11. GEBF-Tagung
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Haupttagung: 18. - 20.03.2024 | Nachwuchstagung: 21.03.2024
Universität Potsdam
Veranstaltungsprogramm
Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
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Sitzungsübersicht | |
Ort: S16 Seminarraum, 50 TN |
Datum: Montag, 18.03.2024 | |
10:30 - 12:10 | 1-17: Motivation im Unterricht Ort: S16 |
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Paper Session
Wirkungen des Unterrichts mit offenen Aufgaben auf Wertüberzeugungen, Kosten, Kompetenz- und Autonomieerleben 1Universität Münster; 2Universität Paderborn; 3Universität Gießen Motivationstheorien schreiben Wertüberzeugungen und Kosten eine wichtige Rolle für Motivation und Handeln zu (Eccles & Wigfield, 2020). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation betont zudem die Bedeutung von Autonomie- und Kompetenzerleben (Ryan & Deci, 2020). Bisher wurde nur selten untersucht, ob Autonomie- und Kompetenzerleben im Unterricht die Effekte des anspruchsvollen Fachunterrichts auf Wertüberzeugungen und Kosten vermitteln können. Zudem wurden nur selten Wirkungen von Aufgabenmerkmalen auf Motivation im Unterricht analysiert (Schukajlow, Rakoczy, et al., 2023).. Als Untersuchungsgegenstand wurden für diese Studie offene (nicht wohl-definierte) Aufgaben ausgewählt. Darunter werden realitätsbezogene Aufgaben (Modellierungsaufgaben) verstanden, in denen einige lösungsrelevante Informationen fehlen und während der Bearbeitung recherchiert oder geschätzt werden müssen (Jonassen, 2000; Schukajlow, Krawitz, et al., 2023; Yeo, 2017). Bei geschlossenen Aufgaben sind alle nötigen Informationen gegeben. Die Analyse der Effekte des Unterrichts mit offenen Aufgaben auf Motivation und die Untersuchung der Wirkmechanismen dieser Effekte ist eine wichtige Aufgabe der Unterrichtsforschung. Hypothesen
Methode 259 Neuntklässler:innen (103 weiblich, M=14.5 Jahre) aus Realschulen und einem Gymnasium wurden innerhalb jeder Klasse randomisiert einer Experimentalgruppe (EG) oder einer Kontrollgruppe (KG) zugewiesen. In der EG wurden offene und in der KG geschlossene Aufgaben mit gleichen Unterrichtsmethoden behandelt. Der Unterricht wurde von geschulten Masterstudierenden gemäß standardisierten Instruktionsmanualen durchgeführt, wobei jeder/e Instruktionsleiter/in dieselbe Anzahl von KG- und EG-Gruppen unterrichtet hat. Ein Treatmentcheck mit Hilfe von standardisierten Beobachtungsbögen und die Analyse von Unterrichtsmaterialien bestätigten die adäquate Umsetzung. Vor und nach dem Unterricht haben Lernende an einer Befragung zu Wertüberzeugungen (attainment, intrisic und utility value (AV, IV, UV), je 3 Items) und Kosten (3 Items) teilgenommen. Während des Unterrichts (5 Schulstunden) wurden Lernende zu Autonomie- und Kompetenzerleben befragt. Für die Befragungen wurden erprobte Skalen genutzt (1=stimmt gar nicht, 5=stimmt genau). Die interne Konsistenz aller Skalen war mindestens .78. Die Überprüfung der Hypothesen erfolgte mit Hilfe von Pfadmodellen mit den unabhängigen Variablen „Unterricht mit offenen vs. geschlossenen Aufgaben“, „Wertüberzeugungen“ und „Kosten“ im Pretest, den vermittelnden Variablen „Autonomie- und Kompetenzerleben“ und den abhängigen Variablen „AV“, „IV“, „UV“ und „Kosten“ im Posttest. Die Anzahl der Probanden und die Anzahl der Freiheitsgrade waren ausreichend, um die angenommenen Hypothesen mit den aufgestellten saturierten Pfadmodellen zu testen. Aufgrund substanzieller Korrelationen wurden die Pfadmodelle einzeln für die drei Valuekomponenten und Kosten analysiert, wobei die Mediatoren – ebenfalls aufgrund der Korrelationen – einzeln in die Modelle aufgenommen wurden. Die jeweiligen Pretestvariablen wurden kontrolliert. Die Analysen wurden mit Mplus3.9 (MLR-Schätzer) durchgeführt. Fehlende Werte wurden mit FIML geschätzt und STDY-Werte berichtet. Ergebnisse und Diskussion Es zeigten sich positive Effekte des Unterrichts mit offenen Aufgaben auf AV (β=0.08, p<.05), UV (β=0.084, p<.05) und Kompetenzerleben (β=0.012, p<.01), positive Tendenzen bei Autonomieerleben (β=0.094, p=.07) und negative Effekte bei Kosten (β=-0.117, p <.05). Keine Effekte wurden bei IV beobachtet. Kompetenzerleben (aber nicht Autonomieerleben) vermittelte zwischen dem Unterricht mit offenen Aufgaben und AV (β=0.028, p<.05), IV (β=0.031, p<.05) und UV (β=0.02, p<.05) (aber nicht Kosten). Die Ergebnisse zeigen, dass Aufgabenmerkmale wie Offenheit motivationale Variablen beeinflussen können. Im Einklang mit der Selbstbestimmungstheorie und Erwartungs-Wert-Theorie, erwies sich Kompetenzerleben als wichtige vermittelnde Variable. Eine fehlende vermittelnde Wirkung von Autonomieerleben könnte aus den begrenzten Autonomiegelegenheit resultieren, die sich nur auf die Lösungsvielfalt bezog. Eine praktische Implikation ist, Motivation im Unterricht durch die Aufgabenwahl zu steigern. Offene Modellierungsaufgaben bieten sich dafür an. Paper Session
Effekte der Integration von Kunst in den Unterricht auf motivationale Schülermerkmale - Befunde aus dem Sparkling Science Projekt „Zirkus des Wissens“ Johannes Kepler Universität Linz, Österreich Problemstellung Um den wachsenden Bedarf an Fachkräften im MINT-Bereich auszugleichen und den sich wandelnden Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden, müssen sich Unterrichtsformen anpassen. Ein neuer Ansatz, um MINT-Fächer für Schüler*innen zugänglicher zu machen, stellt die Kunstintegration in Unterrichtsfächer dar, die üblicherweise von Schüler*innen als abstrakt und schwierig wahrgenommenen werden (Merzyn, 2008). Im längsschnittlich angelegten Sparkling Science Projekt „Zirkus des Wissens“ finden an fünf Schulen im Rahmen des Regelunterrichts mehrwöchige Kunst-Workshops mit Künstler*innen statt. Ziel des Projektes ist es die Motivation und Selbstwirksamkeit der Schüler*innen für und in MINT-Fächer zu erhöhen. Der Beitrag analysiert, inwiefern dies im Projekt gelungen ist, und geht auf Chancen und Herausforderungen der Kunstintegration im Unterricht ein. Theorie Durch die Integration von Kunst in die MINT-Fächer fällt es Schüler*innen leichter, die Fachinhalte und Prinzipien in Alltagssituationen anzuwenden, diese Verknüpfung führt zum besseren Verständnis in beiden Bereichen (Robinson et al., 2009). Das Aufzeigen der Verbindung zwischen Lerninhalt und Alltag steigert die Relevanz der Lerninhalte für die Schüler*innen und damit auch die intrinsische Motivation (McClelland, 1987). Diese ist in Kombination mit Persönlichkeitsmerkmalen, Begabung und Wissen die Quelle von Kreativität (Holm-Hadulla & Stewart, 2018). Als treibende Kraft der Neugier, ist die Kreativität essenziell für naturwissenschaftliche Erkundungen. Der enge Zusammenhang zwischen Kreativität und (natur-)wissenschaftlicher Motivation, belegt die Bedeutsamkeit der Integration von Kunst in die MINT-Fächer (Baldwin, 1985). Darüber hinaus bietet Kunst im Unterricht den Schüler*innen auch ein erhöhtes Maß an Mitgestaltung und Mitbestimmung. Laut Ryan und Deci (2000) fördert diese Autonomie das Schülerinteresse am Thema. Zusätzlich sind die variablen Lernbedingungen und die kreativen, offenen Lösungswege der Kunst förderlich für eine positive Entwicklung der Selbstwirksamkeitserwartung (Schwarzer und Jerusalem, 2002). Methode Das im dreijährigen Längsschnitt angelegte Projekt umfasst 9 Projektklassen (210 Schüler*innen) und 2 Kontrollklasse (44 Schüler*innen) aus fünf Mittelschulen und Gymnasien. Die Ausgangsmessung im März 2023 sowie die erste Wiederholungsmessung im Juni 2023 erfolgten durch eine Onlinebefragung, wobei etablierte Skalen zu den Konstrukten Fachinteresse (acatech & VDI, 2009), motivationale Regulation (Ryan & Connell, 1989) und Selbstwirksamkeitserwartungen (Glynn, 2011) in den MINT-Fächern, Beharrlichkeit (Fleckenstein et al., 2014), Präsentationsangst (selbsterstellt) sowie Schülererfahrungen im Kunst- und MINT-Bereich (selbsterstellt) eingesetzt wurden. Darüber hinaus wurden als Kontrollvariablen der sozioökonomische Hintergrund (Torsheim et al., 2015) und die Erstsprache der Schüler*innen erfasst. Die Analyse des Einflusses der Integration von Kunst im Unterricht auf die Entwicklung der motivationalen Schülermerkmale im MINT-Bereich erfolgte mittels Single Indicator Latent Change Score Modellen (Kievit et al., 2018), wobei die Kunstintervention sowohl als dummy-kodierter Prädiktor als auch als Index der von den Schüler*innen wahrgenommenen Qualität der Kunstworkshops modelliert wurde. Darüber hinaus wurde der Einfluss des sozioökonomischen Hintergrunds und der Erstsprache auf die Veränderung in den genannten Konstrukten untersucht. Ergebnisse Wiedererwarten konnte im ersten Projektjahr für keine der untersuchten motivationalen Variablen eine statistisch signifikante Veränderung in der Stichprobe beobachten werden. Auch die Einflüsse der Kunstworkshops, des sozioökonomischen Hintergrunds und der Erstsprache waren nicht signifikant. Eine Erklärung für die fehlenden signifikanten Effekte der Integration von Kunst in den MINT-Unterricht liefert Meyer (2011): Auch kunstintegrierter Unterricht ist kein Selbstläufer. Womöglich müssen Schüler*innen sich erst ausreichend Methodenkompetenz aneignen, damit Kunst im Unterricht seine positive Wirkung entfalten kann. Eine andere Erklärung könnte darin liegen, dass sich die verwendeten Interessens- und Motivationsskalen auf das Unterrichtsfach allgemein bezogen und nicht spezifisch auf die Themen der Workshops. In Kombination mit der kurzen Dauer und geringen Intensität der Workshops in Relation zum restlichen Unterricht, könnte dies zu den Nullergebnisse geführt haben. Darüber hinaus spricht Kunst und Projektunterricht nicht alle Kinder gleichermaßen an. Für künftige Erhebungszyklen lassen aber Befunde aus Lehrer*innen-Interviews, die auf wahrgenommene positive Veränderungen in der Lernbereitschaft und Motivation der Schüler*innen hindeuten, signifikante Effekte der Integration von Kunst in den Unterricht erwarten. Paper Session
Effekte von Nutzungshäufigkeit, situationsspezifischer Passung und Anwendungsqualität von Motivationsregulationsstrategien auf das Wohlbefinden von Studierenden Universität Augsburg, Deutschland Viele Studien identifizieren Motivationsregulation als wichtigen Prädiktor für Studienmotivation und Studienerfolg (Steuer et al., 2019; Kryshko et al., 2020; Schwinger et al., 2009; Wolters, 1998, 1999). Der potenzielle Einfluss von Motivationsregulation auf das emotionale Erleben und Wohlbefinden von Studierenden wurde bisher aber kaum empirisch untersucht, obwohl hierzu durchaus theoretische Vorstellungen existieren (z.B. Zimmerman & Schunk, 2008). Da Motivation und Emotion integrale Bestandteile von Lernen und Leistung sind, die eng miteinander verwoben sind und u.a. ähnliche Antezedenzien haben (Meyer & Turner, 2006; Eccles & Wigfield, 2020; Pekrun, 2023), liegt es nahe, dass Motivationsregulation nicht nur Motivation, sondern auch Emotionen und Wohlbefinden von Studierenden beeinflussen kann. Erste Studien mit Belegen für diese Zusammenhänge (z.B. Grunschel et al., 2016, Kryshko et al., 2022) haben ausschließlich die Häufigkeit des Einsatzes von Motivationsregulationsstrategien berücksichtigt. Aktuelle Forschung zeigt jedoch, dass neben der Nutzungshäufigkeit auch die situationsspezifische Passung zwischen verwendeten Regulationsstrategien und den motivationalen Problemen, auf die diese zielen, sowie die Qualität der Strategieanwendung für die Effektivität der Motivationsregulation und nachfolgendes Lernverhalten wichtig sind (z.B. Engelschalk et al., 2017; Steuer et al., 2019). Vermutlich leistet jede Motivationsregulationskomponente einen spezifischen Beitrag zur erfolgreichen Bewältigung von motivationalen Herausforderungen, ist dafür aber nicht alleine hinreichend. Da theoretisch anzunehmen ist, dass die drei Motivationsregulationskomponenten auch für emotionales Erleben und Wohlbefinden von Studierenden wichtig sind, sollen im vorliegenden Beitrag die Zusammenhänge zwischen Nutzungshäufigkeit, situationsspezifischer Passung und Qualität des Strategieeinsatzes einerseits sowie emotionalen und kognitiven Aspekten von Wohlbefinden andererseits untersucht werden. Im Einklang mit früherer Forschung (z.B. Bäulke et al., 2018) wird zudem untersucht, ob die wahrgenommene Effektivität der Motivationsregulation diese Zusammenhänge mediiert. Um die angenommenen Zusammenhänge zu überprüfen, wurden Daten aus zwei empirischen Studien mit Studierenden genutzt. In Anlehnung an multidimensionale Konzeptualisierungen von Wohlbefinden (Diener et al. 2003; Marsh et al. 2020) wurden affektive Komponenten in Form von positiven und negativen (Leistungs-)Emotionen (Angst, Langeweile, Hoffnung, Freude) und kognitive Komponenten in Form von Studienzufriedenheit und allgemeiner Lebenszufriedenheit gemessen. Die Hypothesen wurden mittels Strukturgleichungsmodellen in R (lavaan) getestet, wobei alle Konstrukte außer Lebenszufriedenheit latent erfasst wurden. In Studie 1 wurden 234 MINT-Studierende einer deutschen Universität (28.8% weiblich, MAlter=21,0; SD=3,04) online zu ihrer Motivationsregulation und ihrem Wohlbefinden befragt. Studie 2 stützte sich auf eine größere, repräsentative Stichprobe mit 890 Studierenden (56.0% weiblich, MAlter=23,6; SD=4,40) mehrerer deutscher Universitäten., um die in Studie 1 beobachteten Muster mit denselben validierten Messinstrumenten zu überprüfen. Diese standortübergreifende Stichprobe ist Daten des Statistischen Bundesamtes zufolge repräsentativ nach Hochschultyp, Semester, Geschlecht und Studienfach geschichtet. Das Strukturgleichungsmodell zeigte in beiden Studien eine gute Passung (Studie 1: χ2=167.3; df=126; p<.01; RMSEA=. 038; CFI=.990; TLI=.986; SRMR=.062; Studie 2: χ2=560.7; df=126; p<.001; RMSEA=.062; CFI=.961; TLI=.948; SRMR=.060). Übereinstimmend mit den Hypothesen hingen in beiden Studien Nutzungshäufigkeit, situationsspezifische Passung und Qualität des Einsatzes von Motivationsregulationsstrategien positiv mit der Effektivität der Motivationsregulation zusammen, die wiederum positiv mit Hoffnung, Freude, Studienzufriedenheit und Lebenszufriedenheit und negativ mit Angst und Langeweile zusammenhing (ps<.05). Die positiven indirekten Effekte von Nutzungshäufigkeit, situationsspezifischen Passung und Qualität auf Hoffnung, Freude, Studienzufriedenheit und Lebenszufriedenheit und die negativen indirekten Effekte auf Angst und Langeweile wurden durch die Effektivität der Motivationsregulation mediiert (ps<.05). Insgesamt konvergieren Größe und Richtung der Effekte in beiden Stichproben. Die Ergebnisse unterstützen die Annahmen von Zimmerman und Schunk (2008) zum Zusammenhang zwischen Motivationsregulation und Wohlbefinden und unterstreichen die Bedeutung von Regulationskompetenzen in Bezug auf Nutzungshäufigkeit, situationsspezifische Passung und Qualität bei Studierenden. Die Ergebnisse erweitern das theoretische Wissen zur Bedeutung der verschiedenen Motivationsregulationskomponenten, die in engem Zusammenhang mit der Effektivität der Motivationsregulation stehen, und stimmen mit aktuellen Forschungsergebnissen zu möglichen Überschneidungen zwischen motivationaler und emotionaler Selbstregulierung überein (Stockinger et al., 2023). Sie haben Implikationen für integrative Theoriebildung und die Entwicklung wirksamer Fördermaßnahmen für Wohlbefinden von Studierenden. Paper Session
Zur Bedeutung von Resilienz für die wahrgenommene Fehlerkultur und die Lern- und Leistungsemotionen von Schüler:innen 1Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland; 2Johannes Kepler Universität Linz Abstract Neben Merkmalen von Unterrichtsqualität, wie einer konstruktiven Fehlerkultur, spielen Emotionen eine bedeutsame Rolle für den Lernprozess von Schüler:innen (Hagenauer & Hascher, 2018). Die vorliegende Studie geht der Frage nach, wie der Umgang mit Fehlern (Oser & Spychiger, 2005) Lern- und Leistungsemotionen beeinflusst und welche Rolle die Resilienz (Twum-Antwi et al., 2020) von Schüler:innen dabei spielt. Mixed-Effects Modelle zeigen einen moderierenden Effekt von Resilienz auf Lern- und Leistungsemotionen. Eine konstruktive Fehlerkultur im Unterricht geht insbesondere für resilientere Schüler:innen mit höherer Lernfreude sowie geringerer Langeweile und Angst einher. Daraus ergeben sich Implikationen für die stärkere Berücksichtigung der Resilienz von Lernenden und die Förderung konstruktiver Fehlerkultur im Unterricht. Theoretischer Hintergrund Schulen sind Bildungs- bzw. Lernort und zugleich ein Kontext mit weitreichender Bedeutung für das emotionale Erleben von Schüler:innen. Neben Merkmalen von Unterrichtsqualität, wie einer konstruktiven Fehlerkultur, spielen Emotionen eine bedeutsame Rolle für den Lernprozess von Schüler:innen (Hagenauer & Hascher, 2018). Die Berücksichtigung von Emotionen lässt sich unter anderem durch die Gestaltung guten Unterrichts sicherstellen. Fragestellung Bezugnehmend auf die Control-Value Theory (Pekrun et al., 2007) geht die vorliegende Studie der Frage nach, wie ein offener und konstruktiver Umgang mit Fehlern als kontextuelles Merkmal von Unterricht (Helmke, 2015) in Zusammenhang mit Lern- und Leistungsemotionen (Freude, Angst und Langeweile) steht und welche Rolle dabei die Resilienz als individuelles Merkmal (Twum-Antwi et al., 2020) von Schüler:innen spielt. Methode Insgesamt N = 3045 Schüler*innen (5. – 9. Klassenstufe; Alter: M = 13.04, SD = 2.98; 46.5% weiblich) aus N = 38 Sekundarschulen eines deutschen Bundeslandes wurden mit Hilfe standardisierter Skalen zu Resilienz, Lern- und Leistungsemotionen sowie wahrgenommener Fehlerkultur im Unterricht befragt. Zur Berücksichtigung hierarchischer Strukturen wurden gemischte Modelle im Programm R berechnet. Ergebnisse Die Analysen zeigen sowohl direkte Effekte einer konstruktiven Fehlerkultur im Unterricht auf die wahrgenommene Lernfreude (β = 0.30, SE = 0.02, p<.01), Angst (β = -0.14, SE = 0.02, p<.01) und Langeweile (β = -0.25, SE = 0.02, p<.01) der Schüler:innen, als auch einen moderierenden Effekt von Resilienz auf Lern- und Leistungsemotionen (Freude/Angst/Langeweile: β = 0.06/-0.05/-0.07, SE = 0.02/0.02/0.02, p<.01/ p<.01/ p<.01). Ein konstruktiver Umgang mit Fehlern im Unterricht geht mit höherer Lernfreude sowie geringerer Langeweile und Angst einher. Insbesondere resilientere Schüler:innen profitieren von einer offenen Fehlerkultur, was die Rolle von Resilienz als Moderator dieser Zusammenhänge bestätigt und gleichzeitig die Diskussion über die Wirkungsweise von Resilienz in diesem Zusammenhang eröffnet. Diskussion Erst das Zusammenspiel von kontextuellen Unterrichtsmerkmalen, wie der Fehlerkultur, und Resilienz als individuellem Faktor kann zu einer erfolgreichen Bewältigung der Situation führen und auf diese Weise mitentscheidend dafür sein, ob die Fehlerkultur als herausfordernd oder – bei gering ausgeprägter Resilienz – gegebenenfalls als emotional belastend wahrgenommen wird. Implikationen für die stärkere Berücksichtigung der Resilienz von Lernenden und die Förderung einer konstruktiven Fehlerkultur im Unterricht mit Blick auf ein positives emotionales Erleben werden im Beitrag diskutiert. |
13:10 - 14:50 | 2-17: Ökonomische Bildung Ort: S16 |
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Paper Session
Ein evidenzbasiertes Kompetenzstruktur- und niveaumodell für die ökonomische Bildung von Schüler*innen der Sekundarstufe I – Das Beispiel ECON 2022 in Nordrhein-Westfalen Universität Duisburg-Essen, Deutschland Das alltägliche Leben von Menschen ist von Situationen geprägt, in denen ökonomisches Handeln erforderlich ist. Während basale wirtschaftliche Kompetenzen sind im angloamerikanischen Sprachraum als auch international seit langem Teil des Bildungskanons (Soper und Walstad 1987; OECD 2020), fehlt es in Deutschland an einer breiten schulischen Verankerung ökonomischer Lerngelegenheiten. In den MINT-Fächern (Leutner et al. 2017) als auch der kaufmännischen Bildung die empirische Messung wie Modellierung von Kompetenzen weit gedungen sind (Beck et al. 2016), ist ein Mangel an ausreichend fundierten Kompetenzmodellen in der ökonomischen Allgemeinbildung festzustellen (Ackermann 2019). Bisherige Assessments im Bereich der ÖB fokussieren insbesondere auf Schüler*innen der Sekundarstufe II und inhaltlich auf eine zumeist gesellschaftlich-volkswirtschaftliche Perspektive (Ackermann 2019; Eberle et al. 2016; Seeber et al. 2022). Insbesondere für die Sekundarstufe I liegt nur wenig empirische Evidenz für die Ausprägung und Strukturierung ökonomischer Kompetenz vor (Seeber et al. 2015). Ziel dieses Beitrages ist es auf Grundlage einer repräsentativen Erhebung der ökonomischen Kompetenz von Schüler*innen der Jahrgangsstufe 8 in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2022 (1) die Dimensionalität ökonomischer Kompetenz und… (2) die Graduierung ökonomischer Kompetenz zu untersuchen. Die Entwicklung des Testinstruments erfolgt auf Grundlage des Logic-Assessment-Models (Klotz 2015). Dabei sind die Items in eine narrative Struktur eingebettet, die wirtschaftliche Lebenssituationen in einem möglichst authentischen Setting nachbilden. Hinsichtlich der Dimensionalität ökonomischer Kompetenz konnte Winther (2010) eine Differenzierung in eine Economic Literacy- und eine Economic Numeracy-Facette feststellen, die auch in Studien im allgemeinbildenden Schulwesen bestätigt werden konnte (Macha 2015). In Anlehnung an das Konzept der Lernprogression von Wilson (2009), das eine spezifische Ausprägung des erworbenen Wissens postuliert, wird bei der Itemkonstruktion über die schwierigkeitsgenerierenden Merkmale der kognitiven Verarbeitungsprozesse und Spezifität eine Construct-Map entwickelt. Diese inhaltsbezogenen Merkmale haben sich der kaufmännisch-beruflichen Forschung als empirisch bedeutsam erwiesen (Winther und Achtenhagen 2009; Winther 2010; Klotz et al. 2015). Das Merkmal der kognitiven Verarbeitungsprozesse orientiert sich an der Taxonomie von Marzano und Kendall (2007) und differenziert dreistufig in die Wissensreproduktion, das Verstehen und Analysieren sowie die Wissensanwendung in Handlungssituationen. Das Merkmal der Spezifität orientiert sich am Konzept einer zunehmenden Domänenspezifität von Wissen (Gelman und Greeno 1989) und differenziert dreistufig in domänenverbundenes und zunehmend domänenspezifisches Wissen. Es wird angenommen, dass eine zunehmende Wissensbasis sich nicht nur inhaltlich erweitert, sondern sich auch in ihrer Komplexität und Querverbindungen in Form von Entwicklungsstufen vertiefend manifestiert. Die Datenerhebung wurde computergestützt durchgeführt. Es handelt sich um eine zweistufig stratifizierte Klumpenstichprobe (N=3020). Für die Analyse der Dimensionalität der Daten wurde ein polytomes 1PL-IRT-Modell-MCMLM (Adams et al. 1997) gewählt und mit dem Programm ACER-ConQuest (Adams et al. 2018) skaliert. Zur Bestimmung der Kompetenzniveaustufen wurde die Items anhand der schwierigkeitsgenerierenden Merkmale in drei Stufen geratet. Die prädiktive Bedeutung der schwierigkeitsgenerierenden Merkmale wird mithilfe einer Regressionsanalyse bestimmt (Hartig und Frey 2012; Hartig 2007). Da die unabhängigen Variablen nicht intervallskaliert sind, werden Dummyvariablen erstellt und mit der Ausprägung 0 und 1 codiert. Die abhängige Variable stellt den Personenfähigkeitsparameter dar. Zum jetzigen Zeitpunkt liegen die Ergebnisse der Datenanalyse der Hauptstudie noch nicht in Gänze vor. Die Feldteststudie mit N=816 Teilnehmer*innen zeigte jedoch bereits vielversprechende Ergebnisse bzgl. einer zweidimensionalen Kompetenzstruktur und der prädiktiven Bedeutung der Merkmale kognitiven Verarbeitungsprozesse und der inhaltlichen Spezifität auf die ökonomische Kompetenz der Schüler*innen. Für die Befunde der Hauptstudie erwarten wir ähnliche Ergebnisse, da eine Revision des Testinstruments aufgrund der zufriedenstellenden Feldtestdaten nur im geringen Maße erforderlich war. Die Befunde sind insbesondere in der Ermangelung von Evidenz in der Domäne von hoher Bedeutung, da diese ebenfalls anschlussfähig an die kaufmännisch-berufliche Forschung sind und so auch ökonomische Bildung unter der Perspektive der Berufspropädeutik an Relevanz gewinnen kann. Darüber stellen die Ergebnisse ein Ausgangspunkt hinsichtlich einer evidenzbasierten Fort- und Weiterentwicklung von Lehrplänen sowie die Formulierung kompetenzorientierter Bildungsstandards dar. Paper Session
Der Geschlechterunterschied in der Wirtschafts- und Finanzkompetenz – Eine systematische Literaturanalyse Eberhard Karls Universität Tübingen Theoretischer Hintergrund Ausgeprägte Wirtschafts- und Finanzkompetenzen sind essenziell, um im komplexen und globalisierten Wirtschaftsgeschehen Entscheidungen zu treffen. Die Forschung zeigt, dass diese Kompetenzen mit Finanzverhalten zusammenhängen und individuelle Entscheidungen beeinflussen (Lusardi & Mitchell, 2017; van Rooij et al., 2011). Zusätzlich zeigen Studien einen signifikanten Einfluss von Finanzkompetenz auf das Sparverhalten, den Vermögensaufbau und die Rentenvorsorge (Bucher-Koenen et al., 2021; van Rooij et al., 2011). Der demographische Wandel sowie komplexe Finanzprodukte verstärken die Bedeutung einer ausgeprägten Wirtschafts- und Finanzkompetenz (Klapper & Lusardi, 2020). Trotz dieser praktischen Relevanz zeigt eine Vielzahl von Studien die geringe Wirtschafts- und Finanzkompetenz in der generellen Bevölkerung auf. Dieses Problem ist für bestimmte Subgruppen, wie Frauen, ältere Personen und solche mit einem geringen Bildungsniveau zusätzlich verstärkt (Bucher-Koenen & Lusardi, 2011; Lusardi et al., 2014; Walstad & Rebeck, 2002). Im Hinblick auf die Geschlechterungleichheit und die praktischen Konsequenzen von Wirtschafts- und Finanzwissen sind diese Ergebnisse besorgniserregend. Fragestellung und Methode Angelehnt an diese Erkenntnisse bietet der vorliegende Artikel zwei Beiträge. Erstens untersucht die systematische Literaturanalyse internationale Literatur bezüglich des Geschlechterunterschieds in der Wirtschafts- und Finanzkompetenz und unterscheidet hierbei zwischen verschiedenen Weltregionen und Altersgruppen. Zweitens werden mögliche Erklärungsfaktoren für den Geschlechterunterschied untersucht. Die systematische Analyse folgt den PRISMA Richtlinien 2020 (Page et al., 2021) und umfasst 97 Artikel mit 185 Studien über den Zeitraum von 2002 bis 2022. Es werden eine bibliometrische sowie eine qualitative Inhaltsanalyse durchgeführt. Ergebnisse In der Mehrheit der Studien (75,14 %) wird ein signifikanter Geschlechterunterschied zugunsten von Männern festgestellt. Dieser Unterschied ist über verschiedene Regionen und Altersgruppen hinweg beobachtbar. Besonders ausgeprägt scheint der Geschlechterunterschied in Industrienationen, insbesondere in Nordamerika und Europa, während in anderen Regionen (z.B. Osteuropa, Südamerika und Asien) häufiger kein signifikanter Unterschied zwischen den Geschlechtern gefunden wird. Es können verschiedene Erklärungsfaktoren für den Geschlechterunterschied identifiziert werden. Selbstvertrauen wurde am häufigsten untersucht, meist quantifiziert durch „Ich weiß es nicht“-Antworten oder eine Selbsteinschätzung der eigenen Wirtschafts- und Finanzfähigkeiten. Ein weiterer oftmals untersuchter Faktor ist Sozialisation. Diese umfasst z.B. das soziale und kulturelle Umfeld, die Sozialisation durch die Eltern und stereotypisches Denken (Agnew & Cameron-Agnew, 2015; Bucher-Koenen et al., 2017; Furrebøe & Nyhus, 2022; Jappelli, 2010). Weitere relevante Merkmale sind Bildung und Beschäftigung (Davoli & Rodríguez-Planas, 2020; Kim et al., 2022), demographische Variablen (Aguiar-Diaz & Zagalaz-Jimenez, 2022; Preston & Wright, 2022) sowie mathematische Fähigkeiten (Jappelli & Padula, 2013; Razen et al., 2021). Aufgrund verschiedener Erhebungsinstrumente, Auswertungsmethoden und Studienergebnisse ist jedoch unklar, zu welchem Teil diese Faktoren jeweils den Geschlechterunterschied erklären können. Ein wiederkehrendes Ergebnis der Studien ist, dass nur ein kleiner Teil des Unterschieds durch die erhobenen Variablen erklärt werden kann und ein wesentlicher Teil unerklärt bleibt (Kim et al., 2022; Preston & Wright, 2022; Robson & Peetz, 2020; Yao et al., 2022). Insgesamt ermöglicht die Literaturanalyse ein tieferes Verständnis für den Geschlechterunterschied in der Wirtschafts- und Finanzkompetenz sowie der komplexen Faktoren, die diesem zugrunde liegen. Die Thematik ist relevant, um die Geschlechtergleichheit zu fördern und das finanzielle Wohlergehen in der Bevölkerung zu stärken. Paper Session
Determinanten der ökonomischen Diagrammkompetenz von südafrikanischen Studierenden 1Universität Tübingen, Deutschland; 2University of the Witwatersrand, Südafrika Einleitung und theoretischer Hintergrund Diagramme sind ein zentraler Bestandteil des Wirtschaftsstudiums und sollen Lernenden helfen, komplexe Zusammenhänge besser zu verstehen. Bisherige Forschung zeigt, dass Studierende Diagrammaufgaben herausfordernd finden und oft nicht nachvollziehen können, welche Rolle Diagramme bei Analyse und Darstellung komplexer Zusammenhänge haben (Cohn et al., 2004). Dies gilt umso mehr für bestimmte Gruppen: Weibliche Lernende und Lernende mit geringen Mathematik-Kenntnissen fallen die Aufgaben besonders schwer (Cohn et al., 2004; Hill & Stegner, 2003; Marire, 2017; Ramos Salazar & Hayward, 2022; Schuhmann et al., 2005). Obwohl Diagrammkompetenz eine wichtige Voraussetzung für das Wirtschaftsstudium ist, gibt es bisher wenige Studien, die die Kompetenz und deren Voraussetzungen genauer analysieren. Insbesondere werden die Fähigkeiten selten mit komplexeren Instrumenten erfasst und gemeinsam untersucht. Das ist notwendig, um besser zu verstehen, wie die entsprechenden Gruppen beim Einstieg in das Wirtschaftsstudium unterstützt werden können. Der vorliegende Beitrag verfolgt daher das Ziel, den Zusammenhang zwischen ökonomischer Diagrammkompetenz und Geschlecht, Sprache sowie mathematischen Fähigkeiten in der Studieneingangsphase zu analysieren. Der Fokus liegt auf der Frage, ob sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern durch mathematische und sprachliche Fähigkeiten von Wirtschaftsstudierenden erklären lassen. Methoden Die Stichprobe besteht aus 1351 Studierenden, die in wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen an einer Universität in Südafrika eingeschrieben sind. Von den befragten Studierenden sind 55,51% weiblich. Insgesamt haben 48,45 % in der Sekundarstufe „Englisch als Muttersprache“ als Fach gewählt (die verbliebenen „Englisch als Fremdsprache“). Die Studierenden in der Stichprobe sprechen insgesamt 24 unterschiedliche Muttersprachen, wobei Englisch in Südafrika als Bildungssprache an Hochschulen Standard ist und mit 23% die größte Gruppe darstellt. Die Diagrammkompetenz der Studierenden wurde mit einem englischen Testinstrument erfasst, das 15 Multiple-Choice-Aufgaben und eine offene Aufgabe für drei typische ökonomische Graphen (Angebot und Nachfrage, Kostenfunktion und Indifferenzkurve) umfasst. Der Test wurde im deutschen Kontext schon erfolgreich eingesetzt. Zur Bewertung der wirtschaftsbezogenen mathematischen Fähigkeiten der Studierenden wurden Aufgaben aus dem Mathematics for Economics Skill Assessment (MESA) verwendet (McKee et al., 2023). In beiden Tests wurde der Anteil der erreichten Punkte an der Gesamtpunktzahl (Prozentwert) für den gesamten Test als Variable verwendet, fehlende Aufgaben wurden als falsch gewertet. Die Studierenden stimmten der Verknüpfung der Ergebnisse mit administrativen Daten zu. Von dort wurden Geschlecht, Muttersprache und Noten aus der Sekundarstufe entnommen. Ergebnisse Im Durchschnitt erreichten die Lernenden 51,19% im Diagrammkompetenztest (SD = 11,25%). Im Mathetest erreichten die Studierenden durchschnittlich 57,05% (SD = 15,05%). Männliche Studierende erreichen im Diagrammkompetenztest im Durchschnitt etwa 3,5 Prozentpunkte mehr als weibliche Studierende. Um zu identifizieren, ob sich die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Probanden durch Unterschiede in sprachlichen oder mathematischen Fähigkeiten erklären lassen, wurde eine hierarchische Regressionsanalyse mit Diagrammkompetenz als abhängiger Variable durchgeführt. Als unabhängige Variablen wurden neben dem Geschlecht schrittweise Muttersprache, Englischnote, Mathenote und die Ergebnisse des Wirtschaftsmathe-Tests eingesetzt. In jedem Modell wurde für die Anzahl der fehlenden Aufgaben aus dem Diagrammkompetenztest kontrolliert. Alle im Modell aufgenommenen Variablen korrelieren positiv mit Diagrammkompetenz. Während sich der Anteil von erklärter Varianz erhöht, bleibt der Gruppenunterschied zwischen männlichen und weiblichen Studierenden von etwa 3,4%, über alle Modelle konstant. Die Geschlechterdifferenz lässt sich damit nicht mithilfe von sprachlichen oder mathematischen Fähigkeiten erklären. Diskussion und Ausblick Als Prädiktoren für die Diagrammkompetenz von Studierenden zu Beginn des Wirtschaftsstudiums erweisen sich in Übereinstimmung mit früheren Untersuchungen (z.B. Cohn et al., 2004) Geschlecht, sprachliche und mathematische Kenntnisse als relevant. Unsere Ergebnisse bestätigen, dass Graphen zu Beginn des Studiums nicht intuitiv verstanden werden. Besonders bemerkenswert ist der beträchtliche Unterschied von einem Drittel Standardabweichung zwischen männlichen und weiblichen Lernenden, deren Erklärung Ziel zukünftiger Forschung sein sollte. Nachdem mathematische und sprachliche Fähigkeiten in dieser Studie erstmals gemeinsam in einer umfangreichen Stichprobe untersucht werden konnten, könnten geschlechtsspezifische Einstellungen, Erfahrungen und Sozialisation potenzielle Erklärfaktoren sein. Paper Session
Verantwortungsbewusstes Handeln vor dem Hintergrund von Nutzenmaximierung – eine Interviewstudie zur Wirtschaftsethik Lehrstuhl für Ökonomische Bildung und Wirtschaftsdidaktik, Eberhard Karls Universität Tübingen, Deutschland Einführung und theoretischer Hintergrund In der Ökonomischen Bildung ist es zentral, die Fähigkeit der Lernenden zu stärken, wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen und gleichzeitig ethische Aspekte zu berücksichtigen. Die Wirtschaftsethik verbindet in diesem Sinne Ökonomik und Ethik bzw. Wirtschaft und Moral, um gesellschaftliche Probleme, die durch wirtschaftliche Aktivitäten verursacht werden, zu erkennen, anzugehen und zu vermeiden (Loerwald, 2010). Der Theorie der Integrativen Wirtschaftsethik zufolge setzt eine wirtschaftsethische Analyse auf verschiedenen sozialen Ebenen an: die Ordnungsethik auf der Makro-, die Unternehmensethik auf der Meso- sowie die Individualethik auf der Mikroebene (Enderle, 1991; Retzmann & Grammes, 2014). Der schulische Ökonomieunterricht kann dabei einen Beitrag zur Entwicklung „gesellschaftlich geteilter Wertvorstellungen und moralischer Urteilskompetenzen“ (Loerwald, 2010, S. 82) leisten. Dabei ist es zentral, im Unterricht als wesentliche Lehr-Lern-Voraussetzung die subjektiven Erklärungssysteme der Lernenden zu wirtschaftsethischen Fragestellungen zu berücksichtigen. Allerdings fokussieren bisherige Forschungsarbeiten in Bezug auf Schüler:innenvorstellungen in der ökonomischen Bildung zumeist rein ökonomische Themengebiete (Aprea, 2014; Birke & Seeber, 2011a, 2011b; Davies & Lundholm, 2012; Friebel et al., 2014, 2016; Kaiser et al., 2016; Marton & Pong, 2005). Daher strebt die vorliegende Studie an, einen Beitrag zur Schließung der Forschungslücke zu wirtschaftsethischen Haltungen von Schüler:innen zu leisten, wofür sich die fachdidaktische Vorstellungsforschung als methodische Herangehensweise anbietet (Kirchner, 2015). Aus diesem Grund untersucht die vorliegende qualitative Studie die wirtschaftsethischen Vorstellungen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern. Hierfür wurden 33 halbstrukturierte Einzelinterviews mit Lernenden der achten Klasse an allgemeinbildenden Gymnasien in Südwestdeutschland geführt. Dabei wurden folgende Forschungsfragen fokussiert:
Methodische Vorgehensweise Die Interviews konzentrierten sich speziell auf das Thema Verantwortung in Bezug auf Verbraucher:innen, Unternehmen sowie dem Staat im Kontext der Gestaltung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und wurden in die vier Fragekategorien Konsum und Verzicht, Wirtschaftskreislauf, Marktformen und Machtverhältnisse gegliedert. Diese Inhaltsbereiche orientieren sich am Bildungsplan Baden-Württemberg für Klasse acht sowie an der Theorie der Integrativen Wirtschaftsethik (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2016; Retzmann & Grammes, 2014). Die Auswertung findet derzeit mithilfe eines doppelten Verfahrens statt. Dieses besteht aus einer deduktiven Codierung zur Einschätzung der Elaboriertheit und der wirtschaftsethischen Ebene anhand eines Erwartungshorizonts – ähnlich wie Aprea (2014) – sowie einer typenbildenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz und Rädiker (2022) statt. Erste Ergebnisse Die Sichtung erster Transkripte ergibt sehr heterogene Antworten mit unterschiedlichen Begründungsmustern, die zum Teil sehr elaboriert sind („Also ich finde, eher die Firmen, die hier in Deutschland sind, weil die produzieren und verkaufen das ja auch und deswegen sollten die halt auch darauf achten, wie ihre Produkte überhaupt hergestellt werden und nicht quasi die Schuld auf die Länder schieben, die das herstellen, sondern die sind für ihr Produkt eigentlich verantwortlich und wie das hergestellt wird.“), teilweise aber auch sehr nah an der Lebenswelt der Schüler:innen („Aber ich glaube im Gegenteil, dass das nicht richtig ist, dass der Staat da irgendwas steuert. Uns da irgendwie beeinflusst.“). Bis zur Tagung werden die Transkripte der Interviews vollständig ausgewertet sein, sodass die Präsentation an der Tagung möglich ist. Insgesamt zielt die Untersuchung darauf ab, Einblicke in die bestehenden wirtschaftsethischen Weltsichten der Lernenden zu gewinnen, um die Erkenntnisse in der fachdidaktischen Praxis zur „Planung, Durchführung und Reflexion von Unterricht“ (Kirchner, 2015, S. 57) nutzen zu können. |
15:20 - 17:00 | 3-17: Sprachliche und textuelle Merkmale Ort: S16 |
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Paper Session
Komplexitätsanalysen von Lernmaterialien des bilingualen Wirtschaftsunterrichts Eberhard Karls Universität Tübingen, Deutschland Die fortschreitende Globalisierung und die Etablierung von Englisch als Lingua franca machen die Partizipation von Schüler:innen am internationalen Wirtschaftsgeschehen wahrscheinlicher, was allerdings einer frühzeitigen Vorbereitung bedarf. Eine vielversprechende Möglichkeit hierfür stellt Content and Language Integrated Learning im Fach Wirtschaft dar, denn hier werden fachbezogene Inhalte in einer Fremdsprache vermittelt (Coyle et al., 2010) und somit fachliches, sprachliches und kulturelles Lernen miteinander verknüpft (Coyle, 2007). Das Fach Wirtschaft eignet sich aufgrund seiner global ausgerichteten Themenschwerpunkte wie Güter- und Arbeitsmärkte und seiner Multiperspektivität besonders gut und ermöglicht durch die Einbeziehung der Lingua franca zudem ein authentisches handlungs- und aufgabenorientiertes Sprachlernen. Bisher stellt bilingualer Wirtschaftsunterricht jedoch ein Nischenphänomen dar und geht mit einem Mangel an verfügbaren Lernmaterialien einher. Um die erfolgreiche Integration des bilingualen Wirtschaftsunterrichts in Schulen voranzubringen, sind hochwertige Unterrichtsmaterialien unverzichtbar. Insbesondere authentischer, lebensweltlicher (Mehisto, 2012) und verständlicher Sprachinput leicht über dem aktuellen Sprachniveau der Schüler:innen gilt als Schlüssel zum Zweitspracherwerb im bilingualen Unterricht (Krashen, 1996; Vygotsky, 1978). Beispielsweise zeigen bilinguale Programme mit verständlichem Sprachinput gegenüber monolingualen Programmen einen positiven Effekt auf die Englischleistungen der Schüler:innen (McField & McField, 2014). Die Verständlichkeit der Lernmaterialien steht also in direktem Zusammenhang mit dem Lernerfolg der Schüler:innen. Vor diesem Hintergrund und als Orientierungshilfe für die zukünftige Erstellung von bilingualen Materialien untersucht die vorliegende Studie systematisch die Verständlichkeit von englischsprachigen Lernmaterialien für den bilingualen Wirtschaftsunterricht der Sekundarstufe. Da linguistische Komplexitätsmaße ein Indikator für die Entwicklung der Bildungssprache darstellen (Weiss & Meurers, 2019), bilden sie die Grundlage dieser Lernmaterialanalyse. Insbesondere die Variabilität zwischen den Faktoren vorgegebene Klassenstufe, Textarten (redaktionelle, adaptierte und direkt zitierte Texte) sowie mögliche Anpassungsprozesse zitierter Texte sind dabei von Interesse:
Insgesamt wurden 30 Lernmaterialien – von Schulbüchern bis hin zu einzelnen Unterrichtsplänen – für den bilingualen Wirtschaftsunterricht in Deutschland gesammelt und digital in unformatierte reine Texte umgewandelt. Für diese Studie waren lediglich die Einführungstexte, Zusammenfassungen und Arbeitsanleitungen relevant (n = 1529). Auf Basis von in einer anderen Lernmaterialanalyse als aussagekräftig hervorgehobenen Komplexitätsmaßen (Berendes et al., 2018) und mithilfe von explorativen Untersuchungen wurden für jeden Text computergestützte linguistische Komplexitätsanalysen mit der Common Text Analysis Platform (Chen & Meurers, 2016) durchgeführt. Die Ergebnisse wurden wiederum mit RStudio deskriptiv ausgewertet und grafisch mithilfe von Konfidenzintervallen und Violinplots dargestellt. Im Detail wurden oberflächliche Maße wie Satz- und Textlänge, lexikalische Maße zum lexikalischen Reichtum oder syntaktische Komplexitätsmaße beispielsweise zur Anzahl der Nebensätze angewandt. Die Analysen ergaben eine unsystematische Komplexitätsprogression über die Sekundarstufen hinweg, was die kontinuierliche Sprachentwicklung der Schüler:innen erschweren könnte. Zudem wies der lexikalische Reichtum erhebliche Schwankungen auf, sowohl zwischen den Klassenstufen als auch den einzelnen Textsorten. Im Vergleich zu redaktionell erstellten Texten waren die direkt zitierten Texte außerdem durch tendenziell längere Sätze und komplexere Strukturen gekennzeichnet. Zuletzt zeigte sich die Tendenz, bei der Modifikation von zitierten Texten stark zu vereinfachen und zu kürzen, was jedoch nicht zwangsweise vorteilhaft ist für das Textverständnis der Lernenden (Fillmore & Snow, 2003). In Anbetracht des allgemeinen Mangels an Lernmaterialien verdeutlichen diese Ergebnisse, dass bilinguale Wirtschaftslehrkräfte sich nicht auf die Hochwertigkeit der bestehenden Materialien verlassen können und deshalb häufig ihre eigenen Materialien erstellen müssen. Außerdem ist bei der zukünftigen Entwicklung von bilingualen Wirtschaftsmaterialien ein stärkerer Fokus auf Sprachsensibilität zu legen, z.B. durch die Zusammenarbeit von Verlegern, Linguisten und Lehrkräften. Darüber hinaus zeigt unsere Analyse, wie wichtig es ist, bereits in bilingualen Ausbildungsprogrammen Kompetenzen zur Materialgestaltung zu fördern. Paper Session
Effekte sprachlicher Merkmale mündlicher Erklärungen auf das Verständnis von Schüler:innen im Deutschunterricht 1Universität Hamburg, Deutschland; 2Leuphana Universität Lüneburg, Deutschland Theoretischer Hintergrund Mündliche Erklärungen von Lehrkräften sind eine der häufigsten Kommunikationsformen im Unterricht (Behrens, 2022; Berthold, 2012). Sie haben das Ziel, die Schüler:innen beim Wissensaufbau zu unterstützen und ein Verständnis für fachliche Inhalte zu erzeugen (Leinhardt, 2001). Anspruchsvolle basale Verstehensprozesse bei der Textverarbeitung beanspruchen kognitive Ressourcen (Kintsch, 1988). Daraus kann mentale Erschöpfung resultieren (Hockey, 2013), deren Effekte im Zusammenhang mit der Motivation stehen (Herlambang et al., 2021). Diese motivationalen Aspekte können das Textverständnis beeinflussen (Cruz Neri et al., 2023). Die Sprache ist das zentrale Medium mündlicher Erklärungen. Bei der Rezeption müssen Lernende ein Situationsmodell (Kintsch, 1988) entwickeln und sich hierfür mit der sprachlichen Gestaltung durch die erklärende Lehrkraft auseinandersetzen. Es ist jedoch bekannt, dass die sprachliche Gestaltung von Texten, zu denen auch mündliche Erklärungen zählen (Clinton-Lisell, 2022; Stephany, 2018), das Verständnis der Schüler:innen beeinflussen kann (Cruz Neri & Retelsdorf, 2022). Bestimmte Textmerkmale, wie z. B. lokale Kohäsionsmittel, sind förderlich für die kognitiven Prozesse des Textverstehens (McNamara et al., 2011; Ozuru et al., 2009). Trotz der zentralen Bedeutung mündlicher Erklärungen für den unterrichtlichen Kontext liegen kaum Erkenntnisse zur sprachlichen Gestaltung durch Lehrkräfte und Effekte auf das Verständnis der Schüler:innen vor. Eine Ausnahme hiervon bildet die Studie von Schmitz et al. (2023), die den Einfluss der globalen Kohäsion auf das Hörverstehen anhand informativer Hörtexte untersuchte und nachwies, dass globale Kohäsionsmittel das Hörverstehen fördern. Fragestellung In der vorliegenden Studie soll untersucht werden, (1) ob sprachliche Merkmale mündlicher Erklärungen von Lehrkräften Effekte auf das Verständnis von Schüler:innen haben. Zudem wird geprüft, (2) inwieweit motivationale Aspekte diesen Effekt mediieren. Methoden Es wurden zwei videografierte Erklärungen mit gleichem Inhalt, aber unterschiedlichen sprachlichen Merkmalen, erstellt: Eine sprachlich einfache und eine sprachlich schwierigere Erklärungsvariante. Als Erklärungsgegenstand diente eine Thematik aus dem Deutschunterricht. Es wurden fünf sprachliche Merkmale fokussiert, die als Indikatoren für sprachliche Komplexität gelten (White, 2012). Jeweils eine videografierte Erklärungsvariante (einfach/schwierig; randomisierte Zuweisung) wurden von N = 102 Schüler:innen der achten und neunten Jahrgangsstufe zweier Gymnasien betrachtet. Nach dem Anschauen des Videos wurde die Motivation erhoben (2 Items, a = .62). Das Verständnis des Inhalts der Erklärung wurde durch einen Test überprüft (16 Items, max. 24 Punkte, a = .76). Um zu prüfen, ob die sprachliche Gestaltung Effekte auf das Verständnis der Schüler:innen hat und inwieweit die Motivation diesen Zusammenhang mediiert, wurde eine Mediationsanalyse berechnet. Die sprachliche Gestaltung diente als unabhängige Variable, die Leistung im Verständnistest als abhängige Variable und die Motivation als Mediator. Ausgewählte Ergebnisse und Diskussion Bezogen auf die erste Forschungsfrage zeigte sich, dass die einfache sprachliche Gestaltung zu signifikant höheren Ergebnissen im Verständnistest führte, β = -0.47, t (99) = -2.39, p = .019. Schüler:innen mit der einfachen Erklärungsvariante erzielten im Verständnistest durchschnittlich 2.3 Punkte mehr (n = 51, M = 15.18, SD = 3.77) als Schüler:innen mit der schwierigen Erklärungsvariante (n = 51, M = 12.88, SD = 5.58). Bei zusätzlicher Aufnahme des Mediators Motivation in das Modell zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage wurde der Mediator von der sprachlichen Gestaltung signifikant negativ vorhergesagt, β = -0.57, t (99) = -2.95, p = .004. Dagegen wurde die Leistung der Schüler:innen im Verständnistest durch die Motivation nicht signifikant vorhergesagt, β = 0.13, t (99) = 1.09, p = .277. Die Wirkung der sprachlichen Gestaltung auf die Leistung wird folglich nicht durch die Motivation mediiert. Insgesamt zeigt sich, dass die sprachliche Gestaltung das Verständnis und die Motivation der Schüler:innen beeinflusst. Die Befunde legen nahe, dass Lehrkräfte die sprachliche Komplexität von mündlichen Erklärungen stärker berücksichtigen sollten. Für die Entwicklung von mündlichen Erklärungen bedeutet das, schwierigkeitsgenerierende sprachliche Mittel zu beachten. Dadurch können Lernende beim Verständnis mündlicher Erklärungen und der Bildung eines kohärenten Situationsmodells (Kintsch, 1988) unterstützt werden. Paper Session
What you see is what you get? Wie Aufmerksamkeit den Einfluss von Texteigenschaften auf die Textbeurteilung beeinflusst 1Pädagogische Hochschule Zürich; 2Hochschule der Medien Stuttgart; 3Leibniz-Institut für Wissensmedien Tübingen; 4Universität Zürich Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Schreiben stellt eine komplexe Fähigkeit dar, wobei wichtige Teilkomponenten im Laufe der Primarschule erworben werden (Hayes, 2012). Während am Schulbeginn hierarchieniedrige Komponenten wie Handschrift und Rechtschreibung im Fokus stehen (Kim & Park, 2019), wird die Bedeutung von hierarchiehöheren Komponenten wie Kohärenzbildung und Adressatenorientierung erst nach einigen Jahren grösser (Limpo, Alves & Fidalgo, 2014). Idealerweise unterstützen Lehrer:innen diesen Prozess. Um jedoch gezielt Unterstützungsmassnahmen auswählen zu können, müssen Lehrer:innen in der Lage sein, hierarchiehöhere und -niedrige Fähigkeiten ihrer Schüler:innen akkurat zu erfassen. Verschiedene Ergebnisse (Graham, Harris & Hebert, 2011; Jansen, Vögelin, Machts, Keller & Möller, 2021) deuten allerdings darauf hin, dass hierarchieniedrige Fähigkeiten wie Rechtschreibung die Beurteilung von hierarchiehohen wie Kohärenz beeinflussen. Bislang fehlen jedoch Erklärungsansätze, wieso diese Verzerrungen auftreten. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass Lehrer:innen bei der Verarbeitung von diagnostischen Informationen aus Texten einfach verfügbare und weniger komplexe hierarchieniedrige cues gegenüber hierarchiehohen bevorzugen, indem sie ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken (Tversky & Kahneman, 1974). Orthographiefehler erfordern weniger Aufmerksamkeit beim Beurteilen, weil sie sich auf der Textoberfläche (Coltheart, Rastle, Perry, Langdon & Ziegler, 2001) wahrnehmen lassen. Hingegen erfordern hierarchiehöhere cues für beispielsweise Kohärenz den Aufbau eines vertiefteren Textverständnisses. Inwiefern diese Annahmen zutreffen, wurde bislang empirisch noch nicht untersucht. Die vorliegende Studie untersucht deshalb, ob:
Methode Um diese Fragestellungen zu beantworten, wurden Lehramtstudierenden (N = 58) jeweils acht verschiedene Schülertexte zur Beurteilung vorgelegt. Sie wurden gebeten jene Stellen im Text zu markieren, welche die Schüler:innen nochmals überarbeiten sollten. Dabei sollten die Lehramtstudierenden besonders auf Kohärenz und Wortschatz (hierarchiehoch) und die Rechtschreibung (hierarchieniedrig) achten. Im Anschluss an das Markieren gaben sie ein Urteil zum Text in Form einer Ziffernote (AV 1) ab. Während dem Beurteilen wurde mittels Eyetracking erfasst, wie lange sie cues für hierarchiehohe und niedrige Fähigkeiten (AV 2) fixierten. Basierend auf Beach und McConnel (2019) wurde davon ausgegangen, dass die Fixationsdauern sich als Aufmerksamkeit für bestimmte cues interpretieren lassen. Die ursprünglich authentischen Schülertexte wurden an sechs bzw. acht Stellen gezielt im Hinblick auf hierarchiehohe und niedrige cues (UV) manipuliert, um vier verschiedene Experimentalbedingungen zu erzeugen. Daraus resultiert ein 2x2 Within-Design, in dem cues entweder positiv oder negativ ausgeprägt waren. Hierarchieniedrige cues beinhalteten entweder einen deutlichen Rechtschreibfehler oder waren korrekt geschrieben. Hierarchiehohe cues wurden in Bezug auf Kohärenz und Wortschatz manipuliert. Beispielsweise erlaubte ein Pronomen entweder eine anaphorische Referenz oder erzeugte ein Kohärenzbruch. Beim Wortschatz unterstützte ein Wort entweder die Funktion des Textes oder es war eher unpassend und allgemein. Ergebnisse und Diskussion Varianzanalysen mit Messwiederholung zeigten einen Haupteffekt der Ausprägung der hierarchniedrigen cues (Orthographiefehler) auf die Beurteilung (F(1, 57) = 21.57, p < .001, ηp2 = .275). Jedoch hatte die Ausprägung der hierarchiehohen cues keinen Einfluss auf die Beurteilung der Texte. Für die Aufmerksamkeit zeigen sich ähnliche Ergebnisse. Nur die negativen hierarchieniedrigen Merkmale wurden signifikant länger betrachtet als die anderen cues (F(1,57) = 52.978, p > .001, ηp2 = .482). Die Ergebnisse bestätigen den Einfluss von salienten Textmerkmalen wie Orthographiefehler auf die Beurteilung von Texten (Graham et al., 2011). Zusätzlich konnte zeigt werden, dass bei diesen hierarchieniedrigen cue Beurteilung und Aufmerksamkeit zusammenhängen. Jedoch wurden hierarchiehöhere cues wohl von den Lehramtsstudierenden gar nicht als solche erkannt. Gleichzeitig stellen sich methodische Fragen. Stärker redigierte Schülertexte würden eine strengere Kontrolle der Stimuli erlauben und damit vielleicht klarere Resultate hervorbringen. Allerdings erhöht sich dadurch die Gefahr Artefakte zu produzieren, da sich die ökologische Validität reduziert (Wineburg, Breakstone, McGrew, Smith & Ortega, 2022). Paper Session
It’s not just Text: The Combination of Typographic Design and a Narrative Frame are Essential to Improve Learning from Text 1University of Zurich, Zurich, Switzerland; 2University of Freiburg, Germany; 3Bauhaus-University Weimar, Germany; 4University of the Arts Bremen, Germany Theoretical background. Despite advancements in digitalization, schools often depend on written texts for learning. Particularly with complex content, the texts can be lengthy, prolonging the time students require to comprehend those texts. Maintaining attention during these extended periods is a significant challenge for learners (Inzlicht & Schmeichel, 2012). Consequently, teachers might wonder how to aid their students in this difficult endeavour. One promising approach seems to lie in increasing the situational interest that learners experience during the learning (Renninger & Hidi, 2022). Indeed, enhanced situational interest has been linked to sustained learning gains (Wong & Adesope, 2021). Following that argumentation, teachers face the challenge of elevating situational interest when using written texts. Research in emotional design identifies two key components that might help with this endeavour: the material must be visually appealing to trigger situational interest and must convey the value of the content to maintain situational interest (Endres et al., 2020). The visual attractiveness of texts is largely determined by their typographical characteristics (Spiekermann, 2022). Therefore, a text designed with engaging typography should trigger students' situational interest for the material. To maintain situational interest, narratives including a social agent have been demonstrated to convey value and support sustained learning (Schneider et al., 2023). Research question. The present study aimed to merge insights from typographical design and emotional design research. We expect text design and content frame to interact in their influence on learning over time. The combination of typographical design and narrative frame should lead to the best learning outcome, especially in sustained learning. Further, we expect that typographical design triggers situational interest and that a narrative frame maintains that interest, resulting in higher sustained learning (moderated-mediation analysis). Methods. We implemented a 2x2x2 experimental design: text design (neutral vs. typographic, between-subjects), content frame (expository vs. narrative, between-subjects), and learning phase (initial vs. sustained, within-subjects). Data from 132 students (54% female, Mage=16.04 years) were analyzed. Neutral texts employed 12-points Time New Roman with 1-point spacing, while typographic text utilized a distinct layout using the Garamont font family. Expository frame presented examples neutrally, whereas narrative frame linked examples to a social agent. All four texts had comparable length and readability (Flesch: 50,52,50,52). Students were randomly assigned to read one of four texts (30 minutes). Post-reading, participants were assessed for triggered (α=.725) and maintained situational interest (α=.839), and responded to retention and comprehension questions on initial and sustained learning phase separately (for all subscales McDonald´s ω ≥.50). 25% of data was coded by a second rater revealing good interrater reliability (ICCs >.90). Results. The mixed ANOVA showed an interaction between text design and content frame, F(2,127)=3.71, p=.027, ƞp2=.05. The combination of typographical design and narrative frame produced the highest learning outcomes for both retention and comprehension. The learning phase did not impact this interaction, F(2,127)=2.00, p=.438. Mediation analyses did not support the moderated-mediation analysis of typographical design increasing triggered situational interest, indirect effect =0.16, CI95 [-0.27, 0.67]. However, the combined condition of typographical design and narrative frame elevated triggered situational interest, which in turn increased maintained situational interest and finally benefited sustained comprehension and retention in a sequential mediation analysis, indirect effect =1.69, CI95 [.23, 3.54]. Discussion. This study demonstrated the positive impact of merging typographical design and narrative frame during learning from text. Both elements were essential to trigger and maintain situational interest. Contrary to our expectations, the benefit was not limited to sustained learning but extended to initial learning as well. The findings underscore the significance of typographically well-designed learning materials. Educators should prioritize professional materials and incorporate narratives to facilitate learning. |
Datum: Dienstag, 19.03.2024 | |
10:30 - 12:10 | 4-17: Unterrichtsqualität Ort: S16 |
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Paper Session
Kognitive Aktivierung im Englischunterricht der Primarstufe: Zusammenhänge mit Schüler:innenleistungen und Dimensionen der Unterrichtsqualität 1Universität Duisburg-Essen, Deutschland; 2Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Deutschland; 3Universität Rostock Theoretischer Hintergrund. Interdisziplinäre Vorhaben zur fachspezifischen Konkretisierung von Unterrichtsqualitätsdimensionen (Praetorius et al., 2020) verdeutlichen, kognitive Aktivierung gelte weiterhin als „theoretisch unterspezifizierte Dimension“ (Praetorius & Gräsel, 2021, S. 177). Obwohl die Faktorenstruktur der drei Basisdimensionen von Unterrichtsqualität mehrfach empirisch bestätigt wurde, ist die Befundlage zur prädiktiven Validität kognitiver Aktivierung hinsichtlich der Schulleistung im (Englisch-)Unterricht inkonsistent (Praetorius et al., 2018; Wilden & Porsch, 2019). Ergebnisse der DESI-Studie (Klieme, 2006) deuten darauf hin, dass der Englischunterricht mit dem Lernziel funktional-kommunikativer Kompetenz eine fachspezifische Konkretisierung kognitiver Aktivierung erfordert. Für das Fach Englisch liegen im Vergleich zu den MINT-Fächern lediglich vereinzelt konzeptionelle Überlegungen und empirische Befunde zu kognitiver Aktivierung vor (Wilden, 2021). Zudem dominieren qualitative Zugänge die Unterrichtsforschung innerhalb der Fremdsprachendidaktik in Deutschland (z. B. Limberg & Jäkel, 2016) und es mangelt an validen Forschungsinstrumenten zur Untersuchung von Unterrichtsqualität im Fremdsprachenunterricht. Ziele der Studie und Fragestellungen. Im Vortrag werden Ergebnisse einer quantitativen Studie mit Schüler:innen der Jahrgangsstufe 4 (n = 510) präsentiert. Ziel der Studie ist die empirische Prüfung einer neu entwickelten Skala zur Erfassung kognitiver Aktivierung im Englischunterricht in Bezug auf die Faktorenstruktur sowie die Konstruktvalidität. Im Rahmen der Itemkonstruktion wurde ein systematisches Review von Forschungsarbeiten zu kognitiver Aktivierung im Englischunterricht (Guttke, 2023) durchgeführt, mit Hilfe dessen sich vier fachspezifische Teildimensionen kognitiver Aktivierung theoretisch formulieren lassen: Qualität und Salienz des verbalen Inputs (INPUT), Maßnahmen zur Unterstützung zielsprachlicher Informationsverarbeitung (PROCESS), Gelegenheiten zur Produktion zielsprachlichen verbalen Outputs (OUTPUT), Fehlerkorrektur (CORR). Bislang wurde in Arbeiten anderer Fächer (z. B. für den Mathematikunterricht: Lipowsky et al., 2009) von der Eindimensionalität des Konstrukts ausgegangen. Exploratorische Strukturgleichungsmodelle, sog. ESEM-Modelle, die für die Auswertung der Daten herangezogen werden, berücksichtigen Kreuzladungen über Faktoren hinweg und bieten somit die Möglichkeit, die theoretisch angenommene Struktur beizubehalten. Vor diesem Hintergrund sollen folgende Fragestellungen beantwortet werden:
Methode und Instrumente. Zur Beantwortung von Fragestellung 1 wurden in Anlehnung an Alamer (2022) vier verschiedene Strukturgleichungsmodelle (SEM) in Mplus 8.8 berechnet: Konfirmatorische Faktorenanalyse (CFA), Bi-Faktor-CFA, Exploratives Strukturgleichungsmodell (ESEM) und Bi-Faktor-ESEM. Die statistisch und theoretisch am besten passende Faktorenlösung wurde genutzt, um mit Hilfe von latenten SEM Fragestellung 2 und 3 zu beantworten. Zur Testung der Leseverstehenskompetenz im Fach Englisch wurde ein bereits vorhandener Test mit geschlossenen und offenen Aufgabenformaten von Wilden und Porsch (2019) eingesetzt. Der neu entwickelte Schüler:innenfragebogen zur Erfassung kognitiver Aktivierung umfasst 38 Items mit einem fünfstufigen Antwortformat (Stimme nicht zu – stimme eher nicht zu – teils/teils – stimme eher zu – stimme voll zu), die sich auf vier Subskalen aufteilen. Die beiden Unterrichtsqualitätsdimensionen Klassenführung und Konstruktive Unterstützung wurden mit einer an den Englischunterricht angepassten Version der Items von Fauth et al. (2014) erfasst. Ergebnisse. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Bi-Faktor-ESEM-Modell mit dem Generalfaktor Kognitive Aktivierung und dessen vier Subdimensionen (INPUT, PROCESS, OUTPUT und KORR) die am besten passende Faktorenlösung darstellt. Die Fragestellungen 2 und 3 werden derzeit bearbeitet, sodass deren Ergebnisse zum Zeitpunkt der Tagung zur Präsentation und Diskussion zur Verfügung stehen. Paper Session
Fachfremder Englischunterricht – Geht die fehlende Fachqualifizierung mit geringerer kognitiver Aktivierung und geringeren Schülerleistungen einher? Johannes Kepler Universität Linz, Österreich Forschungsziel Der fachdidaktischen Ausbildung von pädagogischen Professionellen wird für die Gestaltung von Unterricht und die Lernentwicklung von Schüler*innen eine hohe Bedeutung zugesprochen. Die vorliegende Studie untersucht anhand einer Vollerhebung im Sekundarstufenbereich in Österreich direkte und indirekte Zusammenhänge zwischen der Fachqualifizierung von Lehrkräften einerseits und der kognitiven Aktivierung sowie der Schülerleistungen im Fach Englisch andererseits. Theoretischer Rahmen Professionelle Kompetenzen von Lehrkräften, insbesondere das fachdidaktische Wissen, stellen theoretisch vermutete (Neuweg, 2014; Shulman, 1986; Terhart, 2011) und empirisch belegte Einflussgrößen des pädagogischen Handelns dar (Baumert et al., 2010; Cauet et al.; Förtsch et al., 2016; Hill et al., 2008; Keller et al., 2017; Lenske et al., 2016; Lohse-Bossenz et al., 2015). In die Forschungstradition zum Lehrerprofessionswissen lässt sich die Forschung zum fachfremden Unterricht (FU, z.B. Porsch, 2016) einordnen. Im Zuge des aktuell wieder grassierenden Fachkräftemangel in den deutschsprachigen Ländern wird fachfremder Unterricht (wieder) verstärkt als bildungspolitische Reaktion zur Kompensation des Mangels an fachlich ausgebildeten Lehrkräften eingesetzt (Huber et al., 2023; Lehmann-Wermser & Weishaupt, 2020). Studien legen hinsichtlich der Unterrichtsqualität nahe, dass FU-Lehrkräfte weniger selbstsicher in ihren Anweisungen sind (Napier et al., 2020) und Schüler*innen im Lernen weniger gut unterstützen bzw. komplexe Themen weniger gut erläutern können, da ihnen oft das Wissen über typischen Lernschwierigkeiten fehlt (Singh et al., 2021). Zudem sind FU-Lehrkräfte häufiger damit beschäftigt, die fachlichen Inhalte richtig wiederzugeben, sodass sie die Interaktion mit den Schüler*innen vernachlässigen (Du Plessis, 2017a, 2017b). Dies mündet in repetitiven, langweiligen Unterricht, was der kognitiven Aktivierung abträglich ist. In Bezug auf Schülerleistungen zeigen einige Studien (Sheppard et al., 2020; Taylor et al., 2020), dass Schüler*innen, die von FU-Lehrkräften unterrichtet werden, schlechtere Ergebnisse erzielen. Allerdings zeigen andere Studien (Schlendorf et al., 2023; Ziegler & Richter, 2017), dass die schlechteren Schülerleistungen meist auf die niedrigere Leistungsfähigkeit, den niedrigeren sozioökonomischen Status oder die ethnische Herkunft der fachfremd unterrichteten Schüler*innen zurückzuführen sind. Design der Studie Die Studie basiert auf einer Vollerhebung (Bildungsstandardüberprüfung 2019, www.iqs.gv.at) in der Sekundarstufe im Unterrichtsfach Englisch in Österreich. Daten von 78.672 Schüler*innen und 4.138 Lehrpersonen aus 1.388 Schulen wurden analysiert. FU wurde über die Lehrerangabe zur Fachqualifizierung in Englisch operationalisiert. Zur Erfassung der kognitiven Aktivierung im Unterricht wurden die Schüler*innen gebeten, 8 Items zu raten. Die Schülerleistungen wurden mittels standardisierte Leistungstests zum Lese- und Hörverständnis in Englisch erfasst (BIFIE, 2020). Zur Prüfung der Hypothesen wurde ein latentes Mehrebenen-Mediationsmodell analysiert, wobei die kognitive Aktivierung als Mediator in Form Doubly Latent Variable (Lüdtke et al., 2011) spezifiziert wurde. Die Schülerleistungen gingen als 10 Plausible Values über die Rubin-Formel ein. Als Kontrollvariable wurde der Schultyp berücksichtigt. Befunde Das geschätzte Mehrbenen-Mediationsmodell weist keine signifikanten Effekte aus. Nach Kontrolle des Schultyps sind weder die fehlende Fachqualifizierung der Lehrkraft noch die von den Schüler*innen eingeschätzte kognitive Aktivierung statistisch signifikant oder effekt-bedeutsam mit den beiden Schülerleistungsdimensionen assoziiert. Auch kann kein statistisch signifikanter oder effekt-bedeutsamer Zusammenhang zwischen der Fachqualifizierung und der kognitiven Aktivierung beobachtet werden. Diskussion Die Ergebnisse zeigen, dass sich FU offenbar nicht wie vermutet negativ auf die Unterrichtsqualität und die Schülerleistungen im Fach Englisch am Ende der 8. Schulstufe in Österreich niederschlägt; dies deckt sich mit bisherigen Studien (Ziegler & Richter, 2017; Schlendorf et al., 2022). Mögliche Erklärungen können in moderierenden und kompensierenden Effekten liegen. Die Literatur legt nahe, dass FU (und damit auch seine negativen Wirkungen) insbesondere (a) in sozioökonomisch benachteiligten Schultypen, Schulen und Klassen mit sozial benachteiligter Schülerkomposition stattfindet, (b) von Lehrkräften mit geringerer Unterrichtserfahrung und (c) geringerer Fortbildung umgesetzt wird. Auch könnte (d) das fehlende fachdidaktische Wissen womöglich durch andere Kompetenzbereiche (z.B. Umgang mit Heterogenität) kompensiert werden. Folgestudien sollten daher entsprechende Moderationsanalysen anstreben und der Frage nachgehen, ob FU-Lehrkräfte über bestimmte Kompensationsstrategien verfügen, die eine fehlende Fachqualifizierung wettmachen. |
13:10 - 14:50 | 5-17: Soziale Ungleichheiten in der beruflichen Bildung Ort: S16 |
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Paper Session
Regionalspezifische Digitalisierung oder Konkurrenz? Verdrängungsmechanismen geringqualifizierter Jugendlicher beim Übergang in die Berufsausbildung 1Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), Deutschland; 2Universität Siegen Theoretischer Hintergrund Die Bildungsexpansion hat zur relativen Abnahme von Schulabgänger:innen mit maximal Hauptschulabschluss geführt (Holtmann, Menze & Solga, 2017), während die Digitalisierung und neue Technologien die Automatisierung von Arbeitsprozessen vorangetrieben und die Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitskräften erhöht haben (Skill-Biased Technological Change, Acemoglu, 1998; Acemoglu & Autor, 2011). Zahlreiche Kohortenstudien haben gezeigt, dass geringqualifizierte Jugendliche in der heutigen Wissensgesellschaft zunehmend vom Ausbildungsmarkt verdrängt werden (Kleinert & Jacob, 2013), was negative Auswirkungen auf ihre Bildungs- und Erwerbskarrieren mit sich bringt (Solga, 2005). Nach der Job Competition Theorie (Thurow, 1979) bedeutet die steigende Konkurrenz durch Höherqualifizierte für Jugendliche mit keinen oder niedrigen Bildungsabschlüssen, dass sie in der Ausbildungswarteschlange weiter zurückfallen oder ganz von ihr ausgeschlossen werden (Solga & Kohlrausch, 2013). Neben einer top-down Verdrängung hat sich durch die Abwanderung der Leistungsträger unter den Geringqualifizierten auch die Außenwahrnehmung der Gruppe zu ihrem Nachteil verändert, obwohl sie besser ausgebildet sind als vergleichbare frühere Generationen (Solga, 2005). Offen ist jedoch bislang die Frage, welche Rolle regionale Gelegenheitsstrukturen (Hillmert, Hartung & Weßling, 2017) bei der Verdrängung geringqualifizierter Jugendlicher spielen und welche Mechanismen auf dem Ausbildungsstellenmarkt der Verdrängung zugrunde liegen. Ist es nur der Wettbewerb zwischen Schulabgängern auf dem Ausbildungsmarkt, eine sich verändernde Berufsstruktur aufgrund der Digitalisierung, oder beides? Vor dem Hintergrund kumulierter negativer Signalwirkungen (Thurow, 1977) stellt sich zudem die Frage, ob Jugendliche mit Migrationshintergrund (Diehl, Friedrich & Hall, 2009; Söhn, 2020) und solche, die bereits länger vergeblich eine Ausbildungsstelle suchen (Spence, 1974), in besonderem Maße von regional ungünstigen Gelegenheitsstrukturen betroffen sind? Fragestellung Wir untersuchen, ob (1) der regionale Wettbewerb durch höher qualifizierte Schulabgänger:innen in der Ausbildung und (2) verschiedene Dimensionen des sich regional heterogen vollziehenden technologischen Wandels (Automatisierung und gestiegene Nachfrage nach Höherqualifizierten) negative Auswirkungen auf die Übergangswahrscheinlichkeit Geringqualifizierter haben. Zudem betrachten wir, ob kumulierte Benachteiligungen geringqualifizierter Jugendlicher mit Migrationshintergrund oder längeren Suchdauern bestehen. Methode Wir verwenden Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS, Startkohorte 4) zum Übergang in die Berufsausbildung von Schulabgänger:innen mit maximal Hauptschulabschluss (Blossfeld & Roßbach, 2019), die wir mit Regionaldaten auf der Ebene von Kreisen und kreisfreien Städten (NUTS-3) verknüpfen. Darunter Regionaldaten zu neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen von Personen mit Hochschulzugangsberechtigung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB, 2023), einem selbst entwickelten Index zur Messung von Digitalisierung im Sinne der Nachfrage nach Höherqualifizierten, und das Automatisierungspotenzial (Dengler & Matthes, 2018). Wir verwenden Modelle der zeitdiskreten Mehrebenen-Ereignisdatenanalyse, um die Übergangswahrscheinlichkeit in eine Berufsausbildung vor dem Hintergrund regional heterogener Gelegenheitsstrukturen zu schätzen. Wir führen Subgruppenanalysen nach Suchdauer und Migrationshintergrund durch. Ergebnisse Unsere Ergebnisse zeigen, dass vor allem die regionale Konkurrenzsituation die Übergangswahrscheinlichkeit geringqualifizierter Jugendlichen in die Ausbildung beeinflusst, was auf eine Verdrängungsdynamik hindeutet. Digitalisierung und Automatisierung haben nur einen geringen, aber positiven Einfluss. Dies könnte durch die wachsende lokale Wirtschaft und eine insgesamt steigende Nachfrage nach Arbeitskräften erklärt werden, die teilweise auch geringqualifizierte Arbeitskräfte absorbiert. Darüber hinaus ist die Suchdauer von großer Bedeutung für den Übergang in die Berufsausbildung, da sich die Auswirkungen regionaler Gelegenheitsstrukturen nur für kürzere Suchdauern zeigen. Die Ergebnisse zu Gruppenunterschieden nach Migrationshintergrund zeigen, dass Migrant:innen generell geringere Chancen haben, in eine Ausbildung einzumünden und zwar unabhängig von regionalen Gelegenheitsstrukturen. Der negative Zusammenhang zwischen der regionalen Konkurrenzsituation und der Übergangswahrscheinlichkeit trifft lediglich auf Jugendliche ohne Migrationshintergrund zu, was impliziert, dass mit zunehmendem Wettbewerb der Vorteil von Jugendlichen ohne gegenüber solchen mit Migrationshintergrund hinsichtlich ihrer Chancen auf einen Ausbildungsplatz schwindet. Während sich keine Unterschiede nach Migrationshintergrund für den Zusammenhang von Digitalisierung als Maß für die Nachfrage nach Höherqualifizierten und der Übergangswahrscheinlichkeit zeigen, nehmen alleinig die Übergangschancen in die Berufsausbildung für Jugendliche ohne Migrationshintergrund mit zunehmendem Automatisierungspotenzial zu. Paper Session
Geringe Lesekompetenzen und der Übergang in die Erwerbstätigkeit. Ressourcen für einen berufsbildenden Sekundarschulabschluss und den Übergang in die qualifizierte Erwerbstätigkeit 1DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland; 2Universität Bern, Schweiz Der Übergang von der Schule in den Beruf stellt nicht nur eine zentrale Entwicklungsaufgabe in der Adoleszenz dar, die aktiv bewältigt werden muss (Neuenschwander et al., 2012), sondern hat auch langfristigen Einfluss auf die berufliche Erwerbsbiografie (Bertschy et al., 2009). Der etappenweise Übergang in die berufliche Ausbildung, der Ausbildungsabschluss, Entscheidungen für Anschlussoptionen und der Eintritt in die Erwerbstätigkeit erfordern zur Bewältigung personelle und soziale Ressourcen (Häfeli & Schellenberg, 2009; Neuenschwander et al., 2012; Vermeire et al., 2022). Dies gilt insbesondere für Schüler*innen, die durch personen- und/oder umweltbezogene Benachteiligungen erschwerte Bedingungen haben. Für sie kann der Übergang von der Schule in den Beruf eine besondere Herausforderung darstellen (im Überblick Häfeli & Schellenberg, 2009). Darunter zählen auch Schüler*innen mit geringen Lesekompetenzen, die erschwerte Voraussetzungen für gesellschaftliche und berufliche Teilhabe haben (Bertschy et al., 2009; Glauser, 2012; Holtsch & Lehmann, 2010). Schüler*innen mit geringen Lesekompetenzen befinden sich in einer (potenziellen) Risikolage hinsichtlich beruflicher (Aus-)Bildungschancen (Baumert et al., 2017; OECD/PISA, 2001; Stalder et al., 2008) sowie des späteren Berufseinstiegs (Bertschy et al., 2009). Wie internationale Studien zeigen, weisen Schüler*innen mit geringen sprachlichen Entwicklungsständen und niedrigen Leseleitungen im Mittel höhere Risiken auf, ohne berufsbildenden Abschluss zu bleiben (Conti-Ramsden et al., 2018; Glauser, 2010). In der Folge zeigen sich bei diesen Schüler*innen auch niedrigere Wahrscheinlichkeiten, später in einen (höher) qualifizierten Beruf überzugehen (Bertschy et al., 2009; Conti-Ramsden et al., 2018; Glauser, 2012). Geringe Lesekompetenzen sind jedoch nicht deterministisch für den weiteren berufsbildenden Verlauf. Studien im Schweizer Bildungssystem zeigen, dass Jugendliche mit geringen Lesekompetenzen nach dem Ende der obligatorischen Schulzeit zu großen Teilen in eine berufliche Bildung übergehen (Buchholz et al., 2012) und einen beruflichen Abschluss erreichen (Stalder et al., 2008). Für den Übergang in die berufliche Bildung erwiesen sich für diese Schüler*innen sowohl umweltbezogene und individuelle Ressourcen als förderlich (Buchholz et al., 2012). Für das Erreichen des Berufsbildungszertifikats sowie zur Bewältigung des anschließenden Übergangs in die Erwerbstätigkeit wurden bereits allgemein förderliche Ressourcen, wie eigene Fähigkeiten bzw. Interessen und umweltbezogene Ressourcen von Eltern, Schule und den Betrieb untersucht (im Überblick Buchholz et al., 2012; Häfeli & Schellenberg, 2009; Neuenschwander et al., 2012; Schafer & Baeriswyl, 2015). Unklar ist jedoch, ob diese allgemein förderlichen Ressourcen für vulnerable Gruppen stärker wirken und ihnen somit eine kompensatorische Funktion zukommen kann. An dieser Stelle setzt die vorliegende Untersuchung an. Aus einer against the odds-Perspektive wird in dieser Studie danach gefragt, inwiefern personale und umweltbezogene Ressourcen Schüler*innen mit geringen Lesekompetenzen (1) zu einem qualifiziertem Berufsbildungsabschluss und (2) zu einem Übergang in eine qualifizierte Erwerbstätigkeit verhelfen und inwieweit sich kompensatorische Effekte im Sinne stärkerer Wirkungen für Personen mit geringen Lesekompetenzen feststellen lassen. Aus resilienztheoretischer Perspektive (Häfeli & Schellenberg, 2009; Scheithauer & Petermann, 1999) wird davon ausgegangen, dass Ressourcen als Schutzfaktoren, die Wahrscheinlichkeit reduzieren können, aufgrund geringer Leseleistungen keinen qualifizierten Berufsbildungsabschluss zu erreichen bzw. in eine unqualifizierte Erwerbstätigkeit überzugehen. Die Untersuchung erfolgt auf der Datengrundlage der Schweizer Längsschnittstudie Transitionen von der Erstausbildung ins Erwerbsleben (TREE-Studie), Kohorte 1, Erhebungswellen 1 bis 7 (TREE, 2016) anhand von bis zu rund 1300 Personen. Im Fokus stehen Heranwachsende mit geringen Leseleistungen am Ende der obligatorischen Schulzeit. Vorläufige Analysen deuten auf geringere Wahrscheinlichkeiten für diese Schüler*innengruppe hin, einen qualifizierten Berufsbildungsabschluss zu erreichen und in eine qualifizierte Erwerbstätigkeit überzugehen. Gleichwohl fanden sich erfolgreiche Verläufe trotz niedriger Lesekompetenzen, was die Relevanz der Untersuchung möglicher Schutzfaktoren unterstreicht. Als potentielle Schutzfaktoren werden unter anderem eigene Fähigkeitswahrnehmung und wahrgenommene Unterstützung durch Familie, Schule und den Betrieb einbezogen. Die Überprüfung der Schutzwirkung erfolgt regressionsanalytisch über die Modellierung von Interaktionseffekten zwischen Lesekompetenz und dem jeweiligen Schutzfaktor. Abhängige Variablen sind der Ausbildungsabschluss und der Übergang in eine qualifizierte Berufstätigkeit. Weitere Ergebnisse und Implikationen werden diskutiert. Paper Session
Ohne Berufsbildungsabschluss: Risikofaktoren in der Sekundarstufe I Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz, Schweiz Die Erhöhung der Sekundarstufe-II-Abschlussquote ist eine bildungspolitische Absicht der Schweiz, die in vielen weiteren Ländern ebenfalls angestrebt wird (EDK, 2006). Auch Jugendliche verfolgen meist das Ziel, mindestens einen Sekundarstufe-II-Abschluss zu erreichen (Ackermann & Benz, 2023). Trotzdem weisen einige Jugendliche auch Jahre nach Abschluss der obligatorischen Schule keinen solchen Abschluss auf: Gemäss Meyer (2018) verfügen in der Schweiz rund 10% einer Kohorte auch mit 30 Jahren über keinen qualifizierenden Sekundarstufe-II-Abschluss. Dass jemand dauerhaft ohne Sekundarstufe-II-Diplom bleibt, zeichnet sich dabei bereits früher ab: Wer nur schon fünf Jahre nach Sekundarstufe-I-Abschluss ohne Sekundarstufe-II-Diplom ist, hat ein überhöhtes Risiko, gar nie einen qualifizierenden Sekundarstufe-II-Abschluss zu erreichen (Meyer, 2018). Es ist zwar bekannt, dass das Fehlen eines Sekundarstufe-II-Abschluss auf Lehrvertragsauflösungen (LVA), Fehlversuche im Qualifikationsverfahren (QV-Fehlversuche) und Verzögerungen im Übertritt von der obligatorischen Schule in die Sekundarstufe II zurückzuführen ist (Meyer, 2018). Studien zu den Faktoren, die bereits vor Eintritt in die Sekundarstufe II die LVA, QV-Fehlversuche und Übertrittsverzögerungen vorhersagen und dadurch Aufschluss über das Fehlen eines berufsbildenden Sekundarstufe-II-Abschlusses geben, fehlen jedoch. Gemäss der sozial-kognitiven Laufbahntheorie (Lent & Brown, 2008) hängt der fehlende Fortschritt bei der Zielerreichung (Nicht-Erreichen eines Sekundarstufe-II-Abschlusses) von der Anstrengungsbereitschaft und von Umweltfaktoren (Erziehungsstil der Eltern, Schulniveau) ab. Auf Basis der Theorie wurde folgende Forschungsfrage untersucht: In welchem Ausmass sagen die ausbildungsbezogene Anstrengungsbereitschaft der Jugendlichen, ein zuwendungsorientierter Erziehungsstil der Eltern und der Besuch des anforderungstiefsten Sekundarstufe-I-Schulniveaus (jeweils gemessen in der Sekundarstufe I) das Fehlen eines (berufsbildenden) Sekundarstufe-II-Abschlusses fünf Jahre nach Abschluss der obligatorischen Schule über LVA, QV-Fehlversuche und Jahre der Übertrittsverzögerung vorher? Die Forschungsfrage wurde mit einem Sample aus 1779 Berufslernenden überprüft, die sich in ihrer ersten Sekundarstufe-II-Ausbildung befanden. Die Berufslernenden hatten im neunten Schuljahr einen Fragebogen ausgefüllt, wobei ein Teil bereits im siebten Schuljahr an der Studie teilnahm (T1: 7. Schuljahr, T2: 9. Schuljahr). Ausserdem wurden amtliche Angaben zur Ausbildungssituation in der beruflichen Grundbildung verwendet. Diese Angaben wurden im 1-Jahres-Rhythmus erhoben und deckten die ersten fünf Jahre nach Abschluss der obligatorischen Schule ab (T3). Angaben zur ausbildungsbezogenen Anstrengungsbereitschaft (T1: 1 Item [aus Lehrpersonen-Sicht]; T2: 4 Items [aus Sicht der Jugendlichen], Cronbachs Alpha = .89), zum zuwendungsorientierten Erziehungsstil (T1: 6 Items, Cronbachs Alpha = .84; T2: 9 Items, Cronbachs Alpha = .88) und zum Schulniveau (0: mittleres/hohes Schulniveau, 1: tiefes Schulniveau [Hauptschule]) wurden zu T1 und T2 erhoben und jeweils zu beiden Messzeitpunkten ins Analysemodell einbezogen (kombinierte Variable bei Schulniveau). Zu T3 lagen Anzahl LVA (1 Item), QV-Fehlversuche (1 Item), Jahre der Übertrittsverzögerung (1 Item) sowie Fehlen eines berufsbildenden Sekundarstufe-II-Abschlusses (0: vorhanden, 1: fehlend) vor. In einem Strukturgleichungsmodell wurde das Fehlen eines Sekundarstufe-II-Abschlusses als endogene Variable spezifiziert; Anzahl LVA, QV-Fehlversuche und Jahre der Übertrittsverzögerung wurden als Mediatoren der Einflüsse von Anstrengungsbereitschaft, Erziehungsstil und Schulniveau definiert. Das Strukturgleichungsmodell wies einen guten Fit zu den Daten auf, χ2(256, N = 1779) = 563.92, p < .001, CFI = .96, RMSEA = .03, SRMR = .04. Im Hinblick auf die Forschungsfrage zeigten sich signifikante totale indirekte Effekte von Anstrengungsbereitschaft T1 (βind = −.02, p = .011), Erziehungsstil T1 (βind = −.04, p < .001), Schulniveau (βind = .17, p < .001), Anstrengungsbereitschaft T2 (βind = −.09, p < .001) und Erziehungsstil T2 (βind = −.06, p = .008) auf das Fehlen eines berufsbildenden Sekundarstufe-II-Abschlusses. Der Besuch des Schulniveaus mit den tiefsten Anforderungen, eine geringe Anstrengungsbereitschaft und ein zuwendungsarmer Erziehungsstil der Eltern im siebten Schuljahr sagen acht Jahre später das Nicht-Erreichen eines Sekundarstufe-II-Abschlusses signifikant vorher. Die Ergebnisse zeigen, wie potenzielle Ausstiege aus dem Berufsbildungssystem frühzeitig vorgebeugt werden können. Eltern können ihr Kind mit einem zuwendungsorientierten Erziehungsstil beim Erwerb eines Sekundarstufe-II-Abschlusses unterstützen und so nicht nur zur Erreichung eines Ziels der Bildungspolitik, sondern auch der Jugendlichen beitragen. |
15:20 - 17:00 | 6-17: Lehren und Lernen in der Hochschule Ort: S16 |
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Paper Session
Prokrastination im Studium: Validierung und Normierung der „Behavioral and Emotional Procrastination Scale“ 1Universität Münster, Deutschland; 2Universität Augsburg, Deutschland Unter Studierenden ist akademische Prokrastination weit verbreitet und zieht diverse negative Konsequenzen wie Leistungseinbußen nach sich (Klingsieck, 2013; Steel, 2007). Prokrastination ist durch drei zentrale Merkmale charakterisiert. Erstens muss der Aufschub von Aufgaben freiwillig sein und darf nicht durch externe Faktoren verursacht werden (Steel, 2007). Zweitens entsteht eine Diskrepanz zwischen geplanter Absicht und tatsächlicher Handlung, ein sogenanntes „Intention-Action-Gap“ (Lay & Schouwenburg, 1993; Steel, 2007). Drittens ist mit Prokrastination die Erwartung negativer Konsequenzen in Form eines subjektiven Unbehagens, beispielsweise durch Schuldgefühle verbunden (Ferrari, 1998; Sirois & Pychyl, 2013). Diese Aspekte unterscheiden Prokrastination von strategischem Aufschieben, das normalerweise nicht von negativen Gefühlen begleitet wird (Chowdhury & Pychyl, 2018; Klingsieck, 2013; Wieland et al., 2018). Bisherige Skalen zur Erfassung von Prokrastination, wie die bekannte Tuckman Procrastination Scale (Tuckman, 1991), konzentrieren sich ausschließlich auf Verhaltensaspekte in Form des Aufschubs. Sie vernachlässigen die emotionale Komponente des subjektiven Unbehagens, die in neueren Veröffentlichungen als entscheidendes Element von Prokrastination betrachtet wird (Klingsieck, 2013; Krause & Freund, 2014; Wieland et al., 2018). Bobe et al. (2022) adressierten diese Lücke bereits durch die Behavioral and Emotional Procrastination Scale (BEPS), die aus zwei Subskalen besteht. In Anlehnung an existierende Messinstrumente erfasst die erste Subskala „Aufschub“ verhaltensbezogene Aspekte der Prokrastination, wie z.B. freiwilliges Aufschieben wichtiger Tätigkeiten. Die Items der zweiten Subskala „Subjektives Unbehagen“ erheben Sorgen, Schuldgefühle sowie negative Stimmung angesichts des Aufschubes. Die BEPS erfasst Prokrastination somit inhaltsvalide und wurde bereits anhand einer nicht-repräsentativen Stichprobe auf faktorielle Validität, Messinvarianz und interne Konsistenz geprüft (Bobe et al., 2022). Die vorliegende Studie überprüft anhand einer repräsentativen Studierendenstichprobe diese Kriterien erneut, ergänzt Nachweise konvergenter und diskriminanter Validität und liefert standardisierte Normwerte. Wir nutzen eine Quotenstichprobe von N = 980 Studierenden, die entsprechend der Verteilung in der Grundgesamtheit (Statistisches Bundesamt, 2021) rekrutiert wurde. Dazu haben wir, basierend auf den Merkmalen Geschlecht, Fachsemester, Studienrichtung und Hochschultyp repräsentative Cluster gebildet und somit die relative Häufigkeit bestimmter Merkmalskombinationen innerhalb der Grundgesamtheit in der Stichprobe abbilden können. Einige Cluster wurden nicht vollständig gefüllt, was in den Analysen durch entsprechende Gewichtungsfaktoren ausgeglichen wurde. Für die faktorielle Validität der Skala lieferten sowohl das von Bobe et al. (2022) vorgeschlagene Modell mit korrelierten latenten Faktoren (c²(8) = 12.38; p =.135; RMSEA = .025; CFI = .999; SRMR = .015) als auch ein alternatives Modell mit zusätzlichem G-Faktor (c²(3) = 4.90; p =.179; RMSEA = .027; CFI = .999; SRMR = .006) gute Fit-Indizes (Hu & Bentler, 1999). Anhand des erstgenannten etablierten Modells, wurde metrische Invarianz zwischen den Geschlechtern (weiblich vs. männlich) bestätigt. Zusätzlich zu den Erkenntnissen von Bobe et al. (2022) wurde metrische Invarianz zwischen den Fachrichtungen (Gesellschaftswissenschaften vs. MINT vs. Sonstige) und skalare Invarianz zwischen den Hochschultypen (Universität vs. Fachhochschule) ermittelt. Bei der Überprüfung konvergenter und diskriminanter Validität korrelierte die Tuckman Procrastination Scale hoch mit der BEPS-Subskala „Aufschub“ (r = .81), während der entsprechende Zusammenhang mit der BEPS-Subskala „Subjektives Unbehagen“ etwas weniger stark ausgeprägt war (r = .29). Beide Subskalen waren zudem leicht positiv mit anderen studienhinderlichen Variablen (z.B. Studienabbruchsintention) bzw. negativ mit studienförderlichen Variablen (z.B. Leistung) korreliert. Die internen Konsistenzen der Subskalen lagen konsistent im sehr guten Bereich (α = .90 bis .92, ω = .89 bis 92; Dunn & Baguley, 2014). Da die gezogene Stichprobe repräsentativ für die Grundgesamtheit ist, eignet sie sich zur Bestimmung von Normwerten. Diese wurden durch eine T-Transformation gewonnen, die aus den Ursprungswerten eine standardisierte Verteilung erzeugt. Dadurch können Einzelwerte der BEPS im Verhältnis zur Grundgesamtheit interpretiert werden. Zusammengefasst sprechen die Ergebnisse für eine hohe Reliabilität und Validität der BEPS, was eine differenzierte Erfassung der Facetten von Prokrastination in weiteren Forschungsvorhaben ermöglicht. Die Normierung der Skala erleichtert zudem die Anwendung in der hochschulpraktischen Diagnostik. Paper Session
Flipped Classroom: Einfluss von Feedback, Sozialform und Kursmodalität auf die Wissensaneignung Universität Passau, Deutschland Der Flipped Classroom ist eine zunehmend in der Hochschullehre eingesetzte Lehrmethode (Bredow et al., 2021). Er dreht die klassische Unterrichtsstruktur um: Studierende eignen sich über bereitgestellte Lernmaterialien eigenständig deklaratives Wissen an, das sie in einer folgenden, synchronen Lernphase gemeinschaftlich ausbauen und anwenden können. Hierdurch soll im Vergleich zu klassischen Lehrformen tieferes Inhaltsverständnis und anwendungsorientiertes Wissen (Sailer & Sailer, 2020) gefördert werden. Zunehmend werden Faktoren untersucht, die potentiell auf das Lernen in Flipped Classrooms einwirken, beispielsweise auf die Mitarbeit von Studierenden (Lai et al., 2021). Etwa können Faktoren wie Feedback (= formative Diagnostik von Leistung; Shute & Rahimi, 2017) sowie Sozialform (= soziale Interaktion zwischen Lernenden, in Flipped Classrooms oft als kooperatives Lernen; Erbil, 2020) tiefere Lernprozesse fördern. Sie könnten bei der Beantwortung der Frage helfen, wie Flipped Classrooms didaktisch gestaltet werden können, um Lernende bestmöglich in ihrer Wissensaneignung zu fördern. Studie 1 fokussierte die Art des Feedbacks und der Sozialform in einem quasiexperimentellen 2x2-Design mit N = 105 studentischen Proband*innen. In einem Online Flipped Classroom wurden diese Variablen über fünf inhaltliche Sitzungen untersucht. Die Art des Feedbacks (knowledge of correct result vs. elaboriert) wurde während eines Quiz zu deklarativem Wissen, die Sozialform (individuelles Lernen vs. kooperatives Lernen) während einer anwendungsorientierten Übung variiert. Wir vermuteten für Studie 1 einen Einfluss der reinen Onlinelehre auf den kooperativen Lernprozess unter Studierenden. In Studie 2 wurde folglich der Fokus auf die Kursmodalität der synchronen Lernphasen gelegt (Präsenz, N = 65 vs. Online, N = 48). Fraglich war, ob diese auch einen Einfluss auf die Wissensaneignung ausüben könnte, indem etwa das psychologische Grundbedürfnis der sozialen Eingebundenheit (Ryan & Deci, 2000) in Präsenzunterrichtseinheiten besser gefördert werden könnte. Damit sollten zusammenfassend die folgenden Forschungsfragen beantwortet werden: FF1.1: Inwieweit beeinflussen die Art des Feedbacks und die Sozialform sowie deren Interaktion die Aneignung von deklarativem und anwendungsorientiertem Wissen? FF1.2: Inwieweit werden die Effekte der Art des Feedbacks sowie der Sozialform auf anwendungsorientiertes Wissen durch deklaratives Wissen mediiert? FF2: Inwieweit zeigen sich Unterschiede zwischen Lernenden in einem Präsenz- bzw. Online-Flipped Classroom in Bezug auf die Aneignung anwendungsorientierten Wissens? Für die Beantwortung von FF1.1 wurde eine Varianzanalyse (ANOVA) vorgenommen, um zu untersuchen, ob es Unterschiede in der Wissensaneignung abhängig von der Art des Feedbacks und der Sozialform gab. Es traten signifikante Unterschiede im Bezug auf die Art des Feedbacks auf. Gruppen mit elaboriertem Feedback zeigten signifikant höhere Werte für die Aneignung deklarativen (η2 = .086, F1,1 = 4.72, p = .0035) sowie anwendungsbezogenen Wissens (η2 = .103, F1,1 = 5.92, p = .0019). Eine Mediationsanalyse ergab für FF1.2 eine partielle Vermittlung des Effekts von Feedback auf anwendungsorientiertes Wissen durch deklaratives Wissen. Der direkte Effekt der Art des Feedbacks auf anwendungsorientiertes Wissen belief sich auf β = .406, CI 95% [0.29; 1.27] und der indirekte auf β = .180, CI 95% [0.02; 0.67]. Es konnten keine signifikanten Unterschiede im Bezug auf die Sozialform ausgemacht werden. In Studie 2 lassen sich auf Grundlage vorläufiger Ergebnisse keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Kursmodalität für den Wissenserwerb feststellen, die über alle inhaltlichen Sitzungen existieren. Beide Gruppen unterschieden sich nicht signifikant im Bezug auf Selbstwirksamkeit, soziale Eingebundenheit, Studierendenbewertungen der Veranstaltung sowie in den Tests zu deklarativem und anwendungsorientiertem Wissen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass beide Studien einen Beitrag zur Evidenzlage von Flipped Classrooms leisten. Vorausgehende Befunde zur Effektivität unmittelbaren, aufgabenbezogenen Feedbacks (Hattie & Timperley, 2007; Krause et al., 2009) wurden für diese Instruktionsform in Studie 1 repliziert. So wird die Rolle der Lehrkraft als unterstützende*r Vermittler*in für den Erwerb und das Anwenden von Wissen bekräftigt. Ferner zeigte Studie 2, dass Flipped Classroom-Arrangemements sich ähnlich effektiv zeigen, unabhängig, ob sie online oder in Präsenz durchgeführt werden. Paper Session
Stereotypenbedrohung, Zugehörigkeitsgefühl und soziale Integration von Studierenden in Computer-Supported Collaborative Learning FernUniversität in Hagen, Deutschland Theoretischer Hintergrund. Online-Studiengänge werden immer populärer und Studierende in Distance Education sind soziodemografisch diverser als an Präsenzuniversitäten. Höhere Flexibilität in Distance Education ermöglicht besonders nicht-traditionellen Studierenden (historisch an Universitäten unterrepräsentierten Gruppen) ein Studium. Studierendendiversität kann aufgrund heterogener Hintergründe und Perspektiven eine Bereicherung in kollaborativen Lernsituationen darstellen (van Knippenberg & Schippers, 2007). Eine geringe Partizipation von Studierenden an der Kollaboration stellt jedoch besonders in Distance Education eine Herausforderung dar. Computer-Supported Collaborative Learning (CSCL) besteht häufig aus asynchroner, Computer-mediierter Kommunikation, beispielsweise beim kollaborativen Schreiben. In diesen Kontexten sind individuierende Informationen über Lerngruppenmitglieder rar und soziodemografische Gruppenzugehörigkeiten salient (z.B. Geschlecht, Ethnizität, Alter; Flanagin et al., 2002; Spears et al., 2002). Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit der Aktivierung von gruppenbezogenen Stereotypen. Nicht-traditionelle Studierendengruppen (z.B. Studierende mit chronische Erkrankung, Behinderung, Migrationshintergrund und nicht-deutscher Muttersprache) sind in Distance Education mit negativen kompetenzbezogenen Stereotypen assoziiert (Bick et al., 2022). Negative Stereotype können die soziale Identität der betroffenen Gruppenmitglieder bedrohen, was ihre Leistung und ihre Motivation soziale Beziehungen zu Peers aufzubauen reduziert (Froehlich, Brokjøb, et al., 2023; Steele & Aronson, 1995). Ein zentraler Mediator hierfür ist ein reduziertes Zugehörigkeitsgefühl zum akademischen Bereich (Walton & Cohen, 2007). Fragestellung. Basierend auf Befunden aus face-to-face Lernkontexten untersuchen wird die Rolle von Stereotypenbedrohung für das Zugehörigkeitsgefühl und die soziale Eingebundenheit von Studierenden in CSCL (kollaboratives Schreiben zur Zusammenfassung eines Fachartikels). Das vorliegende Projekt sollte a) bisherige querschnittliche Befunde aus face-to-face Lernkontexten in Distance Education replizieren, b) die Zusammenhänge in einem längsschnittlichen Design untersuchen und c) zusätzlich zu Selbstberichts-Daten auch digitale Verhaltensdaten als Outcomes betrachten. Die folgenden präregistrierten Hypothesen wurden untersucht: Zunächst wurde deskriptiv das Ausmaß wahrgenommener Stereotypenbedrohung bei verschiedenen Studierendengruppen untersucht (Forschungsfrage 1). Dann sollten querschnittlich ein einfaches Mediationsmodell (Stereotypenbedrohung sagt verringerte soziale Annäherungsmotivation vermittelt durch niedrigeres Zugehörigkeitsgefühl vorher; Hypothese 1) und ein serielles Mediationsmodell (Stereotypenbedrohung sagt verringerte Verhaltensintentionen zu Peer-Kontakt vorher, vermittelt durch niedrigeres Zugehörigkeitsgefühl und niedrigere Annäherungsmotivation; Hypothese 2) auf Basis bisheriger Forschung (Froehlich, Bick, et al., 2023; Froehlich, Brokjøb, et al., 2023) repliziert werden. Zuletzt wurde eine längsschnittliche Mediation angenommen: Stereotypenbedrohung (T1) sagt niedrigere Annäherungsmotivation und niedrigere Eingebundenheit in die virtuelle Lerngruppe (T3) vorher, vermittelt durch ein niedrigeres Zugehörigkeitsgefühl (T2). Methoden. In einer Stichprobe von N = 1210 Erstsemester-Studierenden in Distance Education wurden längsschnittliche Befragungsdaten (3 Messzeitpunkte) und Learning Analytics-Daten verknüpft. Studierende wurden in CSCL-Gruppen von 8 Personen eingeteilt. Nach einem demografischen Fragebogen (T0) folgte eine Kennenlernphase, eine Eingangsbefragung (T1), eine erste Gruppenarbeitsphase, eine Zwischenbefragung (T2), eine zweite Gruppenarbeitsphase und eine Endbefragung (T3). Die CSCL-Aufgabe fand in individuellen Etherpad Lite-Instanzen innerhalb einer gemeinsamen Moodle-Lernumgebung statt. Mittels Learning Analytics wurde aus Moodle-Forumsdaten und Etherpad-Schreibdaten mit sozialer Netzwerkanalyse die Eingebundenheit individueller Studierender in die virtuelle Lerngruppe (Outdegree) berechnet. Ergebnisse. Nicht-traditionelle Studierendengruppen (Studierende mit chronischer Erkrankung, Behinderung und nicht-deutscher Muttersprache) nahmen stärkere Stereotypenbedrohung als traditionelle Studierendengruppen wahr (Forschungsfrage 1). Im Einklang mit Hypothese 1 zeigte ein querschnittliches Pfadmodell die Mediation des Zusammenhangs von Stereotypenbedrohung und sozialer Annäherungsmotivation durch reduziertes Zugehörigkeitsgefühl. Im Einklang mit Hypothese 2 zeigte sich ebenfalls eine querschnittliche serielle Mediation mit Verhaltensintentionen zu Peer-Kontakt als weiterem Outcome. Hypothesen 3 und 4 wurden in längsschnittlichen Analysen (Random-Intercept Cross-Lagged Panel Models) nicht gestützt: Es zeigte sich intraindividuell im Zeitverlauf eine negative Assoziation von Stereotypenbedrohung (T2) und Zugehörigkeitsgefühl (T3), jedoch keine längsschnittlichen Assoziationen mit Annäherungsmotivation und Eingebundenheit in die CSCL-Gruppe (T3). Korrelationen der Random Intercepts und explorative Analysen mit der Gesamt-Schreibaktivität im Etherpad weisen auf zeitstabile interindividuelle Effekte hin. Zusammenfassend besteht für nicht-traditionelle Studierende ein erhöhtes Risiko zur Stereotypenbedrohung, die teilweise mit negativen Konsequenzen für die soziale Eingebundenheit assoziiert ist. Das Ausbleiben der intraindividuellen längsschnittlichen Effekte könnte durch die Variabilität der CSCL-Aufgabe im Zeitverlauf und durch Off-System Behavior (Kollaboration außerhalb der Moodle-Lernumgebung) erklärt werden. Paper Session
Opportunities and Challenges of Flipped Classrooms: Educator Discussions on German Social Media Universität Tübingen, Deutschland
Digital learning is increasingly important for education in a post-pandemic world. In particular, teachers perceive the flipped classroom concept as a promising tool in the digital transformation of education (Akcayir & Akcayir, 2018). Flipped classroom, also known as “inverted classroom” (Finkenberg, 2018), is a learning method for students in which instruction that traditionally takes place inside the classroom now take place outside the classroom, and vice versa (Bishop & Verleger, 2013). Notably, prior research identified positive effects of flipped classroom use on students’ learning outcomes, cognitive and emotional engagement, and self-regulation (e.g., Lo et al., 2017; Jdaitawi, 2019). While flipped classroom models are predominantly used in higher education, in recent years, they have also been increasingly used in schools. To receive an unbiased perspective on this topic for German educators, we examine how educators discuss the flipped classroom concept in the German “Twitterlehrerzimmer” (TWLZ; Fütterer et al., 2021) on X (formerly known as Twitter). This study uses data from a large project that mapped the entire German educational Twittersphere <blinded for peer-review> and included all tweets with keywords related to flipped classrooms yielding a final sample of N = 39,776 tweets between November 2017 and December 2021. Qualitative coding with deductively and inductively formed categories (Kuckartz, 2016) examined how teachers talked about flipped classroom instruction (7 categories) and teachers’ perceived opportunities and challenges of flipping classroom implementations (12 categories); Cohen’s kappa = 0.86 across all categories. Descriptive analysis and time series analysis examined trends in discussions about the flipped classroom concept (Cryer & Chan 2008). Sentiment analysis and qualitative analysis examined teachers’ attitudes toward flipped classrooms (Pozzi et al., 2016). Descriptive analysis indicates increased tweets and users about flipped classrooms over time. Notably, tweets about the filled classroom account for a mean of 2.8% of all tweets per month in the TWLZ community. Compared to the general increase of tweets in the TWLZ, the percentage of tweets related to flipped classroom generally decreased in the TWLZ, which is even more pronounced during the COVID-19 pandemic. Examining tweet content, most tweets relate to an “exchange of material” (56.1%), followed by an “exchange of experiences and opinions” (29.9%), “marketing” (14.7%), and “asking for help” (10.4%). Regarding opportunities, 44.2% of tweets included more general mentions of opportunities, followed by “needs-based teaching” (31.9%) and perceived “greater learning growth” (16.3%). Challenges included “lack of technological opportunities” (39.4%), followed by “general challenges” (24.8%) and “individual difficulties” (15.3%). Overall, more tweets had a positive sentiment compared to tweets with negative sentiment across all years. This study contributes to research on flipped classroom examining educators’ perspectives on social media. It demonstrates that teachers value and discuss the potential of this teaching strategy, often identifying opportunities for their classroom implementations also sharing relevant information and materials with colleagues. Interestingly, the perceived lack of access to technology was highlighted as the most present challenge, which provides actionable implications for education ministries throughout each German state to provide teachers and students with sufficient infrastructure – also in a post-pandemic world. |
Datum: Mittwoch, 20.03.2024 | |
9:00 - 10:40 | 7-17: Die Bedeutung des Schulkontexts Ort: S16 |
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Paper Session
Wahrgenommene Diskriminierung und schulische Adaption von Jugendlichen unterschiedlicher ethnischer Herkunftsgruppen: Zur vermittelnden Rolle der Unterrichtsqualität 1DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation; 2Humboldt-Universität zu Berlin; 3Bergische Universität Wuppertal In Zeiten zunehmender Migration lernen in vielen Ländern, so auch in Deutschland, Jugendliche mit unterschiedlichen kulturellen Zugehörigkeiten, Ethnien und Migrationsgeschichten im gemeinsamen Klassenkontext. Eine zentrale Aufgabe von Lehrkräften ist es in diesem Zusammenhang, allen Schüler*innen gleiche Bildungschancen zu bieten. Jugendliche mit Migrationshintergrund erzielen jedoch häufig geringere schulische Leistungen als ihre Mitschüler*innen ohne Migrationshintergrund (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2016; Henschel et al., 2019), wobei die Leistungen je nach Zuwanderergeneration und ethnischer Herkunft variieren (vgl. Henschel et al., 2022; Kristen & Granato, 2007). Als wichtige Faktoren, die zu ethnischen Disparitäten in Aspekten schulischer Adaption beitragen, gelten Stereotypisierung und Diskriminierung im Schulkontext (vgl. Byrd, 2017; Schwarzenthal et al., 2018; Schachner et al., 2021). Aktuelle empirische Ergebnisse verweisen darauf, dass Schüler*innen mit Migrationshintergrund – und hierbei insbesondere türkeistämmige Jugendliche sowie Jugendliche mit einem Migrationshintergrund aus SWANA-Ländern (Südwestasien und Nordafrika) – erstens stärkere Stereotypisierung und Diskriminierung wahrnehmen (vgl. Vietze et al., 2022) und dass dies zweitens mit einer schlechteren schulischen Adaption zusammenhängt (vgl. Civitillo et al., 2022). Über die Mechanismen im Schulklassenkontext, die diesen Zusammenhang erklären, ist jedoch weniger bekannt. Bezugnehmend auf die professionelle Kompetenz von Lehrkräften (Baumert & Kunter, 2006; Hachfeld et al., 2015) kann theoretisch angenommen werden, dass die Werte und Überzeugungen der Lehrkräfte, einschließlich ihrer Stereotype, ihre Wahrnehmungen und Handlungen leiten und sich daher auf die sozialen Interaktionen im Klassenkontext (Denessen et al., 2022) und letztlich auf die schulische Adaption der Jugendlichen auswirken. Vor diesem Hintergrund untersucht der Beitrag zum einen, wie Schüler*innen unterschiedlicher ethnischer Herkunftsgruppen die stereotypen Überzeugungen von Lehrkräften in Bezug auf ethnische Minderheiten sowie die Unterrichtsqualität in den Dimensionen kognitive Aktivierung, Klassenführung und konstruktive Unterstützung wahrnehmen. Zum anderen werden Zusammenhänge zwischen diesen Wahrnehmungen der Jugendlichen und ihrer schulischen Adaption – operationalisiert über die Lesekompetenz und -motivation sowie das Gefühl der Zugehörigkeit zur Schule (Civitillo et al., 2022) – analysiert. Die übergreifende Fragestellung der Studie lautet demnach: Hängen Stereotype von Lehrkräften mit einer schlechteren Unterrichtsqualität zusammen, und sind dies Hinderungsbedingungen für eine erfolgreiche schulische Adaption von Jugendlichen verschiedener ethnischer Herkunftsgruppen? Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden die Schüler*innendaten der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) 2018 aus Deutschland verwendet; die Analysen basieren auf der Stichprobe der Neuntklässler*innen (N=3024), alle einbezogenen Variablen beruhen auf Angaben der Schüler*innen. Die geschachtelte Datenstruktur wurde in den mehrstufigen Regressionsmodellen ebenso berücksichtigt wie zentrale Kovariaten (Geschlecht, Alter, sozioökonomischer Status, zu Hause gesprochene Sprache und besuchte Schulform). Mit der ersten Hypothese wurde angenommen, dass Schüler*innen ethnischer Minderheiten, die in der Gesellschaft ein höheres Maß an Diskriminierung erfahren, auch in der Schule stärkere Stereotype ihrer Lehrkräfte wahrnehmen: Erwartungskonform zeigten die Ergebnisse für türkeistämmige Jugendliche sowie für Jugendliche mit einem Migrationshintergrund aus SWANA-Ländern im Vergleich zu ihren Mitschüler*innen mit einem anderen oder ohne Migrationshintergrund eine größere wahrgenommene Diskriminierung durch Lehrkräfte. Zugleich aber fühlten sie sich stärker zugehörig zu ihrer Schule als ihre Mitschüler*innen mit einem anderen oder ohne Migrationshintergrund. Nahmen Schüler*innen allerdings mehr stereotype Überzeugungen ihrer Lehrkräfte war, waren – im Einklang mit der zweiten Hypothese – sowohl Leseleistung und -motivation als auch das schulische Zugehörigkeitsgefühl geringer. Da mit der dritten Hypothese angenommen wurde, dass der Zusammenhang von wahrgenommener Diskriminierung und geringerer schulischer Adaption durch die Unterrichtsqualität vermittelt wird, wurden im dritten Schritt Mediationseffekte der drei Dimensionen von Unterrichtsqualität geschätzt. Hier zeigte sich, dass die wahrgenommene Diskriminierung mit einer als ungünstiger wahrgenommenen Klassenführung einherging, was wiederum den negativen Zusammenhang mit der Leseleistung und dem Gefühl der Zugehörigkeit zur Schule vermittelte. Im Rahmen des Beitrags werden darüber hinaus umfassendere multivariate Ergebnisse berichtet. Abschließend wird diskutiert, wie Mechanismen, über die sich Diskriminierungserfahrungen von Jugendlichen im Schulalltag vermitteln, künftig noch differenzierter analysiert werden können, um ausführlicher über Bildungsungleichheiten nach ethnischer Herkunft aufklären zu können. Paper Session
Effekte von Unterricht und Ganztagsangeboten auf Leistungsentwicklung und Leistungsunterschiede nach sozialer Herkunft Freie Universität Berlin, Deutschland 1 Theoretischer Hintergrund Die Wirksamkeit von Schule und Unterricht kann sich auf zwei Dimensionen beziehen (Creemers & Kyriakides, 2008). Einerseits kann betrachtet werden, inwieweit der durchschnittliche Lernerfolg der Schüler/innen gesteigert wird (Qualifizierung). Andererseits kann betrachtet werden, inwieweit Unterschiede im Lernerfolg zwischen verschiedenen Schüler/innen abgeschwächt werden (Egalisierung/Entkoppelung). Der zweitgenannte Aspekt ist insbesondere vor dem Hintergrund von systematischen Bildungsungleichheiten von Relevanz. Eine zentrale Problematik stellen Leistungsunterschiede nach der sozialen Herkunft dar (Sirin, 2005). Es stellt sich die Frage, inwieweit Schulen durch die Gestaltung von Unterricht und Ganztagsangeboten neben der durchschnittlichen Leistungsentwicklung auch Leistungsunterschieden nach der sozialen Herkunft beeinflussen. Im vorliegenden Beitrag wird eine empirische Analyse zu dieser Fragestellung berichtet. Als Unterrichtsmerkmale werden Klassenführung, Unterstützung, kognitive Aktivierung sowie Prinzipien der Gruppenbildung (leistungshomogene vs. leistungsheterogene Gruppen) betrachtet. Als Ganztagsangebote werden Förderunterricht, Hausaufgabenbetreuungen und Ergänzungsangebote für leistungsstarke Schüler/innen betrachtet. 2 Fragestellungen Im Beitrag werden vier Fragestellungen untersucht: - Welche Effekte haben Unterrichtsmerkmale auf den durchschnittlichen Lernerfolg? - Welche Effekte haben Unterrichtsmerkmale auf Unterschiede im Lernerfolg nach sozialer Herkunft? - Welche Effekte haben Ganztagsangebote auf den durchschnittlichen Lernerfolg? - Welche Effekte haben Ganztagsangebote auf Unterschiede im Lernerfolg nach sozialer Herkunft? 3 Methode Die Analysen basieren auf Daten der Startkohorte 3 des Nationalen Bildungspanels (Blossfeld & Roßbach, 2019). Es werden Schüler/innen in Gymnasien in ganz Deutschland untersucht. Die Schulform des Gymnasiums wurde ausgewählt, weil die soziale Heterogenität der Schülerschaft in Gymnasien am stärksten ausgeprägt ist (im Vergleich zu Haupt-/Mittelschulen und Realschulen). Die Stichprobe umfasst 1.523 Schüler/innen in 120 Klassen in 71 Schulen. Als abhängige Variable wird die Entwicklung von Mathematikkompetenz von der fünften bis zur siebten Jahrgangsstufe betrachtet. Mathematikkompetenz wird mit einem standardisierten Leistungstest erhoben (Anfang der fünften Jahrgangsstufe und Anfang der siebten Jahrgangsstufe). Die soziale Herkunft wird durch den höchsten Bildungsstand der Eltern operationalisiert. Weitere Kontrollvariablen auf der Schülerebene sind Geschlecht und Migrationshintergrund. Die unabhängigen Variablen Unterrichtsmerkmale und Ganztagsangebote werden mit Fragebögen für Lehrkräfte und Schulleiter/innen erfasst. Als Analysemethoden werden Mehrebenenmodelle eingesetzt (zwei Ebenen: Schülerebene und Klassenebene). Spezifisch handelt es sich um Intercept-and-Slope-As-Outcome Modelle (Raudenbush & Bryk, 2002). Der Random Intercept ist ein Indikator für den durchschnittlichen Lernerfolg (mittlerer Zuwachs der Mathematikkompetenz). Der Random Slope der sozialen Herkunft ist ein Indikator für Unterschiede im Lernerfolg nach der sozialen Herkunft (Abhängigkeit des Zuwachses der Mathematikkompetenz von der sozialen Herkunft). 4 Ergebnisse Bezüglich Effekten von Unterrichtsmerkmalen auf den durchschnittlichen Lernerfolg zeigt sich, dass Klassenführung einen positiven linearen Effekt hat, während kognitive Aktivierung einen positiven linearen und einen negativen quadratischen Effekt hat. Hinsichtlich Effekten von Unterrichtsmerkmalen auf herkunftsbedingte Unterschiede im Lernerfolg wird festgestellt, dass Unterstützung durch die Lehrkraft einen tendenziell signifikanten (p < 0.10) negativen Effekt hat und dass die Bildung von leistungsheterogenen Gruppen einen negativen Effekt hat (negative Effekte bedeuten, dass herkunftsbedingte Unterschiede abgeschwächt werden). Bezüglich Effekten von Ganztagsangeboten auf den durchschnittlichen Lernerfolg zeigt sich, dass Hausaufgabenbetreuungen einen negativen Effekt haben und dass Ergänzungsangebote für leistungsstarke Schüler/innen einen tendenziell signifikanten (p < 0.10) negativen Effekt haben. Hinsichtlich Effekten von Ganztagsangeboten auf herkunftsbedingte Unterschiede im Lernerfolg wird festgestellt, dass Förderunterricht einen negativen Effekt hat (herkunftsbedingte Unterschiede werden abgeschwächt), während Hausaufgabenbetreuungen und Ergänzungsangebote für leistungsstarke Schüler/innen positive Effekte haben (herkunftsbedingte Unterschiede werden verstärkt). 5 Diskussion Der vorliegende Beitrag erweitert das Verständnis darüber, wie schulische Lernangebote die Entstehung von Leistungsunterschieden nach der sozialen Herkunft beeinflussen. Es werden sowohl abschwächende als auch verstärkende Effekte ermittelt. Eine Limitation ist darin zu sehen, dass die Ergebnisse nicht ohne weiteres vom Gymnasium auf andere Schulformen übertragen werden können. Eine weitere Limitation liegt darin, dass Unterrichtsmerkmale und Ganztagsangebote nur durch Befragung von Lehrkräften und Schulleiter/innen erhoben werden. Es wird somit nur eine einseitige und enggeführte Erfassung der schulischen Lernumwelt ermöglicht. Paper Session
Schulentfremdung – eine Frage der Erfüllung von Basic Needs im Unterrich 1Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland; 2Johannes Kepler Universität Linz, Österreich Theoretischer Hintergrund Schulentfremdung stellt ein komplexes Problem mit negativen Folgen für Individuum und Gesellschaft dar. Da viele Schulabbrecher*innen Entfremdungserscheinungen zeigen, kann Schulentfremdung als vorgelagerter Prozess zum Schulabbruch beschrieben werden (Stamm, 2012). Schulentfremdung setzt sich aus kognitiven und affektiven Dimensionen zusammen und kann als negative Einstellung oder dauerhaft negative Disposition gegenüber verschiedenen Aspekten der Schule (Lernen, Mitschüler*innen und Lehrkräfte) verstanden werden (Hascher & Hadjar, 2018). Schulentfremdung wird durch individuell-schüler*innenbezogene und unterrichtsbezogene Aspekte beeinflusst. Auf individueller Ebene hängen beispielsweise das Geschlecht, Schulleistungen sowie der Migrationshintergrund mit Entfremdung zusammen (Morinaj et al., 2020, Hadjar et al. 2019). Der Zusammenhang zwischen der Unterrichtsqualität und Schulentfremdung lässt sich u.a. durch die Selbstbestimmungstheorie und die dort referierten menschlichen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit erklären (Deci & Ryan, 2000). Diese sind für Konstrukte, die eng mit der Schulentfremdung in Beziehung stehen (z.B. Motivation, Wohlbefinden von Schüler*innen; Morinaj & Hascher, 2019; Niemiec & Ryan, 2009) und auch direkt für das Ausmaß an Schulentfremdung von Schüler*innen relevant (Mahmoudi et al., 2018). Bislang liegen kaum Studien vor, die Einflussfaktoren von Schulentfremdung mehrebenenanalytisch untersuchen (Hascher & Hadjar 2018). Ebenso fand bislang keine dezidierte Prüfung von Zusammenhängen der wahrgenommenen Befriedigung der Grundbedürfnisse im Unterricht und der Entfremdung vom Lernen auf Individualebene der Schüler*innen statt. Fragestellung Folgende Forschungsfragen werden fokussiert: (a) In welchem Zusammenhang steht die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse im Unterricht mit der Entfremdung der Schüler*innen vom Lernen? (b) Wird dieser Zusammenhang durch die Leistung der Schüler*innen moderiert? Methode Im Schuljahr 2021/22 wurden online-Fragebogenerhebungen an 38 Sekundarschulen eines deutschen Bundeslands durchgeführt. Die Schüler*innen wurden mit etablierten und standardisierten Fragebogeninstrumenten u.a. nach ihrem Selbstbestimmungserleben, der Abwesenheit sozialer Probleme, ihrem Kompetenzerleben im Unterricht sowie nach der Entfremdung vom Lernen befragt. Anhand von Daten von N = 1.776 Schüler*innen (Durchschnittsalter: M = 13.16, SD = 3.64; 47.6% weiblich; 14.4% Migrationshintergrun) in 129 Klassen (5. bis 9. Jahrgangsstufe) wurden hierarchische Mehrebenenanalysen mit der Entfremdung vom Lernen als abhängiger Variable durchgeführt. Zunächst wurden das Selbstbestimmungserleben im Unterricht sowie die Abwesenheit sozialer Probleme auf Klassenebene (Level 2) (modelliert als Gruppenmittelwert der Einschätzung aller Schüler*innen einer Klasse) als Prädiktoren ins Modell aufgenommen. Anschließend wurden auf der Ebene der Schüler*innen (Level 1) die individuelle Wahrnehmung von Selbstbestimmung, Kompetenzerleben sowie der Abwesenheit sozialer Probleme in das Modell einbezogen. Die Level 1-Variablen wurden jeweils am Klassenmittelwert zentriert. Schulleistung, Geschlecht, Jahrgangsstufe sowie Migrationshintergrund der Schüler*innen wurden kontrolliert. Ein abschließendes Modell integriert ergänzend zu den Haupteffekten der genannten Prädiktoren Interaktionsterme, um Unterschiede in den Zusammenhängen zwischen Prädiktoren und abhängiver Variable zu untersuchen. Ergebnisse Es finden sich verschiedene Zusammenhänge der menschlichen Grundbedürfnisse und der Entfremdung vom Lernen: Auf Individualebene stehen eine höhere Selbstbestimmung (B = -.173, SE = .023), Selbstwirksamkeit (B = -.369, SE = .027) sowie Abwesenheit sozialer Probleme (B = -.369, SE = .027) in einem negativen Zusammenhang mit der Entfremdung vom Lernen. Ein negativer Zusammenhang findet sich auch bezogen auf das Selbstbestimmungserleben auf Klassenebene (B = -.257, SE = .083). Für die Abwesenheit sozialer Probleme auf Klassenebene zeigt sich hingegen kein signifikanter Zusammenhang. Die Interaktionsterme offenbaren, dass der Zusammenhang zwischen der Leistung der Schüler*innen und der Entfremdung vom Lernen signifikant durch die Abwesenheit sozialer Probleme auf Klassenebene moderiert wird (B = -.180, SE = .077). In Klassen mit einer hohen Abwesenheit sozialer Probleme ist der Zusammenhang zwischen der individuellen Leistung der Schüler*innen und der Entfremdung vom Lernen somit schwächer. Dies zeigt, dass die Möglichkeit der Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse im Unterricht mit der Schulentfremduing der Schüler*innen korrespondiert. Im Rahmen des Vortrags werden die zentralen Ergebnisse der Studie präsentiert sowie insbesondere im Hinblick auf Implikationen für die Unterrichtsgestaltung und die Prävention von Entfremdung vom Lernen diskutiert. Paper Session
Institutionelles Vertrauen in die Schule: eine Validierungsstudie 1Institut für Entwicklungs- und Bildungspsychology, Fakultät für Psychologie, Universität Wien, Österreich; 2Institut für Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialpsychologie, Fakultät für Psychologie, Universität Wien Theoretischer Hintergrund Schulen sind eine der ersten Institutionen, die intensiv den Alltag von Kindern und Jugendlichen prägen. Die Erfahrungen, die Schüler*innen in Schulen machen, könnten daher bedeutend für die Entwicklung ihres institutionellen Vertrauens sein (Schoon & Cheng, 2011). Das institutionelle Vertrauen in die Schule selbst wurde bislang kaum untersucht. Eine Ausnahme stellt die Skala zu Schulvertrauen von Yeager et al. (2017) dar, die es auf einer interpersonellen Ebene in Bezug auf Fairness erfasst. Für die Entwicklung von Vertrauen ist neben interpersonellen Erfahrungen (kulturelle Theorien) auch die Evaluation von Institutionen in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeit relevant (institutionelle Theorien; Schoon & Cheng, 2011). Dieser Beitrag hat das Ziel, Vertrauen in die Schule aus dieser institutionellen Perspektive zu erfassen. Als zentrale Aufgaben von Schulen sehen wir dabei, diese Schüler*innen erfolgreich auf ihren Abschluss vorzubereiten (akademische Vorbereitung), eine sichere Umgebung für das Lernen zu bieten (Sicherheitsgefühl) und sie transparent über Regelungen informieren (Informationsfluss). Dieses Konzept stützt sich auf Arbeiten zu Wohlbefinden und Vertrauen in Schulen während der Pandemie (Schober et al., 2020). Fragestellung Dieser Beitrag hat das Ziel, die neu entwickelte Skala zu schulischem Vertrauen zu validieren. Folgende zentrale Fragestellungen wurden dabei untersucht:
Methode Wir analysierten Daten von 286 Schüler*innen aus der 11. und 12. Schulstufe (MAlter = 17.47, SD = 0.87) an Wiener Gymnasien und berufsbildenden höheren Schulen. Die Skala bestand aus je sechs Items für die Themenbereiche akademische Vorbereitung (z.B., „Ich weiß, dass meine Lehrer*innen es schaffen, mich gut auf Prüfungen vorzubereiten.“), Sicherheitsgefühl (z.B. „Ich muss mir in meiner Schule keine Sorgen um meine Sicherheit machen.“) und Informationsfluss (z.B., „Ich bin mir sicher, dass mir meine Lehrer*innen alle wichtigen Entscheidungen zu Unterricht und Schule mitteilen.“). Mittels Hauptkomponentenanalyse und explorativer Faktorenanalyse identifizierten wir die Faktorenstruktur der 18 Items. Dazu verwendeten wir eine zufällig gezogene Teilstichprobe der Gesamtdaten. Anhand mehrerer Kriterien, inklusive eines „Ameisenalgorithmus“ (ACO, Olaru & Danner, 2021; Olaru et al., 2019), bildeten wir eine Kurzskala mit 9 Items. Die Modellpassung der Kurzskala sowie ihre Reliabilität und Validität wurden mit den bisher noch nicht verwendeten Daten überprüft (mittels Konfirmatorischer Faktorenanalyse [CFA] und bivariaten Korrelationen zu thematisch verwandten Skalen von Köhler et al., 2016; Yeager et al., 2017). Im letzten Schritt wurde die Messinvarianz in Bezug auf Geschlecht mittels Mehrgruppen-CFA basierend auf dem Bayesianischen Informationskriterium (BIC) evaluiert. Die gesamten Analysen wurden vor Datenerhebung präregistriert und in R durchgeführt. Ergebnisse Die theoretisch beschriebene Drei-Faktor-Struktur akademische Vorbereitung, Sicherheitsgefühl und Informationsfluss und erzielte sehr gute Modellpassung (CFA; CFI = .988, TLI = .982, RMSEA = .050, SRMR = .039) sowie gute Reliabilität sowohl für Skala als auch Subskalen (McDonald’s Omega ω; gut für die Gesamtskala ω = .88, akzeptabel für die Subskala Vorbereitung (ω = .73), gut für die Subskalen Sicherheitsgefühl (ω = .86) und Informationsfluss (ω = .89)). Die Gesamtskala korrelierte moderat mit einem Einzelitem zu Schulvertrauen (r = .49) und hoch mit der Fairness-Skala von Yeager et al. (r = .69), was auf Augenschein- bzw. Konstruktvalidität hindeutet. Die Subskalen wiesen mittlere bis große Zusammenhänge mit der Fairness-Skala und dem Einzelitem auf (r = [.38 – 68]). Bei den Analysen zu Messinvarianz des finalen Modells in Bezug auf Geschlecht reduzierte sich das BIC bei stärkerer Gleichsetzung der Modelle, dementsprechend schließen wir auf gleichförmige Messmodelle bei männlichen und weiblichen Schüler*innen. Die neu entwickelte Skala erlaubt es zukünftigen Studien, institutionelles Vertrauen ausgehend vom Schulkontext zu untersuchen und bietet dadurch vielversprechende Möglichkeiten für zukünftige Forschung. |
11:10 - 12:50 | 8-17: Reflexion im Bildungskontext Ort: S16 |
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Paper Session
Der Selbstbezug innerhalb von Reflexionen im pädagogischen Kontext 1Leuphana Universität Lüneburg, Deutschland; 2Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau, Deutschland; 3Universität Greifswald, Deutschland; 4Pädagogische Hochschule Salzburg, Österreich Theoretischer Hintergrund Reflexion eigener oder fremder Erfahrung wird zur Verbindung von Theorie und Praxis im Rahmen der Lehrer:innenbildung als zentral erachtet (z. B. Schön, 1987; Calderhead, 1989; Zeichner & Liston, 1987; Hatton & Smith, 1995; Korthagen & Vasalos, 2005; Lenske & Lohse-Bossenz, 2023). Videos bilden in der praxisärmeren ersten Phase der Lehrer:innenbildung ein Fenster zur Praxis und ermöglichen es, Unterrichtssituationen theoriebasiert zu analysieren und Fremderfahrungen als eine Art stellvertretende Erfahrung auf die eigene Person zu beziehen. Obwohl der Begriff Reflexion im Rahmen der Bildungsforschung sehr häufig verwendet wird, lassen sich im Bereich der Reflexionsforschung noch zahlreiche Desiderate identifizieren (Lenske & Lohse-Bossenz, 2023). So ist beispielsweise die Komponente des Selbstbezugs im Rahmen von Reflexionen noch wenig erforscht, wenngleich der Selbstbezug als wichtiges Merkmal von Reflexion beschrieben (z. B. Aeppli & Lötscher, 2016; Korthagen & Vasalos, 2005) oder gar als obligatorisches Merkmal von Reflexion definiert wird (siehe Lenske & Lohse-Bossenz, 2023). Unklar ist bislang, welche Dimensionen hinsichtlich des Selbstbezugs unterschieden werden können und inwiefern es Lehramtsstudierenden bereits zu Beginn ihres Studiums gelingt, einen Selbstbezug (vertieft) herzustellen. Es ist anzunehmen, dass sich das situationale Interesse in Bezug auf die Beschäftigung mit einem Unterrichtsvideo sowie die Motivation, einen Selbstbezug herzustellen, auf die Qualität des Selbstbezugs auswirken (Merkert et al., 2023). Das heißt, dass Personen, die hinsichtlich der Aufgabe interessiert und motiviert sind, eher vertiefte Selbstbezüge herstellen. Darüber hinaus gibt es empirische Evidenz, dass das Wissen über den zentralen Reflexionsinhalt die Reflexion beeinflusst (z. B. Weber et al., 2023). Ebenso kann angenommen werden, dass auch der Selbstbezug als Teil der Reflexion bei höherem Wissen mehr Tiefgang aufweist. Forschungsfrage Hier setzt die vorliegende Studie an. Sie befasst sich mit dem Selbstbezug im Rahmen von videobasierten Reflexionen mit Fokus auf Klassenführung bei Studienanfänger:innen. Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Dimensionen des Selbstbezugs sich empirisch abbilden lassen. Im Sinne einer konvergenten Validierung soll der erfasste Selbstbezug auf theoretisch erwartbare Zusammenhänge mit a) dem situationalen Interesse, b) der Motivation einen Selbstbezug herzustellen und c) dem Vorwissen zu Klassenführung empirisch überprüft werden. Methode Die Stichprobe umfasst 133 Lehramtsstudierende im Bachelor (2. Semester), welche im Rahmen einer Vorlesung aufgefordert wurden, mehrere Videovignetten mit dem Fokus auf Klassenführung zu reflektieren. Zur Beantwortung der zugrundeliegenden Forschungsfrage wurden die schriftlichen Selbstbezüge zu einer ausgewählten Vignette auf Basis der strukturierenden skalierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2022) ausgewertet. Hierbei wurden die Kategorien zunächst deduktiv aus der Theorie abgeleitet (z. B. Korthagen & Vasalos, 2005) und im Rahmen der Codierschleifen induktiv adaptiert. Das situationale Interesse wurde per Fragebogen direkt nach der Videobetrachtung, aber vor der Reflexion erfasst (11 Items, 7-stufige Likertskala, IMI, siehe u. a. McAuley et al., 1989; Ryan, 1982); ebenso die Motivation, einen Selbstbezug herzustellen (9 Items, 5-stufige Likertskala, Eigenentwicklung). Das Klassenführungswissen wurde mittels standardisiertem Test ca. eine Woche vor der videobasierten Reflexion erhoben (Papier-Bleistift-Test, Seethaler & Lenske, 2022). Die jeweiligen Zusammenhänge wurden auf Basis von Korrelationsanalysen ermittelt. Ergebnisse Im Zuge der Analysen wurden fünf Dimensionen des Selbstbezugs klassifiziert und empirisch besetzt (1. Kompetenzen, 2. Passung und Identifikation, 3. Werte und Überzeugungen, 4. persönlicher Lerneffekt und 5. Emotionen). Neben der Breite des Selbstbezugs wurde auch die Tiefe erfasst. Erwartungsgemäß verfassten situational stärker interessierte und zur Herstellung eines Selbstbezugs motivierte Studierende tendenziell umfangreichere (r=.206, p=.018 bzw. r=.191, p=.028) und tiefer gehende Selbstbezüge (r=245, p=.005 bzw. r=.264, p=.002). Das Vorwissen korreliert ebenfalls signifikant positiv mit der Selbstbezugstiefe (r=.212, p=.046). Die Resultate stehen (unter Berücksichtigung des Ausbildungsstands der Studierenden) im Einklang mit den theoretischen Annahmen und leisten einen Beitrag, das Forschungsdesiderat um den Selbstbezug innerhalb von Reflexionen, insbesondere hinsichtlich seiner Messbarkeit, zu reduzieren. Im Rahmen des Vortrags werden Limitationen diskutiert und Implikationen für Theorie und Praxis aufgezeigt. Paper Session
Reflexion und Reflexionskompetenz im Kontext von Unterricht – Ein Scoping-Review Universität des Saarlandes, Deutschland Reflexion von Unterricht, deren Verankerung in der Lehramtsausbildung besonders gefordert wird (Buschor & Kamm, 2015; Roters, 2012), ist ein vielfach diskutiertes Konzept. Der aktuellen Forschung mangelt es vor allem an einem gemeinsamen Begriffsverständnis (Clará, 2015; Häcker, 2019; Wyss, 2013). Auch die Konzeptualisierung und Operationalisierung von Reflexionskompetenz sind nicht einheitlich. Hier werden meist verschiedene Inhaltsbereiche der Reflexion betrachtet, zudem unterscheiden sich oft zugrundeliegende Reflexionsmodelle und Messverfahren (Tripp & Reich, 2012). An einer Abgrenzung von Reflexion bzw. Reflexionskompetenz von anderen Konzepten im Zusammenhang mit der Professionalisierung von Lehrkräften (z.B. Professionelle Unterrichtswahrnehmung), fehlt es ebenfalls. Um bisherige Forschungsergebnisse zu bündeln und hinsichtlich ihrer theoretischen Rahmungen besser einordnen zu können, wurde ein Scoping-Review durchgeführt (Levac et al., 2010). Das Ziel bestand darin, die Unterschiede in zugrundeliegenden Definitionen und theoretischen Modellen aufzuzeigen sowie das Verständnis der Begriffe Reflexion und Reflexionskompetenz im Kontext von Unterricht je zu einer Definition zusammenzuführen und mögliche Forschungslücken aufzuzeigen. Die übergeordnete Fragestellung des Scoping-Reviews lautet: Was weiß man aus der aktuellen Forschung über die Reflexion von Unterricht und Reflexionskompetenz von Lehrkräften bzw. Lehramtsstudierenden? Nach der Methodik für Scoping-Reviews von Levac et al. (2010) wurde zunächst ein passender Suchterm formuliert. Dieser wurde in den Datenbanken Web of Science und ERIC eingesetzt, da diese als relevant für das Feld der empirischen Bildungsforschung angesehen werden (Newman & Gough, 2020). Zusätzlich wurde die Suche zeitlich auf die letzten 20 Jahre und auf Zeitschriftenartikel eingeschränkt. Dieses Scoping-Review schließt nur deutsch- und englischsprachige Zeitschriftenartikel ein, die sich auf Studien in den deutschsprachigen Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz beziehen, da die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern weltweit variiert. Es wird angenommen, dass aufgrund dieser Einschlusskriterien eine für weitere Forschungen sinnvolle Definition von Reflexion und eine Operationalisierung von Reflexionskompetenz vorgenommen werden kann. Durch die Datenbanksuche wurden n=597 Artikel gefunden. Nach Entfernen von Duplikaten verblieben n=592 Artikel in der Vorauswahl. Davon wurden in einem Titel- und Abtractscreening aufgrund der zuvor definierten Kriterien n=531 ausgeschlossen (z.B. Die Stichprobe des Artikels beinhaltet Personen aus nicht-deutschsprachigen Regionen oder der Artikel bezieht sich auf andere Kontexte als die Reflexion von Unterricht in der Schule). Die verbliebenen n=61 Volltexte wurden im Anschluss auf Eignung beurteilt. Kriterien für den Ausschluss innerhalb des Volltextscreenings waren z.B. die Studie bezieht sich nicht auf die Reflexion von Unterricht durch Lehrkräfte bzw. Lehramtsstudierende oder Reflexion steht nicht im Fokus bzw. wird in den Forschungsfragen nicht untersucht. Am Ende wurden n=25 Artikel in das Review eingeschlossen. Sowohl für das Titel- und Abstract- als auch für das Volltextscreening wurde die Beurteilerübereinstimmung zweier unabhängiger Rater berechnet (κTitel/Abstract=0.90, κVolltext=1.00). Die Definitionen von Reflexion und Reflexionskompetenz in den einzelnen Artikeln sowie weitere Aspekte, wie z.B. die aufgeführten Reflexionsmodelle und Messverfahren wurden systematisch dargestellt. Zusätzlich wurden die Artikel hinsichtlich unterschiedlicher Merkmale, wie dem Einsatz von Videos für die Reflexion oder auf Grundlage der betrachteten Inhaltsbereiche der Reflexionen (z.B. Umgang mit Unterrichtsstörungen, Klarheit der Instruktion, etc.) gegenübergestellt. Mithilfe von Grafiken wurden weitere Verbindungen zwischen den Artikeln dargestellt. Beispielsweise wurde verdeutlicht, wie sich die Anzahl der Publikationen entwickelt hat. Hier zeigte sich eine Zunahme der Artikelzahl im Laufe der Jahre. Weiterhin wurden Netzwerke dargestellt, die die Kooperationen der AutorInnen untereinander beinhalten. Die meisten Autorengruppen bleiben eher unabhängig von anderen Forschenden und es bilden sich eher kleinere Netzwerke. Außerdem wurden die Artikel hinsichtlich Ihrer Gemeinsamkeiten untersucht und Gruppierungen der Artikel wurden genauer betrachtet. Die Artikel wurden nach der Betrachtung der reflexionsbezogenen Dispositionen, der Reflexionsperformanz und des Reflexionsprozesses eingeordnet. Eine gemeinsame Definition für Reflexion sowie für Reflexionskompetenz wurde herausgearbeitet und diskutiert, Forschungslücken wurden erörtert und Implikationen für die weitere Forschung zur Reflexion von Unterricht wurden dargestellt. Paper Session
Reflexion und Kollaboration in agentenbasierten Simulationen: Effekte auf die Qualität diagnostischer Ergebnisse 1Department of Psychology, LMU Munich, Munich, Germany; 2Institute of Medical Education, LMU University Hospital, LMU Munich, Munich, Germany; 3Department of Mathematics Education, IPN Leibniz Institute for Science and Mathematics Education, Kiel, Germany; 4Department of Medicine IV, LMU University Hospital, LMU Munich, Munich, Germany Agentenbasierte Simulationen bieten Studierenden die Möglichkeit, wiederholt wissensreiche kollaborative Fähigkeiten wie das kollaborative Diagnostizieren zu üben (Chernikova et al., 2020; Graesser et al., 2018). Angeleitete Reflexion kann dabei den Diagnoseprozess unterstützen (Mamede & Schmidt, 2017; Richters et al., 2023). Es wird angenommen, dass durch die Reflexion individueller Verdachtsdiagnosen kognitive Fallrepräsentationen umstrukturiert werden (Mamede & Schmidt, 2022). Bisherige Studien legen nahe, dass diese Form der Reflexion ein ausreichendes Maß an Vorwissen erfordert (Chernikova et al., 2020; Richters et al., 2022). In professionellen kollaborativen Diagnosesituationen (z. B. in der Medizin mit Personal aus anderen Fachbereichen) ist das Ziel der Kollaboration, zusätzliches Wissen in den Diagnoseprozess einzubringen (Radkowitsch et al., 2022). Dies könnte auch die kognitive Fallrepräsentation verändern. In diesem Beitrag wird daher in einer agentenbasierten Simulation untersucht, inwiefern Lernende in Abhängigkeit ihres Vorwissens durch Reflexion und Kollaboration ihre aktuellen kognitiven Fallrepräsentationen verändern. N = 79 Medizinstudierende (Nweiblich= 56) ab dem 5. Studienjahr bearbeiteten konsekutiv drei Patient:innenfälle in der Rolle von Internist:innen mithilfe einer agentenbasierten Radiologin. Im ersten Teil erhielten die Studierenden eine Patient:innenakte mit relevanten klinischen Informationen (Symptome und Befunde). Danach wurden sie durch gezielte Fragen zur Reflexion über aktuelle Verdachtsdiagnosen angeregt: Die aktuelle Verdachtsdiagnose sollte angegeben und unterstützende, widersprechende sowie fehlende klinische Informationen benannt werden. Bis zu fünf weitere mögliche Verdachtsdiagnosen konnten angegeben und mit den gleichen Schritten reflektiert werden. Abschließend sollten alle Verdachtsdiagnosen der Wahrscheinlichkeit nach sortiert werden. Im zweiten Teil stellten alle Studierenden (bis zu zehn) radiologische Untersuchungsanforderungen und begründeten diese mit klinischen Informationen und Verdachtsdiagnosen. Unzureichend begründete Anforderungen erhielten Rückmeldung und konnten überarbeitet werden. Bei ausreichender Begründung teilte die Radiologin ihre Untersuchungsergebnisse (neue Informationen). Alle Studierenden schlossen den Fall mit Abgabe einer finalen Verdachtsdiagnose ab. Als Indikator für die kognitive Fallrepräsentation wurde die Akkuratheit der Verdachtsdiagnose anhand der Richtigkeit der Verdachtsdiagnose (inkorrekt, niedrig spezifiziert korrekt, hoch spezifiziert korrekt) pro Person und Fall zu drei Zeitpunkten erfasst (Ω = .79): Vor der Reflexion, nach der Reflexion (vor der Kollaboration) und nach der Kollaboration (finale Diagnose). Vor dem Experiment wurde das inhaltliche Vorwissen (Innere Medizin und Radiologie) der Studierenden mittels Single-Choice- und Key-Feature Fragen erhoben. Die Analyse erfolgte mittels Rangkorrelationen und logistischer Regression. Bei fast 90 % der Studierenden führte die Reflexion zu keiner Veränderung der Akkuratheit der Verdachtsdiagnose. Die entsprechend starke positive Korrelation zwischen der Akkuratheit der Verdachtsdiagnose vor und nach der Reflexion (ρ= .84, p <.001) war nicht durch das Vorwissen moderiert (b = -7.10, p = .269, OR = 0.49). Von den Studierenden mit inkorrekter oder niedrig spezifizierter korrekter Verdachtsdiagnose nach der Reflexion verbesserten sich 75 % durch die Kollaboration. Die vergleichsweise schwache positive Korrelation zwischen der Akkuratheit der Verdachtsdiagnose nach der Reflexion und der finalen Diagnose nach der Kollaboration (ρ = .28, p = <.001) war ebenfalls nicht durch das Vorwissen moderiert (b = -13.99, p = .142, OR = 0.26). Entgegen vorheriger Erklärungen zur Wirkung angeleiteter Reflexion im individuellen Kontext (cf., Mamede & Schmidt, 2022) ergab diese Studie keine Hinweise darauf, dass Reflexion kognitive Fallrepräsentationen verändert. Kollaboration hingegen verbesserte das diagnostische Ergebnis (finale Verdachtsdiagnose) – unabhängig vom Vorwissen der Studierenden – erheblich und scheint somit die kognitiven Fallrepräsentationen verbessert zu haben. Die wiederholte Kollaboration ermöglicht früher oder später den Zugang zu externen Informationen durch Versuch und Irrtum, was durch die Reflexion interner Wissensressourcen nicht erreicht werden kann. Die Lernenden könnten sich dessen bewusst sein und sich stärker auf die Zusammenarbeit fokussieren. Dies legt nahe, dass in agentenbasierten Simulationen diese Form der Reflexionsunterstützung für die Qualität diagnostischer Ergebnisse weniger effektiv sein kann als außerhalb. Diese Befunde unterstützen die Annahme, dass Simulationen per se größere Effekte haben als zusätzliche instruktionale Unterstützung (Chernikova et al., 2020). Paper Session
Reflexives Schreiben in der Hochschulbildung - ein systematisches Review zu Konzepten, Forschungsthemen und -methoden 1FAU Erlangen-Nürnberg, Deutschland; 2Universität zu Köln, Deutschland; 3Trinity College Dublin, Irland Theoretischer Hintergrund. Theoretische und wissenschaftliche Erkenntnisse in anwendungsbezogenes Wissen zu überführen, gehört zu den zentralen Herausforderungen der Hochschulbildung (Yorke, 2003). Nicht zuletzt durch die rasant fortschreitende Digitalisierung und Globalisierung im gesamten Bildungswesens wird diese anspruchsvolle Aufgabe zunehmend komplexer. Damit Studierende auf diese sich stetig verändernden und komplexeren Anforderungen adäquat vorbereitet werden, müssen sie vor allem neues Wissen rasch aufnehmen, aktiv verarbeiten, integrieren und reflektieren sowie zur Lösung komplexer Fragestellungen anwenden können (Núñez-Canal et al., 2022). Reflexives Schreiben erfährt in der Hochschulbildung seit geraumer Zeit eine breite Aufmerksamkeit und hat sich als aussichtsreiches Konzept herausgestellt, um den skizzierten Herausforderungen in der Hochschulbildung gerecht werden zu können (Jung & Wise, 2020; Kovanović et al., 2018; Poldner et al., 2014). Allerdings liegen eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Konzepte reflexiven Schreibens vor, was in erster Linie auf diverse Kontexte, Domänen und Einsatzsbereiche zurückzuführen ist. Diese Heterogenität, welche sich schon in einer uneinheitlichen Verwendung des Begriffs „Reflexivität“ bzw. unklare terminologische Verortung manifestiert, birgt zahlreiche Schwierigkeiten und kann unter anderem die Effekte bzw. die Analyse der Wirksamkeit des Verfahrens beeinträchtigen. Aktuelle systematische Reviews beleuchten reflexives Schreiben zwar in diversen Fachbereichen (Chen & Forbes, 2014; Franco et al., 2022; Van Beveren et al., 2018); ihr Fokus liegt aber häufig auf spezifischen Teilaspekten des reflexiven Schreibens. Daher erscheint es notwendig, breiter angelegte und interdisziplinär ausgerichtete Analysen im Bereich der Hochschulbildung vorzunehmen, um die facettenreichen Operationalisierungsformen reflexiven Schreibens umfassend zu erfassen und zu verstehen. Fragestellung. Daher haben wir einen domänenübergreifenden Ansatz gewählt, der die unterschiedlichen Konzepte in diversen Disziplinen berücksichtigt. Ziel des vorliegenden systematischen Reviews ist es, die diversen Konzepte, Forschungsthemen und -methoden des reflexiven Schreibens zu identifizieren und zu systematsieren. Konkret werden folgenden Forschungsfragen bearbeitet: F1: Wie ist reflexives Schreiben konzeptionell in den Hochschulcurricula verankert? F2: Welche Forschungsthemen zu reflexivem Schreiben liegen vor? F3: Welche Forschungsmethoden werden für die Analyse reflexiven Schreibens in der Hochschule angewandt? Methode. Für dieses systematische Review wurden die PRISMA-Richtlinien von 2020(Page et al., 2021) herangezogen. Zur gezielten Literaturrecherche wurde die folgende Suchsyntax eingesetzt, wobei Titel, Schlagwörter und Abstracts berücksichtigt wurden: („reflective writing“ ODER „reflective practice“ ODER „written reflection“) UND („assessment“ ODER „evaluation“ ODER „analysis“) UND („student“ ODER „learner“ ODER „trainee“) UND („higher education“). Die Erstrecherche in den Datenbanken Web of Science (https://www.webofscience.com/), Scopus (https://www.scopus.com/) und Science Direct (https://www.sciencedirect.com/) ergab insgesamt 4501 Artikel. Für die Literaturauswahl wurden neun Kriterien definiert (bei den ausgewählten Studien handelt es sich um empirische Primärforschung zum reflexiven Schreiben im Hochschulbereich, die zwischen 2010 und 2023 in englischsprachigen, von Expert*innen begutachteten Zeitschriften veröffentlicht wurden, im Volltext vorliegen und mehr als fünf Seiten umfassen). Nach genauerer Betrachtung und Anwendung der festgelegten Einschlusskriterien wurden schließlich 88 Artikel für die weitere Analyse ausgewählt. Ergebnisse. Reflexives Schreiben ist als Konzept hauptsächlich in semesterbasierten Hochschulkursen in Form von gezielten Schreibaufgaben verankert. Besonders häufig ist reflexives Schreiben in der Medizin und den Gesundheitswissenschaften curricular verankert. Hinsichtlich der Forschungsthemen konnten die analysierten Artikel in drei Forschungskategorien eingruppiert werden: Bewertung reflexiven Schreibens (n = 36), reflexives Schreiben als spezifisches Evaluationsinstrument (n = 39) sowie die Analyse diverser Einflussfaktoren auf reflexives Schreiben (n = 13). Ein weiterer wichtiger Befund bezieht sich auf die in den Studien angewandten Forschungsmethoden für die Analyse reflexiven Schreibens: Die qualitative und quantitative Inhaltsanalyse ist nach wie vor die vorherrschende Forschungsmethodik, wobei sie in den letzten Jahren zunehmend in Verbindung mit Techniken des maschinellen Lernens und des Natural Language Processing verwendet wird. Zentrale Ergebnisse des systematischen Reviews und Implikationen für Forschung und Hochschulbildung werden im Vortrag diskutiert. |
Datum: Donnerstag, 21.03.2024 | |
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