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Sitzungsübersicht
Ort: S28
Seminarraum, 60 TN
Datum: Montag, 18.03.2024
10:30 - 12:101-13: Interaktionsqualität in frühen domänenspezifischen Bildungsangeboten
Ort: S28
 
Symposium

Interaktionsqualität in frühen domänenspezifischen Bildungsangeboten

Chair(s): Elisa Oppermann (Otto-Friedrich-Universität Bamberg)

Diskutant*in(nen): Henrik Saalbach (Universität Leipzig)

Die Qualität pädagogischer Interaktionen in Kindertageseinrichtungen gilt als ausschlaggebend für die kindliche Entwicklung (Hamre et al., 2014). Interaktionsqualität kann dabei global sowie domänenspezifisch betrachtet werden: Globale Aspekte umfassen u.a. ein warmes emotionales Klima sowie sensitive und feinfühlige Interaktionen während domänenspezifische Interaktionsqualität vor allem die Qualität kognitiver Anregung z.B. im Bereich Sprache oder Mathematik, beschreibt. Die Bedeutsamkeit globaler Interaktionsqualität im Kita-Alltag ist gut dokumentiert (Ulferts et al., 2019; von Suchodoletz et al., 2023). Bisher existieren jedoch nur wenige empirische Studien zur Interaktionsqualität in frühen domänenspezifischen Bildungsangeboten. Frühe domänenspezifische Bildungsangebote erfolgen dabei eher im Rahmen geplanter und strukturierter Settings in Kleingruppen z.B. als Projekt im Bereich der Naturwissenschaften. Die Qualität solcher Bildungsangebote ist bislang kaum erforscht. Aus theoretischer Perspektive wird angenommen, dass Kinder dann von solchen Bildungsangeboten besonders profitieren, wenn sie durch kognitiv anregende verbale Interaktionen (auch „verbale Lernunterstützung“) zum Lernen angeregt werden (Pianta & Hamre, 2009; Siraj-Blatchford et al., 2002). Kinder nehmen dabei eine aktive Rolle ein, indem sie z.B. Fragen stellen, ihre Beobachtungen und Ideen teilen, reflektieren und rekonstruieren (Siraj-Blatchford et al., 2015). Solche anregenden verbalen Interaktionen werden unter unterschiedlichen Bezeichnungen mit zum Teil etwas anderen Gewichtungen beschrieben, z.B. im Konzept des „Sustained Shared Thinking“ (Siraj-Blatchford et al., 2015) oder des „Scaffolding“ (van de Pol et al., 2010). Ausgehend von der theoretisch angenommenen Bedeutsamkeit solcher kognitiv anregenden verbalen Interaktionen sowie vor dem Hintergrund der nachgewiesenen Bedeutsamkeit früher domänenspezifischer Förderung für den späteren Schulerfolg (Melhuish et al., 2008; Sylva et al., 2013), besteht ein Bedarf an empirischen Erkenntnissen zur Interaktionsqualität früher domänenspezifischer Bildungsangebote. Das geplante Symposium adressiert diesen Bedarf und trägt vier Studien aus vier verschiedenen Domänen (Sprache, Mathematik, Naturwissenschaften und Technik) zusammen, in denen die Qualität (und Häufigkeit) verbaler Interaktionen in frühen domänenspezifischen Bildungsangeboten empirisch untersucht wird.

Der erste Beitrag fokussiert die sprachliche Interaktionsqualität in einem strukturierten Bildungsangebot im Zusammenhang mit der Häufigkeit und Qualität alltagsintegrierter sprachlicher Bildungsaktivitäten im Kita-Alltag.

Der zweite Beitrag untersucht den mathematischen Sprachinput („MathTalk“) frühpädagogischer Fachkräfte in einer halbstandardisierten Spielsituationen mit Krippenkindern sowie Zusammenhänge mit numerischen Kompetenzen der Kinder.

Im Fokus des dritten Beitrags steht die Interaktionsqualität und -häufigkeit in einem naturwissenschaftlichen Bildungsangebot im Zusammenhang mit den naturwissenschaftlichen Kompetenzen der Kinder.

Der vierte Beitrag untersucht die verbale Lernunterstützung beim Bauspiel (Technik) als zentralen Aspekt der kognitiven Interaktionsqualität im Zusammenhang mit dem kindlichem Stabilitätswissen, mathematischem Wissen und der räumlichen Sprache.

Insgesamt tragen die Beiträge des geplanten Symposiums zu einem besseren Verständnis der Interaktionsqualität in frühen domänenspezifischen Bildungsangeboten bei. Dabei geben die Beiträge Aufschluss über die Qualität der Ausgestaltung früher Bildungsangebote in vier verschiedenen Domänen sowie deren Bedeutsamkeit für das kindliche Lernen. Die Beiträge sowie deren Implikationen für Forschung und Praxis werden von Prof. Dr. Henrik Saalbach diskutiert.

 

Beiträge des Symposiums

 

Sprachliche Lernunterstützung im Kita-Alltag: Fachkraft-Kind-Interaktionen und sprachliche Bildungsaktivitäten in der Selbst- und Fremdeinschätzung

Claudia Wirts
Universität Leipzig/Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz, München

Theoretischer Hintergrund

Obwohl es zahlreiche Belege für positive Auswirkungen hoher Interaktionsqualität im Bereich der Sprachunterstützung (u.a. Mashburn et al., 2008) und sprachlicher Bildungsaktivitäten (u.a. What Works Clearinghouse, 2007, Shanahan & Lonigan, 2010, Küspert et al., 2007) in der Kita gibt, wird nur ein sehr geringer Teil des Kita-Alltags mit sprachlichen Bildungsaktivitäten verbracht und die Interaktionsqualität im Bereich der Sprachunterstützung liegt in deutschen Kitas durchschnittlich nur im niedrigen bis mittleren Qualitätsbereich (u.a. Wirts et al., 2019, Suchodoletz et al., 2014). Early et al. (2005) fanden in 5% der Kita-Zeit Vorleseaktivitäten und in 4% Aktivitäten zur phonologischen Bewusstheit, in deutschen Kitas werden Bücher durchschnittlich einmal pro Vormittag mit den Kindern genutzt, Aktivitäten zu phonologischer Bewusstheit und Schrift finden im Kindergartenbereich ca. einmal pro Woche statt (Wirts et al., 2019). Auch sprachunterstützende Strategien, wie z.B. offene Fragen oder Erweiterungen kindlicher Äußerungen sind im Kita-Alltag selten beobachtbar (vgl. Siraj-Blatchford & Manni, 2008, König, 2009, Kappauf & Wirts, 2019).

Fragestellung

Im Rahmen des Symposiumsbeitrags sollen Ergebnisse zu folgenden Fragestellungen vorgestellt und diskutiert werden:

• Wie häufig werden sprachliche Bildungsaktivitäten im Kita-Alltag umgesetzt?

• Wie sprachanregend werden verschiedene Bildungsaktivitäten gestaltet?

• Wie gut gelingt Fachkräften die Selbsteinschätzung von Häufigkeit und Qualität sprachlicher Bildungsaktivitäten?

Methode

Im Rahmen der Evaluationsstudien BiSS-E1 und BiSS-E2 (vgl. Wirts et al., 2019), wurden u.a. Daten zur Interaktionsqualität und zu sprachlichen Bildungsaktivitäten im Kita-Alltag in verschiedenen Bundesländern erhoben. Die vorgestellten Daten stammen aus dem Prätests vor den BiSS-Qualifizierungen (39 pädagogische Fachkräften aus dem Krippenbereich und 63 Fachkräfte aus dem Kindergartenbereich). Die Fachkräfte machten im Durchschnitt zu 11 bis 12 Tagen Angaben mithilfe des Tablet-Fragebogens „SpraBi“ zur Dokumentation sprachlicher Bildungsaktivitäten (Wirts & Reber, 2015/2019). Außerdem wurden Bilderbuchbetrachtungen von 10 Fachkräften anhand von Videoaufnahmen genauer analysiert und mit den Selbsteinschätzungen der Fachkräfte zu diesen Situationen verglichen.

Ergebnisse

Auswertungen zu den Bildungsaktivitäten zeigen, dass Aktivitäten zur phonologischen Bewusstheit und zum Umgang mit Schrift im Vergleich zu Bilderbuchaktivitäten nicht nur seltener im Kita-Alltag stattfinden, sondern auch seltener bewusst sprachanregend gestaltet werden. Die befragten Fachkräfte gaben an, dass sie bei Bilderbuchaktivitäten signifikant mehr Sprachförderstrategien einsetzen als bei Aktivitäten zu phonologischer Bewusstheit und Schrift (p<.05). Ebenfalls achten die Fachkräfte bei ersteren Aktivitäten signifikant häufiger (p<.05) bewusst auf eine gute non- und paraverbale Gestaltung.

Bezüglich der Häufigkeitseinschätzungen von sprachlichen Bildungsaktivitäten im Alltag kann, aufgrund der hohen Übereinstimmung von externen Einschätzungen mit denen der Fachkräfte (ICC=.580 (PB/Schrift) bzw. .813 (BiBu)), davon ausgegangen werden, dass eine Selbsteinschätzung adäquat gelingt. Vergleichende Analysen von Fachkraft-Kind-Interaktionen am Video und die Angaben aus den Selbsteinschätzungen per Fragebogen zeigen hingegen, dass viele Fachkräfte die Häufigkeit des Einsatzes sprachanregender Strategien, insbesondere offener Fragen und Erweiterungen kindlicher Äußerungen, deutlich überschätzen. Es handelt sich bei der Teilstudie zum Vergleich der Selbst- und Fremdeinschätzung sprachanregender Strategien um eine explorative Datenauswertung, weitere Forschung ist notwendig, um die Ergebnisse an größeren Stichproben zu prüfen. Insgesamt deuten die vorliegenden Befunde aber darauf hin, dass eine adäquate Selbsteinschätzung des eigenen Interaktionsverhaltens Fachkräften ohne video- oder audiogestützte Reflexion nur eingeschränkt möglich ist, während eine Beurteilung der Häufigkeiten sprachlicher Bildungsaktivitäten reliabel über Selbsteinschätzung per Fragebogen erhoben werden kann.

 

Längsschnittliche Zusammenhänge zwischen dem mathematischen Sprachinput von frühpädagogischen Fachkräften (MathTalk) und den numerischen Kompetenzen von Kindern im Krippenalter

Nadine Besser1, Dorothea Dornheim1, Anja Linberg2, Johanna Klemm1, Hans-Günther Roßbach1, Sabine Weinert1, Simone Lehrl3
1Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 2Deutsches Jugendinstitut, 3Pädagogische Hochschule Weingarten

Dass mathematische Interaktionen, wie mathematischer Sprachinput (MathTalk) von pädagogischen Fachkräften, positiv mit den mathematischen Kompetenzen von Kindern zusammenhängen, wurde für das Kindergartenalter bereits gezeigt (z.B. Boonen et al., 2011; Klibanoff et al., 2006; Ramani et al., 2015). Wenige Untersuchungen beziehen sich auf die Entwicklung dieser Kompetenzen im Krippenalter und deren Förderung in der Krippe (für einen Überblick siehe Turan & De Smedt, 2022). Die Untersuchung langfristiger Faktoren, die die mathematische Entwicklung von Kindern beeinflussen, ist jedoch von besonderer Bedeutung, da Unterschiede in den mathematischen Kompetenzen bereits im Alter von drei Jahren beobachtet werden können (z.B. Klibanoff et al., 2006; Sarama & Clements, 2009). Diese legen den Grundstein für spätere mathematische Kompetenzen (z.B. LeFevre et al., 2010; Lehrl et al., 2020). Der vorliegende Beitrag geht daher der Frage nach, wie der MathTalk frühpädagogischer Fachkräfte längsschnittlich mit den numerischen Kompetenzen von Kindern im Krippenalter zusammenhängt.

Methode:

Grundlage sind Daten des ersten und zweiten Messzeitpunkts (Abstand: 4 Monate) einer Interventionsstudie mit einem Prä-, Post-, Follow-Up Design, in der Faktoren, welche die mathematische Entwicklung von zwei- bis vierjährigen Kindern beeinflussen, untersucht werden. Die Stichprobe umfasst N = 191 Kinder im Alter von durchschnittlich 32 Monaten (range = 23 - 41 Monate) zum ersten Messzeitpunkt (53 % männlich), sowie N = 45 frühpädagogische Fachkräfte, welche überwiegend Deutsch sprechen (81 %), und vorwiegend eine Ausbildung zum/zur Erzieher/in (55 %) als Berufsabschluss hatten.

In halbstandardisierten Spielsituationen wurden die Interaktionen von frühpädagogischen Fachkräften mit bis zu drei Kindern gefilmt. Der MathTalk der Fachkräfte wurde anschließend aufbauend auf vorhandenen Kodiersystemen (Boonen et al., 2011; Klibanoff et al., 2006; Ramani et al., 2015) transkribiert und kodiert. Die Kodierung erfolgte ausgehend von einem breiten Mathematikverständnis, das neben numerischen Begriffen (z.B. Zahlwörter) auch räumliches, (z.B. „unter“, „auf“) zeitliches (z.B. „vorher“, „nachher“) und quantitatives Vokabular (z.B. „mehr“, „weniger“) umfasst (Ramani et al., 2015). In den Analysen werden die Prätest-Kategorien „Zählen“, „Kardinalität“, „Rechnen“, „Numerische Äquivalenz“, „Nicht-Numerische Nicht-Äquivalenz“, „Räumliches Ordnen“, „Nicht-numerisches explizites Ordnen“ und „Zeit“ berücksichtigt.

Zusätzlich wurden die Zählfertigkeiten der Kinder spielerisch mit den Aufgaben Verbales Zählen sowie Objekte Abzählen erfasst und die Entwicklung des Zahlenkonzepts mit den Aufgaben Point-to-X (Wynn, 1992) und Give-a-Number (Sarnecka & Carey, 2008; Wynn, 1990). Die Maße wurden zu einem gemittelten Gesamtwert integriert (Erster Messzeitpunkt: M = 3,62; SD = 1,44; Zweiter Messzeitpunkt: M = 5,01; SD = 1,76).

Um der Frage nachzugehen, ob der MathTalk der frühpädagogischen Fachkräfte längsschnittlich mit den späteren numerischen Kompetenzen der Kinder zusammenhängt, werden unter Berücksichtigung der numerischen Kompetenzen zum ersten Messzeitpunkt sowie des Alters und des Sprachstandes (TROG-D; Fox-Boyer et al., 2020) der Kinder, der Gruppengröße in der Krippe sowie der Muttersprache und dem Bildungsabschluss der Fachkraft multiple Regressionen berechnet.

Ergebnisse:

Analysen zeigen negative Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit der Verbalisierung numerischer Äquivalenzen (z.B. „Jedes Kind bekommt einen Keks.“) (β = -0.11; p < .050) sowie nicht-numerischer nicht-Äquivalenzen (z.B. „A hat mehr als B.“) (β = -0.20; p < .050) und nicht-numerischem explizitem Ordnen (z.B. „Wir legen die Bausteine nach der Größe nebeneinander.“) (β = -0.07; p < .010) zum ersten Messzeitpunkt und den numerischen Kompetenzen der Kinder zum zweiten Messzeitpunkt. Zusammenhänge zwischen den weiteren Kategorien des MathTalk und den numerischen Kompetenzen sind nicht signifikant.

Diskussion:

Wie bei Boonen et al. (2011) scheinen die negativen Zusammenhänge zwischen den MathTalk Kategorien und den numerischen Kompetenzen darauf hinzudeuten, dass Aktivitäten, die höhere mentale Verarbeitungsprozesse beinhalten, bei zwei- bis dreijährigen Kindern eher hinderlich für die mathematische Entwicklung sein können. Andererseits können die positiven Zusammenhänge, die bei Boonen et al. (2011) berichtet werden, mit unserer jüngeren Stichrobe nicht nachgewiesen werden. Zudem sind die gefundenen Effekte klein und die Befunde sollten mit einer größeren Stichprobe überprüft werden.

 

Interaktionsqualität und -häufigkeit in frühen naturwissenschaftlichen Bildungsangeboten im Zusammenhang mit den kindlichen naturwissenschaftlichen Kompetenzen

Elisa Oppermann1, Julia Barenthien2, Henning Dominke2, Lars Burghardt1, Mirjam Steffensky2, Yvonne Anders1
1Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 2Universität Hamburg

Theoretischer Hintergrund

Kinder erwerben bereits lange vor der Einschulung Wissen sowie motivationale Überzeugungen im Bereich der Naturwissenschaften (Oppermann et al., 2018; Steffensky et al., 2018). Frühe naturwissenschaftliche Bildungsangebote können daher die Entwicklung von Vorläuferfähigkeiten im Wissen sowie von Lernmotivation in den Naturwissenschaften unterstützen. Es ist anzunehmen, dass der Erfolg solcher Bildungsangebote vor allem von der Häufigkeit sowie der Qualität der pädagogischen Interaktionen abhängt (Bürgermeister et al., 2019; Ulferts et al., 2019). Die Interaktionsqualität und -häufigkeit wird in der Forschungsliteratur meist bezogen auf die Kindergruppe beschrieben. Neuere Arbeiten gehen aber davon aus, dass sich die Fachkraft-Kind-Interaktionen innerhalb einer Gruppe unterscheiden (Downer et al., 2010; Schmidt et al., 2018). Bisher ist die Bedeutsamkeit der Interaktionsqualität und -häufigkeit in frühen naturwissenschaftlichen Bildungsangeboten auf Gruppenebene im Vergleich zur Zielkindebene für die kindlichen Kompetenzen nicht untersucht.

Fragestellung

Wie hängt die Interaktionsqualität und -häufigkeit auf Gruppen- sowie Zielkindebene in frühen naturwissenschaftlichen Bildungsangeboten mit der kindlichen Lernmotivation und dem Wissen in den Naturwissenschaften zusammen?

Methode

Für die Studie wurden 60 Bildungsangebote frühpädagogischer Fachkräfte (MAlter = 38.6 Jahre, 90% weiblich) zum Thema „Wasser“ (Umfang ca. 20-30 min) mit je einer Gruppe von 3-7 Kindern (Gesamt N = 240, MAlter = 5.7 Jahre, 53% weiblich, 21.3% mit nicht deutscher Familiensprache) videografiert. Die Interaktionsqualität auf Gruppenebene in den Bildungsangeboten wurde mit der CLASS Pre-K (Classroom Assessment Scoring System; Pianta et al., 2008) von insgesamt 6 Ratern eingeschätzt, die Häufigkeit der Fachkraft-Kind-Interaktionen wurde von 2 Ratern auf Zielkindebene kodiert sowie auf Gruppenebene aggregiert. Die naturwissenschaftliche Motivation der Kinder wurde mit der Y-CSM Skala (Oppermann et al., 2017) in 20-minütigen Einzelinterviews erhoben. Die Skala besteht aus den Subskalen naturwissenschaftliche Selbstwirksamkeitserwartung (16 Items, α=0.87) und Lernfreude (14 Items; α=0.92). Das naturwissenschaftliche Wissen der Kinder zum Thema „Wasser“ wurde in 20-minütigen Gruppenbefragungen erhoben (15 Items, α=0.75). Die Berechnung der Zusammenhänge zwischen der Interaktionsqualität bzw. -häufigkeit und den kindlichen Outcomes erfolgte mithilfe von Pfadmodellen in Mplus (Version 8.3, Muthén & Muthén, 1998–2017). Hintergrundmerkmale der Kinder und Fachkräfte sowie Rahmenbedingungen der Bildungsangebote (z.B. Dauer, Anzahl der teilnehmenden Kinder) wurden in den Analysen kontrolliert. Die Mehrebenenstruktur wurde in allen Analysen mit „TYPE = COMPLEX“ berücksichtigt und fehlende Werte wurden mit „full information maximum likelihood“ geschätzt.

Ergebnisse

Die Ergebnisse der Pfadmodelle zeigten keine Zusammenhänge der Interaktionsqualität (gemessen mit der CLASS Pre-K) auf Gruppenebene mit der kindlichen Lernmotivation (Selbstwirksamkeit: ß = -.07, p = .306; Lernfreude: ß = -.07, p = .363) oder dem Wissen (ß = .07, p = .260). Mit Blick auf die Häufigkeit der Fachkraft-Kind-Interaktionen zeigten sich keine signifikanten Zusammenhänge auf Gruppenebene (Selbstwirksamkeit: ß = -.01, p = .857; Lernfreude: ß = .06, p = .372; Wissen: ß = -.05, p = .476), aber auf Zielkindebene: Die Häufigkeit der Interaktionen eines einzelnem Kindes mit der Fachkraft während des naturwissenschaftlichen Bildungsangebotes stand in einem positiven Zusammenhang mit der naturwissenschaftlichen Selbstwirksamkeitserwartung des Kindes (ß = .20, p = .008). Für die naturwissenschaftlichen Lernfreude zeigte sich hier eine nicht signifikante Tendenz (ß = .12, p = .097), für das Wissen zeigten sich keine signifikanten Zusammenhänge (ß = -.07, p = .279).

Die Ergebnisse des vorliegenden Beitrags deuten darauf hin, dass für die individuelle Lernmotivation von Kindern vor allem die Fachkraft-Kind-Interaktionen relevant sind, die ein einzelnes Kind in frühen naturwissenschaftlichen Bildungsangeboten erfährt. Die Interaktionsqualität und -häufigkeit auf Gruppenebene stand in keinem Zusammenhang mit der Lernmotivation oder dem Wissen. Einschränkend ist anzumerken, dass die Richtung der Zusammenhänge aufgrund des querschnittlichen Studiendesigns nicht klar bestimmt werden kann. Im Beitrag werden mögliche Ursachen für die nicht vorhanden Zusammenhänge auf Gruppenebene (u.a. längerfristige Entwicklung von Motivation und Wissen, Passung der Instrumente zu den Inhalten des Bildungsangebotes) sowie Perspektiven für die weitere Forschung unter Berücksichtigung der Zielkindebene diskutiert.

 

Zusammenhänge zwischen verbaler Lernunterstützung (Scaffolding) mit bereichsspezifischem kindlichem Wissen im Bauspiel

Lukas Schmitt1, Anke Weber2, Dominik Weber3, Miriam Leuchter1
1RPTU Kaiserslautern-Landau, 2Universität Luxembourg, 3Universität des Saarlandes

Theorie

Verbale Lernunterstützung gilt als Schlüsselmerkmal instruktionaler Qualität im frühpädagogischen Setting und sollte bereichsspezifisch erfasst werden (e.g., Senden et al., 2022). Zur Untersuchung dieses Zusammenhangs sollte außerdem alltagsnahe Tätigkeit herangezogen werden (Leuchter & Naber, 2019). Das Bauspiel bietet pädagogischen Fachkräften (PFK) die Möglichkeit, kindliches Wissen in den Bereichen Bereich Stabilität, Mathematik und räumliches Denken durch die Verwendung adäquater sprachlicher Anregungen zu fördern. Für den Bereich Stabilität konnten Weber et al. (2020) zeigen, dass fünf- bis sechsjährige Kinder in der Lage sind, die Stabilität asymmetrischer Bauklotzanordnungen richtig einzuschätzen., wenn sie zuvor verbale Lernunterstützung (Scaffolding) von der Versuchsleitung erhielten. Weiterhin hat die Forschung gezeigt, dass die Verwendung von Sprache mit räumlichem bzw. mathematischem Bezug (spatial/ math language) bei Kindern positiv mit räumlichen Fertigkeiten (Casey et al., 2008) und numerischem Wissen (Purpura et al., 2021) assoziiert ist.

Obwohl instruktionale Qualität stark zwischen pädagogischen Fachkräften (PFK) variiert (Burchinal et al., 2008), bleiben Studien, die den Einfluss instruktionaler Qualität auf kindliches Wissen untersuchen, rar. Weiterhin zeichnen Studien ein unklares Bild über die Stärke des Zusammenhangs zwischen instruktionaler Qualität und kindlichem Lernen (Pohle et al., 2022; Weiland et al., 2013). Ein methodisches und ethisches Problem bei der Untersuchung des Zusammenhangs stellt die experimentelle Manipulation instruktionaler Qualität dar. Die vorliegende Studie gibt erste Einblicke in die Zusammenhänge zwischen instruktionaler Qualität von PFK mit kindlichem Wissen im Bauspiel.

Fragestellung

(1) Zeigen sich Zusammenhänge zwischen verbaler Lernunterstützung durch die PFK und kindlichem bereichsspezifischem Wissen (Stabilität, Mathematik, räumliche Sprache)?

Methode

Es wurden 73 Interaktionen freien Bauspiels zwischen PFK und einer Kleingruppe von maximal fünf Kindern (M = 71.31 Monate, SD = 7.67, Min = 52, Max = 92) videografiert. Für der Auswertung wurden die Videos in zehnsekündige Analyseeinheiten segmentiert. In jeder Analyseeinheit wurde kodiert, ob die PFK Scaffolding, räumliche oder mathematische Sprache verwendeten (0/1). Die Werte wurden anschließend zu Summenscores aggregiert. Eine Übersicht über das Kategoriensystem gibt Tabelle 1. Drei RaterInnen bewerteten 20 der 73 Videos unabhängig voneinander. Die Übereinstimmung lag in einem guten Bereich (αKrippendorff = .80; vgl. Krippendorff, 2004).

Kindliches Stabilitätswissen wurde über den „Center-of-Mass-Test“ (Weber & Leuchter, 2020) erfasst, bei dem die Stabilität von 16 Bauklotzanordnungen bewertet werden muss (αstabil = .65, αinstabil = .60). Mathematisches Wissen wurde über vier Subskalen des „Würzburger Vorschultests“ erfasst (Endlich et al., 2015; α = .91). Räumliche Sprache wurde über ein auf der Basis des Kategoriensystems von Cannon et al. (2007) selbstentwickeltes Testinstrument erfasst (α = .80).

Ergebnisse

Deskriptiv zeigte sich eine große Varianz im Einsatz verbaler Lernunterstützung zwischen PFK. Zunächst wurde untersucht, ob ein kategorienübergreifender Zusammenhang zwischen sprachlichem Input und kindlichem Wissen besteht. Dazu wurden die Werte der Dimensionen Scaffolding, räumliche und mathematische Sprache zu einem Summenscore aggregiert. Es zeigte sich eine signifikant positive Korrelation des generischen Scores mit kindlichem Stabilitätswissen (r = .18). Bei einzelner Betrachtung der sprachlichen Inputvariablen zeigte sich, dass Scaffolding (r = .16), räumliche Sprache (r = .13) und mathematische Sprache (r = .16) signifikant positiv mit dem Stabilitätsverständnis assoziiert waren. Eine multiple Regression zeigte jedoch, dass nur Scaffolding inkrementelle Validität bei der Vorhersage von Stabilitätswissen besaß (β = .13, t (352) = 2.28, p = .023); insgesamt konnten 3% der Varianz im Kriterium aufgeklärt werden (F (3, 352) = 3.89, p = .009). Mathematische Sprache war negativ mit dem Mathematikwissen der Kinder korreliert (r = -.15).

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass der Einsatz verbaler Lernunterstützung mit kindlichem Wissen assoziiert ist, die Effekte scheinen aber eher klein zu sein. Das korrelative Design der Studie lässt allerdings keine kausalen Inferenzen über den Zusammenhang zu. Die negative Korrelation zwischen mathematischer Sprache und Mathematikwissen muss als Artefakt diskutiert werden.

 
13:10 - 14:502-13: Angst im Schulkontext - Operationalisierung, Einflussfaktoren und Auswirkungen in der Grundschule und der Zeit des Schulübergangs
Ort: S28
 
Symposium

Angst im Schulkontext - Operationalisierung, Einflussfaktoren und Auswirkungen in der Grundschule und der Zeit des Schulübergangs

Chair(s): Christin Beese (Universität Hamburg), Luise Scholz (Universität Hamburg)

Diskutant*in(nen): Frances Hoferichter (Universität Greifswald)

Angst ist eine der am häufigsten berichteten Leistungsemotionen (Pekrun et al., 2007). Dies scheint insofern alarmierend, als dass Studienergebnisse auf Zusammenhänge mit erbrachten Leistungen, Wohlbefinden oder einem vorzeitigen Schulabgang hinweisen (Duchesne et al., 2008; Namkung et al., 2019; Robson et al., 2023; van Armeringen et al., 2003). Ängste im Schulkontext können damit von maßgeblicher Bedeutung für die Bildungslaufbahn eines Kindes sein. Ausgehend vom Sozial-kognitiven Modell der Entstehung von Lern- und Leistungsemotionen (Penkrun et al., 2007) kann angenommen werden, dass sich schulbezogene Emotionen durch verschiedene Umweltfaktoren, wie der elterlichen Kontrolle und Autonomieförderung, Aspekten der Unterrichtsqualität sowie verschiedenen Lern- und Leistungskognitionen (sog. Appraisals, z. B. Einstellung, Selbstkonzept) herausbilden und in ihrer situativen Ausprägung beeinflusst werden. Zudem ist anzunehmen, dass dass diese sich auf das Lernen und die Leistung von Schüler:innen auswirken. Während die Forschungslandschaft sich durch eine Vielzahl an Studien zu Leistungsemotionen im fortgeschrittenen sekundären und tertiären Bildungsbereich auszeichnet (z.B. Bouffard & Labranche, 2022; Hoferichter & Raufelder, 2015; Song et al., 2015) ist hingegen wenig über die Entstehensbedingungen und Auswirkungen schulbezogener Ängste bei jüngeren Kindern, insbesondere in der Grundschule und in der Zeit des Übergangs in die Sekundarstufe, bekannt. Dabei ist auffällig, dass die vorhandenen Messinstrumente sich vorrangig auf Lernende der Sekundarstufe und spezifische Emotionsbereiche (z. B. Domänen, Prüfungen) beziehen.

Das Ziel des Symposiums ist es daher, einen umfassenden Überblick zur Messung, zu den verschiedenen Einflussfaktoren und den Auswirkungen von Ängsten im Schulkontext in der Grundschule und der Zeit des Schulübergangs zu geben.

Der erste Beitrag untersucht die psychometrische Güte eines neu entwickelten Erhebungsinstruments zur Erfassung der domänenspezifischen Angst in Bezug auf die Hauptunterrichtssprache. Dabei wird der Fragestellung nachgegangen, welche Faktorenstruktur sich für das Messinstrument ergibt, da dies Auskunft darüber gibt, ob sich bereits im mittleren Grundschulalter eine Generalisierung empfundener Symptome als Angst herausgebildet hat.

Der zweite Beitrag betrachtet aus einer fachspezifischen Perspektive verschiedene Aspekte der wahrgenommenen Unterrichtsqualität und der Einstellung und des Selbstkonzepts von Schüler:innen als Einflussfaktoren auf Prüfungsangst im Sachunterricht. Zusätzlich werden die Auswirkungen der fachbezogenen Prüfungsangst auf die Schulleistungen in die Analysen einbezogen.

Der dritte Beitrag untersucht dabei ausgehend von der Coping Motivational Theory (Skinner & Wellborn, 1997; Zimmer-Gembeck & Skinner, 2016) längsschnittliche Auswirkungen sozialer Integration und elterlicher Disziplinierungsmaßnahmen auf die Prüfungsangst in der Zeit des Schulübergangs.

Abschließend werden die drei Beiträge von Dr. Frances Hoferichter diskutiert, kritisch betrachtet und weitere Perspektiven in Bezug auf zukünftige wissenschaftliche Forschung aufgezeigt.

 

Beiträge des Symposiums

 

Psychometrische Güte eines bildgestützten Fragebogens für die Grundschule zur Erfassung der Angstausprägung in Bezug auf die Hauptunterrichtssprache

Linda Kuhr1, Jürgen Wilbert2
1Universität Potsdam, Freie Universität Berlin, 2Universität Potsdam

Im Alltag des Menschen sind viele Kommunikationssituationen, häufig in einer Amtssprache des jeweiligen Landes, zu bewältigen. Die Grundschule vermittelt daher „eine grundlegende sprachliche Bildung“, um die Kinder „in gegenwärtigen und zukünftigen Lebenssituationen handlungsfähig“ (Kultusministerkonferenz, 2005, S.24) zu machen. In den meisten Ländern wird daher mindestens eine der Amtssprachen als eigenes Fach unterrichtet und als Hauptunterrichtssprache verwendet. Diese Fachkompetenz ist somit zur gesellschaftlichen Teilhabe von besonderer Bedeutung und wird von leistungsbezogenen Emotionen beeinflusst (Pekrun et al., 2002). Eine Emotion, die als starker Einflussfaktor auf die Leistung berichtet wird, ist Angst. Bisher existieren jedoch weder im, noch außerhalb des deutschsprachigen Raums Untersuchungen, die sich ausschließlich auf diese domänenspezifische Angst richten (Piccolo et al., 2017; Raccanello et al., 2019). Daher wird im vorliegenden Beitrag ein Instrument zur Erfassung eben dieser domänenspezifischen Angst in Bezug auf die Hauptunterrichtssprache für den deutschsprachigen Raum für das Grundschulalter entwickelt und auf seine Güte hin überprüft.

Die Konstruktion orientiert sich an entsprechenden Forschungsbefunden zu anderen domänenspezifischen Ängsten, insbesondere der Mathematikangst. Es wurden sechs Kriterien entwickelt, die das Instrument erfüllen soll. Die zentralen Anforderungen sind: (1) Das Instrument soll die differentialpsychologische Erfassung des Konstrukts berücksichtigen, es wird somit das gesamte Emotionskontinuum von Angst erfasst, dessen maximale Ausprägung in den Bereich einer spezifischen Phobie hineinreicht (Schnabel, 1998). (2) Bei der Instrumentenentwicklung wird berücksichtigt, dass Angst einen gegenwarts- und zukunftsgerichteten Charakter aufweist (Spielberger, 1972) und (3) situationsspezifische angstauslösende Reize existieren (z. B. LeDoux & Pine, 2016), wenn gleich davon ausgegangen wird, dass die kognitive Einordnung dieser Reize erst zur eigentlichen Einordnung des Erlebens als Angst führt (Pekrun et al., 2007). Zudem soll das Instrument (4) Pekrun et al.s (2007) Verständnis von Angst als Verbund psychologischer Prozesse mit verschiedenen Dimensionen aufgreifen. Darüber hinaus wird (5) das Begriffsverständnis der Domäne der Hauptunterrichtssprache am Beispiel Deutsch in Anlehnung an domänenvergleichende Untersuchungen (wie z. B. Goetz et al., 2012; Sparfeldt et al., 2016) verfolgt. Die teilhaberelevanten Kernkompetenzen Zuhören, Sprechen, Lesen, Schreiben und Rechtschreiben stehen dabei im Fokus (Kultusministerkonferenz, 2005). Zudem soll das Instrument den Gegenstandsbereich (6) kindgerecht erfassen.

Das Ergebnis dieses Entwicklungsprozesses ist ein neuer Fragebogen, dessen Reliabilität und diskriminante (Leseleistung) sowie konvergente Validität (Allgemeine Schulangst, Mathematikangst) überprüft wird. Auch die theoretisch hergeleitete Struktur wird item- und faktoranalytisch überprüft. Dabei sind auf Basis der Arbeiten von LeDoux und Pine (2016) zwei verschiedene Faktorenstrukturen des Fragebogens denkbar: Zum einen eine Struktur mit einem Faktor zweiter Ordnung (Angst in der Hauptunterrichtssprache), zum anderen eine Struktur ohne diesen Faktor. Dies begründet sich dadurch, dass sich die Wahrnehmung der Komponenten mit zunehmendem Lebensalter verändert und damit die Kategorisierung der Prozesse in einer Situation im Sinne der psychologisch definierten Emotion Angst durch das Individuum erst mit zunehmendem Alter erfolgt. Eine klare empirische Absicherung, ab wann das Alter erreicht ist, in dem sich diese subjektive Wahrnehmung der psychologischen Definition Angst angleicht, ist bisher nicht bestimmt, weswegen unklar ist, ob sich in der anvisierten Zielgruppe dieser Faktor zweiter Ordnung bereits abbilden lässt.

Es werden Forschungsdaten von 253 Kindern der 3. Klassen aus Berlin und Brandenburg ausgewertet. In den Itemanalysen zeigt sich, dass die Symptomskalen affektive, kognitive und physiologische Symptome zufriedenstellende interne Konsistenzen aufweisen (α= .79 - .84, ω = .79 - .85). Ihre Trennschärfen liegen im hohen Bereich (.50 - .52), jedoch sind die Skalen sehr homogen und die Itemschwierigkeiten gering. Die Skala behaviorale Symptome bildet eine Ausnahme, sie weist mit α und ω =.69 eine zu geringe interne Konsistenz auf, wobei ihre Homogenität und Trennschärfe im akzeptablen Bereich liegt.

Die konfirmatorischen Faktorenanalysen weisen darauf hin, dass beide Faktorenstrukturen nicht optimal sind, jedoch eine leichte Präferenz für das Modell ohne Faktor zweiter Ordnung vorliegt. Im Vortrag werden Implikationen zur Weiterentwicklung des Fragebogens und ergänzende Forschungsdesiderata diskutiert.

 

Unterrichtsbezogene Einflussfaktoren von Prüfungsangst im Sachunterricht bei Viertklässler:innen – Eine Untersuchung auf der Datengrundlage von TIMSS 2019

Luise Scholz, Christin Beese, Knut Schwippert
Universität Hamburg

Die Leistungsemotion Prüfungsangst wurde bereits in vielen Untersuchungen als erklärende oder zu erklärende Variable eingebunden (z. B. Jonberg et al., 2021; Kunter et al. 2011; Rosenfeld & Valtin 1997; Weinert & Helmke 1997). Trotzdem fehlen bisher Studien, die die Zusammenhänge von Prüfungsangst und den drei Basisdimensionen der Unterrichtsqualität sowie der Leistung in den Naturwissenschaften untersuchen. Dies scheint besonders erstaunlich, da einerseits zahlreiche Untersuchungen zum Zusammenhang von Unterrichtsqualität und Schulleistung sowie weiteren Determinanten in den Naturwissenschaften bzw. im Sachunterricht vorliegen (z. B. Fauth et al., 2014; Baumert et al., 2010; Borowski et al., 2010) und andererseits bereits für das Fach Mathematik entsprechende Befunde existieren, die eine Überprüfung für andere Fächer anzeigen (Kunter et al., 2011). Somit zeigt sich im Bereich der Grundschulforschung diesbezüglich ein Forschungsdesiderat. Die Betrachtung der angenommenen Zusammenhänge in der Grundschule ist angezeigt, da Prüfungsangst zunächst in einer situationsbezogenen, also zeitlich begrenzten Form auftritt, sich aber über die Zeit manifestieren und zu einer stabilen Persönlichkeitseigenschaft werden kann (Kucian, 2018). Um der Entwicklung einer dauerhaften Prüfungsangst entgegenwirken zu können, sollten präventive Ansätze bereits in der frühen Schulzeit Anwendung finden. Dieser Beitrag widmet sich daher zwei Fragestellungen: Erstens, inwieweit Merkmale der Unterrichtsqualität vermittelt über die Einstellung und das Selbstkonzept der Schüler:innen als Einfluss- und Bedingungsfaktoren der Prüfungsangst im Sachunterricht in der Grundschule fungieren und zweitens, ob ein Zusammenhang zwischen der Prüfungsangst im Sachunterricht und den naturwissenschaftlichen Kompetenzen von Grundschüler:innen in Deutschland besteht.

Damit orientiert sich die Untersuchung an dem sozial-kognitiven Modell zur Entstehung von Lern- und Leistungsemotionen, das auf dem Appraisal-Ansatz beruht (Götz et al., 2004). Diesem zufolge entstehen Lern- und Leistungsemotionen über Lern- und Leistungskognitionen („Appraisals“), die wiederum durch Einflüsse aus der Sozialumwelt zustande kommen. Die Unterrichtsqualitätsmerkmale lassen sich dabei dem Bereich Sozialumwelt zuordnen, weshalb ein indirekter Zusammenhang mit der Prüfungsangst angenommen werden kann. Vermittelt wird dieser Zusammenhang dem Modell nach über Lern- und Leistungskognitionen, zu denen unter anderem die Valenz- und die Kontrollkognitionen gehören. Um diesen indirekten Zusammenhang adäquat abbilden zu können, werden daher die Einstellung zum Fach Sachunterricht als Valenzkognition und das fachspezifische Selbstkonzept als Kontrollkognition mit in die Untersuchung aufgenommen.

Mit den Datensätzen der TIMS-Studie liegen umfangreiche Daten vor, die eine Untersuchung dieser Zusammenhänge für die Grundschule anhand einer für Deutschland repräsentativen Stichprobe (n = 4 942 Schüler:innen) ermöglichen. Die Grundlage für die Analysen dieses Beitrags bilden die Daten der Schülerbefragung sowie der standardisierten Leistungstests von TIMSS 2019.

Mithilfe von Mehrebenenstrukturgleichungsmodellen (MSEM) in Mplus werden die komplexen Zusammenhänge der drei Basisdimensionen der von den Schüler:innen wahrgenommenen Unterrichtsqualität (Klassenführung, konstruktive Unterstützung, kognitive Aktivierung) vermittelt über die fachbezogene Einstellung und das fachbezogene Selbstkonzept im Sachunterricht auf die Prüfungsangst analysiert. Zusätzlich wird die Auswirkung der Prüfungsangst auf die naturwissenschaftliche Kompetenz von Viertklässler:innen unter Berücksichtigung der geschachtelten Datenstruktur abgebildet (Ditton, 1998). Die Kompetenzen der Schüler:innen in der Domäne Naturwissenschaften werden anhand von fünf Leistungsschätzern (plausible values) operationalisiert.

Das theoretisch hergeleitete Mehrebenenmodell zeigt sehr gute Modell-Fit-Werte. Die Ergebnisse der Analysen zeigen einen signifikanten mittleren negativen Effekt des Selbstkonzepts und einen signifikanten geringen gegensätzlichen Effekt der Einstellung auf die Prüfungsangst. Bezogen auf die Unterrichtsqualitätsmerkmale zeigt sich primär die konstruktive Unterstützung als signifikanter Einflussfaktor auf das Selbstkonzept sowie auf die Einstellung von Grundschüler:innen. Somit lassen sich mit der konstruktiven Unterstützung und dem Selbstkonzept erste Hinweise auf relevante Ansatzpunkte für die Prävention von Prüfungsangst im Bereich des Sachunterrichts aufzeigen. Zudem hat die Prüfungsangst einen mittleren negativen Effekt auf die naturwissenschaftlichen Kompetenzen der Schüler:innen, was die Notwendigkeit von präventiven Maßnahmen noch einmal betont. Die Ergebnisse der Untersuchung liefern somit einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung von Prüfungsangst in der Grundschule in Deutschland.

 

Wahrgenommene soziale Integration, elterliche Kontrolle und Autonomieunterstützung: Differentielle Effekte auf die Prüfungsangst von Jungen und Mädchen in der Zeit des Schulübergangs.

Paulina Feige, Rainer Watermann
Freie Universität Berlin

Aufgrund von Befunden, die darauf hindeuten, dass Testsituationen mit hohen Anforderungen die Wahrscheinlichkeit von Prüfungsangst erhöhen (Robson et al., 2023; Valtin & Wagner, 2004; von der Embse et al., 2018) und dass Stress im Allgemeinen mit der Entstehung von Ängsten in Zusammenhang steht (Williams et al., 2005), kann angenommen werden, dass der Übergang in die Sekundarstufe eine kritische Phase in der Entwicklung von Prüfungsangst ist. So markiert die Zeit des Übergangs einen bedeutenden Wendepunkt, der mit einer hohen Leistungsbetonung und drastischen Veränderungen im akademischen und sozialen Leben der Schüler und Schülerinnen einhergeht und somit ein hohes Maß an verhaltensbezogener und psychologischer Anpassung erfordert (Sirsch, 2003; Wigfield et al., 1991). Auf Grundlage der Coping Motivational Theory (Skinner & Wellborn, 1997; Zimmer-Gembeck & Skinner, 2016) kann davon ausgegangen werden, dass soziale Faktoren, wie die Akzeptanz der neuen Klassenkameraden und elterliche Disziplinierungsmaßnahmen diesen Anpassungsprozess beeinflussen. Die Forschung zu sozialen Einflüssen auf die Prüfungsangst konzentrierte sich jedoch bisher auf Jugendliche und junge Erwachsene im fortgeschrittenen sekundären (ab der 7. Klasse) oder tertiären Bildungsbereich (z.B. Putwain et al., 2010; Ringeisen & Raufelder, 2015; Song et al., 2015). Hingegen ist wenig über jüngere Kinder, insbesondere in der Zeit des Schulübergangs, bekannt. Die vorliegende Studie untersucht daher die längsschnittliche Rolle der wahrgenommenen Integration in den neuen Klassenkontext (Beispielitem: Ich habe viele Freunde in meiner Klasse), der wahrgenommenen elterlichen Kontrolle (Beispielitem: Drohen meine Eltern mir Strafen an) und der wahrgenommenen elterlichen Autonomieunterstützung (Beispielitem: Sagen mir meine Eltern nicht gleich, was ich tun soll, sondern hören sich in Ruhe an, wie ich selbst mit der Situation umgehen will), für die Prüfungsangst von Mädchen und Jungen in der Zeit des Übergangs in die Sekundarstufe. Dazu wurden die Daten von 1770 Schülerinnen und Schülern (51,02 % weiblich) aus der Trends in International Mathematics and Science Study (TIMSS) Übergangsstudie (Becker et al., 2010) vor (4. Klasse) und nach dem Übergang (Klassen 5-7) in einem Mehrgruppen-Strukturgleichungsmodell (Mädchen vs. Jungen) ausgewertet. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Jungen und Mädchen im letzten Jahr der Grundschule die höchste Prüfungsangst empfinden. Dementsprechend könnte die letzte Periode der Grundschulzeit eine kritische Phase in der Entwicklung von Prüfungsangst sein. Darüber hinaus schien die soziale Integration in den neuen Klassenkontext nur für die Veränderung der Prüfungsangst bei Mädchen relevant zu sein. Die wahrgenommene elterliche Kontrolle sagte die Veränderung der Prüfungsangst nach dem Übergang für Jungen und Mädchen positiv vorher. Demgegenüber wurde kein signifikanter Zusammenhang zwischen der berichteten Prüfungsangst und elterlicher Autonomieunterstützung gefunden. Die Studie bietet neue praktische Einblicke in die (differenziellen) Erfolgsbedingungen für Schulübergänge für Jungen und Mädchen. Dementsprechend werden Interventionsprogramme benötigt, die sowohl die soziale Einbindung in den neuen Klassenkontext, als auch die Wahrnehmung elterlicher Disziplinierungsmaßnahmen berücksichtigen.

 
15:20 - 17:003-13: Covid-19 Pandemie
Ort: S28
 
Paper Session

Zum Zusammenhang von Lehr- und Lernbedingungen während der COVID-19-Pandemie mit den Lernergebnissen Jugendlicher: Eine kulturübergreifende Analyse anhand von PISA-Daten.

Giang Hong Pham*, Franziska Maria Locher*, Dimitra Kolovou, Eliane Arnold

Pädagogische Hochschule St.Gallen, Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Die Lehr- und Lernbedingungen während der COVID-19-Pandemie waren beispiellos – Schulschließungen und digitaler Unterricht wurden den Bildungssystemen nahezu überall aufgezwungen (OECD, 2021). Die Meta-Analyse von Betthäuser et al. (2023) zeigt, dass sich der Lernfortschritt während der COVID-19-Pandemie erheblich verlangsamt hat. Zudem werfen die Bedingungen im Bildungsbereich während der COVID-19-Pandemie die Frage auf, ob diese Veränderungen zu noch größeren herkunftsbedingten Leistungsdisparitäten führen (Yun, 2023; Betthäuser et al., 2023; Donnelly & Patrinos, 2022; Goudeau et al., 2021), die sich seit den 1990er Jahren in vielen Ländern kontinuierlich vergrößert haben (s. Meta-Analyse von Liu et al., 2022). Darüber hinaus bleiben viele Fragen offen, z.B. inwieweit spezifische Lehr- und Lernbedingungen während der Zeit des pandemiebedingten irregulären Unterrichtens der negativen Leistungsentwicklung, insbesondere bei Schüler:innen mit niedrigem sozioökonomischem Status (SES), entgegenwirken können.

Forschungsfrage

Im Beitrag sollen Zusammenhänge der Lehr- und Lernbedingungen während der Zeit des irregulären Unterrichtens durch COVID-19 mit der Leistung der Schüler:innen bei PISA 2022 innerhalb und über Länder hinweg untersucht werden. Insbesondere sollen differentielle Effekte für Schüler:innen mit unterschiedlichem SES untersucht werden. Die Forschungshypothesen lauten:

H1: Zwischen PISA 2022 und früheren PISA-Zyklen zeigt sich ein Rückgang der Leistungen in allen Fächern (Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften).

H2: Zwischen PISA 2022 und früheren PISA-Zyklen, zeigt sich bei Schüler:innen mit niedrigerem SES in allen Fächern ein stärkerer Rückgang der schulischen Leistungen als bei Schüler:innen mit höherem SES.

H3: Unterschiede in den Lehr- und Lernbedingungen während der COVID-19-Pandemie (z.B. Dauer der Schulschliessungen, Erreichbarkeit der Lehrpersonen, individuelle Nutzung digitaler Geräte), sagen nach Kontrolle des SES, die Leistungen und die Entwicklung der Leistung der Schüler:innen vorher.

Methode

Es werden Test- und Fragebogendaten aus PISA 2022 (einschließlich Global Crisis Module; Bertling et al., 2020) und früheren PISA-Zyklen (PISA 2018, PISA 2015, PISA 2012) zusammen mit verfügbaren internationalen Datensätzen zu den Bedingungen während der COVID-19-Pandemie (s. OECD, 2021) verwendet. Die internationalen Daten von PISA 2022 werden Ende 2023 veröffentlicht (vgl. https://nces.ed.gov/surveys/pisa/schedule.asp). Zur Beantwortung aller Hypothesen werden multivariate Regressionsanalysen durchgeführt. Dabei werden der SES und die früheren Leistungen als Kovariaten mitberücksichtigt. Zur Beantwortung von H3 werden zusätzlich latente Profilanalysen durchgeführt, um Unterschiede in Lehr- und Lernbedingungen systematisch zu analysieren. Für die Ergebnisinterpretation werden neben den deutschsprachigen Ländern und deren Nachbarländern auf einige ausgewählte (z.B. aufgrund Schulschliessungsdauer, Einkommen, bisherige Leistungen) Länder betrachtet. Folgende Länder werden betrachtet: Schweiz, Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Estland, Neuseeland, Mexiko, Vietnam. Alle Analysen werden in R durchgeführt, Stichprobengewichte werden dabei berücksichtigt.

Ergebnisse und Diskussion

Seit dem Jahr 2000 sind die OECD und rund 90 Länder auf der ganzen Welt beteiligt und arbeiten zusammen, um herauszufinden, ob die Schulen jungen Menschen die Kompetenzen vermitteln, die in der Welt von morgen wichtig sind (OECD, 2023). Damit ist PISA die größte Bildungsstudie der Welt. Nach drei herausfordernden Pandemie-geprägten Jahren für die Bildungssysteme weltweit, scheint die Frage nach dem Bildungsstand von Jugendlichen und der Vergleich mit anderen Ländern wichtiger denn je. Insbesondere mit dem Global Crisis Module bietet PISA 2022 eine einzigartige Datenbasis mit enormem Potenzial. Sie ermöglicht Zusammenhangsanalysen zwischen den Lehr- und Lernbedingungen während der COVID-19-Pandemie und den Leistungen der Jugendlichen weltweit. Darüber hinaus ermöglicht die Vergleichbarkeit der Leistungsergebnisse zwischen den PISA-Zyklen Analysen über die Entwicklung der Leistungen vor und nach der Pandemie. Auf der Grundlage früherer empirischer Erkenntnisse im internationalen Kontext gehen wir davon aus, dass die Ergebnisse die aufgestellten Forschungshypothesen bestätigen und dass sich Trends und Zusammenhänge innerhalb der Mehrheit der untersuchten PISA-Länder und über alle untersuchten PISA-Länder hinweg zeigen. Fachspezifische Ergebnisse sowie das Potenzial unterschiedlicher Lehr- und Lernbedingungen als mögliche Resilienzfaktoren werden diskutiert.



Paper Session

Corona ist doch längst vorbei?! Effekte der Covid-19 Pandemie auf die Mathematikleistung von Zweitklässlern über acht Schuljahre hinweg

Ophelia Urbach1, Boris Forthmann1, Natalie Förster2, Elmar Souvignier1

1Universität Münster; 2Bergische Universität Wuppertal

Theoretischer Hintergrund

Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19 Pandemie wurde das Bildungssystem stark eingeschränkt. Als unmittelbare Auswirkungen zeigten sich dabei vor allem in Mathematik Leistungseinbußen (z.B. Betthäuser et al., 2022), die sich auch in der 2021 festgestellten Verschlechterung in der Erreichung der Mindeststandards im Primarbereich (Schumann & Sachse, 2022) widerspiegeln. Bislang liegen vornehmlich Schätzungen kurzfristiger Leistungseinbußen aufgrund der Schulschließungen vor. Grundsätzlich sollten jedoch auch befürchtete längerfristigen Konsequenzen der pandemiebedingten Schulschließungen (Kaffenberger, 2021) empirisch untersucht werden. Zudem ist bislang wenig darüber bekannt, ob sich auch Auswirkungen auf mathematische Vorläuferkompetenzen oder die Rechenfähigkeit bei Kindern zeigen, die von Schließungen im Kindergarten betroffen waren.

Fragestellung

Wie haben sich die durchschnittliche Mathematikleistung sowie interindividuelle Unterschiede in der Mathematikleistung in der zweiten Klasse in Folge der Corona-Pandemie verändert? In den Kohorten seit Beginn der Corona-Pandemie wird eine Verringerung der mittleren Leistungen und eine Erhöhung der Leistungsvariation im Vergleich zu den Prä-Pandemie-Kohorten erwartet.

Methode

Um die Fragestellung zu beantworten werden Daten der web-basierten Lernverlaufsdiagnostik quop (Souvignier et al., 2021) herangezogen. Mit acht Messzeitpunkten pro Schuljahr erlauben diese Daten nicht nur einen Vergleich über Schuljahre hinweg, sondern auch eine differenzierte Auswertung von Leistungsentwicklungen innerhalb der Schuljahre. In der zweiten Klasse werden in der M2-Testreihe die Teilkompetenzen Vorläuferfähigkeiten und Rechenfähigkeit (Salaschek & Souvignier, 2014) durch Paralleltests erfasst. Verglichen werden die mathematischen Leistungen von vier Prä-Pandemie Kohorten (N = 6.294) aus den Schuljahren 2015/16-2018/19 mit den folgenden Kohorten der Jahrgänge 2019/20-2022/23, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten von Schulschließungen, Wechselunterricht oder Kindergartenschließungen betroffen waren (N jeweils > 2.300). Zur Untersuchung der Unterschiede zwischen den Kohorten werden nach Prüfung der Messinvarianz über die Kohorten und die Zeit latente Mittelwerts- und Varianzunterschiede geschätzt. Ein zweidimensionales Messmodell mit den Faktoren mathematische Vorläuferfähigkeit und Rechenfähigkeit und den entsprechenden Subfacetten als Indikatoren zeigte bei Analysen der ersten Teilstichproben einen guten Modellfit (robust CFI = 0.966, robust RMSEA= 0.017) nach Hu und Bentler (1999).

Ergebnisse

Aktuell sind die Daten der ersten sechs Kohorten ausgewertet. Analysen dieser Teilstichproben (Prä-Pandemie und die ersten beiden Pandemie-Kohorten) zeigten ein differenziertes Ergebnismuster in der durchschnittlichen Mathematikleistung beider Pandemiekohorten für die einzelnen Fähigkeitsbereiche. Die durchschnittliche Leistung der Vorläuferfähigkeiten fiel zu fast allen Messzeitpunkten signifikant niedriger aus als in den Prä-Pandemie Kohorten. Dies war allerdings im SJ 2019/20 auch bereits vor Pandemiebeginn der Fall, wohingegen die Unterschiede während des ersten Lockdowns geringer ausfielen. In den arithmetischen Fähigkeiten fielen die durchschnittlichen Leistungen im Vergleich zu den Prä-Pandemie-Kohorten sogar teilweise signifikant höher aus. Im Verlauf des Schuljahres nahmen diese Unterschiede aber wieder ab. Bei den interindividuellen Unterschieden in den Vorläuferfähigkeiten zeigte sich eine Zunahme in beiden Pandemiekohorten, auch bereits in den Messzeitpunkten vor Pandemiebeginn. Die Leistungsheterogenität der arithmetischen Fähigkeiten in der ersten Pandemiekohorte fiel vor Pandemiebeginn signifikant höher aus und nahm wider Erwarten während des ersten Lockdowns ab. In der zweiten Pandemiekohorte zeigte sich die erwartete Zunahme der Leistungsheterogenität.

Diskussion

Die ersten Befunde der Teilstichproben weisen nicht auf einen allgemeinen negativen Effekt der Pandemie auf die mittlere Mathematikleistung bei Zweitklässlern hin. Die Zunahme der Leistungsheterogenität in beiden mathematischen Fähigkeitsbereichen stellt vermutlich zumindest teilweise pandemiebedingte negative Konsequenz dar, welche im Verlauf der folgenden Schuljahre weiter analysiert werden soll. Relativierend ist allerdings festzuhalten, dass dieser Effekt sich in der ersten Pandemiekohorte bereits vor Einsetzen der Pandemie zeigte. Die Unterschiede zwischen beiden Teilkompetenzen und zu den in Metaanalysen gefunden negativen Effekten auf die mittlere Mathematikleistung (Betthäuser et al., 2022) verdeutlichen die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung von Kompetenzen, Altersgruppen und Kohorten zur Einschätzung der pandemiebedingten Folgen. Die Auswertung der Daten aus den beiden letzten Schuljahren kann möglicherweise das Ergebnismuster aufschlussreich ergänzen.



Paper Session

Zum Einfluss von Unterrichtsmerkmalen auf das schulische Wohlbefinden im Kontext der COVID-19-Pandemie

Isabell Martin, Michaela Gläser-Zikuda

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland

Theoretischer Hintergrund: Wohlbefinden gilt im schulischen Kontext als Qualitätsmerkmal (Hascher, 2004; OECD, 2019). Neben dem positiven Einfluss auf die Gesundheit trägt Wohlbefinden zu einer positiven Wahrnehmung von Schule und Unterricht bei und kann dadurch den Lernprozess und die Leistungen der Schüler*innen beeinflussen. Wohlbefinden zeichnet sich zum einen durch das Vorherrschen positiver, und zum anderen durch die Abwesenheit negativer Aspekte sowie einer Kombination von emotionalen und kognitiven Faktoren aus. Dem Sechs-Komponenten-Modell von Hascher (2004) zufolge setzt sich schulisches Wohlbefinden aus den positiven Einstellungen zur Schule (PE), dem schulischen Selbstwert (SSW), der Abwesenheit körperlicher Beschwerden im Zusammenhang mit der Schule (AKB), der Abwesenheit sozialer Probleme (ASP), keiner Sorgen wegen der Schule (AS) sowie Freude und Anerkennung in der Schule (FA) zusammen (vgl. Hascher & Hagenauer, 2011). Schulisches Wohlbefinden wird durch schulische Rahmenbedingungen, unterrichtsbezogene Aspekte – wie die Unterrichtsqualität - außerschulische Faktoren und individuelle Aspekte (Gläser-Zikuda & Fuß, 2004; Gysin, 2017; Hascher, 2004; Obermeier et al., 2021) beeinflusst. Während der COVID-19 Pandemie kam es in zahlreichen Ländern, so auch in Deutschland ab März 2020, zu einem Lockdown, der auch Schulschließungen umfasste (Goldan et al., 2021; Voss & Wittwer, 2020). An Schulen wurden oft Mischformen aus Präsenz- und Distanzunterricht umgesetzt. Dies traf sowohl Schüler*innen (und ihre Familien), als auch Lehrkräfte und Schulleitungen unvorbereitet. Diese Situation stellte eine besondere psychosoziale Herausforderung vor allem für die Schüler*innen dar, wodurch sich weitreichende Auswirkungen - auch in Bezug auf deren Wohlbefinden – ergaben (Hansen & Hanewinkel, 2022; Obermeier et al., 2022). Diese Studie widmet sich daher der Bedeutung von Unterrichtsqualität für das schulische Wohlbefinden von Schüler*innen im Kontext der COVID-19 Pandemie.

Fragestellung: Folgende Fragstellungen wurden fokussiert:

F1: Welche Unterrichtsmerkmale lassen sich als Prädiktoren für die verschiedenen Dimensionen des schulischen Wohlbefindens identifizieren?

F2: Welcher Anteil an erklärter Varianz lässt sich auf die Klassenebene zurückführen?

Methode: Insgesamt nahmen N = 1113 Schüler*innen (48.8 % weiblich; 19.3 % Migrationshintergrund; Alter: M = 12.61 (SD = 1.71)) der Jahrgangsstufen fünf bis neun an zehn Sekundarschulen eines deutschen Bundeslandes an einer paper-pencil Befragung teil. Die Schulen wurden für die Befragung auf Grundlage ihrer im Bundesvergleich relativ hohen Quoten an Schulabbrecher*innen (> 10%) ausgewählt.

Das schulische Wohlbefinden wurde anhand der Skala „Schulisches Wohlbefinden“ mit allen sechs Subskalen nach Hascher (2004) erfasst. Folgende weitere standardisierte Instrumente kamen zum Einsatz: Unterrichtsqualität mit den Skalen: „Selbstbestimmung“ (Röder & Kleine, 2007), „Klassenführung“ (Helmke et al., 2013), „Kognitiv aktivierende Aufgabenstellungen“ (adaptiert nach Baumert et al., 2019), Fairness anhand der Skala „Bevorzugung und Benachteiligung“ (Saldern & Littig, 1987) und „Leistungsdruck“ (Saldern & Littig, 1987). Dabei wurden zunächst Analysen durchgeführt, ob es laut Intraklassenkoeffizient (ICC) und Designeffekt (Deff) eine Mehrebenenstruktur zu beachten galt (Zitzmann, 2021). Anschließend wurden entsprechend Mehrebenenanalysen und einfache multiple Regressionsanalysen durchgeführt.

Ergebnisse: Für die PE und den SSW wurden aufgrund des ICC und Deff Mehrebenenregressionen durchgeführt. Dabei konnten für die PE 12% und für den SSW 5% der Gesamtvarianz über die Klassenebene erklärt werden. Die Klassenführung erwies sich für die AKB (β=.21), ASP (β=.22), AS (β=.17), PE (β=.28) und SSW (β=.21) als stärkster positiver Prädiktor. Für die FA zeigte die kognitive Aktivierung im Unterricht den größten positiven Effekt (β=.22). Als stärkster negativer Prädiktor für die vier Subskalen des schulischen Wohlbefindens AS (β=-.21), PE (β=-.23), SSW (β=-.15) und FA (β=-.05) konnte der Leistungsdruck identifiziert werden. Die Fairness der Lehrkraft hat den stärksten negativen Effekt auf die Subskalen ASP (β=-.19) und AKB (β=-.19). Die Modelle konnten für die einzelnen Dimensionen des schulischen Wohlbefindens 13% bis 20% der Varianz aufklären. Zentrale Ergebnisse werden im Vortrag präsentiert und mit Blick auf Limitationen sowie Implikationen für die schulische Praxis diskutiert.



Paper Session

Aufholen nach Corona - Evaluation des baden-württembergischen Programms „Lernen mit Rückenwind“

Kerstin Norwig, Cordula Petsch, Julia Blank, Stephan Blank, Johanna Marder, Frank Pfänder, Maren Specker, Benjamin Fauth

Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg, Deutschland

In den Corona-Schuljahren 2019/2020 und 2020/2021 waren Schulen an vielen Unterrichtstagen vollständig geschlossen bzw. öffneten nur teilweise für einen Wechsel- oder Hybridunterricht (OECD, 2021). Zahlreiche Unterrichtsstunden sind ausgefallen; das digitalisierte Lernen im Distanzunterricht nahm zwar schnell an Qualität zu, konnte das Lernen im Präsenzunterricht aber nicht vollständig ersetzen (Helbig et al., 2022, S. 11). Pandemiebedingte Lernrückstände waren die Folge und bei vielen Schüler/-innen, besonders solchen aus sozial benachteiligten Familien, zeigten sich vermehrt fachliche Lernrückstände sowie sozial-emotionale Auffälligkeiten (Böttger & Zierer, 2021; Helbig et al., 2022; Schult et al., 2022a; 2022b; Stanat et al., 2022; Ravens-Sieberer et al., 2022)

Zur Milderung solch negativer Effekte vereinbarten Bund und Länder das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ (Bundesregierung, 2021). Entsprechend der Zielvereinbarungen (BMBF, 2021) lagen die Schwerpunkte der baden-württembergischen Programmvariante „Lernen mit Rückenwind“ auf dem Abbau pandemiebedingter Lernrückstände und auf der Stärkung sozial-emotionaler Kompetenzen (MKJS BW, o. J.). Innerhalb der Programmlaufzeit (Schuljahre 2021/2022 und 2022/2023) konnten sich alle Schulen Baden-Württembergs registrieren und Fördermittel bzw. Unterstützungskräfte für zusätzliche Förderkurse beantragen (MKJS BW, o. J.).

Das Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) hat das Programm „Lernen mit Rückenwind“ in den Schuljahren 2021/2022 (Pilotierungsstudie) und 2022/2023 (Haupt- und Erweiterungsstudie) evaluiert. Schwerpunkte dabei waren Fragen zur Implementation des Programms in die Praxis sowie zur Entwicklung der am Programm beteiligten Schüler/-innen. Zur Untersuchung dieser Fragen wurde ein längsschnittliches Design gewählt und verschiedene Akteure von zufällig gezogenen allgemeinbildenden Schulen zu mehreren Messzeitpunkten befragt. Es liegen Daten vor von (1) Schulleitungen (nHauptstudie = 31, nErweiterungsstudie = 1.426; ein Messzeitpunkt am Ende des Schuljahres), (2) Unterstützungskräften der Förderkurse (nHauptstudie = 33; je ein Messzeitpunkt am Ende der Schulhalbjahre) sowie (3) Schüler/-innen der vierten und fünften Klassenstufen (nHauptstudie = 1.531; drei Messzeitpunkte sowie bis zu 10 Messungen zur Leistungsentwicklung).

Im ersten Fragenkomplex interessierte v. a. wie das Programm (dessen Vorbereitung, Organisation, Umsetzung usw.) von den verschiedenen Akteuren wahrgenommen wurde und welche förderlichen bzw. hinderlichen Implementationsfaktoren daraus abgeleitet werden können. Mittels standardisierter Online-Fragebögen wurden hierzu Konstrukte erfasst, die sich in früheren Studien als relevant für eine erfolgreiche Implementation von Programmen erwiesen haben (vgl. z. B. Proctor et al. 2011, Humphrey et al. 2016), wie u. a. die Teilnahmemotivation, der wahrgenommene Förderbedarf, die Akzeptanz der Maßnahme, deren wahrgenommene schulische Umsetzbarkeit sowie Erwartungen zur Programmwirksamkeit. Zudem wurden aus der Unterrichtsforschung bekannte Qualitätsmerkmale der angebotenen Förderkurse (konstruktive Unterstützung, lernförderliches Feedback, individuelle Förderung, vgl. Fauth, 2021) in der Wahrnehmung der beteiligten Schüler/-innen sowie personenbezogene bzw. institutionelle Einflussfaktoren (soziodemografische Daten, personenbezogene Einstellungen, Rahmenbedingungen der Schule usw.) erfasst.

Im Rahmen des zweiten Fragenkomplexes interessierten sowohl die psycho-soziale Entwicklung als auch die Leistungsentwicklung der am Programm beteiligten Schüler/-innen. Die Viert- und Fünftklässler/-innen wurden hierzu mit dem Kidscreen (The Kidscreen Group Europe, 2006) befragt. Zur Abschätzung der fachlichen Entwicklung in den Bereichen Lesen und Mathematik wurden zudem kontinuierlich während des Schuljahres Leistungsdaten mittels der Lernverlaufsdiagnostik quop (Förster & Souvignier, 2014) erfasst.

Da die Datenerfassung der Haupt- und Erweiterungsstudie erst kürzlich abgeschlossen wurde, liegen die finalen Ergebnisse noch nicht vor. Die Daten der Pilotierungsstudie belegen allerdings die psychometrische Güte der eingesetzten Skalen und deuten eine durchaus positivere Wahrnehmung des Programms „Lernen mit Rückenwind“ seitens der Schulleitungen an als dies in zurückliegenden (bundesweiten) Umfragen (VBE BW, 2021, Robert-Bosch-Stiftung, 2022) der Fall war.

Vorgestellt werden längsschnittliche Analysen und Subgruppenvergleiche, die v. a. den ersten Fragekomplex zur Implementation des Programms adressieren. Aus dem zweiten Fragekomplex wird die längsschnittliche Entwicklung der sozio-emotionalen Verfasstheit der Kinder und Jugendlichen im Schuljahr 2022/2023 in den Blick genommen. Interessant ist hierbei nicht nur die Entwicklung der am Programm beteiligten Schüler/-innen, sondern auch der Vergleich mit Schüler/-innen, die keine schulischen Förderkurse besucht haben.



Paper Session

Die Sommerschule: Eine unbegleitete Unterrichtstätigkeit - Unterschiede in den Wahrnehmungen zwischen Studierenden und Schüler*innen

Sonja Lenz1, Alexandra Postlbauer1, Christoph Helm1, Manuela Gamsjäger2

1Johannes Kepler Universität Linz, Österreich; 2Pädagogische Hochschule Oberösterreich

Als Reaktion auf die negativen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie wurden in Österreich Sommerschulen eingeführt, die wie deutsche Sommercamps (vgl. Kowoll, Strietholt & Bos, 2013) das Ziel verfolgen, benachteiligte Kinder zu fördern und schulische Defizite auszugleichen. Lehramtsstudierende übernahmen dabei erstmals eigenverantwortlich die Leitung heterogener Lerngruppen und standen vor beruflichen Herausforderungen, die üblicherweise Berufseinsteiger:innen erfahren (Lenz et al., 2023). Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des aktuellen Lehrer*innenmangels im deutschsprachigen Raum von Bedeutung, da vermehrt Personen ohne facheinschlägigen Lehramtsstudium unterrichten (Himmelsbach et al., 2023). Eine dieser Herausforderungen stellt die Klassenführung dar, welche als zentrale Entwicklungsaufgabe für Berufsanfänger:innen gilt (Keller-Schneider, 2021). Klassenführung ist ein Schlüsselkonzept effektiven Unterrichts (Lenske & Mayr, 2015), der immer auch aus der Perspektive der Schüler:innen zu denken, planen und durchzuführen ist. Obwohl Schüler:innen eine bedeutende Beurteilungsinstanz darstellen, fehlen bisher Studien darüber, inwieweit Aktivitäten von Lehramtsstudierenden im Rahmen von remedialen Maßnahmen einen Einfluss auf das Lernen der Schüler:innen haben.

Der aktuelle Beitrag adressiert diese Lücke, indem er die Selbstwahrnehmung 39 oberösterreichischer Lehramtsstudierender der Fremdwahrnehmung von 363 Schüler:innen, erfasst mithilfe des Linzer Diagnosebogens zur Klassenführung (Mayr, 2011), gegenübergestellt. Dabei wird aufgezeigt, inwiefern die Lehramtsstudierenden während ihres ersten eigenverantwortlichen Praktikums in der Sommerschule effektive Klassenführung aufweisen und analysiert, inwieweit die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Unterrichtsqualität übereinstimmen. Die Ergebnisse liefern wertvolle Einblicke in die Dimensionen Unterrichtsgestaltung, Beziehungsförderung und Kontrolle im Rahmen der Sommerschulen als remediale Maßnahme und zeigen ebenso auf, inwieweit die Studierenden während ihres ersten unbegleiteten Praktikums das individuelle Lernerlebnis der Schüler:innen fördern können.

Methode

Die Daten wurden mittels Linzer Diagnosebogen zur Klassenführung (Mayr, 2011) erhoben. Insgesamt nahmen 39 Lehramtstudierende (82 % weiblich, 86% Bachelorstudierende) und 363 Schüler:innen (48 % weiblich, 39 % mit nicht-deutscher Umgangssprache) an der Befragung teil, was eine Vollerhebung für den Sommerschulstandort Oberösterreich darstellt. Die Daten sind hierarchisch geschachtelt, Schüler:in genestet innerhalb von Studierenden. Verwendet wurde der Analyseansatz von Kim et al. (2018), die ein Cross-Level-Group-Measurement-Invarianz-Modell vorschlagen, um auf gleiche Messungen auf Lehrenden- und Lernendenebene zu testen. Das Modell ermöglicht die Schätzung der latenten Korrelation und der latenten Mittelwertdifferenzen zwischen der Lehrenden- und der Lernendenbewertung.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass die latenten Mittelwertsdifferenzen zwischen den Qualitätsbewertungen der Studierenden und der Schüler:innen hinsichtlich der beiden Dimensionen Beziehungsförderung und Unterrichtsgestaltung zwar effektbedeutsam, aber statistisch nicht signifikant sind (std. Est.: .20/-.32, p > .05). Die unterschiedlichen Vorzeichen legen nahe, dass Studierende die Dimension Beziehungsförderung tendenziell positiver und die Dimension Unterrichtsgestaltung tendenziell negativer bewerten als Schüler:innen. Die Differenz in der Dimension Kontrolle ist weder effektbedeutsam noch statistisch signifikant (std. Est.: -.05, p > .05). Betrachtet man die latenten Korrelationen, zeigt sich für die beiden Dimensionen Kontrolle und Unterrichtsgestaltung, dass eine positive Bewertung der Studierenden mit einer positiven Bewertung durch die von ihnen betreuten Schüler:innen einhergeht (std. Est.: .77/.46, p < .05). Dagegen ist der entsprechende Zusammenhang für die Dimension Beziehungsförderung zwar effektbedeutsam, aber statistisch nicht signifikant (std. Est.: .32, p > .05).

Diskussion

Dass Studierende im Vergleich zu Schüler:innen Unterrichtsmerkmale positiver einschätzen, deckt sich mit Studien zur Unterrichtsqualität (Kunter & Baumert, 2006; Fauth, Decristan, Rieser, Klieme, & Büttner, 2014). Überraschend ist die tendenziell geringere Beurteilung der Unterrichtsgestaltung. Dies könnte auf den fachdidaktischen Gehalt der Items dieser Dimension (z.B. Bedeutsamkeit der Ziele und Fachkompetenz der Lehrkraft) zurückzuführen sein, der von Schüler:innen (aufgrund ihrer fehlenden Expertise) schwer valide eingeschätzt werden kann. Die hohen Korrelationen weisen auf eine relativ gesehen valide Selbsteinschätzung der Studierenden hin. Die Befunde können für die Weiterentwicklung der Professionalität von Studierenden nutzbar gemacht werden, indem sie als Referenz zur Reflexion des eigenen Handelns im ersten unbegleiteten Praktikum herangezogen werden. Zudem können die Befunde bei der Beforschung, Evaluation und Weiterentwicklung des Konzepts der unbegleiteten Praktika als Evidenzbasis helfen, da sie zeigen, wie valide unterschiedliche Informantengruppen sind.

 
Datum: Dienstag, 19.03.2024
10:30 - 12:104-13: Ausbildungsabbrüche – Prädiktoren und anschließende Verläufe
Ort: S28
 
Symposium

Ausbildungsabbrüche – Prädiktoren und anschließende Verläufe

Chair(s): Christian Michaelis (Universität Göttingen), Stefanie Findeisen (Universität Konstanz, Deutschland), Viola Deutscher (Universität Mannheim)

Diskutant*in(nen): Anne Christine Holtmann (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung)

Hohe Abbruchquoten an Ausbildungsverhältnissen sowohl im dualen System (ca. 27 % der Ausbildungsverträge pro Jahr; BIBB, 2023) als auch im Schulberufssystem (ca. 38 %; Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022) stellen seit Jahren eine zentrale Herausforderung des Berufsbildungssystems dar (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022; BIBB, 2023). Vor allem im Kontext der aktuellen Situation um Fachkräfteengpässe erfährt der Diskurs um Abbrüche in der beruflichen Ausbildung eine hohe Aufmerksamkeit. Aber auch international ist das Thema relevant, da Ausbildungssysteme in vielfältigen Ländern ähnlich ausgestaltet sind und dort vergleichbare Problemlagen bestehen.

Mehrere Studien verdeutlichen, dass Brüche im Ausbildungsverlauf nur für den geringsten Anteil an Jugendlichen zu langfristigen und somit „problematischen“ Bildungsverläufen führen (Michaelis et al., 2022; Michaelis & Richter, 2022; Holtmann & Solga, 2023). Häufiger ist ein Bruch mit einem Ausbildungsverhältnis als eine Bildungs-, Berufs- bzw. Betriebskorrektur zu werten (Krötz & Deutscher, 2022). Positiv betrachtet bergen solche nachschulischen Erfahrungen deshalb auch ein Sozialisationspotenzial für die berufliche und karrierebezogene Entwicklung (Michaelis et al., 2022), dennoch sollten Risiken dieser Umwege nicht negiert werden. Patzina und Wydra-Somaggio (2021) verdeutlichen beispielsweise Nachteile in der späteren Beschäftigungs- und Gehaltssituation. Auch institutionelle Risiken, zum Beispiel auf Seiten der Betriebe sind zu berücksichtigen, da Negativerfahrungen im Ausbildungsprozess die Ausbildungsbereitschaft gefährden können. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist es deshalb bedeutsam, Hintergründe von Abbrüchen eines Ausbildungsverhältnisses sowie deren Konsequenzen theoriegeleitet zu analysieren, um evidenzbasierte Handlungsempfehlungen für die Gestaltungsakteure beruflicher Bildung zu generieren. Derzeit stehen vor allem zwei Forschungsschwerpunkte im Mittelpunkt:

(1) Prädiktoren von Abbrüchen: Der aktuelle Forschungsstand verdeutlicht, dass der Abbruch eines Ausbildungsverhältnisses ein komplexes Konstrukt ist, dass auf vielfältige Kontext-, Input sowie Prozessmerkmale der beruflichen Ausbildung zurückzuführen ist (Böhn & Deutscher, 2022). Gut erforscht sind vor allem distale Einflüsse der Individuen (Leistungsmerkmale der vorherigen Bildungsbiografie, sozioökonomischer Hintergrund etc.). Wenig erforscht ist hingegen die Ausbildungsprozessebene und komplexe Strukturzusammenhänge zwischen den einzelnen Input- und Prozessmerkmalen.

(2) Diskontinuierliche Ausbildungsverläufe: Abbrüche von Ausbildungsverhältnissen werden nicht nur durch den vorherigen Bildungsverlauf beeinflusst, sondern haben selbst auch Einfluss auf den zukünftigen Lebensverlauf. Erkenntnisse bestehen vor allem für Entwicklungen nach dem Abbruchsereignis (Michaelis & Richter, 2022; Holtmann & Solga, 2023; Krötz & Deutscher, 2022). Auch bestehen erste Analysen zum Einfluss von distalen Faktoren (z.B. Bildungshintergrund) auf die Entwicklungen nach dem Abbruch eines Ausbildungsverhältnisses (Michaelis & Richter, 2022; Holtmann & Solga, 2023), wenig Evidenz besteht hingegen zum Einfluss proximaler Abbruchsgründe (z.B. persönliche Gründe, Ausbildungsqualitätsmerkmale) auf den anschließenden Verlauf.

Vor diesem Hintergrund bildet das Symposium in Form von vier Vorträgen aktuelle empirische Problemstellungen zu diesen beiden Forschungsschwerpunkten im Themenfeld beruflicher Abbrüche ab. Dabei werden quantitative (Beiträge 1, 3 und 4) und qualitative Ansätze (Beitrag 2) kombiniert.

  1. Beitrag 1 (Ma, Krötz, Deutscher & Winther) widmet sich in einer längsschnittlichen Untersuchung bei kaufmännischen Auszubildenden der Rolle der berufsfachlichen Kompetenz für die Abbruchsabsicht.
  2. Beitrag 2 (Arianta & Goller) untersucht mittels einer qualitativen Längsschnittstudie (Grounded Theory) Prädiktoren für Ausstiegs- bzw. Bleibeabsichten von Auszubildenden zu Beginn der Pflegeausbildung.
  3. Beitrag 3 (Michaelis & Findeisen) untersucht domänenübergreifend anhand von Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS), inwiefern verschiedene selbstberichtete Abbruchgründe die auf tatsächliche Vertragslösungen folgenden Bildungsverläufe erklären.
  4. Beitrag 4 (Wicht, Siembab & Beckmann) analysiert ebenfalls auf Basis von NEPS-Daten domänenübergreifend vorgenommene Berufswechsel von sog. „Stop-Outs“ unter besonderer Berücksichtigung der Geschlechtstypik und des Status der Berufe vor und nach dem Wechsel.

Ein abschließender Diskussionsbeitrag wird die Befunde vor dem Hintergrund theoretisch-konzeptioneller Aspekte reflektieren und forschungsmethodische und bildungspolitische Implikationen beleuchten.

 

Beiträge des Symposiums

 

Zur Rolle beruflicher Kompetenzentwicklung für die Ausbildungsabbruchabsicht bei kaufmännischen Auszubildenden

Beifang Ma1, Maximilian Krötz2, Viola Deutscher2, Esther Winther1
1Universität Duisburg-Essen, 2Universität Mannheim

Theoretischer Hintergrund

Hohe Abbruchquoten in den beruflichen Bildungssystemen stellen rund um den Globus eine große Herausforderung dar (CEDEFOP, 2016). Die jahrzehntelange Forschung zum Thema Ausbildungsabbruch konnte inzwischen zahlreiche Einflussfaktoren identifizieren, allerdings werden einerseits die Kausalität zwischen solchen Einflussfaktoren und andererseits die Rolle der Kompetenzentwicklung der Auszubildenden für ihr Abbruchverhalten weitestgehend außer Acht gelassen. Nur selten fokussieren Studien auf den Kausalzusammenhang zwischen Kompetenzen und Ausbildungsabbruch. In solchen Fällen werden ausschließlich die Auswirkungen sozialer und methodischer Kompetenzen analysiert (z. B. Ulrich et al., 2020; Weber & Garcia-Murias, 2019). Zum heutigen Zeitpunkt liegen keine empirischen Belege vor, die einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung berufsfachlicher Kompetenzen und dem Abbruch der Berufsausbildung belegen. Allerdings verdeutlichen Befunde durch Zumbühl und Wolter (2017) im Längsschnitt, dass Befunde zu typischen Abbruchfaktoren variieren können, wenn allg. schulische Kompetenzen (Mathematik, erfasst durch PISA-Erhebungen) der Auszubildenden einbezogen werden.

Fragestellung und Methode

Die vorliegende Studie analysiert die Auswirkungen der beruflichen Kompetenzentwicklung auf die Abbruchabsicht anhand von Längsschnittdaten von 458 Auszubildenden (Industriekaufleute) in Deutschland. Über zwei Jahre wird die berufliche Kompetenz durch einen validierten Kompetenztest (Klotz, 2015) zu drei Zeitpunkten gemessen und in eine domänenverbundene und eine domänenspezifische Dimension unterteilt (Gelman & Greeno, 1989). Außerdem werden vier unterschiedliche Richtungen von Abbruchabsichten (Krötz & Deutscher, 2022) modelliert. Somit wird eine differenzierte Betrachtung der Forschungslücke in insgesamt 12 temporären Kausalbeziehungen angestrebt (to-t1; t0-t2; t1-t2 für je vier Abbruchrichtungen). Daneben werden gängige Abbruchfaktoren wie Bildungsniveau, Alter, Sprache und Wunschberuf als Kontrollvariablen berücksichtigt.

Ergebnisse

Im Ergebnis werden über die Verwendung schrittweiser hierarchischer Regressionsmodelle signifikante Einflüsse der beruflichen Kompetenz auf die Abbruchabsicht für 3 der 12 möglichen Beziehungen aufgezeigt: Geringere domänenspezifische Kompetenzen zu Beginn der Ausbildung erhöhen im zweiten Ausbildungsjahr die Absicht, den Ausbildungsberuf zu wechseln. Des Weiteren beeinflussen die Niveaus der domänenspezifischen Kompetenz zu Beginn und nach einem Ausbildungsjahr die Absicht, im letzten Ausbildungsjahr nach unten abzubrechen. Somit können drei temporäre Kausalbeziehungen identifiziert werden, bei denen eine niedrige domänenspezifische Kompetenz zu Beginn der Ausbildung spätere Abbruchabsichten der Auszubildenden signifikant verstärkt.

Insgesamt können die beschrieben Modelle jedoch nur 6-7% Varianz der Abbruchabsichten erklären (korrigiertes R²). Die domänenspezifische Kompetenz kann hierbei jeweils rund einen Prozentpunkt Varianzaufklärung beitragen, sodass von nur sehr geringen Erklärungsbeiträgen berufsfachlicher Kompetenzen für das Abbruchgeschehen ausgegangen werden muss. Auffällig ist zudem, dass sich für domänenverbundene Kompetenz keine signifikanten Einflüsse auf die Abbruchabsichten der Auszubildenden zeigen. Gängige Befunde zu Wunschberuf (Übereinstimmung senkt Abbruchabsichten), Alter (höheres Alter erhöht Abbruchabsichten), Geschlecht (männliche Auszubildende zeigen verstärkt Abbruchabsichten) und Bildungsniveau (höheres Bildungsniveau senkt i. d. R. Abbruchabsichten, verstärkt jedoch Abbruchabsicht nach oben) konnten innerhalb der Analysen bestätigt werden (z. B. Böhn & Deutscher, 2022).

 

Dynamiken von Bleibe- und Ausstiegsintentionen im Verlauf der Ausbildungseingangsphase der Pflegeausbildung: Eine qualitative Längsschnittstudie

Katrin Arianta, Michael Goller
Universität Kassel

Theoretischer Hintergrund/Fragestellung

Nach aktuellen Schätzungen werden in den nächsten Jahren ca. 13 Millionen Pflegekräfte im Gesundheitswesen fehlen (ICN, 2022), weshalb die nachhaltige Bindung von Nachwuchskräften an den Pflegeberuf von großer Bedeutung ist. Leider ist trotz steigender Vertragslösungen und Abbruchneigungen in der Pflegeausbildung (BMFSFJ, 2022; Destatis, 2022; Merkley, 2016) bisher wenig über deren Entwicklung während der Pflegeausbildung bekannt (González & Peters, 2021). Zur Schließung dieser Forschungslücke wird mit der vorliegenden Studie beigetragen, indem Entwicklungsverläufe pflegeberuflicher Aspirationsfelder von Auszubildenden, welche als Zone akzeptabler und zugänglicher pflegeberuflicher Alternativen definiert sind (Gottfredson, 1981, 2005), empirisch untersucht werden.

Der Fokus liegt auf der Eingangsphase der Pflegeausbildung, die als Transition in den Ausbildungsberuf verstanden wird (Welzer, 1993). Typisch für diese Phase ist eine Häufung individueller beruflicher Orientierungsversuche (Lamamra & Duc, 2015). Um diese zu verstehen, wird eine subjektorientierte Perspektive auf den Berufswahlprozess eingenommen, bei der die/der Jugendliche als Agent ihrer/seiner Laufbahn verstanden wird und diese in Ko-Konstruktion mit ihrer/seiner Umwelt gestaltet (Savickas 2012, 2021). Abschließendes Ergebnis dieser Ko-Konstruktionsprozesse können berufliche Bleibe-, Reorientierungs- oder auch Abbruchtendenzen während der Ausbildung sein.

Methode

Um die Entwicklungsdynamiken pflegeberuflicher Aspirationen aus der Subjektperspektive nachzeichnen zu können, wurde eine qualitative Längsschnittstudie auf Basis der Grounded Theory Methodologie (Corbin & Strauss, 2015) durchgeführt. Mittels problemzentrierter Interviews (Witzel & Reiter, 2012) wurden 12 Auszubildende der Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie Altenpflege zu zwei bis vier Zeitpunkten im ersten Ausbildungsjahr befragt (insgesamt k = 35 Interviews). In einem theoretischen Samplingverfahren wurden sieben stark kontrastierende Fälle (21 Interviews) für die weitere Analyse mittels Kodierverfahren der Grounded Theory (Corbin & Strauss, 2015) ausgewählt.

Als erstes Ergebnis dieser Analyse wurde ein Modell entwickelt, das die pflegeberufliche Aspirationsentwicklung als sozialen Lernprozess erklärt. Dieses Modell wurde dann zur Identifikation verschiedener Muster der Entwicklung pflegeberuflicher Pläne im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres verwendet. Für diese Prozessanalyse wurde in Anlehnung an die Empfehlungen von Dreier et al. (2018) und die Grounded Theory Methodologie (Corbin & Strauss, 2015) ein qualitatives, längsschnittliches Analyseverfahren entwickelt. Hierdurch konnte das Ausgangsmodell erstens hinsichtlich prozessualer Phänomene optimiert und zweitens typische Prozessvarianten identifiziert werden.

Ergebnisse

Die Prozessanalysen zeigen verschiedene Einflüsse der Interaktionen mit Ausbildungsbeteiligten (z.B. Kolleg:innen, Ausbilder:innen) auf die beruflichen Planungsüberlegungen der Auszubildenden und die damit verbundenen Ausstiegs- und/oder Bleibeabsichten. Hier wirken sich insbesondere das Erleben der Beziehung zu diesen sowie die erlebte soziale und berufliche Integration im Praxisfeld aus. Die dabei entstehenden Dynamiken lassen sich in vier Prozessvarianten typisieren: (a) das Ankommen- und Bleiben-Wollen, bei dem das soziale Umfeld positiv erlebt und die Bleibeabsicht durch ein Gefühl vollwertiges Mitglied der Community zu sein bzw. zu werden intendiert wird; (b) der Verbleib als Übergangspassage, wobei von Ausbildungsbeginn an der Verbleib als zeitweiser Übergang gesehen und auf negative soziale Erfahrungen mit einer Durchhaltestrategie reagiert wird; (c) das Suchen, um zu bleiben, womit die Intention fokussiert wird, trotz negativer interaktionaler Erlebnisse im Praxisfeld nach Möglichkeiten zu suchen, den Pflegeberuf nicht aufgeben zu müssen; (d) der Ausstieg als Kurzschluss, bei dem durch einzelne negative interaktionale Erlebnisse ein Ausstiegsplan ausgelöst wird. Die Prozessvarianten sind durch typische Oszillationen zwischen den beiden Polen des Bleiben- oder Aussteigenwollens gekennzeichnet, die im geplanten Beitrag dargestellt werden sollen.

Die Ergebnisse deuten auf eine sehr dynamische Entwicklung pflegeberuflicher Aspirationen in der Ausbildungseingangsphase hin, die stark vom subjektiven Erleben des pflegerischen Arbeitsfeldes und der sozialen Interaktionen darin abhängt und damit wenig vorhersehbar ist. Das Lernen pflegeberuflicher Aspirationen stellt sich somit als z.T. zufälliges Geschehen dar, wie auch Krumboltz (2009) verdeutlicht. Darüber hinaus liefert die Studie Hinweise darauf, dass einem Ausstieg nicht zwangsläufig eine Akkumulation negativer Erfahrungen vorausgehen muss, wie in vielen Forschungsarbeiten zum Vertragslösungsgeschehen bisher angenommen wurde (u.a. Ertelt et al., 2016; Krötz & Deutscher, 2022; Rohrbach-Schmid & Uhly, 2015).

 

Gründe für verschiedene Formen der vorzeitigen Vertragslösung von Auszubildenden: Eine empirische Analyse von Ausbildungsverläufen

Christian Michaelis1, Stefanie Findeisen2
1Universität Göttingen, 2Universität Konstanz

Theoretischer Hintergrund und Fragestellung

Vielfältige Studien haben in den vergangenen Jahren Prädiktoren von vorzeitigen Vertragslösungen (vV) analysiert. Insgesamt zeigt sich, dass Hintergründe komplex sind und auf unterschiedliche Faktoren der Input- und Prozessebene zurückzuführen sind (Böhn & Deutscher, 2023; Biggs, 1999, Tynjälä, 2013). Evidenz besteht insbesondere hinsichtlich von Inputmerkmalen der Auszubildenden (z. B. zu Risikomerkmalen wie niedriger Bildungshintergrund, niedriger sozioökonomischer Hintergrund, Migrationshintergrund etc., vgl. Holtmann & Solga, 2023; Michaelis & Richter, 2022). Weniger Evidenz besteht dagegen zum Ausbildungsprozess und hierbei proximale Faktoren, die unmittelbar die Vertragslösung verursachen. Daneben verdeutlichen aktuelle Analysen, dass vorzeitige Vertragslösungen nicht als ein Ereignis analysiert werden sollten, da diese hierdurch zu negativ konnotiert interpretiert werden. Verläufe nach einer vV können vielfältig sein (Michaelis & Richter, 2022), ein nicht unerheblicher Anteil an Jugendlichen mündet wieder in Ausbildung ein und erzielt einen Ausbildungsabschluss (Holtmann & Solga, 2023; Michaelis & Richter, 2022). Daher empfehlen Krötz und Deutscher (2023) die Abbruchsrichtung bei Analysen zu vV zu berücksichtigen, da Erklärungshintergründe sich bei unterschiedlichen Abbruchsrichtungen unterscheiden. Unterschieden werden können hierbei horizontale vV (Wiedereinmündung in Ausbildung), vV nach oben (Einmündung in Bildungsangebote zur Besserqualifikation) und vV nach unten (Arbeitslosigkeit, Beschäftigung als ungelernte Person). In der vorliegenden Analyse werden beide Forschungsdesiderata integriert betrachtet. Folgende Fragestellung steht im Mittelpunkt: Inwiefern erklären verschiedene Gründe für eine vorzeitige Vertragslösung den anschließenden Bildungsverlauf?

Methode

Zur Beantwortung der Fragestellungen werden Daten der Jugendkohorte SC 4 des NEPS (NEPS-Netzwerk, 2021) genutzt. Der Datensatz wurde reduziert auf Personen, die in ein duales Ausbildungsverhältnis eingemündet sind und dieses vorzeitig gelöst haben sowie mindestens eine Nachbetrachtungszeit von 18 Monaten nach der vV aufweisen (n = 664). Hierbei wird unterschieden, ob die Auszubildenden durch den Betrieb gekündigt wurden (17,9 %) oder selber gekündigt haben (82,1 %, enthält auch einvernehmliche Kündigungen). In letzterem Fall liegen differenzierte Angaben der Auszubildenden zu Abbruchsgründe vor, wobei Mehrfachantworten möglich waren (andere Ausbildungsstelle, nicht Wunschberuf, Konflikte, Überforderung, Qualität, finanzielle oder persönliche Gründe). Die abhängige Variable misst die Richtung der vV. Es werden sechs Richtungen unterschieden. Hinsichtlich horizontaler vV werden Betriebswechsel (15,5 %) und Einmündungen in einen anderen Beruf unterschieden (36,7 %). Für vV nach oben werden Einmündungen in weiterführende Schulen (8,7 %) und in den Hochschulsektor (6,2 %) differenziert. VV nach unten umfassen Einmündungen in den Übergangssektor (9,8 %) und Übergänge in Beschäftigung und Arbeitslosigkeit (23 %).

Ergebnisse

In einer multinomialen logistischen Regression zeigt sich, dass im Falle einer betrieblichen Kündigung ein Betriebswechsel wahrscheinlicher wird. Wenn Personen selber kündigen, werden die Abbruchsgründe „nicht Wunschberuf“ (58 %), „Konflikte“ (50 %) und „Qualität“ (41 %) am häufigsten angegeben. Die übrigen Gründe haben 16 bis 21% der Personen angegeben. Die Ergebnisse der multinomial logistischen Regression zeigen, dass vV nach oben und Berufswechsel auf horizontaler Ebene wahrscheinlicher werden, wenn der Ausbildungsberuf nicht dem Wunschberuf entspricht. Konflikte führen hingegen seltener zu vV nach oben bzw. in einen neuen Beruf. Wahrscheinlicher werden hierbei Betriebswechsel. Wird Qualität als Abbruchsgrund genannt, sind die Ergebnisse weniger eindeutig. Hier zeigen sich schwache Tendenzen für horizontale vV und Einmündungen in den Übergangssektor. Problematisch sind vor allem persönliche Gründe (Krankheit, Schwangerschaft etc.), die zwar selten sind, aber deutlich das Risiko der Einmündung in Beschäftigung und Arbeitslosigkeit und somit Tendenzen in Richtung Ausbildungslosigkeit verstärken.

Die Ergebnisse lassen insgesamt auf reflektierte Entscheidungen nach einer vV vor dem Hintergrund der genannten Gründe für die vV der Personen schließen. Sie lassen aber auch Rückschlüsse auf die Bedeutung von Berufswahlkompetenzen zu, damit die häufig beobachtbaren Korrekturen der Berufswahl reduziert werden. Differenziert wird im Beitrag auf Implikationen für Forschung und Bildungspolitik eingegangen.

 

Woher kommen sie und wohin gehen sie? Berufswechsel von Stop-Outs in Deutschland

Alexandra Wicht1, Matthias Siembab2, Janina Beckmann2
1Bundesinstitut für Berufsbildung und Universität Siegen, 2Bundesinstitut für Berufsbildung

Einleitung und Fragestellung

Der idealtypische Weg von der Schule führt über eine Ausbildung in die Erwerbstätigkeit. Die Realität gestaltet sich jedoch komplexer: Ausbildungen werden abgebrochen oder gewechselt. Für einige Jugendliche resultieren längere und komplexere Ausbildungsverläufe aus Orientierungs- und Suchphasen, die individuelle, betriebliche und wirtschaftliche Kosten verursachen. Bisherige Forschungsarbeiten haben beispielsweise gezeigt, dass der Großteil der Personen, die ihre Ausbildung vorzeitig beenden, später eine neue Ausbildung beginnen, ein Phänomen, das als „Stop-Out“ bezeichnet wird. In Deutschland nehmen 67 Prozent innerhalb eines Jahres eine andere Ausbildung auf, was oft mit einem Berufswechsel einhergeht (Holtmann & Solga, 2023).

Über die Art der Berufswechsel von Stop-Outs ist bislang wenig bekannt. Wir gehen explorativ der Frage nach, welche berufsstrukturellen Merkmale den Wechsel maßgeblich charakterisieren. Wir betrachten Berufswechsel hinsichtlich der zentralen soziologischen Kategorien Geschlechtstypik und Sozialstatus. Wir untersuchen auch, ob Auszubildende, die Berufswahlkompromisse eingehen mussten, in Berufe wechseln, die eher ihren initialen Aspirationen hinsichtlich dieser Kategorien entsprechen.

Theoretischer Hintergrund

Berufe unterscheiden sich hinsichtlich verschiedener struktureller Merkmale (Gottfredson, 2002) und umfassen damit verbunden berufsspezifische Lebensstile, Lebensmöglichkeiten und Kultur (Weeden & Grusky, 2005). In Anlehnung an Bourdieu (1979) können berufliche Fehlentscheidungen oder Kompromisse bei der Berufswahl zu einer „habituellen Unsicherheit“ führen, die sich aus einer Diskrepanz zwischen dem individuellen und beruflichen Habitus (Bourdieu, 1979; Colley et al., 2003; Meuser, 2001) ergibt.

Aus der theoretischen Perspektive individueller Handlungsfähigkeit (Evans, 2002; Lent & Brown, 2013) und angesichts des engen Zusammenhangs zwischen freiwilligen Ausbildungsbeendigungen und beruflichen Kompromissen (z. B. Beckmann et al., 2023) können Ausbildungswechsel als Mittel zur Bewältigung unerfüllter beruflicher Ziele betrachtet werden. Sie können aber auch aus Reorientierungen im Zuge der Ausbildung resultieren. Ausbildungswechsel können dazu dienen, Berufe zu ergreifen, die besser mit dem beruflichen Habitus bzw. beruflichen Selbstkonzept in Bezug auf Sozialstatus oder Geschlecht übereinstimmen (Gottfredson, 2002).

Methode

Wir stützen unsere Analysen auf die repräsentativen Längsschnittdaten des Nationalen Bildungspanel (NEPS), Startkohorte „Schule und Ausbildung“ und konzentrieren uns auf eine Teilstichprobe von etwa 550 Auszubildenden, die ihre erste Berufsausbildung vorzeitig beendet und eine neue Ausbildung aufgenommen haben. Wir verwenden Informationen über die Berufsaspirationen sowie die Ausgangs- und Zielberufe der Auszubildenden in Bezug auf Geschlecht (Frauenanteil im Beruf) und sozialen Status (Internationaler sozioökonomischer Index des beruflichen Status), um zu untersuchen, welche Berufswechsel am häufigsten vorkommen.

Ergebnisse

Die vorläufigen, deskriptiven Ergebnisse zeigen, dass Jugendliche, deren Ausgangsberuf traditionell mit ihrem Geschlecht assoziiert ist, dazu neigen zu ähnlich geschlechtstypischen Ausbildungsberufen zu wechseln, während sich mehr Vielfalt in Berufswechseln Jugendlicher in geschlechtsatypischen Ausgangsberufen zeigt. Sie wechseln in selbem Ausmaß sowohl zu atypischen als auch typischen Berufen. Hinsichtlich des Sozialstatus wechseln einige Personen zu statushöheren und andere zu statusniedrigeren Ausbildungsberufen. Dies könnte auf sozioökonomische Faktoren und die Anforderungen statushöherer Berufe zurückzuführen sein.

In weiteren Analysen werden wir die Berufswechselmuster entlang individueller Merkmale (Geschlecht, Sozialstatus, Migrationshintergrund) detaillierter analysieren, da sich die beruflichen Präferenzen und Möglichkeiten, die zu einem Berufswechsel führen, in den verschiedenen sozialen Gruppen unterscheiden können. Wir werden auch prüfen, ob Auszubildende in Berufe wechseln, die ihren ursprünglichen Berufsaspirationen hinsichtlich Geschlecht und Sozialstatus eher entsprechen.

Die Ergebnisse unserer Studie werden Aufschluss darüber geben, welche Muster beruflicher (Neu-)Orientierungen unter Auszubildenden zu beobachten sind und welche Rolle die individuelle Handlungsfähigkeit bei der Verwirklichung von Berufswünschen durch Berufsbildungswechsel spielt. Aus Sicht der Berufsberatung und Praxis helfen sie somit, das Entscheidungsverhalten Jugendlicher zu verstehen und geeignete Maßnahmen zu entwickeln, um die Beständigkeit in der Berufsausbildung zu erhöhen.

 
13:10 - 14:505-13: Studienabbruch und Studienerfolg
Ort: S28
 
Symposium

Studienabbruch und Studienerfolg

Chair(s): Carola Grunschel (Universität Münster, Deutschland), Martin Neugebauer (Freie Universität Berlin)

Diskutant*in(nen): Ulrich Heublein (Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung)

Nach Schätzungen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) brechen rund 30 % aller Studierenden ihr Studium ab (Heublein, Hutzsch & Schmelzer, 2022). Die Studienabbruchraten an Universitäten sind dabei höher als an Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Studierende der Mathematik sowie der Natur- und Geisteswissenschaften sind besonders von einem Studienabbruch betroffen (fast 50 %). Angesichts dieser hohen Abbruchraten stehen Hochschulen vor der Herausforderung, Studienabbrüche zu verhindern und den Studienerfolg zu fördern (Neugebauer, Daniel & Wolter, 2021).

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert seit dem Jahr 2017 Forschungsprojekte, die sich mit der Untersuchung von Studienabbruch und Studienerfolg aus den Perspektiven verschiedener Fachdisziplinen näher befassen. Im Rahmen des Symposiums präsentieren und diskutieren vier dieser Projekte Ergebnisse ihrer derzeitigen Forschungsaktivitäten. Die Beiträge unterscheiden sich hinsichtlich ihrer konkreten Fragestellungen, der eingesetzten Methoden, der verwendeten Daten und der disziplinaren Verortung, um das breite Spektrum laufender Forschungsaktivitäten im Rahmen der BMBF-Förderlinie „Studienerfolg und Studienabbruch II“ zu präsentieren.

Im ersten Beitrag (Preuß, Zimmermann & Jonkmann) wird eine Längsschnittstudie internationaler MINT-Studierender vorgestellt, in der aus psychologischer Sicht die inter- und intraindividuellen Zusammenhänge zwischen Komponenten der Studienmotivation (Erwartung und Wert) sowie Studienabbruchintentionen untersucht werden. Es zeigen sich insgesamt interindividuelle Zusammenhänge zwischen studienbezogenen Erwartungen und Wertüberzeugungen sowie Studienabbruchintentionen der internationalen Bachelorstudierenden. Im Unterschied dazu gab es kaum wechselseitige Beziehungen zwischen Veränderungen in motivationalen Merkmalen und Studienabbruchintentionen auf intraindividueller Ebene im Zeitverlauf.

Der zweite Beitrag (Scheunemann et al.), der ebenfalls in der Psychologie zu verorten ist, überprüft die Wirksamkeit eines mehrwöchigen, digitalen Präventionsprogramms für MINT-Studierende zur Förderung ihres Studienerfolg. Das Programm zielte besonders auf die Förderung der Motivation, Motivationsregulation und Zeitplanung im Studium ab. Als freiwilliges Angebot wurde es an fachwissenschaftliche Veranstaltungen im zweiten Semester angebunden. Im Rahmen einer Studie mit einem Wartekontrollgruppendesign zeigten sich positive Effekte im Hinblick auf die Studienmotivation, das Studierverhalten und Kriterien des Studienerfolgs.

Im dritten Beitrag (Berens et al.) aus dem Bereich der Bildungsökonomie wird untersucht, wie Verwaltungsdaten von Hochschulen genutzt werden können, um bereits zu Beginn des Studiums Studierende zu identifizieren, die Gefahr laufen, ihr Studium abzubrechen. Dabei wird auch analysiert, ob sich bestimmte Cluster von Studienabbrecher:innen identifizieren lassen. Des Weiteren wird die Effektivität von Interventionen überprüft, die mit geringem Aufwand umsetzbar sind. Es zeigt sich insgesamt, dass Hochschulen durch das Monitoring und die Nutzung von Daten ihrer Studierenden ein erhebliches Steuerpotential in Bezug auf den Studienabbruch haben.

Der vierte Beitrag (Neugebauer & Forster) aus dem Bereich der soziologischen Bildungsforschung präsentiert die Ergebnisse eines Feldexperiments zu den Arbeitsmarktchancen von Studienabbrecher:innen. Dazu wurden über 3000 Bewerbungen an reale Ausbildungsbetriebe gesandt. In den Bewerbungen wurden Angaben zur Bildungsbiographie (Abitur, Studienabbruch), das Geschlecht und der ethnische Hintergrund der Bewerbenden variiert. Die Auswertungen des Feldexperiments zeigen, dass ein Studienabbruch Bewerbenden insgesamt nicht schadet. Für einige Gruppen konnten sogar Vorteile (z.B. Bewerberinnen), aber auch Nachteile (bei ethnischem Hintergrund) aufgedeckt werden.

Ein abschließender Diskussionsbeitrag von Ulrich Heublein synthetisiert die Befunde und reflektiert bestehende Herausforderungen im Forschungsfeld des Studienabbruchs und Studienerfolgs.

 

Beiträge des Symposiums

 

Studienerfolg und Studienabbruch internationaler MINT-Studierender in Deutschland: Längsschnittliche Zusammenhänge zwischen Erfolgserwartungen, Wertüberzeugungen und Studienabbruchintentionen auf inter- und intraindividueller Ebene aus intersektionaler Perspektive

Judith Sarah Preuß, Julia Zimmermann, Kathrin Jonkmann
FernUniversität in Hagen

Theoretischer Hintergrund

An deutschen Hochschulen sind internationale Studierende mit einem Anteil von 12 % eine bedeutende, jedoch wenig beforschte Gruppe (DAAD & DZHW, 2023). Fast 53 % von ihnen studieren in MINT-Fächern und könnten somit dazu beitragen, den bestehenden Fachkräftemangel zu reduzieren (Hoffmeyer-Zlotnik & Grote, 2019). Jedoch brechen besonders viele internationale Bachelorstudierende (41 % versus 28 % der deutschen Studierenden) ihr Studium ab (Heublein et al., 2022). Ein Studienabbruch verursacht nicht nur persönliche, sondern auch gesellschaftliche und ökonomische Kosten. Um passgenaue Interventionen zu implementieren, ist es notwendig, die Bedingungen des Studienerfolgs und die Herausforderungen zu identifizieren, die zum Studienabbruch internationaler MINT-Studierender führen.

Die (situative) Erwartungs-Wert-Theorie (EVT; Eccles et al., 1983; bzw. SEVT; Eccles & Wigfield, 2020) erklärt Studienerfolg und Persistenz durch motivationale Merkmale, wie studienbezogene Erwartungen und Wertüberzeugungen. Eine vorhergehende querschnittliche Analyse (Preuß et al., 2023) zeigte Zusammenhänge zwischen den Erwartungs- und Wertüberzeugungen internationaler (MINT-)Studierender zu Beginn ihres Studiums in Deutschland, ihren Sprachkompetenzen sowie ihrer Zugehörigkeit zu (multiplen) demographischen Gruppen, die im Sinne der Intersektionalität (Cole, 2009; Crenshaw, 2017) potentiell Benachteiligungen im MINT-Studium bedingen könnten. Bezüglich des dynamischen Zusammenwirkens der verschiedenen EVT-Komponenten mit Kriterien des Studienerfolgs legten bisherige Befunde von Schnettler et al. (2023) zudem einen negativen Moderationseffekt der wahrgenommenen psychologischen Kosten auf den negativen Zusammenhang zwischen den Erfolgserwartungen und der Studienabbruchintention nahe.

Fragestellung

Vor diesem Hintergrund untersuchte die aktuelle Studie inter- und intraindividuelle Dynamiken zwischen Erwartungen, Wertüberzeugungen, Sprachkompetenzen und Studienabbruchintentionen internationaler MINT-Studierender mittels eines Random-Intercept Cross-Lagged Panel Models (RI-CLPM; Hamaker et al., 2015; Mulder & Hamaker, 2021). Zudem wurden interindividuelle Unterschiede aufgrund von Geschlecht, elterlichem akademischen Hintergrund und Herkunftsregion sowie deren Interaktion berücksichtigt, um mögliche Benachteiligungen spezifischer Studierendengruppe aus intersektionaler Perspektive zu betrachten. Weiterhin wurde durch eine Moderationsanalyse auf within-Ebene geprüft, ob intraindividuelle Zusammenhänge zwischen akademischer Selbstwirksamkeit und Studienabbruchsintentionen durch Veränderungen wahrgenommener psychologischer Kosten moderiert werden.

Methode

Genutzt wurden die Daten der ersten fünf Messzeitpunkte der Panelstudie „International Student Survey“ (Falk et al., 2021) von N = 840 internationalen MINT-Studierenden im Bachelorstudium. Effekte von Alter und vorhergehenden Aufenthalten in Deutschland wurden kontrolliert. Die akademische Selbstwirksamkeitserwartung (Erwartungskomponente) wurde mit einer adaptierten Version der Kurzskala zur Erfassung allgemeiner Selbstwirksamkeitserwartungen (ASKU, Beierlein et al., 2013) erhoben. Die Operationalisierung der studienbezogenen Wertüberzeugungen erfolgte mit sechs Items der Kurzskala von Gaspard et al. (2015) mit je zwei Items zu achievement value, utility value und costs. Intrinsic value wurde durch zwei Items der Facette „Zufriedenheit mit den Studieninhalten“ der Studienzufriedenheitsskala (Westermann et al., 1996, in Anlehnung an Heise & Thies, 2015) erfasst. Die Studienabbruchintention wurde mit einem Item „Ich denke ernsthaft darüber nach, mein aktuelles Studium ganz aufzugeben.“ aus dem NEPS (2018) operationalisiert. Zur Erfassung des kulturellen Hintergrundes wurden die Herkunftsländer der Studierenden zu Ländergruppen (DAAD & DZHW, 2020) zusammengefasst. Die Kategorie „mit akademischem Hintergrund“ wurde vergeben, wenn mindestens ein Elternteil einen Hochschulabschluss aufwies.

Ergebnisse und ihre Bedeutung

Die bisherigen Befunde bestätigen die erwarteten interindividuellen Zusammenhänge zwischen studienbezogenen Erwartungen und Wertüberzeugungen und Studienabbruchintentionen der internationalen Bachelorstudierenden und legen eine Benachteiligung von internationalen MINT-Studentinnen sowie von Studierenden verschiedener Herkunftsregionen hinsichtlich der motivationalen Studienerfolgsbedingungen nahe. Demgegenüber gab es kaum Anhaltspunkte für wechselseitige (moderierte) Beziehungen zwischen Veränderungen in motivationalen Merkmalen und Studienabbruchintentionen auf intraindividueller Ebene im Zeitverlauf. Die Ergebnisse werden hinsichtlich theoretischer Implikationen und Schlussfolgerungen für die Gestaltung von Interventionsmaßnahmen, die die Verringerung von Studienabbruchsintentionen bewirken sollen, diskutiert.

 

Mit Motivation und guter Zeitplanung erfolgreich studieren – Unterstützung durch ein digitales Präventionsprogramm

Anne Scheunemann1, Lena S. Kegel2, Sophie von der Mülbe3, Jens Fleischer4, Markus Dresel3, Stefan Fries5, Detlev Leutner6, Joachim Wirth4, Carola Grunschel2
1Ruhr-Universität Bochum und Universität Münster, 2Universität Münster, 3Universität Augsburg, 4Ruhr-Universität Bochum, 5Universität Bielefeld, 6Universität Duisburg-Essen

Theoretischer Hintergrund und Fragestellung

Eine mangelnde Studienmotivation und Schwierigkeiten in der Handlungsregulation wie der Zeitplanung können zu ungünstigem Studierverhalten wie Prokrastination (Kegel et al., 2021; van Eerde, 2015) sowie beeinträchtigter Leistung und eingeschränktem Wohlbefinden von Studierenden (Liborius et al., 2019; Schneider & Preckel, 2017) führen. Besonders deutlich wird der Unterstützungsbedarf für den Umgang mit diesen multiplen selbstregulatorischen Herausforderungen im Studium bei MINT-Studierenden, die hohe Studienabbruchquoten aufweisen, die mit Motivations- und Leistungsproblemen einhergehen (Heublein et al., 2020). Bislang liegen jedoch überwiegend Präventionsmaßnahmen vor, die isoliert einzelne Aspekte wie Studienmotivation (Rosenzweig et al., 2022), Motivationsregulation (Eckerlein, 2020) oder Zeitplanung (Häfner et al., 2015) adressieren. Diese Schlüsselkompetenzen in ein Programm zu integrieren, erscheint zielführend, um Studierende ganzheitlich für den Umgang mit mehreren und gleichzeitig auftretenden Herausforderungen im Studium zu stärken.

Im Forschungsprojekt wurde ein Präventionsprogramm entwickelt, das neun wöchentliche Kapitel à 30 Minuten umfasst und digital über Lernplattformen der beteiligten Universitäten angeboten wird. Es beinhaltet Inputvideos, Reflexionsaufgaben und Anwendungsmöglichkeiten zum Einüben von Strategien zur Förderung der Motivation, Motivationsregulation und Zeitplanung. Dazu zählen fähigkeitsbezogene Selbstinstruktionen, Zeitpläne sowie der Umgang mit negativen Emotionen im Studium.

Ziel des Beitrags ist das Präventionsprogramm anhand von proximalen und distalen Variablen mittels eines Warte-Kontrollgruppen-Designs zu evaluieren. Wir erwarten günstige Veränderungen primär in der Studienmotivation (Erwartung, positive Wertkomponenten, motivationale Kosten) sowie dem Einsatz von Motivationsregulations-, Emotionsregulations- und Zeitplanungsstrategien als proximale Variablen. Zudem wird geprüft, inwiefern sich günstige Veränderungen in Prokrastination und Studienerfolg (Studienzufriedenheit, Studienabbruchintention, Studienleistung) als distale Variablen ergeben.

Methode

Studierende im zweiten Semester verschiedener MINT-Studiengänge an vier deutschen Universitäten nahmen im Sommersemester 2023 am Präventionsprogramm teil, das als freiwilliges Angebot in zentrale Lehrveranstaltungen eingebettet war. Weitere MINT-Studierende anderer Universitäten bildeten die Warte-Kontrollgruppe. Zur Untersuchung kurzfristiger Effekte des Präventionsprogramms diente eine Prä-Post-Befragung. Ein Follow-Up zu Beginn des Wintersemesters 2023/2024 ermöglicht die Untersuchung langfristiger Effekte. Einschlusskriterien für die Analysen waren die Teilnahme an Prä- und Post-Befragung sowie mindestens fünf vollständig bearbeitete Kapitel des Präventionsprogramms. Damit ergeben sich für die Präventionsprogrammgruppe N = 57 Studierende (47 % weiblich) und für die Warte-Kontrollgruppe N = 202 Studierende (30 % weiblich). Die Auswertungen erfolgten mittels ANOVAs mit Messwiederholung.

Ergebnisse und ihre Bedeutung

Es zeigten sich günstige Effekte unseres Präventionsprogramms gegenüber der Warte-Kontrollgruppe in folgenden proximalen Variablen (Interaktion Zeit X Treatment): Erwartung (F(1, 257) = 8.409, p = .004; partielles η2 = .032), Anstrengungskosten (F(1, 257) = 6.715, p = .010; partielles η2 = .025), Akzeptanz von Emotionen (F(1, 257) = 4.688, p = .032; partielles η2 = .018), Emotionsregulation (F(1, 257) = 6.166, p = .014; partielles η2 = .023), Anwendungshäufigkeit fähigkeitsbezogener Selbstinstruktionen (F(1, 257) = 14.614, p < .001; partielles η2 = .054) und wahrgenommene Zeitkontrolle (F(1, 257) = 6.480, p = .011; partielles η2 = .025). Die Verringerung von Anstrengungskosten ist besonders interessant, da frühere Kosteninterventionen keine Effekte für Kosten zeigten (z.B. Perez et al., 2019). Für die distalen Variablen zeigten sich günstige Effekte für Prokrastination (F(1, 257) = 6.601, p = .011; partielles η2 = .025) und Zufriedenheit mit den Studienbedingungen (F(1, 257) = 4.246, p = .040; partielles η2 = .016). Möglicherweise entfalten sich weitere günstige Effekte in den distalen Variablen erst langfristig. Die Ergebnisse werden daher bis zur Tagung im März um Ergebnisse des Follow-Ups ergänzt.

Unser integriertes Präventionsprogramm zeigt, dass die ganzheitliche Förderung von Motivation, Motivationsregulation und Handlungsregulation positive Effekte für proximale und distale Zielvariablen eines erfolgreichen Studiums vereinen kann. Die digitale Umsetzung ermöglicht einen einfachen Transfer in andere Lehrveranstaltungen sowie ein zeit- und ortsflexibles Bearbeiten der Kapitel. Üblicherweise profitieren von solchen Trainingsangeboten v.a. leistungsschwächere Studierende (z.B. Rosenzweig et al., 2019). Weitere Analysen sind geplant, um zu überprüfen, ob sich ähnliche Effekte auch für das vorliegende Präventionsprogramm zeigen.

 

Studienabbrüche früh und präzise vorhersagen - und dann?

Johannes Berens, Thomas Gößl, Leandro Henao, Luis Rumert, Kerstin Schneider, Franz Westermaier
Bergische Universität Wuppertal

Studienabbrüche sind mit erheblichen Kosten für Studierende, Hochschulen und die Gesellschaft verbunden. Ein Studienabbruch kann als Fehlinvestition sowie als Scheitern interpretiert werden (Larsen et al. 2013). Daher entwickeln Hochschulen verstärkt Maßnahmen, um Studienabbrüche zu verhindern oder zu beschleunigen. Dabei ist bekannt, dass das erste Studienjahr einen besonderen Einfluss auf den akademischen Werdegang (Brahm et al. 2016) hat und stärker mit dem Studienerfolg korreliert als folgende Studienjahre (Stinebrickner und Stinebrickner 2014, 2008; Arcidiacono et al. 2016). Die Abbruchneigung von Studierenden sollte also früh erkannt werden, um Unterstützung anbieten zu können (Arulampalam et al. 2005; Heublein et al. 2017). Allerdings zeigen Interventionen allerdings häufig nur geringe Effekte (Oreopoulos et al. 2022) und effektive Interventionen wie Mentoring-Programme sind oft teuer (Sneyers and De Witte 2018). Zudem müssen sowohl der besondere Kontext des deutschen Hochschulsystems (Himmler et al. 2019; Brade et al. 2022) als auch die Heterogenität der Studierenden für den Zuschnitt der Maßnahmen berücksichtigt werden (McBroom et al. 2020; Behr et al. 2021).

Die direkte Ansprache abbruchgefährdeter Studierender durch die Hochschulen ist in Deutschland selten, auch weil an Hochschulen in Deutschland kein konsequentes Monitoring eingesetzt wird. Damit verzichten Hochschulen auf Steuerungspotential. Die Studie schließt an Berens et al (2019) an, nutzt die Studierendendaten einer mittelgroßen Universität in NRW und fragt

a. ob frühe Prognosen bereits in den ersten Monaten des Studiums auch ohne Leistungsdaten des ersten Semesters möglich sind,

b. ob Studienabbrecher eine heterogene Gruppe sind und wie Cluster gebildet werden können,

c. wie (abbruchgefährdete) Studierende adressiert werden können und ob Interventionen heterogene Effekte aufweisen.

Drohende Studienabbrüche lassen sich mit Methoden des maschinellen Lernens auf der Basis von Verwaltungsdaten nach §3HStatG früh im Studium vorhersagen. Da Leistungsdaten aus dem ersten Semester jedoch erst im zweiten Semester vorliegen, können darauf aufbauende Interventionen erst gegen Mitte des zweiten Semesters beginnen. Um früher zu prognostizieren, werden Daten von Klausuranmeldungen genutzt. Es zeigt sich, dass sowohl die Accuracy als auch die Precision der Prognose mit Klausurergebnissen nahezu die Prognosegüte mit Informationen aus Klausuranmeldungen erreicht.

Weiterhin können Studierende oder abbruchgefährdete Studierende basierend auf den Verwaltungsdaten geclustert werden. Dazu wird eine Kombination aus zwei Unsupervised-Learning Algorithmen verwendet (UMAP und HDBSCAN). Das Verfahren findet drei Cluster von Studierenden, nämlich Studierende

- ohne Studienabschlussintention (Scheinstudierende),

- mit Passungsproblemen und

- mit fachlichen Problemen.

Schließlich werden in verschiedenen RCTs die Wirkungen von Interventionen auf Cluster von Studierenden getestet. Dabei werden zunächst nur Informationen über die akademischen Leistungen per E-Mail an die abbruchgefährdeten Studierenden geschickt. Während sich über alle abbruchgefährdeten Studierenden und die Gruppe der inaktiven Studierenden kein signifikanter Effekt zeigt, brechen aktive Studierende der Ingenieurwissenschaften aus der Interventionsgruppe ein Jahr nach der Intervention ihr Studium eher ab, während aktive MINT-Studierende eine geringere Abbruchneigung haben.

Eine weitere Intervention als RCT macht Studierende auf ein Self-Assessment MOVEO von ORCA.NRW zur Studienmotivation aufmerksam. In einem ersten Schritt wurden Studierende von Lehrenden angeschrieben und motiviert teilzunehmen (keine Bezahlung). Im Folgesemester wurden die Studierenden aus Erstsemesterveranstaltungen von den Lehrenden angeschrieben und es wurde eine Entschädigung von 5€ gezahlt. Schließlich wurde das Thema Studienmotivation durch das Projektteam in den Vorlesungen gepitched und in einer Lotterie konnten 20€ gewonnen werden. Die Take-up-Rate ist am höchsten, wenn der Nutzen der Intervention in der Vorlesung erläutert wurde. Aber auch in den anderen Experimenten zeigt sich, dass insbesondere jüngere Studierende der Versuchsgruppe von dem Self-Assessment profitieren, seltener ihr Studium abbrechen und mehr CP erreichen. Es zeigt sich jedoch kein Effekt auf Noten.

Hochschulen liegen also hinreichende Informationen für ein automatisiertes Monitoring vor. Bereits im ersten Semester können abbruchgefährdete Studierende identifiziert werden. Die Heterogenität der Studierendenschaft kann durch automatisierte Clusterverfahren abgebildet werden, um basierend darauf zielgenaue Maßnahmen zur Unterstützung von Studierenden zu entwickeln.

 

Schadet der Abbruch eines Bachelorstudiums jungen Menschen bei der Suche nach einer Ausbildungsstelle? Ein Feldexperiment.

Martin Neugebauer, Andrea Forster
Freie Universität Berlin

Fragestellung und theoretischer Hintergrund

Das Gros der Studienabbruchforschung konzentriert sich auf die Beschreibung seiner Ursachen sowie Maßnahmen zu seiner Reduktion (Neugebauer et al. 2019). Im Vergleich dazu ist unser Wissen zu den Abbruchfolgen sehr begrenzt. Die bisherige Forschung zu den Arbeitsmarktfolgen eines Studienabbruchs stützt sich überwiegend auf Befragungsdaten ehemaliger Studierender mit begrenzten Möglichkeiten zur Berücksichtigung nicht beobachteter Heterogenität (z.B. Heublein et al., 2017). Erst in jüngster Zeit wurden experimentelle Vignettenstudien vorgestellt, die messen, unter welchen Umständen Arbeitgeber:innen bereit sind, Studienabbrecher:innen einzustellen (Daniel et al., 2019; Neugebauer & Daniel, 2022). Allerdings messen diese Studien lediglich Einstellungsabsichten von Arbeitgeber:innen und nicht deren tatsächliches Verhalten. Darüber hinaus konzentrieren sie sich auf eine begrenzte Anzahl von Berufen im IT- und im kaufmännischen Bereich sowie auf männliche Bewerber ohne Migrationshintergrund, wodurch die Vielfalt realer Bewerberfelder nicht angemessen abbildet wird.

Wir erweitern den Forschungsstand in zweifacher Hinsicht: Erstens stellen wir ein Feldexperiment vor, das es uns erlaubt, den kausalen Effekt des Studienabbruchs zu schätzen, indem wir die Einstellungsentscheidungen realer Ausbildungsbetriebe direkt beobachten. Zweitens untersuchen wir, ob die Folgen eines Abbruchs bei verschiedenen soziodemografischen Gruppen und in verschiedenen Berufsfeldern unterschiedlich sind. In Deutschland versuchen die meisten Studienabbrecher:innen, über die Aufnahme einer Berufsausbildung auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen (Heublein et al., 2019). Beliebt sind dabei vor allem anspruchsvolle Ausbildungsberufe, auf die sich typischerweise Abiturient:innen bewerben. Im vorliegenden Beitrag fragen wir daher, ob Studienabbrecher:innen bei der Bewerbung um Ausbildungsstellen Nachteile gegenüber Abiturient:innen haben, weil ihnen ein Makel des Scheiterns anhaftet, oder ob sie aufgrund ihrer zusätzlichen Studienerfahrung sogar einen Wettbewerbsvorteil genießen.

Humankapitaltheoretisch (Becker, 1964) sollte die an einer Hochschule verbrachte Zeit mit einer Akkumulation von Fähigkeiten verbunden sein. Studienabbrecher:innen hätten demnach Vorteile bei Bewerbungen, insbesondere dann, wenn im Falle eines fachverwandten Studiums berufsrelevante Fähigkeiten erworben wurden. Signaltheoretisch (Spence, 1973) könnte man hingegen annehmen, dass Arbeitgeber:innen einen Abbruch als Versagen und damit als Signal für geringe Fähigkeiten oder mangelndes Durchhaltevermögen interpretieren, was die Einstellungschancen von Studienabbrecher:innen gegenüber Abiturient:innen reduzieren sollte. Hinsichtlich verschiedener soziodemographischer Gruppen lässt sich unter Rückgriff auf die Theorie der statistischen Diskriminierung (Arrow, 1973) vermuten, dass der Nichtabschluss eines Hochschulstudiums bestehende Stereotype über ethnische Minderheiten (z.B. geringe Fähigkeiten) und über Frauen (z.B. mangelnde Flexibilität am Arbeitsplatz) verstärkt und als Auswahlkriterium für Arbeitgeber dient, um Bewerber:innnen mit diesen Merkmalen zu benachteiligen. Mit Blick auf verschiedene Berufe vermuten wir, dass Bewerbungen auf Berufe mit ausgeprägtem Fachkräftemangel die Chancen von Studienabbrecher:innen erhöhen sollten.

Daten und Methoden

In einem landesweiten Feldexperiment haben wir im Jahr 2022 N = 3.002 Bewerbungen auf real ausgeschriebene Ausbildungsstellen in vier Berufsfeldern (Elektronik, Labor, Verwaltung und Medien) verschickt. Experimentell variiert wurden dabei in einem 3 x 2 x 2 Design die Bildungsbiographie (Abitur, Abitur + Studienabbruch in Germanistik, Abitur + Studienabbruch Mathematik), das Geschlecht und der ethnische Hintergrund (deutsch, türkisch). Wir schätzen lineare Wahrscheinlichkeitsmodelle mit dem Antwortverhalten der Arbeitgeber:innen als abhängige Variable (Einladung zum Vorstellungsgespräch oder Absage).

Erste Ergebnisse

Unsere vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass der Abbruch eines Bachelorstudiums Bewerbenden nicht schadet. Im Durchschnitt haben sie eine etwa 2 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden als Bewerbende ohne Studienepisode.

Eine differenziertere Analyse legt nahe, dass dieser kleine Vorteil bei deutschen Frauen am größten ist (etwa 7 Prozentpunkte), bei deutschen Männern kleiner ist (2 Prozentpunkte) und bei Bewerber:innen mit türkischen Namen nicht existiert. Im Vergleich zu Bewerber:innen mit deutschen Namen werden sie seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, wenn sie einen Abbruch erlebt haben. Es zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Berufen.

Wir diskutieren die Bedeutung dieser Befunde vor dem Hintergrund hoher Studienabbruchquoten und ungleicher Lebenschancen.

 
15:20 - 17:006-13: Soziale Ungleichheiten und Kontexteffekte
Ort: S28
 
Paper Session

Wer wählt eigentlich Grundschulen – und nach welchen Kriterien? Soziale Ungleichheiten bei der Wahl der Grundschule

Lars Hoffmann1, Nicky Zunker2,3, Tanja Mayer2, Judith Schwarz2, Thomas Koinzer2

1Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der HU Berlin, Deutschland; 2Humboldt-Universität zu Berlin; 3DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Im Diskurs um die Genese herkunftsspezifischer Bildungsungleichheiten wird die Rolle von Bildungsentscheidungen als zentrales Erklärungsmoment immer wieder hervorgehoben. So sind für die unterschiedlichsten Übergangsschwellen, allem voran dem Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule, herkunftsspezifische Unterschiede im Entscheidungsverhalten intensiv beforscht und in unzähligen Studien empirisch belegt worden (zusammenfassend vgl. Dumont et al., 2014). Aus theoretischer Perspektive werden die beobachteten Ungleichheiten zumeist als Resultat rationaler Wahlentscheidungen interpretiert, teilweise aber auch auf gezielte Distinktionsprozesse oder strategische Investitionen in die Bildungskarrieren der Kinder als Ausdruck habituell geprägten Wahlverhaltens zurückgeführt (Maaz, Zunker & Neumann, 2018; Mayer & Koinzer, 2019). Diese Mechanismen können gleichermaßen auf die Wahl der Grundschule bezogen und damit entscheidungsbedingte soziale Ungleichheiten beim Übergang in die Grundschule postuliert werden. Auch wenn die Wahlmöglichkeiten aufgrund weitverbreiteter Einzugsgebietsreglungen bei der Grundschulwahl formell eingeschränkt sind, so gibt es in fast allen Bundesländern Sonderregelungen, die ein Ablehnen der Einzugsgebietsschule und die aktive Wahl einer Alternative zulassen (Mayer & Koinzer, 2019). Inwiefern Eltern von dieser Option Gebrauch machen, auch im Grundschulbereich aktiv Schulwahl betreiben und diesbezüglich herkunftsbezogene Disparitäten bestehen, ist für den deutschsprachigen Raum bisher nur regionalspezifisch oder mit Blick auf Schulen in freier Trägerschaft untersucht worden. Die wenigen bestehenden Studien deuten auf ein nach sozialer Herkunft verzerrtes Grundschulwahlverhalten hin (Altrichter et al., 2011; Schuchart et al., 2012; Schwarz et al., 2017), liefern allerdings kein eindeutiges Ergebnis und vermögen zudem nicht, Aussagen für das gesamte Bundesgebiet zuzulassen. Die vorliegende Studie knüpft an diese Befundlage an und zielt darauf ab, sie auf ein breiteres Fundament zu stellen. Dabei werden auf Grundlage einer bundesweiten Stichprobe die folgenden Forschungsfragen bearbeitet:

(1) Wie häufig wird von der Möglichkeit der Grundschulwahl Gebrauch gemacht?

(2) Inwiefern finden sich herkunftsbezogene Unterschiede zwischen Kindern, deren Eltern die Grundschule aktiv gewählt haben (Chooser), und solchen, deren Eltern nicht von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben (Non-chooser)?

(3) Inwiefern unterscheiden sich Chooser und Non-chooser hinsichtlich der Bedeutsamkeit, die sie verschiedenen Schulmerkmalen (z. B. Schulweglänge, Ruf der Schule) beimessen?

Die Studie basiert auf den Daten des in der vierten Jahrgangsstufe durchgeführten IQB-Bildungstrends 2021, in dessen Rahmen die Eltern der 24.171 teilnehmenden Grundschüler:innen u. a. um Angaben zur Wahl der von ihrem Kind besuchten Grundschule gebeten wurden. Unter Verwendung von Fallgewichten wurde basierend auf diesen Angaben der bundesweite Anteil der Chooser und Non-chooser ermittelt und es wurde (unter statistischer Kontrolle für das jeweilige Bundesland) untersucht, inwiefern sich diese beiden Gruppen im Hinblick auf herkunftsbezogene Indikatoren (HISEI, Zuwanderungshintergrund, Anzahl der Bücher im Haushalt als Indikator für das kulturelle Kapital) unterscheiden. Zur Untersuchung der Unterschiede bei der Bedeutsamkeit von Schulmerkmalen wurden Fixed-Effect-(FE)-Modelle spezifiziert, die sowohl für beobachtete als auch für unbeobachtete Unterschiede zwischen Schulen kontrollieren.

Im Rahmen erster Analysen fiel zunächst auf, dass für rund 35 Prozent der Studienteilnehmer:innen keine Elternangaben zur Grundschulwahl vorlagen. Diese Gruppe ist hoch selektiv zusammengesetzt und weist (im Vergleich zu den übrigen Studienteilnehmer:innen) einen signifikant niedrigeren soziökonomischen Status, weniger kulturelles Kapital und häufiger einen Zuwanderungshintergrund auf. Von den Eltern der übrigen Studienteilnehmer:innen gaben rund 61 Prozent an, im Rahmen der Schulanmeldung Wahlmöglichkeiten gehabt zu haben. Innerhalb dieser Gruppe konnten auf Basis ihrer Angaben zur gewählten Grundschule 67 Prozent als Non-Chooser und 33 Prozent als Chooser klassifiziert werden. Zwischen beiden Gruppen wurden keine signifikanten herkunftsbezogenen Disparitäten festgestellt, was sich vermutlich auf die erwähnte selektive Bearbeitung der Items zur Grundschulwahl zurückführen lässt. Signifikante Unterschiede fanden sich jedoch im Hinblick auf die Bedeutung, die beide Gruppen verschiedenen Schulmerkmalen beimessen: Während Chooser leistungs- und qualitätsbezogene Schulmerkmale (z. B. guter Ruf, hohes Leistungsniveau, hohe wahrgenommene Unterrichtsqualität) als besonders bedeutsam einschätzten, stuften Non-chooser pragmatische Merkmale (z. B. kurzer Schulweg, Geschwisterkinder an der gleichen Schule) als wichtiger ein.



Paper Session

Bildungsklima als Gelingensbedingung unterschiedlich zusammengesetzter Grundschulen?

Anja Kürzinger, Stefan Immerfall

PH Gmünd, Deutschland

Mit dem zunehmenden Rückgang von Leseleistungen (Stanat et al., 2022) und der steigenden ungünstigen Zusammensetzung von Grundschulen (Weishaupt, 2022) rücken in der aktuellen Debatte um soziale Bildungsdisparitäten insbesondere Schulen in benachteiligter Lage in den Blick. Sie kennzeichnen sich allgemein durch einen hohen Anteil an Schüler*innen aus Herkunftsmilieus mit geringerem sozialen, kulturellen oder ökonomischen Kapital, was tendenziell mit ungünstigeren Lern- und Leistungsvoraussetzungen zwischen Schule und Lernenden assoziiert ist (Klein, 2017, S. 4). Diese „Verräumlichung von Ungleichheit“ (Fölker et al., 2015) hat insofern eine zentrale Bedeutung für den Bildungserfolg, als dass die sozioökonomische bzw. leistungsbezogene Zusammensetzung der Schüler*innen in Klassen und Schulen über Kompositionseffekte einen eigenständigen Einfluss auf die individuelle Lernentwicklung nehmen kann (z.B. Baumert et al. 2006; Scharenberg et al., 2018; Wenger et al., 2020). Zur Abschwächung von Kompensationseffekten wird derzeit häufig gefordert, betroffene Schulen mit zusätzlichen Ressourcen bedarfsgerecht auszustatten (z.B. Köller et al., 2022). Angesichts der deutlichen Leistungsstreuung von Schulen mit ähnlich ungünstiger Zusammensetzung (z.B. Harris & Chapman, 2010) stellt sich jedoch auch verstärkt die Frage, auf welche Weise schulische Akteur*innen Lernbedingungen produktiv gestalten können.

Internationale Studien weisen in diesem Zusammenhang u.a. auf das Bildungsklima als schulisches Qualitätsmerkmal hin, das eine der zentralen Subdimensionen des Schulklimas darstellt (zsf. Wang & Degol, 2016). Konsens besteht darin, dass sich das Bildungsklima allgemein als kollektive Wahrnehmung akademischer bzw. leistungsbezogener Normen, Werte und Überzeugungen in einer Schule definiert (Brault et al., 2014), mit Leseleistungen von Grundschüler*innen assoziiert ist (z.B. Martin et al. 2013; Maxwell et al., 2017) sowie als erlern- sowie gestaltbar gilt (Boonen et al., 2014; Hoy et al., 2006).

Der Zusammenhang des Bildungsklimas mit der Schulkomposition ist allerdings noch nicht breit untersucht und speziell für den deutschsprachigen Raum liegen bislang vergleichsweise wenig Analysen vor.

Vor diesem Hintergrund beleuchtet die Stabil-Studie die Bedeutung des Bildungsklimas für die Leseleistung baden-württembergischer Schüler*innen an unterschiedlich zusammengesetzten Grundschulen. Die Untersuchung ist in das Forschungs- und Nachwuchskolleg „Heterogenität gestalten – starke Grundschulen entwickeln“ (Grassinger et al., 2022) eingebettet, das vom Wissenschaftsministerium in Baden-Württemberg finanziert wird.

Für den Vortrag ist folgende Forschungsfrage leitend: Vermittelt das Bildungsklima den Zusammenhang zwischen Schulkomposition und Leseleistung von Grundschüler*innen?

Das Bildungsklima wurde in der vorliegenden Studie anhand eines Online-Fragebogens auf Basis verschiedener validierter Skalen (z.B. Hußmann et al., 2020) bei Schulleitungen erhoben. Die Stichprobe der Schulleitungsbefragung setzt sich aus 145 Schulen (N=5.507 Schüler*innen) zusammen, die mit den VERA 3 Daten zur Leseleistung (M=495.91; SD=131.69) und der soziokulturellen Schulkomposition (kulturelles Kapital: M=3.16, SD=1.17, 1-5; Geschlecht: 49% weiblich; nichtdeutsche Alltagssprache: M=24%; SD=0.43) von Drittklässler*innen aus dem Schuljahr 2018/2019 kombiniert wurde.

Die im Vortrag berichteten drei Subskalen der Bildungsklima-Skala Schwerpunktsetzung auf akademischen Erfolg (in Anlehnung an Hußmann et al., 2020; 10 Items, 5-stufig) weisen insgesamt zufriedenstellende interne Konsistenzen auf: kollektive schulische Wirksamkeit (M=3.97; SD=0.53; α=.80), Vertrauen in die Eltern (M= 3.19; SD= 0.70; α=.82) und akademischer Fokus (M=3.68; SD=0.45; α=.66).

Mehrebenenanalysen mit Mplus zeigen, dass das von den Schulleitungen wahrgenommene Vertrauen in die Eltern (β=12.87; p=0.018) und ein akademischer Fokus der Schulen (β=16.70; p=0.028) die Beziehung zwischen Leseleistung und Schulkomposition mediieren (indirekter Effekt: β=-0.37; p=0.001). Während der Anteil von Schüler*innen mit nichtdeutscher Alltagssprache in den Grundschulen zwar nicht direkt mit der Leseleistung zusammenhängt (in Kontrast zur sozialen Herkunft), wirkt sich die ethnische Zusammensetzung vermittelt über das Bildungsklima auf das Lesen aus: Bei einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Grundschüler*innen mit nichtdeutscher Alltagssprache nimmt tendenziell das Vertrauen in die Eltern sowie der akademische Fokus an den Grundschulen ab, was wiederum mit niedrigeren Leseleistungen einherzugehen scheint.

Im Vortrag werden diese Befunde auch mit Blick auf die Limitationen der Studie (z.B. keine Kontrolle der Lernvoraussetzungen der Schüler*innen) kritisch diskutiert und Implikationen zur Gestaltung von Bildungsprozessen abgeleitet.



Paper Session

Soziale Disparitäten beim Übergang in den Sekundarbereich I und ihr Zusammenhang mit institutionellen Rahmenbedingungen

Josefine Lühe1, Sebastian Weirich2

1DIPF, Deutschland; 2IQB, Deutschland

Der nach der Grundschule erfolgende Übergang stellt eine wichtige Gelenkstelle für den weiteren Bildungs- und Lebensverlauf dar, an der soziale Disparitäten sichtbar und verstärkt werden. Dabei sind auch die institutionellen Rahmenbedingungen des Bildungssystems von Bedeutsamkeit für Bildungsungleichheiten – bezogen auf den Übergang in den Sekundarbereich I sind dies in Deutschland v.a. die durch Grundschule abgegebenen Schullaufbahnempfehlung (verbindlich vs. unverbindlich) sowie die Schulstruktur (zweigliedrig, zweigliedrig erweitert vs. mehrgliedrig). Vor diesem Hintergrund analysiert der Beitrag soziale Ungleichheiten am Übergang in den Sekundarbereich I anhand der Gymnasialempfehlung und des -übergangs mit einem besonderen Fokus auf den vergleichsweise wenig beforschten Zusammenhang mit den institutionellen Rahmenbedingungen. Dazu werden zunächst soziale Herkunftseffekte (1) in der Gymnasialempfehlung und im Gymnasialübergang untersucht. Darauf aufbauend wird (2) analysiert, ob soziale Disparitäten in der Gymnasialempfehlung und
-beteiligung mit den institutionellen Rahmenbedingungen (Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung, Schulstruktur) variieren.

Als theoretisches Erklärungsmodell für die mit der sozialen Herkunft variierenden Schullaufbahnempfehlungen und Gymnasialübergangsquoten wird das Modell der primären und sekundären Herkunftseffekte herangezogen (Boudon 1974) und um die sekundären Herkunftseffekte der Übergangsentscheidung sowie der Leistungsbeurteilung und der Laufbahnbeurteilung (Maaz und Nagy 2010) ergänzt. Der Forschungsstand zu sozialen Ungleichheiten am Übergang in den Sekundarbereich I fällt vergleichsweise umfangreich aus und zeigt eine dreifache Benachteiligung von Kindern mit niedrigerem sozioökonomischem Status (SES): Sie weisen schlechtere Schulleistungen auf, erhalten bei gleichen objektiven Leistungen eine schlechtere Benotung sowie seltener eine Gymnasialempfehlung und gehen zudem auch bei Erhalt einer solchen häufiger auf eine nichtgymnasiale Schulform über (Ditton und Krüsken 2006; Pietsch 2007; Arnold et al. 2010; Maaz & Nagy 2010). Sowohl die Verbindlichkeit der Schullaufbahnempfehlung als auch die Schulstruktur des Sekundarbereichs I stellen relevante institutionelle Rahmenbedingungen für den Übergang nach der Grundschule dar und werden als Instrumente zur Reduzierung sozialer Ungleichheiten diskutiert. Der Forschungsstand zum Zusammenhang zwischen der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung und sozialen Disparitäten in der Gymnasialbeteiligung fällt vergleichsweise gering und uneinheitlich aus (Jähnen & Helbig 2015; Dollmann 2011; Gresch et al. 2010; Neugebauer 2010). Bezüglich des Zusammenhangs zwischen Schulstruktur und sozialen Disparitäten deutet sich an, dass sich die soziale Segregation in der Verteilung der Schüler:innen auf die verschiedenen Schulformen des Sekundarbereichs I zwischen Ländern mit zweigliedrigen und mehrgliedrigen Schulsystem nicht unterscheidet (Lenz et al. 2019; Neumann et al. 2017; Helbig & Nicolai 2017).

Die Untersuchung basiert auf Daten des IQB-Bildungstrends 2021 und umfasst 12.275 Viertklässler:innen aus allen Ländern in Deutschland in denen der Übergang in den Sekundarbereich I regulär in Klasse 5 erfolgt. Die abhängigen Variablen sind zum einen die Schullaufbahnempfehlung und zum anderen der Gymnasialübergang, welcher über die voraussichtlich in Klasse 5 besuchte Schulart abgebildet wird. Es wird davon ausgegangen, dass diese Angabe den tatsächlich realisierten Übergang sehr gut approximiert, da die Erhebung in den meisten Ländern nach bereits erfolgten Anmeldungen an den weiterführenden Schulen durchgeführt wurde. Die unabhängigen Variablen sind die soziale Herkunft, abgebildet mittels des International Socio-Economic Index (ISEI), sowie Schulnoten und Testleistungen. Die Fragestellungen werden mittels logistischer Mehrebenen-Regressionsanalysen beantwortet.

Die Ergebnisse zeigen zunächst in Übereinstimmung mit bisherigen Forschungsarbeiten, dass Kinder mit höherem SES auch bei gleichen Leistungen und Schulnoten häufiger eine Gymnasialempfehlung erhalten und auch häufiger auf ein Gymnasium übergehen. Bezüglich der institutionellen Rahmenbedingungen zeigt sich für die Schulstruktur, dass in Ländern mit zweigliedriger Schulstruktur die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, kontrolliert für Schulnoten, Leistung und Empfehlung signifikant geringer ausfällt als in Ländern mit mehrgliedriger Schulstruktur. Bezüglich der Verbindlichkeit der Gymnasialempfehlung zeigt sich, dass in Ländern mit verbindlicher Gymnasialempfehlung die Wahrscheinlichkeit des Gymnasialübergangs (kontrolliert für Leistung, Schulnoten, Gymnasialempfehlung) geringer ausfällt, als in Ländern ohne verbindliche Gymnasialempfehlung. Dieser negative Effekt der Verbindlichkeit fällt für Kinder aus Elternhäusern mit hohem SES im Betrag signifikant geringer aus.

 
Datum: Mittwoch, 20.03.2024
9:00 - 10:407-13: Psychosoziale Entwicklung in inklusiven Klassenzimmern (NELSEN-Symposium)
Ort: S28
 
Symposium

Psychosoziale Entwicklung in inklusiven Klassenzimmern (NELSEN-Symposium)

Chair(s): Christine Sälzer (Universität Stuttgart, Deutschland), Cornelia Gresch (Humboldt-Universität Berlin), Aleksander Kocaj (IQB Berlin)

Diskutant*in(nen): Julia Gorges (Philipps-Universität Marburg)

Die inklusive Beschulung von Schüler*innen mit sonderpädagogischen Förderbedarfen (SPF) ist eine der tiefgreifenden Reformen im deutschen Bildungssystem der letzten 30 Jahre. Im Zuge inklusiver Bemühungen werden Schüler*innen mit SPF vermehrt in allgemeinen Schulen unterrichtet und verstärkt in Schulleistungsstudien einbezogen. Mittlerweile liegen aus solchen Studien Daten vor, die auch längsschnittliche und kontextberücksichtigende Analysen von Effekten inklusiver Beschulung erlauben und dies nicht nur in Bezug auf die Kompetenzentwicklung, sondern auch auf die psychosoziale Entwicklung von Schüler*innen mit und ohne SPF in inklusiven Schulklassen (z. B. Labsch, Nusser, Schmitt & Schüpbach, 2021). Die Fokussierung auf Entwicklungen über den reinen Kompetenzerwerb hinaus liegt gerade bei der Untersuchung inklusiver Bildung nahe. So werden in Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK, 2008) verschiedene Ziele inklusiver Bildung formuliert, etwa das Ziel der Teilhabe an schulischen Bildungsprozessen. Entsprechend können Studien, die sich mit psychosozialen Entwicklungen beschäftigen, zeigen, wie die inklusive Ausgestaltung in dieser Hinsicht gelingt (z. B. Spörer, Henke & Bosse, 2021). Ferner können differenzielle Entwicklungen im psychosozialen Bereich zwischen Kindern mit und ohne SPF anschlussfähige Hinweise auf Bedarfe und Möglichkeiten der Intervention für den Unterricht geben. Das seit 2012 bestehende und von 2017 bis 2021 von der DFG geförderte Netzwerk NELSEN (NEtwork of Large-scale-studies including students with Special Educational Needs) hat das Ziel, zu einer belastbaren Datengrundlage bzgl. der Situation von Schüler*innen mit SPF in Large-Scale-Assessments beizutragen. Basierend auf zwei Large-Scale Assessments, dem IQB-Bildungstrend 2016 und der Längsschnittstudie INSIDE, werden in diesem Symposium vier Beiträge aus dem NELSEN-Netzwerk vorgestellt. Im ersten Beitrag wird anhand des IQB-Bildungstrends 2016 untersucht, ob verschiedene Merkmale der Klassenzusammensetzung und der Unterrichtsgestaltung mit der sozialen Integration der Schüler*innen zusammenhängen und inwiefern sich diese für Schüler*innen ohne und mit SPF in den Bereichen Lernen, Sprache und emotional-soziale Entwicklung unterscheiden. Die Befunde weisen darauf hin, dass die soziale Integration der Viertklässler*innen positiv mit der Klassenführung und konstruktiver Unterstützung durch die Lehrperson zusammenhängt. Die Studie liefert Hinweise darauf, inwieweit Lehrkräfte durch die Gestaltung ihres Unterrichts neben Lernprozessen auch das soziale Miteinander unterstützen. In den weiteren Beiträgen werden Daten aus der Längsschnittstudie INSIDE (Inklusion in der Sekundarstufe I in Deutschland) verwendet. Beitrag 2 wertet Daten der Klassenstufe 6 aus und fokussiert das Ausgrenzungsrisiko von Schüler*innen mit einem SPF in inklusiven Klassen. Zur Beantwortung der Frage, ob individualisierter Unterricht die soziale Partizipation von Schüler*innen mit SPF verbessern kann, wurde die soziale Partizipation in den Fächern Deutsch und Mathematik über Leistungsmaße und das Ausmaß der Individualisierung vorhergesagt. Es zeigen sich in beiden Fächern positive Effekte der Individualisierung auf die soziale Partizipation von Schüler*innen mit SPF. Aus den Ergebnissen können Hinweise dafür abgeleitet werden, dass die Gestaltung des Unterrichts das Potenzial hat, das Ausgrenzungsrisiko von Schüler*innen mit SPF zu reduzieren. In Beitrag 3, der eine längsschnittliche Untersuchung der Klassenstufen 6, 7 und 9 vorstellt, steht die Entwicklung des subjektiven Wohlbefindens von Sekundarschüler*innen in inklusiven Klassen von der 6. bis zur 9. Klasse in Abhängigkeit von individuellen und kontextuellen Faktoren im Zentrum. Besonderes Augenmerk liegt auf den drei Dimensionen emotionales Wohlbefinden in der Schule, soziale Integration in der Klasse sowie akademisches Selbstkonzept. Abschließend nimmt Beitrag 4 ebenfalls eine längsschnittliche Perspektive ein (Klassenstufen 6, 7 und 9) und untersucht die Entwicklung der sozialen Partizipation von Schüler*innen mit und ohne SPF. Zentral sind dabei Ausgrenzungs- und Schereneffekte sowie drei theoretisch postulierte Einflüsse auf der Entwicklung der sozialen Partizipation (Einflusseffekte). Insgesamt tragen die vier Präsentationen vielfältige Aspekte der psychosozialen Entwicklung in inklusiven Klassenzimmern zusammen, die alle gemeinsam darauf hinweisen, welche zentrale Rolle die Gestaltung des Unterrichts und die Unterstützung durch Lehrpersonen auf diese Entwicklung haben. Die Diskussion wird die gewonnenen Erkenntnisse bündeln und sie gemessen am Stand des Diskurses auf methodischer und inhaltlicher Ebene herausfordern.

 

Beiträge des Symposiums

 

Merkmale der Klassenzusammensetzung und der Unterrichtsgestaltung und die soziale Integration von Schüler*innen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht

Pauline Kohrt1, Cornelia Gresch2, Sofie Henschel1
1IQB Berlin, 2Humboldt-Universität Berlin

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) bildet die rechtliche Grundlage des inklusiven und damit gemeinsamen Unterrichts von Schüler*innen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) an allgemeinen Schulen. Durch das in der UN-BRK benannte Ziel, eine gleichberechtigte Teilhabe aller Schüler*innen im allgemeinen Schulsystem zu realisieren (Artikel 24, Vereinte Nationen 2008), wird die soziale Integration von Schüler*innen mit SPF verstärkt in Untersuchungen im schulischen Kontext einbezogen. Grundsätzlich nehmen besser sozial integrierte Schüler*innen motivierter und konzentrierter am Unterricht teil, ihr Stresserleben ist geringer und sie haben mehr Freude am Unterricht (Zurbriggen und Venetz 2016). Allerdings sind Schüler*innen mit SPF in den Förderschwerpunkte Lernen, Sprache und emotionale-soziale Entwicklung (LSE), an allgemeinen Schulen deutlich weniger sozial integriert und haben auch weniger soziale Kontakte als ihre Mitschüler*innen ohne SPF (z. B. Frostad und Pijl 2007; Huber et al. 2021; Zurbriggen et al. 2021; Schwab et al. 2013). Zur Erklärung dieser Unterschiede können unterschiedlich verlaufende soziale Vergleichsprozesse (Theorie sozialer Vergleichsprozesse: Festinger 1954) und weniger Kontakte zu ihren Mitschüler*innen (Kontakthypothese: Allport 1954; Pettigrew 1998) eine Rolle spielen. Dabei können Lehrkräfte implizit auf soziale Integrationsprozesse einwirken: Zum einen wird entlang der sozialen Referenzierungstheorie davon ausgegangen, dass Schüler*innen zur Bewertung ihrer Mitschüler*innen Lehrkräfte als soziale Referenz nutzen (Feinman 1992; Webster und Foschi 1992). Da unterrichtliches Lernen in Schulen in der Regel im sozialen Kontext der Klasse stattfindet, kommt zum anderen der Zusammensetzung der Klasse, aber auch der Unterrichtsgestaltung selbst, welche sich zudem zwischen Schulklassen unterscheiden, eine zentrale Rolle zu (Külker et al. im Erscheinen). Es gibt nur wenige Studien, die sich mit der Rolle der Klassenzusammensetzung und der Unterrichtsgestaltung für die soziale Integration von Schüler*innen mit und ohne SPF auseinandersetzen, welche zumeist nur einzelne Merkmale betrachten und zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen (Ruijs et al. 2010; Skårbrevik 2005).

In dem Beitrag wird untersucht ob verschiedene Merkmale der Klassenzusammensetzung (Klassenzusammensetzung, Anteil von Kindern mit SPF-LSE in der Klasse) und der Unterrichtsgestaltung (Einsatz kooperativer Methoden, Klassenführung, konstruktive Unterstützung sowie kognitive Aktivierung durch die Lehrkraft) mit der sozialen Integration der Schüler*innen zusammenhängen und inwiefern sich diese für Schüler*innen mit und ohne SPF-LSE unterscheidet. Wir gehen davon aus, dass sich Schüler*innen in größeren Klassen weniger sozial integriert fühlen als in kleineren Klassen und dass je mehr Schüler*innen mit SPF in einer Klasse unterrichtet werden, die wahrgenommene soziale Integration der Schüler*innen insgesamt höher ist. Bezüglich des Einsatzes kooperativer Methoden und von der gesamten Klasse beurteilten Klassenführung sowie konstruktiven Unterstützung vermuten wir positive Zusammenhänge mit der wahrgenommenen sozialen Integration der Schüler*innen. Für die genannten unabhängigen Variablen erwarten wir zudem für Schüler*innen mit und ohne SPF differenzielle Effekte. Für die kognitive Aktivierung erwarten wir keinen Zusammenhang mit der sozialen Integration.

Die Datengrundlage bildet der bundesweit in vierten Klassen durchgeführte IQB-Bildungstrend 2016 (Stanat et al. 2019), wobei alle allgemeinen Schulen, an denen Schüler*innen mit SPF unterrichtet wurden, in die Analysen eingingen (N=9417 Schüler*innen, davon N=899 Schüler*innen mit SPF-LSE in 523 Klassen). Zur Prüfung der Hypothesen wurden verschiedene sogenannte doubly-latent Mehrebenenstrukturgleichungsmodelle geschätzt (Marsh et al. 2012; Marsh et al. 2009). Die latent auf Individualebene modellierte soziale Integration wurde dabei durch latent auf Klassenebene modellierte Merkmale vorhergesagt. Als Kontrollvariablen wurden manifeste Variablen für den sozioökonomische Status, das Alter und das Geschlecht der Schüler*innen, sowie die individuelle Lesekompetenz als auch die Klassenmittelwerte für die Lesekompetenz in die Modelle aufgenommen.

Die Ergebnisse zeigen auf, dass sowohl die Klassenführung als auch die konstruktive Unterstützung positiv mit der sozialen Integration von Viertklässler*innen zusammenhängen und sich diese für die konstruktive Unterstützung zwischen Schüler*innen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf unterscheidet.

Die Studie liefert Hinweise darauf, inwieweit Lehrkräfte durch die Gestaltung ihres Unterrichts neben Lernprozessen auch das soziale Miteinander unterstützen.

 

Kann individualisierter Unterricht die soziale Partizipation von Schüler*innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf verbessern?

Miriam Balt1, Michael Grosche1, Cornelia Gresch2, Monja Schmitt3, Katrin Böhme3
1Bergische Universität Wuppertal, 2Humboldt-Universität Berlin, 3HU Berlin

Theoretischer Hintergrund

In nationalen und internationalen Studien der schulischen Inklusionsforschung wird immer wieder deutlich, dass Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) ein erhöhtes Ausgrenzungsrisiko im Vergleich zu Schüler*innen ohne SPF haben (Avramidis et al., 2017; Schürer, 2020). Dieser viel replizierte Befund wirft die Frage auf, wie die soziale Partizipation von Schüler*innen mit SPF in inklusiven Schulklassen gefördert werden kann. Nach Huber (2019) wird soziale Partizipation durch Prozesse innerhalb des Unterrichts und/oder durch die betroffenen Schüler*innen selbst, z.B. ihre Sozialkompetenz, beeinflusst. Dabei bildet der Unterricht den Kontext, in dem soziale Kontakte entstehen und soziale Partizipation stattfinden kann. Insgesamt liegen bisher nur wenige Befunde vor, welche Kontextfaktoren (d.h. Faktoren, die außerhalb der Schüler*innen liegen) die soziale Partizipation beeinflussen (Schürer, 2020). Es gibt jedoch erste Hinweise, dass Differenzierung und Individualisierung im Unterricht einen positiven Einfluss auf die soziale Partizipation in inklusiven Schulklassen haben können (Lindner & Schwab, 2020). In der vorliegenden Studie soll daher der Frage nachgegangen werden, ob die Individualisierung des Unterrichts die soziale Partizipation von Schüler*innen mit SPF verbessern kann.

Methode

Datengrundlage bildet der erste Erhebungszeitpunkt der vom BMBF geförderten Studie „Inklusion in der Sekundarstufe I in Deutschland – INSIDE“ (Schmitt et al., 2020). Die Stichprobe besteht aus 4.166 Schüler*innen der sechsten Jahrgangsstufe. Die soziale Partizipation wurde mittels einer Subskala der deutschen Version des Fragebogens Perceptions of Inclusion (Venetz et al., 2015) erfasst, ergänzt um Fragen zu weiteren Dimensionen sozialer Partizipation (Külker et al., 2021). Ebenso wurde das Ausmaß der Individualisierung im Mathematik- und im Deutschunterricht erfragt (in Anlehnung an Gebhardt et al., 2014). Gemessen wurden außerdem die Leistungen im Lesen und in Mathematik (Stegenwallner-Schütz et al., 2022). Der sonderpädagogische Förderbedarf wurde über Angaben der Lehrkräfte und Eltern ermittelt. Die Datenauswertung erfolgte mittels gemischter linearer Modelle mit den Paketen lme4 und mitml in der Statistiksoftware R. Die Vorhersage der sozialen Partizipation erfolgte getrennt für die Fächer Mathematik und Deutsch.

Ergebnisse

Die Individualisierung im Mathematik- bzw. Deutschunterricht konnte die Varianz der sozialen Partizipation der Schüler*innen mit R² = 8.1% (Mathematik) bzw. 9.1% (Deutsch) aufklären (beide p < .001). Bei gleichzeitiger Berücksichtigung aller eingegangener Variablen wird die Partizipation weder durch die Mathematik- noch durch die Leseleistung beeinflusst. Hingegen kann die geringere Partizipation von Schüler*innen mit SPF auch an dieser Stelle repliziert werden (beide p < .001). Ebenfalls findet sich sowohl in Mathematik (b = 0.22, p < .001) als auch in Deutsch (b = 0.27, p < .001) ein signifikanter Effekt der Individualisierung. Der für unsere Fragestellung wichtige Interaktionseffekt zwischen der Kategorie SPF und dem Ausmaß der Individualisierung ist ebenfalls signifikant, sowohl in Mathematik (b = 0.14, p = .002) als auch in Deutsch (b = 0.11, p < .05).

Diskussion

Zusammenfassend lassen sich positive Effekte der Individualisierung sowohl im Deutsch- als auch im Mathematikunterricht auf die soziale Partizipation von Schüler*innen mit SPF berichten. Die Studie liefert damit weitere Hinweise dafür, dass auch die Gestaltung des Unterrichts selbst das Ausgrenzungsrisiko von Schüler*innen mit SPF minimieren kann.

 

Entwicklung des schulischen Wohlbefindens von Schüler*innen in inklusiven Klassen

Lena Nusser1, Carmen Zurbriggen2, Amelie Labsch1
1LifBi, 2Universität Fribourg

Inklusive Bildung ist eine der bedeutendsten Bildungsreformen unserer Zeit. Sie soll nicht nur Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendlichen gewährleisten, sondern auch förderlich für die Entwicklung ihrer Schulleistungen und für ihr subjektives Wohlbefinden (SWB) sein. In der Sekundarstufe kann das SWB von Schüler*innen jedoch durch verschiedene Entwicklungsveränderungen in der frühen Adoleszenz beeinträchtigt werden. Bisherige Forschung deutet auf einen Rückgang des SWB in dieser Lebensphase hin (Casas & Gonzalez-Carrasco, 2019; Lin & Yi, 2019). Vor allem Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) berichten im Vergleich zu ihren Peers ohne SPF über ein geringeres SWB (Goldan et al., 2022).

Das SWB wird als ein multidimensionales Phänomen verstanden, das von individuellen und kontextuellen Faktoren abhängt (Hascher, 2010). Eine wichtige Ressource für das SWB sind positive soziale Beziehungen (Goswami, 2012) sowie ein positives soziales Klassenklima (Steinmayr et al., 2018; Zurbriggen et al., 2021). Inklusive Klassen zeichnen sich meist durch eine heterogene Komposition (z. B. sozioökonomischer Hintergrund oder kognitive Fähigkeiten) aus, welche das soziale Klassengefüge beeinflussen kann. Obwohl Beziehungen zu Erwachsenen in der Adoleszenz an Bedeutung verlieren (McPherson et al., 2001), können Lehrkräfte eine positive Entwicklung von Schüler*innen in dieser Phase unterstützen. So trägt beispielsweise adaptives Unterrichten dazu bei, dass Schüler*innen erfolgreicher lernen, was wiederum förderlich für das schulbezogene SWB ist (Pozas et al., 2021). Ebenfalls kann die Einstellung der Lehrkräfte zu Inklusion Unterschiede im SWB zwischen Schüler*innen mit und ohne SPF reduzieren (Heyder et al., 2020).

Dieser Beitrag untersucht die Entwicklung des SWB von Sekundarschüler*innen in inklusiven Klassen von der 6. bis zur 9. Klasse in Abhängigkeit von individuellen und kontextuellen Faktoren. In Anbetracht der Multidimensionalität des schulbezogenen SWB konzentrieren wir uns auf drei zentrale Komponenten: das emotionale Wohlbefinden in der Schule, die soziale Integration in der Klasse und das akademische Selbstkonzept. Folgende Fragestellungen werden betrachtet:

1) Wie entwickelt sich das schulbezogene SWB von Schüler*innen in inklusiven Klassen von der 6. bis 9. Klassenstufe?

2) Welchen Effekt hat das soziale Klassenklima auf die Veränderungen im schulbezogenen SWB der Schüler*innen?

3) Welchen Effekt haben die Schüler*innen-Lehrkraft-Beziehung, die Einstellung der Lehrkräfte zu Inklusion und ihr Verantwortungsbewusstsein auf die Veränderung im schulbezogenen SWB der Schüler*innen?

Zur Beantwortung der Forschungsfragen greifen wir auf Daten der Längsschnittstudie INSIDE (Inklusion in der Sekundarstufe in Deutschland; Schmitt et al., 2020) zurück. Schüler*innen aus inklusiven Klassen sowie ihrer Klassenlehrkräfte wurden in den Klassenstufen 6 (n = 3899), 7 (n = 1661) und 9 (n = 812) befragt. Die Befragung beinhaltet zu jedem Messzeitpunkt die Schüler*innenversion des Perception of Inclusion Questionnaire (PIQ; Venetz et al., 2015), der die drei oben genannten Dimensionen des SWB abdeckt. Konfirmatorische Faktorenanalysen zeigen gute Fit-Werte (TLI > .95; CFI > .95; SRMR < .05) für alle drei Messzeitpunkte; die interne Konsistenz für die drei Dimensionen reichte von ω = .83 (95% CI = [.82, .84]) bis ω = .91 (95% CI = [.90, .92]).

Die Veränderung des SWB wurde unter Berücksichtigung der genesteten Datenstruktur anhand eines latent neighbor change score models untersucht. Individuelle und kontextuelle Variablen wurden auf die Veränderung zwischen jeweils zwei Messzeitpunkten regressiert. Zudem wurde für die Heterogenität der Klassenkomposition und den individuellen Status der Schüler*innen bezüglich Geschlecht, SPF, Migrationshintergrund, soziale Herkunft und kognitive Grundfähigkeiten kontrolliert.

Erste Ergebnisse zeigen eine insgesamt recht stabile, aber leicht rückläufige Entwicklung des schulbezogenen SWB von Klasse 6 bis 9. Die drei Dimensionen weisen allerdings unterschiedliche Verläufe auf. So nimmt das emotionale Wohlbefinden tendenziell stärker ab als die soziale Integration und das akademische Selbstkonzept. Darüber hinaus deuten die Ergebnisse auf kompensierende Effekte hin: Je positiver die Schüler*innen-Lehrkraft- Beziehung wahrgenommen werden und je höher das Verantwortungsbewusstsein der Lehrkräfte ist, desto weniger nimmt das emotionale Wohlbefinden und die soziale Integration der Schüler*innen ab.

 

Wie entwickelt sich die soziale Partizipation von Schüler*innen mit vs. ohne sonderpädagogische Förderbedarfe in inklusiven Schulen der Sekundarstufe I?

Michael Grosche1, Monja Schmitt2, Cornelia Gresch3, Amelie Labsch2, Lena Külker3
1Bergische Universität Wuppertal, 2LifBi, 3Humboldt-Universität Berlin

Theoretischer Hintergrund

In inklusiven Schulklassen werden Schüler*innen mit sonderpädagogischen Förderbedarfen (SPF) häufiger ausgegrenzt und partizipieren weniger als ihre Klassenkamerad*innen ohne SPF (Böttinger, 2021; Schürer, 2020). Diesen für die Grundschule inzwischen vielfach replizierten Befund nennen wir an dieser Stelle „Ausgrenzungseffekt“. Ob dieser Ausgrenzungseffekt auch in der Sekundarstufe zu finden ist, ist hingegen deutlich weniger erforscht (Bossaert et al., 2013; Külker et al., 2021). Das Fehlen solcher Studien überrascht, ist doch die Zeit der Sekundarstufe eine für das Jugendalter sehr wichtige Entwicklungsphase, in der soziale Partizipation in der Schulklasse eine besondere Bedeutung erfährt. Zudem wurde der Ausgrenzungseffekt bislang hauptsächlich querschnittlich untersucht. Die wenigen vorliegenden Längsschnittstudien (ausnahmslos in der Grundschule) finden entweder ein Stagnieren oder ein leichtes Absinken der sozialen Partizipation über die Zeit (Blumenthal & Blumenthal, 2021; Schwinger et al., 2020). Eine wichtige und erst in Ansätzen beantwortete Frage lautet daher, wie sich dieser Ausgrenzungseffekt über den Verlauf von mehreren Schuljahren entwickelt. Geht „die Schere“ zwischen Schüler*innen mit vs. ohne SPF weiter auseinander oder verringert sich der Abstand („Schereneffekt“)? Eine wichtige Anschlussfrage lautet, welche von den Lehrkräften beeinflussbare Faktoren die soziale Partizipation der Schüler*innen verbessern können. Einen positiven Einfluss scheinen insbesondere die sozialen Fähigkeiten der Schüler*innen, die sozialen Referenzierungen durch die Lehrkräfte und die sozialen Kontakte zwischen den Mitschüler*innen auszuüben (Huber, 2019). Daher stellt sich die Frage, ob diese „Einflusseffekte“ für alle Schüler*innen positiv sind oder sogar den Ausgrenzungseffekt verringern können.

Fragestellung

Wir untersuchen die Entwicklung der sozialen Partizipation von Schüler*innen mit vs. ohne SPF (Fragestellung 1: Ausgrenzungs- und Schereneffekte) sowie drei theoretisch postulierte Einflüsse auf deren Entwicklung der sozialen Partizipation (Fragestellung 2: Einflusseffekte). Dabei kontrollieren wir für individuelle Hintergrundmerkmale der Schüler*innen (Geschlecht, sozialer Hintergrund, elterliche Bildung und Migrationshintergrund) und prüfen auf differentielle Effekte zwischen Schüler*innen mit vs. ohne SPF.

Methode

Im Rahmen des INSIDE Projektes („Inklusion in der Sekundarstufe I in Deutschland“) wurden über einen Zeitraum von drei Schuljahren N = 2.002 Schüler*innen (davon n = 232 mit SPF) aus 159 Schulen aus 14 Bundesländern dreimal (Klassenstufe 6, 7 und 9) mit einem Fragebogen zu ihrer sozialen Partizipation (α = .79), ihrem Sozialverhalten (α = .81) und ihrer Beziehung zu den Lehrkräften (α = .84) befragt. Die Möglichkeit miteinander in Kontakt zu kommen operationalisierten wir durch den prozentualen Anteil an Schüler*innen mit SPF in der Klasse. Zur Analyse der individuellen Entwicklungen der sozialen Partizipation berechneten wir lineare Wachstumskurven mit random intercept und random slope.

Ergebnisse

Im Mittel berichten Schüler*innen mit SPF von signifikant weniger sozialer Partizipation (Ausgrenzungseffekt B = -0.11, p = .002). Die soziale Partizipation verringert sich im Verlauf der drei Schuljahre signifikant (B = -0.09, p < .001). Diese negative Entwicklung unterscheidet sich jedoch nicht zwischen Schüler*innen mit vs. ohne SPF (Schereneffekt B = 0.03, p = .259). Für die Einflusseffekte finden wir folgendes: Entgegen unserer Annahme hat die selbstberichtete Impulsivität der Schüler*innen keinen Einfluss. Jedoch berichten prosozialere Schüler*innen über mehr Partizipation (B = 0.28, p < .001). Verbessert sich das prosoziale Verhalten über die Zeit, verbessert sich auch die Partizipation (B = .20, p < .001). Gleiche Befunde finden wir bezüglich der Beziehung zur Lehrkraft: Verbessert sich die Beziehung, steigt auch die Partizipation (B = 0.09, p < .001). Die Effekte sind besonders deutlich für Schüler*innen mit einem SPF in der emotional-sozialen Entwicklung. Die Klassenkomposition hat hingegen keinen Einfluss auf die soziale Partizipation.

Diskussion

Schüler*innen mit SPF berichten im Mittel von weniger sozialer Partizipation in der Sekundarstufe I (Ausgrenzungseffekt). Die soziale Partizipation verschlechtert sich während der Sekundarstufenzeit, dies gilt jedoch gleichermaßen für Schüler*innen mit vs. ohne SPF (keine Schereneffekte). Prosoziale Fähigkeiten der Schüler*innen und eine positive Lehrkraft-Schüler*innen-Beziehung verbessern die soziale Partizipation (Einflusseffekte). Lehrkräfte sollten daher prosoziale Fähigkeiten fördern und besonderen Wert auf eine positive Beziehung zu ihren Schüler*innen legen.

 
11:10 - 12:508-13: Persönlichkeit im Studium und jungen Erwachsenenalter
Ort: S28
 
Paper Session

Die Rolle von Persönlichkeitseigenschaften für die Studienintention von Studienberechtigten aus unterschiedlicher sozialer Herkunft

David Nika, Dr. Michael Grüttner, Prof. Dr. Sandra Buchholz

Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), Deutschland

Theoretischer Hintergrund

Die Erforschung sozialer Ungleichheiten ist ein zentraler Bestandteil bildungssoziologischer Forschung. Hauptsächlich fokussiert sich diese Forschung auf die Erklärung sozialer Ungleichheiten, z.B. warum bestimmte soziale Gruppen häufiger in ein Studium übergehen als andere (Becker, 2017). Auch wenn sich die Chancengleichheit für den Übergang in hochschulische Bildung in Deutschland mit der Zeit verbessert hat, bestehen weiterhin Ungleichheiten zwischen den sozialen Herkunftsgruppen (Becker & Lauterbach, 2016). So liegt beispielsweise die Wahrscheinlichkeit für ein Kind aus einer Familie mit niedrigem sozioökonomischen Status in ein Studium überzugehen bei 64%, während sie bei solchen aus Familien mit mittlerem oder hohem Status bei 72% bzw. 82% liegt (Quast et al., 2023).
Während es immer noch Ungleichheiten beim Hochschulzugang zwischen diesen sozialen Gruppen gibt, bleibt dennoch die Frage offen, wie es Kindern aus sozial schwächeren Familien gelingt, trotz der Zugehörigkeit zu einer benachteiligten Gruppe, erfolgreich in die höhere Bildung überzugehen (success against the odds). Daher erweitern wir die soziologische Ungleichheitsperspektive und argumentieren mit der „resource substitution hypothesis“ (Mirowsky & Ross, 2003), dass bestimmte Ressourcen für Kinder niedriger sozialer Herkunft wichtiger beim Übergang in ein Studium sind als für Kinder hoher sozialer Herkunft, da ihnen weniger alternative Ressourcen zur Verfügung stehen. Wir argumentieren, dass Persönlichkeitseigenschaften (McCrae & Costa, 1996, 1999) eine solche Ressource sind, mit denen potentiell soziale Ungleichheiten überwunden werden können.

Fragestellung

Welche Rolle spielen Persönlichkeitseigenschaften beim Übergang in ein Studium für Studienberechtigte aus unterschiedlicher sozialer Herkunft?
Methode
Zur Beantwortung dieser Frage, verwenden wir Daten des DZHW Studienberechtigtenpanels 2018. Das zugrundliegende Sample beruht auf einer nach Bundesland und Hochschulart disproportionalen, zufallsbasierten Klumpenstichprobe von Studienberechtigten, welche im Schuljahr 2017/2018 ihre Hochschulreife an einer allgemeinbildenden oder beruflichen Schule erlangt haben. Derzeit liegen Daten aus zwei Erhebungswellen vor, welche jeweils ein halbes Jahr vor und nach dem Schulabschluss erhoben wurden. Durch die Erhebung von Persönlichkeitseigenschaften, Kosten-, Erfolgs- und Ertragsaussichten eines Studiums sowie Plänen und Entscheidungen hinsichtlich des zukünftigen Bildungs- und Berufswegs, bieten diese Daten eine ideale Grundlage zur Analyse der Forschungsfrage.
Im ersten Schritt operationalisieren wir primäre und sekundäre Herkunftseffekte (Boudon, 1974) als soziologische Konzepte zur Erklärung sozialer Ungleichheiten für Bildungsentscheidungen. Im zweiten Schritt erweitern wir dieses Modell um die Big Five Persönlichkeitseigenschaften (McCrae & Costa, 1996, 1999) als non-kognitive Ressourcen, um ihre Rolle beim Studienübergang zu analysieren und ob sie zur Minderung von sozialen Herkunftsunterschieden beitragen. Dabei nehmen wir an, dass sich die Persönlichkeitseigenschaften sowohl direkt als auch indirekt über Leistung sowie Kosten-, Nutzen- und Erfolgsaussichten auf die Studienintention auswirken (siehe u.a. Andersen et al., 2020; Corazzini et al., 2021; Palczyńska & Świst, 2018; Rammstedt et al., 2017). Diese Annahmen werden mittels eines Strukturgleichungsmodells (SEM) überprüft. Der Vorteil von SEM gegenüber der herkömmlichen logistischen Regressionsmodelle besteht darin, dass hiermit direkte, indirekte und totale Effekte (Hayes, 2009) von Persönlichkeitseigenschaften auf die Studienintention für Kinder unterschiedlicher sozialer Herkunft gleichzeitig geschätzt werden können. Darüber hinaus können Kovarianzen zwischen den unabhängigen Variablen im Modell berücksichtigt werden.

Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigen, dass sich neben der sozialen Herkunft auch die Persönlichkeitseigenschaften signifikant auf den Notendurchschnitt sowie die Erfolgs-, Ertrags- und Kostenerwartungen eines Studiums auswirken. Insgesamt zeigt sich, dass Studienberechtigte niedriger sozialer Herkunft eine geringere Ausprägung der Persönlichkeitseigenschaften Offenheit und emotionale Stabilität haben, diese sich aber insbesondere bei dieser Gruppe besonders positiv auf die Studienintention auswirken
(strukturelle Amplifikation / Ross & Mirowsky, 2011). Folglich spielen diese Eigenschaften eine wichtigere Rolle beim Übergang in ein Studium für diese Gruppe als für Kinder aus sozial stärkeren Familien und könnten so einen Beitrag zur Verringerung von sozialen Ungleichheiten beim Studienübergang leisten.



Paper Session

Caught between two stools: Effect of higher education dropout on big five personality traits

Johann Carstensen, Frauke Peter, Fabian Trennt

Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), Deutschland

Up to 30% of all German bachelor degree students leave higher education (HE) without
obtaining a degree; most of them within the first four semesters (Heublein et al., 2017).
While dropout from HE is mostly seen as a waste of public resources (Schneider et al.,
2019; Behr et al., 2020) more recent research is asking whether dropouts may have at
least acquired some skills that might be beneficial in subsequent vocational education
and training (VET) (Bröder et al., 2021). Comparatively low monetary returns (Heigle
and Pfeiffer, 2020; Berlingieri and Bolz, 2020) and mixed results concerning hiring chances
for an apprenticeship (Neugebauer and Daniel, 2022; Daniel et al., 2019) seem to support
the first perspective. However, this support rests on two assumptions: 1) earnings reflect
skills and 2) skills acquired in HE are compatible with skill demand in VET. Thus, in
order to examine whether HE dropout is indeed a bad investment, we directly address
the question whether a relatively brief exposure to HE affects skills. Thereby, we focus on
non-cognitive skills (i.e., personality traits, perseverance, self-efficacy) as those are highly
relevant for success in the labour (see for example, Judge et al., 1999; Fletcher, 2013;
Blanden et al., 2007; Heckman et al., 2013; Caliendo et al., 2015; Prevoo and ter Weel,
2015) as well as the apprenticeship market (Protsch and Solga, 2015).

In order to answer this question, we compare HE dropouts to apprentices with respect
to personality traits 2.5 years after leaving school. We only include individuals holding
an HE entrance certificate in both groups. Building on social investment theory (Roberts
et al., 2005) that emphasises the influence of social contexts on personality, we argue that
each context (VET vs. HE) develops its own professional roles according to respective
domain-specific demands to which new entrants have to adopt. While VET often prepares
for well-defined tasks in a highly labour-divided economy, HE rather prepares for less
narrowly defined occupations, non-routine and creative tasks (Hanushek et al., 2015).
Therefore, we expect that HE dropouts and apprentices differ in personality traits that
complement the respective demands.

We use data from a nationwide panel study, namely the DZHW panel of school leavers
with HE entrance qualification (cohorts graduating in 2015 & 2018) and apply entropy
balancing (Hainmüller, 2012) – a weighting-based matching approach – to possibly identify
a causal effect of HE dropout on personality traits.

Our analysis shows that HE experience without graduation does not have a significant
effect on four out of five personality dimensions. However, for conscientiousness, we find a significant negative effect of HE dropout (i.e., dropouts being less conscientious
compared to apprentices). Although being less conscientious is generally detrimental to
educational (Poropat, 2009) and labour market performance (Judge et al., 1999; Fletcher,
2013; Blanden et al., 2007), there are also hints that too much of conscientiousness might
not be beneficial in complex work contexts for which HE prepares its students. For
example, being more conscientious is less important in complex compared to routine jobs
(Shaffer and Postlethwaite, 2013), not relevant for managerial performance (Robertson
et al., 2000) and creativity (Reiter-Palmon et al., 2009) and even negative for adaptability
in changing contexts (Le Pine et al., 2000). Finally, while being more conscientious
predicts working in craft occupations (a typical destination for VET graduates), less
conscientious individuals rather select themselves into professional occupations (John and
Thomsen, 2014).

Therefore, leaving HE education without obtaining a degree is not necessarily a bad
investment, because HE dropouts have acquired non-cognitive skills during their time in
HE. However, these skills are probably more complementary to the demand for skills in
the HE labour market and less so in the VET sector.



Paper Session

Prokrastinationstendenzen im jungen Erwachsenenalter: Zum Co-Development zwischen Prokrastination, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus sowie Assoziationen mit zukünftigen Lebensereignissen

Lisa Bäulke1, Brent Roberts2,1, Benjamin Nagengast1,3, Ulrich Trautwein1

1Universität Tübingen, Deutschland; 2University of Illinois Urbana-Champaign; 3Korea University

Prokrastination – ein freiwilliger Handlungsaufschub einer geplanten Tätigkeit, trotz Antizipation negativer Konsequenzen – ist ein weit verbreitetes Phänomen, das insbesondere im akademischen Kontext auftritt (vgl. Steel, 2007). Doch stellt sich die Frage, ob Menschen, die Anfälligkeiten für Prokrastination zeigen, im Laufe ihres Lebens diese Neigung überwinden können. Obwohl Prokrastination als ein dysfunktionales Konzept mit erheblicher Relevanz für die Bildung angesehen wird, gibt es bisher keine ganzheitliche Betrachtung über die Lebensspanne hinweg.

Prokrastination wurde vorwiegend aus einer sozio-kognitiven Perspektive betrachtet (Sirois & Pychyl, 2013; Steel & König, 2006) und auf Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus zurückgeführt (van Eerde, 2003). Zudem zeigt bisherige Forschung, dass Prokrastination sowohl mit negatven Konsequenzen im akademischen Kontext (z.B., Abbruchsintentionen, verringerte Leistung, Bäulke et al., 2021; Kim & Seo, 2015) als auch im Arbeitskontext (z.B., emotionale Erschöpfung, reduzierte Performanz, Metin et al., 2018; Roster & Ferrari, 2020) in Verbindung gebracht wird. Bislang fehlt jedoch Wissen über die Kontinuität des Konstrukts sowie über das Zusammenspiel zwischen Prokrastination, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus. Weiterhin ist unklar, welche Einflussfaktoren auf die Entwicklung wirken und inwiefern Prokrastination mit zukünftigen Lebensereignissen assoziiert ist.

Um diese Forschungslücken zu adressieren, wird mit vervoliegenden Studie das Ziel verfolgt, die allgemeine Entwicklung von Prokrastination umfassend zu untersuchen. Dabei werden die folgenden Fragen adressiert: (1) Wie entwickelt sich Prokrastination im Verlauf des jungen Erwachsenenalters? (2) Wie steht die Entwicklung von Prokrastination im Zusammenhang mit Gewissenhaftigkeit sowie Neurotizismus? (3) Steht der Übergang vom Studium in den Beruf mit der Entwicklung von Prokrastination im Zusammenhang? (4) Welche Auswirkungen hat Prokrastination auf zukünftige Lebensereignisse?

Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden Daten der ersten acht Erhebungswellen einer fortlaufenden Längsschnittstudie analysiert (TOSCA – Transformation des Sekundarschulsystems und akademische Karrieren, Trautwein et al., 2010). Die erste Erhebung erfolgte im letzten Schuljahr vor dem Abitur, gefolgt von fünf weiteren Erhebungswellen im Zweijahresrhythmus und zwei weiteren Erhebungswellen im Vierjahresrhythmus. Die Studie umfasst folglich eine Zeitspanne von 18 Jahren, der achte Messzeitpunkt erfolgte während der COVID-19 Pandemie. Die Ausgangsstichprobe bestand aus 3023 Schüler:innen (58% weiblich; 42% männlich; Durchschnittsalter = 19.55 Jahre; SD= .78) mit einem Dropout von 41% von Erhebungswelle 1 bis 8. Um dies in den Analysen zu berücksichtigen, wurde für die Teilnahmehäufigkeit kontrolliert. Die Daten wurden mittels Mehrebenenanalysen (Messzeitpunkte genestet in Personen) analysiert.

Die Ergebnisse zeigen, dass erhebliche Varianzanteile von Prokrastination auf Unterschiede zwischen Personen zurückgehen (ICC = .63, p < .001). Ein Unconditional Growth-Modell zeigte eine lineare Abnahme von Prokrastination über die Zeit hinweg (b = –.15, p < .001) mit signifikanter Slope-Varianz zwischen Personen (Var = .05, p < .001). Um die Zusammenhänge zwischen Prokrastination, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus untersuchen zu können, wurde zunächst die Faktorstruktur überprüft. Fit Indizes verwiesen auf eine faktorielle Trennbarkeit von Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Prokrastination. Zur Analyse des Co-Developments wurden bivariate latente Wachstumskurvenmodelle berechnet. Ergebnisse verweisen auf komplexe Zusammenhänge zwischen den Konstrukten. Zudem hing Prokrastinationsentwicklung negativ mit einem Transit in den Beruf zusammen (r = –.11, p < .01). Abschließend zeigten sich insbesondere negative Zusammenhänge zwischen Prokrastination und beziehungs- sowie gesundheitsbezogenen Variablen.

Die vorliegende Studie bestätigt die postulierten Hypothesen und deutet auf eine allgemeine Abnahme von Prokrastination über das junge Erwachsenenalter hin. Die Ergebnisse legen nahe, Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus im Zusammenhang mit Prokrastinationstendenzen stehen. Die abnehmende Entwicklung von Prokrastination scheint mit dem Übergang vom Studium in den Beruf zusammenzuhängen. Zudem weisen die Ergebnisse darauf hin, dass Prokrastination langfristig nachteilige Auswirkungen auf Beziehungsaspekte und die physische sowie mentale Gesundheit hat. Zusammenfassend liefert die vorliegende Studie erstmalig Erkenntnisse zur Kontinuität von Prokrastinationstendenzen aus einer entwicklungsbezogenen Perspektive und ermöglicht somit ein besseres Verständnis der Entstehung und Auswirkungen dieses dysfunktionalen Verhaltens.

 

 
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