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Sitzungsübersicht
Ort: S15
Seminarraum, 50 TN
Datum: Montag, 18.03.2024
10:30 - 12:101-16: Selbstregulation von Studierenden
Ort: S15
 
Paper Session

Nicht leicht vom Weg abzubekommen: Motivationsverläufe von Lernenden, die einen non-formalen Online-Kurs absolvieren

Maria Klose1, Philipp Handschuh1, Diana Steger1, Cordula Artelt1,2

1Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi), Bamberg, Deutschland; 2Lehrstuhl für Bildungsforschung im Längsschnitt, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Deutschland

Non-formales Lernen gewinnt im alltäglichen Leben immer mehr an Bedeutung (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2020). Dennoch sind die Abschlussquoten dieser Kurse eher gering (im Durchschnitt weniger als 10%; Jordan, 2014), obwohl die Lernenden anfangs hoch motiviert sind (de Barba et al., 2016). Daher stellt sich die Frage, wie sich die Motivation der Teilnehmenden über den Verlauf des Kurses verändert. Jedoch wird Motivation im non-formalen Kontext meist nicht längsschnittlich erhoben (z.B. Maya-Jariego et al., 2020; Romero-Frías et al., 2023) und dementsprechend ist über Motivationsverläufe in non-formalen Kursen nur wenig bekannt.

Ziel der Studie ist es herauszufinden, zu welchem Ausmaß sich non-formal Lernende hinsichtlich ihres anfänglichen Motivationsniveaus und ihrer Motivationsverläufe über den Zeitraum der Kursbearbeitung hinweg unterscheiden.

Ausgangspunkt für die Datenerhebung waren 51 frei zugängliche Online-Kurse der OPEN vhb (Virtuelle Hochschule Bayern, 2023). Die bis zu drei Messzeitpunkte wurden jeweils zu Beginn, nach 50% der Lektionen, sowie am Ende der Online-Kurse platziert. Die Teilnahme an den Onlinebefragungen war freiwillig. Insgesamt wurden 466 Teilnehmende (Alter in Jahren: M = 36, SD = 14.04, Range [16; 77]; davon 70.4% weiblich) in die Analysen mit einbezogen. Voraussetzung hierfür war, dass die erste Befragung ausgefüllt und eine Teilnahmebestätigung für den Kurs erreicht wurde. In allen drei Messzeitpunkten wurde situative Motivation (Subskalen intrinsische Motivation, identifizierte Regulation, introjizierte Regulation, externale Regulation und Amotivation von SIMS; Gillet et al., 2013; Guay et al., 2000) und situatives Interesse (SIS; Linnenbrink-Garcia et al., 2010) erfasst.

In einer latenten Klassenanalyse der fünf Subtypen situativer Motivation zu jeweils drei Messzeitpunkten hatte ein Modell mit vier Klassen den besten Fit. Innerhalb jeder Klasse zeigten sich die Ausprägungen der Subtypen situativer Motivation stabil über die Zeit, unterschieden sich aber in der Höhe der Ausprägung situativer Motivation. Die meisten Lernenden (N = 196) wurden dem Profil „autonomer Typ“ zugewiesen, das durch hohe Werte auf intrinsischer Motivation und identifizierter Regulation und gleichzeitig niedrigen Werten auf den anderen Subtypen gekennzeichnet ist. Darüber hinaus gab es den „kontrollierten Typ“ (N = 27) mit den höchsten mittleren Ausprägungen auf externaler Regulation und Amotivation, den „moderaten Typ“ (N = 126) mit überwiegend moderaten Ausprägungen auf allen Subtypen, und den „introjizierten Typ“ (N = 101) mit den höchsten mittleren Ausprägungen auf introjizierter Regulation.

In bivariaten Latent Change Score-Modellen wurde der Zusammenhang zwischen situativem Interesse und intrinsischer Motivation (N = 466; χ2 = 446.036; df = 189; p <.001; CFI = .943; RMSEA = .055; SRMR = .053) und zwischen situativem Interesse und externaler Regulation (N = 466; χ2 = 439.810; df = 189; p <.001; CFI = .950; RMSEA = .054; SRMR = .073) dargestellt. Es gab eine statistisch signifikante mittlere Veränderung der intrinsischen Motivation (σ² = .841, p <.001) und der externalen Regulation (σ² = .907, p = .003) von Messzeitpunkt 1 auf Messzeitpunkt 2 in Form eines Kompensationseffekts (d.h. Wachstum in intrinsischer Motivation bzw. externaler Regulation war für die Lernenden größer, die anfänglich niedrigere Werte hatten). Von Messzeitpunkt 2 auf Messzeitpunkt 3 gab es in beiden Modellen keine signifikante Veränderung.

Alles in allem zeigte situative Motivation eine bemerkenswerte Stabilität über den Zeitraum der Bearbeitung eines non-formalen Online-Kurses, wobei sich individuelle Unterschiede in der Höhe der Ausprägung der motivationalen Subtypen zeigen. Allerdings können keine Aussagen über Kursabbrechende getroffen werden. Daher diskutieren wir unsere Ergebnisse im Hinblick auf die hohen Dropoutraten in non-formalen Online-Kursen.



Paper Session

Jetzt besorgt, später hoffnungsvoll? Dynamische Netzwerkmodellierung der Zusammenhänge zwischen Emotionen und Emotionsregulation innerhalb und zwischen Studierenden während der Prüfungsvorbereitung

Martin Daumiller1, David W. Putwain2, Ulrike Nett1

1Universität Augsburg, Deutschland; 2School of Education, Liverpool John Moores University, Liverpool, UK

In Lern- und Leistungskontexten wie der Prüfungsvorbereitungsphase erleben Studierende eine Vielzahl positiver und negativer Leistungsemotionen, deren Regulierung entscheidend ist für akademischen Erfolg und Wohlbefinden (Forsblom et al., 2022; MacIntyre & Vincze, 2017; Pekrun et al., 2017; Pekrun et al., 2023). Trotz ihrer Relevanz sind Zusammenspiel und Dynamiken von Emotionen und Emotionsregulation allerdings noch wenig beforscht, zumal frühere Forschungsarbeiten primär auf between-person Ansätzen basieren (Jacobs & Gross, 2014). Zudem mangelt es an in situ Untersuchungen in anspruchsvollen Kontexten wie der Prüfungsvorbereitung (Rottweiler & Nett, 2021; Rottweiler et al., 2023)

So haben Studien Emotionsregulationsstrategien und deren Zusammenhang mit Stimmung, Affekt und diskreten Emotionen untersucht (Brans et al., 2013; Gross & John, 2003; Heiy & Cheavens, 2014). Im Rahmen meist querschnittlicher Untersuchungen wurde dabei etwa untersucht, ob eine Person, die trauriger ist als andere, auch vermehrte bestimmte Emotionsregulationsstrategien einsetzt. Es ist allerdings von entscheidender Bedeutung, die Dynamiken dieser Konstrukte im Laufe der Zeit zu verstehen, einschließlich ihrer Anpassungen in verschiedenen Situationen und ihres gegenseitigen Einflusses (Aldao et al., 2015). Aktuellen Emotionsregulationmodellen folgend (Gross, 1998; Gross, 2014; Gross, 2015; Harley et al., 2019) beeinflussen sich Leistungsemotionen und Emotionsregulation gegenseitig, wobei Emotionen verschiedene Regulationsstrategien auslösen und auch die Anwendung verschiedener Strategien die nachfolgenden Emotionen beeinflussen kann.

In dieser Studie verwendeten wir eine Experience-Sampling-Methode um Emotion und Emotionsregulation in situ zu erfassen und werteten die Daten mittels eines neuartigen statistischen Ansatzes aus, nämlich dynamischer Netzwerkmodellierung. Dieser erlaubt die simultane und multivariate Untersuchung von Zusammenhängen und Dynamiken zwischen Personen, zeitgleichen Zusammenhängen innerhalb dieser (z. B. wie kovariieren Veränderungen im emotionalen Erleben mit Veränderungen in der Nutzung von Emotionsregulationsstrategien) sowie zeitlich verzögerten Zusammenhängen (z. B. wenn eine Person mehr Ärger erlebt, welche Emotionsregulationsstrategien nutzt sie daraufhin, und umgekehrt, wie verändern sich Emotionen nach der Nutzung verschiedener Regulationsstrategien). Damit untersuchten wir die Zusammenhänge zwischen und innerhalb von Emotionen und Emotionsregulationsstrategien sowie deren zeitliche Stabilität. Wir interessierten uns insbesondere für Unterschiede in der Struktur der drei Netzwerke, da Effekte auf der Zwischenpersonenebene von den Innersubjekt-Effekten in einer spezifischen Lernsituation abweichen können. In Anlehnung an Rottweiler und Nett (2021) untersuchten wir zusätzlich Unterschiede in Abhängigkeit vom Abstand zur Prüfung (fünf Wochen vs. eine Woche vor der Prüfung) und erwarteten umso dichtere Netzwerke je näher die Prüfung.

Wir erhoben insgesamt 6,915 Experience-Sampling Angaben von 201 Studierenden zu sechs Emotionen (Freude, Stolz, Hoffnung, Zufriedenheit, Angst, Wut und Langeweile) und acht Emotionsregulationsstrategien (Unterdrücken, Ausdrücken, soziale Unterstützung, positives Neuorientieren, Aktivierung, Grübeln, Neubewerten, Handeln) während der Prüfungsvorbereitung in zwei Erhebungswellen (fünf Wochen und eine Woche vor wichtigen Prüfungen). Wir verwendeten dazu Kurzformen bewährter Skalen (Abler & Kessler, 2009; Bieg et al., 2014; Carver, 1997; Carver et al., 1989; Garnefski & Kraaij, 2007; Goetz et al., 2013; Gross & John, 2003). Für beide Erhebungszeiträume separat berechneten wir Dynamische Netzwerkanalysen, eine multivariate Form des graphical Vector Autoregressive Modeling (gVAR; Epskamp et al., 2018; Wild et al., 2010); Auswertungsskript: https://osf.io/b9x4s/?view_only=da40670d2139453598643a2ea1d31a9f.

Die Ergebnisse erbrachten unterschiedliche Cluster von Emotionen und Emotionsregulationsstrategien, wobei Handlungsaufnahme und Reappraisal eine besonders zentrale Stellung zur Erklärung der Zusammenhänge zwischen Emotionen und Emotionsregulationsstrategien einnahmen. Es fanden sich Hinweise für Auswirkungen von Emotionen auf die Anwendung von Emotionsregulationsstrategien und umgekehrt auch von Emotionsregulationsstrategien auf Emotionen, einschließlich selbstverstärkender Schleifen und Übertragungseffekte. Wir beobachteten zudem Unterschiede in der Stabilität der Konstrukte über die Zeit und zwischen den beiden Erhebungsphasen, was die Berücksichtigung nicht nur personen- und situationsspezifischer Komponenten, sondern auch des jeweiligen Kontextes unterstreicht. Emotionsregulation umfasst eine Vielzahl an Strategien, die mit individuellen und kontextbezogenen Merkmalen interagieren, was es zu einem anspruchsvollen, aber entscheidenden Forschungsbereich macht, um ein umfassendes Verständnis der Emotionsregulationsdynamik zu erlangen. Methodisch bekräftigen unsere Ergebnisse hierzu das Potenzial von dynamischen Netzwerkanalysen für Forschungsarbeiten zu diesem Thema.



Paper Session

Detecting distributed practice in logfile data: A comparison of different operationalizations and their predictive value for lasting learning

Lea Nobbe, Jasmin Breitwieser, Garvin Brod

DIPF | Leibniz Institute for Research and Information in Education, Deutschland

The distributed practice effect describes the positive effect of distributing learning over multiple sessions for long-term retention (Carpenter et al., 2012; Cepeda et al., 2006; Dunlosky et al., 2013). This effect has been studied extensively. Most investigations of distributed practice are conducted either as experiments (e.g., Cepeda et al., 2006; Moulton et al., 2006) or field studies in which self-report is used to capture distributed practice (e.g., Jost et al., 2021; Rodriguez et al., 2018). Both approaches have strengths and shortcomings. While (lab) experiments do not capture realistic study behavior, self-reports can suffer from participants’ unwillingness to share or inability to recall exactly how they studied.

With learning platforms and apps becoming more and more ubiquitous, a lot of students’ study behavior is represented in their trace data. This allows for new ways of looking at distributed practice but also new questions. Since the data are now very fine-grained, there are fewer limits to the operationalization of distributed practice. However, not all operationalizations might be equally related to relevant study outcomes such as performance.

To bring light to the question of appropriate operationalizations of distributed practice in trace data, we examined the link between various measures of distributed practice and the final grade achieved in a high-stakes exam in 339 medical students studying on a digital learning platform. Students prepared for the exam over the course of several months, mostly by answering practice questions. Usage of the learning platform allowed us to base our analyses on log files capturing the timing and nature of the learning activities performed by the students. We first operationalized distributed practice via the number of days students answered practice questions on the platform. We could additionally take into account how many questions they answered in total. Both the number of questions answered in total and the number of study days served as predictors of students’ exam scores. Stepwise linear regression models revealed that the number of days on which students answered practice questions predicted exam grades even when controlling for the number of practice questions answered in total (βquestions = 0.07, p = .289; βdays = 0.13, p = .040). Students who studied on more days and, thus, distributed their learning more scored higher on the exam.

We are currently conducting further analyses, leveraging the fine-grained resolution of our data and taking into account the variability in the amount of practice questions answered over the course of exam preparation. This allows us to place emphasis on operationalizations of distributed practice in logfile data that vary in the degree of distributed practice. By this we mean whether students may have divided their learning over several days, but may have learned different amounts on those days. In this case, their learning would be divided but unevenly distributed. However, students could also learn exactly the same amount each day. In this case, their learning would be absolutely evenly distributed. To capture varying degrees of distributed practice, we will use growth models, time series clustering, and entropy scores. In a second step, the results of the different analyses will be used as predictors in a regression model with exam performance as the dependent variable. Results will be ready in time for the presentation. We will discuss the different approaches’ differences in granularity and predictive power as well as implications for theory and (research) practice.



Paper Session

Selbstreguliertes Lernens in der Studieneingangsphase: Evaluation eines Online-Kurses zur Förderung der Motivationsregulation

Lukas Trammer1, Laura-Vanessa Kohl1, Melanie Trypke1, Laura Dörrenbächer-Ulrich2, Henrik Bellhäuser3, Yves Karlen4, Joachim Wirth5, Ferdinand Stebner1

1Universität Osnabrück, Deutschland; 2Universität des Saarlandes, Deutschland; 3Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Deutschland; 4Universität Zürich, Schweiz; 5Ruhr-Universität Bochum, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Die Fähigkeit, die eigene Motivation bewusst zu steuern, ist veränderbar (Xie et al., 2022) und spielt beim selbstregulierten Lernen (SRL) eine entscheidende Rolle (Miele et al., 2018). Studien zeigen dabei, dass die Regulation der Motivation bei Studierenden anlassspezifisch unterschiedlich gelingt (Engelschalk et al., 2015). Individuen neigen im Sinne der Erwartung-mal-Wert-Theorie (Atkinson, 1957) dazu, Handlungen zu unternehmen, bei denen sie davon ausgehen, dass ihre (Leistungs)Erwartungen erfüllt werden. Empirisch zeigt sich, dass bisher entwickelte Interventionen in der Lage sind, Selbstregulationsprozesse beim Lernen zu fördern und akademische Leistungen zu steigern (Bellhäuser et al., 2022). Dabei sollten Strategien nach Andersons Skill Acquisition Theorie (1982) auf Stufe 1 (deklaratives Wissen) erst explizit vermittelt und danach auf Stufe 2 (Prozeduralisierung) in ihrer Anwendung eingeübt werden.

Fragestellung

Im Rahmen dieser Studie wurde ein digitales Lernangebot erstellt, das die Motivationsregulation junger Studierender der ersten Hochschulsemester fokussiert und zukünftig nach erfolgreicher Evaluation über ORCA.nrw kostenlos für Studierende bereitgestellt werden soll. Es stellt sich aus Forschungsperspektive die Frage, ob die Motivationsregulation durch dieses digitale Lernangebot, das in SRL-Basiseinheiten und SRL-Auffrischungssitzungen zweigeteilt ist, gefördert werden kann. Studierende sollten in den Basiseinheiten zuerst lernen, ihre Motivationsprobleme zu diagnostizieren, bevor sie lernen, die richtigen Strategien auszuwählen und anzuwenden (konditionales Strategiewissen; z. B. Eckerlein, 2020). Es stellt sich spezifischer die Frage, ob zusätzliche Auffrischungseinheiten nach den Basiseinheiten den angenommenen Effekt der Basiseinheiten verstärken.

Methode und Lernumgebung

In dieser experimentellen 2x2+1-Studie in einem Prä-Post-Design wurden insgesamt 111 Studierende (M = 22.05, SD = 3.87, 73.9% weiblich) von Hochschulen aus dem deutschsprachigen Raum randomisiert auf fünf Versuchsbedingungen aufgeteilt: Sie erhielten über fünf Wochen hinweg entweder ein Online-Training zum selbstregulierten Lernen – bestehend aus SRL-Basiseinheiten und SRL-Auffrischungssitzungen – mit dem Schwerpunkt der Motivationsregulation (EG1), nur die oben genannten SRL-Basiseinheiten ohne SRL-Auffrischungssitzungen (EG3), alternative Basiseinheiten zum Thema Gestaltung wissenschaftlicher Arbeiten inkl. SRL-Auffrischungssitzungen (EG2), nur das alternative Angebot zur Gestaltung wiss. Arbeiten (EG4) oder gar kein Online-Training (KG).

Die SRL-Basiseinheiten und SRL-Auffrischungssitzungen greifen auf selbstproduzierte OER-Materialien wie kurzweilige Videos und interaktive Aufgaben zurück, die der Vermittlung von deklarativem und prozeduralem SRL-Strategiewissen dienen. Inhaltlich setzen sich die Studierenden mit drei typischen Motivationsproblemen auseinander: zu viel Lernmasse (Erwartungsproblem 1), mangelndes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten (Erwartungsproblem 2) sowie fehlende Sinnhaftigkeit (Wertproblem).

Neben demographischen Daten wurde vor (T1), nach den Basiseinheiten (T2) und nach den Auffrischungssitzungen (T3) das konditionale Strategiewissen erhoben, indem die Studierenden in einem Dropdown-Menü die passende Lernstrategie zum vorgegebenen Motivationsproblem auswählen sollten. Zusätzlich wurde zu T1 und T3 das subjektiv eingeschätzte Feeling of Knowing (FOK) mit drei Items eingeschätzt. Zu T3 wurde noch ein Instrument zum Lernzuwachs (Judgement of Learning; JOL), bestehend aus fünf Items, eingesetzt. FOK und JOL konnten jeweils anhand einer 7-Punkt-Likert-Skala beantwortet werden.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen einheitlich, dass die Studierenden, die die SRL-Basiseinheiten zur Motivationsregulation absolviert haben, sowohl bei dem Erwartungsproblem 1, F(8,212) = 2.36, p < .05, etap² = .08, als auch bei Erwartungsproblem 2, F(8,212) = 7.87, p < .001, etap² = .23, und dem Wertproblem, F(8,212) = 2.36, p < .001, etap² = .15, signifikant mehr konditionales Strategiewissen erwerben als die übrigen Experimentalgruppen und die Kontrollgruppe. Die SRL-Auffrischungssitzungen haben keinen zusätzlichen Lerneffekt. Bei den Instrumenten zu FOK und JOL unterscheiden sich EG 1 und EG 3 nach der Intervention nicht von der EG 2, die nur die SRL-Auffrischungssitzungen erhielt. Jedoch korrelieren FOK (.19 ≤ r ≤ .27; ps <.05) und JOL (.27 ≤ r ≤ .35; ps <.05) schwach bis mittelstark und signifikant mit dem konditionalen Strategiewissen zu T3. Weitere, differenziertere Ergebnisse sowie pädagogische Implikationen werden auf der Tagung vorgestellt und diskutiert.

 
13:10 - 14:502-16: Geschlechterrollen und gendersensible Sprache
Ort: S15
 
Paper Session

Berufliche und Familiäre Langzeiteffekte von Einstellungen zu Geschlechterrollen

Ricarda Ullrich1,3, Michael Becker2,3, Jan Scharf3

1IPN, Kiel; 2IFS, Dortmund; 3DIPF, Frankfurt

Obwohl die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt vor allem seit den 1970er Jahren deutlich zugenommen hat und Frauen in ihrer schulischen Laufbahn erfolgreicher sind, bestehen nach wie vor Ungleichheiten bei der Aufteilung der Erwerbsarbeit sowie familiären und häuslichen Pflichten (Buchmann & DiPrete, 2006; García-Mainar, Molina & Montuenga, 2011). Geschlechterrollen bilden hierbei eine mögliche Erklärungsperspektive und können als normative Erwartungen der Macht- und Arbeitsverteilung zwischen Männern und Frauen verstanden werden, die sich auf einen kulturell-historischen Kontext beziehen (Eagly & Wood, 2012). Kinder und Jugendliche entwickeln entsprechende Einstellungen zu Geschlechterrollen (Ruble & Martin, 2006). Diese Einstellungen gewinnen insbesondere am Ende der Adoleszenz und im beginnenden Erwachsenenalter an Relevanz, wenn junge Erwachsene die ersten Grundsteine für ihre künftige berufliche Laufbahn legen. Diese Einstellungen stehen im Zusammenhang mit dem Nutzen oder der sozialen Erwünschtheit von Studiums- oder Berufsoptionen, welche für den späteren beruflichen Erfolg einen kumulierenden Effekt haben können (Corrigall & Konrad, 2007; Dicke, Safavian & Eccles, 2019). Bisherige Forschung zeigte bereits Zusammenhänge zwischen Einstellungen zu Geschlechterrollen und beruflichen Erfolgsfaktoren (Christie-Mizell, 2006; Judge & Livingston, 2008) sowie familiären und häuslichen Pflichten (Duvander, 2014; Evertsson, 2014). Die wenigen Untersuchungen, die sich mit den langfristigen Zusammenhängen von frühen Einstellungen zu Geschlechterrollen und dem beruflichen Erfolg widmeten, heben eine besondere Bedeutung für Frauen hervor (Corrigall & Konrad, 2007; Dicke et al., 2019). Eine langfristige Perspektive auf die Übernahme häuslicher und familiärer Tätigkeiten blieb bisher offen.

Daher stellt sich die Frage, ob sich Einstellungen zu Geschlechterrollen bereits im jungen Erwachsenenalter soweit manifestiert haben, dass sie langfristig mit dem beruflichen Erfolg (gemessen über die Wochenarbeitszeit, das Berufsprestige, das Einkommen und den Berufssektor) sowie familiären und häuslichen Tätigkeiten (gemessen über die Elternzeit und die Haushaltstätigkeiten) 9 und 18 Jahre später im Zusammenhang stehen. Dazu wurden drei Wellen des BIJU-Datensatzes verwendet (N = 4816). Die egalitären Geschlechterrolleneinstellungen wurden im jungen Erwachsenenalter (2000/2001; mittleres Alter = 22) erhoben, während die beruflichen Erfolgsindikatoren sowie familiäre und häusliche Tätigkeiten 9 (2009/2010; mittleres Alter = 31) sowie 18 (2018; mittleres Alter = 40) Jahre später erhoben wurden. Zur Analyse wurden lineare (Einkommen, Prestige, Haushaltstätigkeiten) und logistische Mehrgruppenregressionsmodelle (Arbeitsstunden, Elternzeit) sowie multinomiale Regressionen getrennt nach Geschlecht (Berufssektor) in Mplus gerechnet.

Die Ergebnisse zeigten, dass egalitärere Geschlechterrolleneinstellungen bei jungen Frauen 9 Jahre später mit höherem Berufsprestige und 18 Jahre später mit höherem Einkommen assoziiert waren, während egalitärere Einstellungen bei jungen Männern 9 Jahre später mit weniger Einkommen und 9 und 18 Jahre später mit höherem Prestige assoziiert waren. Zudem wählten junge Männer mit egalitäreren Einstellungen eher einen Beruf im sozialen und kulturellen Sektor verglichen mit neutralen Sektoren – während die Wahl eines Berufssektors bei Frauen nicht mit ihren Geschlechterrolleneinstellungen variierte. Letztlich zeigte sich, dass Männer mit 40 Jahren mehr Haushaltstätigkeiten übernahmen, wenn sie als junge Männer egalitärere Einstellungen aufwiesen.

Die Ergebnisse betonen die Bedeutung von Einstellungen zu Geschlechterrollen junger Erwachsener für ihren langfristigen beruflichen Erfolg über einen Zeitraum von fast 20 Jahren – diese Zusammenhänge zeigten sich teilweise sogar unter Berücksichtigung der wichtigsten Prädiktoren für den beruflichen Erfolg, wie den kognitiven Fähigkeiten, dem sozioökonomischen Hintergrund und dem Schul- und Hochschulabschluss. Die Ergebnisse reihen sich in bisherige Untersuchungen ein, die positive Zusammenhänge egalitärerer Geschlechterrolleneinstellungen für den beruflichen Erfolg von Frauen verdeutlichten. Gleichzeitig werfen die Ergebnisse einen Blick auf die weniger stark untersuchte Perspektive von Männern. Dabei wird die ambivalente Bedeutung von egalitäreren Geschlechterrolleneinstellungen für den beruflichen Erfolg von Männern hervorgehoben, unterstreichen allerdings ebenso die Relevanz egalitärer Geschlechterrolleneinstellungen bei Männern für eine egalitäre Aufteilung der Haushaltsaufgaben.



Paper Session

Wie reagieren angehende Erzieher*innen auf geschlechts(un)typische Kinder: Eine experimentelle Vignettenstudie

Hannah Streck, Ursula Kessels

Freie Universität Berlin, Deutschland

Geschlechterstereotype sind kognitive Strukturen, die beeinflussen können, wie Menschen aufgrund ihres Geschlechtes bewertet werden (Ellemers, 2018). Bisherige Forschungsergebnisse zeigen, dass Verstöße gegen Geschlechterstereotype von Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern negativ bewertet werden (Braun & Davidson, 2017; Kwan et al., 2020; Rudman, Moss-Racusin, Phelan & Nauts, 2012). Bisher gibt es kaum Erkenntnisse darüber, wie solche Verstöße generationenübergreifend wahrgenommen werden. Kinder zeigen neben geschlechtstypischem (konformem) Verhalten auch oft geschlechtsuntypisches (nonkonformes) Verhalten (Sandberg, Meyer-Bahlburg, Ehrhardt & Yager, 1993); die vorliegende Studie geht der Frage nach, wie erwachsene pädagogische Fachkräfte dies wahrnehmen. In vorliegenden, aus den USA stammenden Studien hatten Erwachsene negativere Einstellungen gegenüber Kindern, die als geschlechtsnonkonform beschrieben wurden, als gegenüber geschlechtskonformen Kindern (Sullivan, Moss-Racusin, Lopez & Williams, 2018; Thomas & Blakemore, 2013). Die stärksten negativen Reaktionen zeigten sich gegenüber Jungen, die weiblich stereotypisiertes Verhalten zeigten. Diese Studien wurden mit Erwachsenen durchgeführt, die nicht aus dem Kreis pädagogischer Fachkräfte stammten. Es liegt kaum Forschung zu Einstellungen von Erwachsenen, die beruflich mit Kindern arbeiten, vor (Bochicchio et al., 2019). So fehlt es an Studien zu den Einstellungen von angehenden Erzieher*innen in Deutschland gegenüber geschlechtskonformem und -nonkonformem Verhalten von Kindern. Dies ist eine bedeutsame Forschungslücke, da Erzieher*innen zu den zentralen Sozialisationsfiguren von Kindern gehören. Zudem ist die geschlechtergerechte Erziehung für viele Eltern ein zentrales Thema, das sie auch in externen Einrichtungen umgesetzt sehen möchten (Wößmann, Lergetporer, Grewenig, Kersten & Werner, 2018).
In einer Vorstudie mit Studierenden (N=350) wurden Geschlechterstereotype über Kinder in der deutschen Gesellschaft erfasst und analog zum Vorgehen vorliegenden Studien (Koenig, 2018, Sullivan, Ciociolo & Moss-Racusin, 2022) analysiert, um Stimulusmaterialien für diese Studie zu entwickeln. In unserer experimentellen Vignettenstudie manipulierten wir in einem schriftlichen Dialog zwischen zwei Erzieher*innen das Geschlecht (männlich, weiblich) und das Verhalten (maskulin, feminin) fiktiver dreijähriger Kinder (2x2 between-subjects Design). N = 448 angehende Erzieher*innen aus 6 Berufsschulen bewerteten je eine der vier Vignetten (maskuliner Junge, maskulines Mädchen, femininer Junge, feminines Mädchen) hinsichtlich empfundener Sympathie, wahrgenommener Kompetenz, Kreativität und Selbstwert und füllten für das fiktive Kind den Strength and Difficulties Questionnaire (SDQ-Deu) aus (Koglin, Barquero, Mayer, Scheithauer & Petermann, 2007), welcher internalisierende und externalisierende Tendenzen erfasst. Es wurde die Hypothese geprüft, dass geschlechtskonforme Kinder positiver bewertet werden als Kinder, die geschlechtsnonkonformes Verhalten zeigen, und dass negative Bewertungen bei femininen Jungen am deutlichsten ausgeprägt sein werden.
Die Daten wurden mittels 2x2 ANOVAs mit Bonferroni Korrekturen analysiert. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen geschlechtskonformen und nonkonformen Kindern in Bezug auf die ihnen gegenüber empfundene Sympathie gab. Es zeigten sich jedoch signifikante Interaktionen zwischen dem Geschlecht und dem geschlechtstypischen Verhalten in Bezug auf wahrgenommene Kompetenz, Kreativität und Selbstwert des Kindes. Hier erhielten maskuline Mädchen die positivsten Bewertungen. Interessanterweise zeigten sich aber keine ausgeprägten negativen Effekte für feminine Jungen. Allerdings wurden feminine Mädchen negativer in Bezug auf Kompetenz, Kreativität und Selbstwert bewertet. Bezüglich des SDQ-Deu zeigte sich, dass maskulines Verhalten mit externalisierenden Problemen und feminines Verhalten mit internalisierenden Problemen in Zusammenhang gebracht wurde, aber sich kein Effekt der Geschlechtskonformität des jeweiligen Verhaltens fand. Dies entspricht bereits publizierten Studien, die hervorheben, dass die Richtung des geschlechtstypischen Verhaltens für die Zuschreibung von externalisierendem und internalisierendem Verhalten wichtiger sein kann als die Übereinstimmung des Verhaltens mit der eigenen Geschlechtszugehörigkeit (Thomas & Blakemore, 2013).
Wir diskutieren die von vorliegenden Studien abweichenden Befunde, z.B. dass in unserer Studie maskuline Mädchen positiver wahrgenommen wurden als feminine Mädchen und dass feminine Jungen weniger negativ bewertet wurden. Hier könnten länderspezifische Aspekte und ein Wandel der Einstellungen eine Rolle spielen. Die besonders skeptischen Einstellungen gegenüber femininen Mädchen bei pädagogischem Personal weisen auf eine Höherbewertung maskuliner Eigenschaften hin, welche gleichzeitig kritisch zu sehen ist.



Paper Session

Gendersensible Sprache in der Grundschule: Beeinflussen Erfahrungsberichte von Kindern die Einstellung von Grundschullehrkräfte?

Tina Glaser, Johanna Lux

PH Karlsruhe

Theoretischer Hintergrund: Die Verwendung gendersensibler Sprache ist im deutschen Sprachraum ein äußerst umstrittenes und polarisierendes Thema. Aktuelle Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung gendersensibler Sprache ablehnend gegenübersteht (z.B. Infratest dimap, 2021). Gleichzeitig belegen wissenschaftliche Studien, dass das generische Maskulinum nicht zu einem ausgeglichenen gedanklichen Einbezug von Frauen führt, wohingegen gendergerechte Sprache den kognitiven Einbezug von Frauen fördert (z.B. Braun et al., 1998; Gyax et al., 2008; Heise, 2000). Die meisten Studien in diesem Bereich wurden allerdings mit Erwachsenen durchgeführt und es gibt wenige Studien zur Rolle gendersensibler Sprache bei Kindern. Eine Ausnahme bildet die Studienreihe von Vervecken und Hannover (2013, 3015), die zeigen konnte, dass eine Beidnennung bei Berufsbezeichnungen u.a. dazu führte, dass Grundschulkinder sich Frauen eher in stereotyp männlichen Berufen vorstellen konnten und sich eher vorstellen konnten, einen solchen Beruf auch zu ergreifen. Diese ersten Erkenntnisse deuten darauf hin, dass eine gendersensible Sprache auch in der Grundschule schon von Bedeutung ist und positive Effekte haben kann. Daher ist es wichtig zu untersuchen, wie Akzeptanz und Nutzung gendersensibler Sprache unter Lehrkräften gefördert werden kann.

Fragestellung: Das Ziel dieser Studie war es zum einen festzustellen, welche Einstellungen Grundschullehrkräfte zu gendersensibler Sprache haben. Zum anderen untersuchte die Studie, ob die Meinung von Kindern zu gendersensibler Sprache auch die Einstellung von Grundschullehrkräften zur Nutzung gendersensibler Sprache beeinflussen kann.

Methode: Dazu wurden N = 363 Grundschullehrkräfte per Onlinestudie befragt. In einem einfaktoriellen between-subjects Design wurden die Lehrkräfte zufällig einer von drei Bedingungen zugeteilt (positive kindliche Erfahrungsberichte vs. negative kindliche Erfahrungsberichte vs. keine Erfahrungsberichte). Als abhängige Variable wurden Einstellungen zu gendersensibler Sprache allgemein, aber auch Angaben zur eigenen Nutzung gendersensibler Sprache in Schule und Unterricht erfasst. Des Weiteren wurde explorativ untersucht, ob Alter oder politische Orientierung der Versuchspersonen einen Einfluss haben.

Ergebnisse: Etwa die Hälfte der Lehrkräfte gab an, dass an ihrer Schule gendersensible Sprache nicht genutzt wird. Es zeigten sich interessante Einflüsse der experimentellen Bedingung: Lehrkräfte in der positiven Bedingung fanden die Verwendung gendersensibler Sprache sinnvoller als Lehrkräfte in der negativen Bedingung, t(241) = 3.12, p = .002, d = 0.40. Ähnliche Effekte zeigten sich für Items zur Materialauswahl und zur Verständlichkeit gendersensibler Sprache. Auch allgemeine Einstellungen zum gendern waren in der positiven Bedingung signifikant positiver als in der negativen Bedingung, t(241) = 4.18, p <.001, d = 0.54. In der negativen (vs. positiven) Bedingung gaben signifikant mehr Lehrkräfte an, nicht zu gendern, weil sie es für unnötig hielten, wohingegen in der positiven (vs. negativen) Bedingung mehr Lehrkräfte angaben, gendern für notwendig zu halten, χ² = 10.17, p = .038. Es zeigten sich keine Zusammenhänge mit dem Alter der Lehrkräfte, wohl aber mit ihrer politischen Orientierung.

Diskussion: Bei der Entwicklung hin zu einer gleichberechtigten Gesellschaft muss Sprache Berücksichtigung finden. Kinder sollten möglichst früh lernen, alle Menschen sprachlich zu inkludieren. Hierbei spielen Grundschullehrkräfte als Rollenvorbilder und Vermittler*innen von Bildung eine zentrale Rolle. Diese Studie konnte zeigen, dass kurze positive Rückmeldungen von Kindern zu gendersensibler Sprache dazu führen können, dass Lehrkräfte nicht nur selber über positivere Einstellungen zu diesem Thema verfügen, sondern auch angeben, im Unterricht stärker auf gendersensible Sprache achten zu wollen. Daraus ergibt sich, dass Genderkompetenz allgemein und gendersensible Sprache im Speziellen in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften eine wichtige Rolle spielen sollte. Gleichzeitig regen diese Daten auch zum Nachdenken darüber an, ob Erwachsene vielleicht gerade in dieser häufig hitzig geführten Diskussion zu gendergerechter Sprache von der Unvoreingenommenheit von Kindern profitieren können.



Paper Session

Sternchen, Doppelpunkt, Unterstrich: Verwirrt das unsere Kinder nicht? – Zum Effekt gender-gerechter Sprachalternativen bei Schüler:innen unterschiedlicher Klassenstufen

Christin Lotz, Anne Deiglmayr

Universität Leipzig, Deutschland

Theoretischer HIntergrund: Die Verwendung gender-gerechter Sprache wird im deutschen Sprachraum intensiv diskutiert. Der dabei häufig vorherrschenden populär-wissenschaftlichen Debatte um die positiven und negativen Effekte gender-gerechter Sprache steht allerdings nur eine geringe Anzahl an methodisch belastbaren empirischen Studien gegenüber. Diese zeigten jedoch ermutigende Ergebnisse (z.B. Horvath et al., 2016; Sczesny et al., 2016). So führte bei Erwachsenen und Studierenden beispielsweise die Verwendung gender-gerechter Sprachalternativen zu einer höheren kognitiven Repräsentation von Frauen (z.B. Braun et al., 2005; Keith et al. 2022). Im aktuellen Diskurs um das Gendern an Schulen ist allerdings noch gänzlich ungeklärt, ob sich die positiven Effekte gender-gerechter Sprache auf die kognitive Repräsentation von Frauen auch bei Schüler:innen nachweisen lassen. Unabhängig von der Frage, ob an Schulen gegendert werden sollte, stellt sich weiterhin auch die Frage, wie gegendert werden sollte. Insbesondere die Verwendung von Genderzeichen (Gender-Sternchen, Gender-Doppelpunkt) steht in der Kritik, schwerer verständlich zu sein. Empirische Studien, die die positiven oder negativen Effekte unterschiedlicher gender-gerechter Sprachalternativen im Vergleich zum generischen Maskulinum und untereinander an Schüler:innen unterschiedlicher Klassenstufen untersuchen, sind daher notwendig.

Fragestellung: Die folgende Studie untersuchte daher an Schüler:innen der Klassenstufen 5, 7, 9 und 11 den Einfluss von vier gängigen gender-gerechten Sprachalternativen (a) im Vergleich zum generischen Maskulinum und (b) im Vergleich zueinander. Dabei interessierte, erstens, der Effekt auf den kognitiven Einbezug von Frauen. Als weitere abhängige Variable betrachteten wir, zweitens, die Bearbeitungszeit als Indikator für Verständlichkeit, wobei längere Bearbeitungszeiten als ein Hinwies auf eine schwierigere Verständlichkeit der gender-gerechten Sprachalternativen interpretiert werden.

Methode: Insgesamt N = 826 Schüler:innen (Klassenstufen 5/7/9/11 n = 167/234/252/173) wurden sechs Oberkategorien (Politiker, Sänger, Influencer…) präsentiert, zu denen sie je drei Personen nennen sollten (vgl. Braun et al., 2005). Experimentell variiert wurde die Sprachform der Bezeichnung dieser Oberkategorien. Im between-subject design wurden die Schüler:innen zufällig einer der fünf Sprachformen-Bedingungen zugewiesen (Generisches Maskulinum: Politiker; Beidnennung, männlich zuerst: Politiker und Politikerinnen; Beidnennung, weiblich zuerst: Politikerinnen und Politiker; Gender-Sternchen: Politiker*innen; Gender-Doppelpunkt: Politiker:innen). Basierend auf einer männlich-weiblich-Kodierung berechneten wir als AV die relative Häufigkeit weiblicher Personen-Nennungen an der Gesamtzahl genannter Personen (Wertebereich: 0 = keine weibliche Person genannt, 1 = nur weibliche Personen genannt). Anschließend berechneten wir eine 5 (Sprachform) × 2 (Geschlecht) ANOVA für jede Klassenstufe. Selbiges führten wir für die AV Bearbeitungszeit der Personennennungs-Aufgabe durch.

Ergebnisse: Bezogen auf Fragestellung 1 (kognitiver Einbezug von Frauen) ergaben die ANOVAs für alle Klassenstufen dasselbe Ergebnis: ein signifikanter Haupteffekt für das Geschlecht der Teilnehmenden, aber weder einen signifikanten Haupteffekt für die Sprachform, noch einen signifikanten Interaktionseffekt. Der Haupteffekt Geschlecht zeigte an, dass in allen Klassenstufen Schülerinnen deutlich mehr weibliche Personen nannten als Schüler (1.99 ≤ d ≤ 2.86). Bezüglich Fragestellung 2 (Bearbeitungszeiten) resultierten über alle Klassenstufen hinweg ausschließlich nicht signifikante Haupt- und Interaktionseffekte.

Diskussion: Die Verwendung gender-gerechter Sprachalternativen zum generischen Maskulinum hatte über alle Klassenstufen hinweg keinen Effekt auf den kognitiven Einbezug von Frauen. Ebenso führte die Verwendung alternativer Sprachformen zu keiner Erhöhung oder Verringerung der Bearbeitungszeit. Aus empirischer Sicht lässt sich daher keine explizite Empfehlung für oder gegen die Verwendung einer bestimmten alternativen Sprachform zum generischen Maskulinum aussprechen. Ein Verbot der Nutzung gender-gerechter Sprache an Schulen (wie beispielweise in Sachsen oder Sachsen-Anhalt) erscheint empirisch ebenso unbegründet wie ein expliziter Zwang zum Gendern. Es erscheint daher sinnvoll, dass die vorliegenden Ergebnisse mit zukünftigen Studien zur Akzeptanz, Verständlichkeit und Praktikabilität der gender-gerechten Sprachalternativen komplementiert werden, um eindeutige praktische Empfehlungen für oder ggf. gegen eine gender-gerechte Sprachalternative im Schulkontext aussprechen zu können.

 
15:20 - 17:003-16: Sozio-emotionaler Lernkontext
Ort: S15
 
Paper Session

Effekte der Klassengemeinschaft auf die Entwicklung von Lernzielorientierung und Passungswahrnehmung beim Übergang in die Sekundarstufe I

Lukas Ramseier, Markus P. Neuenschwander

Pädagogische Hochschule FHNW, Schweiz

Theoretischer Hintergrund

Lernzielorientierung beschreibt die wahrgenommene Wichtigkeit, im Unterricht Neues zu lernen und Kompetenzen zu erweitern (Spinath, 2011). Sie ist eine Voraussetzung für schulische Leistungen und adaptive Lernstrategien und stellt daher eine wichtige motivationale Überzeugung dar (Linnebrink-Garcia, Tyson & Patall, 2008). Verschiedene Studien zeigen allerdings, dass die Lernzielorientierung beim Übertritt von der Primarstufe in die Sekundarstufe I abnimmt (Lazarides & Raufelder, 2017). Gemäss der Stage-Environment-Fit-Theorie (Eccles et al., 1993) liegt dies daran, dass die Lernumwelt nach dem Übertritt weniger den Bedürfnissen der Schüler:innen entspricht. Darunter leidet die wahrgenommene Person-Umwelt-Passung (im Folgenden: Passungswahrnehmung), die mit motivationalen Überzeugungen wie Lernzielorientierungen einhergeht. Sowohl die Passungswahrnehmung als auch die Lernzielorientierung von Schüler:innen sinken diesen Annahmen zufolge beim Übertritt in die Sekundarstufe I parallel ab. Es kann allerdings vermutet werden, dass das Kultivieren eines positiven Klassenklimas, das von einem starken Gemeinschaftssinn geprägt ist, in der Primarstufe zu einer positiven Haltung der Schüler:innen gegenüber der Schule führt, was die Entwicklung von Lernzielorientierung und Passungswahrnehmung begünstigt (Raufelder et al., 2016; Ryan, 1995). Im vorliegenden Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob a) die Entwicklung der Lernzielorientierung während des Übertritts in die Sekundarstufe I signifikant mit der Entwicklung der Passungswahrnehmung zusammenhängt und ob b) die wahrgenommene Klassengemeinschaft in der Primarstufe diese beiden Entwicklungen vorhersagt.

Bisherige Studien haben bereits Zusammenhänge zwischen der Passungswahrnehmung und motivationalen Überzeugungen festgestellt (z.B. Zimmer-Gembeck et al., 2006), im vorliegenden Beitrag wird jedoch erstmals empirisch überprüft, ob die Entwicklungsverläufe der beiden Konzepte zusammenhängen und wie diese Entwicklungsverläufe vorhergesagt werden können.

Methode

Die verwendeten Stichproben stammen aus den ersten drei Erhebungswellen des Schweizer Forschungsprojekts [Name der Studie]. Zur Überprüfung der Fragestellung wurden alle Schüler:innen ausgewählt, die zwischen dem 6. und 7. Schuljahr in die Sekundarstufe I übertraten. Die Stichprobe besteht aus N = 909 Schüler:innen (51.5% w; 48.8% m; Durchschnittsalter t1 = 10.7, SD = 0.61) der 5. (t1), 6 (t2) bzw. 7 (t3) Klasse aus zwei Schweizer Kantonen. Die Konstrukte wurden durch Fragebogen mit etablierten Instrumenten gemessen (Lernzielorientierung: drei Items nach Midgley et al., 2000, α = .62; Passungswahrnehmung: fünf Items nach Neuenschwander & Frank, 2009; α = .80; Klassengemeinschaft: vier Items nach Eder, 1997; α = .65).

Zur Überprüfung der Fragestellung wurde ein latentes Wachstumskurvenmodell (latent growth curve model, LGCM) in Mplus berechnet und der Verlauf der Lernzielorientierung sowie der Passungswahrnehmung über die drei Messzeitpunkte hinweg modelliert. Die wahrgenommene Klassengemeinschaft zum ersten Messzeitpunkt wurde als Prädiktor für die beiden Slopes in das Modell aufgenommen. Sowohl für Lernzielorientierung als auch Passungswahrnehmung wurden metrische sowie skalare Messinvarianz über die drei Messzeitpunkte hinweg nachgewiesen.

Ergebnisse

Das finale Modell wies zufriedenstellende Fit-Werte auf (χ2(330) = 630.867; p < .001; CFI = .93; RMSEA = .03; SRMR = .05). Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl die Lernzielorientierung als auch die Passungswahrnehmung über die drei Messzeitpunkte hinweg signifikant abnahmen. Die beiden Slopes korrelierten signifikant miteinander

Die Klassengemeinschaft zum ersten Messzeitpunkt zeigte signifikante Effekte auf die Slopes der Lernzielorientierung bzw. der Passungswahrnehmung. Eine ausgeprägte Klassengemeinschaft zum ersten Messzeitpunkt führt somit zu einem geringeren Rückgang der beiden Konstrukte über die weiteren Messzeitpunkte.

Bedeutung

Die Ergebnisse bestätigen die Annahme, dass die Lernzielorientierung beim Übertritt in die Sekundarstufe I abnimmt. Der signifikante Zusammenhang zwischen den negativen Entwicklungen der Lernzielorientierung und der Passungswahrnehmung zeigt, dass der Rückgang der Zielorientierung mit einem gleichzeitigen Rückgang der Passungswahrnehmung zusammenhängt, was Annahmen der Stage-Environment-Fit-Theorie bestätigt.

Weiterhin zeigt sich, dass sich die wahrgenommene Klassengemeinschaft in der Primarstufe nachhaltig auf die Veränderung der Passungswahrnehmung sowie der Lernzielorientierung auswirkt. Lehrpersonen können durch das Schaffen eines von Gemeinschaftssinn geprägten Klassenklimas in der Primarstufe dazu beitragen, dass der Übertritt in die Sekundarstufe I von einem weniger starken Rückgang der Passungswahrnehmung sowie der Lernzielorientierung begleitet wird.



Paper Session

Die Bedeutung des Lernkontextes für motivationale, emotionale und Verhaltensprozesse von Schüler*innen an Schulen in sozialräumlich deprivierter Lage

Sina Ludwig1, Julia Holzer2, Luisa Grützmacher1, Barbara Schober2, Manfred Prenzel1, Marko Lüftenegger1,2

1Zentrum für Lehrer*innenbildung, Universität Wien, Österreich; 2Fakultät für Psychologie, Institut für Psychologie der Entwicklung und Bildung, Universität Wien, Österreich

Theoretischer Hintergrund und Forschungsfrage:

Bildungsgerechtigkeit ist immer noch eine große Herausforderung im österreichischen Bildungssystem (Bruneforth et al., 2012; Lassnigg, 2015). Die Mehrgliedrigkeit des Bildungssystems bietet den Schüler*innen aufgrund der schulformspezifischen curricularen Vorgaben, Instruktionskulturen und Lehrer*innenausbildung unterschiedliche Lern- und Entwicklungsmilieus, die sich auf die Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklung der Schüler*innen auswirkt (Baumert et al., 2006, S. 98f.). Aus diesem Grund ist es in Schulen in sozial deprivierter Lage besonders wichtig einen anregenden Lernkontext zu schaffen.

Basierend auf der Self-Determination Theory kann angenommen werden, dass intrinsische Lernmotivation und Wohlbefinden in einem förderlichen Lernkontext entstehen und wiederum Prädiktoren des Lernverhaltens von Schüler*innen sind (Chiu, 2022; Ryan & Deci, 2000; Vansteenkiste et al., 2010). Anregende Kontextfaktoren sollen demnach zu einem beharrlicheren, aufmerksameren und intrinsisch motivierten Lernen beitragen.

Das Ziel dieser Studie ist es, ein tieferes Verständnis für die Lernprozesse von Mittelschüler*innen an Schulen in sozialräumlich deprivierter Lage in Österreich zu erlangen und die Forschungsfrage zu beantworten, wie der von Schüler*innen wahrgenommene Lernkontext (d.h. Beziehungen zu Lehrpersonen und Klassenkamerad*innen sowie störungsfreier Unterricht) mit motivational-emotionalen Prozessen und ihrem Lernverhalten zusammenhängt. Hierfür wird basierend auf Annahmen der Self-Determination Theory erwartet, dass der Lernkontext (d.h. ein störungsfreier Unterricht, die Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung und die Klassengemeinschaft) Beharrlichkeit und kognitive Aktivierung beim Lernen vorhersagt (direkte Effekte), mediiert über intrinsische Lernmotivation und positive Emotionen (indirekte Effekte).

Methode:

Die Stichprobe umfasst 5900 Schüler*innen von 45 österreichischen Mittelschulen in sozialräumlich deprivierter Lage. Die Daten wurden zwischen Februar und April 2022 mittels eines Online-Fragebogens mit geschlossenem Antwortformat erhoben.

In diesem wurden folgende Messinstrumente eingesetzt: (1) Störungsfreier Unterricht wurde mit drei Items gemessen (Fauth, 2021), (2) Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung sowie Klassengemeinschaft wurden mit jeweils drei Items erhoben (LFSK 4-8; Eder & Mayr, 2000), (3) intrinsische Lernmotivation wurde mit drei Items gemessen (MoMa 1.0; Gaspard et al., 2019), (4) positive Emotionen und Beharrlichkeit beim Lernen wurden jeweils mit drei Items erfasst (EPOCH-G-S-Skala; Bürger et al., 2023) und (5) kognitive Aktivierung wurde mit fünf für den Studienkontext erstellten Items gemessen. Bei allen Skalen handelt es sich um fünfstufige Likertskalen mit ausreichenden bis guten inneren Konsistenzen (ω = .64 bis .93).

Im methodischen Vorgehen wurde zunächst die Faktorenstruktur des Mediationsmodells mittels einer CFA überprüft. Anschließend wurden latente Pfadanalysen, bei der die hierarchische Datenstruktur der Schulklassen durch Cluster-robuste Standardfehler berücksichtigt wurde, mit Mplus berechnet.

Ergebnisse:

Es zeigten sich direkte Effekte des wahrgenommenen Lernkontextes auf das Lernverhalten der Schüler*innen. Konkret wurden signifikante direkte Effekte (1) der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung und (2) der Klassengemeinschaft auf kognitive Aktivierung und Beharrlichkeit, sowie (3) des störungsfreien Unterrichts auf die kognitive Aktivierung gefunden.

Indirekte Effekte des wahrgenommenen Lernkontextes auf das Lernverhalten der Schüler*innen, vermittelt über die motivational-emotionalen Mediatoren, zeigten sich ebenfalls. Signifikante indirekte Effekte (1) der Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehung, (2) der Klassengemeinschaft und (3) des störungsfreien Unterrichts auf die kognitive Aktivierung und die Beharrlichkeit, mediiert durch die intrinsische Motivation und positiven Emotionen, konnten identifiziert werden.
Die Ergebnisse sind im Einklang mit den Hypothesen. Faktoren wie gute Beziehungen zu Lehrpersonen und Klassenkamerad*innen und ein störungsfreier Unterricht können Wohlbefinden und motivationsfördernd sein und in weiterer Folge zu einem beharrlicheren und kognitiv angeregteren Lernen bei Schüler*innen beitragen. Lehrpersonen sollten sich folglich darum bemühen, für die Schüler*innen eine Lernumgebung zu schaffen, die von positiven Beziehungen geprägt und möglichst frei von Störungen ist. Die Studienergebnisse zeigen, dass an österreichischen Schulstandorten mit hohem Anteil an benachteiligten Schüler*innen ein anregender Lernkontext für die Lernprozesse der Kinder besonders wichtig ist.



Paper Session

Think-Pair-Share: Einfluss von Kooperation auf die mündliche Beteiligung (schüchterner) Schülerinnen und Schüler

Susanne Jurkowski1, Lukas Mundelsee1,2

1Universität Erfurt, Deutschland; 2Universität Heidelberg, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Die mündliche Beteiligung im Unterricht erfüllt wichtige Funktionen für das Lernen und ist mit höheren Lernfortschritten assoziiert (für einen Überblick siehe Rocca, 2010). Allerdings sind die Chancen von Schülerinnen und Schülern (SuS), sich am Unterricht zu beteiligen, nicht gleich. Beispielsweise warten Lehrkräfte im Mittel gerade einmal 2,5 Sekunden, bis sie die ersten SuS aufrufen (Heinze & Erhard, 2006). Damit bleibt den SuS wenig Zeit, um ihre Gedanken zu sortieren und schließlich zu entscheiden, ob sie sich melden. Dies scheint besonders problematisch für schüchterne SuS zu sein, die vielleicht gute Ideen haben, aber zögern, sich zu beteiligen.

„Think-Pair-Share“ (TPS) ist eine Lehrmethode aus dem kooperativen Lernen. Dabei denken die Schüler zunächst allein über eine Frage nach (Think-Phase), besprechen sie dann mit einem Lernpartner (Pair-Phase) und melden sich schließlich, um ihre Ideen mit der ganzen Klasse zu teilen (Share-Phase). Damit bietet TPS den SuS die Möglichkeit, ihre Ideen zu überprüfen, zu vertiefen und ihr Vertrauen in die eigene Antwort zu stärken. Deshalb wird von TPS behauptet, dass es die Beteiligung aller, insbesondere aber der schüchternen SuS erhöhen könnte (Coplan & Rudasill, 2016). In einer experimentellen Feldstudie überprüften wir die Forschungsfragen, (a) ob TPS die Meldehäufigkeit von (schüchternen) SuS im Vergleich zu zwei anderen Unterrichtsmethoden erhöht und (b) welche Gründe es für das (Nicht-)Melden gibt.

Methode

Die Stichprobe bestand aus 393 SuS (MAlter = 14.36, SDAlter = 0.60). Schüchternheit wurde mittels Fragebogen erfasst. Anschließend wurden die SuS von der Lehrkraft gefragt, wie bestimmte Faktoren (z.B. Naturkatastrophen) mit dem weltweiten Hunger in Verbindung stehen. Unter Verwendung eines kontrollierten Crossover-Designs durchliefen die SuS schließlich drei Bedingungen: (1) Kontrollbedingung ohne Think- oder Pair-Phase (S-Bedingung), (2) Bedingung mit 1-minütiger Think-Phase (TS-Bedingung) sowie (3) vollständige TPS-Bedingung mit zusätzlicher 2-minütiger Pair-Phase. Zu Beginn jeder Share-Phase wiederholte die Lehrkraft die Frage und wartete 10 Sekunden auf Meldungen. Anschließend wurden die SuS gebeten, einen kurzen Fragebogen zu ihrer Meldung, ihren Motiven für das (Nicht-)Melden und ihrer Zustandsangst auszufüllen. Meldungen und Motive dienten in den Analysen als abhängige Variablen, die Zustandsangst als Mediator, während die experimentelle Bedingung, Schüchternheit und deren Interaktion als unabhängige Variablen fungierten. Mit den eingesammelten Notizen der SuS sowie Beobachtungen konnten wir die Gültigkeit des selbstberichteten Meldens bestätigen.

Ergebnisse

In den Multilevel-Hauptanalysen zeigten die Kontraste einen signifikanten Unterschied in den Meldungen der TPS- gegenüber der S-Bedingung und keine signifikanten Unterschiede für die anderen Kontraste. Dieses Muster blieb stabil, wenn Schüchternheit in das Modell mit aufgenommen wurde, die Interaktionseffekte mit Schüchternheit wurden jedoch nicht signifikant. Analysen der Motive für das (Nicht-)Melden zeigten, dass schüchterne SuS das Nichtmelden häufiger mit Unsicherheit und der Unlust, im Mittelpunkt stehen zu wollen, begründeten. Eine Multilevel-Mediationsanalyse ergab einen signifikanten indirekten Effekt für TPS, wenn die Bedingung mit TS verglichen wurde, und einen marginalen indirekten Effekt, wenn TPS mit S verglichen wurde, was darauf hindeutet, dass der positive Effekt von TPS auf die Meldungen durch ein geringeres Maß an Zustandsangst vermittelt wird.

Diskussion

Die Studie zeigt, dass TPS im Vergleich zum traditionellen Unterrichtsansatz, bei dem die Lehrkraft eine Frage stellt und darauf wartet, dass sich die SuS melden und ihre Antwort sagen (S-Bedingung), die Meldehäufigkeit erhöhen kann. Wir fanden diese positive Beziehung nur für TPS und nicht für TS, was nahelegt, dass der Gedankenaustausch mit einem Partner das Vertrauen in die eigenen Antworten und die Bereitschaft, diese mit der Klasse zu teilen, fördern kann. Die Mediationsanalysen deuten darauf hin, dass teilweise auf eine niedrigere Zustandsangst in der TPS-Bedingung zurückgeführt werden kann. Schüchternere SuS scheinen zwar nicht im besonderen Maße, jedoch ähnlich stark von TPS zu profitieren wie weniger schüchterne SuS. Für schüchterne SuS war die soziale Bewertung das Hauptmotiv, warum sie sich nicht meldeten.



Paper Session

Die Bedeutung von Supervision für emotionales Erleben und langfristige Karriereintention von Nachwuchswissenschaftler:innen

Ronja Steinhauser1, Oliver Dickhäuser1, Raven Rinas2, Martin Daumiller2, Markus Dresel2, Stefan Janke1

1Universität Mannheim, Deutschland; 2Universität Augsburg, Deutschland

Hochschulen sind nicht nur für Studierende, sondern auch für Nachwuchswissenschaftler:innen ein wichtiger Bildungs- und Qualifikationskontext. Während Bildungsprozesse und ‑entscheidungen in dieser Gruppe noch weit weniger beforscht sind, weisen Studien darauf hin, dass viele Nachwuchswissenschaftler:innen im Verlauf ihrer Tätigkeit das Interesse an einer langfristigen wissenschaftlichen Karriere verlieren. Dieser Rückgang der wissenschaftlichen Karriereintention steht nicht nur im Zusammenhang mit Stellenknappheit, sondern auch mit Faktoren wie hohem Stressempfinden im Arbeitskontext (Dorenkamp & Weiß, 2018; Roach & Sauermann, 2017). Um den Verlust von wissenschaftlichem Talent zu minimieren, ist es von Bedeutung, die Wirkmechanismen hinter diesem Phänomen besser zu verstehen.

Ein wichtiger kontextueller Einflussfaktor dürfte hierbei die Supervision von Nachwuchswissenschaftler:innen sein (De Clercq et al., 2019; Scaffidi & Berman, 2011). Entsprechend der Selbstbestimmungstheorie zeichnet sich eine wohlbefindensförderliche Supervision insbesondere dadurch aus, dass die psychologischen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit unterstützt werden (Van der Linden et al., 2018). Dabei wird angenommen, dass Autonomieunterstützung (z. B. Einbeziehen in wichtige Entscheidungen), Strukturierung (Förderung von Kompetenzerleben; z. B. Erwartungen deutlich machen) und soziale Unterstützung (z. B. Wertschätzung unabhängig von Leistung) diese Grundbedürfnisse unterstützen und dadurch Wohlbefinden fördern (Larson et al., 2019; Wollast et al., 2023).

Bisherige Forschung im Promotionskontext legt insbesondere nahe, dass bedürfnisförderliches Supervisionsverhalten positiv mit Persistenz der Promovierenden assoziiert ist (Van der Linden et al., 2018), wobei dieser Zusammenhang vermutlich zumindest anteilig durch emotionales Erleben vermittelt wird (Wollast et al., 2023). Dabei wurde bisher allerdings Persistenz ausschließlich aus der Perspektive des Promotionsabbruchs und nicht im Sinne einer langfristigen wissenschaftlichen Karriereintention betrachtet. Darüber hinaus gibt es bisher keine Befunde zur differenziellen Bedeutsamkeit verschiedener diskreter Emotionen wie Freude, Ärger oder Angst.

Um diese Forschungslücke zu schließen, führten wir eine Online-Umfrage mit 292 Nachwuchswissenschaftler:innen (69.5% Doktorand:innen, 30.5% Postdoktorand:innen, 53% weiblich, MAlter = 32.0) durch, in der diese unter anderem zur Autonomieunterstützung, Strukturierung und sozialen Unterstützung ihrer Supervisor:innen (Van der Linden et al., 2018), den erlebten Emotionen Freude, Angst und Ärger während ihrer Forschungsarbeit und ihrer langfristigen wissenschaftlichen Karriereintention Auskunft gaben. Zur Beantwortung der Forschungsfrage berechneten wir ein Pfadmodell unter Verwendung einer Maximum-Likelihood-Schätzung mit robusten Standardfehlern.

Für Autonomieunterstützung und Strukturierung zeigten sich positive Assoziationen mit Freude. Darüber hinaus zeigten sich nur für Autonomieunterstützung negative Assoziationen mit Ärger und Angst. Für soziale Unterstützung zeigten sich keine bedeutsamen Zusammenhänge. Freude fungierte darüber hinaus als Mediator für den Zusammenhang zwischen Strukturierung und der Absicht, langfristig in der Wissenschaft zu arbeiten. Auch wenn Angst nicht als Mediator fungierte, zeigte sich als Nebenbefund ein positiver Zusammenhang mit der Absicht, langfristig in der Wissenschaft zu arbeiten. Explorative Analysen weisen auf differenzielle Zusammenhangsmuster für Nachwuchswissenschaftler:innen unterschiedlicher Karrierestufen hin, beispielsweise in der Form, dass Autonomiegewährung eine größere Rolle für Postdoktorand:innen als für Doktorand:innen spielt.

Die Befunde der Studie stellen die Bedeutung von Supervisor:innen für Wohlbefinden und Karrieregestaltung von Nachwuchswissenschaftler:innen heraus. Insbesondere Autonomieunterstützung und Strukturierung scheinen zu einem positiveren emotionalen Erleben von Nachwuchswissenschaftler:innen zu führen. Die erlebte Freude bei der Arbeit scheint wiederum eine langfristige Karriere in der Wissenschaft attraktiver zu machen. Wie auch in anderen Studien zeigten sich keine Zusammenhänge zwischen sozialer Unterstützung der Supervisor:innen, Emotionen und langfristigen Karriereplänen. Dies deutet darauf hin, dass die soziale Unterstützung in den Hintergrund rückt, wenn Autonomieunterstützung und Strukturierung gegeben sind. Die Ergebnisse unterstreichen, dass bei der Ausbildung von Nachwuchswissenschaftler:innen auch kontextuelle Faktoren, wie Supervision, verstärkt in den Blick genommen werden sollten. Dabei scheint nicht nur die Art der Unterstützung bedeutend zu sein, sondern auch, inwiefern diese auf den aktuellen Betreuungsabschnitt der Nachwuchswissenschaftler:innen und die damit einhergehenden Bedürfnisse abgestimmt ist. Fortbildungsmaßnahmen zu autonomiegewährender und strukturierender Supervision könnten Supervisor:innen dabei unterstützen, qualitativ hochwertige Betreuung zu bieten, die wiederum Wohlbefinden und Persistenz bei jungen Wissenschaftler:innen fördert.

 
Datum: Dienstag, 19.03.2024
10:30 - 12:104-16: Feedback und Scaffolding
Ort: S15
 
Paper Session

Mathematikleistungen von Grundschulkindern im Zusammenhang mit dem von ihnen wahrgenommenen Feedback und ihrer Motivation im Mathematikunterricht

Nils Finke, Frank Hellmich

Universität Paderborn, Deutschland

Für Lernprozesse von Kindern im Grundschulalter ist das Feedback von Lehrkräften von zentraler Bedeutung. Dabei beschreibt das Feedback Informationen, die Grundschullehrkräfte ihren Schüler*innen zukommen lassen, wenn sie „Lernprozesse oder Verhaltensänderungen“ unterstützen möchten (Strijbos & Müller, 2014, S. 122). Grundsätzlich können dabei verschiedene Formen des Feedbacks unterschieden werden. Positives Feedback kann bestärkend wahrgenommen und als Lob verstanden werden (Pintrich & Schunk, 2002). Demgegenüber formulieren Lehrkräfte negatives Feedback dann, wenn Kinder eine Aufgabe nicht erfolgreich bearbeitet haben oder ein Wortbeitrag im Klassengespräch nicht richtig gewesen ist (Fong et al., 2019).

Entlang des ‚Erwartungs-mal-Wert-Modells‘ von Eccles (2005) ist davon auszugehen, dass sich das von Kindern wahrgenommene Feedback auf ihre Motivation und auf ihre domänenspezifischen Kompetenzen auswirkt. Dementsprechend ist zu erwarten, dass das positive und das negative Feedback Effekte auf die intrinsische Motivation (Burnett & Mandel, 2010; Hattie, 2012; Hattie & Timperley, 2007) sowie auf die Lernleistungen (Baliram & Youde, 2018) der Schüler*innen hat. Als intrinsische Motivation wird der „Wunsch oder die Absicht“ verstanden „eine bestimmte Handlung durchzuführen, weil die Handlung selbst als interessant, spannend, herausfordernd usw. erscheint“ (Schiefele & Köller, 2010, S. 336). Positives Feedback – so wird in Anlehnung an Eccles (2005) vermutet – begünstigt die intrinsische Motivation, wohingegen negativ formuliertes Feedback dafür sorgen kann, dass die intrinsische Motivation sowie die Lernleistungen der Kinder abgeschwächt werden.

In verschiedenen Studien konnten Hinweise dafür gefunden werden, dass Zusammenhänge zwischen dem wahrgenommenen positiven Feedback der Schüler*innen sowie ihrer Motivation existieren (z. B. Burnett & Mandel, 2010), ebenso wie Zusammenhänge zwischen positivem Feedback und den Leistungen von Schüler*innen (Baliram & Youde, 2018). Ferner konnte gezeigt werden, dass negatives Feedback einen negativen Effekt auf die Leistung der Kinder in der Schule hat (Kluger & DeNisi, 1996). Weitgehend ungeklärt ist jedoch, ob und inwiefern die Effekte des von Grundschüler*innen wahrgenommenen Feedbacks auf ihre Lernleistungen durch ihre Lernmotivation mediiert werden (Geister et al., 2006).

In unserer Untersuchung wurden N=701 Kinder der dritten und vierten Jahrgangsstufe an Grundschulen anhand eines Paper-Pencil-Fragebogens im Mathematikunterricht zu ihrem wahrgenommenen Feedback, ihrer Motivation sowie zur ihrer Mathematikleistung befragt. Die Kinder wurden in dem Fragebogen dazu aufgefordert, Stellung zu der Häufigkeit des von ihnen wahrgenommenen positiven Feedback („Gut gemacht!“, 6 Items, Burnett, 2002, Alpha=.85) und dem wahrgenommenen negativen Feedback („Das war nicht gut!“; 6 Items, Burnett, 2002, Alpha=.82) im Mathematikunterricht zu nehmen. Darüber hinaus gaben die Kinder Auskunft über ihre intrinsische Motivation („Matheaufgaben löse ich gerne.“; 5 Items, Thomas & Müller, 2011, Alpha=.92). Die Mathematikleistungen wurden anhand des Deutschen Mathematiktests für dritte oder vierte Klassen (DEMAT 3+, Roick et al., 2018; DEMAT 4, Gölitz et al., 2006) erfasst.

Die Befunde aus einem Strukturgleichungsmodell in Mplus (Muthén & Muthén, 1998–2023) zeigen, dass die Mathematikleistungen der an der Studie beteiligten Kinder – bei einer aufgeklärten Varianz von 17,5 Prozent – einerseits durch das von ihnen wahrgenommene negative Feedback sowie andererseits durch ihre intrinsische Motivation erklärt werden kann. Weiterhin wird deutlich, dass die Effekte des wahrgenommenen negativen Feedbacks auf die Mathematikleistungen durch die intrinsische Motivation mediiert werden. Entgegen den Annahmen stellt das wahrgenommene positive Feedback keinen signifikanten Prädiktor für die Mathematikleistungen dar. Die intrinsische Motivation der Kinder wird bei einer aufgeklärten Varianz von 21,8 Prozent durch das von ihnen wahrgenommene positive sowie negative Feedback erklärt.

Zusammenfassend geben die Befunde aus unserer Studie Hinweise auf die Bedeutung des wahrgenommenen Feedbacks von Kindern für ihre intrinsische Motivation und ihre Mathematikleistungen.



Paper Session

Leistungsrückmeldepraxis an Grundschulen: Erste Ergebnisse aus dem baden-württembergischen Schulversuch „Lernförderliche Leistungsrückmeldung in der Grundschule“ (LLr)

Juliane Rutsch1, Hübner Nicolas2, Ruth-Herbein Evelin1, Eckermann Torsten3, Fauth Benjamin1

1Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg; 2Universität Tübingen; 3Pädagogische Hochschule Freiburg

Einleitung. Fragen nach der Lernförderlichkeit von Noten gegenüber alternativen Formen der Leistungsrückmeldung werden kontrovers diskutiert (Brügelmann, 2014; Beutel & Pant, 2020; Koenka et al., 2021). Während kritische Stimmen häufig eine Abschaffung von Noten fordern und dies mit Problemen in Bezug auf ihre Vergleichbarkeit, ihre Aussagekraft und negative Auswirkungen auf die Motivation und das Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern begründen, betonen Befürworterinnen und Befürworter ihre Bedeutung für das Einschätzen der eigenen Leistung, Kommunikationsprozesse und Anreize zur Leistungsverbesserung (vgl. Hübner et al., im Druck). Trotz zahlreicher Einzelstudien, die positive Auswirkungen alternativer Formen von Leistungsrückmeldungen, beispielsweise von Feedback, aufzeigen (z.B. Hattie & Timperley 2007; Wisniewski, Zierer & Hattie, 2020), ist die Studienlage zu den Vor- und Nachteilen einer flächendeckenden Abschaffung von Schulnoten erstaunlich überschaubar und die Befundlage uneindeutig (vgl. Beutel & Pant, 2020; Wagner & Valtin, 2003).

Zur Versachlichung der oben skizzierten Debatte wird in Baden-Württemberg in den Jahren 2022 bis 2026 der Schulversuch „Lernförderliche Leistungsrückmeldung in der Grundschule“ (LLr) umgesetzt (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2023). Innerhalb des Schulversuchs vergeben die Lehrkräfte über die gesamte Grundschulzeit hinweg keine Noten, sondern setzen stattdessen (verstärkt) alternative Formen der Leistungsrückmeldung ein, u.a. Kompetenzrückmeldebögen in Rasterform statt Zeugnissen. Derzeit haben alle Grundschulen in Baden-Württemberg außerdem die Möglichkeit, die Lernverlaufsdiagnostik quop zu nutzen (Souvignier, Förster & Salaschek, 2014).

Fragestellungen. 1) Finden sich zwischen Lehrkräften an Schulversuchs- und Vergleichsschulen Unterschiede in Bezug auf die selbst berichtete Leistungsrückmeldepraxis? 2) Zeigen sich Unterschiede in der Entwicklung der Leistungsrückmeldepraxis zwischen Schulversuchs- und Vergleichsschulen im ersten Jahr des Schulversuchs?

Methode. An 35 Schulversuchsschulen und 37 Vergleichsschulen wurden Lehrkräfte, die im Schuljahr 2022/2023 eine 2. Klasse unterrichteten, im Dezember 2022 (SG: N = 69, 93% weiblich; VG: N = 54, 100% weiblich; MZP1) und im Juli 2023 (SG: N = 58, 94% weiblich; VG: N = 41, 100% weiblich; MZP2) mit einem standardisierten Online-Fragebogen befragt u.a. zu ihrer Feedbackpraxis, zur Nutzung verschiedener Leistungsrückmeldeformen zur Leistungserfassung und -beurteilung, zur Häufigkeit von individuellen Schülergesprächen, zur Nutzung der Lernverlaufsdiagnostik quop (alles selbst generierte Items) sowie zu gewählten Bezugsnormen (Baumert et al., 2019).

Ergebnisse. In der Schulversuchsgruppe wiesen die Lehrkräfte zu MZP1 höhere Ausprägungen auf den Skalen Feedbackpraxis (t(104) = 2.08, p = .04) sowie individuelle Bezugsnormorientierung (t(101) = 2.31, p = .02) und eine geringere Ausprägung auf der Skala soziale Bezugsnormorientierung (t(105) = 2.5, p = .03) auf. Diese Unterschiede wurden zu MZP2 nicht mehr festgestellt. Daneben berichtete die Schulversuchsgruppe zu MZP1, dass zur Leistungserfassung häufiger Portfolios (t(106) = 3.06, p = .003) und Lerntagebücher (t(105) = 2.9, p = .004) und zur Leistungsbeurteilung häufiger Lernentwicklungsgespräche (t(107) = 2.1, p = .038) und Portfolios (t(104) = 3.14, p = .002) eingesetzt wurden. Diese Unterschiede bestanden auch zu MZP2; zusätzlich berichten die Lehrkräfte eine häufigere Nutzung von Rasterzeugnissen (t(86) = 3.94, p = <.001) und Beurteilungsrastern (t(90) = 2.5, p = .013) zur Leistungsbeurteilung. Bezugnehmend auf Forschungsfrage 2 fand in der Schulversuchsgruppe dahingehend eine Entwicklung statt, dass häufiger Präsentationen zur Leistungserfassung (t(35) = −2.14, p = .039) sowie häufiger Rasterzeugnisse (t(28) = −2.56, p = .016) und Beurteilungsraster (t(33) = −2.24, p = .03) zur Leistungsbeurteilung eingesetzt wurden. In der Vergleichsgruppe zeigten sich diesbezüglich keine Veränderungen. Lehrkräfte in der Schulversuchsgruppe nutzen häufiger die Lernverlaufsdiagnostik quop (t(94) = 3.59, p = <.001).

Diskussion. Die Befunde legen nahe, dass Lehrkräfte an den Schulversuchsschulen häufiger alternative Formen zur Leistungserfassung und zur Leistungsbeurteilung nutzen. Die zu Beginn des Schulversuchs identifizierten Unterschiede zwischen Schulversuchsschulen und Vergleichsschulen verstärkten sich im Verlauf des ersten Jahres des Schulversuchs. Diese ersten Befunde weisen darauf hin, dass das durch den Schulversuch intendierte Ziel einer verstärkten Nutzung von alternativen Formaten der Leistungsrückmeldung erreicht wurde.



Paper Session

Das Konzept des Scaffolding im Rahmen des Forschungsprojektes „Fair Debattieren und Erörtern“

Lucas Deutzmann, Prof. Dr. Winnie-Karen Giera

Universität Potsdam, Deutschland

Die literale Basiskompetenz des Schreibens wird von der Europäischen Union als „Schlüsselkompetenz“ sowie als „Teil des lebenslangen Lernens“ (Europäische Union, 2019) bezeichnet. Vor dem Hintergrund des coronabedingten Unterrichtsausfalls in den vergangenen Jahren hat die Förderung von Schreibkompetenz auch in Deutschland zusätzliche Bedeutung gewonnen (KMK, 2022; Stanat et al., 2021). Das Schreiben einer dialektischen Erörterung stellt dabei innerhalb der Sekundarstufe I eine relevante Schreibaufgabe dar, ist diese in Berlin und Brandenburg obligatorischer Bestandteil der MSA-Prüfungen in Klasse 10 im Fach Deutsch (MBJS, 2021). Eine Möglichkeit, die Schreibkompetenz aller Schüler:innen mithilfe von Scaffolds („Lerngerüsten“, Gibbons, 2015; Wood et al., 1976) zu fördern, stellt der Self-Regulated-Strategy-Developement-Ansatz (kurz: SRSD-Ansatz) dar (Graham & Harris, 2017, 1993). Zahlreiche internationale Studien belegen den positiven Effekt des SRSD-Ansatzes auf die Schreibkompetenz (Sun et al., 2022; Washburn et al., 2016), während im deutschsprachigen Raum bisher nur eine vergleichsweise geringe Datengrundlage hierzu besteht (Giera, 2020; Schilcher et al, 2020). Angesichts jenes Forschungsdesiderats geht das vorliegende Promotionsprojekt folgender Fragestellung nach: Wie wirkt sich eine Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern nach dem SRSD-Ansatz und die dazugehörigen Scaffolds auf die Schreibkompetenz in Form der holistischen Textqualität von dialektischen Erörterungen bei Schüler:innen der 9. Jahrgangsstufe (N = 143) an zwei nicht-gymnasialen allgemeinbildenden Schulen aus?

Die genannte Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern wurde innerhalb von sechs Unterrichtsstunden (jeweils 90 Minuten) im Sinne des Design-Based-Research-Ansatzes (Howell et al., 2021) im Rahmen des Projekts Fair Debattieren und Erörtern durchgeführt. Jene Interventionsstudie untersucht im Längsschnitt die wechselseitige Beeinflussung von Debattierkompetenz und Schreibkompetenz in der 9. Jahrgangsstufe. Hierfür wurde neben der Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern (Treatment E) auch eine Unterrichtsreihe zum Debattieren (Treatment D) durchgeführt und insgesamt 1024 Schüler:innentexten (dialektische Erörterungen) zu vier Messzeitpunkten digital erhoben.

Für die Beantwortung der oben genannten Fragestellung wurden im Rahmen des Promotionsvorhabens aus diesem Korpus die Erörterungstexte von insgesamt sieben Lerngruppen der 9. Jahrgangsstufe an zwei nicht-gymnasialen Schulen in Brandenburg (N = 381) extrahiert, wozu Schüler:innentexte von vier randomisierten Interventionsgruppen mit den Treatmentreihenfolgen DE (n = 115) und ED (n = 118) sowie von drei Kontrollgruppen (n = 148) gehören. Die Texte wurden anhand von vier Schreibaufgaben ausgewählter MSA-Prüfungen der letzten zehn Jahre zu vier Messzeitpunkten erhoben und im Mixed-Methods-Designs folgendermaßen analysiert: a) Auf quantitativer Ebene wird die Schreibkompetenz in Form der holistischen Textqualität (ermittelt im Double-Blind-Rating auf einer 5-Punkt-Skala nach IMOSS-Kodierverfahren, Neumann & Matthiesen, 2011; Interrater-Reliabilität κ = .828., α = 0,90) als Indikator für Schreibkompetenz (Neumann, 2017) von dialektischen Erörterungen zu allen vier Messzeitpunkten betrachtet. Um die Gruppenunterschiede zu einem Messzeitpunkt zu untersuchen, wird die deskriptive Statistik durch einfaktorielle Varianzanalysen ergänzt (Rost, 2022). b) Zur Erklärung der unter a) ermittelten Werte erfolgt auf qualitativer Ebene die Beschreibung der Prozesse der Planung, Durchführung und Reflexion der Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern für die vier Interventionsgruppen unter Zuhilfenahme von (digitalen) Feldnotizen der Trainer:innen (Bortz & Döring, 2016).

Insbesondere die Scaffolds in Form des Modellierens des Schreibprozesses durch die Lehrkraft sowie die Nutzung eines Schreibplans erwiesen sich als ergiebig für die Entwicklung der Schreibkompetenzen. Die Ergebnisse zeigen, dass diejenigen Versuchsgruppen die höchste Textqualität aufweisen, welche zuvor die Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern absolvierten (t2 und t3). Die Effektstärken nach Cohen liegen im Vergleich zur Kontrollgruppe für t2 bei d = 0.29 und für t3 bei d = 0.36. Auch acht Wochen nach der Intervention weisen die Interventionsgruppen eine höhere durchschnittliche holistische Textqualität als die Kontrollgruppen auf (MDE = 2,46; MED = 2,57; MKG = 2,11; d = 0.35 bzw. 0.47). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern nach dem SRSD-Ansatz und deren Scaffolds das Potenzial besitzen, die Schreibkompetenz bei Schüler:innen der Sekundarstufe I an nicht-gymnasialen Schulen nachhaltig zu fördern.



Paper Session

„Fair Debattieren und Erörtern“ – ein evidenzbasiertes und prüfungsvorbereitendes Schreibprojekt im neunten Jahrgang

Prof. Dr. Winnie-Karen Giera, Lucas Deutzmann, Dr. Sarah Risse

Universität Potsdam, Deutschland

Ein zentrales Ziel der inklusiven Deutschdidaktik ist es, Schüler:innen der Sekundarstufe I durch die Vermittlung literaler Kompetenzen den Zugang zu Bildungsabschlüssen zu ermöglichen und dadurch Bildungsgerechtigkeit zu erzielen (OECD, 2021). Schulleistungsstudien zeigen, dass Schüler:innen Barrieren im Bildungsverlauf aufweisen, wenn ihnen diese literalen Kompetenzen fehlen (OECD 2021; Neumann, 2010). Daher gilt es, alle Schüler:innen, und besonders diejenigen mit gering ausgeprägten literalen Fähigkeiten, zu fördern, damit diese im beruflichen, kulturellen und politischen Kontext gesellschaftlich partizipieren können. Das mündliche und schriftliche Abwägen von Argumenten eröffnet durch das simultane sprachliche und demokratische Handeln ergiebige Möglichkeiten, literale Kompetenzen und das Bestreben zur politischen und gesellschaftlichen Teilhabe bei Schüler:innen zu fördern (Achour et al. 2020; Winkler, 2005). Ungeachtet der Relevanz von dialektischen Erörterungen als obligatorischer Bestandteil der MSA-Prüfung Deutsch lässt sich der Einfluss des mündlichen Argumentierens auf die Fähigkeit zum Schreiben jener Textsorte am Ende der Sekundarstufe I als Forschungsdesiderat bezeichnen.

Auf der Grundlage jenes Forschungsstandes wurde das Unterrichts- und Forschungsprojekt Fair Debattieren und Erörtern konzipiert. Dabei handelt es sich um eine kontrollierte, quasi-experimentelle Interventionsstudie im Paneldesign in der Klassenstufe 9 (N = 357), an welcher gymnasiale (n = 189) und nicht-gymnasiale Schüler:innen (n = 168) in Brandenburg teilnahmen. In diesem Kontext wird die zentrale Fragestellung untersucht, wie (schrift-)sprachliche Kompetenzen von Schüler:innen im neunten Jahrgang durch zwei Unterrichtsreihen zu den Themen Debattieren und schriftliches Erörtern erfasst und weiterentwickelt werden können. Die Studie untersucht hierbei die wechselseitige Beeinflussung von Debattierkompetenz und Schreibkompetenz. In diesem Zusammenhang gingen die geschulten Mitglieder des Lehrstuhlteams im Sinne des Design-Based-Research-Ansatzes (Howell et al., 2021) in das Feld Schule, um die Intervention in Form von insgesamt 12 Unterrichtsstunden von jeweils 90 Minuten (pro Treatment sechs Unterrichtsstunden) durchzuführen. Die Unterrichtsreihe zum Debattieren (Treatment D) basierte auf dem Format Jugend debattiert (Hielscher et al., 2019) die Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern (Treatment E) auf dem Self-Regulated-Strategy-Developement-Ansatz (kurz SRSD, Graham & Harris, 1993). Das Projekt wurde in der ersten Phase (11/2021-05/2022) pilotiert und im Sinne des DBR-Ansatzes auch in Kooperation mit Lehrkräften evaluiert und angepasst. Der innovative Charakter der Datenerhebung liegt in der Erfassung der Schreibprozesse mithilfe der digitalen Erhebungsplattform Gorilla.sc. begründet, welche zu vier Messzeitpunkten in randomisierten Interventionsgruppen (n = 239) sowie in Kontrollgruppen (n = 118) erfolgte. Die Messung der Schreibkompetenz wurde in diesem Zusammenhang durch vier Schreibaufgaben (Textsorte dialektischen Erörterung) ausgewählter MSA-Prüfungen der letzten zehn Jahre realisiert. 90% der Erörterungstexte (n = 1024) wurden, angelehnt an das IMOSS-Kodierverfahren (Neumann & Matthiesen, 2011), im Double-Blind-Verfahren holistisch und analytisch codiert (Cohen’s Kappa =.828). Die Datenaufbereitung erfolgte durch R Studio in Form von Mehr-Ebenen-Analysen sowie Subgruppen-Analysen.

Der Vortrag fokussiert die holistische Textqualität als Indikator für Schreibkompetenz (5-Punkt-Skala) sowie die Schreibprozesse anhand der erfassten Zeit im digitalen Schreibplan (in Minuten). Die Ergebnisse zeigen, dass sich die durchschnittliche holistische Textqualität in denjenigen Interventionsgruppen signifikant bis höchst signifikant verbessert, welche zuvor die Unterrichtsreihe zum schriftlichen Erörtern absolvierten. Dies gilt insbesondere für nicht-gymnasiale Schüler:innen (t1 vs. t2 Verbesserung von M = 1,09 auf M = 2,46, p < .001**, t2 vs. t3 von M = 2,11 auf M = 2,60, p .014*). Hinsichtlich der Zeit im digitalen Schreibplan ist besonders auffällig, dass nicht-gymnasiale Schüler:innen auch nach dem Projekt, und unabhängig von der Treatmentreihenfolge, signifikant (p .009*) länger den Schreibplan nutzen als die Teilnehmer:innen am Gymnasium und sogar höchst signifikant länger (p <. 001**) als die Kontrollgruppen. Die Ergebnisse verdeutlichen das Potenzial des Projekts sowie des SRSD-Ansatzes zur Förderung von Schreibkompetenzen als literaler Basiskompetenz, insbesondere bei nicht-gymnasialen Schüler:innen. Zudem heben sie die Relevanz von Interventionsstudien im Längsschnitt im DBR-Design hervor, um Transferprozesse zwischen Universität und Unterrichtspraxis zu initiieren.

 
13:10 - 14:505-16: Bewertung von Schülerleistungen
Ort: S15
 
Paper Session

Anspruch und Wirklichkeit bei der Vergabe mündlicher Schulnoten: Befunde einer repräsentativen Befragung von Lehrpersonen

Nicolas Hübner

Universität Tübingen, Deutschland

Theoretischer Hintergrund. Bereits seit langer Zeit werden Schulnoten höchst kontrovers diskutiert (Beutel & Pant, 2020; Hübner et al., im Druck; Ingenkamp, 1971). Die Diskussionen resultieren insbesondere aus dem wahrgenommenen Widerspruch zwischen ihrer großen Relevanz für eine erfolgreiche Bewerbung um Ausbildungs- oder Studienplätze einerseits und ihrer sehr eingeschränkten Vergleichbarkeit und unklaren Bedeutung andererseits (Bohl, 2019; Hübner et al., 2020). Letzteres verdeutlicht sich an einer Reihe von Einzelbefunden: Lehrkräfte vergeben für eine identische Klassenarbeit unterschiedliche Noten, beziehen leistungsirrelevante Kriterien in ihre Beurteilung ein und kommen zu verschiedenen Zeitpunkten zu unterschiedlichen Urteilen über identische Leistungen von Schülerinnen und Schülern (vgl. Birkel, 2005; Bonefeld & Dickhäuser, 2018; Brügelmann, 2014; Hannover & Kessels, 2011). Zudem weisen Schülerinnen und Schüler mit identischen Schulnoten deutlich unterschiedliche Kompetenzen auf (Hübner et al., im Druck). Zusammenfassend erfüllen Noten diagnostische Gütekriterien daher nur in einem sehr überschaubaren Maße, sodass in Bezug auf ihre Vergleichbarkeit in der aktuellen Literatur auch von einer notwendigen, aber kontrafaktischen Annahme gesprochen wird (Klieme, 2022, S. 320). Einen „blinden Fleck“ in den immer wieder aufkeimenden Debatten zur Vergleichbarkeit von Noten bilden mündliche Schulnoten. Dies ist erstaunlich, weil mündlichen Noten auch rechtlich ein substanzieller Einfluss auf Zeugnisnoten eingeräumt wird. So ist bisher beispielsweise weitestgehend unklar, welche Informationen Lehrkräfte zur Bildung von mündlichen Noten heranziehen und wie diese gewichtet und verrechnet werden. Es fehlen folglich zentrale Wissensbausteine, um den Prozess der Bildung von Zeugnisnoten und die Bedeutung von mündlichen Noten insgesamt besser verstehen zu können.

Fragestellung. Im Vortrag werden drei Fragestellungen beantwortet: Welche Kriterien verwenden Lehrkräfte bei der Bildung mündlicher Noten und wie werden diese gewichtet? Wie stark variieren die Kriterien zwischen Lehrkräften? Welche Lehrermerkmale erklären Variation in der Gewichtung unterschiedlicher Kriterien?

Methode. Zur Untersuchung der Fragestellungen wurde zunächst eine Pilotierungsstudie mit 55 Lehrpersonen aus Baden-Württemberg durchgeführt. Im Rahmen der Pilotierung erfolgte eine Überprüfung der Verständlichkeit und psychometrischen Qualität der eingesetzten und zum Teil neu entwickelten Instrumente. Im Anschluss an die Pilotierungsstudie wurde im Herbst 2023 eine repräsentative Stichprobe von rund 1.100 Lehrpersonen in Deutschland zu ihrer Notenbildungspraxis befragt. Neben Fragen zur Demographie (Schulform, Alter, Geschlecht, etc.) wurden die Lehrkräfte auch gefragt, welche Bedeutung unterschiedliche Kriterien (z.B. die Qualität von Gruppenarbeiten und Antworten bei Abfragen oder die Selbständigkeit der Schülerinnen und Schüler) bei der Bildung mündlicher Noten auf einer Skala von 1 (sehr unwichtig) bis 6 (sehr wichtig) für sie haben und wie sie mündliche Noten bei der Bildung von Gesamtnoten gewichten. Zudem wurden Informationen zur Bezugsnormorientierung, zu wahrgenommenen Herausforderungen bei der Beurteilung mündlicher Leistungen und zur Persönlichkeit der Lehrpersonen erfasst. Zur Analyse der Daten wurden unterschiedliche bivariate und multiple Regressionsmodelle sowie Strukturgleichungsmodelle spezifiziert. Fehlende Werte wurden mit der Full Information Maximum Likelihood (FIML)-Methode behandelt. Zur Berücksichtigung der Nestung der Daten (Lehrer in Bundesländern) wurden clusterrobuste Standardfehler berechnet.

Ergebnisse und ihre Bedeutung. Erste Ergebnisse legen substanzielle Unterschiede bei der Gewichtung der verschiedenen Beurteilungskriterien zwischen Lehrpersonen nahe. So zeigte sich beispielweise, dass die Häufigkeit der SchülerInnenbeteiligung an Unterrichtsgesprächen von 25% der Lehrpersonen als eher nicht wichtig, von 42% als eher wichtig und von 33% als sehr wichtig eingeschätzt wurde. Darüber hinaus ergaben sich statistisch bedeutsame Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen von Lehrkräften und der Gewichtung der verschiedenen Beurteilungskriterien (z.B. r = -.33 (p < .05) zwischen dem Kriterium „Regelmäßige Erledigung von Hausaufgaben“ und der Offenheit der Lehrpersonen). Zusammenfassend weisen diese ersten Befunde darauf hin, dass die für die Bildung von mündlichen Noten relevanten Kriterien bei Lehrpersonen substanziell variieren und im Zusammenhang mit Hintergrundmerkmalen von Lehrpersonen (z.B. der Persönlichkeit) zu stehen scheinen. Die Befunde werden im Vortrag differenziert dargestellt sowie hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern diskutiert.



Paper Session

Leistungsbewertung im schulischen Kontext - Eine empirische Untersuchung des Zusammenhangs von Kompetenzen und Noten unter Berücksichtigung der Bezugsnormorientierung

Robert Reggentin, Katrin Böhme

Universität Potsdam, Deutschland

Die Bezugsnorm und die Bezugsnormorientierung, d.h. die Neigung von Lehrkräften in der Leistungsbewertung verschiedene Normen (sozial, individuell, kriterial) als Bezugsrahmen heranzuziehen (Rheinberg, 2006), sind schon lange Teil des Forschungsdiskurses der empirischen Bildungsforschung (Rheinberg et al., 1977; Holder und Kessels, 2018). So konnte bisher gezeigt werden, dass die Bezugsnormorientierung die Leistungsbereitungsbereitschaft in Testsituationen von Studierenden beeinflusst (Sülz, 2014). Zudem neigen Schüler:innen eher dazu bei der Leistungserbringung zu betrügen, wenn sie eine Leistungsbewertung durch die Lehrkraft antizipieren, die sich stärker an der sozialen Bezugsnorm orientiert (Marksteiner et al., 2021). Auf Basis dieser Forschung wurden bereits kultusministerielle Empfehlungen zur Verwendung von Bezugsnormen in der schulischen Leistungsbewertung abgeleitet (z. B. in Baden-Württemberg; Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, 2016).

Nichtsdestotrotz fehlt es bisher an empirischen Untersuchungen dazu, wie groß der Einfluss der Bezugsnormorientierung auf die schulische Leistungsbewertung ist. Im vorliegenden Beitrag wird daher untersucht, ob und inwieweit sich die von den Lehrkräften präferierte Bezugsnorm bei der Leistungsbewertung auf die Vergleichbarkeit von Schulnoten über den Klassenkontext hinaus, und damit auch auf die Selektionsfunktion von Noten (Breidenstein, 2018), auswirkt.

Unter der Maßgabe, dass über Bildungsstandards operationalisierte Kompetenzen und Schulnoten ähnliche Maße derselben akademischen Leistungen von Schüler:innen sind (Stanat et al. 2017), werden in diesem Beitrag die Zusammenhänge zwischen Noten und gemessenen Kompetenzen in Abhängigkeit von der präferierten Bezugsnorm der notengebenden Lehrkraft analysiert. Da die Bildungsstandards zu den kriterialen Standards gehören, die auf die kriteriale Bezugsnorm angewendet werden (Klieme et al. 2010), vermuten wir einen höheren Zusammenhang zwischen den Schulnoten und den Kompetenzen bei einer kriterialen Bezugsnorm der notengebenden Lehrkraft im Vergleich zu den anderen Bezugsnormen (Hypothese 1). Eine weitere Hypothese bezieht sich auf die soziale Bezugsnorm. Da bei Anwendung der sozialen Bezugsnorm die Leistungen der gesamten Klasse als Referenz für die Leistungsbeurteilung genutzt werden, nehmen wir an, dass der durchschnittliche Leistungsstand in der Klasse einen moderierenden Effekt auf den Zusammenhang zwischen Noten und gemessenen Kompetenzen hat (Hypothese 2).

Zur Prüfung der Hypothesen nutzen wir den Datensatz des IQB-Bildungstrends 2016 (Stanat et al., 2019) mit einer Analysestichprobe von 14.240 Schüler:innen der 4. Klasse und 724 Lehrkräften. Es wurden nur Schüler:innen in die Analyse aufgenommen, zu denen es Angaben der Lehrkräfte zur präferierten Bezugsnormorientierung gab. Außerdem wurden die Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausgeschlossen, da die Möglichkeit besteht, dass diese Schüler:innen nach einem anderen Maßstab bewertet wurden.

Zur Datenanalyse wurde R in der Version 4.2.3 (R Core Team, 2023) und das lme4 Package für Mehrebenen-Regressionsmodelle verwendet. Es wurden getrennte Modelle für die Fächer Mathematik und Deutsch gerechnet. Die schrittweise Analyse des Mehrebenenmodells zeigt im Nullmodell für Mathematik und Deutsch keine relevante Varianz auf der Ebene der Bezugsnormen der Lehrkraft (ICC <.00). Damit zeigen sich auch nur vernachlässigbare Unterschiede im Random-Intercept-Modell sowohl für Deutsch als auch für Mathematik. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass es keine signifikanten und relevanten Unterschiede zwischen Noten und gemessenen Kompetenzen in Abhängigkeit von der präferierten Bezugsnorm der notengebenden Lehrkraft gibt. Zur weiteren Absicherung der Ergebnisse wurde unter Kontrolle der kognitiven Fähigkeiten zusätzlich ein Mehrgruppen Bi-Faktormodell geschätzt, welches zu vergleichbaren Ergebnissen kommt.

Keine der formulierten Hypothesen konnte bestätigt werden. Dies deutet darauf hin, dass es im Durchschnitt keine Unterschiede in der Benotung der Lehrkräfte in Abhängigkeit von der präferierten Bezugsnorm und dem Kompetenzniveau der Schüler:innen gibt. Wir konnten jedoch Unterschiede in der Varianz beobachten. In Anknüpfung an diese Befunde werden im Beitrag forschungspraktische und didaktische Implikationen für die Bezugsnormorientierung von Lehrkräften in der schulischen Leistungsbewertung diskutiert.



Paper Session

Untersuchung der Beziehungen zwischen Urteilsakkuratheit, Unterrichtsqualität und Leistung: komplexer als gedacht?

Dimitra Kolovou1, Jan Hochweber1, Anna-Katharina Praetorius2

1Pädagogische Hochschule St. Gallen, Schweiz; 2Universität Zürich, Schweiz

Theoretischer Hintergrund

Die Urteilsakkuratheit von Lehrkräften bezieht sich auf ihre Fähigkeit, Merkmale (z.B. Leistung) ihrer Schüler:innen akkurat einzuschätzen (Schrader & Praetorius, 2018). Da sich Lehrkräfte bei ihren täglichen Unterrichtsentscheidungen auf ihre Urteile der Leistung der Schüler:innen stützen, wird deren Akkuratheit als wichtig für einen qualitativ hochwertigen Unterricht und für die Leistungsentwicklung angesehen (Thiede et al., 2019). Obwohl diese Grundannahme die Forschung zur Urteilsakkuratheit motiviert hat, gibt es nur wenige empirische Belege dafür (Urhahne & Wijnia, 2021).

Bei Betrachtung der wenigen Studien zu den Beziehungen zwischen Urteilsakkuratheit, Unterrichtsqualität und Leistung zeigt sich, dass 1) verschiedene (Sub-)Dimensionen der Unterrichtsqualität ausgewählt wurden, oft ohne Bezug auf Modelle der Unterrichtsqualität, 2) die Beziehungen zwischen den Variablen unterschiedlich modelliert wurden, oft ohne fundierte Argumentationen zum angenommenen Mechanismus. Untersucht werden entweder a) Interaktionseffekte zwischen Urteilsakkuratheit und Unterrichtsqualität auf die Leistung oder b) Mediationseffekte der Urteilsakkuratheit über die Unterrichtsqualität. Die erste Gruppe unterscheidet sich auch darin, welche Variable als Moderator betrachtet wird (d. h. Urteilungsakkuratheit oder Unterrichtsqualität als Moderator). Obwohl dieser Unterschied statistisch unter Verwendung von Interaktionstermen keine Rolle spielt, ist er bezüglich des angenommenen zugrunde liegenden Mechanismus nicht unbedeutsam. Schliesslich bleibt in manchen Studien unklar, ob der untersuchte Mechanismus aus inhaltlichen Gründen oder datengestützt gewählt wurde.

Ziele und Fragestellungen

Ziel unseres Beitrags war es daher, den Forschungsstand etwas systematischer zusammenzufassen, kritisch zu reflektieren und darauf aufbauend die Beziehungen zwischen Urteilsakkuratheit, Unterrichtsqualität und Leistung empirisch zu untersuchen. Dabei stützten wir uns auf das MAIN-Teach-Modell (Charalambous & Praetorius, 2020), um die verschiedenen untersuchten (Sub-)Dimensionen der Unterrichtsqualität zu strukturieren und über ihre Rolle bei der Modellierung der Beziehungen zu reflektieren. Zusammengefasst wurden Ergebnisse aus Studien zu Interaktionseffekten, Mediationseffekten und Zusammenhängen zwischen Urteilsakkuratheit und Unterrichtsqualität nach folgenden Aspekten: untersuchter Mechanismus, untersuchte (Sub-)Dimension der Unterrichtsqualität, Fach, Klasse, signifikante Ergebnisse. Für unsere empirische Studie haben wir auf der Grundlage der Ergebnisse der Literaturübersicht, theoretischer Überlegungen anhand von Angebots-Nutzungs-Modellen, in der Studie verfügbaren Skalen zur Unterrichtsqualität sowie statistischer Überlegungen für die Untersuchung von Mediationseffekte entschieden und folgende Fragestellung untersucht: Inwiefern werden die Effekte der Urteilsakkuratheit auf die Leistung im Fach Deutsch durch die Unterrichtsqualität mediiert?

Methode

Analysiert wurden Daten von 35 Deutschlehrkräfte und 646 Sekundarschüler:innen aus der deutschsprachigen Schweiz. Die Urteilsakkuaratheit wurde mit zwei Indikatoren auf Schüler:innen- und Klassenebene erfasst. Die abhängige Variable war die Deutschleistung der Schüler:innen am Ende der 9. Klasse unter Kontrolle der Leistung zu Beginn der 7. Klasse. Mehrere Aspekte von Unterrichtsqualitätsdimensionen, die nach dem MAIN-Teach-Modell in direktem Zusammenhang mit dem Lernen der Schüler:innen stehen (individuelle Unterstützung, Verständlichkeit und Klarheit, kognitive Aktivierung und Konsolidierung), wurden erfasst und auf ihre mediierende Rolle hin untersucht. Die Daten wurden im Längsschnitt mit Mehrebenen-Regressionsmodellen unter Verwendung von Korrekturmethoden für kleine Stichproben analysiert.

Ergebnisse und Bedeutung

Gemäß unserer Literaturübersicht zeigte sich die empirische Evidenz wenig schlüssig; statistisch signifikante Ergebnisse zeigten sich für Interaktions- als auch für Mediationseffekte, wobei die Urteilsakkuratheit mit denjenigen Dimensionen in Verbindung stand, die nach dem MAIN-Teach-Modell direkt auf die Unterstützung des Lernens der Schüler:innen ausgerichtet sind (z.B. Kognitive Aktivierung).

In der empirischen Studie konnten wir keine Mediationseffekte finden. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass akkurat eingeschätzte Schüler:innen am Ende der 9. Klasse bessere Leistungen zeigten und den Unterricht positiver wahrnahmen als unterschätzte Schüler:innen, wenn es um Möglichkeiten und ausreichende Zeit zum Üben der angestrebten Kenntnisse/Fertigkeiten ging. Darüber hinaus weisen die Ergebnisse unserer Studie in Verbindung mit unserer Literaturübersicht auf den Bedarf an theoretischen Modellen hin, die sich mit den möglichen Wirkmechanismen zwischen den interessierenden Variablen befassen. Die Beziehungen zwischen Urteilsakkuratheit, Unterrichtsqualität und Leistung sind möglicherweise komplexer als bisher angenommen und lassen sich vielleicht besser durch Modelle erklären, die sowohl Mediation als auch Moderation auf der Grundlage fundierter Überlegungen kombinieren.



Paper Session

Worauf achten Mathematiklehrkräfte bei der Diagnose von Schülerlösungen? Eine Analyse der Blickbewegungen

Christian Schons, Anselm Strohmaier, Alina Kadluba, Andreas Obersteiner

Technische Universität München, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Das Diagnostizieren des Lernstandes von Schülerinnen und Schülern gehört zu den Kernfacetten professioneller Lehrkräftekompetenz (KMK, 2004). Dabei umfasst Diagnosekompetenz individuelle Dispositionen (z.B. Professionswissen), situationsspezifische Prozesse und Diagnoseakkuratheit (Blömeke et al., 2015). Während sich viele Studien auf Diagnoseakkuratheit fokussierten (Urhahne & Wijnia, 2021), ist auch ein tieferes Verständnis des Diagnoseprozesses notwendig (Heitzmann et al., 2019). Bisherige Studien untersuchten den Diagnoseprozess vorwiegend beim Beurteilen von Aufgabenschwierigkeiten (z.B. Rieu et al., 2022; Schreiter et al., 2022). Aus fachdidaktischer Perspektive ist neben der Diagnose von Aufgabenschwierigkeiten auch die Diagnose von Schülerlösungen interessant, da diese eine Grundlage für eine adaptive und individuelle Förderung bietet (Hardy et al., 2019).

Diagnoseprozesse wurden bei Medizinern vielfach untersucht, insbesondere durch Analyse der Blickbewegungen (Al-Moteri et al., 2017). Es zeigten sich schon in der ersten Phase des Diagnoseprozesses Unterschiede in der Diagnosekompetenz: Während Experten diagnostische Items global betrachten, indem sie in der ersten Phase die relevanten Merkmale nur identifizieren (ohne sie intensiver zu verarbeiten), beginnen Novizen direkt nach Identifikation erster relevanter Merkmale mit deren intensiver Verarbeitung (Kundel et al., 2008).

Bei Mathematiklehrkräften wurde der Diagnoseprozess bisher noch nicht aus dieser Perspektive erforscht und verstanden. Insbesondere ist unklar, ob Mathematiklehrkräfte 1) vor allem auf fehlerhafte Schülerlösungen fokussieren oder auch auf diagnostische Aufgaben in korrekten Schülerlösungen achten (die auch diagnoserelevant sind) und ob sie 2) während der Diagnose von Schülerlösungen zunächst global vorgehen oder schon in der ersten Phase mit der intensiveren Verarbeitung diagnostischer Aufgaben beginnen.

Diese Studie untersucht daher die Frage, wie intensiv und wie lange angehende Mathematiklehrkräfte diagnostische und nicht diagnostische Aufgaben in korrekten und fehlerhaften Schülerlösungen während der ersten Phase des Diagnoseprozesses verarbeiten.

Methode

An der Studie nahmen 33 Lehramtsstudierende in Mathematik teil (Semesteranzahl M = 2.7, Alter M = 25.0, 42.4% weiblich). Die Teilnehmenden sollten systematische Fehler in zwölf Items mit Schülerlösungen zur Bruchrechnung diagnostizieren (6 korrekt, 6 fehlerhaft) an einem Eye Tracker (Tobii Pro Spectrum). In jedem Item waren die Schülerlösungen zu vier Bruchrechenaufgaben gleichen Typs dargestellt, von denen jeweils zwei Aufgaben diagnostisches Potential (Hammer et al., 2023) besaßen und damit relevant für die Diagnose waren (diagnostische Aufgaben), während zwei Aufgaben kein diagnostisches Potential besaßen.

Zur Analyse der Blickbewegungen wurden Areas of Interests (AOIs) für die vier Aufgaben definiert. Untersucht wurde der Diagnoseprozess bis zum Zeitpunkt, an dem der Blick auf allen vier AOIs verweilte und sie wieder verließ. Als Blickbewegungsparameter wurden für jede AOI die mittlere Fixationsdauer und die Gesamtfixationsdauer als Indikatoren dafür verwendet, wie intensiv und wie lange die Schülerlösungen verarbeitet wurden.

Ergebnisse

Es wurden lineare Mischmodelle für die beiden Blickbewegungsparameter mit den Faktoren Fehler (ja/ nein) sowie diagnostische Aufgabe (ja/ nein) als feste Effekte sowie Teilnehmende und Item als Zufallseffekte berechnet.

Für die mittlere Fixationsdauer zeigte sich ein Haupteffekt von diagnostische Aufgabe: In diagnostischen Aufgaben war die mittlere Fixationsdauer höher als in nicht diagnostischen Aufgaben (β = .23, p < .01). Es zeigte sich auch ein Interaktionseffekt (β = 0.37, p < .001): Bei diagnostischen Aufgaben in fehlerhaften Items war die mittlere Fixationsdauer höher als bei diagnostischen Aufgaben in korrekten Items. Für die Gesamtfixationsdauer zeigte sich ebenfalls ein Interaktionseffekt (β = 0.88, p < .001): In den fehlerhaften Items wurden diagnostische Aufgaben länger fixiert als in korrekten Items.

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmenden diagnostische Aufgaben sowohl in korrekten Schülerlösungen als auch in fehlerhaften Schülerlösungen in der ersten Phase des Diagnoseprozesses intensiver verarbeiteten als nicht diagnostische Aufgaben und folglich identifizierten. Außerdem verarbeiteten sie fehlerhafte diagnostische Aufgaben länger und intensiver, was nicht auf ein globales Vorgehen hindeutet, wie man es von Experten kennt (Al-Moteri et al., 2017). Diese Studie zeigt das Potential von Blickbewegungen zur Erforschung des Diagnoseprozesses von Mathematiklehrkräften.

 
15:20 - 17:006-16: Lesen und Schreiben
Ort: S15
 
Paper Session

Lesestrategien bei leseschwachen Schülerinnen und Schülern wirksam fördern - Einblicke in eine Fördermaßnahme an Haupt- und Werkrealschulen

Nora Fröhlich1,2, Alexandra Dehmel1, Seda Yilmaz Wörfel3, Simone Jambor-Fahlen3, Benjamin Fauth1,2

1Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW); 2Eberhard Karls Universität Tübingen; 3Mercator Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache

Die Vermittlung von Lesestrategien ist eine von mehreren wirksamen Möglichkeiten das Lesen zu fördern (Edmonds et al., 2009; Mayer & Marks, 2019; Willenberg, 2004). In den vergangenen Jahren wurden einige Interventionen zur Förderung der Lesestrategien umgesetzt (Okkinga et al., 2018; Pearson & Cervetti, 2017) und international vergleichende Studien zeigen, dass Lernende der Sekundarstufe in Deutschland über das höchste Lesestrategiewissen verfügen (Diedrich et al., 2018). Allerdings ist der Anteil leseschwacher Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe mit 20.7% weiterhin sehr hoch (Weis et al., 2018). Möglicherweise werden Lesestrategietrainings häufig als kurzfristige und isolierte Maßnahme angeboten und werden somit nicht nachhaltig in den Schulalltag integriert (Pearson & Cervetti, 2017). Darüber hinaus stellt die Umsetzung einer wissenschaftsbasierten Maßnahme in der Schulpraxis häufig eine Herausforderungen dar (Philipp & Souvignier, 2016). Verschiedene Rahmenbedingungen, beispielsweise Unterstützung durch die Schulleitung, können zu einer erfolgreichen Implementation beitragen (Schrader et al., 2020).

Basierend auf dieser Ausgangslage ließ das Kultusministerium Baden-Württemberg vom Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache ein evidenzbasiertes Training zur Förderung der Basiskompetenzen im Lesen (Leseflüssigkeit, Lesestrategien) und Schreiben (Schreibflüssigkeit, Schreibstrategien) für Fünftklässlerinnen und Fünftklässler an Haupt- und Werkrealschulen in Baden-Württemberg entwickeln. Die Fördermaßnahme wurde im gesamten Schuljahr 2021/22 in 49 Schulen als Pilotprojekt („Die Textprofis“) erprobt. Langfristig soll das Training jedes Schuljahr in der 5. Klassenstufe an allen Haupt- und Werkrealschulen stattfinden. In diesem Beitrag wird der Fokus auf die Förderung der Lesestrategien gelegt. Diese sollte in einem Zeitrahmen von 8 Wochen an 2 bis 4 Tagen die Woche im Umfang von 20 bis 40-minütigen Einheiten umgesetzt werden. Fachberaterinnen und Fachberater führten flankierende Fortbildungen für die Lehrkräfte durch und begleiteten die Schulen in der Umsetzungsphase.

Die Evaluation des Lesestrategietrainings wurde vom Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) mit Unterstützung des MI durchgeführt. Im Fokus des Beitrags steht zum einen die Frage, ob das Lesestrategie-Training wirksam war. Zum anderen wird der Frage nachgegangen, welche Rahmenbedingungen die wirksame Implementation des Trainings beeinflussen.

Zur Beantwortung der Fragen wurden Daten von N = 1063 Schülerinnen und Schülern aus 69 Klassen der 5. Jahrgangsstufe herangezogen (44.98 % weiblich, 73.92% mit Migrationshintergrund), die an dem Prätest- oder Posttest zu den Lesestrategien teilgenommen haben. Die Stichprobe teilt sich wegen des quasi-experimentellen Designs in eine Interventionsgruppe mit 56 Klassen (n = 872) und eine Vergleichsgruppe mit 13 Klassen (n = 191) auf. Zur Erfassung der Lesestrategien wurde ein Test zur Erfassung des Anwendungswissen von Lesestrategien (Knips et al., 2021; angelehnt an Souvignier & Mokhlesgerami, 2006) vor Beginn und nach Abschluss der Förderung eingesetzt. Weiterhin wurden die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte in der Interventionsgruppe u.a. zur Dauer und Häufigkeit des Trainings befragt. Darüber hinaus wurden über die Lehrkräfte beispielsweise Kontextmerkmale zur Schule und dem Kollegium erfasst (z.B. Unterstützung durch die Schulleitung).

Um die Wirksamkeit des Lesestrategie-Trainings zu untersuchen, wurden Mehrebenenregressionen mit den Posttestwerten (ICC1 = .23) als abhängige Variable berechnet. Auf Individualebene wurden die am Klassenmittelwert zentrierten Prätestwerte (ICC1 = .17) als Prädiktor aufgenommen, auf der Klassenebene die Gruppenzugehörigkeit sowie die aggregierten Klassenmittelwerte des Prätests. Die Ergebnisse zeigen, dass höhere Werte im Prätest sowie die Zugehörigkeit zur Interventionsgruppe zu besseren Leistungen im Posttest führen. Die Cross-Level-Interaktion fiel nicht signifikant aus. In weiteren Analyseschritten wird wegen der fehlenden Randomisierung eine CACE-Modellierung vorgenommen. Außerdem werden Aspekte der Implementation (z.B. Häufigkeit & Dauer des Trainings sowie Unterstützung durch die Schulleitung) und deren Zusammenlang mit der Leistung in weiteren Modellen untersucht. Die Ergebnisse dieser Analysen sollen in diesem Beitrag vorgestellt werden.

Dadurch, dass die Studie nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch Rahmenbedingungen der Implementation untersucht, können die Ergebnisse Aufschluss dazu geben, welche Rahmenbedingungen zur erfolgreichen Umsetzung einer wissenschaftsbasierten Intervention in der Praxis beitragen (vgl. Schrader et al., 2020).



Paper Session

Schlechte Rechtschreibung, aber gutes Selbstkonzept? Die Rolle der Konzeption ‚Lesen durch Schreiben‘ und ihrer unterrichtlichen Umsetzung für Rechtschreibleistung und Selbstkonzept im ersten und zweiten Schuljahr

Miriam Hess1, Ann-Katrin Denn2, Widmer Anna-Katharina1, Frank Lipowsky3

1Universität Bamberg; 2Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit, Kassel; 3Universität Kassel

‚Lesen durch Schreiben‘ ist eine vielfach kritisierte Konzeption für den Schriftspracherwerb (z.B. Krauß, 2014), in der mit einer Anlauttabelle gearbeitet wird, ohne dass zunächst eine Korrektur orthografischer Fehler erfolgt (Reichen, 2003). In der bisher einzigen Metanalyse von Funke (2014) ergaben sich inkonsistente Befunde für die Rechtschreibung. Kuhl (2020) wies hingegen eine deutliche Überlegenheit eines fibelorientierten Ansatzes für die orthografischen Leistungen nach. Nur in wenigen Studien wurden allerdings individuelle Einflussfaktoren auf die Leistungen kontrolliert. Darüber hinaus wurde in bisherigen Studien die Mehrebenenstruktur der Daten nicht berücksichtigt. Zudem wurden Effekte auf affektiv-motivationale Variablen bisher kaum untersucht. Vereinzelte Ergebnisse hierzu deuten an, dass Grundschüler:innen unabhängig von der didaktischen Konzeption für den Schriftspracherwerb hochmotiviert sind (Kuhl, 2020), dass allerdings die Furcht vor Misserfolg in lehrgangsorientierten Konzeptionen eher zunimmt (Friedrich, 2010). Da Konzeptionen im Unterricht sehr unterschiedlich umgesetzt werden, ist bisher auch ungeklärt, welche konkreten Aspekte der Umsetzung einer Konzeption einen Einfluss auf die Entwicklung der Schüler:innen ausüben.

Folgende Fragen stehen im Fokus des vorliegenden Beitrags: Welche Effekte hat die Rolle, die das Konzept 'Lesen durch Schreiben' im Unterricht spielt, auf die Rechtschreibleistungen sowie das Schreib-Selbstkonzept am Ende des ersten und zweiten Schuljahres, wenn man relevante Voraussetzungen der Lernenden kontrolliert? Inwiefern bleiben mögliche Effekte der Rolle von 'Lesen durch Schreiben' bestehen, wenn konkrete unterrichtliche Variablen – wie z.B. der Umgang mit Fehlern, die Differenzierung des Unterrichts oder der Grad der Selbstständigkeit, den die Lehrkraft den Schüler:innen gewährt – in die Analysen einbezogen werden?

In der Längsschnittstudie PERLE (Lipowsky et al., 2013) wurden die Lehrpersonen der teilnehmenden 31 Klassen (N=507 Kinder) mittels Fragebogen zu Beginn des ersten Schuljahres u.a. gebeten, die Rolle, die 'Lesen durch Schreiben' in ihrem Unterricht spielt, auf einer vierstufigen Skala einzuschätzen sowie weitere Angaben zur Gestaltung ihres schriftsprachlichen Anfangsunterrichts zu machen. Die Rechtschreibleistungen wurden jeweils zum Ende des ersten und zweiten Schuljahres mit dem Test DERET (Stock & Schneider, 2008) erhoben, die Erfolgserwartung und das Selbstkonzept im Schreiben mit einer selbstentwickelten Skala (Greb et al., 2011). Die Vorläuferfertigkeiten wurden mit einer Adaption des LEst 4-7 (Moser, Berweger & Lüchinger-Hutter, 2004) erfasst.

Die Mehrebenenanalysen zeigen unter Kontrolle von Geschlecht, schriftsprachlichen Vorläuferfertigkeiten und Erfolgserwartung zu Beginn des ersten Schuljahres signifikant negative Effekte der Rolle von 'Lesen durch Schreiben' auf die Rechtschreibleistung sowohl zum Ende des ersten (β=-.46*; p≤.05) als auch zweiten Schuljahres (β=-.46**; p≤.01). Auch Aspekte der konkreten Umsetzung der Konzeption haben Effekte: Die Rechtschreibleistungen entwickeln sich signifikant besser, wenn Fibeln eingesetzt werden und nicht mit Anlauttabellen gearbeitet wird, wenn Rechtschreibfehler nicht zugelassen werden und der Unterricht weniger stark durch Materialien und Aufgaben differenziert wird. Bis zum Ende des ersten Schuljahres hat die Konzeption noch keinen Effekt auf das Selbstkonzept im Schreiben (β=.18; p≤.643). Ende des zweiten Schuljahres ist aber ein signifikant positiver Effekt auch unter Kontrolle der Leistung sowie des Selbstkonzepts zum Ende des ersten Schuljahres nachweisbar (β=.48*; p≤.05). Zudem ergeben sich positive Effekte auf das Selbstkonzept, wenn die Kinder selbstständig auf selbst gesetzte Ziele hinarbeiten können und wenn eine Differenzierung nach Zeit sowie nach Aufgaben und Materialien realisiert wird. In keinem Zusammenhang zum Selbstkonzept steht hingegen die (Nicht-)Korrektur von Rechtschreibfehlern.

Dass es positive Effekte auf das Selbstkonzept trotz negativer Effekte auf die Rechtschreibleistung gibt, scheint vorwiegend daran zu liegen, dass der schriftsprachliche Unterricht bei einer Orientierung an der Reichen-Konzeption offener und differenzierter gestaltet wird, sodass Leistungsvergleiche zwischen Kindern vermutlich weniger salient werden (vgl. Lipowsky et al., 2011). Die Nicht-Korrektur orthografischer Fehler scheint hingegen keine Effekte auf das Selbstkonzept auszuüben, allerdings negativ auf die Leistung zu wirken.

Der Beitrag verdeutlicht, dass es für die Untersuchung von Effekten bestimmter Konzeptionen oder Unterrichtsmethoden bedeutsam ist, auch weitere Variablen zu deren konkreter unterrichtlicher Umsetzung zu berücksichtigen.



Paper Session

Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten identifizieren und Partizipation frühzeitig stärken – Adaption und Normierung des diagnostischen Verfahrens Dysmate für den deutschsprachigen Raum

Marie-Christine Vierbuchen1, Rebecca Schumacher2, Andrea Anderson1

1Europa-Universität Flensburg, Deutschland; 2Universität Potsdam, Deutschland

1) Theoretischer Hintergrund

Die Aneignung schriftsprachlicher Kompetenzen stellt für Schüler:innen eine bedeutende Erwerbsaufgabe dar und beschreibt eine der wichtigsten akademischen Fertigkeiten (Schründer-Lenzen, 2013). Sie sind lebenslang bedeutsam für gesellschaftliche Partizipation und Voraussetzung für die erfolgreiche Bewältigung des Alltags (Antoniou & Souvignier, 2007). Eine sichere Identifikation von Schüler:innen mit einem Risiko für Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten ist daher von entscheidender Bedeutung, um gezielt individuelle Unterstützungsmaßnahmen in die Wege zu leiten (Pfost et al., 2014). Je weiter Schüler:innen in ihrer schulischen Laufbahn voranschreiten, desto stärker werden Kompetenzen im Lesen und Schreiben vorausgesetzt. Insbesondere in der Sekundarstufe werden schriftsprachliche Fähigkeiten häufig nicht mehr systematisch diagnostisch erfasst. Diagnostische Entscheidungen divergieren zwischen Lehrkräften stark und sind häufig durch subjektive Kriterien geleitet (Hennes et al., 2023). Dem PISA 2018-Skalenbuch (2021) ist zu entnehmen, dass sich mehr als ein Drittel aller Lehrkräfte nicht sicher fühlt, „Probleme der Schülerinnen und Schüler beim Leseverständnis [zu] identifizieren“ (Mang et al., 2021, S. 212). Außerdem berichten McElvany et al. (2009) von einer geringen Diagnosekompetenz von Lehrkräften, die sich nicht zwingend durch zunehmende Berufserfahrung verbessert.

Ziel des hier vorgestellten Projektes ist die Normierung des international eingesetzten, zweistufigen Testverfahrens Dysmate (Nergård-Nilssen & Friborg, 2021), bestehend aus Screening und Follow-Up, zur Erfassung lese- und schreibbezogener Kompetenzen in der Sekundarstufe I in Deutschland. Das digitale Testverfahren soll zukünftig die niedrigschwellige Identifizierung und daraus hervorgehend die gezielte und passgenaue Förderung von Jugendlichen mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten ermöglichen. Auf dem deutschsprachigen Markt existiert bisher kein äquivalentes Testverfahren, das schriftsprachliche Fähigkeiten für verschiedene Klassenstufen systematisch erfasst und ergänzend Maße der kognitiven Informationsverarbeitung in den Blick nimmt. Das vorgestellte Verfahren ist ein wichtiger Baustein in Richtung Handlungssicherheit und Professionalisierung von Lehrkräften, da es eine objektive Einschätzung der schriftsprachlichen Fähigkeiten ermöglicht und somit eine Grundlage für Unterstützungsmaßnahmen bietet (Möbus & Vierbuchen, 2019). Durch die digitale Durchführung und automatisierte Auswertung können Lehrkräfte schriftsprachliche Kompetenzen ihrer Schüler:innen in Gruppen erfassen und danach diejenigen Schüler:innen vertiefend dem ebenfalls digitalen Follow Up-Test in einer 1:1-Situation unterziehen, die das Screening als risikobehaftet identifiziert hat. Um Lehrkräfte optimal auf die Durchführung und Interpretation des Testverfahrens vorzubereiten, durchlaufen diese einen digitalen Zertifizierungskurs.

2) Fragestellung

  • Kann anhand der im Screening und Follow-Up enthaltenen Subskalen zwischen Jugendlichen mit und ohne Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten differenziert werden? Wie valide ist das Verfahren im deutschsprachigen Raum?

3) Methode

Die Validität der norwegischen Testversion ist empirisch belegt (Nergård-Nilssen & Friborg, 2021). Um die Validität der deutschen Version zu prüfen, wurden die adaptieren Items der Subskalen zunächst in einer Pilotierungsstudie getestet, um aktuell startend in einer groß angelegten Normierungs- und Validierungsstudie repräsentative Normwerte zu erheben. Um eine möglichst aussagekräftige Stichprobe zu generieren, werden die Erhebungen deutschlandweit in zehn Bundesländern in unterschiedlichen Schulformen in der Sekundarstufe I mit siebten bis zehnten Klassen durchgeführt. Die Auswertungen finden auf Grundlage der Item-Response-Theorie statt. Es wird eine Normierungsstichprobe und eine Validierungsstichprobe erhoben. Die Validierungsstichprobe besteht aus Schüler:innen mit bestätigten Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten.

4) Ergebnisse

Erste Daten aus der Pilotierung (N= 189) sprechen für eine gute Umsetzbarkeit (bspw. Angemessenheit der Items je Altersstufe, verständliche Instruktionen, hohe Motivation der Schüler:innen) und eine erfolgreiche Adaption des Verfahrens (Cronbachs Alpha: gesamt = .89; 7. Klasse = .86; 8. Klasse = .92; 9. Klasse = .88; 10. Klasse .81). Die Trennschärfen der Items betragen für alle Klassen zwischen .63 und .83, die durchschnittliche Itemschwierigkeit verringert sich von der 7. bis zur 10. Klassenstufe (PKl.7 = .43; PKl.10 = .78). In der 8. Klassenstufe zeigt sich mit PKl.8 = .71 eine geringere Itemschwierigkeit als in der 9. mit PKl.9 = .57. Derzeit findet die Rekrutierung für die Normierungsstudie im Oktober 2023 statt. Im Vortrag sollen das Testverfahren, das Studiendesign sowie Daten der Pilotierungs- und Normierungsstudie vorgestellt werden.



Paper Session

Schreiben oder Sprechen? Zur Rolle des Mediums für die Wirksamkeit von Lerntagebüchern

Florian Luft1,2, Ai Miyamoto1, Matthias Nückles1

1Universität Freiburg, Deutschland; 2Pädagogische Hochschule Freiburg, Deutschland

Theoretischer Hintergrund/Fragestellung

Das Schreiben von Lerntagebüchern ist eine etablierte Methode selbstregulierten Lernens, bei der Lernende neue Lerninhalte reflektieren. Studien zeigen, dass Lerntagebücher die Lernprozesse der Lernenden und den Lernerfolg fördern (Nückles et al., 2020). Drei zentrale Wirkmechanismen erklären diese positiven Effekte: 1.) Förderung generativen Lernens: Lerntagebücher regen die Anwendung kognitiver (Organisation, Elaboration) und metakognitiver (Monitoring, Planung) Lernstrategien an (Nückles et al., 2009). 2.) Cognitive-Offloading: Lerntagebücher erfordern, Gedanken in ein Speichermedium zu externalisieren. Dadurch wird das Arbeitsgedächtnis entlastet (Nückles et al., 2020). 3.) Genre-Free-Prinzip: Lerntagebücher können sehr frei gestaltet werden und müssen keiner bestimmten rhetorischen Struktur folgen. Dadurch können Lernende ihre gesamte kognitive Kapazität in das Verstehen des Lernmaterials investieren. Darüber hinaus zeigt Forschung, dass die Wirksamkeit von Lerntagebüchern durch instruktionale Unterstützungsmaßnahmen erhöht werden kann (Nückles et al., 2020). Eine solche Maßnahme besteht zum Beispiel in der Bereitstellung von kognitiven und metakognitiven Prompts, die den Lernenden helfen, die entsprechenden Lernstrategien effektiv anzuwenden.

Bisher wurden Lerntagebücher ausschließlich in schriftlicher Form erforscht. Aktuelle Befunde aus dem verwandten Forschungsfeld Lernen durch Erklären weisen jedoch darauf hin, dass auch in der mündlichen Form gewinnbringende Lernprozesse und Lernergebnisse möglich sind (Lachner et al., 2022). In der vorliegenden Studie soll daher die Fragestellung untersucht werden, inwieweit sich die unterschiedlichen medialen Realisierungsformen des Lerntagebuchs in Schrift versus Audio (zusätzlich zur Wirkung von Prompts) auf die Lernprozesse und die Lernergebnisse auswirken. Wir nehmen an, dass das Sprechen zu einer stärkeren Nutzung kognitiver und metakognitiver Lernstrategien und darüber vermittelt zu besseren Lernergebnissen führt als das Schreiben, da das Sprechen aufgrund geringerer Produktions- und Formulierungskosten kognitiv weniger belastend ist (Clark & Brennan, 1991). Nach unserer Annahme werden die lernförderlichen Wirkmechanismen des Lerntagebuchs (Generatives Lernen, Cognitive-Offloading, Genre-Free-Prinzip) im mündlichen Medium im Vergleich zum schriftlichen Medium also noch verstärkt.

Methode

Zur Untersuchung der Forschungsfrage wurde ein Feldexperiment mit Gymnasiast*innen durchgeführt. N = 163 Teilnehmer*innen (Durchschnittsalter = 17,02 Jahre, SD = 0,63) wurden in einem 2x2-faktoriellen Between-Subjects-Design (plus eine Kontroll-Gruppe) randomisiert einer von fünf Bedingungen zugewiesen. Diese Bedingungen umfassten (1) eine schriftliche Gruppe mit Prompts (n = 35), (2) eine schriftliche Gruppe ohne Prompts (n = 34), (3) eine mündliche Gruppe mit Prompts (n = 32), (4) eine mündliche Gruppe ohne Prompts (n = 30) und (5) eine Re-Study-Gruppe (n = 32).

Nach einem Vorwissenstest sahen alle Schüler*innen eine Videovorlesung zur Cognitive Load Theory (30 Minuten). Danach erstellten die Teilnehmer*innen ein erstes Lerntagebuch (Mündlich/Schriftlich; Mit Prompts/Ohne Prompts) (30 Minuten). Anschließend überarbeiteten die Schüler*innen ihre Lerntagebücher mithilfe des Transkripts der Videovorlesung (30 Minuten). Die Re-Study-Gruppe las den transkribierten Text 60 Minuten lang. Schließlich absolvierten alle Teilnehmer*innen einen Tag später einen Post-Test und eine Woche später einen identischen Follow-up-Test mit acht offenen Fragen.

Die kognitiven und metakognitiven Lernprozesse wurden anhand eines holistischen Ratingschemas (Nückles et al., 2009) auf fünfstufigen Skalen eingeschätzt.

Ergebnisse

Hinsichtlich des Lernerfolgs zeigte eine zweifaktorielle ANCOVA (Mathe- und Deutschnoten als Kovariaten), dass die mündliche Bedingung sowohl im Posttest (F(1, 125) = 7.31, p = 0.008, ηp2 = .06) als auch im verzögerten Test (F(1, 108) = 5.71, p = 0.019, ηp2 = .05) der schriftlichen Bedingung überlegen war. Entgegen der theoretischen Annahmen konnte jedoch kein Prompts-Effekt beobachtet werden.

Hinsichtlich der Lernprozesse wurden ANCOVAs durchgeführt, um den Einfluss des Mediums auf die kognitiven und metakognitiven Lernprozesse zu prüfen. Die Tests zeigten für alle Lernprozesse signifikante Unterschiede zugunsten der mündlichen gegenüber der schriftlichen Bedingung (alle p < 0,001, ηp2 = .23 - .33). Hinsichtlich des Faktors Prompts konnten mit Ausnahme der Prozessvariable Metakognition wiederum keine Gruppenunterschiede festgestellt werden.

Anschließende Mediationsanalysen ergaben, dass fast alle Lernprozessvariablen den Effekt des Mediums auf die Lernergebnisse signifikant mediierten.

Theoretische wie praktische Implikationen der Befunde werden bei der Tagung diskutiert.

 
Datum: Mittwoch, 20.03.2024
9:00 - 10:407-16: Authentische Lerngelegenheiten
Ort: S15
 
Paper Session

Evaluation eines Zooführungskonzeptes des Allwetterzoos Münster zur Bildung für nachhaltige Entwicklung

Gesche Barg, Elmar Souvignier

Universität Münster, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) verfolgt das Ziel, Menschen dazu zu befähigen, zukunftsorientiert zu denken und zu handeln (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung, 2017). Für mehrere BNE-Bildungsangebote konnte ein positiver Einfluss auf die Veränderung von Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und moralischen Überzeugungen beobachtet werden (O’Flaherty und Liddy, 2018), aber bislang haben sich nur wenige Studien mit Effekten auf Verhaltensänderungen beschäftigt (Algurén, 2021). Wenngleich systematische Analysen zur Wirksamkeit unterschiedlicher Lehrmethoden im BNE-Kontext fehlen (Rieß, 2022), gelten beispielsweise außerschulische Lernorte wie Zoos als geeigneter Rahmen dafür, BNE-Lernmethoden zu erproben und miteinander zu vergleichen (Thomas, 2020). Erste Untersuchungen zur Wirksamkeit von zoopädagogischen Angeboten weisen generell auf deren Nutzen hin (Counsell et al. 2020; Kleepsies et al., 2022). Vor diesem Hintergrund sollen in der vorliegenden Studie Effekte eines neukonzipierten BNE-Zooführungskonzepts des Allwetterzoos Münster (Dobslaw, 2019) evaluiert werden. In dieser 90-minütigen Zooführung haben Tierarten die Rolle von Botschaftern ihrer Ökosysteme. Auf diese Weise werden reale BNE-Problemstellungen veranschaulicht und im Gespräch erarbeitet. Um Effekte einer zusätzlichen Aktivierung von Schüler:innen zu untersuchen, wurde das Zooführungskonzept in einer der beiden Experimentalgruppen durch kooperative Lernelemente in Form von Planspielen vertieft.

Fragestellung

Ziel der Studie war es, kurz- und langfristige Effekte der Teilnahme an einer BNE-Zooführung im Allwetterzoo Münster auf das Umweltwissen, das systemische Denken, die umweltbezogenen Einstellungen, die umweltschützenden Verhaltensabsichten und das tatsächliche umweltschützende Verhalten zu untersuchen. Aufgrund der Wirksamkeitsnachweise anderer BNE- und zoopädagogischer Bildungsangebote (Algurén, 2021; Counsell et al., 2020; Kleespies et al., 2022; O’Flaherty & Liddy, 2018) wurden positive Effekte der BNE-Zooführung auf alle Kriteriumsvariablen erwartet. Dabei gingen wir davon aus, dass die kooperativen Lernelemente einen zusätzlichen förderlichen Einfluss bewirken.

Methode

An der Studie nahmen 26 Schulklassen der Jahrgangsstufen 7 bis 9 (N = 656 Schüler:innen) aus dem Stadtgebiet Münster im Herbst/Winter 2022/23 teil. Die Klassen wurden Experimentalgruppe 1 (N = 189 Schüler:innen aus acht Klassen), Experimentalgruppe 2 (N = 218 Schüler:innen aus acht Klassen) und der Kontrollgruppe (N = 218 Schüler:innen aus zehn Klassen) randomisiert zugewiesen. Klassen der Experimentalgruppen nahmen während der Studie an der BNE-Zooführung teil, wobei nur bei Führungen der Experimentalgruppe 2 die kooperativen Planspiele genutzt wurden. Schüler:innen der Kontrollgruppe nahmen nach den Erhebungen an der BNE-Zooführung teil. Die Kriteriumsvariablen wurden anhand eines Fragebogens eine Woche vor der Führung (T1), unmittelbar nach der Führung (T2) und einen Monat nach der Führung (T3) erhoben. Die beiden Skalen zum Umweltwissen und zum umweltschützenden Verhalten wurden für die vorliegende Studie neu konstruiert. Die Fragen zum systemischen Denken (Bräutigam, 2014), zu den umweltbezogenen Einstellungen und zur umweltfreundlichen Verhaltensintention (Barth & Weiß, 2021) wurden aus bereits vorliegenden Skalen zusammengestellt. Alle Skalen weisen eine zufriedenstellende interne Konsistenz auf.

Ergebnisse

Für die statistische Auswertung wurde für jede Kriteriumsvariable zwei getrennte Random Intercept – Fixed Slope Mehrebenenmodelle für den Testzeitpunkt 2 und den Testzeitpunkt 3 berechnet. Die Werte des Testzeitpunktes 1 dienten zur Kontrolle von Vortestunterschieden. In beiden Experimentalgruppen erwies sich kurz- und langfristig das Umweltwissen im Vergleich zur Kontrollgruppe als signifikant höher (p ≤ .03). Kurzfristig bewirkten die Zooführungen geringfügig positive Effekte auf das systemische Denken (p ≤ .1) und die umweltschützenden Einstellungen (p ≤ .1). Es zeigten sich hingegen keine Effekte auf die Verhaltensintention oder das tatsächliche Verhalten der Schüler:innen. Die Wirksamkeit der kooperativen Lernelemente wurde mittels post-hoc Tests geprüft. Hier zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Experimentalbedingungen.

Insgesamt erweist sich das Konzept der BNE-Zooführung in Bezug auf die proximale Variable des Umweltwissens als wirksam und es deuten sich schwache Effekte auf systemisches Denken und umweltschützende Einstellungen an. Die Evaluation des BNE-Zooführungskonzepts verdeutlicht, dass eine effektivere Implementation von kooperativen Lernelementen sowie eine direktere Förderung von umweltschützendem Verhalten sinnvoll wären.



Paper Session

Ein randomisierter kontrollierter Feldversuch zur Untersuchung der Wirkmechanismen von Citizen Science im Rahmen eines naturwissenschaftlichen Online-Kurses

Julia Maria Lange1, Julia Schiefer2, Markus Kleinhansl1, Carola Garrecht3, Steffen Seitz4, Thomas Scholten4, Benjamin Nagengast1,5, Jessika Golle1, Ulrich Trautwein1

1Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung, Eberhard Karls Universität Tübingen; 2Institut für Psychologie, Pädagogische Hochschule Ludwigsburg; 3Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Kiel; 4Geographisches Institut, Bodenkunde und Geomorphologie, Eberhard Karls Universität Tübingen; 5Department of Education and the Brain & Motivation Research Institute (bMRI), Korea University, Seoul, Korea

Theoretischer Hintergrund und Fragestellung

Die aktive Partizipation an echter Forschung im Rahmen von Citizen-Science-Projekten wird als vielversprechender Ansatz angesehen, das wissenschaftliche Denken und die naturwissenschaftliche Motivation von Schüler:innen zu fördern (Bonney et al., 2016; Phillips et al., 2018). Citizen-Science-Projekte ermöglichen Schüler:innen die Bearbeitung von Themen gesellschaftlicher Relevanz und das Erleben von Wissenschaft als gemeinschaftliche Aktivität – Merkmale, die besonders Mädchen ansprechen (Diekman et al., 2010; Su et al., 2009). Die vorliegende Studie untersucht systematisch die Effekte, die eine Citizen-Science-Beteiligung im Rahmen eines naturwissenschaftlichen Online-Kurses auf das wissenschaftliche Denken und die naturwissenschaftliche Motivation von Jungen und Mädchen im Grundschulalter hat.

Dazu wurde ein 3-wöchiger asynchroner Online-Kurs zum Thema „Boden“ entwickelt. Die Kurssitzungen waren für die Interventions- und Kontrollgruppe vergleichbar, variiert wurde die Beteiligung am Citizen-Science-Projekt (Tea-Bag-Index-Projekt; Djukic et al., 2021). Wir erwarteten, dass die Citizen-Science-Beteiligung einen positiven Effekt auf das wissenschaftliche Denken und die Motivation der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe haben würde.

Methode

Stichprobe und Design

Unsere Intervention wurde im Schuljahr 2021/22 als Bestandteil eines Enrichment-Programms für begabte Grundschulkinder in Baden-Württemberg (Hector Kinderakademien, vgl. Golle et al., 2018) angeboten. An der Intervention nahmen N = 206 Grundschulkinder (58.25% Jungen, Alter: M=9.39, SD=0.76, Klasse 1: N=2, Klasse 2: N=36, Klasse 3: N=112, Klasse 4: N=56) teil. Die Studie wurde als randomisierte kontrollierte Feldstudie mit einem Prä- und Posttest durchgeführt.

Instrumente

Wissenschaftliches Denken. Um die verschiedenen Bereiche wissenschaftlichen Denkens abzubilden, wurden die Experimentierfähigkeiten der Schüler:innen (Phan, 2007), ihr epistemisches Wissen über das Wesen von Citizen Science (selbstkonzipiert) und über die Natur der Naturwissenschaften (wie die Herkunft und Sicherheit naturwissenschaftlichen Wissens; Kremer, 2010) sowie ihr Sachwissen über den Boden (selbstkonzipiert) erfasst.

Motivation. Um die naturwissenschaftliche Motivation der Schüler:innen zu erheben, wurden u.a. ihre Intention, sich auch künftig mit Naturwissenschaften zu beschäftigen (Bruckermann et al., 2021), ihr naturwissenschaftliches Fähigkeiten-Selbstkonzept (Gaspard et al., 2021), ihre Science Identity („Wissenschaftsidentität“; Chen & Wei, 2022) und ihr forschendes Interesse (Holland, 1997) erfasst.[1]

Statistische Analyse

Die Effekte der Intervention wurden mittels multipler Regressionen in R analysiert (AVs: standardisierte Posttestwerte, UVs: Gruppenzugehörigkeit [Interventionsgruppe=1, Kontrollgruppe=0], standardisierte Prätestwerte) und können aufgrund der Standardisierung der AVs und UVs als Effektstärken (Cohens d) interpretiert werden. Um explorativ zu untersuchen, ob der Effekt durch die Citizen-Science-Beteiligung systematisch mit dem Geschlecht variiert, wurde in einem weiteren Analyseschritt die Interaktion zwischen der Gruppenzugehörigkeit und dem Geschlecht der Schüler:innen in die Regressionsmodelle aufgenommen.

Ergebnisse

Wissenschaftliches Denken. Entgegen unserer Hypothese konnten wir keinen signifikanten Effekt der Citizen-Science-Beteiligung auf das wissenschaftliche Denken der Schüler:innen feststellen. Allerdings profitieren Mädchen im Hinblick auf ihr epistemisches Wissen über das Wesen von Citizen Science (Gruppenzugehörigkeit*Geschlecht: B=-0.70, p=.014; Interventionseffekt für Mädchen: B=0.57, p=.012) sowie über die Herkunft (Gruppenzugehörigkeit*Geschlecht: B=-0.60, p=.032; Interventionseffekt für Mädchen: B=0.47, p=.021) und Sicherheit (Gruppenzugehörigkeit*Geschlecht: B=-0.62, p=.044; Interventionseffekt für Mädchen: B=0.30, p=.262) naturwissenschaftlichen Wissens mehr als Jungen von der Citizen-Science-Beteiligung.

Motivation. Übereinstimmend mit unserer Hypothese entwickelten die Schüler:innen in der Interventionsgruppe eine signifikant höhere Intention, sich auch künftig mit Naturwissenschaften zu beschäftigen (B=0.36, p=.005). Signifikante Haupteffekte der Citizen-Science-Beteiligung auf die anderen motivationalen Variablen waren nicht zu beobachten. Allerdings wurde die Science Identity der Mädchen durch die Citizen-Science-Beteiligung signifikant stärker gefördert als die der Jungen (Gruppenzugehörigkeit*Geschlecht: B=-0.67, p=.010; Interventionseffekt für Mädchen: B=0.44, p=.045).

Die Studie zeigt, dass der zusätzliche Nutzen einer Citizen-Science-Beteiligung insbesondere in der gesteigerten Intention der Schüler:innen besteht, sich auch künftig mit Naturwissenschaften zu beschäftigen. Darüber hinaus konnten besonders Mädchen von der Citizen-Science-Beteiligung in ihrem epistemischen Wissen und ihrer Science Identity profitieren. Citizen Science scheint eine Möglichkeit zu sein, dem geschlechterübergreifend geringen und bei Mädchen sinkenden Interesse an naturwissenschaftlichen Berufen entgegenzuwirken (Sadler et al., 2012; Sheldrake, 2020).

[1] In diesem Abstract konzentrieren wir uns auf eine Auswahl der Instrumente zur Messung von Motivation.



Paper Session

Führt ein Parlamentsbesuch von Erwachsenen zu einer Zunahme des Wissens über Politik? Befunde einer Längsschnittstudie

Falk Scheidig, Niklas Obergassel

Ruhr-Universität Bochum, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Eine zentrale Voraussetzung für demokratische Teilhabe ist das Vorhandensein politischen Wissens in der Bevölkerung. Politisches Wissen, z. B. zur Gesetzgebung, ist förderlich für die politische Systemunterstützung (Easton, 1965) und die politische Partizipation, z. B. die Beteiligung an Wahlen (Delli Carpini & Keeter, 1996). Dies ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Abnahme des Vertrauens in politische Akteure und Institutionen in Deutschland von hoher Relevanz (Decker et al., 2019). Aktuelle Befunde zeigen jedoch, dass das Niveau politischen Wissens zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist (Tausendpfund & Westle, 2020). Bezüglich des Wissens zu grundlegenden Funktionslogiken des parlamentarischen Regierungssystems in Deutschland bestehen Wissensdefizite und Fehlvorstellungen, die potenziell mit einem Akzeptanzverlust hinsichtlich politischer Prozesse und Entscheide einhergehen (Patzelt, 1998; Schuett-Wetschky, 2003).

Defizite im politischen Wissen stellen daher eine Herausforderung für die Demokratie dar und unterstreichen die Bedeutung politischer Bildung in allen Lebensphasen. Über den Schulunterricht hinaus erreichen Angebote politischer Bildung jedoch nur wenige Menschen (Hufer, 2016). Im Kontrast zur geringen Nachfrage nach Kursen politischer Erwachsenenbildung erzielen parlamentarische Informationsangebote des Bundestags und der deutschen Landtage eine sehr hohe Resonanz. Der Bundestag zählt bis zu drei Millionen Besucherinnen und Besucher pro Jahr, der in der Studie betrachtete Landtag Nordrhein-Westfalen erreicht jährlich bis zu 80.000 Besucherinnen und Besucher. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Erwachsene, die in ihrer Freizeit, über den beruflichen Kontext oder durch Zugehörigkeit zu einer Gruppe (z. B. Vereinswesen, Partei, Gewerkschaft, Kirche) an einem parlamentarischen Informationsprogramm teilnehmen. Charakteristika parlamentarischer Informationsangebote für Erwachsene sind der geringe Formalisierungsgrad des Lernens und die Authentizität und Exklusivität des Lernortes.

Bislang liegen nur wenige Erkenntnisse zur Wirkung parlamentarischer Informationsangebote vor. Bisherige Studien zentrieren sich vor allem auf Parlamentsbesuche von Schulklassen, die als Exkursionen in den Politikunterricht eingebettet sind (z. B. Abendschön et al., 2022). Für die quantitativ dominierende Gruppe der erwachsenen Besucherinnen und Besucher liegen demgegenüber nur wenige Studien (Scheidig & Meilhammer, 2019; Siemsen, 1997) und keine gesicherten Erkenntnisse zu Lernprozessen im Zusammenhang mit dem Parlamentsbesuch vor.

Fragestellung

Im Fokus der Studie steht die Frage, ob ein Parlamentsbesuch zu einer Zunahme des Wissens über Politik bei erwachsenen Besucherinnen und Besuchern führt.

Methode

Zur Beantwortung der Fragestellung wurde eine Fragebogenerhebung unter erwachsenen Besucherinnen und Besuchern des Landtags Nordrhein-Westfalen durchgeführt, die an einem Informationsprogramm teilnahmen (bestehend aus: Informationsvortrag, Gespräch mit einer oder einem Abgeordneten, ggf. Besuch einer Plenardebatte). Für die Befragung wurde ein Prä-Post-Follow-up-Design gewählt: Besucherinnen und Besucher wurden zu Beginn (t1) und am Ende (t2) des Parlamentsbesuchs mit einem Fragebogen befragt, sechs Monate nach dem Besuch fand eine weitere Befragung per Online-Fragebogen statt (t3). Der Fragebogen enthielt einen Wissenstest, der sich auf Fragen zum parlamentarischen Regierungssystem zentrierte und gezielt populäre Fehlvorstellungen aufgriff (z. B. zum Verhältnis von Parlament und Regierung, zum Zustandekommen von Gesetzen).

Die Teilnahme an der Befragung erfolgte anonym und auf freiwilliger Basis, indem Besucherinnen und Besucher im Eingangsbereich des Landtags Nordrhein-Westfalen zu einer Teilnahme an der Studie eingeladen wurden. Insgesamt nahmen 126 Personen zu allen drei Befragungszeitpunkten an der Erhebung teil.

Mittels Varianzanalyse (ANOVAs mit Messwiederholung) wurden Veränderungen im Politikwissen zwischen den drei Befragungszeitpunkten berechnet.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass das Politikwissen unmittelbar nach dem Parlamentsbesuch (t2) signifikant höher ist als zu Beginn des Parlamentsbesuchs (t1). Sechs Monate nach dem Parlamentsbesuch (t3) ist das Politikwissen etwas abgesunken, es befindet sich aber weiterhin auf einem deutlich höheren Niveau als vor dem Parlamentsbesuch. Somit lässt sich unter den erwachsenen Besucherinnen und Besuchern im Durchschnitt sowohl kurz- als auch langfristig eine Zunahme des Wissens über das parlamentarische Regierungssystem nachweisen. Trotz der gemessenen Wissenszunahme verweisen die Ergebnisse des Wissenstests jedoch darauf, dass auch nach der Teilnahme am parlamentarischen Informationsprogramm teilweise weiterhin populäre Fehlvorstellungen bezüglich der Parlamentsarbeit bestehen.



Paper Session

Zeitzeug*innenberichte im Geschichtsunterricht zur Förderung von historischen Kompetenzen, Wissen und Motivation: Eine cluster-randomisierte kontrollierte Interventionsstudie.

Katharina Totter, Wolfgang Wagner, Christiane Bertram, Ulrich Trautwein

Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung, Deutschland

Theorie

Zur Partizipation im demokratischen Diskurs westlicher Gesellschaften benötigen Bürger*innen neben historischem Bewusstsein auch das Handwerkszeug zum kritischen Denken (Trautwein et al., 2017). Beides soll im kompetenzorientierten Geschichtsunterricht vermittelt werden, dessen zentrales Ziel der Aufbau der Kompetenzen historischen Denkens und damit die kritische Analyse von Quellen, Darstellungen und ihrer Narrative sowie die eigenständige Verknüpfung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft darstellt (Jeismann, 2000; Rüsen, 1983; Seixas & Morton, 2013; van Drie & van Boxtel, 2008). Die Arbeit mit Zeitzeug*innen wird in Bildungsstandards sowie zahlreichen Fachbüchern empfohlen und ihr wird großes Potenzial zur Förderung von Motivation und Kompetenzen zugeschrieben (Henke-Bockschatz, 2014; Whitman, 2004). Studien zeigen jedoch auch Risiken auf (Dutt-Doner et al., 2016; Galda, 2013; Obens & Geißler-Jagodzinski, 2010). Schüler*innen glaubten Zeitzeug*innen mehr als anderen Quellen (Angvik et al., 1997; Rosenzweig et al., 1998) und in einer ersten randomisiert-kontrollierten Feldstudie zeigte sich, dass Schüler*innen in der Arbeit mit Live-Zeitzeug*innen zwar mehr Spaß hatten, aber weniger lernten als die Vergleichsklassen mit Videokonserven und Texten von Zeitzeug*innen (Bertram et al., 2017).

In einer darauf aufbauenden, groß angelegten randomisiert-kontrollierten Interventionsstudie wurde die Einschätzung der Transformationszeit nach 1990 jeweils mit zwei Alltagszeitzeug*innen der Generation 1975 aus dem Osten und Westen multiperspektivisch vermittelt. Schüler*innen der Interventionsklassen (live versus Video) wurden in drei Doppelstunden dazu angeregt, über die unterschiedlichen Erlebnisse und Erinnerungen nachzudenken und sie vor dem Hintergrund von Kontextinformationen auszuwerten. Anhand der deutsch-deutschen Geschichte sollten so Kompetenzen historischen Denkens (Körber et al., 2007), wie auch Motivation und Faktenwissen gezielt gefördert werden. Die Präregistrierung der Studie ist bei der Registry of Efficacy and Effectiveness Studies (REES) unter der Nummer #14881.1v1 abrufbar.

Fragestellung

Die Hypothesen bezogen sich auf die unterschiedliche Wirksamkeit der Intervention zwischen den Gruppen (live vs. Video vs. Kontrolle) bezüglich Kompetenzen historischen Denkens (primary outcome), Faktenwissens, motivationalen Variablen wie der Relevanz von Geschichte und der Unterrichtsbewertung.

Methode

Die Stichprobe umfasste insgesamt 1,301 Schüler*innen. Nach randomisierter Zuweisung der 50 Lehrkräfte (n = 23 live, n = 22 Video, n = 15 Kontrolle) erhielten die Lehrkräfte der Interventionsgruppen eine Fortbildung zur Unterrichtseinheit, die sie am Schuljahresende 2022 unterrichteten. Schüler*innendaten der Interventionsklassen wurden vor sowie nach der Intervention erfasst. Die Wartekontrollgruppe wurde nach Lehrplan beschult und analog zu den Interventionsgruppen getestet. Um die zentralen Studienziele empirisch erfassbar zu machen, wurden standardisierte Testaufgaben, wie beispielweise eine Aufgabenauswahl des HiTCH-Tests (Trautwein et al., 2017), genutzt sowie neue Inventare entwickelt und mittels zweiparametrischen Item Response Modellen skaliert. Items zu Einstellungen und Bewertungen der Unterrichtseinheit wurden zu Mittelwerten zusammengefasst. Gemäß den Vorgaben des What Works Clearinghouse (2022) wurden die adjustierten Mittelwertunterschiede der standardisierten Outcomes unter Einbezug von Kovariaten auf Basis von Analysen zur Baseline-Äquivalenz mittels Regressionsanalysen und unter Berücksichtigung der Clusterstruktur geschätzt. Auf Basis einer vorangegangenen Poweranalyse wurde bei Gruppenvergleichen hinsichtlich historischer Kompetenzen (hier mittlerer Gruppenunterschied) sowie der Relevanz von Geschichte eine Multistep-Prozedur von Koch und Röhmel (2004) gewählt.

Ergebnisse & Diskussion

In der Live-Gruppe wurde die Unterrichtseinheit hinsichtlich des Interesses (β = .390, p < .001) sowie der Note günstiger eingeschätzt als bei der Interventionsgruppe mit Videos (β = 0.285, p <.001). Die angenommene Überlegenheit der Interventionsgruppen gegenüber der Kontrollgruppe erwies sich hinsichtlich des erworbenen Wissens als signifikant (0.114 ≤ β ≤ 0.142, p < .05), nicht jedoch bei eingeschätzter Relevanz von Geschichte und im Komposit aus Kompetenztests historischen Denkens. Bei Letzterem zeigte sich in explorativer Betrachtung der Einzeltests, dass die Interventionsgruppen beim Test zur Aussagekraft von Zeitzeug*innen besser abschnitten als die Kontrollgruppe (0.160 ≤ β ≤ 0.204, p < .05), ohne sich untereinander zu unterscheiden. Ein ähnliches Muster zeigt bei anderen Teiltests nicht. Insgesamt bietet die groß angelegte, präregistrierte und randomisiert-kontrolliert durchgeführte Interventionsstudie wertvolle Hinweise hinsichtlich der Effekte des Zeitzeug*inneneinsatz im Unterricht.

 
11:10 - 12:508-16: Frühe Bildung
Ort: S15
 
Paper Session

Bereitschaft pädagogischer Fachkräfte, frühes naturwissenschaftliches Lernen verbal zu unterstützen

Lukas Schmitt1, Anke Maria Weber2, Miriam Leuchter1

1RPTU Kaiserslautern-Landau, Deutschland; 2Université de Luxembourg, Luxemburg

Theorie

Dispositionen von pädagogischen Fachkräften (PFK) wie z.B. Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und Lehr- Lernüberzeugungen werden gemäß Kompetenzmodellen ein Einfluss auf die lernunterstützende Handlung von PFK in zugeschrieben (vgl. Fröhlich-Gildhoff et al., 2011). Die Qualität und Häufigkeit der Lernunterstützung variiert jedoch stark zwischen PFK, u.a. auch in naturwissenschaftlichen Lehr- Lernangeboten (Cabell et al., 2013). Darüber hinaus ist verbale Lernunterstützung (Scaffolding) in alltagsnahen Situationen (z. B. Bauspiel) eher selten zu beobachten (Cabell et al., 2013; von Suchodoletz et al., 2014). Dies könnte auf Unterschiede im Fachwissen, im fachdidaktischen Wissen bzw. in Lehr-Lernüberzeugungen zwischen PFK zurückzuführen sein, die wiederum in unterschiedlichem Maße handlungsleitend sein können. Um die Lücke zwischen Dispositionen und Handlungen zu schließen, wird in diesem Beitrag die Willingness-Komponente aus der Theorie des geplanten Verhaltens (Fishbein & Ajzen, 2010) herangezogen, welches in unserem Kontext die persönliche Bereitschaft von PFK erfasst, ein naturwissenschaftliches Lernangebot mit Diagnostik oder Scaffolding anzureichern.

Das Ziel dieser Studie ist die Validierung eines Messinstruments zur Erfassung von Willingness, um diagnostische und lernunterstützende Aktivitäten in naturwissenschaftlichen Lernsituationen anzuwenden, sowie die Analyse verschiedener Prädiktoren. Es wird eine dreidimensionale Struktur von Willingness (Diagnostik, Scaffolding, Inaktivität) angenommen und ihr Zusammenhang zur Praxis untersucht.

Fragestellungen

1. Ist der dreidimensionale Ansatz zur Messung von Willingness faktoriell valide?

2. Welche Variablen sagen Willingness zum Einsatz diagnostischer Maßnahmen bzw. Scaffolding in naturwissenschaftlichen Lernsituationen vorher? Gibt es einen Zusammenhang zur verbalen Lernunterstützung während des Bauspiels?

Methode

An der Fragebogenstudie nahmen 151 PFK (M = 35.76, SD = 13.18, 87% weiblich) teil. Zusätzlich wurden von N = 73 PFK Episoden freien Bauspiels zwischen PFK und einer Kleingruppe von Kindern (max. 5) videografiert.

Fachwissen im Bauspiel wurde über den „Center-of-Mass-Test“ ([Author] & [Author], 2020) erfasst, bei dem die Stabilität von 16 Bauklotzanordnungen bewertet werden muss (α=.83). Fachdidaktisches Wissen wurde über eine selbstentwickelte Skala mit 10 Items erfasst. PFK mussten die Angemessenheit fachdidaktischer Maßnahmen (z.B. Förderung numerischer Kompetenzen im Bauspiel) auf einer vierstufigen Likertskala einschätzen (1 = gar nicht angemessen, 4 = sehr angemessen, α=.85). Die Willingness der PFK zur Lernunterstützung wurde mit einem vignettenbasierten Ansatz erfasst (siehe Abbildung 1). Es wurden 5 Vignetten präsentiert und eine dreidimensionale Faktorstruktur angenommen (Diagnostik: „Ich würde aufmerksam verfolgen, was die Kinder gerade tun.“, α=.97; Scaffolding: “ Ich würde die Kinder dazu anregen, nächste Schritte in ihrem Tun auszuprobieren”, α=.85; Inaktivität: “ Ich würde die Kinder in Ruhe lassen“, α=.93). Lehr-Lernüberzeugungen wurden über 12 Items (Schmidt und Smidt, 2021) auf einer fünfstufigen Likertskala erfasst (Ko-Konstruktion, α=.77; Autonomie, α=.57; Instruktion, α=.78). Die Häufigkeit der verbalen Lernunterstützung im freien Bauspiel (Videoanalyse) wurde von zwei unabhängigen Ratern auf einer vierstufigen Likertskala bewertet (1 = sehr selten, 4 = sehr häufig, ICC = .99).

Ergebnisse

Die konfirmatorische Faktorenanalyse zeigte einen guten Fit für die dreidimensionale Faktorstruktur (χ2(6) =15.68, p=.016; CFI=.99; TLI=.97; RMSEA=.10; SRMR=.04; siehe Abbildung 2). Es zeigten sich positive Korrelationen zwischen Willingness für Diagnose mit Ko-Konstruktion, Autonomie und fachdidaktischem Wissen. Willingness für Scaffolding war positiv mit Ko-Konstruktion und fachdidaktischem Wissen korreliert. Multiple Regressionen zeigten, dass Ko-Konstruktion (B = 0.89, p ≤ .001) und fachdidaktisches Wissen (B = 0.34, p ≤ .001) inkrementelle Validität bei der Vorhersage von Willingness zur Diagnose hatten. Für die Vorhersage von Willingness zu Scaffolding hatte nur fachdidaktisches Wissen (B = 0.36, p ≤ .001) inkrementelle Validität. Keine der Aspekte der Willingness zeigten Zusammenhänge zur verbalen Lernunterstützung im freien Bauspiel. Lediglich das Alter war positiv mit der Häufigkeit verbaler Lernunterstützung korreliert (r = .46).

Diskussion

Unsere Forschung weist auf die Bedeutung fachdidaktischen Wissens für die Vorhersage von Willingness zu Diagnose und Scaffolding hin. Die Ergebnisse zeigen aber, dass weitere Analysen notwendig sind, um die Bedeutung von Willingness als Brücke zwischen Dispositionen und Handlungen zu klären.



Paper Session

Zusammenarbeit in Kita-Teams- Untersuchungen zur Selbsteinschätzung teamrelevanter Aspekte

Carolin Rauhöft, Melissa Pepper, Dr. Dagmar Nuding, Prof. Dr. Gernot Aich

Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Die weiter steigende Verweildauer von Kindern in Kindertageseinrichtungen führt zu einem zunehmenden Einfluss dieser auf die kindliche Entwicklung (Bock-Famulla et al., 2022). Pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen arbeiten in einem Team und eine gute Zusammenarbeit im Team wird von den Fachkräften als wichtige Bedingung für ihre Arbeit eingeschätzt (Wertfein, Wirts & Wildgruber, 2015). Dabei beeinflusst das Klima entscheidend die Arbeitsleistung (Hegen, 2005). Die Herstellung eines partizipativen Arbeitsklimas bildet die Grundlage für einer am Kind orientierten partizipativen Bildungsarbeit, da Partizipation die Konfliktlösekompetenz, Empathie, Kompromissbereitschaft und Frustrationstoleranz erhöht (Rutter, 2012).

Bisher wurde in Untersuchungen zu möglichen Zusammenhängen ein signifikanter Einfluss extern beobachteter Teamqualität nachgewiesen (Wertfein et al., 2013). Für Teamklima als subjektives Konstrukt ist eine individuelle Bewertung bedeutsam, um Folgerungen für Teamentwicklungsmaßnahmen treffen zu können (van Dick & West, 2005).

Fragestellungen

Im vorliegenden Beitrag werden erste Ergebnisse zur Selbsteinschätzung der partizipativen Zusammenarbeit in Kita-Teams vorgestellt. Konkret stehen in diesem Beitrag folgende Fragen im Mittelpunkt: Wie gestaltet sich die partizipative Zusammenarbeit im Team in den am Projekt teilnehmenden Einrichtungen? Wie hängen die einzelnen teamrelevanten Aspekte zusammen? Gibt es Aspekte der Teams oder der Personen, die Unterschiede der Selbsteinschätzung erklären?

Methode

Insgesamt wurden 205 Fachkräfte in 29 Einrichtungen befragt. Dazu werden Daten aus dem Ich bin Ich 3.0 Projekt herangezogen. Das durch die aim (Akademie für Innovative Bildung und Management Heilbronn-Franken gGmbH) geförderte dreijährige Projekt hat das Ziel, das Selbstkonzept von Kindern im Kita-Alltag zu stärken. Hierfür kamen verschiedene Skalen zur Anwendung, unter anderem der Fragebogen zur Arbeit im Team (Kauffeld, 2004), Teilskalen vom Landauer Organisations- und Teamklimainventar (Müller, 2002), Teilskalen der AQUA Studie (Schreyer et al., 2013) und die Intragroup Conflict Scale (Lehmann-Willenbrock et al., 2011). Neben der deskriptiven Auswertung wurden Korrelationsanalysen zwischen einzelnen Subskalen und varianzanalytische Gruppenvergleiche mit SPSS durchgeführt.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen sehr positive Bewertungen der jeweiligen Leitungskräfte (M=3,38 - 3,44, Skala 1-4). Es werden insgesamt eher wenige Konflikte wahrgenommen (Aufgabenkonflikte: M=4,27 Beziehungskonflikte M=4,17, Skala 1-6). Das Teamklima wird allgemein positiv bewertet. Am geringsten wird der Bereich Verantwortungsübernahme (M=3,63) bewertet und am höchsten die Zielorientierung im Team (M=3,99). Aufgabenorientierung (M=3,81) und Zusammenhalt (M=3,81) (Skala jeweils 1-4) werden ebenfalls gut bewertet.

Die verschiedenen Skalen zeigen hoch signifikante Zusammenhänge. Im Vortrag werden die Ergebnisse zudem in Hinblick auf einrichtungsspezifische Merkmale wie zum Beispiel Gruppenform und Teamgröße dargestellt sowie Gruppenunterschiede innerhalb der Einrichtungen aufgezeigt.

Diskussion und Implikation für Theorie und Praxis

Die Ergebnisse geben Anhaltspunkte zur Weiterentwicklung und Förderung der Zusammenarbeit im Team und können eingesetzt werden, um eine Verbesserung der partizipativen Arbeitssituation herbeizuführen. Somit können sie für Teamentwicklungsprozesse genutzt werden. Im weiteren Verlauf sollte untersucht werden, wie die einzelnen teamrelevanten Aspekte innerhalb der individuellen Teams zusammenhängen und wie sich die Teams zusammensetzen. Zusätzlich sollte untersucht werden, wie hoch die Kohärenz in den Teams ist und inwieweit diese mit der Arbeitsleistung zusammenhängt.



Paper Session

Multiprofessionelle Kooperation beim Schuleintritt von Kindern mit Beeinträchtigungen

Daniel Then, Sanna Pohlmann-Rother

Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Deutschland

Der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule ist ein bedeutender Meilenstein in der Bildungsbiografie eines Kindes (Wildenger, 2011). Um Übergangsprozesse erfolgreich zu gestalten, ist nach einem ökosystemischen Verständnis die Kooperation der AkteurInnen zentral (Rimm-Kaufman & Pianta 2000). Die multiprofessionelle Kooperation, d.h. die Zusammenarbeit der professionellen AkteurInnen im Übergang, spielt dabei eine Schlüsselrolle (Griebel & Niesel, 2020). Dies gilt auch und insbesondere für Kinder mit Beeinträchtigungen. So eröffnet die multiprofessionelle Kooperation die Möglichkeit, unterschiedliche Expertisen in den Übergangsprozess zu integrieren (Sands & Meadan, 2022) und den spezifischen Bedürfnissen dieser Kinder im Übergang passgenau zu begegnen. Entscheidend ist die Frage, inwieweit neben den frühpädagogischen Fachkräften und Lehrkräften auch externes Unterstützungspersonal (z.B. HeilpädagogInnen, SchulpsychologInnen) am Übergangsprozess beteiligt wird (Albers & Lichtblau, 2014). Besonders für den inklusiven Übergang, d.h. den Übergang in die allgemeine Grundschule, ist dies relevant (Then & Pohlmann-Rother, 2023). Wie die multiprofessionelle Kooperation beim Übergang von Kindern mit Beeinträchtigungen im Einzelnen gestaltet ist, ist bislang dennoch wenig erforscht. Vorliegende Forschungsarbeiten fokussieren hauptsächlich Kooperationen im Kita-Alltag (z.B. Kißgen et al., 2021; Peucker et al., 2017) und zeigen, dass u.a. die Beratung der Fachkräfte durch externes Unterstützungspersonal eine bedeutende Kooperationsaktivität ist (Wölfl et al., 2017). Spezifisch zur Kooperation beim Übergang liegt nur geringe Evidenz vor. Kiso und Lotze (2015) zeigen etwa, dass Fach- und Lehrkräfte um intensive Kooperation bemüht sind, wenn ein Kind mit Beeinträchtigungen den Schuleintritt vollzieht. Dagegen mangelt es an explorativen Studien, welche die Kooperationsaktivitäten sowie die einzelnen Professionen im Übergang dezidiert beschreiben. Hier setzt die vorliegende Studie an. Ziel ist es, die Kooperationsaktivitäten beim Übergang von Kindern mit Beeinträchtigungen in die Grundschule sowie die verschiedenen Professionen zu identifizieren, die an der Kooperation beteiligt sind.

Die Datenbasis der Studie bilden qualitative, leitfadengestützte Interviews mit n=22 frühpädagogischen Fachkräften, da diese –und folglich ihre Kooperationsbeziehungen– für die Übergangsgestaltung zentral sind (Pohlmann et al., 2009). Das Sampling wurde auf Basis eines qualitativen Stichprobenplans realisiert (Döring & Bortz, 2016), für den drei Merkmale herangezogen wurden: 1) die Berufserfahrung der Fachkräfte, die für ihre Kooperationspraxis relevant ist (Meyer-Siever, 2015); 2) das pädagogische Profil der Kindertageseinrichtungen (inklusiv vs. nicht-inklusiv), da in inklusiven Einrichtungen umfassender mit anderen Professionen kooperiert wird als in nicht-inklusiven Einrichtungen (Hensen et al., 2016); 3) die Lage der Kindertageseinrichtungen (im Einzugsgebiet vs. nicht im Einzugsgebiet einer Schule mit inklusivem Profil), da die Etablierung von Kooperationsbeziehungen in Schulen mit inklusivem Profil eine besondere Rolle spielt (Heimlich, 2020). Die Datenauswertung erfolgte deduktiv-induktiv mittels Verfahren der inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz & Rädiker, 2022) durch zwei unabhängige CodiererInnen (Cohen’s Kappa=.86).

Im Ergebnis zeigt sich, dass die Fachkräfte beim Übergang von Kindern mit Beeinträchtigungen neben den anderen Fachkräften und den Lehrkräften der aufnehmenden Schulen mit einer großen Bandbreite an Professionen kooperieren. Vor allem Professionen mit medizinisch-therapeutischem Schwerpunkt (HeilpädagogInnen, ErgotherapeutInnen, Logopä­dInnen) sind bedeutende KooperationspartnerInnen, während mit MitarbeiterInnen der zuständigen Behör­den wenig zusammengearbeitet wird. Bemerkenswert ist, dass Fachkräfte aus inklusiven Einrichtungen dabei nicht grundsätzlich von umfassenderen Kooperationsbeziehungen mit externem Unterstützungspersonal berichten, wie es vorliegende Forschungsbefunde (z.B. Hensen et al., 2016) nahelegten.

Die Kooperationsaktivitäten, die berichtet werden, zielen insbesondere auf eine Kommunikation zwischen den AkteurInnen (z.B. Austauschgespräche) sowie eine gemeinsame pädagogische Begleitung des Kindes im Übergangsprozess. Letzteres umfasst sowohl Maßnahmen der Diagnostik (z.B. gemeinsame Beobachtungen) als auch der Förderung (z.B. Durchführung von Unterstützungsmaßnahmen). Auffällig ist die Vielzahl an individualisierten Kooperationsaktivitäten, die insbesondere von Fachkräften aus inklusiven Einrichtungen berichtet werden. Während sich die Zahl der KooperationspartnerInnen zwischen den Einrichtungsarten nicht zwangsläufig unterscheidet, deuten sich in der Art der Kooperation also Unterschiede an. Von gemeinsamen Professionalisierungsmaßnahmen (z.B. Fortbildungen) wird ausschließlich mit den Grundschullehrkräften berichtet. Auf Basis der Ergebnisse wird ein Modell vorgestellt, welches die Formen der Kooperation beim Übergang von Kindern mit Beeinträchtigungen systematisiert.



Paper Session

Die Entwicklung exekutiver Funktionen im Kindergarten: Spielt es eine Rolle, ob Kinder mehr Zeit in kindzentrierten im Vergleich zu lehrkraftgeleiteten Aktivitäten verbringen?

Janina Eberhart1, Donna Bryce2, Sara Baker3

1Universität Tübingen, Deutschland; 2Universität Augsburg, Deutschland; 3University of Cambridge, UK

Theoretischer Hintergrund

Exekutive Funktionen sind kognitive Fähigkeiten, die für die Schulreife, die schulischen Leistungen und die sozial-emotionalen Fähigkeiten von Kindern entscheidend sind (Blair, 2002; Blair & Razza, 2007; Riggs et al., 2006). Daher wird versucht zu verstehen, wie kindliche exekutive Funktionen gefördert werden können (Takacs & Kassai, 2019). Bildungseinrichtungen bieten dafür eine gute Möglichkeit (Yoshikawa et al., 2013). Exekutive Funktionen sind eine Komponente der Selbstregulation. Um ihr Verhalten regulieren zu lernen brauchen Kinder zunächst die Unterstützung von Erwachsenen oder erfahreneren anderen Kindern (Fremdregulation); mit der Zeit lernen Kinder dann, ihr Verhalten ohne externe Unterstützung zu regulieren. Kinder profitieren von Aktivitäten, in denen sie diese Fähigkeiten üben können. Es wird davon ausgegangen, dass kindzentrierte Aktivitäten, in denen Kinder ihr eigenes Verhalten steuern müssen, Selbstregulation mehr fördern als lehrkraftgeleitete Aktivitäten, in denen Kinder hauptsächlich Instruktionen folgen. Im Kindergarten (Reception in England) verbringen Kinder ihre Zeit in Aktivitäten mit unterschiedlichem Unterstützungsgrad, darunter Aktivitäten in der ganzen Gruppe, Aktivitäten in kleinen Gruppen, Übergängen und im freien Spiel. Bei Aktivitäten in der ganzen Gruppe und in kleinen Gruppen erhalten die Kinder in der Regel Instruktionen und Anleitungen von Lehrkräften. In kindzentrierten Aktivitäten hingegen müssen die Kinder ihr Verhalten selbst steuern und regulieren.

Fragestellung

In dieser Studie untersuchen wir, ob der Anteil der Zeit, die Kinder in verschiedenen Aktivitäten im Kindergarten verbringen, mit der Entwicklung der kindlichen exekutiven Funktionen zusammenhängen. Wir stellen die Hypothese auf, dass Kinder, die mehr Zeit in kindzentrierten Aktivitäten verbringen, bei denen sie ihr eigenes Verhalten steuern und regulieren müssen, mehr Zuwachs in der Entwicklung ihrer exekutiven Funktionen zeigen als ihre Altersgenossen, die weniger Zeit in kindzentrierten Aktivitäten verbringen.

Methode

Die Stichprobe dieser Studie umfasste 207 Kinder (MAlter = 5.25 Jahre) aus 32 Kindergartengruppen und 14 Einrichtungen in England. Die meisten Einrichtungen befanden sich in sozial benachteiligten Gegenden. Die exekutiven Funktionen der Kinder wurden zu Beginn und am Ende des Kindergartenjahres mit fünf Aufgaben erhoben. Die Aufgaben erfassten das Arbeitsgedächtnis, die Inhibition und die kognitive Flexibilität. Außerdem wurden die Sprachkenntnisse der Kinder, ihr nonverbales Denken und ihr familiärer Hintergrund erhoben. Im Frühjahr wurde in jeder Kindergartengruppe eine eintägige Beobachtung mit dem Beobachtungsinstrument COPTOP (COPTOP; Bilbrey et al., 2017; Farran, 2017) durchgeführt, um die Aktivitäten der Kinder und die Abläufe im Kindergarten zu erfassen. Der COPTOP bildet zyklische Momentaufnahmen von Aktivitäten und dem Verhalten der Kinder über den Tag hinweg ab. Auf Grundlage dieser Beobachtungen wurde die Zeit berechnet, die die Kinder in verschiedenen Aktivitäten verbrachten. Die Zeit, die Kinder in kindzentrierten und lehrkraftgeleiteten Aktivitäten verbrachten, war von besonderem Interesse. Außerdem wurde die Zeit in Übergängen ermittelt, d. h. Zeiten, in denen Kinder auf den Beginn von Aktivitäten warteten oder von einer Aktivität zur nächsten wechselten.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigten, dass die Kinder im Durchschnitt mehr Zeit in kindzentrierten als in lehrerkraftgeleiteten Aktivitäten verbrachten. Interessanterweise zeigten unsere Erhebungen, dass Übergänge, also Zeiten ohne Lerninhalte, wie z. B. in der Schlange stehen oder Warten, einen beträchtlichen Zeitanteil des Tages einnahmen. Die Analyse zeigte, dass Kindmerkmale wie die exekutiven Funktionen der Kinder zu Beginn des Kindergartenjahres, ihr nonverbales Denken und ihre Wortschatzkenntnisse die exekutiven Funktionen der Kinder am Ende des Kindergartenjahres vorhersagten. Der Anteil der Zeit in kindzentrierten und lehrkraftgeleiteten Aktivitäten war nicht mit den exekutiven Funktionen der Kinder am Ende des Kindergartenjahres assoziiert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die untersuchten Zeitanteile der Kindergartengruppen in verschiedenen Aktivitäten für die Entwicklung der kindlichen exekutiven Funktionen eine untergeordnete Rolle spielten. Stattdessen waren Merkmale des Kindes für die Entwicklung der exekutiven Funktionen wichtig. Es werden alternative Interpretationen dieser Ergebnisse sowie Implikationen für Bildungseinrichtungen diskutiert.

 
Datum: Donnerstag, 21.03.2024
10:00 - 12:30NWT - 04: Einführung in kausale Diagramme
Ort: S15

 
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