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Sitzungsübersicht
Ort: S14
Seminarraum, 50 TN
Datum: Montag, 18.03.2024
10:30 - 12:101-15: Instruktionale Unterstützung
Ort: S14
 
Paper Session

Unlocking Math Potential in Low-SES Students - Instructional Scaffolds as Road Map to Improved Performance for Students with Unfavorable Prerequisites

Katharina M. Bach1, Frank Reinhold2, Sarah I. Hofer1

1Ludwig-Maximilians-Universität München; 2Pädagogische Hochschule Freiburg

Socioeconomic status (SES) accounts for up to one-third of inequality in education (Martins & Veiga, 2010); the influence is particularly strong in Germany (Baumert & Schümer, 2001; Müller & Ehmke, 2015). Coming from a family with low SES is considered a risk for educational achievement (Sirin, 2005) because SES is strongly associated with various cognitive (e.g., attention, Hoyer et al., 2023) and non-cognitive variables (e.g., self-concept, Gujare & Tiwari, 2016) related to school success. These variables need to be considered to understand and address the issue of educational achievement as a function of SES by providing students with tailored instructional support.

Therefore, we examined prototypical profiles of low-SES students to investigate their different prerequisites. Next, we investigated which instructional scaffolds help them best in the context of mathematics since the performance gap between low- and high-SES students is especially pronounced in this subject (Ditton & Maaz, 2011; Hentges et al., 2019; Lubienski, 2002).

321 German 6th-grade students (academic track school: n = 190, non-academic track school: n = 131) participated in our intervention study. They were assigned to an intervention or control condition and worked through an e-textbook with four blocks of increasingly complex content in fractions. As intervention, they received different instructional scaffolds: adaptive task difficulty, process feedback, or animations. Everyone had to complete a pre- and post-knowledge test and work on test instruments to assess individual cognitive and affective variables.

We employed latent profile analyses (LPA) to identify distinct profiles based on nine cognitive and affective indicators and determine whether there are profiles that are systematically more likely to occur in low-SES students. Three profiles were identified: inattentive unfavorable, attentive unfavorable, and favorable. Low-SES students are more likely to be associated with the two unfavorable profiles, characterized by lower scores in attention, visuo-spatial abilities, general reasoning skills, math knowledge (pretest), interest, cognitive and behavioral engagement, self-concept, and higher scores in math anxiety and excessive demand. Both profiles are similar except for the attention scores. Secondly, we fitted a linear mixed model with profile affiliation, condition, and school type as fixed effects and class as random effect. Results indicated that students in the two unfavorable profiles answered the post-test less accurately than their peers. A significant interaction effect revealed that students in the inattentive unfavorable profile benefitted significantly from the adaptive task difficulty. Moreover, the school type played a relevant role: Students at the non-academic track schools performed worse than their peers at academic track schools and benefited notably from adaptive task difficulty.

The LPA shows the complex relationships between SES and cognitive and affective variables without presenting low-SES students through a deficit-based lens (Gorski, 2011; McKay & Devlin, 2016). Instead, results build a basis for deriving support measures. Low SES may be at the root of many educational difficulties (Tomul & Savasci, 2012), but understanding the interrelationships allows for intervention: Appropriate instructional support might mitigate or even compensate for the adverse effect of specific aptitudes and characteristics (Dietrichson et al., 2017). The finding that students in the two unfavorable profiles and students from non-academic track schools benefit from adaptive task difficulty is essential for designing math instruction that meets students where they are and shifts away from the "one fits all" model (Ohanian, 1999). Furthermore, the results point to the strong influence of school types. This raises, once more, the question of whether tracking after elementary school acts as a catalyst for educational inequity.

Summarized, the study highlights the need for a technology-supported adaptive approach for low-SES students, addressing their aptitudes (e.g., Arroyo et al., 2014; Stebler & Reusser, 2017) and promoting educational participation through appropriate instructional scaffolds.



Paper Session

Gestufte Lernhilfen als adaptive Scaffolds: Die Rolle des Fähigkeitsselbstkonzepts bei der Wahl und Nutzung

Julia Arnold, Andrea Lüscher, Maurer Michaela

Zentrum Naturwissenschafts- und Technikdidaktik (ZNTD) - Pädagogische Hochschule FHNW, Schweiz

Theoretischer Hintergrund: Beim forschenden Lernen handelt sich um einen selbstregulierten, offenen Lernansatz. Dies kann für unerfahrene Lernende kognitiv überwältigend sein (Kirschner, Sweller, & Clark, 2006). Daher sollten die Lernenden unterstützt werden (Furtak, 2006; Hmelo-Silver et al., 2007). Eine Meta-Analyse zeigt, dass Lernunterstützung eine wichtige Rolle beim forschenden Lernen spielt (Lazonder & Harmsen, 2016). Wie diese Unterstützung optimal aussehen sollte, ist Gegenstand aktueller Forschung (Rönnebeck et al., 2016). Eine Möglichkeit der individuellen Unterstützung sind gestufte Lernhilfen (Hänze, Schmidt-Weigand, & Stäudel, 2010). Sie bestehen aus mehreren Teilen und unterstützen die Lernenden auf unterschiedlichen Ebenen. In einer Studie zeigte sich, dass sie den Kompetenzerwerb beim Forschenden Lernen fördern und den Cognitive Load reduzieren können (Arnold, Kremer & Mayer, 2017). Jedoch hat sich auch gezeigt, dass sich der objektive Bedarf nicht mit der Hilfenwahl und -Nutzung deckt (Arnold, 2015). Dies kann darin begründet liegen, dass sich der objektive Bedarf nicht mit der subjektiven Einschätzung der Lernenden deckt.

Forschungsfrage: Daher wird in diesem Beitrag die Rolle des Fähigkeitsselbstkonzepts (FSK) bei der Wahl und Nutzung von gestuften Lernhilfen untersucht. Das FSK ist die subjektive Einschätzung der eigenen Fähigkeit (Stiensmeier-Pelster & Schöne, 2008). Es liegt anderen motivationalen Faktoren (z.B. Zielorientierungen und Kausalattributionen; Köller & Schiefele, 1998) zugrunde. Entsprechend beeinflusst das FSK das Hilfen-Nutzungs-Verhalten im selbstregulierten Lernen (Stiensmeier-Pelster & Schwinger, 2007).

Methode: Die gestuften Lernhilfen lagen in einem digitalen Lerntool zur Förderung der Experimentierkompetenzen vor. Den Lernenden standen unterstützend Hinweise, Beispiellösungen (instrumentelle Hilfen) und Lösungen (exekutive Hilfen) zur Verfügung. Vor und nach der Bearbeitung der Lernaufgaben bearbeiteten die Lernenden zwei Kompetenztests (Arnold, Kremer & Mayer, 2017; Arnold et al., 2018). Ausserdem wurden das FSK (Schöne et al., 2012), das Geschlecht, sowie die Anzahl und Art der genutzten Lernhilfen und die jeweilige Verweildauer (Log-Daten) erfasst. Die Lernenden wurden nach Gründen der Hilfenwahl, der Verständlichkeit und der Nützlichkeit der Hilfen befragt. Die Daten beziehen sich auf N = 422 (nweiblich = 256, nmännlich = 161, ndivers = 5) Teilnehmende.

Ergebnisse: Das Fähigkeitsselbstkonzept in Bezug auf das Planen von Experimenten M = 1.85 (SD = 0.81) liegt unterhalb des Mittelwerts der Skala (M = 2.5). Männliche Probanden, berichten ein signifikant höheres FSK (M = 2.07, SD = 0.77) als weibliche (M = 1.70, SD = 0.80), t(395) = -4.618, p < .000; r = -.48. In Bezug auf den Zusammenhang zwischen FSK und Kompetenz fällt auf, dass sowohl im Pretest (r = .219, p < .000) als auch im Posttest (r = .306, p < .000) im mittleren Bereich liegt. Ferner zeigt sich, dass Lernende mit höherem FSK auch einen höheren Lernzuwachs haben (r = .154, p = .002).

Bei der Analyse der Hilfennutzung fällt auf, dass Lernende mit höherem FSK weniger Hilfen in Anspruch nehmen (r = -.113, p = .023) und insgesamt weniger Zeit bei den Hilfen verweilen (r = -.137, p < .006). Schaut man sich die Verweildauer pro Hilfe an, gibt es keinen Zusammenhang mehr zum FSK. Bei der Hilfenwahl fällt auf, dass das FSK keinen Zusammenhang mit der Nutzung von Beispielen oder Hinweisen hat. Jedoch nutzen Lernende mit höherem FSK weniger Lösungen (r = -.149, p < .003). Dieser Effekt ist zwar eher klein, lässt sich aber dadurch erklären, dass Lernende mit höherem FSK eher zu instrumentellen Hilfen tendieren.

Betrachtet man die tatsächliche Passung der Hilfen zu dem angegebenen Grund der Hilfenwahl, ist ebenfalls kein Zusammenhang zum FSK zu erkennen. Während Lernende mit höherem FSK die Hilfen als verständlicher einschätzen (r = .201, p < .000, N = 359), finden sie sie in ihrer Wahl nicht passender oder nützlicher als Lernende mit geringerem FSK.

Derzeit arbeiten wir an einem Strukturgleichunsgmodell zur Darstellung der Rolle des FSK.



Paper Session

Unterstützungsmöglichkeiten beim Lösen Bayesianischer Aufgaben und deren Auswirkung auf die kognitive Belastung

Julia Sirock1, Tina Seufert2, Markus Vogel1

1Pädagogische Hochschule Heidelberg, Deutschland; 2Universität Ulm, Deutschland

Bayesianische Problemstellungen und deren Lösungen zeigen diverse Herausforderungen: Relevante numerische Informationen müssen gefunden, klassifiziert, in mathematische Formeln transformiert und mentale Darstellungen ausgebildet werden.

Eine Erleichterung durch die Angabe numerischer Informationen im Häufigkeitsformat ist gut belegt (Brase, 2021). Viele Studien bestätigen eine Unterstützung durch gegebene Visualisierungen. Besonders effektive Abbildungen stellen die Einflussgröße der genesteten Struktur dar, beispielsweise die Vierfeldertafel oder das Einheitsquadrat (Eichler et al., 2020). Die Vierfeldertafel zeigt durch Strukturierung der Daten eine elegante, unterstützende Möglichkeit (Binder et al., 2015). Das Einheitsquadrat bietet zusätzliche bildhafte Komponenten durch zu den Zahlen proportionale Flächen und hilft der Visualisierung bei der Transformation von Bedingungen in mathematische Formeln (Vogel et al., 2019). Dynamisches Verschieben von Flächenverhältnissen fördert intuitives Denken und kognitive Barrieren, welche das Lösen Bayesianischer Probleme erschweren, werden abgebaut (Böcherer-Linder et al., 2018; Eichler & Vogel, 2013).

Visualisierungen bieten eine Unterstützungsmöglichkeit, für die neben mentaler Verknüpfung der Aufbau kohärenter mentaler Repräsentation erforderlich ist (Kohärenzbildung, Seufert, 2003). Diese ist vielschichtig mit verschiedenen Ansätzen hierzu (vgl. Seufert & Brünken, 2006). Studien zeigen positive Effekte durch das Finden zusammenhängender Elemente (Schnaubert & Bodemer, 2017), beispielsweise unterstützend durch Farbgebung einzelner Elemente oder explizites Erklären der Beziehungen zwischen Repräsentationen (Vogt et al., 2020; Seufert, 2003). Die Kombination von Hervorhebung und Hilfe auf tieferer Ebene ist besonders hilfreich für den Lernerfolg und die Verringerung kognitiver Belastung (Seufert & Brünken, 2006).

Der vorliegende Beitrag untersucht die Unterstützung beim Lösen Bayesianischer Aufgaben anhand drei unterschiedlicher Visualisierungen Formel (von Bayes), Vierfeldertafel und Einheitsquadrat, sowie die notwendigen kognitiven Prozesse. Ziel der Studie ist die Untersuchung der Auswirkungen unterstützender Ansätze für die Performanz und die erlebte passive und aktive kognitive Belastung (Klepsch & Seufert, 2021).

Durch oben genannte Eigenschaften der Visualisierungen ergibt sich für die Performanz die Vermutung für folgende Reihenfolge der verwendeten Visualisierungen:
Formel < Vierfeldertafel < Einheitsquadrat (Hypothese 1).

Die räumliche Struktur der Vierfeldertafel und eine daraus resultierende bessere Übereinstimmung der äußeren und inneren Darstellung impliziert eine geringere passive kognitive Belastung im Vergleich zur Formel. Durch die bildliche Komponente im Einheitsquadrat ist eine weitere Verringerung der kognitiven Belastung anzunehmen:
Einheitsquadrat < Vierfeldertafel < Formel (Hypothese 2).

Demnach ergibt sich für die aktive kognitive Belastung das entgegengesetzte Muster:
Formel < Vierfeldertafel < Einheitsquadrat (Hypothese 3).

Es wurden insgesamt N = 30 Studierende der Psychologie befragt. Das Durchschnittsalter beträgt M = 22.17 (SD = 1.53, 83,3% weiblich). Die Befragungen erfolgten über die online-Plattform „Zoom“. Nach kurzer Einführung wurde das Vorwissen in Form einer bayesianischen Aufgabe ohne Hilfsmittel erfasst. Darauffolgend wurden die Teilnehmenden mittels standardisierter Prompts angeleitet, eigenständig eine Vierfeldertafel und ein Einheitsquadrat zu erstellen. Ein Erklärvideo rundete den instruktiven Teil ab. Sechs Bayesianische Textaufgaben mit jeweils einer der drei Visualisierungen und Abfrage über die aktive und passive Belastung folgten.

Erste Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede bezüglich der drei Visualisierungen (𝑀Formel=.733, 𝑆𝐷Formel=.365; 𝑀Vierfeldertafel=.917, 𝑆𝐷Vierfeldertafel=.201; 𝑀Einheitsquadrat=.967, 𝑆𝐷Einheitsquadrat=.086). Eine ANOVA zeigte signifikante Unterschiede (𝐹(2,58)=7.756, 𝑝<.001, 𝜂𝑝2= .221). Kontrastanalysen zeigten deutlich einen signifikanten Unterschied sowohl zwischen Einheitsquadrat und Formel (𝐹(1,29)=11.866, 𝑝<.002, 𝜂𝑝2=.290) als auch Vierfeldertafel und Formel (𝐹(1,29)=5.858, 𝑝=.022, 𝜂𝑝2=.168).

Konträr zu zuvor getroffenen Annahmen war die passive kognitive Belastung beim Einheitsquadrat (𝑀=2,70, 𝑆𝐷=0,906) etwas höher als bei der Vierfeldertafel (𝑀=2.58, 𝑆𝐷=.891). Eine ANOVA zeigte signifikante Unterschiede (𝐹(2,58)=30,491, 𝑝<.001, 𝜂𝑝2=0,513). In den Kontrastanalysen zeigten sich signifikante Effekte für den linearen Trend (𝐹(1,29)=38.872, 𝑝<.001, 𝜂𝑝2=.573) und eine Bonferroni-korrigierte post-hoc Analyse ergab eine höhere passive Belastung bei der Formel von Bayes als bei der Vierfeldertafel (p<.001; MDiff=1.167, 95% - 𝐶𝐼[. 726, 1.607]) und beim Einheitsquadrat (p<.001; MDiff=1.050, 95% - 𝐶𝐼[. 622, 1.478]).

Die aktive kognitive Belastung war durchgängig sehr hoch, wies jedoch keine signifikanten Unterschiede bezüglich der drei Visualisierungen auf.



Paper Session

Förderung des kollaborativen Problemlösens mit Lösungsbeispielen: Wie stark sollte die Selbsterklärung angeleitet sein?

Dave Rexhäuser1, Anika Radkowitsch2, Constanze Richters3, Inga Glogger-Frey4, Stephan Abele1

1Technische Universität Dresden; 2IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Kiel; 3Ludwig-Maximilians-Universität München; 4Universität Erfurt

Kollaboratives Problemlösen ist in Bildung und Beruf bedeutsam (z.B. Zehner et al., 2017). Im Bereich der Kfz-Mechatronik erhöhen die zunehmende technische Komplexität und eine häufig dezentrale Informationsverteilung die Anforderungen und die Relevanz kollaborativer diagnostischer Problemlösung. Kollaboratives diagnostisches Problemlösen beschreibt die gemeinsame Anstrengung von mindestens zwei Personen, den aktuellen Zustand eines Systems (z. B. eines Kraftfahrzeugs) zu analysieren und die Ursache einer vorliegenden Störung zu identifizieren (Radkowitsch et al., 2022). Die Verbindung kollaborativer, d.h. interaktiver, und diagnostischer (inhaltlicher) Aktivitäten stellt dabei für Diagnostiker/innen eine doppelte kognitive Belastung dar (Kirschner et al., 2018). Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass Kfz-Mechatroniker/innen am Ende ihrer Ausbildung u.a. Schwierigkeiten haben für die Kollaboration relevante Inhalte zu identifizieren (Radkowitsch et al., eingereicht). Lösungsbeispiele können helfen Lern- und Problemlöseprozesse zu strukturieren und kognitive Belastung zu reduzieren (Renkl, 2014). Als weitgehend gesichert gilt, dass Selbsterklärungsaufgaben die Wirksamkeit von Lösungsbeispielen erhöht (Renkl & Eitel, 2019). Unklar ist, ob positive Effekte von Lösungsbeispielen bei kombinierter Förderung diagnostischer und kollaborativer Aktivitäten auftreten und wie stark Selbstklärungsaufgaben angeleitet sein müssen, um Lösungsbeispiele effektiv zu unterstützen. Im Beitrag untersuchen wir in einer Interventionsstudie die Auswirkungen des Einsatzes von Lösungsbeispielen mit unterschiedlich stark angeleiteten Selbstklärungsaufgaben auf den Austausch relevanter Inhalte, auf die Verteilung diagnostischer und kollaborativer Aktivitäten, auf den Diagnoseerfolg (diagnostische Genauigkeit) und auf die kognitive Belastung.

Wir untersuchten 77 Dyaden von Auszubildenden der Kfz-Mechatronik in einem Prä-Post-Kontrollgruppendesign mit Messwiederholung. Die Intervention beinhaltete eine für alle Teilnehmenden identische Strategieinstruktion und eine gruppenspezifische Trainingsphase. Die Strategieinstruktion umfasste die Erläuterung erfolgsversprechender Verhaltensweisen während der kollaborativen Störungsdiagnose. In der Trainingsphase erprobten die zwei Experimentalgruppen die gelernten Verhaltensweisen an zwei Lösungsbeispielen, die eine Chatkommunikation zu kollaborativen Kfz-Störungsdiagnosefällen darstellten. Die beiden Experimentalgruppen erhielten unterschiedlich stark angeleitete Selbsterklärungsaufgaben, die entweder zur Erklärung spezifischer Aktivitäten in den Lösungsbeispielen (27 Dyaden) oder zu einer wenig spezifischen Erklärung zum Gelingen oder Nichtgelingen der Kommunikation im Lösungsbeispiel aufforderten (24 Dyaden). Nach Bearbeitung erhielten beide Gruppen eine Musterlösung. Die Kontrollgruppe (26 Dyaden) erprobte die Strategie an zwei Kfz-Störungsdiagnosefällen in einer Kfz-Computersimulation (Gschwendtner et al., 2009), ohne Lösungsbeispiele oder Selbsterklärungsaufgaben. In der Kfz-Computersimulation, die auch für Prä- und Posttest verwendet wurde, übernahmen die Dyaden unterschiedliche Rollen (Werkstatt; Servicehotline) und tauschten sich über Textchats aus. Wir codierten ausgetauschte Textchats der Dyaden hinsichtlich des Auftretens relevanter Inhalte, diagnostischer und kollaborativer Aktivitäten. Die diagnostische Genauigkeit bewerteten wir anhand der Dyaden-Antworten auf einer Skala von „0“ (Inkorrekte Diagnose) bis „4“ (Vollständig korrekte Diagnose). Zur Erfassung der kognitiven Belastung setzten wir eine kontextangepasste Selbsteinschätzungsskala ein (Klepsch & Seufert, 2020). Die Analysen umfassten Varianzanalysen bzw. nicht-parametrische Alternativverfahren.

Alle Gruppen tauschten im Posttest signifikant mehr relevante Inhalte in den Dyaden aus als im Prätest (F(1,74) = 21,27, p =<.001, η²= .22). Der Effekt war signifikant größer, wenn Lösungsbeispiele verwendet wurden (F(2,74) = 3,82, p = .026, η²= .09), dabei machte es keinen Unterschied, ob stark oder schwach angeleitete Selbstklärungsaufgaben bearbeitet wurden (p = .732). Die Aktivitäten entwickelten sich in den Gruppen vergleichbar und blieben nah am Ausgangsniveau. Bezüglich der diagnostischen Genauigkeit zeigten sich keine signifikanten Veränderungen (V = 278, p = .190, r = .15) und keine signifikanten Gruppenunterschiede (p = .142). Teilnehmende der Kontrollgruppe berichteten eine signifikant höhere kognitive Belastung als Teilnehmende der Experimentalgruppen (F(2,151) = 4,05, p = .019, η²= .05).

Zusammenfassend zeigt sich, dass Lösungsbeispiele und Selbsterklärungsaufgaben den Lernprozess zum kollaborativen diagnostischen Problemlösen unterstützen können. Insbesondere scheinen sie den korrekten Austausch relevanter Inhalte in den Dyaden zu fördern, was eine besondere Herausforderung für Auszubildende darstellt und erfolgsrelevant zu sein scheint (Radkowitsch et al., eingereicht). Wir vermuten, dass ein gesteigerter Fokus auf relevante Inhalte, langfristige Auswirkungen auf die Aktivitäten und die diagnostische Genauigkeit der Auszubildenden haben kann, hierfür jedoch weitere Übungsmöglichkeiten erforderlich sind.

 
13:10 - 14:502-15: Empirische Perspektiven auf den Sportunterricht
Ort: S14
 
Paper Session

Wirksamkeit eines kognitiv aktivierenden Sportunterrichts: empirische Befunde eines systematischen Reviews mit Metaanalyse

Clemens Töpfer1, Sophie Engelhardt2,3, Johannes Carl4, Julia Hapke3

1Friedrich-Schiller-Universität Jena; 2Eberhard Karls Universität Tübingen; 3Universität Koblenz; 4Deakin University, Melbourne

Einleitung

Seit einiger Zeit wird im Fach Sport der Frage nachgegangen, wie die Unterrichtsqualitätsdimension der kognitiven Aktivierung im Fach Sport ausgedeutet werden kann (u. a. Herrmann & Gerlach, 2020). Engelhardt et al. (2023) plädieren diesbezüglich für eine konstruktäquivalente Übertragung aus der empirischen Bildungsforschung in das Fach Sport, wonach die vertiefte mentale Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand im Vordergrund steht (Lipowsky, 2020). In einem Scoping Review konnten Engelhardt et al. (2023) aus empirischen Studien insgesamt fünf Zielkategorien kognitiver Aktivierung im Sportunterricht herausstellen: (gesundheitsbezogenes) Wissen, motorische Fertigkeiten, Spielverständnis und -fähigkeit, Reflexionsfähigkeit und Motivation. Bislang ist allerdings wenig über die Wirksamkeit eines kognitiv aktivierenden Sportunterrichts bekannt. Vor diesem Hintergrund folgt der vorliegende Beitrag der Frage, wie wirksam Interventionen zu einem kognitiv aktivierenden Sportunterricht hinsichtlich der Zielkategorien sind.

Methode

Um die aktuelle Forschungslage im deutsch- sowie englischsprachigen Raum zu erfassen, wurde ein systematischer Review durchgeführt (Page et al., 2021). Recherchiert wurde in nationalen sowie internationalen Datenbanken (BISp-Surf (SPOLIT), SPORTDiscus, FIS-Bildung, ERIC, Web of Science, Scopus) im Zeitraum von 2000-2022. Dabei kam ein breites Spektrum an deutsch- und englischsprachigen Suchbegriffen zum Einsatz, das die Idee der kognitiven Aktivierung abbilden sollte (z. B. Aufgabenkultur, Reflexion, instructional support, cognitive engagement). Titel-, Abstract- und Volltext-Screening (anhand definierter Ein- und Ausschlusskriterien: u. a. Prä-Post-Design) sowie die Datenextraktion und das Risk-of-Bias Assessment (Higgins et al., 2011) erfolgten durch zwei unabhängige Gutachtende. Zur Bewertung der studienübergreifenden Wirksamkeit wurde mit allen Studien im Kontrollgruppendesign eine Metaanalyse (Review Manager 5.4) durchgeführt.

Ergebnisse

Die Datenbanksuche lieferte 5639 Treffer. Nach Entfernen der Duplikate wurden insgesamt 3173 Treffer in den weiteren Reviewprozess einbezogen (Cohens Kappa: 0.74–0.93). 32 Interventionsstudien konnten nach Abschluss des Screening-Prozesses eingeschlossen werden. Die überwiegende Mehrheit der Studien stammte aus den USA und aus Spanien; zwei Studien wurden in Deutschland durchgeführt. Insgesamt zeigt sich ein heterogenes Bild hinsichtlich der Studiendesigns und der eingesetzten Erhebungsverfahren (z.B. in Bezug auf Inhalt und Testgüte). Lediglich die Hälfte der Studien (n=14) folgt einem Kontrollgruppendesign. Die Interventionsprogramme orientieren sich mehrheitlich an methodischen Ansätzen wie dem „Teaching Games for Understanding“ zur Förderung von Spielverständnis und Spielfähigkeit oder dem 5-E-Learning-Cycle zum Erwerb gesundheitsbezogenen Wissens. In den Studien lassen sich empirische Nachweise zu Lerngewinnen in vier der fünf Zielkategorien identifizieren: (gesundheitsbezogenes) Wissen (g=0.54), motorische Fertigkeiten (g=0.56), Spielverständnis und -fähigkeit (g=0.48) sowie Motivation (g=0.39). Die Zielkategorie Reflexionsfähigkeit wurde in keiner der Interventionsstudien empirisch erfasst.

Diskussion

Der deutschsprachige Diskurs um kognitive Aktivierung kann über internationale Befunde zur Wirksamkeit äquivalenter Ansätze bereichert und fundiert werden. In Ergänzung zu den Annahmen von Richartz und Kohake (2021) zeigt sich ein kognitiv aktivierender Sportunterricht dabei nicht nur wirksam im Bereich des verständnis- und bewertungsbezogenen Lernens, sondern auch hinsichtlich motorischer sowie spieltaktischer Zielkategorien. Dass Reflexionsfähigkeit als Zielkategorie bislang in Interventionsstudien nicht als Outcome untersucht wird, markiert jedoch ein relevantes Desiderat, insbesondere vor dem Hintergrund des sportunterrichtlichen Bildungsauftrags einer Handlungsfähigkeit im Sport. Hierzu bedarf es künftig der Entwicklung geeigneter Testinstrumente. Im Vergleich zu anderen systematischen Reviews (u. a. Carl et al., 2022) zeigen sich zudem Limitationen hinsichtlich des Umfangs der Datenlage. Vor dem Hintergrund eines noch jungen empirischen Diskurses um einen kognitiv aktivierenden Sportunterricht und der geringen Anzahl an Studien mit Kontrollgruppendesign, bedarf es weiterer Studien, um die Robustheit der metaanalytischen Befunde zu stärken.



Paper Session

Einstellungen von Sportlehrkräften zu digitalen Medien im Sportunterricht – ein systematisches Review

Jessica Schmeling, Esther Pürgstaller, Kilian Koal, Lorena Barkemeyer, Maurice Ullmann

Universität Potsdam, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Medienbildung wird als fächerübergreifender Bildungsauftrag verstanden (KMK, 2017) und betrifft demnach alle Unterrichtsfächer – auch den Sportunterricht. Hier spielt Medienbildung oftmals (noch) eine untergeordnete Rolle. Aktuelle Studien zeigen, dass insbesondere intraindividuelle Faktoren den Einsatz digitaler Medien im Sportunterricht beeinflussen. So wird Einstellungen von Sportlehrkräften zu digitalen Medien eine relevante Rolle zugeschrieben (Gibbone, Rukavina & Silverman, 2009). Die internationale Forschungslage zur Frage, welche Einstellungen Sportlehrkräfte und Sportlehramtsstudierende zu digitalen Medien haben, ist schwer zu überblicken und wurde bislang nicht systematisch aufgearbeitet. Dies erschwert es, Bedarfe für weitere Forschung in diesem Bereich zu identifizieren und Evidenz zu generieren, auf deren Grundlage Maßnahmen für die Lehramtsausbildung oder auch mögliche Fortbildungsangebote für Sportlehrkräfte abgeleitet werden können.

Fragestellung

Im Rahmen des Vortrags wird diesem Desiderat nachgegangen, indem folgende Fragestellungen thematisiert werden:

  1. Auf welche Stichproben und Untersuchungsdesigns wird in Studien zu Einstellungen von Sportlehrkräften und Sportlehramtsstudierenden zurückgegriffen, die nach 2006 durchgeführt wurden?
  2. Welche thematischen Forschungsschwerpunkte lassen sich in den Studien zu Einstellungen von Sportlehrkräften und Sportlehramtsstudierenden zu digitalen Medien identifizieren?
  3. Zu welchen Ergebnissen kommen die Studien in Bezug auf die Einstellungen von Sportlehrkräften und Sportlehramtsstudierenden?

Methode

Das methodische Vorgehen orientiert sich am PRISMA-Flow-Diagramm (Page et al., 2021). Um bisherige Studien zu Einstellungen von Sportlehrkräften zu digitalen Medien im Sportunterricht systematisch zu analysieren, wurde zunächst eine systematische Literaturanalyse deutsch- und englischsprachiger Studien der letzten 17 Jahre erstellt. Der Beginn des Zeitraums wurde auf 2006 datiert, da eine manuelle Recherche ergeben hat, dass in diesem Jahr erste für dieses Gebiet relevante Studien veröffentlicht wurden. Die Literaturrecherche wurde von 07/2023 bis 08/2023 in den Datenbanken Web of Science, ERIC, Sportdiskus, FIS-bildung, PsycInfo und SURF (BISP) durchgeführt. Zusätzlich wurden die Literaturlisten der eingeschlossenen Arbeiten gesichtet und Calls im sportwissenschaftlichen Kontext sowie manuelle Recherchen in relevanten Journals durchgeführt, um weitere Studien zu identifizieren. Eine Stichprobengröße von N = 11.499 Studien wurde zu Beginn des Kodierungsprozesses in die Analyse aufgenommen. Exkludiert wurden Studien u. a. aufgrund eines unpassenden Fokus (z. B. Konzeptionen von Lehrarrangements), Dokumententyps (z. B. Meta-Analysen, Praxisbeiträge) oder unpassenden Methode (z. B. Case Studies). Zwei Gutachter*innen beurteilten jeweils unabhängig voneinander, ob die Einschlusskriterien erfüllt wurden. Unstimmigkeiten wurden durch Diskussion oder durch Verweis auf dritte Gutachter*innen gelöst. Die Gesamtzahl aufgenommener Studien ergab N = 57, die anhand ihres vollständigen Textes mittels eines standardisierten, vorab erprobten Formulars hinsichtlich inhaltlicher Kriterien sowie ihrer wissenschaftlichen Qualität kategorisiert und bewertet wurden.

Ergebnisse

(1) Die Auswertung der Studien zeigt, dass in empirischen Erhebungen zu Einstellungen von Sportlehrkräften und Sportlehramtsstudierenden zu digitalen Medien vielfältige Methoden genutzt werden, wenngleich (quantitative) Fragebogenerhebungen dominieren, gefolgt von mixed methods Studien und schließlich (qualitativen) Interviewstudien. Zumeist werden Sportlehrkräfte der Sekundarstufe oder verschiedener Schulstufen befragt; selten hingegen Primarstufen-Lehrkräfte. Einen weiteren großen Anteil nehmen Studien ein, die Sport-Lehramtsstudierende fokussieren.

(2) Im Mittelpunkt der Studien stehen Fragen nach medialer Ausstattung bzw. Besitz, Nutzen bzw. Einsatz, Kompetenzen, Mehrwert und Hindernissen sowie allgemeinen Erfahrungen mit digitalen Medien. Konkrete Auswirkungen der Einstellungen (z. B. auf die Motivation der Schüler*innen), Fortbildungsbedarfe oder auch ableitbare praktische Implikationen sind bisher selten primärer Betrachtungsgegenstand. Es überwiegen Studien, die Informations- und Kommunikationstechnologien im Kontext von Sportunterricht an Schulen fokussieren, gefolgt von E-Learning Plattformen; selten werden Soziale Medien thematisiert.

(3) Die Mehrheit der Studien berichtet von eher positiven Einstellungen von Sportlehrkräften und Sportlehramtsstudierenden gegenüber digitalen Medien. Dabei konnten einzelne Studien Unterschiede in den Einstellungen in Abhängigkeit des Geschlechts, Alters und der Unterrichtserfahrung feststellen.

Die analysierten Studien weisen eine große Heterogenität auf in Bezug auf Zielgruppe, theoretischen Hintergrund, Untersuchungsdesign und -methode, untersuchte digitale Medien, Anwendungsgebiet, Ergebnisse und Studienqualität. Die systematische Literaturanalyse liefert dennoch Hinweise auf Forschungslücken, die zu füllen bedeutende Voraussetzung ist, damit Medienbildung im Sportunterricht eine relevante Rolle zugesprochen wird.



Paper Session

Einstellungen von Schüler:innen gegenüber videobasierten digitalen Medien im Sportunterricht

Maik Beege, Anne-Christin Roth

PH Freiburg, Deutschland

Während die Bedeutung der Einstellungen von Lehrkräften zum Medieneinsatz in Schule und Unterricht als Facette professioneller Kompetenzentwicklung zunehmend Beachtung findet (Knezek & Christensen, 2016; Prasse, 2012), dominieren für die Einstellungen von Schüler:innen gegenüber der Nutzung digitaler Medien in Schule und Unterricht oft noch verkürzte Vorstellungen (Schulmeister, 2009) – ihnen wird aufgrund der hohen und in den letzten zwei Jahrzehnten massiv gestiegenen Mediennutzungsdauer (Shell, 2019; mpfs, 2018; bitkom, 2019) unterstellt, dass sie Medien auch per se gerne zum Lernen nutzen würden. Für die Mediennutzung innerhalb und außerhalb schulischer Verwendungszusammenhänge sind die medienbezogenen Einstellungen von Schüler:innen jedoch ein relevantes Kriterium und daher sind sie auch Zielperspektive mediendidaktischer Bemühungen. In Anknüpfung an das Tagungsthema sind sie somit auch für die Partizipation aller Kinder und Jugendliche an mediengestützten Lernprozessen in Schule und Unterricht von Bedeutung. Außerdem sind sie für die Beurteilung potenzieller Wirkzusammenhänge beim Lernen mit digitalen Medien in Schule und Unterricht ein bisher kaum betrachtetes Kriterium. Daher wird das sozialpsychologische Konstrukt der Einstellung in seiner Multidimensionalität (kognitive, affektive und behaviorale Komponente) möglichst umfassend betrachtet (Zimbardo & Gerrig, 1996). Die zentralen Fragestellungen lauten hierbei, wie die Einstellungen von Schüler:innen zum Medieneinsatz im Sportunterricht ausgeprägt sind, welche Beziehungen zwischen Einstellungskomponenten postuliert werden können und anhand welcher externer Variablen positive Einstellungen gefördert werden können. Eine fachspezifische Besonderheit hinsichtlich der medienbezogenen Einstellung von Lehrkräften, liegt im Bewegungsprimat – der Überzeugung, dass Sportunterricht primär der Bewegung dienen soll (Roth, 2022) – und der Besorgnis, dass Medien für den Sportunterricht nicht lernförderlich gestaltet sind (Sweller et al., 2019).

Auf Basis des Technology Acceptance Models (Park, 2009) wurde ein Fragebogen zur Erfassung der Einstellung erstellt und anhand einer Erhebung an Achtklässler:innen (N = 202) validiert. Als Subskalen wurden dabei externe Variablen (schulische Sportaktivität, private Sportaktivität, Medienerfahrung, Selbst-Effektivität, Mediennorm, Nutzung im Sportunterricht), kognitive Einstellungsdimension (Nützlichkeit, Bedienbarkeit, Gestaltung der Medien, Bewegungsprimat), affektive Dimension (positive Evaluation, negative Evaluation) und behaviorale Dimension (Nutzungsintention) betrachtet. Die Skalen wurden mittels Reliabilitätsanalysen und konfirmatorischen Faktorenanalysen optimiert und validiert. Anhand der validierten Skalen und erhobenen Daten wurde ein kovarianzbasiertes Strukturgleichungsmodell berechnet, welches Effekte zwischen externen Variablen und Einstellungsdimensionen abbildet. Das prototypische Modell ist in Abbildung 1 dargestellt.

https://1drv.ms/i/s!AnDbKEWZCByFgtIk9kVZEOcPR5HOFg?e=VfmAWm

Abbildung 1. Theoretisches Modell zur Berechnung des Strukturgleichungsmodells

Das postulierte Modell hatte eine zufriedenstellende Modellgüte (RMSEA = .06; χ2/df ratio = 1.72; CFI = 0.90). Das Modell ist in Abbildung 2 dargestellt. Hierbei sind lediglich signifikante (p<.05) oder marginale (p<.10) Trends dargestellt, um die Lesbarkeit zu gewährleisten. Die relevanten Pfade werden hier noch einmal zusammengefasst. Es wird ersichtlich, dass die Nutzung der Medien im Sportunterricht und die damit verbundene Selbst-Effektivität im Lernen mit Medien sich positiv auf die kognitive Komponente der Einstellung auswirkt. So werden wahrgenommene Nützlichkeit und Usability erhöht, als auch potentielle Fehlvorstellungen bezüglich des Designs und Bewegungsprimats reduziert. Die kognitive Komponente der Einstellung hatte hierbei allerdings keinen direkten Einfluss auf die Nutzungsintention der Medien im Sportunterricht. Positive Effekte der kognitiven Komponente auf die Nutzungsintention werden vollständig durch die positive Evaluation des Medieneinsatzes mediiert. Erst durch eine positive affektive Bewertung, wird die Nutzungsintention von Medien im Sportunterricht gesteigert.

https://1drv.ms/i/s!AnDbKEWZCByFgtIlQ-e-JJnzQ-tbaw?e=Dli8Tn

Abbildung 2. Strukturgleichungsmodell. *p<.05; (*)p<.10

Eine negative Einstellung bezüglich Medien im Sportunterricht kann unter anderem auf den fehlenden Zugang und damit einer zu geringen Selbst-Effektivität im Umgang zurückzuführen sein. Interventionen auf Schüler:innen- und Lehrer:innenebene sollten somit gezielt darauf abzielen, die Vorteile des mediengestützten Sportunterrichts didaktisch adäquat einzuführen, um Selbst-Effektivität zu steigern und negative Einstellungen zu reduzieren. Dasselbe Modell wird in Folgestudien auch auf Lehrer:innenebene validiert, um externe Variablen zu identifizieren, welche im Fokus gezielter Interventionen stehen können.



Paper Session

Agentic Engagement und Opposition im Sportunterricht der Primarschule: Längsschnittliche Einflüsse auf das Verhalten von Lehrpersonen und Schüler:innen.

Clemens Berthold

PH St. Gallen, Schweiz

Einleitung

Agentic engagement beschreibt jene proaktiven Handlungen von Schüler:innen mit denen sie versuchen ihre Lernbedingungen zu verbessern, indem sie ihre Lehrerperson im Unterricht beeinflussen (Reeve, 2013). Diese können im Einklang mit den Zielen der Lehrperson stehen, aber auch Ausdruck von Widerstand und Opposition sein. (Mameli et al. 2023).

Wenn Lehrpersonen wechselseitig auf diese Handlungen reagieren und ihren Unterricht entsprechend anpassen, dann "bewegen sich Schüler:innen und Lehrpersonen gemeinsam in Richtung einer konstruktiven Synergie" (Jang et al. 2023, S. 30) und verbessern die Unterrichtsqualität. (vgl. Reeve & Tsang, 2011). Dies zeigte sich in einer verstärkt autonomie-unterstützenden Lehrweise, welche wiederum ein höheres Agentic Engagement zur Folge hat. (z.B. Matos et al. 2018; Jang et al. 2023).

Werden die Initiativen der Schüler:innen jedoch als störend für den Unterricht wahrgenommen, kann dies zu Fehlanpassungen führen und die Lehrpersonen zeigen ein erhöhtes Maß an Kontrolle und fordern Disziplin (z.B. Rajala et al. 2016, Patall et al. 2022).

Obwohl der Unterricht im Klassenzimmer weithin als gemeinsame Aktivität von Schülern und Lehrern angesehen wird (z.B. Vieluf et al. 2020), gibt es nur wenig Forschung über den gegenseitigen Einfluss, den Schüler:innen auf ihre Lehrpersonen ausüben. (vgl. Nurmi et al., 2015; Nurmi, 2012). Diese Studie nimmt die Agency der Schüler:innen und ihre Initiativen in den Fokus, und untersucht die Wechselwirkungen mit dem Lehrpersonenverhalten im Rahmen einer längsschnittlichen Analyse im Sportunterricht an der Primarschule.

Methode

Angehende Lehrpersonen (n = 34) und ihre Schüler:innen (n = 498) wurden in der ersten und vierten Woche eines Vollzeit-Praktikums, im letzten Semester der Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule, mittels Fragebogens befragt. Dabei wurden Schüler:innen-Selbsteinschätzungen ihres agentic engagement (α = .70/.76) (Agentic Engagment Scale (AES); Reeve, 2013), ihres intrinsisch motivierte oppositionellen Verhaltens (α = .81/.84) (Eigenentwicklung in Anlehnung an Aelterman et al. (2016), sowie ihre Einschätzung der Unterstützung ihrer psychologischen Grundbedürfnisse im Sportunterricht erhoben (Autonomie: α = .56/.76; Kompetenz: α = .70/.71; Eingebundenheit: α = .64/.70) (Students’ motivation in Physical Education (SMoPE), Kohake & Heemsooth, 2021). Längsschnittliche reziproke Wechselwirkungen wurden über manifeste Cross-Lagged-Panel Modelle überprüft.

Ergebnisse

Die beiden Arten der Schüler:inneninitiativen, Agentic Engagement und intrinsisch motivierte Opposition, lassen sich als trennbare Konstrukte modellieren und zeigen keine siginifikanten Zusammenhänge. Hinweise auf den reziproken Einfluss von Agentic Engagement der Schüler:innen auf die Autonomieunterstützung der Lehrpersonen konnte gefunden werden (β = .114, SE = .059, p = .056). Positive reziproke Einflüsse zeigen sich jedoch auch auf die Kompetenzunterstützung (β = .118, SE = .047, p = .012), und die Unterstützung der Eingebundenheit (β = .099, SE = .037, p = .007). Eine (Fehl-)Anpassung des Lehrpersonenverhaltens als Reaktion auf oppositionelles Verhalten der Schüler:innen konnte andererseits nicht nachgewiesen werden.

 
15:20 - 17:003-15: Feedback
Ort: S14
 
Paper Session

Wie kann Peer-Feedback instruktional unterstützt werden? – Ergebnisse einer Meta-Analyse.

Julia Hornstein, Melanie Keller, Martin Greisel, Markus Dresel, Ingo Kollar

Universität Augsburg, Deutschland

Peer-Feedback hat sich in empirischen Studien als effektive Lernmethode erwiesen (z.B. Baker, 2016; Huisman et al., 2019). Die Vorteile von Peer-Feedback bestehen dabei darin, dass die Studierende sich aktiv am Lernprozess beteiligen und somit ihren eigenen Wissens- und Kompetenzerwerb steigern können (Double et al., 2020; Li et al., 2020). Der Peer-Feedback-Prozess besteht aus vier Schritten (Kollar & Fischer, 2010): Ausarbeitung, Feedbackgabe, Feedbackrezeption und Revision. Der Forschungsstand zeigt jedoch, dass Peer-Feedback instruktional unterstützt werden muss, damit die Potenziale dieses Ansatzes tatsächlich zum Tragen kommen (Carless & Boud, 2018; Lui & Andrade, 2022). Instruktionale Unterstützungsmaßnahmen können zum einen dahingehend unterschieden werden, ob sie bestimmte Peer-Feedback-Prozesse während des konkreten Lernprozesses prompten (z.B. in Form von Rubrics zur Bewertung erhaltenen Peer-Feedbacks) oder ob sie bereits vor dem Peer-Feedback-Prozess im Sinne eines Trainings präsentiert werden. Zudem kann unterschieden werden, ob instruktionale Maßnahmen mit oder ohne Hilfe von Online-Technologien realisiert werden, wobei Online-Technologien Potenziale insbesondere hinsichtlich einer asynchronen Nutzung und der Möglichkeit, die Aufgaben ohne Zeitdruck zu bearbeiten, zugeschrieben werden. Diese instruktionalen Unterstützungsmaßnahmen können positive Effekte auf die Feedbackqualität sowie auf die Leistung haben (z.B. Sluijsmans et al., 2002; Zheng et al., 2020). Es ist jedoch noch unklar, welche Art von instruktionaler Unterstützung (Scaffolding) für welche Phase des Peer-Feedback-Prozesses am effektivsten ist, um entsprechende Effekte zu erzielen. Vor diesem Hintergrund untersucht der vorliegende Beitrag mittels metaanalytischer Verfahren, inwiefern sich (a) die Effekte unterschiedlicher instruktionaler Unterstützungsmaßnahmen (Scaffolds) auf die Feedbackqualität, die Leistung und weitere für das Lernen bedeutsame Outcomes voneinander unterscheiden, inwiefern sich (b) die Effekte von Online-Technologien im Gegensatz zu Offline-Fördermaßnahmen unterscheiden, und inwiefern sich (c) ähnliche oder unterschiedliche Effekte einzelner Maßnahmen in Abhängigkeit von der jeweiligen Peer-Feedback-Phase zeigen, in der sie eingesetzt werden. Dabei stellen die Feedbackgabe und die Feedbackrezeption die Kernprozesse dar, weswegen der Fokus auf der Förderung dieser beiden Phasen gelegt wird.

Um passende Studien zur Beantwortung der Fragestellung zu finden, wurde eine systematische Literaturrecherche in mehreren Suchmaschinen (Web of Science, Psyndex, Pubmed, ERIC, PsycArticles, Mendeley, PubPsych) durchgeführt. Nach dem Ausschluss von Duplikaten, nicht-experimentellen Studien sowie Arbeiten, die nicht auf Englisch publiziert wurden, gingen N=54 Studien mit insgesamt N=5925 Lernenden in die Analysen ein. Diese Studien wurden mit Hilfe eines eigens für unsere Untersuchung konzipierten Analyseschemas daraufhin kodiert, welche Arten von instruktionaler Unterstützung in ihnen genutzt und in welcher Phase des Peer-Feedback-Prozesses sie eingesetzt wurden. Mit Blick auf die Arten instruktionaler Unterstützung wurde einerseits zwischen Prompts und Trainings unterschieden und zum anderen differenziert, ob die Maßnahmen mithilfe von Online-Technologien umgesetzt wurden oder nicht. In Anlehnung an Kollar und Fischer (2010) wurde zudem kodiert, welche Phasen des Peer-Feedback-Prozesses jeweils berücksichtigt wurden. 10% aller Studien wurden von zwei unabhängigen Kodiererinnen mit guter bis sehr guter Reliabilität beurteilt (Gwet‘s AC1 = 0.62 bis 1.00).

Erste deskriptive Ergebnisse zeigen, dass sich die Präsentation instruktionaler Unterstützung in 90,74% (n=49) der eingeschlossenen Studien auf den Prozess der Feedbackgabe bezog, aber nur in 51,85% (n=28) auf die Feedbackrezeption. Sowohl die Feedbackgabe (40,82%, n=20) als auch die Feedbackrezeption wurden hauptsächlich mithilfe von Online-Tools (71,43%, n=20) unterstützt. Für den Vergleich von Prompts und Trainings zeigt sich, dass die instruktionale Unterstützung in 42,86% (n=21) der Studien aus Prompts und in 22,45% (n=11) der Studien aus Trainingsmaßnahmen bestand. Außerdem zeigen erste explorative Analysen überwiegend positive Effekte der eingesetzten instruktionalen Maßnahmen auf die untersuchten abhängigen Variablen; allerdings ist hierbei eine recht hohe Varianz zwischenden Studien, den unterschiedlichen Arten instruktionaler Unterstützung und zwischen den durch die Maßnahmen angezielten Peer-Feedback-Phasen zu beobachten. Tiefergehende Analysen werden auf der Konferenz vorgestellt.



Paper Session

Vergleich zweier Darstellungsarten digitalen Feedbacks in einer Simulation - anfrage- und trigger-basiertes Feedback -

Pia Schäfer1, Felix Walker2, Leo van Waveren1

1RPTU Kaiserslautern-Landau, Deutschland; 2Universität Hamburg, Deutschland

Die Bedeutung von Feedback für Lernprozesse von Schüler:innen konnte in zahlreichen Studien gezeigt werden (Hattie, 2009; Hattie & Timperley, 2007). Der Grad der Wirksamkeit hängt jedoch von der konkreten Ausgestaltung, wie z.B. der Darstellungsform und den Inhalten, ab (Marschner, 2011; Narciss, 2006, 2018). Die Einbindung von Feedback in digitalen Lernumgebungen wird seit zwei Jahrzehnten vermehrt untersucht, dennoch liegen zu dessen Gestaltung nur wenige Befunde vor (Maier & Klotz, 2022). Bisher konnte gezeigt werden, dass unmittelbares Feedback Lernprozesse besser unterstützt als verzögertes Feedback, jedoch zugleich den Lernprozess stört (Vasilyeva et al., 2007). Ob jedoch eine interne Evaluation, also von den Lernenden ausgehend (Nelson, Ehren & Godfrey, 2015), oder ein externes Feedback, z.B. also von externen Feedback-Quellen ausgehend (Hellrung & Hartig, 2013), wirksamer für den Lernprozess ist, bleibt offen.

Simulationen bieten im Rahmen von Lernprozessen die Möglichkeit, digitales Feedback zu integrieren. Sie werden zum Beispiel zur Analyse und Förderung von Fehlersuchprozessen in technischen Systemen eingesetzt (Abele, Behrendt, Weber & Nickolaus, 2016; Schaper, Hochholdinger & Sonntag, 2003; Walker et al., 2016). Mithilfe einer Simulation einer Automatisierungsanlage konnten Walker et al. (2016) zeigen, dass ein Drittel der Elektroniker:innen für Automatisierungstechnik im 3. Ausbildungsjahr, trotz vorhandenem Fachwissen, Schwierigkeiten beim analytischen Problemlösen (aPL) haben. Schaper et al. (2003) haben erfolgreich ein Konzept für die Förderung des Problemlösens von Auszubildenden, basierend auf dem Cognitive Apprenticeship Ansatz (Brown, Collins & Duguid, 1989) getestet, wobei ebenfalls eine Simulation eingesetzt wurde.

Basierend auf den Befunden der Feedback-Forschung ergibt sich die Frage, ob ein aktiv angefordertes Feedback, also basierend auf der Eigenwahrnemung von Unterstützungsbedarf das aPL stärker unterstützt als ein Feedback, dass von extern bestimmten Sollwerten ausgelöst wird.

Zu diesem Zweck wurde die bei Walker et al. (2016) zugrunde liegende Simulation SINA im Rahmen des Projekts TechKom (Prof. Dr. Felix Walker, UHH) u.a. um zwei Feedback-Varianten erweitert. Das anfrage-basierte Feedback (in Form von gestuften Lernhilfen) muss durch die Nutzer:innen eigenständg aufgerufen werden und ist demnach von internen Soll-Werten abhängig, während das trigger-basierte Feedback (in Form eines Chats) von ihren Aktionen, also von externen Soll-Werten, abhängig angezeigt wird. Im Rahmen des Projektes DEFINE wird der Einfluss der beiden Feedback-Modalitäten auf die Wirksamkeit von digitalem Feedback in Simulationen im Rahmen eines Diagnosetrainings für Auszubildende untersucht.

Zur Testung der Hypothese „Auszubildende, die anfrage-basiertes Feedback erhalten, erlangen höhere aPL-Kompetenzen als Auszubildende mit trigger-basiertem Feedback“ wurde ein Experimental-Kontrollgruppen-Pre-Post-Testdesign eingesetzt. Im Pre- und Posttest, sowie der Intervention erfolgte die Bearbeitung von jeweils drei Fehlerfällen von denen die Ursache je einmal im Programm, der Elektrik und der Mechanik lag. Feedback wurde lediglich in der Intervention bereitgestellt.

Im Rahmen dieses Beitrags wird eine Teilstichprobe von n = 74 Auszubildenden aus 4 Schulen betrachtet, die, randomisiert zwischen beiden Feedbackarten, an einem zweitägigen Training teilgenommen haben. Die Erhebung hat zwischen März und Juli 2023 stattgefunden, wobei das Training aus zwei Terminen je Schulklasse bestand, die innerhalb von zwei Wochen stattgefunden haben.

Erwartungskonform fiel der Gruppenvergleich im Eingangstest nicht signifikant aus (t (71) = 1.315, p > .05). Unabhängig von der Art des erhaltenen Feedbacks, zeigt sich eine Wirksamkeit des Diagnosetrainings (t (72) = 6.58, p < .001, d = .77). Doch die ersten Analysen zeigen, dass entgegen der angenommenen Hypothese „Auszubildende, die anfrage-basiertes Feedback erhalten, erlangen eine höhere aPLK als Auszubildende mit trigger-basiertem Feedback“ im Posttest kein Unterschied zwischen den Gruppen in der aPLK vorliegt (t (71) = 0.56, p = .29, d = .13). Vertiefende Analysen, z.B. getrennt nach Fehler-Art, stehen noch aus. Aufgrund der starken Indizien für die Wirksamkeit des Trainings, das die grundsätzliche Zuschreibung der Wirksamkeit von Feedback repliziert, bieten sich weitere Untersuchungen zu den Feedbackmodalitäten an.



Paper Session

Zur Rolle des Cognitive Load beim feedbackgestützten forschenden Lernen

Svenja Boegel, Mathias Ropohl

Universität Duisburg Essen, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Schüler:innen zeigen in Experimentiersituationen, insbesondere bei der Anwendung der Variablenkontrollstrategie (VKS), Lernschwierigkeiten, welche angepasste Lernprozesse erfordern (Schwichow et al., 2016). Das Geben von schriftlichem Feedback hat sich in diesem Kontext als effektive Lernunterstützung erwiesen. Wollenschläger et al. (2011) konnten herausstellen, dass Feedback, welches die Kompetenzen der Schüler:innen anhand von Kriterien adressiert, wirksam ist. Hild et al. (2020) konnten belegen, dass Schüler:innen von Feedback zum aktuellen Leistungsstand profitieren. Ropohl und Scheuermann (2018) konnten zeigen, dass Feedback, welches Informationen zum Lernziel, zum Lernstand und zu den nächsten Schritten enthält zu einem Lernzuwachs bei den Schüler:innen führt. Dies zeigt, dass Feedback differentiell wirkt und keine Feedbackversion einer anderen grundlegend überlegen ist. Des Weiteren klingt an, dass kognitive Konstrukte, wie der Cognitive Load, beim Lernen mit Feedback eine wichtige Rolle für den Lernerfolg spielen (Sweller, 1988). Basierend auf dieser Annahme bietet die Cognitive Theory of Multimedia Learning (CTML; (Mayer, 2001) für die Entwicklung von Feedback im Sinne von Lernunterstützungsmaterial ein weiteres theoretisches Fundament. Laut der CTML steht ein Kanal für visuell/non-verbal (z.B. Bilder) und einer für auditiv/verbal (z.B. Text) präsentierte Informationen zu Verfügung. Durch die Verknüpfung von Text- und Bildpräsentationen wird die Kapazität des Arbeitsspeichers sensitiv behandelt, was sich positiv auf den Cognitive Load auswirkt.

Fragestellung

FF1: Welchen Effekt haben Nur-Text (NT), Nur-Bild (NB) und Text-Bild (TB) Feedback auf den wahrgenommenen Cognitive Load beim Planen von Experimenten unter Anwendung der VKS?

FF2: Inwiefern wird der Effekt von Feedback auf die Qualität der Experimentplanung unter Anwendung der VKS über den wahrgenommenen Cognitive Load mediiert?

Methode

Um die Forschungsfragen zu beantworten, wurde im Sommer 2023 eine Querschnittserhebung durchgeführt. Es haben N = 290 Schüler:innen aus 9. Klassen nordrhein-westfälischer Gymnasien teilgenommen. Nachdem die Schüler:innen eine fehlerhafte vorgeschriebene Experimentplanung gelesen haben sollte diese mit Hilfe von simuliertem Feedback neu geschrieben werden. Das Feedback wurde randomisiert zugeteilt. Danach wurde der Cognitive Load (Kalyuga et al., 1999; Paas, 1992) sowie diverse Kontrollvariablen erhoben.

Ergebnisse

Die ANOVA zeigt einen signifikanten Unterschied zwischen der eingesetzten Feedbackversion und dem wahrgenommenen Cognitive Load der Schüler:innen, F(3,286) = 10.774, p < .001, partielles η² = .102. Die Schüler:innen, die mit dem Nur-Bild- und Text-Bild-Feedback gearbeitet haben, nehmen einen signifikant niedrigeren Cognitive Load wahr verglichen mit den Schüler:innen, die mit dem Nur-Text oder Kontroll-Feedback gearbeitet haben. Im Rahmen der Mediationsanalyse wurde für die multikategoriale X-Variable eine Dummy-Kodierung (D1, D2, D3) vorgenommen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Arbeit mit dem Nur-Bild (D2) und Text-Bild (D3) Feedback zu einem niedrigeren Cognitive Load im Vergleich mit dem Feedback der Kontrollgruppe führt (a2 = -.68, p < .001; a3 = -.73, p < .001). Der Cognitive Load der Schüler:innen, die mit dem Nur-Text (D1) Feedback gearbeitet haben unterscheidet sich nicht signifikant von der, der Kontrollgruppe (a1 = -.22, p = .132). Außerdem liegt ein signifikanter direkter Effekt von Cognitive Load auf die Qualität der Experimentplanung vor (b = -.86, p < .001). Je geringer der Cognitive Load bei der Arbeit mit dem Feedback ist, desto höher ist die Qualität der Experimentplanung. Das Bootstrapping ergibt, dass der Effekt des Feedbacks in der Nur-Bild und Text-Bild Gruppe aber nicht in der Nur-Text Gruppe im Vergleich zum Feedback der Kontrollgruppe auf die Qualität der Experimentplanung partiell über den Cognitive Load vermittelt wird (D1: a1b = .19, p = .166, 95% KI [-.06, .48]; D2: a2b = .58, p = .002, 95% KI [.24, 1.02]; D3: a3b = .63, p = .001, 95% KI [.31, 1.00]) (Hayes, 2018).

Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass schriftliches Feedback aus einer Kombination von textlichen und bildlichen Informationen bestehen sollte, da seitens der Feedbackempfänger ein niedrigerer Cognitive Load wahrgenommen wird, welcher zudem eine mediierende Funktion ausübt.



Paper Session

Wahrnehmung und Nutzung von Peer-Feedback: Bedeutung der Motivation von Studierenden vor dem Hintergrund einer Intervention

Melanie V. Keller, Martin Daumiller, Markus Dresel

Universität Augsburg, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

(Peer-)Feedback kann ein wertvoller Faktor für erfolgreiches Lernen und Leisten sein (Hattie & Timperley, 2007; Double et al., 2020), jedoch nur dann, wenn das Feedback effektiv aufgegriffen wird (Van der Kleij & Lipnevich, 2020). Nicht nur Charakteristika des Feedbacks sind dabei bedeutsam, sondern auch individuelle Unterschiede zwischen den Lernenden, die Feedback erhalten. Wie diese Unterschiede mit der Wahrnehmung und Nutzung von Feedback zusammenhängen, ist im Vergleich zu günstigen Charakteristika von Feedback noch wenig untersucht (Winstone et al., 2017). Insbesondere die Analyse von Unterschieden in der Lernmotivation ist ein vielversprechender Ansatz zur Erklärung, wie Lernenden erhaltenes Feedback wahrnehmen und nutzen (Fong & Schallert, 2023; Handley et al., 2011).

Zielorientierungstheorien (z.B. Urdan & Kaplan, 2020) sowie Erwartung-Wert-Theorien (z.B. Wigfield & Eccles, 2000) bieten vielversprechende Erklärungsansätze dafür, wie Lernende mit erhaltenem Peer-Feedback umgehen. Für die positive Wahrnehmung und effektive Nutzung von Feedback sind demnach Masterzielorientierungen (starke Lern- und Aufgabenziele) sowie hohe Wertzuschreibungen zur Aufgabe günstig. Lernende mit einer solchen günstigen Motivationsstruktur sollten mehr Freude in der Revision erleben (Huang, 2011), das Feedback als nützlicher erachten (Rakoczy et al., 2013) sowie adaptiver mit Fehlern umgehen, da sie ihre Fehler eher als Lernchancen betrachten statt als Bedrohung (Grassinger & Dresel, 2017). Zudem ist anzunehmen, dass Lernende mit starker Masterzielorientierung sowie hoher Wertzuschreibung sich bei der Umsetzung des Feedbacks mehr anstrengen (Wigfield et al., 2017).

Da Peer-Feedback qualitativ stark variieren kann (Bürgermeister et al., 2021), implementierten wir eine Intervention, in der ein Fokus auf die Erstellung von motivational günstigem Feedback gelegt wurde.

Fragestellung

Demnach untersuchten wir, welche Rolle individuelle, wertbezogene Charakteristika der Motivation (Lern- und Aufgabenziele, Wertzuschreibungen) für die Wahrnehmung und Nutzung von Peer-Feedback mit oder ohne Intervention für motivational günstiges Peer-Feedback spielen. Dabei untersuchen wir die Frage, welchen Einfluss die Motivation der Lernenden in der Feedbackrezeption jenseits der Intervention auf das Erleben und Verhalten beim Erhalt von Peer-Feedback hat.

Methode

Für diese Studie bearbeiteten 366 Studierende (294 weiblich, MAlter = 20.2; SDAlter = 2.55) in einem Feldexperiment schriftliche Aufgaben in einem Hochschulkurs und überarbeiteten diese mithilfe von Peer-Feedback. Nach einer Baseline-Befragung, in der Lern- und Aufgabenziele sowie Wertzuschreibungen für die wöchentlichen Aufgaben erfasst wurde, teilten wir die Studierenden randomisiert in zwei Gruppen ein (jeweils mit oder ohne Intervention mit Fokus auf motivationale Qualität im Peer-Feedback). Nachdem sie das Peer-Feedback erhalten und ihre Aufgabe überarbeitet hatten, gaben die Studierenden an, für wie nützlich sie das Feedback halten und inwiefern sie bei der Revision Freude empfanden (Feedbackwahrnehmung). Außerdem berichteten sie ihren adaptiven Umgang mit Fehlern und ihre Anstrengung in der Revision (Feedbacknutzung). Zudem erfassten wir das Ausmaß der Revisionen quantitativ mithilfe computerbasierter Vergleiche.

Ergebnisse

Strukturgleichungsmodelle zeigten, dass der motivationale Fokus des Feedbacks (d.h. die Zuordnung zur Experimental-/Kontrollgruppe) keinen Einfluss auf Feedbackwahrnehmung oder -nutzung hatte. Stattdessen zeigten Lern- und Aufgabenziele sowie intrinsischer, aufgabenbezogener und instrumenteller Wert der Aufgabe wie erwartet positive, statistisch signifikante Effekte auf die wahrgenommene Nützlichkeit des Feedbacks, die Freude während der Revision, den adaptiven Umgang mit Fehlern, die Anstrengung sowie das Ausmaß in der Revision.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass im Einsatz von Peer-Feedback nicht (nur) die Qualität des Feedbacks gefördert werden sollte (Ansatz bei den Feedbackgebenden), sondern dass insbesondere individuelle Aspekte der Motivation der Studierenden, die das Feedback erhalten, in den Blick genommen und gefördert werden sollten, da sowohl das positive Erleben in der Revision als auch lernbezogene Aspekte (z.B. Umgang mit Fehlern) sowie die objektive Leistung (Revisionsumfang) von diesen beeinflusst werden. Dabei erscheint es hilfreich, Lern- und Aufgabenziele zu fördern, beispielsweise über ein Priming direkt vor dem Feedbackerhalt (Urdan, 2010). Insbesondere scheint es demnach empfehlenswert, für Studierende den Wert von Peer-Feedback und Überarbeitung für Lernen und Leisten hervorzuheben.

 
Datum: Dienstag, 19.03.2024
10:30 - 12:104-15: Identifikation mit Beruf und Betrieb: Voraussetzungen, Entwicklung und Korrelate in verschiedenen Be-rufsgruppen
Ort: S14
 
Symposium

Identifikation mit Beruf und Betrieb: Voraussetzungen, Entwicklung und Korrelate in verschiedenen Be-rufsgruppen

Chair(s): Eveline Wuttke (Goethe Universität Frankfurt, Deutschland)

Diskutant*in(nen): Kristina Kögler (Universität Stuttgart, Institut für Erziehungswissenschaft, Abteilung Berufs-, Wirtschafts- und Technikpä-dagogik, Professur für Berufspädagogik)

Hintergrund:

Sowohl in dualen Ausbildungsberufen als auch im Lehrerberuf sind aktuell viele Stellen schwer besetzbar: (1) 27% der Ausbildungsverträge werden vorzeitig gelöst, 13% scheinen zumindest zunächst ganz aus dem Ausbildungssystem auszuscheiden, teils verbunden mit prekären weiteren Berufsverläufen (BMBF 2023). (2) Bei der Versorgung mit Lehrpersonen sieht es für viele Schularten, besonders aber für die beruflichen Schulen kritisch aus. Bis 2035 kann hier der Einstellungsbedarf jährlich im Durchschnitt nur zu 62,3 Prozent gedeckt werden (KMK 2023). Jeweils stellt sich die Frage, welche Faktoren dazu beitragen können, Menschen (1) in die betroffenen Berufe zu bringen und sie (2) dort zu halten.

Ad (1): Berufswahltheoretisch präferieren Individuen schon frühzeitig Berufe, die sie als passend zu ihrem Selbstkonzept wahrnehmen (Gottfredson, 1981, 2005) oder streben in berufliche Umwelten, die möglichst zur eigenen Persönlichkeit kongruent sind (Holland, 1997). Darüber hinaus sind Berufe noch immer zentrale Definitionsräume sozialer Identität und gelten als Filter, durch die eine Person von außen wahrgenommen und taxiert wird (Gildemeister & Robert, 1987, S. 73). Dementsprechend bewegt sich Berufswahl im Spannungsfeld zwischen der Suche nach personaler Identität und dem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung (Oeynhausen & Ulrich, 2020). Sowohl die Einmündung in einen Beruf als auch der Verbleib, dürfte davon abhängen, wie gut sich beide Bedürfnisse ausbalancieren lassen.

Ad (2): Ausgehend von der Social Identity Theory (Tajfel/Turner 1979, Mael/Ashforth 1992) können hohe Abbruchquoten auf eine fehlende Identifikation mit einem gewählten Beruf oder Unternehmen zurückgeführt werden. Eine ausgeprägte berufliche Identifikation, d. h. ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit und des Engagements für den Beruf und mit dem (Ausbildungs-)Unternehmen kann dagegen zu erhöhter Bleibeabsicht beitragen (z. B. Avanzi et al., 2014; Hong, 2010; van Dick & Wagner, 2002). Zusätzlich geht eine hohe Identifikation mit Ausbildungs-/Arbeitszufriedenheit einher (Wuttke et al., eingereicht), diese wiederum unterstützt, dass Menschen in gewählten Berufen/Unternehmen/Institutionen verbleiben. Sowohl für Berufswahlentscheidungen als auch für die duale Berufsausbildung gibt es bisher noch wenige empirische Erkenntnisse zur beruflichen und betrieblichen Identifikation, deren Voraussetzungen und Wirkungen (Metzlaff, 2015; Kirchknopf/Kögler, 2020).

Gemeinsamkeiten der Beiträge:

Die Beiträge nehmen in verschiedenen Zugängen die Entscheidung für und den Verbleib in einem Beruf in den Blick. Zwei Beiträge betrachten dabei den Beruf der Lehrerin/des Lehrers (einmal im Querschnitt, einmal im Längsschnitt), ein Beitrag ist in der dualen beruflichen Bildung angesiedelt. Zwei Beiträge stützen sich – bei verschiedenen Berufsgruppen – auf die Theorie der sozialen Identifikation. Ein Beitrag ist sowohl berufswahl- als auch anerkennungstheoretisch fundiert.

Kurze Vorstellung der drei Beiträge:

Beitrag 1 (Weiß et al.) betrachtet im Längsschnitt und bei einer Stichprobe von Referendar:innen die Entwicklung der beruflichen Identifikation. Dabei werden insbesondere autonomiefördernde/-hemmende Einflussfaktoren berücksichtigt. Ziel der Studie ist es zu untersuchen, inwieweit die Identifikation mit dem Beruf angehender Berufsschullehrkräfte mit dem Bedürfnis nach Autonomie zusammenhängt und inwieweit die genannten Konstrukte wiederum die Absicht beeinflussen, im Berufsfeld zu verbleiben.

Im zweiten Beitrag (Heinrichs et al.) wird untersucht, (1) inwiefern Auszubildende in Deutschland und Österreich sich mit ihrem Beruf und Lehrbetrieb identifizieren, (2) welche Ausbildungsbedingungen mit der Identifikation zusammenhängen und (3) inwiefern sich die Ergebnisse der Länder unterscheiden. Die Befunde zeigen, dass die Identifikation insgesamt positiv ausgeprägt ist, sich die Identifikation zwischen den Ländern durchaus unterscheidet und dass die Fürsorglichkeit von Ausbilder:innen (insbes. in Österreich), deren Fachkompetenz (insbes. in Deutschland) sowie die Aufgabenvielfalt eine zentrale Rolle bei der Identifikationsentwicklung spielen.

Der dritte Beitrag (Ziegler et al.) nimmt die Berufswahlneigung zum Lehrberuf in den Blick und analysiert, in welcher Stärke unterschiedlicher Passungsfaktoren (personale, soziale sowie berufliche Rahmenbedingungen) die Neigung beeinflussen. Zudem werden Interaktionen zwischen den Einflussfaktoren untersucht und ein Gesamtmodell der Neigung berechnet. Als relevante Einflussfaktoren erweisen sich Interessenpassung, soziale Passung, die Passung zum Idealselbst und die Realisierbarkeitspassung. Interaktionseffekte zeigen sich u.a. zwischen der sozialen Passung und der Interessenpassung.

 

Beiträge des Symposiums

 

Berufliche Identifikation, wahrgenommene Autonomie und Bleibeabsicht: Ergebnisse einer Längsschnitt-studie im Referendariat für das Lehramt an beruflichen Schulen

Julia Katharina Weiß, Matthias Bottling, Tobias Kärner
Universität Hohenheim, Professur für Wirtschaftspädagogik (560A)

Hintergrund:

Der Übergang in das Berufsleben geht mit einer Weiterentwicklung der persönlichen Identität durch den beruflichen sozialen Kontext einher (Heinrichs et al., 2022). Eine ausgeprägte berufliche Identifikation, d. h. ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit und des Engagements für den Beruf, kann dazu beitragen, die Ab-sicht zu erhöhen im betreffenden Beruf zu verbleiben (z. B. Avanzi et al., 2014; Hong, 2010; van Dick & Wagner, 2002). Nach der Selbstbestimmungstheorie der Motivation ist die Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse als Ergebnis eines bedürfnisunterstützenden Umfelds besonders wichtig für die Verin-nerlichung oder persönliche Akzeptanz der gewählten Identität (Luyckx et al., 2009). Eine Voraussetzung dafür, dass sich angehende Lehrkräfte mit ihrem angestrebten Beruf identifizieren (können), ist, dass ihnen während dieser Ausbildungsphase genügend Freiraum für ihre berufliche und persönliche (Weiter-)Entwicklung gewährt wird (Orr, 2012; Kaplan et al., 2021). Das subjektive Erleben der beruflichen Identität der Referendar:innen steht hierbei in Wechselwirkung mit verschiedenen Bedingungen des Ausbildungs-umfelds, wobei wir uns auf die wahrgenommene Autonomieunterstützung und das autonomiehemmen-de Verhalten der Fachleiter:innen konzentrieren, welche eine zentrale Rolle im Ausbildungsprozess ein-nehmen. Aus theoretischer Sicht lassen sich einerseits Hinweise des Einflusses beruflicher Identifikation auf das Autonomieerleben finden. Andererseits scheint auch die wahrgenommene Unterstützung bzw. Vereitelung des Grundbedürfnisses nach Autonomie einen Effekt auf berufliche Identifikationsprozesse haben zu können (vgl. u. a. Gruen, 1968; Helsper, 2016). Diese theoretisch begründeten Zusammenhänge beider Konstrukte werden im Rahmen der Studie empirisch überprüft. Ziel der Studie ist es daher zu un-tersuchen, inwieweit die Identifikation mit dem Beruf angehender Berufsschullehrkräfte mit dem Bedürf-nis nach Autonomie zusammenhängt und inwieweit die genannten Konstrukte wiederum die Absicht be-einflussen, im Berufsfeld zu verbleiben.

Methode:

Auf Basis einer Längsschnittstudie mit insgesamt 79 Referendar:innen in Baden-Württemberg und vier Erhebungszeitpunkten während des Referendariats (nach drei Monaten, nach sechs Monaten, nach neun Monaten und nach einem Jahr) wurden entsprechende Entwicklungsprozesse über einen Ge-samtzeitraum von einem Jahr erfasst. In Bezug auf soziodemographische Merkmale ist die untersuchte Stichprobe repräsentativ für die Gesamtkohorte an Referendar:innen mit gleichem Ausbildungsbeginn in Baden-Württemberg. Cross-lagged Panelanalysen erlauben Rückschlüsse darauf, inwieweit die berufliche Identifikation der Referendar:innen mit autonomiefördernden bzw. autonomiehemmenden Bedingun-gen, die von Fachleiter:innen ausgehen, interagiert und inwiefern das Zusammenspiel der genannten Faktoren wiederum die Bleibeabsicht beeinflusst.

Ergebnisse:

Die Analysen zeigen, dass die berufliche Identifikation nach sechs Monaten im Referendariat die Absicht, ein halbes Jahr später im Lehrberuf zu verbleiben, signifikant vorhersagt (β = .652, p < .001). Signifikante Kreuzpfade beschreiben jeweils positive Effekte zwischen beruflicher Identifikation und Autonomieun-terstützung und negative Effekte zwischen beruflicher Identifikation und Autonomievereitelung. So zeigt sich unter anderem, dass im ersten Drittel des Referendariats die berufliche Identifikation einen Einfluss auf die eigene Wahrnehmung der erfahrenen Autonomieunterstützung hat. Dieser Zusammenhang än-dert sich jedoch insofern, als dass die wahrgenommene Autonomieunterstützung der Referendar:innen die berufliche Identifikation positiv vorhersagt, sobald sie in die Beurteilungsphase eintreten und die Fach-leiter:innen zu Prüfer:innen werden, was auf die Veränderung der Rolle des/der Fachleiter:in von Bera-ter:in zu Beurteiler:in zurückzuführen sein könnte.

Gerade vor dem Hintergrund des Lehrkräftemangels in Deutschland verdeutlichen die Befunde dieser Studie, dass die Förderung professioneller Identifikationsprozesse im Sinne einer Leh-rer:innenidentität als entscheidend zu bewerten ist. Insofern trägt ein autonomieförderndes Umfeld, wie es z. B. von Fachleiter:innen geschaffen werden kann, bereits während des Referendariats zur konstrukti-ven Förderung bei.

 

Identifikation mit dem Beruf und mit den Lernorten Betrieb und Berufsschule – Ein Vergleich zwischen Auszubildenden aus Deutschland und Österreich

Karin Heinrichs1, Eveline Wuttke2, Michaela Stock3
1Pädagogische Hochschule Oberösterreich, Linz, Österreich, 2Goethe Universität Frankfurt, Professur für Wirtschaftspädagogik, insbes. empirische Lehr-Lern-Forschung, 3Universität Graz, Österreich

Theoretischer Hintergrund

In den letzten Jahren steigt der Fachkräftemangel auch in Berufsfeldern, in denen in Deutschland und Österreich das duale System für die Berufsausbildung vorgesehen ist. Es fehlen Personen, die sich für eine solche Ausbildung entscheiden. Zudem werden viele Ausbildungsverhältnisse vorzeitig gelöst. Ausgehend von der Social Identity Theory (Tajfel/Turner 1979; Mael/Ashforth 1992) könnte man dies auch auf eine fehlende Identifikation mit dem gewählten Ausbildungsberuf oder dem ausbildenden Unternehmen zurückführen. Für die duale Berufsausbildung gibt es bisher kaum empirische Erkenntnisse zur beruflichen und betrieblichen Identifikation (Metzlaff, 2015; Kirchknopf/Kögler, 2020). Neuere quantitative Studien indizieren, dass berufliche Identität und organisationale Identifikation positiv korrelieren (r = 0.57–0.74) (Klotz/Billet/Winther 2014; Kirchknopf/Kögler 2020) und die soziale Identifikation mit dem Betrieb unter Auszubildenden höher ist als die mit dem Beruf (Forster-Heinzer 2020). Gute Ausbildungsqualität und soziale Integration der Auszubildenden fördern die Identifikation mit dem Unternehmen und dem Beruf (vgl. Klotz et al. 2017. In Österreich und Deutschland ist die duale Berufsausbildung in durchaus vergleichbarer Weise verankert. Detailstrukturen, Ausbildungsberufe, alternative Bildungswege, Reputation und Klientel sind aber unterschiedlich.

Fragestellung

In dieser Studie wird untersucht, (1) inwiefern Auszubildende in Deutschland und Österreich sich mit ihrem Beruf und Lehrbetrieb identifizieren, (2) welche Ausbildungsbedingungen mit der Identifikation zusammenhängen und (3) inwiefern sich die Ergebnisse der Länder unterscheiden.

Methode

• Eimalbefragung von N=598 Auszubildenden mittels Online-Fragebogen

• davon 277 aus Österreich, 331 männlich, 77% Muttersprache Deutsch; Berufsfeld: 46,6% kaufmännisch, 23,8% gewerblich-technisch,17,7% Einzelhandel, 1,3% Gastronomie, 10,3% Pflege; Durchschnittsalter: 19,6 Jahre; 16,6% 1. Lehrjahr, 64,8% 2., 17,3% 3. 1,2% 4.)

Instrumente:

• Identifikation mit dem Beruf/ dem (Ausbildungs-)Betrieb: beide Skalen 4 Items, 4-stufige Likert-Skala; ID Beruf, α=.930; ID Betrieb, α = .928

• Ausbildungsqualität (Velten/Schnitzler, 2012): 6-stufige Likert-Skala; Fürsorglichkeit der Ausbilder:innen, 4 Items, α=.866; Fachliche Kompetenz der Ausbilder:innen, 6 Items, α=.893; Feedback, 5 Items, α=.854

• Qualität von Arbeitsaufgaben (ELMA, Rausch 2012): 6-stufige Likert-Skala; Komplexität der Aufgaben, 4 Items, α=.768; Planungsautonomie, 2 Items, α=.859; Entscheidungsautonomie, 3 Items, α=.863; Methodenautonomie 3 Items, α=.883; Aufgabenvielfalt, 4 Items, α=.916

• Berufswahlbereitschaft und -fähigkeit (Ratschinski,2014): Entscheidungssicherheit (5 Items, α=.857), Eigenaktivität (4 Items, α=.895), Berufsbindung (4 Items, α=.790)

• Wunschberuf: 1 Item: „Bei Ihrer Entscheidung war ihr jetziger Ausbildungsberuf ihr Wunschberuf?“ 4-stufigen Likert-Skala.

Ergebnisse

Die Mittelwerte von ID Betrieb/Schule/Beruf sind größer oder gleich dem Skalenmittelwert. ID Betrieb/Schule/Beruf korrelieren in der Gesamtstichprobe signifikant: ID Schule und ID Betrieb: r=0.134 (p=0.002), ID Schule und ID Beruf: r=0.252 (p<0.001), ID Betrieb und ID Beruf: r=0.507 (p<0.001).

Bzgl. ID Betrieb zeigen sich zwischen beiden Ländern keine signifikanten Unterschiede, anders bei ID Schule (MW AT: 2,78; MW D: 2,50; p<0.001; d=-325) und ID Beruf (MW AT: 3,07; MW D: 3,24; p=0.005; d=-217), je mit kleinen Effekten: Erstere ist in Österreich höher, ID Betrieb in Deutschland.

Es wurden schrittweise multiple Regressionsrechnungen durchgeführt (alle mit VIF/Toleranz/Durbon-Watson im Normbereich), um die Varianzaufklärung durch Bedingungen der Ausbildungsqualität im Betrieb, der Berufswahlfähigkeit /dem Wunschberuf zu ermitteln. Die Modelle mit der AV ID Berufsschule für die Gesamtstichprobe, Österreich und Deutschland zeigen geringe Varianzaufklärung (korr. R2 3,9-13,8%).

Die Modelle zur Erklärung zur AV ID Betrieb sind aussagekräftiger (korr. R2 42,6-51,6%). Die Prädiktoren Fürsorglichkeit und der Fachkompetenz der Ausbilder:innen sowie der Aufgabenvielfalt sind jeweils signifikant (p<0.001), wenn auch in unterschiedlicher Reihenfolge. Bei den österreichischen Lehrlingen scheint die Fürsorglichkeit bedeutender (Beta=0,343) als in der Gesamtstichprobe (Beta=0,290) und der deutschen Teilstichprobe (Beta=0,251).

Die Varianz von ID Beruf wird mit einem korr. R2 von 27,5% (Gesamt), 24,4% (D) und 32,1% (A) aufgeklärt. Hier erweisen sich Aufgabenvielfalt und Wunschberuf in allen drei Modellen als bedeutend, bei den deutschen Auszubildenden zudem die Fachkompetenz der Ausbilder:innen, bei den österreichischen Lehrlingen dagegen die Fürsorglichkeit der Ausbilder:innen.

 

Einflussfaktoren auf die Berufswahlneigung zum Lehrpersonenberuf

Birgit Ziegler1, Sylvia Rahn2, Lara Dahlke2, Nico Dietrich1
1Institut für Allgemeine Pädagogik & Berufspädagogik, 2Institut für Bildungsforschung in der School of Education, Bergische Universität Wuppertal

Theoretischer Hintergrund

Für die Identitätsentwicklung im Jugendalter ist die Berufswahl eine sensible Phase. Nach Gottfredson (1981, 2005) resultieren aus dem Abgleich von Selbstkonzept und Berufskonzepten berufliche Präferenzen. Jugendliche schließen meist spontan und undifferenziert Berufe aus, die sie als nicht zum Selbstkonzept passend wahrnehmen; zunehmend wird dies durch Realisierbarkeitserwägung flankiert und das individuelle berufliche Aspirationsfeld sukzessive eingegrenzt. Berufe sind gleichermaßen zentrale Definitions-räume sozialer Identität. Sie wirken als Filter für die Wahrnehmung einer Person durch andere (Gildemeis-ter & Robert, 1987, S. 73) und sind daher bestimmend für das Prestige. Berufswahl ermöglicht somit Im-pressionsmanagment (Mummendey, 2002). Matthes (2019) unterstellt aus anerkennungstheoretischen Überlegungen, dass Berufe selbst bei hoher Interessenpassung (Attraktionsfaktor) ausgeschlossen wer-den, wenn gleichzeitig unzureichende Zustimmung im sozialen Umfeld erwartet wird (Aversionsfaktor). Gleichermaßen können Zweifel an der Realisierbarkeit eines Berufs sowie eine mangelnde Passung der Rahmenbedingungen sowie Urteilunsicherheit aversiv wirken und zum Ausschluss eines Berufes führen, obwohl eine grundlegende Neigung vorhanden ist. Inwieweit Passungsfaktoren auf Personen aversiv oder attrahierend wirken, lässt sich erwartungs-wert-theoretisch ermitteln, indem die Passung als Wert-komponente definiert und über die Stärke der Instrumentalität unterschieden wird (Landwehr, 2021).

Die Berufswahlneigung zum Lehrpersonenberuf wurde von Renger et al. (2022) in einer Befragung mit dem FEMOLA-S untersucht. Rahn et al. (2023) befragten rund 200 Schüler:innen an Berufskollegs mit dem Fit for Choice (Watt et al. 2012). Dabei zeigten sich ein Einfluss des Berufsprestiges auf die Berufswahlnei-gung zum beruflichen Lehramt sowie analog zu Renger et al. (2022) primär intrinsische Berufswahlmotive. Matthes (2019) prüfte Hypothesen zur Wirksamkeit von Aversions- und Attraktionsfaktoren auf die Be-rufswahlneigung zu Pflegeberufen und kann die aversive Wirkung mangelnder sozialer Anerkennung nachweisen. Dies wird in einer Folgestudie zu Gartenbauberufen (Landwehr, 2021) bekräftigt.

Fragestellung:

Mit einer Befragung von Schüler:innen in Bildungsgängen der Sekundarstufe II an berufsbildenden und allgemeinbildenden Schulen wird der Frage nachgegangen, a) welche Faktoren die Berufswahlneigung zum beruflichen Lehramt beeinflussen. Dazu wurden unterschiedliche Dimensionen erfasst (Passung von Interessen, Fähigkeiten, Entfaltungsbedürfnis, Rahmenbedingungen, Idealselbst zum Berufsinhaberkon-zept sowie Urteilssicherheit). Des Weiteren wird der Frage nach gegangen, b) inwieweit aversiv oder at-traktiv wirkende Interaktionseffekte zwischen den Einflussfaktoren identifiziert werden können.

Methode/Instrumente:

Ausgehend vom theoretischen Bezugsrahmen und Wirkungsmodell wurde ein Befragungsinstrument konzipiert und eine Online-Querschnittsbefragung durchgeführt. Erfasst wurden neben der Berufswahl-neigung (AV) die genannten Passungsdimensionen zwischen beruflichem Selbstkonzept und dem Berufs-konzept, sowie die erwartete Zustimmung von Eltern und Freunden und die Urteilssicherheit (UV) sowie Kontrollvariablen. Im Fragebogen wurden bewährte Skalen aus verschiedenen Instrumenten der Berufs-wahlforschung sowie der Forschung zum Lehrpersonenberuf eingesetzt, wie z. B. dem Fit for Choice (Watt et al. 2012), Lehrerinteressen (Mayr, 1998) eingesetzt und einem Pretest unterzogen. Zur Auswertung liegen über 1300 Fälle vor. Für deskriptive Analysen werden die Gruppen dichotomisiert, je eine Gruppe, die eine Wahl des beruflichen Lehramts ausschließt, und die sich dies eher/sehr gut vorstellen kann. Hin-sichtlich der Passungsdimensionen wird je nach Passungskombinationen ein Wert zwischen 0..1 für die Instrumentalität berechnet. Die Stärke des Einflusses der erfassten Dimensionen auf die Berufswahlnei-gung wird mittels einer linearen Regression geprüft. Es werden Interaktionsanalysen durchgeführt und die relevanten Faktoren über eine stufenweise Regression unter Einbezug von Kontrollvariablen ein Ge-samtmodell berechnet.

Ergebnisse:

Durch eine Gegenüberstellung wird deutlich, dass sich die beiden Gruppen stärker im beruflichen Selbst-konzept als im Berufskonzept unterscheiden. Lediglich beim Entfaltungsbedürfnis kehrt sich dies um. Den größten Einfluss auf die Berufswahlneigung haben die Tätigkeitspassung, die Zustimmung von Freun-den/Eltern, die berufsbezogene Fähigkeitseinschätzung sowie das Berufsprestige. Interaktionseffekte verweisen auf mangelnde soziale Anerkennung und Prestige als Aversionsfaktoren. Rahmenbedingungen sind wenig einflussreich. Zudem zeigen ältere Befragte eher als jüngere und mehr männliche Schüler eine Berufswahlneigung. An Gymnasien ist die Neigung geringer als in berufsqualifizierenden Bildungsgängen.

 
13:10 - 14:505-15: Potenziale von Clearinghouse-Plattformen für den Wissenschaftstransfer in die Bildungspraxis
Ort: S14
 
Symposium

Potenziale von Clearinghouse-Plattformen für den Wissenschaftstransfer in die Bildungspraxis

Chair(s): Salome Wagner (Univeristät Tübingen), Andreas Lachner (Universität Tübingen)

Diskutant*in(nen): Alexandra Dehmel (Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg)

Gute Bildung braucht gut (aus-)gebildete Lehrkräfte. Neben der Ausbildung von Lehrkräften haben daher auch in der Lehrkräftebildung sowohl formelle als auch informelle Fortbildungsangebote eine besondere Bedeutung, um Lehrkräfte im Berufsleben fortwährend zu befähigen, Unterricht zu realisieren, der auf aktuellen Erkenntnissen der Bildungsforschung beruht und diesen kritisch zu reflektieren (Richter et al., 2011). In den letzten Jahren wurden daher national als auch international sogenannte Clearinghouses aufgebaut. Clearinghouses sind webbasierte Angebote der Wissenskommunikation und bieten durch verschiedene Transferformate informelle Lernsettings und Austauschmöglichkeiten zwischen Wissenschaft und Praxis. Auf den Clearinghouse-Plattformen werden empirische Forschungserkenntnisse gebündelt und adressatengerecht für die Praxis aufbereitet (Edovald & Nevill, 2021; Seidel et al., 2017). Damit soll es Personen aus der Praxis erleichtert werden, sich stetig hinsichtlich aktueller Forschungsevidenz fortzubilden und diese in Ihren Unterricht zu integrieren (Seidel et al., 2017). Bisher gibt es nur wenig empirische Forschung dazu, wie (angehende) Lehrkräfte und Lehrkräftebildende solche Clearinghouses wahrnehmen, wie die Plattformen genutzt werden und welche Gestaltungswünsche sie für die Transferformate und die Aufbereitung von Forschungserkenntnissen haben (z. B. Diery et al., 2020; Kerwer et al., 2021).

Ziel dieses Symposiums ist es, die Begleitforschung zu drei verschiedenen Clearinghouses zusammenzubringen und so umfassende Einblicke zu erhalten, welche Transferformate zur Vermittlung empirischer Evidenz für den Unterricht sich unterschiedliche Akteursgruppen (Lehrkräfte, Lehramtsstudierende, Lehrkräftebildende) wünschen, welche Bedarfe sie an Clearinghouses sehen, wie sie solche Plattformen wahrnehmen und wie sie deren Inhalte verarbeiten.

Im ersten Beitrag wird die Perspektive von Grundschullehrkräften bzgl. dem Transfer- und Partizipationsangebot der Wissenschaft sowie deren Transfer- und Gestaltungswünsche bzgl. der Bereitstellung von Forschungserkenntnissen auf Clearinghouse-Plattformen vorgestellt. Auch im zweiten Beitrag werden Perspektiven aus der Praxis aufgegriffen, indem mithilfe eines Design-Based Research Ansatzes ein konkretes Format (Rapid Reviews) für effektiven Wissenstransfer mit Lehrkräften und Lehrkräftebildenden erforscht wird. Wie Nutzungs- und Verarbeitungsprozesse von Lehramtsstudierenden und Lehrkräftebildenden in einer bereits entwickelten Clearinghouse-Plattform ablaufen, wird im dritten Beitrag anhand eines Mixed-Methods-Designs in den Blick genommen.

Das Symposium ermöglicht durch die drei Beiträge Perspektiven von unterschiedlichen Zielgruppen entlang der Lehrkräftebildungskette auf Clearinghouses. Die Befunde erlauben es, Handlungsempfehlungen für die zukünftige Entwicklung von Clearinghouses und die Gestaltung von Transferformaten zu geben, um (angehende) Lehrkräfte und Lehrkräftebildende bestmöglich bei der forschungsbasierten Unterrichtsgestaltung zu unterstützen.

 

Beiträge des Symposiums

 

Was können wir aus der Grundschullehrkraft-Perspektive auf Transferaktivitäten lernen? Die Vorstellung eines kokonstruktiven Clearinghouse-Ansatzes

Anna Maria Leitz, Hannah Kleen, Ulrike Hartmann, Mareike Kunter
DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Theoretischer Hintergrund

In der Diskussion darum, wie es besser gelingen kann, Lehrkräfte beim Evidenzorientierten Denken und Handeln (EDHL, Bauer & Kollar, 2023) zu unterstützen, liefern Clearinghouses Ansätze dafür, Forschung praxisorientierter bereitzustellen. Aktuelle Modelle des Wissenschaft-Praxis-Transfers bieten Anhaltspunkte, dass eine bidirektionale Betrachtung von Transferaktivitäten hilfreich ist, um die Nutzung von Evidenz bei Lehrkräften zu verstehen und zu fördern (Brühwiler & Leutwyler, 2020; Farley-Ripple et al., 2018). Das dimensionale Research-Practice Framework von Farley-Ripple et al. (2018) legt dabei einen Schwerpunkt auf kokonstruktive Ansätze, in denen Forschende gemeinsam mit Lehrkräften arbeiten, um die vielfach beklagten Research-Practice-Gaps zu reduzieren.

Der potenzielle Mehrwert solcher Ansätze lässt sich theoretisch-konzeptionell begründen: Studien weisen darauf hin, dass Forschungsbefunde noch selten für spezifische Zielgruppen (z.B. schulformspezifisch) aufbereitet sind, und dass sie die Praxiserfahrungen, die Lehrkräfte täglich machen, selten mitberücksichtigen (Cain, 2015; Shavelson, 2020). Kokonstruktive Ansätze können dabei unterstützen, praxisrelevante Informationen schon bei der Auswahl und Aufbereitung von Evidenz miteinzubeziehen und bei Erfahrungen und Bedarfen der Zielgruppen anzusetzen. In Deutschland liegen bisher nur vereinzelte Arbeiten zu kokonstruktiven Ansätzen vor (z. B. Fischer-Schöneborn & Ehmke, 2023), die zudem nicht speziell auf die Aufbereitung von Forschungswissen in Form von Forschungssynthesen abzielen.

Ziele

Wir stellen im Beitrag ein sich im Aufbau befindende Clearinghouse-Portal vor, das thematisch Grundschulkinder im unteren Leistungsbereich fokussiert. Zunächst wird anhand von Befragungsergebnissen aufgezeigt, wie Grundschullehrkräfte dem Transfer- und Partizipationsangebot der Wissenschaft gegenüberstehen und welche Wünsche sie an ein Clearinghouse-Portal haben.

Auf Basis dieser Daten sowie des konzeptionellen Rahmens aus dem Modell von Farley-Ripple et al. (2018) entwickelten wir einen kokonstruktiven Ansatz, der Lehrer*innen als Partner*innen, und damit gezielt deren Transfer- und Gestaltungswünsche, in den Erstellungsprozess von Clearinghouse-Beiträgen einbindet.

Methode

Es wurde eine Online-Befragung von 146 Grundschullehrkräften (101 weiblich, Alter M = 33.52, SD = 8.74) durchgeführt, die zum einen Wünsche an digitale Informationsportale in einem offenen Antwortformat erfasste. Zum anderen beurteilten die Lehrkräfte Aktivitäten des wissenschaftlichen Partizipations- und Transferangebots auf einer Skala von Lysenko et al. (2014). Sie bewerteten etwa, wie sinnvoll sie Diskussionen mit Wissenschaftler*innen, explizite Handlungsanweisungen aus der Wissenschaft oder Forschungsprojekt-Beteiligungen fänden (α = .83, 8 Items, 6-stufige Likert-Skala).

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen eine hohe wahrgenommene Sinnhaftigkeit von ‚klaren Handlungsanweisungen‘ aus der Wissenschaft. Beispielsweise sind das Fortbildungen dazu, wie Forschungsergebnisse umgesetzt werden können (M = 4.53; SD = 1.16). Zudem finden Lehrkräfte die ‚Präsentation von Forschungserkenntnissen, die auf die Interessen und Bedürfnissen der Lehrkräfte abgestimmt sind‘, sinnvoll (M = 4.33; SD = 1.07). Die Daten zeigen zudem eine Aufgeschlossenheit der Grundschullehrkräfte zu Diskussionen mit Gruppen aus Wissenschaft und Schulpraxis (M = 4.05; SD = 1.22).

Geäußerte Wünsche an ein Webportal, das Forschungsergebnisse aufbereitet, zielten vermehrt auf konkrete Umsetzungsbeispiele. Sie offenbarten zudem Haltungen gegenüber Gestaltungselementen wie etwa (zu) vielen Bildern.

Diskussion

Die deskriptiven Einblicke aus der Pilotstudie bilden den Ausgangspunkt für die Gestaltung des kokonstruktiven Arbeitsprozesses für unser Clearinghouse-Portal.

Sie weisen deutlich in die Richtung, dass Lehrkräfte sich sowohl bedarfsorientierte Forschungsergebnisse als auch konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für wissenschaftliche Erkenntnisse wünschen. Anwendungsbezogene (Handlungs)fragen und Bedarfe von Lehrkräften bereits im Aufbereitungsprozess für ein Clearinghouse-Angebot einzubeziehen, ist der Ansatz des in diesem Beitrag vorgestellten Arbeitsprozesses.

Ausgehend von einem bidirektionalen Transferverständnis, das die ‚Lücken‘ zwischen Wissenschaft und Praxis als Ursache für ein Auseinanderklaffen in Nutzung und Produktion von Evidenz sieht, könnte eine solche Zusammenarbeit sowohl zu passgenauen Produkten als auch zu einer höheren Bereitschaft zur Nutzung von Forschungssynthesen als Transferprodukt führen.

Im Vortrag stellen wir unser auf Partizipation ausgerichtetes Vorgehen vor, in dem zum Konferenzzeitpunkt bereits erste Einblicke aus der Durchführung reflektiert und eingeordnet werden.

 

Rapid Reviews: Ein zukunftsfähiges Format für den effektiven Wissenstransfer?

Annika Diery, Claudia Müller-Kreiner, Meg Farrell, Tina Seidel
Technische Universität München

Theoretischer Hintergrund

Evidenzbasierte Praxis erfordert die Analyse und Aggregation von Forschungsbefunden, um gute Praxis zu identifizieren (Bromme et al., 2014). Doch der Weg von der Forschung in die Praxis ist kein Selbstläufer. Wie kann der Transfer gelingen? Wie sollte Forschung aufbereitet werden, damit sie als verständlich und nützlich für die Praxis wahrgenommen wird (Stichwort: Wissenschaftskommunikation)? Ein zentrales Ziel von Wissenschaftskommunikation ist es, den Wissenstransfer zu fördern. Dies ist insbesondere im Bereich der Lehrkräftebildung von großer Bedeutung, da (angehende) Lehrkräfte und Lehrkräftebildende befähigt und unterstützt werden sollten, wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Praxis zu integrieren.

Die vorliegende Arbeit beleuchtet die Rolle von „Rapid Review“ als neuartiges Format in der Wissenschaftskommunikation. Rapid Reviews stellen ein strukturiertes und effizientes Verfahren zur systematischen Zusammenfassung von Forschungsbefunden zu einem bestimmten Thema dar (Cirkony et al., 2022; Khangura et al., 2012). Dabei wird von Expert:innen die relevante Forschungsliteratur zu einer aktuellen Fragestellung systematisch gesichtet und zusammengefasst. So ermöglicht es diese Art von Forschungssynthese wissenschaftliche Erkenntnisse in einer verständlichen und ansprechenden Weise zu vermitteln.

Mit Blick auf die Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung in Richtung Evidenzbasierung, können Rapid Reviews viele Vorteile bieten: Sie sind eine zeit- und ressourceneffiziente Methode, um aktuelle Forschungserkenntnisse verständlich und ansprechend für Zielgruppen wie Lehrkräfte und Lehrkräftebildende zugänglich zu machen. Gerade im Bereich der digitalen Bildung, ein sich rasch entwickelndes Feld mit stetig neuen Erkenntnissen, stellen Rapid Reviews ein geeignetes Format dar. Sie können bspw. Lehrkräfte und Lehrkräftebildende dabei unterstützen, sich über die neuesten Entwicklungen rund um digitale Bildung zu informieren und diese in ihren Unterricht zu integrieren. Zugleich wirft die Eilbedürftigkeit von Rapid Reviews Fragen zur Qualitätssicherung und zur umfassenden Beurteilung von Studien auf.

Fragestellung

In diesem Beitrag soll untersucht werden, ob Rapid Reviews ein verständliches und ansprechendes Format für den effektiven Wissenstransfer im Bereich der digitalisierungsbezogenen Lehrkräftefortbildung sind. Konkret soll ein Rapid Review Format für den Themenkomplex digitale Transformation von Schule und Lehrkräftebildung werden. Darüber hinaus soll die Frage beantwortet werden, ob Rapid Reviews von Lehrkräften und Lehrkräftebildenden als hilfreich und relevant empfunden werden.

Vorgehen

Im empirischen Teil der Arbeit wird im Sinne eines Design-Based Research (DBR) Ansatzes ein Prototyp zum Format Rapid Reviews entwickelt zur Themenstellung: Wirksamer Einsatz von KI im Unterricht. In 3-5 begleitenden Fokusgruppen-Interviews mit jeweils 6-10 Lehrkräften beziehungsweise Lehrkräftebildenden, die im Winter 2023 akquiriert werden, sollen mithilfe von Leitfadeninterviews die Bedarfe, Relevanz und Verständlichkeit zum Format Rapid Reviews und auch Evidenz im Allgemeinen erhoben werden. Im iterativen Prozess des DBR werden die Ergebnisse der Fokusgruppen genutzt, um den Prototyp weiterzuentwickeln.

Ergebnisse, Diskussion und Ausblick

Rapid Reviews sind ein vielversprechendes Format für die Wissenschaftskommunikation im Bereich der Lehrkräftebildung, insbesondere für den Themenkomplex der digitalen Transformation in Schule und Bildung.

Die Ergebnisse der Studie können dazu beitragen, die Wirksamkeit von Rapid Reviews für den Wissenstransfer im Bereich der digitalisierungsbezogenen Lehrkräftefortbildung zu evaluieren. Die Ergebnisse können auch dazu beitragen, Rapid Reviews als Format für die Wissensvermittlung in der Lehrkräftebildung zu etablieren.

 

Kommt es auf die Expertise an? Unterschiede zwischen Lehrkräftebildenden und Lehramtsstudierenden in der Verarbeitung und Akzeptanz von online für die Bildungspraxis aufbereiteten Forschungsergebnissen

Marcel Capparozza1, Salome Wagner1, Iris Backfisch1, Jürgen Schneider2, Jana Kemmler1, Andreas Lachner1
1Universität Tübingen, 2DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Theoretischer Hintergrund

Von Lehramtsstudierenden und Lehrkräftebildenden wird erwartet, Befunde der Bildungsforschung zu kennen, kritisch zu reflektieren und in der Praxis zu berücksichtigen (KMK, 2019). Um Personen aus der Bildungspraxis bei dieser herausfordernden und zeitaufwändigen Aufgabe zu unterstützen, haben sich in den letzten Jahren verschiedene Clearinghouse-Plattformen etabliert, deren Ziel es ist, die Fülle an Forschungserkenntnissen zu bündeln und adressatengerecht aufzubereiten. Trotz dieser Transferaktivitäten und ersten empirischen Studien zu Clearinghouses (z. B. Diery et al., 2020, Kerwer et al., 2021) gibt es bisher noch wenig empirische Forschung, in der die Akzeptanz von Clearinghouses und das potenzielle Nutzungsverhalten von unterschiedlichen Zielgruppen aus der Lehrkräftebildung systematisch untersucht wurde.

Fragestellung

In der vorliegenden Studie wurde 1) in den Blick genommen, wie ein spezifisches Angebot auf einer Clearinghouse-Plattform von verschiedenen Zielgruppen (Lehramtsstudierende versus Lehrkräftebildende) wahrgenommen und akzeptiert wurde. Ein besonderer Fokus lag 2) auf dem tatsächlichen Nutzungsverhalten und den zugrundeliegenden Prozessen während der Nutzung dieser Webseite. Aktuell findet die Auswertung der qualitativen und quantitativen Daten statt.

Methode

Zur Beantwortung der Fragestellungen wurde zum einen eine Laut-Denken-Studie durchgeführt. Dabei wurden 38 Studienteilnehmende (25 Lehramtsstudierende, 13 Lehrkräftebildende) gebeten, eine für die Bildungspraxis aufbereitete Metaanalyse zum Thema Gamification auf der Clearinghouse-Webseite aufmerksam zu lesen und dabei ihre Denkprozesse zu verbalisieren (Lautes Denken). Zum anderen beantworteten die Studienteilnehmenden einen Online-Fragebogen (alle Likert-Skalen mit α ≥ 0.73) vor der Betrachtung der Webseite zum soziodemographischen und beruflichen Hintergrund sowie zu Selbsteinschätzungen und danach zur mentalen Anstrengung, zur subjektiven Schwierigkeit während der Textverarbeitung (DeLeeuw & Mayer, 2008; Paas, 1992) sowie zur wahrgenommenen Nützlichkeit und Glaubwürdigkeit des Angebots (Hendriks et al., 2015; van Braak et al., 2004). Die Lernleistungen wurden mittels einer offenen Recall-Frage und drei Transfervignetten erfasst, welche aktuell ausgewertet werden.

Um die Verarbeitungsprozesse nachzuzeichnen (Fragestellung 1), werden aktuell die Äußerungen mithilfe einer thematischen Analyse (Braun & Clarke, 2006) anhand eines Kodierschemas ausgewertet, welches sowohl Prozesse zum Textverstehen (Paraphrasieren, Überbrückungsinferenzen, Metakognition, Elaboration, Monitoring) als auch zur Interaktion mit der Webseite (Orientierung und Navigation, Überfliegen und Überspringen, Rückmeldungen zur Usability) beinhaltet (Kategorien u. a. aus Beach et al., 2020; Li et al., 2022). Auf Basis dessen ist vorgesehen, eine epistemische Netzwerkanalyse (ENA; Shaffer et al., 2016) durchzuführen, um die geäußerten Denkprozesse in Form von Sequenzanalysen auszuwerten.

Vorläufige Ergebnisse

Lehrkräftebildende schätzten ihr Vorwissen zu Gamification signifikant höher ein als Lehramtsstudierende (g = 0.72, p = .042); hinsichtlich der Selbsteinschätzungen der Reflexionskompetenzen, der technisch-pädagogischen Kompetenzeinschätzung und den zugrundeliegenden epistemologischen Überzeugungen waren die Gruppen jedoch vergleichbar.

Analysen zur Akzeptanz (Fragestellung 1) zeigen, dass die teilnehmenden Lehramtsstudierenden unkritischer mit den Inhalten umgingen: Sie schätzten die Integrität (g = 0.75, p = .038) und das Wohlwollen (g = 0.78, p = .031) der Webseitenerstellenden signifikant höher ein als Lehrkräftebildende. In Bezug auf die mentale Anstrengung, die subjektive Schwierigkeit, der Nützlichkeit sowie der wahrgenommenen Expertise der Webseitenerstellenden fanden sich keine signifikanten Unterschiede.

Eine vorläufige ENA (Fragestellung 2) mit 21 % der Studienteilnehmenden deutet darauf hin, dass sich die beiden Zielgruppen bezüglich des Nutzungsverhaltens unterscheiden: In beiden Gruppen finden sich ausgeprägte Verbindungen zwischen Paraphrasieren und der Interaktion mit der Webseite. Auffällig bei Lehrkräftebildenden ist, dass sich auch häufiger Verbindungen zwischen Paraphrasieren und Elaboration bzw. Usability zeigen.

Diskussion

Die vorläufigen Ergebnisse lassen vermuten, dass Lehramtsstudierende und Lehrkräftebildende Inhalte auf Clearinghouse-Plattformen unterschiedlich verarbeiten und akzeptieren. Einen möglichen Erklärungsansatz hierfür stellt das vergleichsweise das geringere Vorwissen und das geringere Ausmaß an Praxiserfahrungen und Wissenschaftsbezug von Lehramtsstudierenden dar (Ericsson, 2012). Empirisch zu überprüfen ist, ob und auf welche Weise diesem Unterschied in der Nutzung von Clearinghouse-Plattformen durch Begleitmaßnahmen (z. B. Einbettung in Hochschulseminare) oder durch eine adaptive Webseitengestaltung begegnet werden kann.

 
15:20 - 17:006-15: Diagnostizieren und Fördern
Ort: S14
 
Paper Session

Multimedia-Effekte im Testkontext: Eine Metaanalyse

Lauritz Schewior1, Marlit Annalena Lindner1,2

1Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN,Kiel); 2Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM, Tübingen)

Theoretischer Hintergrund und Fragestellung

Multimediaeffekte werden traditionell vor allem im Kontext des Lernens betrachtet (Mayer, 2005). Allerdings gibt es immer mehr empirische Arbeiten die zeigen, dass Bildelemente auch in Testsituationen einen bedeutsamen Einfluss auf kognitive, metakognitive und affektive Parameter haben. Analog zum Lernkontext wird eine Erhöhung der Antwortrate durch den Einsatz von Bildern in Testaufgaben auch als Multimedia-Effekt im Testkontext bezeichnet (Lindner et al., 2017). Allerdings haben nicht alle Bildelemente vergleichbare Effekte und so ist es relevant, die Auswirkungen der Nutzung verschiedener Bildtypen näher zur betrachten.

Unterschieden werden in der Forschung bisher vor allem dekorative Bilder, die höchstens lose mit dem Aufgabenkontext assoziiert sind. Repräsentationale Bilder hingegen visualisieren lösungsrelevante Textinformationen. Werden räumlich-strukturelle Informationen aus dem Text dargestellt, werden diese teils auch als organisationale Bilder bezeichnet. Informationale Bilder liefern dagegen Informationen, die über den Textinhalt hinausgehen und für die Lösung der Aufgabe essenziell sind. Studien haben gezeigt, dass vor allem repräsentationale Bilder die Testleistung, die Bearbeitungszeit, die Metakognition sowie die Testmotivation bedeutsam beeinflussen können (vgl. Lindner, 2021). Für einen empirisch fundierten Einsatz von Bildern in Testmaterialien ist jedoch differenzierteres Wissen über die Wirkung verschiedener Bildtypen erforderlich. In einer ersten Metaanalyse identifizierten Hu et al. (2021) insgesamt 23 relevante Studien, publiziert bis August 2018, und zeigten für Bilder mit verschiedenen Funktionen unterschiedliche Effekte auf Leistungsoutcomes.

Unsere Metaanalyse setzt an diesem Punkt an und erweitert die Datenlage substanziell für die zentralen Bildtypen. Auf Basis unserer Literatursuche (bis Dezember 2022) konnten wir folgende Fragen erstmals differenzierter für Bilder mit verschiedenen Funktionen untersuchen:

(1) Welche Rolle spielt die Bildfunktion für Multimediaeffekte auf die Testleistung, die Bearbeitungszeit, die Metakognition und auf affektiv-motivationale Variablen?

(2) Gibt es neben der Bildfunktion weitere relevante Moderatoren für Multimediaeffekte im Testkontext, wie beispielsweise das Antwortformat (Multiple-Choice vs. Open Response) oder das Testsetting (Computer-Based vs. Paper-Pencil)?

Methode

Als Basis unserer Metaanalyse wurden die Datenbanken ScienceDirect, PsycINFO und Web of Science systematisch durchsucht. In einem mehrteiligen Screening-Prozess, dem PRISMA-Schema folgend, wurden die identifizierten Studien anhand von definierten Ein- und Ausschlusskriterien hinsichtlich ihrer Relevanz für die Metaanalyse überprüft. Zwei zentrale Einschlusskriterien waren, dass Bilder in Testaufgaben integriert sind und eine adäquate Kontrollgruppe ohne Bilder (z.B. nur Text) untersucht wird. Insgesamt konnten wir 39 Forschungsarbeiten inkludieren, aus denen 113 Effektstärken geschätzt wurden. Anhand von Random-Effects Modellen wurden für drei verschiedene Bildtypen jeweils summative Effekte und Heterogenitätsmaße bestimmt.

Ergebnisse

Dekorative Bilder schienen, verglichen mit einer reinen Textbedingung, keinen Einfluss auf die Testleistung (g = 0.02; p = .369), die Bearbeitungszeit (g = -0.02; p = .51), die Metakognition (g = 0.18; p = .347) oder die Freude an der Bearbeitung (g = 0.03; p = .399) zu haben. Für repräsentationale/organisationale Bilder konnten wir signifikante und jeweils positive Effekte auf die Testleitung (g = 0.37; p < .001), die Metakognition (g = 0.26; p < .001) und die Freude an der Testbearbeitung (g = 0.21; p < .001) finden, wohingegen kein signifikanter Effekt bezüglich der Bearbeitungszeit vorlag (g = -0.01; p = .925). Die Datenlage zu informationalen Bildern war geprägt von großer Heterogenität (I² = 99.46 % für die Variable Testleistung) ohne klares Befundmuster. Weitere Forschung ist notwendig, um differenzielle Effekte essenzieller Bilder besser zu verstehen. Unsere Moderatoranalysen deuten in diesem Zusammenhang auf einen signifikanten Einfluss des Testsettings (Computer-Based vs. Paper-Pencil) und des Standorts der Forschungsgruppen (Europa vs. USA vs. Asien) hin.

Insgesamt zeigt unsere Metaanalyse, dass vor allem repräsentationale Bilder im Testkontext differenziert eingesetzt werden können, um beispielsweise Konstrukt-irrelevante Varianz zu reduzieren (z.B. Leseanforderungen in naturwissenschaftlichen Aufgaben) oder den Spaß an der Testbearbeitung in Low-Stakes-Assessments zu erhöhen. Dekorative Bilder erwiesen sich als nicht störend, aber entgegen der Erwartung von vielen Testkonstrukteuren und Lehrkräften auch nicht als motivationsförderlich.



Paper Session

Lernverlaufsdiagnostik zur Förderung schulischer Leistungen? – Ergebnisse einer Metaanalyse

Amelie Fuchs, Anika Radkowitsch, Daniel Sommerhoff

IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Deutschland

Individualisierter, an Schüler:innen orientierter Unterricht, bedarf einer andauernden Erfassung des Lernstandes und individuellen Lernfortschritts (Jung et al., 2018). Diese sollte reliabel und valide, einfach zu handhaben, ohne großen Aufwand implementierbar, auf die Lehrinhalte abgestimmt (Lembke & Stecker, 2007) und zwischen Messzeitpunkten vergleichbar sein. Ein erfolgsversprechender Ansatz um individuelle Lernverläufe über die Zeit abzubilden, ist die Lernverlaufsdiagnostik. Diese beinhaltet wiederholte, kurze Tests desselben Inhalts, mit denen die individuellen Fortschritte von Schüler:innen gemessen und an Lehrkräfte (und ggf. Schüler:innen) zurückgemeldet werden können (Deno, 2003; Fuchs, 2004). Im Sinne einer formativen Beurteilung (Black & Wiliam, 2009) soll so eine effiziente, individuelle Förderung der Schüler:innen ermöglicht werden, da positive wie negative Leistungsentwicklungen zeitnah sichtbar werden und Lehrkräfte wie ggf. Schüler:innen sich daran orientieren können.

Bisherige Ergebnisse deuten darauf hin, dass Lernverlaufsdiagnostik einen positiven Effekt auf die akademische Leistung von Schüler:innen haben kann, gleichermaßen zeigt sich eine hohe Heterogenität (Fuchs & Fuchs, 1986; Stecker et al., 2005). So scheint dieser Effekt durch verschiedene Variablen moderiert zu werden (z.B. Adaption des Unterrichts, Stecker et al., 2005; Unterstützung der Lehrkraft, Jung et al., 2018). Aus bisherigen Untersuchungen lassen sich drei Bereiche für mögliche Einflussfaktoren auf die Effektivität von Lernverlaufsdiagnostik ausmachen: Aspekte des Settings (z.B. Eigenschaften der Schüler:innen), die Implementation der Lernverlaufsdiagnostik (z.B. Häufigkeit der Testungen) und die Handhabung der Ergebnisse (z.B. Unterstützung der Lehrkräfte). Eine Systematisierung und metaanalytische Betrachtung bisheriger Ergebnisse entlang dieser Bereiche scheint sinnvoll und richtungsweisend für zukünftige Forschung und Praxis im Bereich der Lernverlaufsdiagnostik.

In der präsentierten Metaanalyse werden daher folgende Fragestellungen untersucht: (i) Welchen Einfluss hat Lernverlaufsdiagnostik auf die Entwicklung schulischer Leistungen von Schüler:innen? (ii) Inwiefern variiert die Effektivität der Lernverlaufsdiagnostik basierend auf Aspekten des Settings, der Implementation und der Handhabung der Ergebnisse der Lernverlaufsdiagnostik?

Zur Beantwortung der Fragestellungen wurde eine systematische Literatursuche durchgeführt. Eingeschlossen wurden Studien, die die Effektivität von Lernverlaufsdiagnostik in einem (quasi-)experimentellen Design untersuchten und in einer begutachteten englischsprachigen Zeitschrift veröffentlicht wurden. 24 geeignete Studien mit insgesamt 6728 untersuchten Schüler:innen, 85 Gruppenvergleichen sowie 30 unabhängigen Effekten wurden von zwei unabhängigen Kodierer:innen identifiziert (Cohen’s Kappa κ = .71). Diese Studien wurden anhand eines deduktiv-induktiv entwickelten Kodierschemas hinsichtlich möglicherweise relevanter Einflussfaktoren kodiert (Cohens Kappa κmean = .92 [.70; 1]).

Bezüglich der ersten Forschungsfrage zeigt sich ein signifikanter, kleiner Haupteffekt von Lernverlaufsdiagnostik auf die schulischen Leistungen von Schüler:innen mit g = .32 (p < .001). Die Heterogenität zwischen den Studien ist moderat bis hoch (I² = 73.49; Q = 242.41, p < .001). Bezüglich der zweiten Forschungsfrage, zeigen Moderatorenanalysen insbesondere signifikante Unterschiede in der Effektivität durch die Implementation sowie durch die Handhabung der Ergebnisse. Bezogen auf die Implementation legen die Ergebnisse nahe, dass die Lernverlaufsdiagnostiktests mindestens wöchentlich durchgeführt werden sollten, um effektiv zu sein. Bezüglich der Handhabung der Ergebnisse zeigen die Analysen, dass der Effekt von Lernverlaufsdiagnostik auf die schulischen Leistungen größer ist, wenn (a) die Lehrkräfte während des Einsatzes der Lernverlaufsdiagnostik kontinuierlich beraten werden und (b) die Lehrkräfte datenbasierte Unterstützung bei der Adaption ihres Unterrichts erhalten.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass Lernverlaufsdiagnostik im Vergleich zu traditionellem Unterricht bessere Lernergebnisse von Schüler:innen erzielt. Demnach scheinen Lehrkräfte durch die Bereitstellung der Informationen zu den individuellen Lernverläufen der Schüler:innen in der Lage zu sein, Schüler:innen effektiver zu fördern. Ein entscheidender Aspekt bei der Umsetzung von Lernverlaufsdiagnostik besteht nicht nur darin, den Lehrkräften die Ergebnisse der Lernverlaufsdiagnostik zur Verfügung zu stellen, sondern sie dabei zu unterstützen, wie sie ihren Unterricht entsprechend der Ergebnisse anpassen können. Unsere Ergebnisse erweitern die bestehende Literatur, indem sie Bedingungen aufzeigen, unter denen Lernverlaufsdiagnostik besonders effektiv ist. Darüber hinaus werden Aspekte der Lernverlaufsdiagnostik und ihrer Implementation fokussiert, die bisher nur unzureichend untersucht wurden.



Paper Session

Testing-Effekt 2.0? Steigerung der Lernleistung durch formative Onlinetests mit parametrisierten Fragen

Carolin Baumann, Merk Samuel

Pädagogische Hochschule Karlsruhe, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Das aktive Abrufen von Informationen während des Lernprozesses, zum Beispiel durch formative Tests, hat einen positiven Einfluss auf Behaltens- und Verstehensprozesse (Dunlosky et al., 2013) und wurde als Testing-Effekt bekannt (engl. testing effect, auch retrieval-based practice, test-enhanced learning). Ergebnisse verschiedener Meta-Analysen zeigen, dass aktives Abrufen anderen Lerntechniken deutlich überlegen ist und, dass diese Effekte über verschiedene Wissensdomänen und auf verschiedene Arten von Wissen verallgemeinert werden können (Adesope et al., 2017; Pan & Rickard, 2018; Rowland, 2014; Yang et al., 2021). Trotz dieser umfangreichen Evidenz werden entsprechende Lernstrategien sowohl von Lehrenden als auch von Lernenden nur sehr begrenzt genutzt (Dunlosky & Rawson, 2015). Neue Impulse für eine intensivere Nutzung werden durch die Verwendung digitaler Technologien und Tools geschaffen. Diese vereinfachen die Erstellung, Verwaltung und Auswertung entsprechender Lernangebote. Ferner gibt es Vorteile durch die Möglichkeit automatisierter Bewertungen und dem Erhalt von Echtzeit-Feedback für die Lernenden. Im Bildungsbereich werden bereits vermehrt Learning Management Systeme genutzt, um formative Onlinetests zu gestalten (Schwerter et al., 2022). Noch einen Schritt weiter geht die vorliegende Arbeit mit der Nutzung algorithmisch generierter Aufgaben, in Form von parametrisierten Fragen (Michael, 2021) und versucht so die Nutzung des Testing-Effekts weiter zu stärken.

Fragestellung

Die vorliegende Studie befasst sich mit dem Einsatz parametrisierter Fragen in formativen Onlinetests und deren Auswirkungen auf Intensität der Nutzung durch Studierende sowie auf deren Lernerfolg. Parametrisiert meint dabei, dass die verwendeten Multiple-Choice-Fragen spezifische Leerstellen aufweisen, die beim Aufrufen der Frage jeweils mit verschiedenen Werten des zugeordneten Parameters gefüllt werden. Parameter können dabei sowohl Werte, einzelne Worte als auch ganze Sätze sein. Die Grundstruktur der Frage und das zu lernende Konzept ändern sich dabei nicht. So kann z.B. wiederholt die Berechnung des Medians oder die Identifikation von abhängiger und unabhängiger Variable in einem Abstract geübt werden, jedoch wird bei jeder Wiederholung eine andere Datenreihe bzw. ein anderer Abstract angezeigt.

Methode

In einem experimentellen Setting wurden Studierenden eines Kurses zu quantitativen Forschungsmethoden wöchentliche Onlinetests, entsprechend der sechs behandelten Themenkomplexe, angeboten. Die Studierenden wurden randomisiert zwei Gruppen zugeteilt. Von Thema zu Thema wechselten die Gruppen zwischen Kontroll- und Experimentalbedingung, so dass sowohl Between-Person als auch Within-Person-Vergleiche möglich sind (Split-Plot-Design). In beiden Bedingungen konnten die Multiple-Choice-Fragen beliebig oft wiederholt werden und es wurde unmittelbares, korrektives Feedback zur Verfügung gestellt. Die Onlinetests in der Kontrollbedingung bestanden aus statischen Fragen, so dass bei jeder Wiederholung identische Fragen zur Bearbeitung angezeigt wurden. In der Experimentalbedingung hingegen wurden die parametrisierten Fragen eingesetzt und die Fragen veränderten sich mit jeder Wiederholung etwas.

Ergebnisse

An der Studie nahmen 318 Studierende im Wintersemester 22/23 teil. Zur Analyse der Ergebnisse wurde aus den Logdaten der Fragen die Übehäufigkeit ermittelt und als weitere abhängige Variable die Ergebnisse in der Abschlussklausur differenziert nach Themenkomplex herangezogen. Die Auswertung erfolgte mit Bayesianischen verallgemeinerten Mehrebenenmodellen in der probabilistischen Programmiersprache Stan, unter Verwendung des R-Pakets brms (Bürkner, 2018). Die beste Modellpassung für die Analyse der Übehäufigkeit gelang mit einer zero-inflated negative binomial Regression (Mahmood & Xie, 2019). Der Effekt auf die Leistung konnte über eine zero-one-inflated Betaregression modelliert werden (Heiss, 2021). Erwartungskonform gehen parametrisierte Fragen mit einer intensiveren Nutzung der Onlinetests einher. Im Durchschnitt werden 13,9 (95%-CI: 10,9-17,0) mehr parametrisierte Fragen als in der Kontrollbedingung bearbeitet. Abweichend von den zuvor getroffenen Annahmen führen parametrisierte Fragen bei den vorliegenden Daten nicht direkt zu einer Steigerung der Lernleistung. Die Ergebnisse werden im Hinblick auf einen möglichen Grenznutzen zusätzlicher Übungseinheiten und im Hinblick auf praktische Implikationen für Lehrkräfte diskutiert.

 
Datum: Mittwoch, 20.03.2024
9:00 - 10:407-15: Wissen, wie es nicht geht: Bedingungen zum Lernen aus fehlerhaften Lösungsbeispielen
Ort: S14
 
Symposium

Wissen, wie es nicht geht: Bedingungen zum Lernen aus fehlerhaften Lösungsbeispielen

Chair(s): Marc Rodemer (Universität Duisburg-Essen), Katharina Loibl (PH Freiburg), Timo Leuders (PH Freiburg)

Diskutant*in(nen): Markus Dresel (Universität Augsburg)

Beispielbasiertes Lernen ist eine gut untersuchte Lernmethode für den Erwerb kognitiver Fähigkeiten in komplexen Domänen (Renkl, 2014). Fehlerhafte Lösungsbeispiele (sog. erroneous examples) sind ein vielversprechender Ansatz, die ablaufenden Lernprozesse auf konzeptuell relevante Aspekte zu lenken: Indem Fehler während der schrittweisen Erklärung einer Problemaufgabe expliziert werden, kann negatives Wissen (Oser & Spychinger, 2005) aufgebaut und das korrekte Verständnis gefördert werden. Unser Review zeigt kaum Untersuchungen zu den Bedingungen, unter denen fehlerhafte Lösungsbeispiele für Lernerfolg wirksam sind, und darüber hinaus, dass empirische Studien zu uneinheitlichen Befunden kommen (Dieterich et al., eingereicht).

Inwieweit fehlerhafte Lösungen lernförderlich sind, hängt davon ab, auf welche Weise Lernende die Information verarbeiten und in ihr Vorwissen integrieren. Hierbei spielen Faktoren auf Seiten des Instruktionsdesigns und der Lernenden eine Rolle.

Auf Seite des Instruktionsdesigns beeinflussen mehrere Faktoren das Lernen aus fehlerhaften Lösungsbeispielen. Insbesondere die Lernaktivität ist entscheidend: Das Lernen wird verbessert, wenn Lernende Fehler identifizieren, erklären und/oder korrigieren (Adams et al., 2014; Große & Renkl, 2007; Richey et al., 2019; Schmitz et al., 2017; Tsovaltzi et al., 2012; Yang et al., 2016). Diese Lernaktivitäten können durch Feedback und/oder Selbsterklärungs-Prompts unterstützt werden (Loibl & Leuders, 2019; Stark et al., 2011). Auch der Vergleich fehlerhafter und richtiger Lösungsbeispiele scheint den Lernerfolg zu unterstützen (Loibl & Leuders, 2019; Booth et al., 2013; Corral & Carpenter, 2020). Darüber hinaus ist unklar, inwieweit eine vorangehende Problemlösephase, in der eigene fehlerhafte Lösungen generiert werden, förderlich ist (PS-I Ansatz, Loibl et al., 2017).

Auf Seite der Lernenden beeinflussen Faktoren wie Vorwissen und kognitive Belastung die Lernergebnisse. Die Forschungsbefunde zum Vorwissen sind uneinheitlich: In einigen Studien profitierten insbesondere Lernende mit wenig Vorwissen von fehlerhaften Lösungsbeispielen (z.B. Barbieri & Booth, 2020), in anderen Studien nur Lernende mit hohem Vorwissen (Große & Renkl, 2007; Heemsoth & Heinze, 2014; Stark et al, 2011) und in weiteren Studien profitierten sowohl Lernende mit niedrigem als auch hohem Vorwissen (Adams et al., 2014; McLaren et al., 2012; McLaren et al., 2015). Diese Befundlage kann durch eine unterschiedliche kognitive Belastung erklärt werden: Studien berichten zwar eine Erhöhung der kognitiven Belastung durch fehlerhafte Lösungsbeispiele (Kopp et al., 2009; Stark et al., 2009; Yang et al., 2016), diese kann jedoch durch instruktionale Maßnahmen wie elaboriertes Feedback reduziert werden (Stark et al., 2009; 2011).

Die aktuelle Forschungslage unterstreicht die Notwendigkeit weiterer empirischer Studien zur Wirksamkeit fehlerhafter Lösungsbeispiele. Das Symposium stellt drei Beiträge vor, die verschiedene Bedingungen untersuchen, unter denen fehlerhafte Lösungsbeispiele lernförderlich sind.

Dieterich et al. untersuchten die Wirksamkeit fehlerhafter Lösungsbeispiele im Vergleich zu richtigen Lösungsbeispielen und einer Kombination beider in einer Prä-/Post-Erhebung im Fach Chemie zum Thema „chemische Bindung“ für Schüler:innen der Sekundarstufe I. Untersucht wurden neben den Lernergebnissen auch kognitive Belastung und der Einfluss des Vorwissens.

Brand et al. nutzten fehlerhafte Lösungsbeispiele als Vorbereitung auf den konzeptuellen Wissenserwerb in einer nachfolgenden Instruktion zum Thema „Varianz“ im Fach Mathematik der Sekundarstufe II. In einem randomisierten Klassenraumexperiment wurde mittels verschiedener fehlerhafter Lösungsbeispiele die relevante Vorwissensaktivierung manipuliert. Fehlerhafte Lösungsbeispiele, die auf die Aktivierung von Vorwissen zielen, bereiteten Schüler:innen auf das Lernen vor – unabhängig vom Ausmaß ihres Vorwissens und unabhängig davon, ob die fehlerhaften Lösungsbeispiele mehr oder weniger relevante Komponenten des Zielwissens beinhalteten.

Dikme et al. untersuchen zum Thema „Bruchvergleich“, inwieweit für einen erfolgreichen Konzeptwechsel beim Vergleich richtiger und fehlerhafter Lösungsbeispiele die Passung der fehlerhaften Lösungsbeispiele zu den eigenen Fehlkonzepten eine Rolle spielt (Chi, 2013). In einer computergestützten Lernumgebung generieren Schüler:innen ohne Vorwissen der Sekundarstufe I zunächst Lösungsansätze, die ihre Prä- und Fehlkonzepte aufzeigen. Anschließend erhalten sie entweder ein richtiges oder zusätzlich ein fehlerhaftes Lösungsbeispiel, das ihrem eigenen Lösungsansatz entspricht oder nicht entspricht. Unterschiede im Lernprozess und -ergebnis werden in einer experimentellen Prä-/Post-/Follow-Up Erhebung erfasst.

 

Beiträge des Symposiums

 

Einfluss fehlerhafter Lösungsbeispiele im Fach Chemie auf Lernzuwachs und kognitive Belastung in Abhängigkeit des Vorwissens

Sonja Dieterich, Stefan Rumann, Marc Rodemer
Universität Duisburg-Essen

Theoretischer Hintergrund

Fehler resultieren in den Naturwissenschaften wie im Fach Chemie häufig aufgrund von Alltags- oder Schülervorstellungen und aufgrund fachlich-komplexer Konzepte, z.B. der Verknüpfung der makroskopischen und symbolischen Ebene (Gilbert et al., 2009; Taber, 2002, 2013). Das Wissen über Fehler oder sogenanntes negatives Wissen soll lernförderlich sein, da es der Abgrenzung zum richtigen, positiven Wissen dient (Oser et al., 1999). Auf Basis der Theorie des negativen Wissens wird angenommen, dass fehlerhafte Lösungsbeispiele den Lernzuwachs fördern können.

Unser systematisches Literaturreview zur Wirksamkeit fehlerhafter Lösungsbeispiele zeigt widersprüchliche empirische Befunde in Abhängigkeit der kognitiven Belastung (CL) und des Vorwissens (Dieterich et al., eingereicht). Während einige Studien zeigen, dass Lernende mit niedrigem Vorwissen von fehlerhaften Lösungsbeispielen profitieren (Barbieri & Booth, 2020), legen andere Studien gegenteilig dar, dass hohes Vorwissen eine Voraussetzung für einen Lernzuwachs ist (Heemsoth & Heinze, 2014; Tsovaltzi et al., 2012). Außerdem ist unklar, ob fehlerhafte Lösungsbeispiele alleine lernförderlich sind (Adams et al., 2014; Chang et al., 2002; Durkin & Rittle-Johnson, 2012; Große & Renkl, 2007) oder ob eine Kombination aus fehlerhaften und richtigen Lösungsbeispielen notwendig ist (Booth et al., 2013; Corral & Carpenter, 2020; Loibl & Leuders, 2018, 2019). Diese divergenten Befunde können möglicherweise durch unterschiedliche kognitive Belastung erklärt werden (Dieterich et al., eingereicht). Das Review zeigt zudem, dass fehlerhafte Lösungsbeispiele überwiegend in Mathematik aber kaum in anderen Domänen untersucht wurden. Es fehlen empirische Untersuchungen bezüglich der lernförderlichen Verwendung von fehlerhaften Lösungsbeispielen für den naturwissenschaftlichen Unterricht.

Fragestellung

Die Studie untersucht im Fach Chemie die Lernwirksamkeit und die kognitive Belastung einer Instruktion auf Basis von entweder richtigen Lösungsbeispielen, fehlerhaften Lösungsbeispielen oder einer Kombination beider in Abhängigkeit des Vorwissens.

Methode

Die Studie wurde an drei Schulen mit N = 233 Schüler:innen (MAlter = 14.17 Jahre) durchgeführt. In einer klassenweise randomisierten Prä-/Post-Interventionsstudie wurden entweder richtige Lösungsbeispiele, falsche Lösungsbeispiele oder eine Kombination beider in Erklärvideos eingesetzt. Jede Bedingung erhielt drei spezifische Erklärvideos zum Thema „chemische Bindung“ innerhalb von drei Interventionsstunden. Die Fehler in den Erklärvideos basieren auf literaturbasierten Schülervorstellungen (Hunter et al., 2022).

Als Prä- und Post-Test wurden geschlossene Aufgaben zum inhaltsbezogenen Fachwissen eingesetzt, welche hohe Reliabilitäten aufwiesen (αPrätest = .81, αPosttest = .89). Direkt nach der Videobetrachtung wurde die kognitive Belastung gemessen (Krieglstein et al., 2023), welche für die Sub-Skalen hohe Reliabilitäten zeigte (mα (Germane, Intrinsic, Extraneous CL)= .68-.89). Aufgrund der Datenstruktur wurde ein mehrebenenanalytischer Ansatz verfolgt.

Ergebnisse und Diskussion

Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten Lernzuwachs sowohl für Lernende mit niedrigem Vorwissen (t = 4.13, p < .001) als auch mit hohem Vorwissen (t = 3.89, p < .001). Die Lernzuwächse unterscheiden sich nicht zwischen den Bedingungen mit Ausnahme der Kombinationsbedingung für hohes Vorwissen, die signifikant besser sind (t = 3.33, p = .002).

Bezugnehmend auf kognitive Belastung erfolgt durch die Kombinationsbedingung eine signifikante Reduktion für ECL (t = -3.57, p < .001) und ICL (t = -3.58, p = .011) sowie eine signifikante Erhöhung des GCL (t = 2.52, p = .04) im Vergleich zu den anderen beiden Bedingungen (nur richtige oder nur falsche Lösungsbeispiele). Bei diesen beiden Bedingungen bestehen keine Unterschiede in allen drei Typen kognitiver Belastung.

Insgesamt profitierten sowohl Lernende mit wenig als auch viel Vorwissen von Lernvideos mit Lösungsbeispielen zum Thema chemische Bindung, jedoch ohne Unterschiede zwischen den Bedingungen. Der Lernzuwachs bei richtigen Lösungsbeispielen steht im Einklang mit bisherigen Befunden (Renkl, 2014). Die fehlerhaften Lösungsbeispiele führen möglicherweise zu einer Vorwissensaktivierung und Reflexion des Fehlers, die zur richtigen Erklärung führt. Hier könnten Prozessdaten weiteren Aufschluss geben. Der größere Lernzuwachs der Kombinationsbedingung kann auf die explizite Gegenüberstellung von positivem und negativem Wissen zurückzuführen sein, welche die kognitive Belastung (ECL/ICL) reduziert und lernbezogene Belastung (GCL) steigert. Weitere Ergebnisse werden auf der Tagung präsentiert.

 

Relevante Vorwissensaktivierung durch fehlerhafte Lösungsbeispiele als Vorbereitung auf das Lernen beim Problemlösen vor Instruktion

Charleen Brand1, Katharina Loibl2, Nikol Rummel1
1Ruhr-Universität Bochum, 2PH Freiburg

Theoretischer Hintergrund

Instruktionsansätze mit Problemlösen vor Instruktion (PS-I; Loibl et al., 2017) nutzen fehlerhafte Lösungsbeispiele, die Lernende in einer initialen Problemlösephase entweder selbst generieren oder analysieren, zur Vorbereitung auf das Lernen in einer nachfolgenden Instruktion (Sinha & Kapur, 2021; Brand et al., 2021, Hartmann et al., 2021). Mit Hilfe der fehlerhaften Lösungsbeispiele soll das Vorwissen der Lernenden aktiviert werden (Loibl et al., 2017). Ergebnisse deuten darauf hin, dass das aktivierte Vorwissen relevant für das zu lernende Zielkonzept sein muss, Lernende jedoch zu einem Großteil irrelevantes Vorwissen aktivieren, wenn sie selbst fehlerhafte Lösungsbeispiele generieren (Kapur, 2015). Durch den Einsatz von zu analysierenden fehlerhaften Lösungsbeispielen, die bereits relevante konzeptuelle Komponenten des Zielkonzepts adressieren, kann die relevante Vorwissensaktivierung gezielt variiert werden.

Fragestellung

Wir untersuchten, inwiefern fehlerhafte Lösungsbeispiele, die relevante konzeptuelle Komponenten des Zielkonzepts adressierten, und somit relevantes Vorwissen aktivierten, Lernende auf eine nachfolgende Instruktion vorbereiteten. Wir nahmen an, dass die Analyse fehlerhafter Lösungsbeispiele, die eine höheren Umfang an relevanten Komponenten vor Instruktion adressierten, zu einem höheren konzeptuellen Wissen nach Instruktion führen, als bei der Analyse von Lösungsbeispielen mit einem niedrigen Umfang an relevanten Komponenten. Als Manipulationscheck wurde die Vorwissensaktivierung durch Prozessdaten und einen Test nach der Problemlösephase erfasst. Um für potenzielle Einflüsse des Tests zu kontrollieren, wurde dieser zunächst variiert (vgl. Rowland, 2014 zum Testeffekt), aber keine Unterschiede erwartet.

Methode

In einem 2x2-Design wurden die Faktoren (1) Umfang (coverage) der relevanten konzeptuellen Komponenten (high coverage: HC versus low coverage: LC) und (2) Implementierung eines Tests zur Erfassung von Vorwissensaktivierung (präsent: HC+/LC+ versus abwesend: HC/LC) variiert. Der erste Faktor diente der Manipulation der relevanten Vorwissensaktivierung. Der Test, welcher durch den zweiten Faktor variiert wurde, diente ausschließlich der Überprüfung der erfolgreichen Manipulation von Vorwissensaktivierung.

165 Lernende (MAlter = 16,53; 62,4% weiblich, 37,6% männlich) wurden zufällig einer der vier Experimentalgruppen zugeordnet (HC+, HC, LC+, LC). Die Bedingung mit und ohne Test unterschieden sich nicht und wurden daher aggregiert (HC, LC), F(1, 157) = 0.996, p = .32, ηp² = .006. Nach Manipulationscheck ermöglichte die bereinigte Stichprobe mit 141 Lernenden (HC: n = 75, LC: n = 66) die Erfassung eines mittleren Effektes (f = 0,25; 1‑β = 0,84; GPower).

Die Materialien basierten auf PS-I-Studien zum Varianzkonzept (Loibl & Rummel, 2014b; Kapur, 2015). Die Lernenden erhielten zunächst einen Vorwissenstest, dann verschiedene Sets von fehlerhaften Lösungsbeispielen, anschließend einen Test zur Erfassung der Vorwissensaktivierung (in HC+/LC+), die Instruktion und einen konzeptuellen Wissenstest.

Es wurden zwei Lösungssets mit jeweils fünf fehlerhaften Lösungsbeispielen entwickelt. Lernende in den HC-Bedingungen erhielten ein Lösungsset, welches über die Lösungsbeispiele hinweg vier von insgesamt vier relevanten konzeptuellen Komponenten des Zielkonzepts adressierte (hohe relevante Vorwissensaktivierung), während in den LC-Bedingungen über alle Lösungsbeispiele hinweg nur zwei von vier Komponenten adressiert wurden (niedrige relevante Vorwissensaktivierung).

Ergebnisse und Diskussion

In einer einfaktoriellen ANCOVA mit den Kovariaten Vorwissen, mathematisches Selbstkonzept und mathematische Fähigkeit, untersuchten wir den Effekt relevanter Vorwissensaktivierung durch fehlerhafte Lösungsbeispiele auf das konzeptuelle Wissen nach Instruktion: es konnte kein Unterschied zwischen Lösungsbeispielen mit hoher oder niedriger Coverage adressierter relevanter Komponenten gefunden werden, F(1, 133) = 1.886, p = .172, ηp² = .014. Eine Exploration zeigte, dass konzeptuelles Wissen nach Instruktion nur in der HC-Bedingung mit Vorwissen korrelierte.

Sowohl fehlerhafte Lösungsbeispiel mit vielen als auch mit wenigen relevanten Komponenten konnten Lernende auf eine Instruktion vorbereiten. Im Gegensatz zu bisherigen Ergebnissen, die andeuten, dass fehlerhafte Lösungsbeispiele nur für Lernende mit hohem Vorwissen förderlich sind (Große & Renkl, 2007), waren fehlerhafte Lösungsbeispiele mit einem niedrigen Umfang an relevanten Komponenten in unserer Studie unabhängig vom Vorwissen der Lernenden lernförderlich. Somit stellen fehlerhafte Lösungsbeispiele vor Instruktion, die bereits einige, jedoch nicht zu viele relevante Komponenten des Zielkonzeptes adressieren, eine geeignete Vorbereitungsaktivität für Lernende unterschiedlichen Vorwissens dar.

 

Vergleich fehlerhafter und richtiger Lösungsbeispiele zur Anregung eines Konzeptwechsels

Cagla Dikme, Katharina Loibl, Timo Leuders, Kirsten Brunner
PH Freiburg

Theoretischer Hintergrund

Beim Erwerb mathematischen oder naturwissenschaftlichen Wissens, wie beispielsweise dem Bruchkonzept, machen Lernende auch nach einer Instruktion typische Fehler. Dies wird darauf zurückgeführt, dass nicht mehr geeignete Präkonzepte fortbestehen und nicht einfach durch Zielkonzepte ersetzt werden. Es bedarf eines Konzeptwechsels (Prediger, 2008; Vamvakoussi, & Vosniadou, 2002; van Hoof et al., 2017). Lernende müssen dabei zunächst die Fehler in ihren Konzepten (vgl. negatives Wissen, Oser & Spychiger, 2005) und ihre Wissenslücken erkennen, bevor sie aktiv ihr Wissen umstrukturieren können (VanLehn et al., 2003). Dies kann z. B. durch einen Vergleich richtiger und (eigener) falscher Lösungsbeispiele initiiert werden (Gadgil et al., 2012).

Bei einem solchen Vergleich wird ein größerer Lernerfolg erzielt als bei der Bearbeitung nur eines der beiden Lösungsbeispieltypen (Booth et al., 2013; Durkin & Rittle-Johnson, 2012; Siegler, 2002; Siegler & Chen, 2008). Besonders lernwirksam erscheint ein elaborierter Vergleich richtiger und falscher Lösungsbeispiele (Große & Renkl, 2007; Loibl & Leuders, 2018, 2019). Bisherige Studien unterscheiden sich darin, ob mit vorgegebenen fehlerhaften Lösungsbeispielen gearbeitet wurde (Booth et al., 2013; Durkin & Rittle-Johnson, 2012; Heemsoth & Heinze, 2014; Loibl & Leuders, 2018, 2019; Tsovaltzi et al., 2012) oder ob die Fehler den Lösungsversuchen der Lernenden entsprachen (Asterhan & Dotan, 2018; Gadgil et al., 2012; Heemsoth & Heinze, 2016; Siegler, 2002; Siegler & Chen, 2008). Nur bei der Auseinandersetzung mit den eigenen Fehlern lassen sich die angeregten Lernprozesse als Konzeptwechsel interpretieren.

Inwiefern es dabei ausreicht, typische fehlerhafte Lösungsbeispiele zu verwenden oder ob die individuellen Fehler aufgegriffen werden müssen, lässt sich aus dem bisherigen Forschungsstand nicht ableiten, da beide Lösungsbeispieltypen nicht direkt verglichen wurden. Ein solcher Vergleich setzt voraus, dass die Lernenden zunächst eigene Fehler generieren, wie es im Rahmen des Instruktionsansatzes PS-I (problem-solving prior to instruction) geschieht (Loibl et al., 2017).

Fragestellung

In einer experimentellen Studie wird in einem PS-I Setting der Effekt der Passung zwischen individuellen Lösungen aus einer Problemlösephase und Lösungsbeispielen einer nachfolgenden Instruktion auf den Lernerfolg überprüft. Hierzu wird in der Instruktionsphase variiert, ob die Lernenden für den Vergleich von richtigem und falschem Lösungsbeispiel ein falsches Lösungsbeispiel erhalten, das ihrem Fehlertyp entspricht (adaptive Bedingung) oder ein typisches falsches Lösungsbeispiel (aus Loibl & Leuders, 2018; Boomgaarden et al., 2022), das gerade nicht dem eigenen Fehlertyp entspricht (kontraadaptive Bedingung). Wir nehmen an, dass Lernende, die mit fehlerhaftem Lösungsbeispiel arbeiten, höhere Werte im Posttest erzielen als eine Kontrollbedingung ohne fehlerhafte Lösungsbeispiele (Hypothese 1) und dass die Passung zwischen den individuellen Fehlern der Lernenden und dem fehlerhaften Lösungsbeispiel für den Lernerfolg bedeutsam ist, d.h. dass die adaptive Bedingung die besten Lernergebnisse erzielt (Hypothese 2).

Methode

Vor dem Hintergrund früherer Befunde werden mittlere bis große Effektstärken erwartet (z. B. Loibl & Leuders, 2019: d = 0,3 bis 0,5), sodass eine Stichprobengröße von 175 Lernende bei dem beabsichtigten Design erforderlich ist. Lernende aus neun Schulklassen (ca. 180-225 Schüler:innen) Anfang der 6. Klasse werden randomisiert einer der drei Bedingungen zugewiesen.

Nach einem Prätest bearbeiten die Lernenden eine computerbasierte Problemlöseaufgabe zum Bruchvergleich. Der Typ der Schülerlösung wird automatisch diagnostiziert und dient als Grundlage für die Auswahl des fehlerhaften Lösungsbeispiels in der anschließenden Instruktionsphase (Details zur Validität der Lernumgebung und der Diagnose, s. Boomgaarden et al., 2022). Lernende in der Kontrollbedingung erhalten nur ein richtiges Lösungsbeispiel. Lernende in den anderen beiden Bedingungen erhalten zusätzlich ein fehlerhaftes Lösungsbeispiel, das entweder ihrem Lösungstyp entspricht (adaptive Bedingung) oder nicht (kontraadaptiven Bedingung). Nach der Instruktionsphase sowie nach einer Woche (Follow-Up) wird das konzeptuelle Verständnis der Schülerinnen und Schüler erfasst.

Ergebnisse und Diskussion

Die Datenerhebung ist nahezu abgeschlossen. Die Ergebnisse werden Hinweise dazu liefern, ob der lernförderliche Effekt des Vergleichs von richtigen und (adaptiven) fehlerhaften Lösungsbeispielen beim Erwerb des Bruchkonzepts auf Konzeptwechselprozesse zurückzuführen ist.

 
11:10 - 12:508-15: Bildungsverläufe in der beruflichen Bildung
Ort: S14
 
Paper Session

Berufliche Reorientierung oder räumliche Mobilität bei der Ausbildungssuche? Veränderungen im Bewerberverhalten unversorgter Jugendlicher im regionalen Kontext

Linda Hoffmann1, Alexandra Wicht1,2

1Bundesinstitut für Berufsbildung, Bonn; 2Universität Siegen Department für Erziehungswissenschaft, Siegen

Theoretischer Hintergrund

Nicht allen Jugendlichen gelingt ein unmittelbarer Übergang in die Berufsausbildung, was folgenreich für ihren individuellen Lebensverlauf sein kann (Schoon, 2021). Zugleich bleiben zahlreiche Ausbildungsstellen unbesetzt (BIBB, 2021), wodurch auf gesellschaftlicher und betrieblicher Ebene Ressourcen verloren gehen. Beide Phänomene haben gemein, dass sie regional variieren und teils zeitgleich auftreten, was auf Passungsprobleme hindeutet (Matthes et al., 2014). Unversorgte Jugendliche sind somit oft gezwungen ihre beruflichen Orientierungen an die gegebenen Opportunitäten anzupassen und Kompromisse einzugehen (Schels & Abraham, 2023). Neben beruflichen Reorientierungen kann auch räumliche Mobilität eine Strategie darstellen, um einen erfolgreichen Übergang in Ausbildung zu ermöglichen (Jost et al., 2019). So hat bisherige Forschung gezeigt, dass Ausbildungsanfänger:innen mit längerer Suchdauer und aus ungünstigen Regionen eher mobil für die Ausbildung sind (Hoffmann & Wicht, 2023).

Nach der Circumscription and Compromise Theory (Gottfredson, 1981) entwickeln Jugendliche im Zuge ihrer Sozialisation eine „Zone akzeptabler Berufsalternativen“, die während der Ausbildungsplatzsuche mit den tatsächlichen Opportunitäten abgeglichen und angepasst wird. Im Falle längerer erfolgloser Ausbildungsplatzsuche sollten Bewerber:innen demnach ihre beruflichen Alternativen ausweiten, um ihr Erfolgschancen zu erhöhen. Person-environment Fit Theorien (Edwards et al. 2002; Holland 1997) betonen zudem die Passung zwischen individuellen beruflichen Orientierungen und regionaler Gelegenheitsstrukturen für Berufsentscheidungen. Bei mangelnder Passung in der Heimatregion gibt es zwei theoretische Adaptionsstrategien: Anpassung der beruflichen Orientierung an die regionale Lage oder Ausweitung der Mobilitätsbereitschaft (Windzio, 2008). Inwieweit solche Anpassungsprozesse im Kontext regionaler Gelegenheitsstrukturen stattfinden, ist bislang eine offene Frage. Für Politik und Praxis ist es wichtig, diese Frage zu beantworten, um geeignete Maßnahmen zur Integration von Jugendlichen in die Berufsausbildung zu entwickeln.

Fragestellung

Wir gehen zwei Fragen nach: (1) Verändern unversorgte Jugendliche während der Ausbildungsplatzsuche ihre Zone beruflicher Alternativen und/oder ihre Mobilitätsbereitschaft? (2) Welche Rolle spielen hierbei neben individuellen Ressourcen räumliche Gelegenheitsstrukturen?

Methode

Wir verwenden repräsentative Längsschnittdaten des Nationalen Bildungspanels (NEPS, Startkohorte 4) (Blossfeld & Roßbach, 2019), um das Ausbildungssuchverhalten unversorgter Jugendlicher bis zu drei Jahre zu analysieren. Die Mobilitätsbereitschaft und die Zone beruflicher Alternativen werden anhand jährlicher Informationen zum Bewerberverhalten (Entfernung; Anzahl unterschiedlicher Berufe) erfasst. Um Veränderungen im Bewerberverhalten über die Zeit zu analysieren, verwenden wir Wachstumskurvenmodelle. Neben individuellen Faktoren haben wir in vorläufigen Analysen Unterschiede zwischen Ausbildungssuchenden aus Ost- und Westdeutschland untersucht. Um jedoch die regionalen Gelegenheitsstrukturen genauer zu erfassen, werden wir in weiteren Analysen Indikatoren (u.a. zur Verfügbarkeit des Wunschberufes; Hoffmann & Wicht, 2023) auf der Ebene von Landkreisen und kreisfreien Städte heranziehen, die an die Individualdaten des NEPS herangespielt werden können. Des weiteren werden wir mittels Cross-lagged Panel-Modellen mögliche Wechselwirkungen der Veränderungen der Mobilitätsbereitschaft und der Zone beruflicher Alternativen über die Zeit analysieren.

Ergebnisse

Erste Ergebnisse zeigen, dass über alle Zeitpunkte hinweg eine durchschnittlich höherer Mobilitätsbereitschaft mit einer höheren Anzahl beruflicher Alternativen einhergeht und umgekehrt. Zudem steigt die Bereitschaft zur Mobilität mit der Dauer der erfolglosen Ausbildungsplatzsuche, unabhängig von der Anzahl beruflicher Alternativen. Bezüglich der Zone beruflicher Alternativen zeigt sich jedoch entgegen den Erwartungen eine Verringerung der Anzahl unterschiedlicher Berufe über die Zeit, unabhängig von der Mobilitätsbereitschaft. Es konnten keine Unterschiede in der Anzahl unterschiedlicher Berufe zwischen Bewerber:innen aus Ost- und Westdeutschland festgestellt werden. Bezüglich der Mobilitätsbereitschaft hingegen zeigt sich, dass Jugendliche aus Ostdeutschland zu Beginn der Ausbildungsplatzsuche eine höhere Mobilitätsbereitschaft aufweisen als Jugendliche aus Westdeutschland. Über die Zeit hinweg erhöhen Jugendliche aus Westdeutschland jedoch ihre Mobilitätsbereitschaft, während Jugendliche aus Ostdeutschland eine Verringerung der Mobilitätsbereitschaft nach längerer Suchdauer aufweisen.

Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass bei längerer erfolgloser Ausbildungsplatzsuche Anpassungsprozesse im Bewerberverhalten über die Zeit stattfinden und ungünstige räumliche Gelegenheitsstrukturen entscheidend für die Mobilitätsbereitschaft ausbildungssuchender Jugendlicher sind. Die gegenläufigen Veränderungen in Ost- und Westdeutschland legen eine genauere Betrachtung der Wirkmechanismen regionaler Kontexteffekte nahe, insbesondere vor dem Hintergrund persistierender regionaler Passungsprobleme zwischen Ausbildungsangebot und -nachfrage.



Paper Session

Abbruchintention zu Beginn der beruflichen Ausbildung – eine längsschnittliche Untersuchung von persönlichen, betrieblichen und berufsschulischen Einflussfaktoren

Elisabeth Maué, Stephan Schumann

Universität Konstanz, Deutschland

Nicht nur der Rückgang der beruflichen Ausbildung von Fachkräften und die hohe Zahl an unbesetzten Ausbildungsstellen (BIBB, 2023) führt zu einem „Fachkräftenachwuchsmangel“ (f-bb, 2018), sondern auch der mit 27% hohe Anteil an vorzeitigen Lehrvertragsauflösungen (BIBB, 2023). Diese Dropouts erfolgen vorrangig im ersten Ausbildungsjahr, was mit hohen individuellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten einhergeht (Stalder & Schmid, 2006). Zudem besteht für ca. 1/3 derjenigen, die ihre Ausbildung ohne Abschluss vorzeitig beenden, das Risiko, dauerhaft außerhalb des Bildungs- und Erwerbssystems zu bleiben (Michaelis & Richter, 2022). Für Lehrvertragsauflösungen und Ausbildungsabbrüche gibt es vielfältige Gründe und Motive, die auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind (Böhn & Deutscher, 2022). Dennoch liegt der Fokus oft auf den Auszubildenden (z.B. mangelnde Passung; Jüttler et al., 2020). Berufsspezifische und organisationale Bedingungen, wie die soziale Integration (Findeisen et al., 2022) oder die Ausbildungsqualität (Negrini et al., 2016), werden dagegen seltener betrachtet (Böhn & Deutscher).

Diesem Desiderat begegnen wir mit einer längsschnittlichen Untersuchung des Einflusses persönlicher, betrieblicher und berufsschulischer Faktoren auf die Abbruchintention von Auszubildenden nach Abschluss der Probezeit. Die Daten entstammen einem interdisziplinären Projekt, in dem deutschlandweit Auszubildende verschiedener Branchen längsschnittlich über den Ausbildungsverlauf app-basiert befragt werden: vor Ausbildungsbeginn im Sommer 2021, wöchentlich in den ersten 12 Wochen nach Ausbildungsbeginn, im Anschluss an die 12 Wochen alle drei Monate. Ergänzend wurden Ausbilder:innen und Mitarbeitende der Personalabteilung befragt. Die Analysen des vorliegenden Beitrags berücksichtigen Daten der Erhebung vor Ausbildungsbeginn (t0) und nach drei Monaten (t13). Die Stichprobe umfasst 266 Auszubildende (Alter: M=21.2 Jahre, SD=4.73; Geschlecht: 53% Männer; Migrationshintergrund: 46% 1. oder 2. Generation) aus 90 Betrieben des kaufmännischen Bereichs (43%), des Handwerks (37%) und des Bereichs Pflege/Medizin/Erziehung (20%). Als abhängige Variable wird die Abbruchintention nach 12 Wochen (t13; Einzelitem) verwendet. Als unabhängige Variablen (je 5-stufige Likertskala) fungieren die erwartete Passung Person-Ausbildung (t0; 3 Items, α=.60), das Vorwissen bezüglich der Ausbildung (t0; 1 Item), der Wunschberuf (t0; 1 Item), die Beziehung zu:m Ausbilder:in (t13; 6 Items, α=.88), die soziale Integration (t13; 4 Items, α=.89), die Diskriminierung (t13; 4 Items, α=.83), die organisationale Identifikation (t13; 4 Items, α=.76), die task mastery im Betrieb (t13; 3 Items, α=.64), die Zielerreichung im Betrieb (t13; 1 Item), die Leistungen in der Berufsschule (t13; 3 Items, α=.83), die physische Gesundheit (t0; 1 Item), die psychische Gesundheit (t0; 1 Item) sowie die Zufriedenheit mit der Ausbildung (t0; 1 Item).

Drei Monate nach Beginn der Ausbildung haben 42% bereits ernsthaft überlegt, die Ausbildung abzubrechen (n=264; M=1.62, SD=0.65). Regressionsanalytisch (R2=.41) zeigt sich hinsichtlich der Vorhersage der Abbruchintention unter Kontrolle von Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund der Einfluss der Arbeitszufriedenheit (β=-.49; p<.001), der wahrgenommenen Diskriminierung (β=.15; p<.01) und der Identifikation mit dem Betrieb (β=-.13; p<.01). Das Vorwissen bezüglich der Ausbildung (β=-.10; p<.10) sowie mit kontraintuitivem Vorzeichen die erwartete Passung zwischen Person und Ausbildung (β=.13; p<.10) lassen sich nur gegen das 10%-Niveau absichern. Weitere persönliche Faktoren (Ausbildung im Wunschberuf, physische und psychische Gesundheit) betriebliche Faktoren (soziale Integration, Beziehung zu Ausbilder:in, task mastery, Zielerreichung) sowie die Leistungen in der Berufsschule weisen keine signifikanten Einflüsse auf. Weitergehende Befunde unter Einbezug einer zweiten Kohorte von Auszubildenden werden auf der Tagung vorgestellt.

Bereits kurz nach Beginn der Ausbildung sind somit betriebliche und tendenziell persönliche Faktoren für die Ausbildungsabbruchintention bedeutsam. Als besonders einflussreich erweist sich die Zufriedenheit mit der Ausbildung (auch Etzel & Nygy, 2021). Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die Frage der Passung zwischen Person und Ausbildung/Ausbildungsbetrieb (z.B. Findeisen et al., 2022; Nägele & Neuenschwander, 2014, 2015) besteht Handlungsbedarf, etwa durch eine adäquate Berufsorientierung im Vorfeld der Ausbildung, um über relevantes Vorwissen zur Ausbildung zu verfügen (Stalder & Schmid, 2006) und die „richtige“ Wahl treffen zu können, sowie hinsichtlich betrieblicher Unterstützung (z.B. onboarding) und Schutz vor Diskriminierung.



Paper Session

Berufliche Kompetenzen: Wie entwickeln sie sich in der Ausbildung und welchen Effekt haben der Schulabschluss, kognitive Voraussetzungen und der soziale Hintergrund?

Jennifer Schauer1, Stephan Abele1, Julian M. Etzel2

1Technische Universität Dresden, Deutschland; 2Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN), Kiel

Der Erwerb beruflicher Kompetenzen steht im Zentrum der Berufsausbildung: Auszubildende sollen dort sowohl berufsspezifische(s) Fachwissen als auch Problemlösekompetenz erwerben, um ihre spätere berufliche Tätigkeit kompetent ausüben zu können. Um die Leistungsfähigkeit der Berufsausbildung feststellen, Handlungsbedarfe eruieren sowie die Berufsbildungspraxis entsprechend gestalten zu können, braucht es differenzierte Befunde zur Entwicklung dieser Dimensionen beruflicher Kompetenzen im Ausbildungsverlauf. Inwiefern sie sich in der Berufsausbildung entwickeln, welche Unterschiede zwischen Auszubildenden zu beobachten und Prädiktoren bedeutsam sind, ist mangels längsschnittlicher Analysen und angesichts diskrepanter Befunde bisher allerdings weitgehend unklar (z.B. Abele, 2014; Atik & Nickolaus, 2016; Nickolaus et al., 2010).

In unserem Beitrag untersuchen wir dies am Beispiel angehender Kfz-Mechatroniker:innen. Unsere Analysen basieren auf Daten der ManKobE-Studie (Retelsdorf et al., 2013). Das Fachwissen (n=473) und die Problemlösekompetenz der Auszubildenden – operationalisiert als Diagnosefähigkeit (n=198) – wurden am Ende des 2. und 3. Ausbildungsjahres (AJ) erhoben. In Latent Change Score Analysen untersuchten wir die mittlere intraindividuelle Entwicklung (μ) sowie interindividuelle Entwicklungsunterschiede (σ²). Als potenzielle Prädiktoren berücksichtigten wir (a) den Schulabschluss der Auszubildenden, (b) ihre kognitiven Voraussetzungen gemessen an fluider Intelligenz und Physikkompetenzen sowie (c) den sozialen Hintergrund, genauer den sozioökonomischen Berufsstatus der Eltern und Migrationshintergrund der Auszubildenden. Alle Prädiktoren wurden am Ausbildungsbeginn und mittels etablierter Instrumente erfasst.

Unsere Analysen zeigten einen mittleren Zuwachs im Fachwissen (μ= .41, p≤ .001). Gleichzeitig fanden wir, dass sich Auszubildende signifikant in der Fachwissensentwicklung unterschieden (σ² = .89, p≤ .001). Der Wissenszuwachs erwies sich dabei umso ausgeprägter, je höher das Vorwissensniveau am Ende des 2. AJ war (β2.AJ= .33, p≤ .001). Im Fachwissen leistungsstärkere Auszubildende zeigten also höhere Wissenszuwächse – die Leistungsunterschiede in der Kohorte nahmen zu, d.h. die Leistungsschere ging auf. Für die Diagnosefähigkeit stellten wir dagegen im Mittel keine Entwicklung fest (μ= .13, p>.05). Aber auch hier fanden wir Unterschiede zwischen Auszubildenden (σ² = .77, p≤ .001). Das Ausgangsniveau am Ende des 2. AJ war ebenfalls prädiktiv, allerdings in entgegengesetzter Richtung: In der Diagnosefähigkeit leistungsstärkere Auszubildende zeigten eine geringere Entwicklung im 3. AJ (β2.AJ = -.48, p≤ .001), Leistungsunterschiede in der Kohorte verringerten sich.

Von den untersuchten Prädiktoren erwiesen sich die kognitiven Voraussetzungen als bedeutsam: Fluide Intelligenz (βfluid1= .19, p<.01) und Physikkompetenzen (βphy1 = .36, p≤.001) beeinflussten das Fachwissensniveau am Ende des 2. AJ positiv. Zusätzlich zeigte sich die fluide Intelligenz prädiktiv für die Entwicklung im 3. AJ (βphy = .27, p<.01). Bei der Diagnosefähigkeit wirkten die Physikkompetenzen zwar ebenfalls prädiktiv auf das Niveau am Ende des 2. AJ (βphy1= .27, p<.05), darüber hinaus aber nicht auf die weitere Entwicklung. Der Schulabschluss und soziale Hintergrund erwiesen sich unter Berücksichtigung der kognitiven Voraussetzungen weder für die Entwicklung des Fachwissens noch der Diagnosefähigkeit als bedeutsam.

Unsere Ergebnisse weisen auf differenzielle Entwicklungen der Kompetenzdimensionen und Leistungsunterschiede in der Berufsausbildung hin: Progression und Scherenentwicklungen im Fachwissen, Stagnation und Homogenisierung in der Diagnosefähigkeit. Die Studie legt in Übereinstimmung mit bisherigen Befunden nahe, dass die kognitiven Voraussetzungen der Jugendlichen auch im späteren Ausbildungsverlauf noch (indirekt) bedeutsam sind (z.B. Abele, 2014). Implikationen u.a. zur Gestaltung der Berufsbildungspraxis und Limitationen der Studie werden diskutiert.



Paper Session

Regionalentwicklung durch die strukturelle Verbindung von allgemeiner und beruflicher Bildung – ein Einblick in das Modellprojekt AbiturPLUS

Christina Sotiriadou, Bernd Zinn

Universität Stuttgart, Deutschland

Vom Fachkräftemangel sind insbesondere der ländliche Raum sowie natur- und technikwissenschaftliche Berufsgruppen betroffen (Kräußlich/Schwanz 2017). Bildungspolitik, Wirtschaft und Wissenschaft stehen in der Verantwortung, regionale Ressourcen und Potenziale aktiv zu nutzen und regionale Förderangebote für eine kontinuierliche Berufs- und Studienorientierung zu gestalten. Außerschulische kooperative Bildungsangebote, welche berufliche und arbeitsweltbezogene Praxiserfahrungen ermöglichen, haben sich dabei als besonders effektiv erwiesen (z. B. Driesel-Lange et al. 2011). Das Modellprojekt AbiturPLUS stellt in diesem Kontext ein regionales berufsbildendes Förderprogramm an einem allgemeinen Gymnasium dar, das neben dem Abitur den parallelen Erwerb eines vollwertigen beruflichen Abschlusses zum/zur Zerspanungsmechaniker*in ermöglicht.

Die vorliegende Untersuchung fokussiert das Forschungsdesiderat eines Beschreibungswissens, inwiefern derartige regionale Bildungsangebote wirksame Fördermaßnahmen zur beruflichen Orientierung gymnasialer Schüler*innen darstellen. Konkret interessieren die nachfolgenden Forschungsfragen:

FF1 Welches akademische Selbstkonzept und welche bereichsspezifischen sowie beruflichen Interessen charakterisieren die teilnehmenden Schüler*innen des regionalen Förderkonzepts?

FF2 Welche Unterschiede lassen sich im Vergleich zu nicht teilnehmenden Schüler*innen in Bezug auf die o. a. Merkmale identifizieren?

Den theoretischen Hintergrund bilden zentrale Determinanten der Berufsorientierung und der Berufswahl (Brüggemann et al. 2017), einschließlich des modernen Interessenskonstrukts (Krapp 1992), den beruflichen Interessensorientierungen gemäß des RIASEC-Modells (Holland 1997) und des akademischen Selbstkonzepts unter Bezugnahme auf das Erwartung x Wert-Modell (Eccles 2005).

Die Stichprobe umfasst insgesamt N = 79 (w = 37, m = 42) Schüler*innen eines allgemeinbildenden Gymnasiums in Baden-Württemberg, wovon n = 37 Projektteilnehmer*innen (AbiturPLUS) darstellten und n = 42 Schüler*innen die Vergleichsgruppe ohne Teilnahme bildeten. Das Untersuchungsdesign beinhaltet zwei Studien. Für die Fragebogenstudie wurden teilnehmende sowie nicht teilnehmende Schüler*innen zu ihren bereichsspezifischen und beruflichen Interessen, ihrem akademischen Selbstkonzept sowie den beruflichen Plänen befragt. Die zweite Studie ist eine leitfadengestützte halbstrukturierte Interviewstudie mit teilnehmenden Schüler*innen sowie Absolvent*innen, in welcher die subjektive Bewertung des Modellprojekts sowie wahrgenommene projektbedingte Veränderungen, insbesondere im Kontext schulischer Interessen, der Freizeit und beruflicher Aspirationen thematisiert wurden. Um Gruppenunterschiede zu identifizieren, wurde der Welch-Test oder der Mann-Whitney-U-Test herangezogen. Die Analyse der Interviews erfolgte mithilfe der strukturierten qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) mit der Software MAXQDA 12 (N = 277 Codes).

Die Befunde der Untersuchungen liefern erste Hinweise, dass sich das vorgestellte regionale Bildungsprojekt als berufsorientierende Maßnahme mit regionaler Bindungswirkung eignet. Im Vergleich zu nicht-teilnehmenden Schüler*innen erwerben die Projektteilnehmer*innen berufliche Kompetenzen. Aber auch das akademische Selbstkonzept, das Interesse für MINT-Fächer sowie für praktisch-handwerkliche Tätigkeitsfelder werden gestärkt und eine Berufswahlentscheidung im MINT-Bereich positiv beeinflusst. Die qualitativen Interviewdaten untermauern die Schlussfolgerung, dass die Arbeit im regionalen Ausbildungsunternehmen und die damit verbundenen praktischen Erfahrungen die Interessens- und Selbstkonzeptentwicklung der Projektteilnehmer*innen maßgeblich prägt. Besonders die kontinuierliche Auseinandersetzung mit berufsschulischen Themen, die Verknüpfung zwischen Gymnasium, Berufsschule und Betrieb sowie der praktische Anwendungsbezug scheinen eine vielversprechende Grundlage zu schaffen, um das fachspezifische Interesse zu fördern und die wahrgenommenen Fähigkeiten in den Fächern Mathematik und Physik zu steigern. Die Daten legen außerdem die Notwendigkeit einer demografiesensiblen Bildungspolitik nahe und untermauern deren Erfolgsaussichten. Geschlechtsspezifische Analysen zeigen, dass alle aufgeführten Gruppenunterschiede bei Schülern bestehen, während nahezu alle gruppenspezifischen Unterschiede bei alleiniger Betrachtung von Schülerinnen keine statistische Signifikanz aufweisen: Teilnehmende Schüler berichten ein höheres Fähigkeitsselbstkonzept in Mathematik und Physik, stärkere Interessen für MINT-Schulfächer sowie für praktisch-technische und intellektuell-forschende Tätigkeitsbereiche. Außerdem streben sie häufiger ein Studium oder einen Beruf im MINT-Bereich an. Teilnehmende Schülerinnen berichten lediglich von geringeren sprachlich-literarisch-künstlerischen Interessen und einer höheren praktisch-technischen Interessensorientierung im Vergleich zu nicht-teilnehmenden Schülerinnen.

Im Vortrag erfolgt die Einordnung der Ergebnisse ausgehend vom theoretischen Hintergrund und vom Forschungsstand sowie die Ableitung von Implikationen für die Anlage ähnlicher Förderprogramme in Bezug auf deren Administration und schulische Umsetzung.

 
Datum: Donnerstag, 21.03.2024
10:00 - 12:30NWT - 03: Diagnostik im Bereich Handschrift
Ort: S14

 
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