdidaktik und -pädagogik hinsichtlich der Förderung religionssensibler und interkultureller Dialog- und Kooperationskompetenzen als Ziel und Teilstudie II mit Erweiterung auf alle Fachdidaktiken und die Förderung allgemeiner professioneller Kompetenzen von Lehrkräften (Baumert & Kunter, 2006), jeweils mit einer quantitativen und qualitativen Forschungslinie im Zeitraum vor der Corona-Pandemie bayernweit, d.h. unter Beteiligung (fast) aller Universitäten in Bayern, evaluiert (Mixed-Methods-Design: Quasiexperimentelle Interventionsstudie mit Prä- und Postmessung sowie Experimental- und Kontrollgruppen mit Tandemlehre, kollaborativen Arbeitsformen und Interdisziplinarität als Experimentalbedingungen sowie eine qualitative Interviewstudie). Im Rahmen des Vortrags werden ausgewählte quantitative und qualitative Befunde aus Teilstudie II vorgestellt, worin 23 Seminare aus verschiedenen an der Lehrerbildung beteiligten Disziplinen an sechs Universitäten in Bayern beforscht und evaluiert wurden. Die zentrale Fragestellung dabei lautete: Inwieweit können die fokussierten hochschuldidaktischen Konzepte Fähigkeiten, Überzeugungen und Einstellungen von Lehramtsstudierenden fördern, die als professionelle Kompetenzen in ihrer späteren Berufspraxis als Lehrerinnen und Lehrer nützlich und relevant sind bzw. darauf vorbereiten.



Paper Session

Kann Sketchnoting kreatives Lernen im Lehramtsstudium fördern? - Eine explorative Mixed-Method-Studie

Laura Ohmes

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Deutschland

Kreativität ist von zentraler Bedeutung für Ideenfindung, Innovation und Wohlbefinden und wird als eine der „21st century skills“ definiert (Vincent-Lancrin et al., 2019, S. 51). Folglich sollten Lehramtsstudierende in ihrer Ausbildung kreative Lernmethoden kennen lernen, die sie für die Weiterentwicklung eigener kreativer Fähigkeiten sowie für die Förderung von Kreativität im Schulunterricht verwenden können. Sketchnoting ist eine Visualisierungsmethode, die dahingehend potentiell nützlich sein könnte. Sie bietet Freiräume, komplexe Informationen mit Hilfe von Skizzen, visuellen Metaphern und diagrammhaften Strukturen aus Boxen und Pfeilen zu veranschaulichen sowie persönlich bedeutsame Erkenntnisse festzuhalten (Rohde, 2013). Das Potenzial von Sketchnoting wird insbesondere in einem besseren Verständnis von komplexen Inhalten wie wissenschaftlichen Texten gesehen (Dimeo, 2016) sowie in der Förderung von Kreativität in Lernsituationen (z. B. Perry et al., 2018). Gemäß eines Modells von Treffinger (1980; Treffinger et al., 1983) sind Indikatoren für kreatives Lernen, z.B. divergente Funktionen (z.B. Ideenreichtum, Originalität, Neugier) sowie komplexe Denk- und Gefühlsprozesse (z.B. Analyse, Synthese, Transformation von Informationen).

Forschungsfragen

Da es aktuell an empirische Untersuchung mangelt, die untersuchen ob und wie Sketchnoting kreatives Lernen im Lehramtsstudium fördern kann, werden im Rahmen dieses Promotionsprojektes u.a. die folgenden Fragen untersucht:

F1: Welche divergenten Funktionen und komplexen Denk- und Gefühlsprozesse kreativen Lernens werden im Sketchnotingprozess deutlich, wenn Lehramtsstudierende eine Sketchnote zu einem wissenschaftlichen Text erstellen?

F2: Welche Auswirkungen hat Sketchnoting auf das Lernergebnis?

Methode

Um die Forschungsfragen zu beantworten, wurden Stimulated-Recall-Interviews (SRIs) mit 10 Lehramtsstudierenden (MAlter= 24,5 Jahre; 80 % weiblich) durchgeführt, die Sketchnoting in universitären Lehrveranstaltungen oder Workshops anwenden lernten. In den SRIs wurden die Lehramtsstudierenden gebeten anhand eines Videos, das sie beim Erstellen einer Sketchnote zu einem wissenschaftlichen Text über eine Lerntheorie zeigt, zu beschreiben wie sie beim Sketchnoting vorgegangen sind und wie sie Sketchnoting wahrgenommen haben. Die Interviews wurden mit einer qualitativen Inhaltsanalyse explorativ analysiert (κ = 0.75 und 0.69). Darauf aufbauend wurde eine Interventionsstudie (Pretest, Posttest, Follow up) mit N = 239 Lehramtsstudierenden (MAlter = 21,80 Jahre; 69.7 % weiblich) in Lehrveranstaltungen durchgeführt, in denen die Teilnehmenden Sketchnoting sowie eine weitere Visualisierungsmethode (Diagramme aus Boxen und Pfeilen ohne Bilder) beim Lernen mit wissenschaftlichen Texten anwendeten oder wie gewöhnlich Notizen erstellten (Kontrollgruppe). Daten wurden mit einem Fragebogen zu Kreativem Lernen erhoben (F1), der aufbauend auf den Ergebnissen der Interviewstudie, elaborierten Fragebögen (z.B. RIBS: Runco et al., 2001) und theoretischen Konzepten (z.B. Cropley, 2006) entwickelt wurde (α = 0.62 - 0.85). Die Auswirkungen von Sketchnoting auf das Lernergebnis (F2) wurde anhand von [1] der Anzahl selbständig entwickelter Ideen (Beispiele, Analogien, Schlussfolgerungen) sowie [2] einem Free Recall-Test (in Anlehnung an Scheiter et al., 2017) untersucht.

Ergebnisse

Die Ergebnisse der Interviewstudie weisen darauf hin, dass Sketchnoting kreatives Lernen im Lehramtsstudium anregen und fördern kann (F1): Die Lehramtsstudierenden analysierten und synthetisierten den Text in einem zirkulären Leseprozess, um Ideen für die Transformation der komplexen verbalen Textinformationen in grafische Strukturen, Skizzen und originelle Bilder zu entwickeln, was u.a. durch Neugier, ästhetischen Sinn und Intuition geprägt war. Erste Ergebnisse der Interventionsstudie stützen die Befunde und zeigten, dass Sketchnotig Prozesse wie kreative Ideenfindung signifikant stärker förderte als das Erstellen von Diagrammen (p = <.001) und schriftlichen Notizen (p = <.001). Hinsichtlich der zweiten Forschungsfrage (FS2) zeigte sich, dass Lehramtsstudierende die Gestaltung von Sketchnotes als hilfreich wahrnahmen, um den wissenschaftlichen Text besser zu verstehen und zu erinnern. Die ersten Ergebnisse der Interventionsstudie ergaben diesbezüglich, dass die Sketchnotes signifikant mehr selbständig entwickelte Ideen in Form von Beispielen, Analogien und Schlussfolgerungen beinhalteten als Diagramme (p = <.001) und schriftliche Notizen (p = <.001). Interessanterweise zeigten die Ergebnisse des Free-Recall-Tests, dass sich die Studierenden die Sketchnotes jedoch nicht signifikant besser an die Textinhalte erinnerten, als Studierende die Diagramme oder schriftlichen Notizen erstellt haben.



Paper Session

Prädiktoren und Effekte der Scham von Grundschullehramtsstudierenden im Fach Mathematik aus Perspektive der Kontroll-Wert-Theorie

Lars Meyer-Jenßen1, Robin Göller2, Michael Besser3, Katja Eilerts1

1Humboldt-Universität zu Berlin, Deutschland; 2Universität Klagenfurt, Österreich; 3Leuphana Universität Lüneburg, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Emotionen stellen neben professionellem Wissen eine Disposition professioneller Kompetenz von Lehrkräften dar (Blömeke et al., 2015). Studien zeigen, dass sie Effekte auf die Instruktion einer Lehrkraft und damit auf die Leistungen von Schüler*innen sowie deren Emotionen haben (Frenzel et al., 2021). Dabei stehen die Emotionen, die eine Lehrkraft beim Unterrichten erlebt, in engem Zusammenhang zu den Emotionen, die sie während des Studiums erlebt hat (Eren, 2014). Diese bedingen bereits während des Lehramtsstudiums die Kompetenz- und Identitätsentwicklung (Lutovac, 2020). Scham wird hierbei als eine wesentliche Emotion für Grundschullehramtsstudierende im Fach Mathematik diskutiert (Panagi, 2013).

Scham kann als eine aktivierende und negative Emotion konzeptualisiert werden (Pekrun et al., 2023), die eng mit dem Selbst verbunden ist (Turner & Schallert, 2001). Grundschullehramtsstudierende berichten intensive Schamerfahrungen während der Schulzeit, speziell in Mathematik (Jenßen et al., 2022), was vermutlich auf Fachspezifika wie eine hohe richtig-falsch-Orientierung zurückzuführen ist (Goldin, 2014). Neben diesen Vorerfahrungen wird vor allem dem Fähigkeitsselbstkonzept eine zentrale Rolle für die Entstehung von Scham bei Grundschullehramtsstudierenden beigemessen (Jenßen, 2021). Das geringe Fähigkeitsselbstkonzept kann vor dem Hintergrund der Kontroll-Wert-Theorie (Pekrun, 2006) als eine als gering wahrgenommene Kontrolle der Studierenden in Lern- und Leistungssituationen verstanden werden. Jedoch wurden bisher weder Effekte von Wertüberzeugungen auf Scham noch angenommene negative Effekte der Scham auf das professionelle Wissen der Grundschullehramtsstudierenden in Mathematik untersucht. Entsprechend gängiger Konzeptionen kann der Wert von Mathematik sich auf die Domäne, die Leistung oder auf den Wert, den das soziale Umfeld Mathematik zuschreibt, beziehen (Gaspard et al., 2015). Das professionelle Wissen in Mathematik kann in fachmathematisches Wissen und mathematikdidaktisches Wissen ausdifferenziert werden (Shulman, 1986).

Fragestellung

Folgende Forschungsfragen wurden untersucht:

Inwieweit bedingen Fähigkeitsselbstkonzept und Wertüberzeugungen das Schamerleben von Grundschullehramtsstudierenden im Fach Mathematik?

In welchem Ausmaß zeigt das Schamerleben Effekte auf fachmathematisches und mathematikdidaktisches Wissen bei Mathematik-Grundschullehramtsstudierenden?

Methode

Insgesamt wurden bei n = 687 Grundschullehramtsstudierenden zweier Universitäten mittels standardisierter Fragebögen das Fähigkeitsselbstkonzept (Roesken et al., 2011), Wertüberzeugungen (Gaspard et al., 2015)sowie Scham in Mathematik (Jenßen et al., 2023a) erhoben. Die Wissensfacetten wurden mithilfe standardisierter Tests erfasst (Besser et al., 2020; Jenßen et al., 2023b). Zu allen Skalen liegen umfassende Validierungen vor. Die Reliabilität lag mindestens bei McDonalds Omega = .77 (Fähigkeitsselbstkonzept).

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde ein latentes Strukturgleichungsmodell spezifiziert, wobei Fähigkeitsselbstkonzept und Wertüberzeugungen als Prädiktoren und die Wissensfacetten als abhängige Variablen der Scham modelliert wurden. Alle möglichen direkten und indirekten Effekte wurden analysiert. Als Kontrollvariablen wurden die letzte Schulnote in Mathematik, Alter und Geschlecht einbezogen (Orth et al., 2010).

Ergebnisse und ihre Bedeutung

Das Strukturgleichungsmodell zeigte eine gute Passung auf die Daten (Chi2(149)=333.739, p<.001, RMSEA=.04[.03/.05], CFI=.97, SRMR=.03). Scham wurde nur durch das Fähigkeitsselbstkonzept (-.77, p<.001) und den sozialen Wert (.14, p<.001) signifikant vorhergesagt. Die anderen Wertüberzeugungen zeigten keine signifikanten Effekte. Scham wiederum hatte einen signifikanten negativen Effekt auf das mathematikdidaktische Wissen (-.20, p<.001), nicht jedoch auf das fachmathematische. Neben erwartungskonformen positiven Zusammenhängen zwischen dem Fähigkeitsselbstkonzept und den verschiedenen Wertüberzeugungen zeigte sich ein ebenfalls erwartungskonformer positiver Zusammenhang zwischen dem fachmathematischen Wissen und dem mathematikdidaktischen Wissen. Unter den Kontrollvariablen zeigte die letzte Schulnote in Mathematik eine Vielzahl von Effekten auf das fachmathematische Wissen, die Wertüberzeugungen und das Fähigkeitsselbstkonzept. Vermittelt über letzteres zeigte sich auch ein bedeutsamer indirekter Effekt auf die Scham in Mathematik (.42, p<.001). Effekte von Alter und Geschlecht lagen nur marginal vor.

Insgesamt hebt die nomologische Einordnung der Ergebnisse die zentrale Bedeutung des Fähigkeitsselbstkonzepts, des sozialen Werts sowie des Vorwissens aus der Schulzeit (Note) für das Schamerleben in Mathematik bei Grundschullehramtsstudierenden hervor. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass Scham nicht mit geringerem fachmathemathematischem Wissen einhergehen muss, aber möglicherweise den Erwerb mathematikdidaktischen Wissens negativ bedingen kann.

 
13:10 - 14:505-19: Inklusion und Lehrkräftebildung
Ort: S23
 
Paper Session

Inklusive Bildung braucht Kontakt

Helena Sträter1, Michael Pfitzner2

1Bergische Universität Wuppertal, Institut für Sportwissenschaft, Sportpädagogik; 2Universität Duisburg-Essen, Institut für Sport- und Bewegungswissenschaften, Sportpädagogik und Sportdidaktik

Theoretischer Hintergrund

Bildungsprozesse durch Bewegung, Spiel und Sport zu inszenieren, zu fördern und empirischen zu untersuchen, sind ausgewiesene Ziele der Sportpädagogik. Im Kontext gesellschaftlicher Transformationsprozesse wird dabei der Blick auch auf das Themenfeld Inklusion gelenkt. Ein Anspruch sportpädagogischer Bemühungen ist die Teilhabe Aller an der Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur, in der der Schulsport und dessen verantwortliche Lehrkräfte eine zentrale Rolle einnehmen.

Nach wie vor herrschen jedoch teils große Vorbehalte gegenüber schulischer Inklusion (Verband Bildung und Erziehung, 2020), so dass sich der Bildungsauftrag einer inklusionsorientierten Professionalisierung angehender Lehrkräfte Fragen des Umgangs mit und der Einstellung zu Vielfalt stellen muss.

Diesem Anliegen widmet sich unser Beitrag sowohl auf Grundlage empirischer Erkenntnisse als auch theoretisch-konzeptionell hinsichtlich der Implementierung eines Lehr-Lernkonzeptes in der (sportwissenschaftlichen) Lehrkräftebildung, das wir transferbezogen reflektieren.

Fragestellung

Ausgangspunkt ist die festgestellte Unsicherheit von Lehrkräften hinsichtlich schulischer Inklusion, die mit fehlender praktischer Erfahrung, fehlender theoriegeleiteter Wissensgrundlage oder auch fehlender Unterstützung in Verbindung gebracht wird. Welche einstellungsbedingenden Variablen dabei wirken, ist nicht zweifelsfrei festzustellen (Reuker et al., 2016).

Zur Variable Kontakt werden ambivalente Ergebnisse resümiert (Hutzler et al., 2017). Beispielsweise führen Vorerfahrungen mit Menschen mit Behinderung nicht direkt zu einer positiven Einstellung. Der Kontakthypothese (Allport, 1971; Pettigrew & Tropp, 2006) folgend ist die Art des Kontaktes ausschlaggebend. Konzepte zur Inszenierung des Kontaktes und Analysen der Kontaktbedingungen fehlten in der universitären Lehrkräftebildung bisher weitestgehend.

Um die Leerstelle der Bedingungen einer Ausgestaltung des Kontaktes zu füllen, bietet die Diffusionstheorie des Soziologen Rogers (2003) Hilfestellungen. Erkenntnisse der Verbreitung einer sozialen Innovation nutzt Sträter (2019, 2021) zum Verständnis des gesellschaftlichen Transformationsprozesses Inklusion und den damit in Verbindung stehenden Bemühungen der Gestaltung einer inklusionsorientierten Lehrkräftebildung.

Durch Implementierung und Evaluation einer Lehr-Lernkonzeption unter besonderer Berücksichtigung der Diffusionstheorie nach Rogers (2003) und der Kontakthypothese nach Allport (1971) wird geprüft,

  • wie angehende (Sport-)Lehrkräfte bei der Ausprägung einer anerkennenden und wertschätzenden Einstellung zu Inklusion unterstützt werden können.

Methode

Kern des Konzepts ist die Kooperation mit dem Franz Sales Haus Essen, einer Bildungseinrichtung für Menschen mit Behinderung, die lebensweltnah Inklusionsprozesse gestaltet. Prozessorientiert nähern sich Studierende zunächst theoriegeleitet dem Themenkomplex Inklusion und machen erste Kontakterfahrungen durch die aktive Teilnahme am Sportunterricht der Franz Sales Förderschule. Anschließend planen sie Unterricht, führen diesen durch und reflektieren theorie- und handlungsorientiert.

Effekte des Lehr-Lernkonzepts wurden über vier Semester quasi-experimentell im Prä-Post-Design mit je zwei Messzeitpunkten untersucht. Im Rahmen der Interventionsstudie mit Kontrollgruppe nahmen 124 Studierende teil (nIG = 54; nKG = 70). Mithilfe des Fragebogeninstruments von Seifried und Heyl (2016) wird die Einstellungsentwicklung der Studierenden in den Dimensionen Fachliche Förderung, Persönliche Bereitschaft und Soziale Inklusion nachvollzogen.

Ergebnisse

Eine Mixed-MANOVA zeigt eine statistisch signifikante Interaktion zwischen den Experimentalgruppen und den Messzeitpunkten (Wilk’s Λ = .795, F(4,116) = 7.47, p < .001, ηp² = .205). Die Interventionsgruppe weist nach dem Treatment in allen Dimensionen signifikant höhere Werte auf, wobei sich die Werte der Kontrollgruppe kaum verändern.

Es wird eine bewusst inszenierte Kontaktsituation geschaffen, welche stark auf die Persönliche Bereitschaftp² = .18) zu inklusivem Sportunterricht wirkt.

Mehr noch wird das Bildungspotenzial, welches die unterrichtliche Arbeit mit dieser vermeintlich homogenen Lerngruppe bereithält, verdeutlicht. Werden die Vielfalt in und zwischen Personen sowie die Bedarfe der Schüler*innen erkennbar, dann sollte im Sinne der doppelten Förderabsicht, der der Schüler*innen und der Studierenden im Rahmen ihres Professionalisierungsprozesses, derartigen Anlässen zugunsten inklusiver Bildung Raum gegeben werden (Sträter & Pfitzner, 2023).

Nicht zuletzt sind Transferfragen bindend für die Sportpädagogik (Neuber, 2023 (i. Dr.); Pfitzner, 2017). Die Transferpotenziale des Anliegens der inklusionsbezogenen Einstellungsentwicklung Studierender reflektieren wir inspiriert durch Hinweise von Glaß (2023) und Paganetti (2023). Das Erfahrungswissen unserer Studierenden in der sportpädagogischen Praxis (z.B. als Vertretungslehrkraft) variiert teils stark, so dass hier – auch problematisierend - angeknüpft wird.



Paper Session

Welche Auswirkungen hat die inklusive Hochschullehre mit qualifizierten Menschen mit Behinderungen auf die Überzeugungen von Lehramtsstudierenden gegenüber Inklusion?

Mia Hoffmann1,2,3, Sonja Krämer1,2, Friederike Zimmermann1,2,3

1Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Deutschland; 2Institut für Pädagogisch-Psychologische Lehr- und Lernforschung; 3Institut für Inklusive Bildung

Theoretischer Hintergrund und Fragestellung

Seit Beginn der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention haben die Bestrebungen zur Umsetzung eines inklusiven Bildungssystem in Deutschland zugenommen (BGB1, 2008). Für den Erfolg inklusiven Unterrichts wird eine entsprechend günstige Haltung der Lehrkraft gegenüber Inklusion vorausgesetzt (Kulturministerkonferenz, 2011). Unter anderem hat diese Auswirkungen auf die Bereitschaft der Lehrkraft, ihren Unterricht an die Bedürfnisse aller Schüler:innen anzupassen (Sharma et al., 2008). Zahlreiche Untersuchungen haben den Einfluss von verschiedenen Determinanten auf die Entwicklung von Einstellungen und Vorurteilen gegenüber Personengruppen untersucht, wobei immer wieder der persönliche Kontakt mit der diskriminierten Personengruppe diskutiert wird (Allport, 1954). Laut der Kontakthypothese (Allport, 1954) hat häufiger Kontakt zu Menschen anderer sozialer Gruppen einen positiven Effekt auf Einstellungen und Vorurteile zu deren Mitgliedern. Eine Kontaktmaßnahme wurde in der Lehrkräftebildung an der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel (CAU) mit dem Institut für Inklusive Bildung (IIB) realisiert. In dieser wird eine Seminarsitzung im Masterstudiengang von qualifizierten Menschen mit Behinderungen (sogenannten Bildungsfachkräften) durchgeführt, welche als Expert:innen für Behinderungs-Erfahrungen für den Umgang mit Schüler:innen mit Behinderungen sensibilisieren. In Anlehnung an die Kontakthypothese (Allport, 1954) ist anzunehmen, dass die direkte Erfahrung mit Menschen mit Behinderungen einen positiven Effekt auf die Überzeugungen von Lehramtsstudierenden gegenüber der Inklusion von Schüler:innen mit Behinderungen nehmen sollte. Ziel dieser Studie ist die Untersuchung der Wirkung einer Kontakt-Intervention auf Einstellungen, Vorurteile, Selbstwirksamkeitserwartungen und Emotionen von Lehramtsstudierenden gegenüber der Inklusion von Schüler:innen mit Behinderungen.

Methode

Die Datenerhebung erfolgte im Wintersemester 2022/23 in einem kontrollierten Prä-Post-Follow-Up-Design im Rahmen von regulär verpflichtenden Begleitseminaren zu einer Pflichtvorlesung im Master-Lehramtsstudium. Die Stichprobe bestand aus 333 Lehramtsstudierenden, wovon 196 in der Experimental- und 137 in der Kontrollgruppe waren. Es handelte sich um ein quasi-experimentelles Design, da die Studierenden der Experimental- und Kontrollgruppe in den Lehrveranstaltungen nicht randomisiert zugeteilt werden konnten. Während in der Experimentalgruppe eine Sitzung des Seminars von den Bildungsfachkräften durchführt wurde, folgten die Seminare der Kontrollgruppe dem üblichen Lehrplan. Die 90-minütige Seminarsitzung der Bildungsfachkräfte wies einen einheitlichen Ablauf auf und beinhaltete die Vermittlung von theoretischem Wissen über Inklusion und praktische Erfahrungsmöglichkeiten durch Kontakt zu Menschen mit Behinderungen. Mittels eines Fragebogens wurden Einstellungen, moderne Vorurteile, Selbstwirksamkeitserwartung und Emotionen gegenüber der Inklusion von Schüler:innen mit Behinderungen erhoben. Die Prä- und Post-Erhebung fand sowohl in der Experimental- als auch in der Kontrollbedingung im Abstand von zwei Wochen statt. Die Follow-Up-Erhebung erfolgte 4 Monate nach der Intervention. Zum Umgang mit fehlenden Daten zu den verschiedenen Messzeitpunkten wurde das Verfahren der multiplen Imputation gewählt (Schafer & Graham, 2002).

Ergebnisse

Die Berechnungen multivariater multipler Regressionsanalysen zeigen, unter Kontrolle der Stabilität der Studienvariablen, eine Verbesserung der Einstellungen (β = .14 , p < .05) sowie eine Reduktion von modernen Vorurteilen (β = -.17 , p < .001) in der Experimentalbedingung im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die Ergebnisse der Follow-Up-Erhebung lassen allerdings nicht auf eine langfristige Stabilität der Effekte schließen (βEinstellungen = .03 , p = .76; βVorurteile = -.02 , p = .69). In den Studienvariablen Selbstwirksamkeitserwartungen (β = .06 , p = .37) und Emotionen (β = .31 , p = .11) konnten keine Veränderungen festgestellt werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Rahmen einer Kontaktmaßnahme die inklusive Lehre von Menschen mit Behinderungen kurzfristig einen positiven Effekt auf die Überzeugungen von Lehramtsstudierenden gegenüber der Inklusion von Schüler:innen mit Behinderungen nehmen konnte. Zukünftige Forschungsarbeiten sollten untersuchen, inwiefern dieser vorübergehende Effekt langfristig aufrechterhalten werden kann.



Paper Session

Wodurch lassen sich die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehramtsstudierenden in Bezug auf die Durchführung inklusiven Unterrichts erklären?

Gamze Görel, Katja Franzen, Frank Hellmich

Universität Paderborn, Deutschland

Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften stellen einen bedeutsamen Teil ihrer professionellen Handlungskompetenzen dar (Baumert & Kunter, 2006) und können verstanden werden „als die subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungssituationen auf Grund eigener Kompetenz bewältigen zu können“ (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 35). Im Zusammenhang mit einer adäquaten Professionalisierung angehender Lehrkräfte für die Gestaltung inklusiven Unterrichts stellt sich daher die Frage, wie sich ihre diesbezüglichen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen entwickeln und wodurch sie sich erklären lassen. Bandura (1997) geht davon aus, dass für die Entwicklung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen vier Quellen von Bedeutung sind: eigene und stellvertretende Erfahrungen, verbale Überzeugungen sowie wahrgenommene Gefühlsregungen, wobei die eigenen Erfahrungen als stärkste Quelle betrachtet werden. Bislang liegen wenige Studien vor (z. B. Franzen, 2021), in denen die Quellen der Selbstwirksamkeit von Lehrkräften im Zusammenhang mit der Gestaltung inklusiven Unterrichts untersucht wurden. Im Vergleich zu in der Praxis tätigen Lehrkräften sind allerdings eigene Erfahrungsmöglichkeiten von Lehramtsstudierenden in Bezug auf den inklusiven Unterricht begrenzt.

In dem vorliegenden Beitrag wurde der Frage nachgegangen, wie sich die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von angehenden Lehrkräften, die sich noch in ihrer universitären Ausbildungsphase befinden, durch die von Bandura (1997) postulierten vier Quellen in Bezug auf die Gestaltung und Durchführung inklusiven Unterrichts erklären lassen.

Hierzu wurden N=933 Lehramtsstudierende (Grund-, Haupt-, Real- und Förderschullehramt; jeweils ‚Bachelor of Education‘) per Paper-Pencil-Fragebogen befragt. Der Fragebogen enthielt Skalen zur Selbstwirksamkeit und zu den vier Quellen nach Bandura (1997), die auf einer fünfstufigen Antwortskala bearbeitet wurden. Die Erfassung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen hinsichtlich der Gestaltung inklusiven Unterrichts erfolgte durch 7 Items (z. B. „Ich bin davon überzeugt, Unterricht methodisch so gestalten zu können, dass alle Schüler*innen ein für sie angemessenes Arbeitsangebot und einen passenden Arbeitsrhythmus finden“, Kopp, 2009; Alpha=.83). Bezüglich der vier Quellen der Selbstwirksamkeit wurden die Studierenden gebeten, Auskunft über ihre eigenen Erfahrungen (z. B. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine Unterrichtsstunde in einer heterogenen Schüler*innengruppe sehr gut so gestaltet werden kann, dass alle Gruppenmitglieder aktiv teilnehmen können“, Bosse & Spörer, 2014; 4 Items; Alpha=.81), ihre stellvertretenden Erfahrungen (z. B. „Ich konnte beobachten, dass Lehrkräfte den Unterricht in heterogenen Lerngruppen erfolgreich gestaltet haben“; 5 Items; Alpha=.83), wahrgenommene Fremdinstruktionen (z. B. „Ich habe oft gehört, dass ich mich gut auf Schüler*innen mit verschiedenen Bedürfnissen einlassen kann“; 3 Items; Alpha=.75) sowie ihre wahrgenommenen Gefühlsregungen (z. B. „Bei der Durchführung inklusiven Unterrichts würde ich mich wohlfühlen“; 4 Items; Alpha=.76) zu geben.

Die Ergebnisse aus einem Strukturgleichungsmodell zeigen, dass die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (Erklärte Gesamtvarianz=.34, p≤.001) der befragten Studierenden signifikant durch ihre eigenen (Beta=.16, p≤.001) sowie ihre stellvertretenden Erfahrungen (Beta=.13, p≤.01), durch die von ihnen wahrgenommenen Fremdinstruktionen (Beta=.21, p≤.001) und ihre Gefühlsregungen (Beta=.32, p≤.001) erklärt werden können. Entgegen der Theorie von Bandura (1997) weisen die Gefühlsregungen der Studierenden den größten Erklärungswert für ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen auf. Insgesamt verdeutlichen die Befunde jedoch, dass die vier Quellen bedeutsam für die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehramtsstudierenden in Bezug auf die Gestaltung von inklusivem Unterricht sind.



Paper Session

Effekte eines universitären Lehrerkooperationstrainings auf die inklusionsbezogenen Selbstkonzepte angehender Lehrkräfte

Jan Schulze, Eva Blumberg, Frank Hellmich

Universität Paderborn, Deutschland

Die Kooperation von Lehrkräften gilt als eine entscheidende Gelingensbedingung des inklusiven Unterrichts, um den individuellen Lernbedürfnissen aller Schüler*innen gerecht zu werden (European Agency for Development in Special Needs Education, 2012). Kooperativer Unterricht in inklusiven Klassenräumen bedeutet, dass mindestens zwei Lehrkräfte zusammen mit anderen pädagogischen Fachkräften Lernumgebungen für Kinder gestalten und sie in ihren Persönlichkeits- und Sozialisationsentwicklungen fördern (Ferguson & Wilson, 2011). Gegenwärtig kooperieren Lehrkräfte in der schulischen Praxis sehr selten (Schwab et al., 2015). In Anbetracht dieser Situation drängt sich die Frage auf, wie angehende Lehrkräfte während ihrer Aus-, Fort- und Weiterbildung zielorientiert auf das kooperative Unterrichten in inklusiven Schulen vorbereitet werden können.

Frey und Kaff (2014) konnten im Rahmen ihrer Studie zeigen, dass Wissen über kooperatives Arbeiten im inklusiven Klassenzimmer durch entsprechende Angebote in der ersten Phase der Lehrer*innenbildung erfolgreich vermittelt werden kann. Ungeklärt ist hingegen, ob und inwiefern Lehramtsstudierende auch im Hinblick auf ihre leistungsbezogene Persönlichkeitsentwicklung durch Lerneinheiten zum kooperativen Unterrichten profitieren können. So gelten positive Selbstkonzepte von Lehrkräften im Hinblick auf den inklusiven Unterricht als wichtige Gelingensbedingungen für ihre persönliche Berufszufriedenheit, ihr psychologisches Wohlbefinden und den erfolgreichen Kompetenzerwerb ihrer Schüler*innen (Friedmann & Farber, 1992; Yeung et al., 2014). Unter dem fähigkeitsbezogenen Selbstkonzept wird dabei das Wissen von (angehenden) Lehrkräften über ihre eigenen Stärken und Schwächen bei der Durchführung inklusiven Unterrichts verstanden (Marsh et al., 2012; Yeung et al., 2014).

Unter Berücksichtigung der vorgestellten theoretischen Grundlagen gehen wir davon aus, dass Lehramtsstudierende, die an einem Training zur Kooperation im inklusiven Unterricht teilnehmen, signifikante Verbesserungen in ihren inklusionsbezogenen Selbstkonzepten zeigen werden, im Vergleich zu denjenigen Studierenden, die nicht an einem solchen Training teilgenommen haben.

An unserer Studie haben insgesamt N = 262 Studierende des Lehramts an Grund- und Förderschulen teilgenommen. In der Experimentalgruppe befanden sich n = 155 und in der Kontrollgruppe n = 107 Studierende. Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren die Studierenden im Durchschnitt 24 Jahre alt (M = 23,52 Jahre, SD = 4,81 Jahre), sie befanden sich jeweils im ersten Mastersemester. Die Studierenden der Experimentalgruppe nahmen an einem Training zur Kooperation im inklusiven Unterricht teil, welches sich über einen Gesamtzeitraum von drei Seminarsitzungen erstreckte. Während der Intervention lernten die Studierenden der Experimentalgruppe unterschiedliche Arten der kooperativen Zusammenarbeit im inklusiven Klassenzimmer kennen (Friend & Bursuck, 2014) und setzten sich mit Herausforderungen des Unterrichtens im Team auseinander. Prä- und postexperimentell haben wir die Studierenden beider Untersuchungsgruppen gebeten, einen Fragebogen zu ihren professionsbezogenen Selbstkonzepten im Hinblick auf die Planung und Durchführung inklusiven Unterrichts („Ich bin davon überzeugt, dass mir die Aufgaben bei der Planung und Durchführung von inklusivem Unterricht leicht fallen werden“; Alpha = .75/.77) und im Hinblick auf die Kooperation im inklusiven Klassenzimmer („Ich bin davon überzeugt, dass ich gut mit anderen Lehrkräften zusammenarbeiten werde“; Alpha = .81/.85) auszufüllen.

Die Ergebnisse unserer Analysen verdeutlichen, dass sich die Studierenden der Experimentalgruppe im Vergleich zu denjenigen der Kontrollgruppe nicht signifikant in Bezug auf ihre Selbstkonzeptentwicklung – gerechnet vom ersten bis zum zweiten Messzeitpunkt – voneinander unterscheiden. Betrachtet man hingegen diejenigen Studierenden der beiden Untersuchungsgruppen mit den jeweils am niedrigsten ausgeprägten Selbstkonzepten zu Untersuchungsbeginn, so wird deutlich, dass die Studierenden der Experimentalgruppe (n = 10) signifikant von dem Treatment zur Lehrer*innenkooperation im Hinblick auf ihre professionsbezogenen Selbstkonzepte (Planung und Durchführung inklusiven Unterrichts, Kooperation) im Vergleich zu den Studierenden der Kontrollgruppe (n = 10) profitiert haben.

Zusammenfassend deuten unsere Forschungsergebnisse darauf hin, dass die Beteiligung an einem universitären Training zur Kooperation im inklusiven Unterricht vor allem Studierenden des Lehramts an Grund- und Förderschulen mit schwächer ausgeprägten Lernausgangslagen in ihren professionsbezogenen Selbstkonzepten stärken kann. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit bereits vorhandenen Forschungsbefunden (vgl. Bresges, et al, 2018).

 
15:20 - 17:006-19: Lehrkräftefortbildung
Ort: S23
 
Paper Session

Professionalisierung für den gesellschaftswissenschaftlichen Fachunterricht in der „dritten Phase“: Themen und Formate von Lehrkräftefortbildungen in Niedersachsen von 2018 bis 2022

Marcel Grieger, Monika Oberle

Georg-August-Universität Göttingen, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

„Lehrkräfte verstehen ihren Beruf als ständige Lernaufgabe und entwickeln ihre Kompetenzen weiter“ (KMK, 2022, S. 15), indem sie an Fortbildungen teilnehmen. Schüler*innen zur aktiven Teilhabe an gesellschaftsverändernden Prozessen zu befähigen, ist erklärtes Ziel der politischen Bildung, wobei dem politischen Fachunterricht eine bedeutende Rolle zukommt (Detjen et al., 2012). Hierfür bedarf es professionell aus- und fortgebildeter Lehrkräfte. Der hohe Anteil fachfremd erteilten Unterrichts im Leitfach politischer Bildung (bspw. je nach Schulform zwischen 23 % und 81 % im Fach Politik in der Sekundarstufe I in NRW; MSB, 2022) sowie gesellschaftswissenschaftliche Integrationsfächer, für die es keine adäquate Lehramtsausbildung gibt, unterstreichen die Notwendigkeit fortwährender Qualifikation (Grieger & Oberle, 2020).

Fortbildungsangebote speziell für den Politikunterricht wurden bislang kaum systematisch erforscht. Jenseits von Informationen zum Format (z. B. Dauer, Präsenz/Online) ist die Datenlage zu Fortbildungsthemen generell lückenhaft und schwer vergleichbar (Schoof-Wetzig, 2019). Aus einer Programmanalyse in Baden-Württemberg gingen Didaktik/Methodik, Curriculum, Heterogenität sowie Digitalisierung als häufigste Themen hervor (Cramer, Johannmeyer & Drahmann, 2019). In Hessen waren Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Nach- und Zusatzqualifikationen sowie Medienbildung am meisten vertreten (Benner & Kaufmann, 2020).

Damit Fortbildungen ihre Wirksamkeit entfalten können, müssen sie zunächst angenommen werden. Warum Lehrkräfte an ihnen (nicht) teilnehmen, kann mit verschiedenen Handlungstheorien auf der Mikro-Ebene durch Fortbildungsmotivation, auf der Meso-Ebene durch Themen und Formaten sowie auf der Makro-Ebene durch bildungspolitische Rahmenbedingungen erklärt werden (Boeren, Nicaise & Baert, 2010).

Fragestellung

Der Beitrag geht der Frage nach, welche Themen und Formate Fortbildungsangebote für Lehrkräfte der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer aufweisen und wie es um deren Nachfrage bestellt ist. Erstmalig wird die Fortbildungssituation in der Breite der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer – Sekundarstufe: Geschichte, Geografie, Gesellschaftslehre, Politik/Wirtschaft; Primarstufe: Sachunterricht – in Niedersachsen analysiert. Dazu werden als forschungsleitende Fragestellungen verfolgt:

  1. Welche Themen wurden in Fortbildungen von Januar 2018 bis September 2022 für Lehrkräfte der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer an Schulen in Niedersachsen angeboten?
  2. In welchen Formaten wurden die Fortbildungen durchgeführt?
  3. Wie hoch war die Nachfrage nach den Fortbildungen?

Methode

Für die Analyse wird auf einen Sekundärdatensatz zurückgegriffen, der vom Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) bereitgestellt wurde. Der zunächst knapp 32.000 Einträge umfassende Datensatz wurde auf a) frei wählbare, b) schulexterne c) Fortbildungen d) für Lehrkräfte der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer eingegrenzt (n = 872). Auf Basis der Veranstaltungsprogramme wurden anschließend für die Pilotfächer Politik/Wirtschaft (n = 283) und Sachunterricht (n = 177) mittels deduktiver und induktiver Kategorienbildung die Themen stattgefundener Fortbildungen ermittelt. Außerdem wurden die Formate der Fortbildungen (Dauer, Präsenz/Online) und die Nachfrage (Anmeldungen für ein bestehendes Angebot) berechnet.

Ergebnisse

Die Adressat*innen waren überwiegend Politik- und Geschichtslehrkräfte (jeweils n = 322; 28 %), gefolgt von Sachunterrichtslehrkräften (n = 213; 18 %), Geografielehrkräften (n = 203; 18 %) und Lehrkräften für Gesellschaftslehre (n = 95; 8 %). Bei der inhaltsanalytischen Auswertung für die Pilotfächer wurden 28 Oberthemen identifiziert. Während Themen wie „Curriculum“ (n = 63), „Abitur“ (n = 61) und „Prüfungen“ (n = 64) für Politik/Wirtschaft hoch im Kurs standen, wurden für den Sachunterricht „Naturwissenschaft und Technik“ (n = 114), „Medienbildung“ (n = 53) und „Programmieren“ (n = 34) am häufigsten angeboten. Die Angebotsdichte erreichte während der COVID-19-Pandemie eine Talsohle, allerdings war bereits in den Halbjahren zuvor ein Abwärtstrend erkennbar. Mit durchschnittlich 15 Personen lag die Nachfrage pro Fortbildung im Mittel zwischen Halbjahren mit schwächerer (n = 11) und stärkerer (n=18) Nachfrage. Erwartungskonform stieg während dieser Zeit die Zahl der digitalen Fortbildungen stark an. Fortbildungen dauerten zumeist nicht länger als einen halben Tag, wobei bei den Präsenzveranstaltungen immerhin ein Drittel ganztägig angeboten wurde, während digitale Veranstaltungen tendenziell deutlich kürzer ausfielen. Insgesamt bestätigt dies einen allgemeinen Trend zu kürzeren Fortbildungen (zsf. Lipowsky & Rzejak, 2019). Schlussfolgerungen hinsichtlich Themen und Formate künftiger Fortbildungsangebote werden diskutiert.



Paper Session

Inwiefern beeinflussen Informationen in Ausschreibungstexten von Lehrkräftefortbildungen die Anmeldung? Ergebnisse eines faktoriellen Surveys im Projekt WAhL

Daniela Rzejak, Dumitru Malai, Frank Lipowksy

Universität Kassel, Deutschland

Ausgangslage: Die Lehrkräftefortbildung spielt eine entscheidende Rolle in der (Weiter‑)Entwicklung der beruflichen Kompetenzen von Lehrkräften (Lipowsky & Rzejak, 2019; E. Richter & D. Richter, 2020). Trotzdem nehmen Lehrkräfte z. T. eher selten an formalisierten Fortbildungsangeboten teil (z. B. Hoffmann & D. Richter, 2016). Analysen zeigen zudem, dass die Kapazität von Fortbildungen mitunter nicht ausgeschöpft wird, da mehr Plätze verfügbar sind als Anmeldungen vorliegen (Johannmeyer & Cramer, 2021) oder Veranstaltungen ausfallen (Daschner & Hanisch, 2019). Vor diesem Hintergrund ist die Frage bedeutsam, was Lehrkräfte zur Fortbildungsteilnahme veranlasst. Studien untersuchten in diesem Zusammenhang z. B. die Fortbildungsmotivation (Hauk et al., 2022; D. Richter et al., 2019; Rzejak et al., 2014), berufskontextuelle Faktoren wie Berufserfahrung und Schulform (Hauk et al., 2022; Johannmeyer & Cramer, 2021; Krille, 2020) sowie strukturelle und inhaltliche Fortbildungsmerkmale (Ansyari et al., 2022; Johannmeyer & Cramer, 2021; E. Richter et al., 2020). Allerdings ist wenig erforscht, welche Informationen aus dem Ausschreibungstext, der die Fortbildung ankündigt und bewirbt, für die Entscheidung zur Fortbildungsanmeldung bedeutsam sind.

Fragestellung: Die WAhl-Studie (Was motiviert Lehrpersonen an Fortbildungen teilzunehmen? Ausschreibungstexte von Fortbildungen für Lehrpersonen) greift dieses Desiderat auf und geht der Frage nach, welche Informationen in Ausschreibungstexten für Lehrkräfte relevant sind, wenn es um die Entscheidung geht, sich für eine Fortbildung anzumelden.

Methode: Um diese Frage zu beantworten, wurde ein faktorieller Survey mit Mathematiklehrkräften an weiterführenden Schulen in Hessen und Schleswig-Holstein durchgeführt. Faktorielle Surveys gelten als innovative quantitative Methode, um individuelle Einstellungen objektiv zu erfassen (Beuße et al., 2022). Hierbei werden den Studienteilnehmer:innen mehrere realistische Fälle sogenannte Vignetten vorgelegt, die in verschiedenen Merkmalen systematisch variieren. Im Rahmen der WAhL-Studie erhielt jede Lehrkraft zehn fiktive Ausschreibungstexte für eine Fortbildung zum Thema Bruchrechnung, die sich auf acht Dimensionen unterschieden. Verändert wurde z. B. ob nur das Fortbildungsthema oder konkrete Inhalte angegeben wurden, die Dauer der Fortbildung (0,5 Tage, 1 Tag, 3 Halbtage in 3 Monaten, 6 Halbtage in 6 Monaten) und die Aussicht darauf, Materialien für den Unterricht zu erhalten oder nicht. Am Ende jedes Ausschreibungstextes gaben die Lehrkräfte an, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie sich zur beschriebenen Fortbildung anmelden würden.

Die Stichprobe setzt sich aus 288 Lehrkräften (weiblich: 65 %) zusammen, die im Mittel über 14,2 Jahre (SD = 9,4 Jahre) Berufserfahrung verfügen.

Ergebnisse: Die Ergebnisse multipler Regressionen zeigen, dass bestimmte Informationen in Ausschreibungstexten die Wahrscheinlichkeit der Anmeldung zu Lehrkräftefortbildungen beeinflussen. Die Anmeldewahrscheinlichkeit ist geringer, wenn im Ausschreibungstext nur das allgemeine Fortbildungsthema benannt ist, aber keine konkreteren Hinweise zu den einzelnen Inhalten der Fortbildung gegeben werden (β = -0.12, p < .001). Für die Fortbildungsgestaltung zeigt sich, dass z. B. die Kombination aus Input-, Erarbeitungs- und Diskussionsphasen im Vergleich zur Ankündigung einer ausschließlich selbstständigen Erarbeitung von Inhalten durch die Teilnehmenden einen positiven Einfluss auf die Absicht hat, sich zur Fortbildung anzumelden (β = 0.11; p < .001). Die Wahrscheinlichkeit der Teilnahme fällt hingegen geringer aus, wenn der Ausschreibungstext keine Informationen enthält, dass Lehrkräfte Materialien für ihre Unterrichtspraxis erhalten, im Vergleich dazu, wenn Materialien in Aussicht gestellt werden (β = -0.08; p < .01). Besonders beeinflusst wird das Anmeldeverhalten durch den zeitlichen Umfang. Für eine halbtägige Fortbildung, die vier Stunden dauert, würden sich die Lehrkräfte eher anmelden als für eine Fortbildung, die sich über einen Zeitraum von sechs Monaten erstreckt und insgesamt sechs Fortbildungshalbtage mit je vier Stunden vorsieht (β = 0.22, p < .001).

Diskussion: Insgesamt liefert diese Studie wertvolle Einblicke in ein wichtiges Thema im Zusammenhang mit Lehrkräftefortbildungen. Die Ergebnisse tragen dazu bei, das Verständnis darüber zu vertiefen, auf Grundlage welcher Informationen Lehrkräfte Fortbildungen besuchen. Sowohl für die Gestaltung von zukünftigen Lehrkräftefortbildungen könnten diese Erkenntnisse herangezogen werden als auch dafür, effektivere Strategien bei der Bewerbung von Fortbildungsangeboten zu verfolgen.



Paper Session

Höhere Unterrichtsqualität und verbessertes historisches Denken – eine randomisierte Feldstudie zu den Effekten einer Lehrkräftefortbildung im Fach Geschichte

Wolfgang Wagner1, Lisa Hasenbein2, Waltraud Schreiber3, Clemens Hillenbrand4, Ulrich Trautwein1

1Universität Tübingen, Deutschland; 2Deutsches Jugendinstitut, München, Deutschland; 3Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Deutschland; 4Universität Oldenburg, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Inzwischen liegen auch für das Fach Geschichte Kompetenzmodelle (z.B. FUER-Kompetenzmodell; Körber et al., 2007), Konzeptionen zur Unterrichtsqualität (siehe z.B. Gautschi, 2015; Mägdefrau & Michler, 2012; Trautwein et al., 2021; Zülsdorf-Kersting & Praetorius, 2017) sowie Testinstrumente zur Erfassung historischer Kompetenzen (HiTCH; Trautwein et al., 2017) vor, die einen Anschluss an die moderne Wirkungsforschung von Unterricht ermöglichen.

Die vorliegende Studie ist eine konsequente Weiterführung dieser Entwicklungslinie: Erstmalig wurde im Bereich der Geschichtsdidaktik eine breit angelegte Lehrkräfte-Fortbildung – die KLUG-Fortbildungsreihe für Geschichtslehrkräfte der Sekundarstufe – zur Unterrichtsqualität im Rahmen einer randomisierten Feldstudie empirisch evaluiert. Das KLUG-Fortbildungsprogramm berücksichtigt Befunde zu effektiven Lehrkräftefortbildungen, deren Berücksichtigung eine Wirksamkeit bis auf die Ebene des Lernens von Schüler:innen ermöglichen sollte (Darling-Hammond et al., 2017; Lipowsky & Rzehak, 2021).

Fragestellung

Eine Lehrkräftefortbildung gilt in letzter Instanz als erfolgreich, wenn sie im Klassenzimmer implementiert wird und für die Schüler:innen zu günstigeren Outcomes führt. Im Rahmen der vorliegenden Effektivitätsstudie wurden die Effekte der KLUG-Lehrkräftefortbildung auf zentrale Outcome-Variablen untersucht, die unmittelbar mit dem Unterricht der teilnehmenden Geschichtslehrkraft zusammenhängen: die von den Schüler:innen wahrgenommene Unterrichtsqualität und der wahrgenommene Enthusiasmus der Lehrkraft. Außerdem wurden mithilfe standardisierter Leistungstests die Effekte der Intervention auf die historische Kompetenz der Schüler:innen erfasst. Im Rahmen einer randomisierten Feldstudie wurden folgende tentative Hypothesen untersucht:

  1. Führt die Intervention zu einer als günstiger wahrgenommenen Unterrichtsqualität und einem als höher wahrgenommenen Enthusiasmus der Lehrkraft aus Schüler:innensicht?
  2. Zeigt die Intervention einen positiven Effekt auf die Entwicklung historischer Kompetenzen der Schüler:innen?

Methode

Insgesamt nahmen 121 Lehrkräfte mit 205 Klassen und 896 Schüler:innen an der randomisierten Feldstudie teil. Die Randomisierung erfolgte jeweils auf Schulebene (Interventionsgruppe: n = 53 Schulen; Wartekontrollgruppe: n = 47 Schulen). Das Fortbildungsprogramm im Blended-Learning-Format erstreckte sich über ein Schulhalbjahr mit insgesamt zwei Präsenztagen und sechs synchronen Online-Sitzungen im Abstand von zwei bis fünf Wochen, gerahmt von einer Prä- und Posttestung vor Beginn bzw. nach Ende des Fortbildungsprogramms.

Die historische Kompetenz der Schüler:innen wurden zu beiden Messzeitpunkten mit Aufgaben (84 Items) aus dem HiTCH-Test (Trautwein et al., 2017), teilweise in adaptierter Form, erfasst. Die aus Schüler:innensicht wahrgenommene Unterrichtsqualität wurde zum zweiten Messzeitpunkt bezogen auf die drei Domänen Klassenführung (vier Facetten), konstruktive Unterstützung (acht Facetten) sowie kognitive Aktivierung (zwei Facetten) mithilfe von Items erhoben, die – teilweise adaptiert – weitgehend aus großen Studien wie BIJU (Baumert et al., 1997), PISA (Ramm et al., 2006) oder DESI (Wagner et al., 2009) übernommen wurden (siehe auch Jaekel et al., 2021). Wie Schüler:innen den Enthusiasmus ihrer Lehrkraft wahrnahmen, wurde anhand für das Fach Geschichte adaptierter Items aus Kunter et al. (2008) erfasst.

Die Schätzung der Interventionseffekte erfolgte mithilfe von Strukturgleichungsmodellen mit latenten Variablen als abhängige Variablen (Ausnahme: historische Kompetenz als manifester Score) unter Kontrolle des Prätests (sofern vorhanden) und eines jeweils identischen Sets an Kovariaten (Geschlecht, Alter, Klassenwiederholung, Erstsprache Deutsch, Anzahl Bücher zu Hause, Klassenstufe).

Ergebnisse und Ausblick

Für beide Forschungsfragen zeigten sich teilweise statistisch signifikant positive Interventionseffekte (unadjustiert bei einseitiger Testung):

  1. Die Fortbildungsteilnahme hatte einen positiven Einfluss auf die wahrgenommene Qualität des Feedbacks (Facette der Unterrichtsqualität in der Domäne Konstruktive Unterstützung; b = 0.31, p = .005), die wahrgenommene Qualität anspruchsvoller Aufgaben (Facette der Unterrichtsqualität in der Domäne Kognitive Aktivierung; b = 0.27, p = .018) sowie auf den wahrgenommenen Enthusiasmus der Lehrkraft (b = 0.21, p = .040).
  2. Auf Schüler:innenseite zeigte sich ein deutlich ausgeprägter (b = 0.27, p < .001) und statistisch signifikant positiver Effekt der Intervention auf die historische Kompetenz.

Damit stellt die Studie hoffentlich den Auftakt zu intensiver weiterer Forschung dar, um die allgemeine Unterrichtsforschung und geschichtsdidaktische Forschung weiter zu integrieren und eine umfassende empirische Grundlage für die evidenzbasierte Entwicklung von Professionalisierungsmaßnahmen für Lehrkräfte zu schaffen.



Paper Session

Wie können Lehrpersonen auf einen qualitativ hochwertigen, technologiegestützten Unterricht durch Fortbildungen vorbereitet werden?

Tim Fütterer1, Katharina Scheiter2, Andreas Lachner1, Nicolas Hübner1, Kathleen Stürmer1

1Universität Tübingen, Deutschland; 2Universität Potsdam, Deutschland

Theoretischer Hintergrund. Lehrpersonen müssen qualitativ hochwertigen (lernwirksamen) Unterricht organisieren, damit Schüler:innen vom technologiegestützten Unterricht profitieren (Fütterer et al., 2022, 2023a; Petko et al., 2017). Ein qualitativ hochwertiger Unterricht ist beispielsweise dadurch gekennzeichnet, dass Schüler:innen kognitiv aktiviert werden und sich nicht nur passiv sondern konstruktiv und interaktiv mit Lerngegenständen auseinandersetzen (siehe ICAP-Modell: Chi & Wylie, 2014). Lehrpersonen benötigen spezifische Kompetenzen, um Technologien lernwirksam im Unterricht integrieren zu können (Hew & Brush, 2007). Insbesondere TPK wird als wichtige Voraussetzung für einen lernwirksamen technologiegestützten Unterricht angesehen (Ertmer & Ottenbreit-Leftwich, 2010; Harris et al., 2009; Koehler & Mishra, 2009). TPK leitet sich aus den Wissensfacetten technologisches Wissen (TK) und pädagogisch-psychologisches Wissen (PK) ab (Mishra & Koehler, 2006) und bezieht sich auf das bereichsübergreifende Wissen von Lehrpersonen darüber, wie der Einsatz von Technologien das Lernen von Schüler:innen während der Unterrichtsaktivitäten unterstützen kann. Ein vielversprechender Ansatz zur Förderung von TPK und der Fähigkeit zur Umsetzung eines lernwirksamen technologiegestützten Unterrichts sind Fortbildungen (Fütterer et al., 2023b; 2023c; Hillmayr et al., 2020). Allerdings ist bisher—insbesondere bezüglich TPK—wenig darüber bekannt, wie Lehrpersonen in Fortbildungen gefördert werden sollten (Fernández-Batanero et al., 2020). TPK kann zum Beispiel indirekt gefördert werden, indem stärker technologische Aspekte fokussiert werden (integrative Perspektive), oder direkt (transformative Perspektive; Graham, 2011).

Fragestellungen. In unserer Studie untersuchen wir, wie sich TPK zwischen einer indirekte und einer direkten Förderung bei Fortbildungen unterscheiden und welche Rolle TK und PK bei der Förderung von TPK spielen. Drei Forschungsfragen (FF) werden fokussiert:

(FF1) Wie unterscheiden sich eine integrative und eine transformative Fortbildung zur Förderung von technologisch-pädagogischem Wissen und qualitativ hochwertigem technologiegestütztem Unterricht in ihrer Wirksamkeit?

(FF2) Welche Rolle spielt die Behandlungstreue bei der Wirksamkeit dieser Weiterbildungsmaßnahmen?

(FF3) Wie hängen technologisches und pädagogisch-psychologisches Wissen (als Voraussetzungen der Teilnehmer) mit der Effektivität dieser professionellen Entwicklungen zusammen?

Methode. N = 255 Lehrpersonen (M = 43,29 Jahre alt [SD = 9,23] und 74 % weiblich) wurden zu drei Messzeitpunkten vor (Pretest) und nach (Posttest, Follow-Up) dreimonatigen technologiebezogenen Fortbildungen zur Förderung von TPK und der Fertigkeit, einen qualitativ hochwertigen digital gestützten Unterricht anzubieten, befragt und getestet. Die Lehrer:innen wurden dabei zufällig einer von zwei Fortbildungen zugewiesen: 1. integrative Fortbildung (N = 122), 2. transformative Fortbildung (N = 133). Wir nutzten Strukturgleichungs- und Mehrgruppenmodelle, fehlende Werte wurden mit Full-Information Maximum Likelihood behandelt und Kovariaten entsprechend der What Works Clearinghouse Standards für baseline equivalence einbezogen. Abhängige Variablen beim waren das getestete TPK (8 offene Items, 2 Rater = .81, .81 .85; Lachner et al., 2019), das selbsteingeschätzte TPK (5 geschlossene Items, 67 ≤ α ≤ .70, adaptiert nach Schmidt et al., 2009), die durch Lehrpersonen wahrgenommene kognitive Aktivierung (6 geschlossene Items, .83, adaptiert nach Kunter et al., 2017) und die selbstberichtete Nutzung von Technologie entsprechend ICAP (4 geschlossene Items, 70 .81). Unabhängige Variable ist die Gruppenzugehörigkeit (integrative Fortbildung vs. transformative Fortbildung). Zur Beantwortung der 2. Forschungsfrage wurde treatment fidelity, zur Beantwortung der 3. Forschungsfrage das getestete TK (Fütterer et al., 2023d) und PK (Kunter et al., 2017) als Moderatoren verwendet.

Ergebnisse. Deskriptiv zeigte sich eine stärkere Wirksamkeit der transformativen Fortbildung ( = 0.09 bis = 0.23). Treatment fidelity zeigte sich als wichtige Voraussetzung für die Wirksamkeit transformativen Fortbildung bezüglich selbstberichtetem TPK beim Follow-Up () und wahrgenommener kognitive Aktivierung beim Postets . In der transformativen Fortbildung profitieren Lehrpersonen mit mehr TK mehr hinsichtlich wahrgenommener kognitiver Aktivierung beim Postet . In der integrativen Fortbildung profitieren Lehrpersonen mit mehr PK mehr hinsichtlich getestetem TPK beim Follow-Up . Die Ergebnisse zeigen, dass technologiebezogene Fortbildungen nicht für alle Lehrpersonen gleichsam wirken. Limitationen (z.B. attrition rate, power) sowie Implikationen für die Fortbildungspraxis (z.B. Bedeutsamkeit von adaptiven Fortbildungskonzepten) werden diskutiert.

 
Datum: Mittwoch, 20.03.2024
9:00 - 10:407-19: Der Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I
Ort: S23
 
Paper Session

Soziale und migrationsspezifische Ungleichheiten beim Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule: Die Rolle des Wissens über das Bildungssystem

Melanie Olczyk1, Annabell Daniel2, Hannah Glinka1, Katharina Werner3

1MLU Halle-Wittenberg, Deutschland; 2Ludwig-Maximilians-Universität München; 3ifo Center for Education Economics

Hintergrund und Fragestellung

Das deutsche Schulsystem ist durch ein hohes Maß an Differenzierung und Stratifizierung gekennzeichnet, was zu unterschiedlichen Bildungswegen führt. Diese Wege sind nicht nur mit unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen, Erfolgswahrscheinlichkeiten und Kosten verknüpft, sondern auch mit unterschiedlichen Bildungs- und Karrieremöglichkeiten. Welche Wege eingeschlagen werden, hängt dabei auch von der sozialen Herkunft ab: So besuchen Schülerinnen und Schüler aus sozial weniger privilegierten Familien seltener ein Gymnasium bzw. erlangen seltener das Abitur (Lämmchen et al. 2022). Hingegen treffen Schülerinnen und Schüler aus Zuwandererfamilien bei gleicher Leistung und sozialer Herkunft häufiger ambitionierte Bildungsentscheidungen (Kristen und Dollmann 2010; Segeritz et al. 2010). Besonders ausgeprägt konnte das für türkeistämmige Familien gezeigt werden (Segeritz et al. 2010).

Eine mögliche Erklärung für diese Ungleichheiten bildet die Ausstattung mit Wissen über das Bildungssystem, das eine wichtige Ressource im Bildungsprozess sein kann (Nauck und Lotter 2016; Pfeffer 2008; Forster und van de Werfhorst 2019). Da bildungsferne Familien und Zuwandererfamilien nachweislich weniger gut über das Bildungssystem informiert sind (Kretschmer 2019), könnten diese Unterschiede in der Informiertheit die sozialen und migrationsspezifischen Ungleichheiten beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I verstärken (Forschungsfrage 1). Weiterhin vermuten wir, dass sich Unterschiede im Wissen der Eltern weniger stark auswirken, wenn Bildungsentscheidungen durch den institutionellen Kontext vorstrukturiert werden (Forschungsfrage 2). Damit angesprochen ist die von den Lehrkräften ausgestellte Laufbahnempfehlung am Ende der Grundschulzeit, die in einigen Bundesländern verbindlichen Charakter besitzt und den Entscheidungsspielraum der Familien stärker einschränkt als in anderen Bundesländern.

Daten und Methode

Zur Untersuchung der Zusammenhänge wurden die längsschnittlichen Daten der Startkohorte 2 des Nationalen Bildungspanels ausgewertet (Blossfeld und Roßbach 2019). Im Rahmen der Studie wurde in Klasse 3 (Welle 5) das elterliche Wissen sowohl spezifisch für den Übergang—wie die Zugangsvoraussetzungen für einen Gymnasialbesuch oder die Verbindlichkeit der Laufbahnempfehlung—als auch zum weiteren Bildungssystem und den dortigen Möglichkeiten erfasst (Olczyk und Will 2019).

In die Analysen gingen Informationen zu N = 3,462 Schülerinnen und Schüler ein. Fehlende Werte in den erklärenden Variablen wurden über multiple Imputation berücksichtigt (White et al. 2011).

Im ersten Schritt wurde untersucht, inwieweit soziale und migrationsspezifische Unterschiede im Übergangsverhalten bestehen. Im zweiten Schritt wurde geprüft, welchen Erklärungsbeitrag das elterliche Wissen über das Bildungssystem leistet und inwieweit Unterschiede im Gymnasialübertritt zwischen den sozialen Gruppen hierauf zurückzuführen sind (Forschungsfrage 1). Schließlich wurden Interaktionseffekte zwischen den Wissensindikatoren und der Verbindlichkeit der Laufbahnempfehlung geprüft (Forschungsfrage 2).

Zur Untersuchung der Zusammenhänge wurden lineare Wahrscheinlichkeitsmodelle mit geclusterten Standardfehlern gerechnet. Zur Beantwortung der Forschungsfrage 1 wurde zusätzlich die KHB-Methode genutzt (Breen et al. 2021). In allen Analysen wurde für weitere Hintergrundmerkale der Schülerinnen und Schüler wie beispielsweise ihre Noten in der vierten Klasse oder das Vorhandensein älterer Geschwister kontrolliert.

Ergebnisse und ihre Bedeutung

Unsere Analyseergebnisse bestätigten die in anderen Studien gefundenen Muster: Demnach besaßen Kinder aus bildungsfernen Familien eine geringere Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen. Kinder aus türkeistämmigen Familien und Kinder, deren Familien aus der ehemaligen Sowjetunion stammen, wiesen hingegen eine höhere Wahrscheinlichkeit auf ein Gymnasium zu besuchen als Kinder der Mehrheitsgesellschaft. Des Weiteren bestand ein positiver Zusammenhang zwischen den Wissensindikatoren und der Wahrscheinlichkeit ein Gymnasium zu besuchen. Während sich unter Kontrolle der Wissensindikatoren soziale Unterschiede im Übergangsverhalten signifikant verringerten, blieben migrationsspezifische Unterschiede davon unberührt (Forschungsfrage 1). Mit Blick auf Forschungsfrage 2 konnte kein moderierender Zusammenhang nachgewiesen werden—das Wissen über das Bildungssystem erwies sich unabhängig von dem Grad der Verbindlichkeit der Laufbahnempfehlung als relevant für den Besuch eines Gymnasiums.

Die Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass das Wissen über das Bildungssystem bedeutsam ist und zumindest zu einer Erklärung sozialer Ungleichheiten beim Übergang in die Sekundarstufe I beiträgt. Die Befunde werden mit Rückbezug zu Theorien der Bildungsentscheidung sowie mit Blick auf bildungspolitische Implikationen diskutiert.



Paper Session

Bildungsentscheidungen von Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund am Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe in Deutschland

Thomas Zimmermann

Goethe Universität Frankfurt, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Am Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe treffen Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund in Deutschland oftmals ambitioniertere Bildungsentscheidungen als Familien ohne Zuwanderungshintergrund (Dollmann 2016). Obwohl die Literatur oftmals auf soziologische Varianten der Theorie rationaler Wahlen (RCT) (Breen und Goldthorpe 1997; Erikson und Jonsson 1996; Esser 1999) zur Erklärung positiver sekundärer Herkunftseffekte des Migrationshintergrundes verweist, findet sich für diesen Übergang im deutschen Bildungssystem bislang keine umfassende empirische Überprüfung der theoretischen Annahmen für eine Erklärung sekundärer Herkunftseffekte des Migrationshintergrundes (vgl. Dollmann, 2016).

Nach Erikson und Jonsson (1996) bewerten Eltern die zur Verfügung stehenden Bildungsalternativen anhand der durch sie wahrgenommenen Renditen, Erfolgswahrscheinlichkeiten und Kosten und wählen dann die Alternative mit dem höchsten subjektiven Erwartungsnutzen. Diese Bewertung ist subjektiv und variiert zudem systematisch mit den familiären Ressourcen. Eine wichtige Ressource ist nach Erikson und Jonsson (1996) das familiäre Wissen über das Bildungssystem. Wissens- bzw. Informationsunterschiede werden auch in der Migrationsliteratur als eine Erklärung für unterschiedliche Bildungsentscheidungen angeführt (vgl. Becker und Gresch 2016). Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund sind demnach weniger gut über die einzelnen Bildungsgänge wie die mit diesen verbundene Schulbesuchsdauer (Kosten), Qualifikationsanforderungen (Erfolgswahrscheinlichkeiten), und Arbeitsmarktmöglichkeiten (Renditen) informiert. Die (Fehl-)informiertheit von Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund leistet dann über die systematisch unterschiedliche Bewertung der Entscheidungsdeterminanten einen Beitrag zu ihren vorteilhafteren Bildungsentscheidungen. Auch diese Annahmen wurden für den betreffenden Übergang bislang nicht umfänglich überprüft.

Fragestellungen:

Forschungsfrage 1: Lassen sich die bei gleicher sozialer Herkunft und schulischen Leistungen der Kinder anzunehmenden ambitionierteren Bildungsentscheidungen von Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund durch die Annahmen der RCT erklären?

Forschungsfrage 2: Bestehen Unterschiede in der Wahrnehmung der Determinanten von Bildungsentscheidungen zwischen Eltern mit und ohne Zuwanderungshintergrund und lassen sich diese über Informationsunterschiede erklären?

Methode

Datengrundlage ist die Startkohorte 2 des Nationalen Bildungspanel (NEPS Network 2022). Für den Bildungsübergang von der Primar- zur Sekundarstufe I stehen Daten von insgesamt 2.881 Kindern und ihren Eltern zur Verfügung. Es finden sich Informationen über eine Bewertung der Renditen, Erfolgswahrscheinlichkeiten und Kosten der drei in Deutschland erreichbaren Bildungsabschlüsse (Hauptschulabschluss, Mittlere Reife und Abitur) durch die Eltern. Darüber hinaus bestehen Informationen zum Bildungswissen der Eltern (Olczyk und Will 2019). Differenzierte Analysen nach dem Zuwanderungshintergrund sind ebenfalls möglich (Olczyk et al. 2014). Die Entscheidung der Eltern für den Besuch einer Hauptschule, Realschule oder des Gymnasiums analysieren wir mit konditionalen logistischen Regressionsmodellen. Für die Erklärung von Wahrnehmungsunterschieden in den Renditen, Erfolgswahrscheinlichkeiten und Kosten zwischen Elter mit und ohne Zuwanderungshintergrund verwenden wir hingegen gepoolte lineare Regressionsmodelle.

Ergebnisse und ihre Bedeutung

Literaturkonform weisen unsere Analysen für den Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe auf positive sekundäre Herkunftseffekte des Migrationshintergrundes hin. Im Vergleich zu Eltern ohne Zuwanderungshintergrund entscheiden sich nach Deutschland zugewanderte Eltern unter Berücksichtigung der sozialen Herkunft und der schulischen Leistung signifikant häufiger für ein Gymnasium anstatt einer Realschule. Zwischen Haupt- und Realschule bestehen keine Unterschiede. Die vorteilhafteren Übergangsentscheidungen zugewanderter Eltern lassen sich vollständig über ihre Abwägung der Arbeitsmarktrenditen, Kosten und Erfolgswahrscheinlichkeiten erklären.

Wir finden zudem Wahrnehmungsunterschiede zwischen Eltern mit und ohne Zuwanderungshintergrund in den Kosten und Erfolgswahrscheinlichkeiten. Die im Vergleich zu Eltern ohne Zuwanderungshintergrund zunächst nachteilige Kostenwahrnehmung von Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund wandelt sich unter Berücksichtigung sozialer Herkunftsmerkmale und der Informiertheit in Vorteile. Bei den Erfolgswahrscheinlichkeiten zeigt sich ein weniger eindeutiges Bild. Zentral ist hier, dass sich die durch Eltern mit einem Zuwanderungshintergrund wahrgenommenen Erfolgswahrscheinlichkeiten für das Abitur im Vergleich zu Eltern ohne Zuwanderungshintergrund erhöhen.

Diese Befunde sind bedeutsam, da sich die am Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe bestehenden positiven sekundären Herkunftseffekte des Migrationshintergrundes vollständig über die Annahmen der RCT erklären lassen. Zudem können wir zeigen, dass die Erklärung auf eine unterschiedliche Bewertung der Determinanten der Entscheidung, insbesondere der Kosten und Erfolgswahrscheinlichkeiten durch Eltern mit und ohne Zuwanderungshintergrund zurückführbar ist.



Paper Session

Mechanismen sozialer Ungleichheit beim Übergang ins Gymnasium: Welche Rolle spielen Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen?

Markus Lörz1, Anna Bachsleitner1, Marko Neumann1, Michael Becker2

1DIPF Leibniz Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland; 2TU Dortmund, Deutschland

Forschungslücke: Trotz Bildungsexpansion, intensiver Forschung und bildungspolitischer Initiativen zum Abbau von Bildungsbarrieren bestehen in Deutschland am Übergang ins Gymnasium weiterhin massive soziale Ungleichheiten (Wößmann et al., 2023). Die soziologische, erziehungswissenschaftliche und psychologische Ungleichheitsforschung hat bereits verschiedene Ansatzpunkte zur Erklärung dieses seit Jahrzehnten bestehenden Ungleichheitsphänomens skizziert – dennoch fehlt weiterhin ein systematischer Überblick darüber, welche Rolle den verschiedenen Akteur*innen (Schüler*innen, Eltern, Lehrer*innen) in diesem Ungleichheitsprozess zukommt und über welche genauen Prozesse und Mechanismen die sozialen Ungleichheiten entstehen.

Fragestellung: Der vorliegende Beitrag greift diese (noch) unklare Befundlage auf und versucht über die Integration verschiedener theoretischer Zugänge ein umfassendes Verständnis für die Entstehung sozialer Ungleichheit am Übergang ins Gymnasium zu schaffen. Zentral ist dabei die Frage, über welche Mechanismen soziale Ungleichheiten beim Übergang ins Gymnasium entstehen und welcher Stellenwert den verschiedenen Akteur*innen im Prozess von der Notengebung, Empfehlungsvergabe bis hin zum realisierten Übergang zukommt. Eine Besonderheit des vorliegenden Beitrags ist dabei, dass der breite Kranz an berücksichtigten potentiellen Einflussmerkmalen zur Erklärung der sozialen Herkunftsdifferenzen bei Notengebung, Empfehlungsvergabe und realisiertem Übergang für alle drei Prozessschritte konstant gehalten wird, so dass quantifizierbare Aussagen zur relativen Bedeutung der Merkmale für Ungleichheiten im Übergangsprozess möglich werden.

Theoretischer Hintergrund: Aus Perspektive der Rational Choice Theorie (Boudon, 1974) werden primäre und sekundäre Herkunftseffekte unterschieden und argumentiert, dass herkunftsspezifische Unterschiede beim Übergang ins Gymnasium das Ergebnis unterschiedlicher Schüler*innenleistungen (primäre Effekte) und das Ergebnis unterschiedlicher Kosten-Nutzenüberlegungen der Eltern (sekundäre Effekte) sind. Aus Perspektive institutioneller Effekte (Gomolla & Radtke, 2009) werden darüber hinaus Lehrer*innen – als zentrale Akteur*innen der Wissensvermittlung und -bewertung – ebenfalls hinsichtlich ihrer Einflussnahme auf die Entstehung sozialer Ungleichheit betrachtet. Die drei Erklärungsperspektiven (Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen) werden gerahmt und in Anlehnung an die Überlegungen von Bourdieu (1982) von den kulturellen Ressourcen des Elternhauses beeinflusst.

Daten und Methoden: Für die empirische Überprüfung der theoretischen Überlegungen wird eine repräsentative Panelstudie zu den Bildungsentscheidungen und Bildungswegen von Schüler*innen in Berlin herangezogen. Anhand der BERLIN-Studie ist es möglich, den Übergang ins Gymnasium über den Zeitraum des Übergangsprozesses (Anfang 6. Klasse bis Anfang 7. Klasse) zu betrachten und dabei sowohl die Perspektive der Schüler*innen, der Eltern als auch der Lehrer*innen zu berücksichtigen (inkl. Motivationen, Einstellungen und Bewertungen). Um den Prozess des Übergangs ins Gymnasium genau zu verstehen, wird in der Analyse zwischen Notenerwerb, Empfehlungsstatus und tatsächlichem Übertritt ins Gymnasium unterschieden. Bei der Identifikation der zugrundeliegenden Mechanismen werden logistische Regressionsanalysen und nicht-lineare Kitagawa-Oaxaca-Blinderdekompositionen (Jann, 2008) durchgeführt.

Ergebnisse: Die empirische Analyse zeigt, dass alle drei Akteur*innen bei der Entstehung sozialer Ungleichheiten eine Rolle spielen und die Verzahnung der verschiedenen theoretischen Zugänge ein umfassendes Verständnis für die Entstehung sozialer Ungleichheiten liefert. Die genauen Mechanismen und der Stellenwert der Akteur*innen variiert aber je nach betrachtetem Aspekt des Übergangsprozesses. Von zentraler Bedeutung sind die leistungsbezogenen Unterschiede nach sozialer Herkunft, die sich insbesondere beim Notenerwerb bemerkbar machen und sich von dort aus auf die anderen Erklärungsfaktoren auswirken. Die aus Rational-Choice-Perspektive entscheidende Rolle sekundärer Effekte im Bildungsverlauf bestätigt sich zum Teil in der Entscheidungssituation beim Übertritt ins Gymnasium. Aber auch bei der Notenvergabe und der Gymnasialempfehlung zeigen sich zum Teil elterliche sekundäre Effekte. Die differenzierte Analyse der Elterneinschätzung zeigt, dass die unterschiedliche Wahrnehmung der Erfolgsaussichten den gesamten Übergangsprozess beeinflusst. Die aus institutioneller Perspektive skizzierten Überlegungen, dass Lehrer*innenbeurteilungen zu den Herkunftsunterschieden führen, können mit den vorliegenden Daten nur zum Teil bestätigt werden – bzw. es finden sich nur geringe Hinweise auf einen solchen Zusammenhang. Dennoch zeigt sich, dass Lehrer*innen unabhängig von den tatsächlichen Leistungen Kindern aus Akademikerfamilien höhere Begabungen zuschreiben als Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien. Die aus kulturtheoretischer Perspektive skizzierten Erwartungen spiegeln sich in allen drei Analyseschritten wider – ein großer Teil der kulturell unterschiedlichen Bedingungen spiegelt sich in unterschiedlichen Leistungen und elterlichen Entscheidungsprozessen wider.



Paper Session

Schulische Kontexteffekte an Hamburger Schulen: Eine längsschnittliche Betrachtung der Persistenz von Kontexteffekten anhand des Übergangs von der Grundschule in die Sekundarstufe

Frauke Steinhäuser1, Michael Becker1,2

1Institut für Schulentwicklungsforschung; 2DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Schüler:innen sind während der Schulzeit enormen Veränderungen ausgesetzt. Der schulische Kontext und die damit verbundenen Klassenkompositionen zählen dabei als Wirkmechanismen, die bedeutsam hinsichtlich der Einstellungen und Überzeugungen von Lernenden sind (z.B. positive Assimilations- oder negative Kontrasteffekt der Leistungskomposition). Durch diese kontextuellen Einflüsse ergibt sich beispielsweise, dass Schüler:innen ihre Fähigkeiten geringer einschätzen, wenn sie mit vergleichsweise leistungsstärkeren Personen umgeben sind, was als Big-Fish-Little-Pond-Effekt (BFLPE; Marsh, 1987) breit beforscht wurde. Wenig beachtet blieb bislang, ob und wie kontextuelle Effekte der mittleren Leistungskomposition langfristige Auswirkungen auf Einstellungen von Schüler:innen haben und inwiefern schulische Kontexte ebenso Auswirkungen auf das spätere Verhalten von Schüler:innen haben. Diese Betrachtung wäre vor dem Hintergrund relevant, dass bislang weitgehend offen ist, inwieweit sich schulische Kontexte, und BLFPE im Besonderen, nicht nur auf die Überzeugungen und Einstellungen der Schüler:innen, sondern auch auf das Verhalten und Bildungsverläufe von Schüler:innen auswirken (zur Diskussion vgl. Dumont et al., 2017).

Erste Forschungsergebnisse weisen auf eine recht gemischte Befundlage zur Relevanz von längerfristigen BFLPE auf die Entwicklung von Schüler:innen hin (Becker & Neumann, 2016; Dumont et al., 2017; von Keyserlingk et al., 2020). So konnten Becker und Neumann (2016) BFLPE sowohl im Grundschul- als auch im Sekundarschulkontext querschnittlich nachweisen; beim Übergang in die weiterführende Schule war der Effekt nach einem Jahr nicht mehr nachweisbar. Eine andere Studie fand für Schüler:innen in unterschiedlichen Selbstkonzept-Dimensionen querschnittliche Effekte in sowohl der Grund- als auch Sekundarstufe (Becker & Neumann, 2018). Die Effekte des Grundschulkontexts auf das allgemeine Selbstkonzept der Lernenden blieben selbst drei Jahre nach Verlassen der Grundschule bestehen; bei den Selbstkonzepten für Deutsch und Mathematik verblasste in der Sekundarschulzeit der Effekt aus der Grundschule (Becker & Neumann, 2018).

Die Studie von Steinhäuser et al. (2023) prüfte erstmalig, inwiefern sich diese BFLPE jenseits von Einstellungen auch für das Verhalten in der Domäne Politik belegen lassen und welche Bedeutung ihnen somit für längerfristige Entwicklungen über die Lebensspanne zukommt. Einerseits fand die Studie negative Kompositionseffekte der Leistungszusammensetzung auf das Selbstkonzept. Andererseits fand sie auch Hinweise auf positive Kompositionseffekte auf das Verhalten der Schüler*innen. Sie schienen also von leistungsstarken Mitschüler:innen zu profitieren.

In der vorliegenden Studie wurde daher untersucht, inwiefern BFLPE auf die psychosoziale Entwicklung längerfristig und über unterschiedliche schulische Kontexte hinweg persistieren und wie dies für unterschiedliche psychosoziale Konstrukte, von dem Selbstkonzept bis hin zum Lernverhalten, differenziell ausfällt: Es wurde untersucht, inwiefern quer- und längsschnittliche BFLPE für Selbstkonzepte im Bereich des (fächerübergreifenden) Lesens auftreten, und inwiefern sich diese Effektmuster von denjenigen auf Lesemotivation und Leseverhalten unterscheiden. Die Studie stützte sich auf eine Teilstichprobe der längsschnittlichen Schulleistungsstudie Kompetenzen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern (KESS). Die Studie machte sich zunutze, dass sowohl vor als auch nach dem Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe Informationen aus der vierten und siebten Klasse auf Individual- und Klassenebene vorliegen (Bos et al., 2010). Für die Beantwortung der Forschungsfrage wurden latente Strukturgleichungsmodelle spezifiziert.

Die Ergebnisse belegen typische BFLPE auf das Leseselbstkonzept. Zudem zeigt sich der Kompositionseffekt der vierten Klasse auch nach Übertritt in die weiterführende Schule signifikant. Bei der Lesemotivation zeigt sich ein signifikanter BFLPE der Klassenkomposition der vierten Klasse. Dieser negative Effekt der Klassenkomposition der Grundschule bleibt auch in der siebten Klasse signifikant, währenddessen eine hohe Klassenleseleistung der späteren siebten Klassen einen positiven Effekt auf die Lesemotivation hat. Mit Fokus auf das Leseverhalten finden wir einen signifikanten BFLPE der vierten Klasse, der jedoch in der siebten Klasse an Signifikanz verliert. Stattdessen ist hier ausschließlich ein positiver Effekt der Klassenkomposition der siebten Klasse auf das Leseverhalten zu finden. Alle Analysen konnten unter Berücksichtigung der Schulform validiert werden.

Die Ergebnisse werden im Vortrag vorgestellt; die Bedeutung dieser Art von Kompositionseffekten werden vor einem lifespan-theoretischen Hintergrund kritisch diskutiert.

 
11:10 - 12:508-19: Überzeugungen von Lehrkräften
Ort: S23
 
Paper Session

Ist mein:e Schüler:in sprachbegabt?! Ein Fragebogen zu Sprachbegabungsüberzeugungen von Lehrpersonen

Julia Klug, Kathrin Hamader, Silke Rogl

PH Salzburg/ÖZBF, Österreich

Die Überzeugungen von Lehrpersonen zur Begabung ihrer Schüler:innen sind für Unterrichtsqualität und Bildungsprozesse relevant: sie filtern die Wahrnehmung der Lehrkräfte hinsichtlich der heterogenen Leistungen in der Klasse, sie beeinflussen die Identifizierung der Bedürfnisse begabter Schüler:innen oder die Art der Unterstützungsangebote (Grosch, 2011; Hany, 1997; Rogl, 2022; Sternberg & Davidson, 2005). Begabungsüberzeugungen von Lehrkräften wurden bisher zumeist domänenübergreifend untersucht. In einer Studie erfasste Rogl (2022) die Begabungsüberzeugungen von Lehrpersonen domänenspezifisch für Mathematik und fand fünf theoretisch abgeleitete und empirisch geprüfte Dimensionen der Begabungsüberzeugungen: (1) Fachspezifische Fähigkeiten, (2) Passion, (3) Leistung, (4) Determination, und (5) internale Komponenten, von denen einige kognitiv aktivierenden Unterricht vorhersagen konnten (mit 19% Varianzaufklärung). In der aktuellen Studie wird der Ansatz auf die sprachliche Begabung erweitert, wo bereits elaborierte didaktische Modelle und Konzepte zur Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten bestehen (z.B. Farkas, 2014; Wagner, 2014) und sprachliche Begabung auch in anerkannten Begabungsmodellen als Domäne enthalten ist (Gagné, 2005; Heller et al., 2005). Die zentrale Forschungsfrage lautet, ob sich die Überzeugungen von Lehrkräften zur sprachlichen Begabung analog zur mathematischen Begabung erfassen lassen.

Zu diesem Zweck entwickelten wir einen Fragebogen zur Erhebung der eigenen Sprachbegabungsüberzeugungen basierend auf theoretischer Literatur zu hohen sprachlichen Fähigkeiten (z.B. Farkas, 2014; Wagner, 2014) und dem Modell zu mathematischen Begabungsüberzeugungen (Rogl, 2022). Im Entwicklungsprozess wurden mehrere Schritte zur Optimierung durchlaufen: (1) eine Fokusgruppe zur Prüfung der inhaltlichen Validität (n=5), (2) kognitive Interviews mit Lautem Denken und Paraphrasieren zur Verbesserung der Konstruktvalidität (n=4), (3) sowie eine quantitative Befragung von Lehramtsstudierenden zur Überprüfung des Messmodells mittels konfirmatorischer Faktorenanalyse (n=207). Außerdem wurde anhand der quantitativen Daten die konvergente Validität mittels eines Strukturgleichungsmodells geprüft. In diesem wurden das growth mindset (FDZ am IQB, 2019) und die Lehrer:innenselbstwirksamkeit (Schwarzer & Schmitz, 2002) vorhergesagt, als zwei verwandt vermutete, wenn auch unterschiedliche Konstrukte, für die wir kleine bis mittlere Regressionskoeffizienten erwarteten (für Überzeugungen und Selbstwirksamkeit vgl. Matheis et al., 2017; growth/fixed mindsets bzgl. Intelligenz und Begabung vgl. Ziegler & Stoeger, 2010). MLR wurde als Schätzer für die Modelle in MPlus verwendet. Für die Fit-indices wurden die folgenden Cut-off Werte herangezogen RMSEA ≤ 0.06, SRMR ≤ 0.08, CFI ≥ 0.95, TLI ≥ 0.95, chi-square/df ≤ 3 (Brown, 2015; Hu & Bentler, 1999; Kline, 2016).

Für die Sprachbegabungsüberzeugungen der Lehramtsstudierenden wies ein sechsfaktorielles Modell mit korrelierten Faktoren einen guten Modellfit auf (χ2/df=1.332; RMSEA=.039; SRMR=.059; CFI=.943; TLI=.932), ganz ähnlich dem Modell der Mathematikbegabungsüberzeugungen, nur mit einem zusätzlichen sechsten Faktor namens externale Komponenten, der den eigenen Einfluss als Lehrkraft auf die sprachliche Begabungsentwicklung der Schüler:innen beschreibt. Das sechsfaktorielle Messmodell passte signifikant besser zu den empirischen Daten als ein Generalfaktormodell, ein fünffaktorielles Modell oder ein Modell mit einem Faktor zweiter Ordnung. Im Strukturmodell konnte durch die Sprachbegabungsüberzeugungen der Lehramtsstudierenden sowohl deren growth mindset (R²=.243, p=.003) als auch deren Lehrer:innenselbstwirksamkeit (R²=.33, p=.002) vorhergesagt werden (χ2/df=1.351; RMSEA=.040; SRMR=.060; CFI=.904; TLI=.892). Jeweils zwei der Faktoren erwiesen sich als prädiktiv mit den erwarteten mittleren Koeffizienten: Internale Komponenten (β=.445, p=.007) und Determination (β=-.435, p=.000) für growth mindset sowie Passion (β=.266, p=.024) und Leistung (β=.565, p=.016) für die Lehrer:innenselbstwirksamkeit.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir in unserer Studie einen Fragebogen zu Sprachbegabungsüberzeugungen getestet haben, der in zukünftigen Forschungsprojekten eingesetzt werden kann, um Bildungsprozesse besser zu verstehen und die Partizipation aller, auch begabter Schüler:innen, zu ermöglichen. Weiters konnte gezeigt werden, dass Sprachbegabungsüberzeugungen Ähnlichkeiten mit growth mindset aufweisen, es sich jedoch um verschiedene Konstrukte handelt. Sprachbegabungsüberzeugungen können ähnlich den Mathematikbegabungsüberzeugungen als multifaktorielles Konstrukt gemessen werden. Ausgehend von unseren Erkenntnissen wäre es interessant zu untersuchen, ob Begabungsüberzeugungen domänenspezifisch sind, ob sie sich intraindividuell unterscheiden, ob Sprachbegabungsüberzeugungen ebenfalls das Handeln von Lehrer:innen im Klassenzimmer vorhersagen und welche Implikationen sich für die Lehrer:innenausbildung ergeben.



Paper Session

Unter welchen Bedingungen etikettieren Lehrpersonen ihre Schüler:innen als «verhaltensauffällig»?

Boris Eckstein1, Urs Grob2, Kurt Reusser2, Alexander Wettstein3

1Pädagogische Hochschule Zürich, Schweiz; 2Universität Zürich; 3Pädagogische Hochschule Bern

Theoretischer Hintergrund und Fragestellung

Viele Schüler:innen zeigen im Unterricht gelegentlich Verhaltensweisen, die von den geltenden Normen abweichen (Crawshaw, 2015). Die meisten Lehrpersonen und Mitschüler:innen erleben solches Verhalten als störend, insbesondere wenn es gehäuft auftritt (Eckstein et al., 2016). Darüber hinaus tendieren manche Lehrpersonen dazu, Schüler:innen als «verhaltensauffällig» zu etikettieren, wenn sich diese aus ihrer Sicht in außerordentlicher Weise normabweichend verhalten, z.B. besonders häufig (Hempel-Jorgensen, 2009). Weil aber keine allgemein anerkannte Definition von Verhaltensauffälligkeit existiert, kann diese Etikette Verschiedenes bedeuten. Es ist anzunehmen, dass undiszipliniertes Verhalten (z.B. Schwatzen) hierbei eine besondere Rolle spielt. Denn viele Lehrpersonen und Schüler:innen erachten Undiszipliniertheit als problematischste Form devianten Schülerverhaltens; vermutlich weil sie vergleichsweise häufig auftritt und kumulativ belastend wirkt (Beaman et al., 2007). Allerdings ermittelten jüngere Studien, dass Lehrpersonen das Verhalten ihrer Schüler:innen hochgradig subjektiv einschätzen (Eckstein, 2019). Noch nicht hinreichend geklärt hat die bisherige Forschung, inwieweit die Etikettierung einzelner Schüler:innen als «verhaltensauffällig» durch ihre Lehrperson mit ihrem tatsächlichen Verhalten bzw. mit anderen Bedingungen erklärt werden kann. Deshalb geht dieser Beitrag der Frage nach: Unter welchen Bedingungen etikettieren Lehrpersonen ihre Schüler:innen als «verhaltensauffällig»?

Methode

85 Lehrpersonen und 1412 Schüler:innen (11.7 Jahre) beantworteten eine Umfrage; die Schüler:innen waren zugleich Befragte und Zielpersonen. Die Lehrpersonen gaben an, inwieweit sie die einzelnen Schüler:innen ihrer Klasse persönlich als «verhaltensauffällig» erachten (Einzelitem «Etikettierung»). Zudem wurden vermutete Bedingungen dieser Etikettierung erhoben: Vier zufällig ausgewählte Mitschüler:innen schätzten ein, mit welcher Häufigkeit die einzelnen Schüler:innen in den vergangenen zwei Wochen undiszipliniertes Verhalten zeigten (8 Items, Cronbachs α=.79); die Lehrpersonen gaben ihr allgemeines Belastungserleben (4 Items, Cronbachs α=.76) sowie ihre allgemeine Störungsempfindlichkeit (16 Items, Cronbachs α=.79) an; die Schüler:innen beurteilten die Klarheit und Strukturiertheit des Unterrichts (6 Items, Cronbachs α=.74). Ferner wurde das Geschlecht der Schüler:innen als Einzelitem erfasst (0=Junge, 1=Mädchen) (Eckstein et al., 2018).

Mithilfe eines Mehrebenen-Strukturgleichungsmodells wurden in Mplus (Muthén & Muthén, 2017) Zusammenhänge zwischen der Etikettierung und den Bedingungen auf Schülerebene (L1) sowie auf Ebene der Lehrpersonen/Klassen (L2) geschätzt. Um die diskreten Eigenschaften und die teilweise schiefe Verteilung der Variablen angemessen zu berücksichtigen, wurde der WLSMV-Schätzer verwendet (Finney & DiStefano, 2013). Zur Entlastung der Schätzung wurde die Modellkomplexität durch Parceling reduziert (Little et al., 2002). Um Cluster Bias zu vermeiden, wurden original L1-Konstrukte und ihre aggregierte Form auf L2 messinvariant modelliert (gleiche Faktorladungen, keine L2- Residualvarianz) (Jak et al., 2013).

Ergebnisse

Die vorläufigen Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Modellschätzung gut zu den Daten passt (=139.47, df=71, p<.001; RMSEA=.024; CFI=.991). Die Resultate auf L1 legen nahe, dass die Etikettierung einzelner Schüler:innen weitgehend durch ihr Verhalten erklärt werden kann (=.504, p<.001). Zudem zeigen die L1-Resultate, dass die Etikettierung der einzelnen Schüler:innen auch mit ihrem Geschlecht (=-.25; p<.001) sowie mit der von ihnen erlebten Klarheit und Strukturiertheit des Unterrichts (=-.21; p<.001) zusammenhängt. Darüber hinaus weisen die L2-Resultate darauf hin, dass die Etikettierungstendenzen der Lehrpersonen über alle Schüler:innen hinweg mit ihrem Belastungserleben (=.35, p=.014) und ihrer Störungsempfindlichkeit im Allgemeinen (=.35, p=.011) einhergehen.

Die vorläufigen Ergebnisse stützen die Hypothesen weitgehend: Die Etikettierung einzelner Schüler:innen als verhaltensauffällig durch ihre Lehrperson beruht weitgehend auf dem tatsächlichen Verhalten dieser Schüler:innen – aber nicht ausschließlich. Mädchen sowie Schüler:innen, die dem Unterricht gut folgen können, werden unter Kontrolle des Verhaltens mit vergleichsweise geringer Wahrscheinlichkeit als «verhaltensauffällig» etikettiert – möglicherweise werden sie aufgrund von Halo-Effekten nachsichtig beurteilt (Stang & Urhahne, 2016). Außerdem legen die Ergebnisse nahe, dass persönliche Eigenschaften der Lehrpersonen (Belastungserleben, allgemeine Störungsempfindlichkeit) mit ihrer Etikettierungstendenz einhergehen, was sich vermutlich mit wahrnehmungspsychologischen Mechanismen erklären lässt (Eckstein et al., 2022; Wettstein et al., accepted).

Die Stärken und Grenzen der Studie reflektierend werden an der Konferenz Implikationen dieser Ergebnisse für die zukünftige Forschung und Theoriebildung sowie für die Unterrichtspraxis diskutiert.



Paper Session

Eine experimentelle Studie zu den Effekten von Lehrermindsets auf den Umgang mit leistungsschwachen Schülern, beruflichen Überzeugungen, Emotionen und Verhalten

Patricia Schwiering1,2, Anke Heyder1

1Ruhr-Universität Bochum, Deutschland; 2TU Dortmund

Theoretischer Hintergrund

Growth vs. Fixed Mindsets bezeichnen die subjektive Überzeugung, inwiefern Intelligenz und Fähigkeiten statisch sind (Fixed) oder wachsen können (Growth) (z.B. Dweck & Yeager, 2019). Dabei gilt ein Growth Mindset als besonders motivations- und leistungsförderlich (z.B. Dweck, 2006). Bisherige Studien legten jedoch den Schwerpunkt auf die Bedeutung der Mindsets der Lernenden. Arbeiten zur Bedeutung der Mindsets von Lehrenden liegen erst seit kurzem und primär aus dem US-Amerikanischen Hochschulbereich vor (z.B. Canning et al., 2022). Für Lehrkräfte an Schulen deuten erste Studien darauf hin, dass ihr Mindset mit ihrem Unterrichtsverhalten zusammenhängt (z.B. Rissanen et al., 2019; Sun, 2018) und insbesondere leistungsschwache Schüler*innen von Lehrkräften mit Growth Mindsets motivational profitieren (z.B. Heyder et al., 2020). Experimentelle Arbeiten, die diese Zusammenhänge untermauern, fehlen bislang jedoch. Unklar ist ebenfalls, welche Bedeutung ein Growth Mindset für weitere Kernaufgaben von Lehrkräften wie z.B. die Beurteilung und Beratung von Schüler*innen (KMK, 2019) hat. Entsprechende Erkenntnisse sind wichtig, um die Relevanz von Lehrermindsets umfassender beurteilen und mögliche Schlussfolgerungen für die Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte fundierter ziehen zu können.

Fragestellung

Die hier präsentierte experimentelle Studie untersucht, ob sich die Förderung von Growth Mindsets bei Lehramtsstudierenden mithilfe einer erprobten Kurzintervention (Heyder et al., 2023) auf ihren Umgang mit einem leistungsschwachen Schüler, ihre Lehrerselbstwirksamkeitserwartung, Emotionen und das selbstberichtete antizipierte Unterrichtsverhalten auswirkt. Wir erwarteten, dass die Lehramtsstudierenden der Interventionsgruppe ein stärkeres Growth Mindset (Manipulationscheck), eine größere Lehrerselbstwirksamkeitserwartung, mehr positive und weniger negative Emotionen sowie eine höhere Wahrscheinlichkeit von kognitiv aktivierendem und eine geringere Wahrscheinlichkeit von leistungsorientiertem Unterrichtsverhalten berichten. Zudem erwarteten wir in Bezug auf den Umgang mit einem leistungsschwachen Schüler, dass die Lehramtsstudierenden der Interventionsgruppe positivere Erwartungen an die schulische Entwicklung des leistungsschwachen Schülers und eine stärkere Growth-Mindset-orientierte Beratung an diesen Schüler verfassen.

Methode

In einem präregistrierten Online-Experiment wurden 306 Lehramtsstudierende (224 weiblich; Alter M = 23.26 Jahre) randomisiert der Growth-Mindset fördernden Interventions- (IG) (n = 160) oder der Kontrollgruppe (KG) (n = 146) zugewiesen. Die Teilnehmenden der IG reflektierten über ihre eigene Mission als Lehrkraft und die der KG über das Ruhrgebiet (vgl. Heyder et al., 2023). Anschließend berichteten sie ihr Growth Mindset (Heyder et al., 2020). Danach lasen sie die Fallbeschreibung eines fiktiven leistungsschwachen Schülers, berichteten ihre Erwartungen an seine weitere schulische Entwicklung und verfassten eine schriftliche Schullaufbahnberatung an die Familie. Zusätzlich berichteten sie ihre Lehrerselbstwirksamkeitserwartung (Midgley et al., 2000), erwarteten Emotionen (angelehnt an Pekrun et al., 2011) bezogen auf die Kernaufgaben einer Lehrkraft (KMK, 2019) und antizipierte Nutzung verschiedener Unterrichtspraktiken (Retelsdorf et al., 2010).

Ergebnisse

Wie erwartet berichteten die Lehramtsstudierenden der IG im Vergleich zur KG ein stärkeres Growth Mindset, was die Wirksamkeit der Intervention unterstützt (d = 0.35, p = .001). Ebenfalls erwartungskonform berichten die Lehramtsstudierenden der IG eine größere Lehrerselbstwirksamkeitserwartung, mehr Unterrichtspraktiken der kognitiven Aktivierung und Autonomie, weniger leistungsorientierte Unterrichtspraktiken und weniger Langeweile als die der KG (alle d ≥ 0.19, alle p < .05). Hinsichtlich des leistungsschwachen Schülers erwartete die IG deskriptiv eine positivere schulische Entwicklung (d = 0.12, p = .154) und beriet mit einem größeren relativen Anteil positiv konnotierter Wörter (d = 0.26, p = .025) als die KG, wie erste explorative Sentiment-Analysen zeigten. Zusätzlich zu den quantitativen Analysen werden derzeit alle Beratungstexte nach der strukturierenden Inhaltsanalyse (Mayring, 2022) mithilfe eines in Pretests erprobten Kategoriensystems hinsichtlich ihrer Growth- bzw. Fixed-Mindset-Orientierung von zwei unabhängigen und für die experimentelle Bedingung blinden Kodierer*innen kodiert. Der sich anschließende Vergleich der Beratungen der IG und der KG liefert weitere Erkenntnisse zu der Frage, wie sich ein Growth oder Fixed Mindset von Lehrenden in ihrem professionellen Handeln manifestiert.

Insgesamt bietet die Studie erste experimentell gestützte Einblicke in die praktische Bedeutsamkeit von Lehrermindsets für weitere Aspekte der professionellen Kompetenz von Lehrkräften.



Paper Session

Wie denken angehende Lehrpersonen über das Experimentieren im Geographieunterricht? Betrachtung eines Überzeugungssystems

Hanna Velling, Jan Christoph Schubert

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Dem Experimentieren im Geographieunterricht werden insbesondere vor dem Hintergrund einer naturwissenschaftlichen Grundbildung große didaktische Potenziale zugeschrieben (z.B. Lethmate, 2006) und geographische Bildungsstandards und Lehrpläne sehen den Einsatz von Experimenten vor (DGfG, 2020). Zugleich liegen Hinweise darauf vor, dass Experimente nur selten im Geographieunterricht eingesetzt werden (Hemmer & Hemmer, 2010) und ihr Einsatz mit großen Herausforderungen für Lehrpersonen verbunden ist (Otto & Mönter, 2015). Vor diesem Hintergrund rücken die Geographielehrpersonen selbst in den Fokus. Deren subjektive Überzeugungen (Beliefs) gelten neben anderen Komponenten professioneller Handlungskompetenz als wichtiger Prädiktor für die Gestaltung und Qualität von Unterricht sowie konkretes unterrichtliches Handeln (Baumert & Kunter, 2006; Fives & Buehl, 2012; Pajares, 1992) – so auch für Einsatz und Gestaltung von Experimenten im Geographieunterricht. Dabei wirken Beliefs stets eingebettet in ein System weiterer Überzeugungen sowie kontextabhängig als sogenannte Filter, Frames und Guides auf das professionelle Handeln von Lehrpersonen (Fives & Buehl, 2012; Mansour, 2009). Folglich wird argumentiert, dass diese erstens im Zusammenhang mit weiteren Überzeugungen (Fives & Buehl, 2012) sowie zweitens möglichst situations- und anforderungsspezifisch (Blömeke et al., 2008) untersucht werden sollten. Mit Blick auf das Experimentieren im Geographieunterricht könnten – neben den Überzeugungen der Geographielehrpersonen zum Experimentieren selbst – auch deren lehr- und lerntheoretische und epistemologische Überzeugungen eine wichtige Rolle spielen, da diese als relevant für die Auswahl von Lerngelegenheiten und Unterrichtsformen und -aktivitäten gelten (Dubberke et al., 2008; Hashweh, 1996; Seidel et al., 2008). Hinzu kommen auch Selbstwirksamkeitserwartungen, da diesen im Zusammenhang mit herausfordernden Situationen im Unterricht – wie auch dem Experimentieren – eine besondere Bedeutung für unterrichtliches Handeln zugeschrieben wird (Schwarzer & Jerusalem, 2002). Bisher ist jedoch wenig über die Zusammenhänge der Beliefs von (angehenden) Lehrpersonen zum Experimentieren im Geographieunterricht mit diesen Arten von Überzeugungen sowie auch zu deren Ausprägungen bekannt.

Fragestellung

Vor diesem Hintergrund werden im Vortrag folgende Forschungsfragen fokussiert:

a) Wie sind die Beliefs zum Experimentieren im Geographieunterricht bei angehenden Lehrpersonen ausgeprägt?

b) In welchem Zusammenhang stehen die Beliefs der angehenden Lehrpersonen zum Experimentieren im Geographieunterricht mit lehr- und lerntheoretischen Überzeugungen, epistemologischen Überzeugungen und ihren Selbstwirksamkeitserwartungen?

Methode

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden N = 285 angehende Geographielehrpersonen (74% weiblich; Durchschnittsalter: M = 22, SD = 3.7) anhand eines neu entwickelten und validierten Mess­instruments zu ihren Überzeugungen zum Experimentieren im Geographieunterricht (Velling & Schubert, 2023a; Velling et al., 2022) sowie anhand etablierter Skalen zu ihren lehr- und lerntheoretischen Überzeugungen (konstruktivistisch-transmissiv) (OECD, 2009), epistemologischen Überzeugungen zu Naturwissenschaften (Bos et al., 2016) und Selbstwirksamkeitserwartungen/ Kompetenzüberzeugungen zum Experimentieren im Geographieunterricht (Velling & Schubert, 2023b; geographiespezifisch adaptiert nach Meinhardt et al., 2016) befragt. Anhand der Daten wurden die Ausprägungen der Beliefs zum Experimentieren sowie deren Zusammenhänge mit den weiteren erfassten Überzeugungen in einem Strukturgleichungsmodell (CFI: .93, TLI: .92, RMSEA: .029 [.023, .034], SRMR: .057, χ² = 1302.815, df = 1049 p < .001, χ²/df = 1.24) betrachtet.

Ergebnisse

Die befragten Studierenden sind insgesamt sowie insbesondere bezüglich der Förderung von Kompetenzen und der motivationalen Lernvoraussetzungen von Schüler*innen von großen Chancen durch das Experimentieren im Geographieunterricht überzeugt. Vergleichsweise weniger positiv sind die Überzeugungen mit Blick auf eine Offenheit beim Experimentieren sowie die kognitiven und motorischen Lernvoraussetzungen der Schüler*innen ausgeprägt. Mit Blick auf die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Arten von Beliefs ist ein zentrales Ergebnis, dass die Bedeutung, welche angehende Lehrpersonen der Offenheit beim Experimentieren beimessen, positiv durch fortgeschrittenere Beliefs zu Natur­wissenschaften, hingegen negativ durch transmissive Überzeugungen vorausgesagt wird. Zudem sind Studierende, welche der Meinung sind, dass die Schüler*innen die kognitiven und motorischen Lernvoraussetzungen für das Experimentieren mitbringen, stärker von ihrer eigenen Kompetenz beim Einsatz von Experimenten im Geographieunterricht überzeugt. Weitere Zusammen­hänge der Beliefs sowie erste Implikationen für die Forschung und (fachdidaktische) Lehrer*innenbildung werden im Vortrag diskutiert.

 
Datum: Donnerstag, 21.03.2024
10:00 - 12:30NWT - 11: Umgang mit qualitativen Daten
Ort: S23

 
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