11. GEBF-Tagung
BILDUNG VERSTEHEN - PARTIZIPATION ERREICHEN -
TRANSFER GESTALTEN
Haupttagung: 18. - 20.03.2024 | Nachwuchstagung: 21.03.2024
Universität Potsdam
Veranstaltungsprogramm
Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
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Sitzungsübersicht |
Datum: Dienstag, 19.03.2024 | |
9:00 - 10:00 | Keynote 2: Prof. Dr. Jutta Allmendinger: Transfer zwischen Forschung und Politik: was es braucht, und was nicht Ort: H05 |
10:00 - 10:30 | Kaffeepause Ort: Foyer Haus 6 |
10:30 - 12:10 | 4-01: Diskussionforum: Large Language Models und Betrugsverhalten in Bildungskontexten - Welche Forschungspotenziale ergeben sich für die empirische Bildungsforschung? Ort: H05 |
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Offenes Beitragsformat
Diskussionforum: Large Language Models und Betrugsverhalten in Bildungskontexten - Welche Forschungspotenziale ergeben sich für die empirische Bildungsforschung? 1Universität Mannheim, Deutschland; 2Universität Augsburg, Deutschland Die rasante Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) und insbesondere von Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT birgt immense Potenziale sowie Herausforderungen für den Bildungsbereich. Durch LLMs lassen sich komplexe Texte produzieren, die von durch Menschen selbst generiertem Material kaum zu unterscheiden sind, was neue Möglichkeiten für betrügerisches Verhalten ermöglicht. Aufgrund der einfachen und schnellen Zugänglichkeit von LLMs, können Schüler:innen, Studierenden, aber auch Wissenschaftler:innen sie nutzen, um ohne besondere Eigenleistung Lösungen für Prüfungsfragen generieren zu lassen, sowie Hausarbeiten oder wissenschaftliche Arbeiten zu verfassen. Dies fordert die Integrität des Bildungssystems auf bisher noch nicht dagewesene Weise heraus. Während die gesellschaftliche Debatte über die Bedeutung von LLMs für Betrugsverhalten in Bildungskontexten bereits im Gange ist, befindet sich die empirische Auseinandersetzung dazu noch in den Kinderschuhen. Es mangelt insbesondere an einer Erschließung des Forschungsfeldes im Sinne der empirischen Bildungsforschung. Dabei sind nicht nur mögliche Forschungsfelder abzustecken und Forschungsfragen zu präzisieren, sondern es bedarf auch einer grundsätzlichen Gegenstandsbestimmung, was im Kontext von LLMs als betrügerisches Verhalten zu verstehen ist. Eine entsprechende Felderschließung kann allerdings nur mit Hilfe eines multidisziplinären Blickes auf den Forschungsbereich erfolgen. Zu diesem Zweck diskutieren wir das Forschungsfeld umfassend mit einem Panel aus Expert:innen verschiedener Forschungsdisziplinen. Das Expert:innenpanel besteht gezielt zur Hälfte aus empirischen Bildungswissenschaftler:innen und zur Hälfte aus Expert:innen aus den Bereichen Philosophie und Informatik. Diese Expertise erlaubt besonders umfassende und fundierte Einblicke in das Themenfeld. Als Expertin für Technikphilosophie rückt JProf. Dr. Amrei Bahr die normativen Aspekte der Debatte in den Fokus (insbesondere: was macht Betrugsverhalten und Eigenleistung im Kontext von LLMs aus?). Prof. Dr. Debora Weber-Wulff wird als Plagiats- und Medienexpertin die technischen Möglichkeiten und Problemstellungen der Detektion bei Betrugsverhalten mit LLMs thematisieren. Aus Sicht der empirischen Bildungsforschung werden wiederum Prof. Dr. Katharina Scheiter als psychologische Expertin für digitale Bildung und Prof. Dr. Dirk Ifenthaler als wirtschaftspädagogischer Experte für technologiebasiertes Instruktionsdesign die Debatte in die bereits bestehende empirische Auseinandersetzung zum Einsatz künstlicher Intelligenz in Bildungsprozessen einordnen. Dabei wird besonders darauf fokussiert, wo bereits bestehendes Wissen bei der Erschließung des Forschungsfeldes hilfreich sein kann und welche Fragestellungen völlig neu erschlossen werden müssen. Das Diskussionsforum startet nach einer knappen Einleitung der Chairs mit kurzen Eingangsstatements der Expert:innen (jeweils 5 Minuten für die 4 Expert:innen und die Einführung). Auf diesen Eingangsstatements aufbauend erfolgt eine moderierte Diskussion von etwa 40 Minuten. Am Anfang der Diskussion beschäftigen wir uns mit der normativen Frage danach, was betrügerisches Handeln in Bildungskontexten vor dem Hintergrund von LLMs auszeichnet (ca. 10 Minuten). Dem folgt eine halbstündige Diskussion der folgenden fünf Fragen, die unter Nutzung von ChatGPT unter Berücksichtigung des Tagungsmottos („Bildung verstehen – Partizipation erreichen – Transfer gestalten) generiert wurden: 1) Welche Indikatoren könnten dazu genutzt werden, um betrügerisches Verhalten mithilfe von LLMs in Bildungskontexten zu identifizieren? 2) Welche Forschungsansätze könnten tiefergehende Einblicke in die individuellen Beweggründe für betrügerisches Verhalten in Bildungskontexten mit Hilfe von LLMs ermöglichen? 3) Wie könnten empirische Studien helfen, die Wirksamkeit von Richtlinien und Sanktionen zur Prävention von betrügerischem Verhalten mit LLMs in Bildungskontexten zu bewerten und entsprechende Empfehlungen abzuleiten? 4) Wie kann empirische Bildungsforschung zur Entwicklung von Lernressourcen beitragen, um Lernende zu befähigen, LLMs verantwortungsvoll zu nutzen und ethische Leitlinien zu internalisieren? 5) Auf welche Weise könnten empirische Studien dazu beitragen, eine evidenzbasierte Grundlage für die Gestaltung von Schulungsprogrammen für Lehrende und Lernende im Umgang mit LLMs zu schaffen? Das Panel mündet in einer Plenumsdiskussion, für die etwa 25 Minuten vorgesehen sind. Im Rahmen der Plenumsdiskussion erhalten die anwesenden Teilnehmenden die Möglichkeit (1) weitere Fragen an die Expert:innen zu stellen und (2) eigene Positionen zu den aufgeworfenen Fragen zu formulieren. Das vorgestellte Diskussionsforum soll somit einen fruchtbaren Startpunkt für eine umfassende Themenerschließung des Gegenstandes „Betrugsverhalten mit Hilfe von Large Language Models in Bildungskontexten“ bieten. Wir hoffen mit dem Forum empirische Arbeiten zu inspirieren, die besser erkennbar machen, wie es Bildungseinrichtungen möglich ist, auch in Zeiten von LLMs akademische Integrität zu erhalten. |
10:30 - 12:10 | 4-02: Heterogene Lerngruppenzusammensetzung: Quantitative Erfassung und Umgang mit Heterogenität auf Klassen- und Schulebene Ort: H04 |
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Symposium
Heterogene Lerngruppenzusammensetzung: Quantitative Erfassung und Umgang mit Heterogenität auf Klassen- und Schulebene Die soziale und kulturelle Heterogenität der Gesellschaft spiegelt sich auch in der Zusammensetzung von Schulen und Schulklassen wider: Zwischen Schulen zeigt sich eine zunehmende soziokulturelle Segregation, die durch eine Kumulation von Benachteiligungen an einzelnen Schulen negative Effekte individueller sozialer Benachteiligung verstärken kann (Jurczok & Lauterbach, 2014). Befunde aus internationalen Kontexten zeigen, dass sich eine ungünstigere soziale Schulzusammensetzung negativ auf die durchschnittliche SchülerInnenleistung auswirkt (Dumont et al., 2013; van Ewijk & Sleegers, 2010). Dieser Effekt wird zum Teil durch Strukturen und Prozesse auf Schulebene vermittelt (Helbig & Nikolai, 2019). Jedoch deuten aktuelle Befunde aus Rheinland-Pfalz darauf hin, dass sich die Auswirkungen auf SchülerInnenleistung nicht ausschließlich über solche schulischen Prozessmerkmale erklären lassen (Kraus et al., 2021). Die Vermutung liegt nahe, dass die Zusammensetzung der Schülerschaft zusätzlich auf Ebene der Schulklasse als Merkmal der Lernumgebung wirksam wird. Hier zeigen Analysen im aktuellen Bildungsbericht einerseits eine große Bandbreite der mittleren sozioökonomischen und kulturellen Klassenzusammensetzung, andererseits jedoch auch eine hohe Heterogenität der kulturellen und sozialen Hintergründe innerhalb von Schulklassen (AutorInnengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Zahlreiche Untersuchungen zu sogenannten Kompositionseffekten auf Klassenebene zeigen, dass die kulturelle, soziale und leistungsbezogene Klassenzusammensetzung die Leistung von SchülerInnen über Effekte des individuellen Hintergrundes hinaus beeinflusst, Befunde zu Effekten der Heterogenität fallen allerdings gemischt aus (z.B. Dumont et al., 2013). Es wird angenommen, dass die Heterogenität einer Klasse die Interaktionen zwischen SchülerInnen untereinander und ihren Lehrkräften, aber auch die Qualität der Instruktion beeinflussen kann (Rjosk, 2022). Um unter Bedingungen zunehmender Heterogentität in Schulen und Klassen eine gleichberechtigte Bildungsbeteiligung unabhängig vom individuellen Hintergrund der SchülerInnen zu gewährleisten, sind auf beiden Ebenen Ansätze zum Umgang mit einer heterogenen SchülerInnenschaft notwendig. Auf Ebene der Schule gilt es, Strategien zu identifizieren, die eine hohe Prozess- und Ergebnisqualität ermöglichen und es so möglich machen, individuelle und kumulierte Benachteiligungen von SchülerInnen auszugleichen - insbesondere an Schulen in herausfordernden Lagen, die häufig mit einer besonders heterogenen Schülerschaft konfrontiert sind (Bremm et al., 2016). Auch auf Ebene der Einzelklasse erfordert der Umgang mit einer heterogenen SchülerInnenschaft die Identifikation von Strategien, die es erlauben, innerhalb einer heterogenen Klasse SchülerInnen mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen gleichermaßen bestmöglich zu fördern. Hier setzt das Symposium an: Zur Identifikation von Ansatzpunkten für die Förderung von SchülerInnen in heterogenen Klassen auf Ebene der Schule und Schulklasse werden Erkenntnisse zu den Auswirkungen heterogener Lerngruppenzusammensetzung benötigt. Während bisherige Untersuchungen den Fokus zumeist auf einzelne Dimensionen der Heterogenität legen, werden zunehmend die komplexen Interaktionen unterschiedlicher sozialer Zugehörigkeitsdimensionen deutlich (Bellin, 2009), aber wie dargestellt auch die komplexen Auswirkungen der Gruppenzusammensetzung auf den unterschiedlichen Ebenen Schule und Einzelklasse. Für die weitere Untersuchung der Lerngruppenzusammensetzung ist deshalb eine differenziertere Betrachtungsweise und auch Messung von heterogener Gruppenzusammensetzung notwendig. Das vorliegende Symposium widmet sich daher zuerst der Frage, wie die Zusammensetzung von Lerngruppen multidimensional betrachtet und möglichst umfassend quantitativ erfasst werden kann. Der erste Beitrag greift mit dem Konzept der Faultlines auf einen ökonomischen Ansatz zur Messung multidimensionaler Heterogenität zurück. Im zweiten Beitrag wird ein Ansatz zur Messung multidimensionaler Gruppenzusammensetzung aus der Ökologie adaptiert und für die Untersuchung des Kompositionseffektes multidimensionaler Heterogenität auf individuelle Leseleistung verwendet. Beiträge des Symposiums Konzeption und Messung multidimentionaler Heterogenität in Schulen Heterogenität in Schulen bezeichnet das Ausmaß an Unterschiedlichkeit der Schüler*innen innerhalb einer Schule oder Schulklasse. Wie mit wachsender Heterogenität der SchülerInnen in Bildungseinrichtungen umzugehen ist, um individuelle Entwicklung und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern, ist eine der zentralen Fragen unserer Zeit. Aktuelle erziehungswissenschaftliche Ansätze betrachten Heterogenität von SchülerInnen in Schulen und Klassen als multidimensionale Eigenschaft, bei der sich verschiedene Dimensionen mehr oder weniger überschneiden können (Gräsel et al., 2017). Vor allem für Gruppenbildungsprozesse in Schulen und Schulklassen sowie psychosoziale Merkmale wie das Zugehörigkeitsgefühl könnte gerade die gleichzeitige Ähnlichkeit oder Verschiedenheit der Schüler*innen auf mehreren Dimensionen relevant sein. Auch die zunehmende Diversifizierung von ethnischen Minderheitsgruppen in verschiedenen Dimensionen, wie Religion, Sprache, Kultur, Bildungshintergrund und sozioökonomischer Status, betont die Notwendigkeit eines tieferen Verständnisses und einer präzisen Messung von Diversität als multidimensionalem Konstrukt. Die Perspektive der Multidimensionalität wird durch Arbeiten aus der Ökonomie ergänzt, die das Konzept der "faultlines" entwickelt haben, um hypothetische Trennlinien zu beschreiben, die sich aus der Überschneidung demografischer Attribute unter Teammitgliedern in Unternehmen ergeben (Lau & Murnighan, 1998, 2005; Thatcher & Patel, 2012). Fragestellung Der vorliegende Beitrag konzeptualisiert verschiedene Formen von multidimensionaler Diversität und stellt verschiedene Messmethoden gegenüber. Die zentrale Frage des Beitrags ist, wie multidimensionale Heterogenität adäquat konzeptualisiert und gemessen werden kann. Die multidimensionale Perspektive berücksichtigt mehrere Attribute von Schüler*innen, wie beispielsweise Bildung, Einkommen, Sprachhintergrund und ethnische Herkunft. Methode Nach einer Systematisierung und Zusammenfassung der bestehenden Konzepte multidimensionaler Heterogenität folgt eine theoretische Auseinandersetzung mit den in der Literatur vorgeschlagenen Messmethoden. Im Fokus stehen insgesamt sechs Indizes. Eine Simulationsstudie erstellte künstliche soziale Kontexte (vorstellbar als Schulen oder Schulklassen), die sich systematisch in ihrer Sozialstruktur unterscheiden, um die Reaktion verschiedener Heterogenitätsindizes auf unterschiedliche Strukturen zu testen. Die simulierten Kontexte unterscheiden sich in den Varianzen der einzelnen Heterogenitätsdimensionen, den Korrelationen zwischen den Heterogenitätsdimensionen, der Art der Kategorisierung kontinuierlicher Variablen (wie z. B. des ISEI) und der Kontextgröße. Insgesamt ergeben die kombinierten Bedingungen unseres Designs 108 unterschiedliche Szenarien, für die jeweils 500 Stichproben gezogen werden. Die Gesamtstichprobe umfasst damit 54.000 Kontexte. Im Fokus der Analyse stehen insgesamt sechs Indizes, deren Berechnung eigens in R implementiert wurde. Ergebnisse Die Befunde zeigen, dass verschiedene Indizes entweder auf multidimensionale Vielfalt oder auf das Ausmaß an Überschneidung verschiedener Heterogenotätsdimensionen reagieren. Diese Ergebnisse verdeutlichen die Notwendigkeit eines theoriegeleiteten Ansatzes bei der Auswahl von Indizes für spezifische Forschungsszenarien. Ein Leitfaden soll Forschenden eine fundierte Entscheidung über die am besten geeigneten Indizes je nach Forschungskontext ermöglichen. Der Beitrag verdeutlicht die wachsende Bedeutung multidimensionaler Heterogenitätskonzepte in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und liefert wertvolle Einblicke für Bildungsforscher*innen und Pädagog*innen, die sich mit heterogenen Gruppen in Bildungseinrichtungen befassen, in die Möglichkeiten der Messung multidimensionaler Heterogenität. Messung multidimensionaler Lerngruppenzusammensetzung durch die Nutzung von Hypervolumina Theoretischer Hintergrund Nicht nur individuelle Merkmale und Lernvoraussetzungen beeinflussen die Schulleistung von Lernenden, sondern auch die Zusammensetzung der Lerngruppe bezüglich der Leistung, aber auch sozioökonomischer und kultureller Merkmale beeinflusst die Lernumgebung und damit individuelle Schülerleistungen (Dumont et al., 2013). Während auf Ebene der Schule häufig der Effekt der mittleren Zusammensetzung der Schülerschaft und des umgebenden Sozialraumes auf sozioökonomischen und kulturellen Faktoren untersucht wird, um beispielsweise eine gezieltere Ressourcenzuweisung zu ermöglichen (Bellin, 2009), steht auf Ebene der einzelnen Schulklasse zusätzlich die Diversität der Schüler*innen im Fokus, die sich auf den Unterricht, aber auch Interaktionen zwischen Schüler*innen auswirken kann (Rjosk, 2022). Dabei liegt der Fokus meist nur auf einer Dimension der Klassenzusammensetzung (Bellin, 2009). Dadurch wird jedoch ausgeblendet, dass Variablen wie sozioökonomischer Status, linguistischer Hintergrund und Migrationserfahrung nicht unabhängig voneinander sind, sondern sich überschneiden und interagieren können (Else-Quest & Hyde, 2016). Die Diversität einer Lerngruppe kann sich je nach betrachtetem Merkmal unterscheiden, und es ist anzunehmen, dass Interaktionen zwischen Schüler*innen und Lehrkräften durch mehrere Merkmale zugleich beeinflusst werden (Piekut et al., 2012).Eine Betrachtung der Lerngruppenzusammensetzung und Diversität als multidimensionales Konstrukt bietet daher die Möglichkeit, einen besseren Einblick in Effekte der Lerngruppenzusammensetzung zu gewinnen. Der vorliegende Beitrag adaptiert einen Ansatz zur Beschreibung funktionaler Diversität aus der ökologischen Forschung, der die Beschreibung von Lerngruppen auf mehreren Dimensionen und unter Einbezug der Diversität ermöglicht. Dafür werden die Merkmale, bezüglich derer die Lerngruppenzusammensetzung untersucht werden soll, als die Achsen eines n-dimensionalen Raumes aufgefasst, in dem die einzelnen Schüler*innen entsprechend ihren Merkmalsausprägungen als Punkte verortet werden. Durch unterschiedliche Methoden wird ein sogenanntes Hypervolumen konstruiert, dass die Datenpunkte aller Schüler*innen einschließt (Blonder, 2018). Diese Hypervolumina ermöglichen die quantitative Beschreibung der Lerngruppe über das Volumen und die sogenannte Dispersion, den durchschnittlichen Abstand der Punkte im Hypervolumen von dessen Zentroiden (Blonder, 2018). Fragestellung Der vorliegende Beitrag erprobt Hypervolumina als Methode zur Beschreibung multidimensionaler Diversität im Klassenkontext, insbesondere bezüglich ihrer Anwendbarkeit unter den Bedingungen korrelierter Merkmale und eingeschränkter Stichprobengröße. Wir testen die Eigenschaften Hypervolumen-basierter Indizes und nutzen diese in einem zweiten Schritt zur Vorhersage individueller Schüler*innenleistung. Methode Wir nutzen einen Datensatz von N=1420 Fünftklässler*innen in insgesamt 59 Klassen unterschiedlicher Schulformen, der Messungen der Leseleistung zu Beginn und Ende des ersten Schulhalbjahres 2018/19 mit parallelen Versionen des „Lernstand 5“ enthielt. Als Merkmalsdimensionen zur Beschreibung der Klassenzusammensetzung dienten kulturelles Kapital, kulturelle Werte gematcht aus der World Values Survey (Haerpfer et al., 2022) und Eingangsleistung. Wir vergleichen unterschiedliche Methoden und Vorgehensweisen zur Konstruktion von Hypervolumina mit unterschiedlichen Annahmen über die zugrundeliegenden Daten und untersuchen die Eigenschaften der resultierenden Hypervolumina durch den Vergleich ihres Volumens und ihrer Dispersion zur eindimensionalen Range und Standardabweichung. Anschließend verwendeten wir Hypervolumen-basierte Indizes als Prädiktoren individueller Schüler*innenleistung in Mehrebenenmodellen. Ergebnisse und Diskussion Die Hypervolumen-basierten Indizes zeigten mittlere bis hohe, signifikante Korrelationen zu eindimensionalen Streuungsmaßen auf den unterschiedlichen Merkmalen, wobei die Korrelationen zwischen Dispersion und Standardabweichung höher ausfielen, als zwischen Volumen und Range. Die Konstruktionsmethoden unterschieden sich bezüglich der absoluten Größe der Volumina und in geringerem Maße auch der Dispersionswerte, es zeigten sich jedoch hohe Korrelationen der Indizes (.70 ≤ r ≤ .75, p < .001). Die Wahl untransformierter oder orthogonaler Achsen resultierte in ähnlichen, hoch korrelierten Indizes (.45 ≤ r ≤ .59, p < .001). Multidimensionale Diversität, gemessen durch Hypervolumen-basierte Indizes, zeigte unabhängig von der verwendeten Konstruktionsmethode keinen Kompositionseffekt auf individuelle Schüler*innenleistung. Die Ergebnisse zeigen die Anwendbarkeit des Hypervolumen-Ansatzes im Klassenkontext, insbesondere zur Berechnung eines multidimensionalen Streuungsmaßes, das hohe Korrelationen zur Standardabweichung aufweist. Hypervolumina bieten einen Ansatzpunkt zur differenzierteren Messung multidimensionaler Heterogenität, und zudem durch Möglichkeiten zur Visualisierung und zum Vergleich von Lerngruppen methodische Ansatzpunkte für weitere Untersuchungen von Effekten der Lerngruppenzusammensetzung. Die Orientierung der Entwicklungsperspektiven in Schulentwicklungsprozessen und der Effekt auf die Entwicklung der Schüler*innen Schulen in sozial deprivierter Lage stehen aufgrund ihrer Zusammensetzung vor besonderen Herausforderungen in ihrer pädagogischen Arbeit. Über intentionale Schulentwicklungsprozesse sollen Schulen zu lernenden Organisationen werden (Klein, 2017). Die Literatur zu Schulentwicklung fokussiert oft auf ein Lernen aus Misserfolgen (Faulstich, 2014; Schechter et al., 2004), das Fortschritte bewirken kann, aber sich langfristig nicht unbedingt als beste Strategie erweist, denn damit werden andere Lernmöglichkeiten ausgeschlossen (Karsten et al., 2000; Schechter et al., 2004). Eine Studie von Grützmacher et al. (2023) hat ergeben, dass Schulen auf unterschiedliche Weise an Schulentwicklungsprozesse angehen und vorantreiben. Während manche Schulen ihr Entwicklungsprozesse hauptsächlich auf eigenen Stärken ausrichten, orientieren sich andere Schulen hauptsächlich an eigenen Schwierigkeiten, Herausforderungen und/oder keinem dieser Aspekte. Wie erfolgreich einzelne Herangehensweisen sind, lässt sich zum Beispiel anhand der Veränderungen in Outcomes auf Seiten der Schüler*innen beurteilen (z.B. intrinsische Motivation, schulisches Wohlbefinden). Dadurch können Wirkungen unterschiedlicher Herangehensweisen zwischen Schulen verglichen werden. Entsprechend untersucht die vorliegende Studie die Effektivität von Profilen der Schulentwicklung. Die Forschungsfrage lautet: Haben unterschiedliche Orientierungen der Schulen (Volks- und Mittelschulen in Österreich) zur Ausrichtung ihrer Schulentwicklung (an Stärken, Schwierigkeiten, Herausforderungen und/oder keinem dieser Aspekte) einen Effekt auf die Veränderung der intrinsischen Motivation und des schulischen Wohlbefindens ihrer Schüler*innen? Methode Die Stichprobe umfasst 2752 Schüler*innen in 100 Schulen in sozial deprivierter Lage in Österreich (55 Volksschulen/ 45 Mittelschulen). Die intrinsische Motivation wurde mit drei Items auf einer 5-stufigen Likertskala (Gaspard et al., 2021; ωT1=.94 , ωT2=.94) zu zwei Messzeitpunkten gemessen. Das schulische Wohlbefinden wurde mit der EPOCH-S-Skala erhoben. Deren Subskalen Engagement, Beharrlichkeit, Optimismus, Zugehörigkeitsgefühl und positive Gefühle wurden jeweils mit drei Items auf einer 5-stufigen Likertskala zu zwei Messzeitpunkten gemessen (Buerger et al., 2023 ; ωT1=.87 , ωT2=.89). Die Profile zur Orientierung der Schulentwicklung wurden mit einem Mixed-Method-Ansatz ermittelt: Die qualitativen Daten zu selbstberichteten Stärken, Schwierigkeiten, Herausforderungen und Entwicklungsperspektiven wurden mit einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet, aufbereitet und eine Profilanalyse getrennt nach Schulformen in Mplus durchgeführt (Grützmacher et al., 2023). Um die Forschungsfragen dieser Studie zu beantworten, wurde eine Mehrebenenregression in Mplus durchgeführt, in der der Slopeparameter durch die Gruppenzugehörigkeit, die sich aus der Profilanalyse ergeben hat, vorhergesagt wird. Ergebnisse & ihre Bedeutung Für die Volksschulen (Primarstufe) zeigt sich, dass sich Schüler*innen, deren Schule sich im Schulentwicklungsprozess hauptsächlich an den Schwierigkeiten orientiert (Profil C), bezogen auf die Beharrlichkeit einen größeren Zuwachs aufweisen als die anderen Profilgruppen (B=.014, SE=.006, p=.013). Schüler*innen, deren Schule sich hauptsächlich an den Stärken orientiert (Profil D), zeigen einen geringeren Zuwachs bezogen auf die intrinsische Motivation als die anderen Profilgruppen (B=-.016, SE=.008, p=.031). Für die Mittelschulen (Sekundarstufe) zeigt sich, dass sich Schüler*innen, deren Schule sich im Schulentwicklungsprozess hauptsächlich an den Stärken und Schwierigkeiten orientiert (Profil B), bezogen auf das Zugehörigkeitsgefühl einen geringeren Zuwachs haben als die anderen Profilgruppen (B=-.012, SE=.004, p=.006). Schüler*innen, deren Schule sich hauptsächlich an den Herausforderungen orientiert (Profil C), bezogen auf die Beharrlichkeit einen geringeren Zuwachs aufweisen als die anderen Profilgruppen (B=.014, SE=.006, p=.013). Schüler*innen, deren Schule sich hauptsächlich an den Schwierigkeiten und Herausforderungen orientiert (Profil E), bezogen auf das Engagement (B=.006, SE=.002, p=.010) und die intrinsische Motivation (B=.011, SE=.005, p=.030) einen größeren Zuwachs aufweisen als die anderen Profilgruppen. Die Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass einige dieser Profile effektiver sind als andere. Die Orientierung im Schulentwicklungsprozess allein reicht jedoch noch nicht aus, um mehr oder weniger gelingende Schulentwicklung erklären zu können. Daher sollten in einem weiteren Schritt schulische Prozesse in den Analysen berücksichtigt werden. In dem komplexen Wirkungsgeflecht von Schulentwicklung sind außerdem unterschiedliche Ausgangslagen und Zugänge zur Schulentwicklung zu berücksichtigen. Das spricht gegen one-fits-all Maßnahmen zur Schulentwicklung. Vielmehr müssen spezifische Entwicklungsperspektiven ausgearbeitet werden, die auf die besondere Situation der Schule zugeschnitten sind. Umgang mit Heterogenität im Unterricht: Kann unterstützendes Lehrpersonenhandeln Vorwissenseffekte kompensieren? Theoretischer Hintergrund Lernende bringen unterschiedliche Lernvoraussetzungen in den Unterricht mit. Eine zentrale Lernvoraussetzung mit bedeutsamem Einfluss auf den Lernerfolg ist das inhaltliche Vorwissen (z.B. Whitherby & Carpenter, 2021). Der Zusammenhang zwischen Vorwissen und Lernerfolg kann teilweise durch Unterschiede in der Nutzung metakognitiver Strategien erklärt werden (z.B. Mihalca & Mengelkamp, 2020; Pintrich & Zusho, 2002). Diese werden von Schülerinnen und Schülern mit hohem Vorwissen effizienter zur Steuerung des Lernprozesses eingesetzt (Veenman, 2016; Veenman, Hout-Wolters & Afflerbach, 2006). Dementsprechend erfordert ihre Nutzung bei hohem Vorwissen weniger kognitive Kapazitäten, die stattdessen in den inhaltlichen Lernprozess investiert werden können (z.B. Seufert, 2018). Wir vermuten daher, dass durch eine gezielte Unterstützung bei der Planung, Überwachung und Evaluation des Lernprozesses, der Nachteil, den Lernende mit geringem Vorwissen mitbringen, zumindest teilweise kompensiert werden könnte. Methode Zur Überprüfung der Hypothese wurden das Vorwissen und der Lernerfolg von 573 Lernenden (49% weiblich, MAlter: 8.8 Jahre; SD = 0.50) aus 36 Klassen vor und nach einer vorstrukturierten Unterrichtseinheit getestet. Der Prätest bestand aus 16 Items (EAP-Reliabilität = .52), der Posttest aus 13 Items (EAP-Reliabilität = .70). Zusätzlich wurde vor der Unterrichtseinheit die naturwissenschaftliche Kompetenz der Schülerinnen und Schüler mit einem aus TIMSS 2007 adaptierten Test erhoben. Zur Erfassung der Unterstützung metakognitiver Strategien durch die Lehrperson wurde pro Klasse eine Unterrichtsstunde videographiert und mittels eines hochinferenten Ratings ausgewertet. Das Rating umfasste drei Items (Unterstützung bei der Planung, Überwachung und Evaluation des Lernprozesses), die von zwei unabhängigen, geschulten Ratern auf einer vierstufigen Skala bewertet wurden. Die Übereinstimmung zwischen den Ratern war zufriedenstellend (> .76%). Die Auswertung der Daten erfolgte mittels Mehrebenen-Regressionsanalysen (Raudenbush & Bryk, 2010). Auf Individualebene wurde das Vorwissen (zentriert am Gruppenmittelwert) als Prädiktor für den Lernerfolg verwendet und für die naturwissenschaftliche Kompetenz auf Klassen- und Individualebene kontrolliert. Auf Klassenebene wurden die Ratingitems zur Unterstützung von Planung, Monitoring und Evaluation als Prädiktor für den Lernerfolg sowie für den Zusammenhang zwischen Vorwissen und Lernerfolg verwendet. Zur näheren Untersuchung möglicher Moderationseffekte wurden Simple-Slope-Analysen durchgeführt und Johnson-Neyman-Plots ausgewertet. Alle Analysen wurden in R (R Core Team, 2022) unter Verwendung der Pakete lmerTest (Kuznetsova, Brockhoff, Christensen, 2017) und Interactions (Long, 2019) durchgeführt. Ergebnisse und Diskussion Erwartungsgemäß konnte ein positiver Zusammenhang zwischen dem Vorwissen und dem Lernerfolg identifiziert werden (β = .28, SE = .04, p < .001). Ein direkter Zusammenhang mit dem Lernerfolg konnte lediglich für die Unterstützung der Planung identifiziert werden (β = .10, SE = .05, p = .039). Gemäß unserer Hypothese wurde der Zusammenhang zwischen Vorwissen und Lernerfolg negativ durch die Unterstützung bei der Überwachung (β = -.07, SE = .04, p = .05) und der Evaluation des Lernprozesses (β = -.08, SE = .04, p = .044) moderiert, nicht jedoch durch die Unterstützung bei der Planung. Die Ergebnisse der Simple-Slope Analysen und die Johnson-Neyman-Plots zeigen, dass mit zunehmender Unterstützung bei der Überwachung bzw. der Evaluation des Lernprozesses die Bedeutung des Vorwissens für den Lernerfolg abnimmt. Eine Ursache für die unterschiedlichen Ergebnisse könnte in der zeitlichen Abfolge der metakognitiven Prozesse im Lernprozess liegen. Die Planung findet vor der inhaltlichen Bearbeitung der Aufgabe statt, also zu einem Zeitpunkt, zu dem noch wenige kognitive Kapazitäten für die eigentliche Aneignung der Inhalte benötigt werden. Daher könnten alle Lernenden gleichermaßen von einer intensiven Unterstützung profitieren. Jedoch finden die Überwachung und Evaluation des Lernprozesses parallel zur inhaltlichen Auseinandersetzung statt und beanspruchen somit kognitive Kapazitäten der Lernenden. Daher könnten insbesondere Lernende mit geringem Vorwissen von einer angemessenen Unterstützung bei der Überwachung und Evaluation profitieren. Somit kann eine gezielte, den Lernprozess begleitende Unterstützung helfen, dem heterogenen Vorwissen von Schülerinnen und Schülern konstruktiv zu begegnen. |
10:30 - 12:10 | 4-03: Studienunabhängige Lehrtätigkeit im Kontext von Lehrkräftemangel – Empirische Befunde aus Deutschland und Österreich Ort: H03 |
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Symposium
Studienunabhängige Lehrtätigkeit im Kontext von Lehrkräftemangel – Empirische Befunde aus Deutschland und Österreich Das eingereichte Symposium widmet sich verschiedenen Auswirkungen des Früheinstiegs von Lehramtsstudierenden in den Schuldienst als Maßnahme gegen den akuten Lehrkräftemangel. Der Lehrkräftemangel ist nicht nur ein relevantes Thema für die Bildungsforschung. Auch die Lehramtsausbildung und die Bildungspolitik wird in den kommenden Jahren weiterhin mit dieser Herausforderung konfrontiert sein. Auswirkungen der neuen Maßnahme Früheinstieg gegen den Lehrkräftemangel wurden bisher noch nicht untersucht. Dieser relevanten Forschungslücke widmen sich die drei Beiträge von unterschiedlichen Perspektiven. In Österreich wird der Früheinstig bereits seit einigen Jahren durchgeführt. Daher geben zwei Beiträge einen Einblick in Auswirkungen in Österreich (Kampa sowie Helm & Hagenauer). Diese beiden Beiträge werden als Diskussionsgrundlage für aktuelle Entwicklungen im deutschen Schulsystem herangezogen. Ein zweiter Beitrag gibt wiederum den ersten Einblick zur Situation in einem deutschen Bundesland (Winter et al.), so dass es möglich wird, erste Parallelen bezogen auf die Bedingungen und Auswirkungen zu ziehen. Im ersten Beitrag werden die Auswirkungen des Früheinstiegs auf die Professionalisierung der angehenden Lehrkräfte in Österreich untersucht. Er macht deutlich, dass der Früheinstieg verschiedenste negative Auswirkungen auf u.a. die Einstellung zur Theorie-Praxis-Verzahnung, die Freude am Studium oder die Einschätzungen der Studierenden bezüglich ihrer Kompetenzen hat. Weitere Analysen fokussieren auf einen Vergleich von Studierenden, die ein Stundendeputat und eine Betreuung gemäß den SWK-Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel (SWK, 2023) haben, im Vergleich zu Studierenden, die diese Unterstützung an ihren Einsatzschulen nicht erhalten. Dieser Vergleich zeigt, dass nur ein geringer Teil der negativen Auswirkungen auf die Professionalisierung durch Einhaltung dieser Empfehlungen abgefangen werden kann. Somit liefert der Beitrag eine explizit bildungspolitische Perspektive für den aktuellen Diskurs. Der zweite Beitrag widmet sich stärker den Anforderungen und Ressourcen auf Basis des Job Demands-Resources Modells (Bakker & Demerouti, 2014) im Zusammenhang mit der Doppelrolle von Früheinsteiger:innen. Während die Anforderungen Belastungserleben begünstigen, setzen Ressourcen motivationale Prozesse frei. Der Beitrag unterstreicht, dass die Studierenden in ihrer Doppelrolle eine starke Belastung wahrnehmen. Die Studierenden nehmen das Studium allerdings als eine stärkere Belastung war als den frühzeitigen Einsatz im Schuldienst. Positiv wirken sich soziale Ressourcen aus, zu welchen die Unterstützung im Kollegium zählt. Die Ergebnisse decken sich mit bzw. komplementieren damit die Befunde des ersten Beitrags. Zum einen zeigt auch dieser Beitrag, die erhöhte Belastung von Früheinsteiger:innen. Zum anderen begünstigen die Unterstützungsstrukturen im Kollegium (wie z.B. ein Mentoring) die Motivation der Studierenden. Es wird erneut deutlich, dass sich der Früheinstieg negativ auf den Studienerfolg auswirken kann. Mit dem dritten Beitrag lenkt das Symposium den Blick nach Deutschland. Die hier vorgestellte Studie stellt die erste Untersuchung der Maßnahme Früheinstieg gegen den Lehrkräftemangel in Deutschland dar. Somit ist für ein Bundesland erstmals eine Bestandaufnahme zum Ausmaß des Einsatzes von Früheinsteiger:innen möglich, sodass eine Diskussion der Vergleichbarkeit und somit Relevanz der österreichischen Studien für den deutschen Kontext ermöglicht wird. Die Studie gibt zunächst einen deskriptiven Einblick in das Ausmaß und die Tätigkeiten der Studierenden an Schulen. Der prozentuale Anteil von Studierenden ist hierbei in beiden Ländern (Österreich und Niedersachsen) durchaus vergleichbar. Die Früheinsteiger:innen unterrichten jedoch mit einem geringeren Stundendeputat. Die Studie zeigt, dass die Empfehlungen der SWK (2023) in Niedersachsen derzeit nur bedingt eingehalten werden. So gaben nur ungefähr ein Drittel der studentischen Vertretungslehrkräfte an, bei der Tätigkeit betreut zu werden. Weiterhin unterrichten rund zwei Drittel der Lehramtsstudierenden fachfremd. Die Beschreibung macht deutlich, dass das Symposium insbesondere von dem Einblick in zwei Länder zu einer Maßnahme gegen den akuten Lehrkräftemangel profitiert. Sie geben Aufschluss auf die vielfältigen Herausforderungen in der Schule, aber eben auch bezogen auf das Studium und die Professionalisierung der zukünftigen Lehrkräfte. Beiträge des Symposiums Auswirkungen des Früheinstiegs auf die Professionalisierung von Lehrkräften Der Lehrkräftemangel ist sowohl eine aktuelle Herausforderung im Bildungswesen (z.B. Der Standard, 2023), als auch ein wiederkehrendes Phänomen (Boecker & Drahmann 2016). Prognosen lassen jedoch vermuten, dass die Bildungspolitik in den kommenden Jahrzehnten mit einer Verschärfung der Situation konfrontiert sein wird (Klemm, 2022). Der Lehrkräftemangel hat zu vielfältigen bildungspolitischen Maßnahmen geführt. Neben dem Quer- und Seiteneinstieg zum sogenannten Früheinstieg: dem vermehrten Einsatz von Lehramtsstudierenden im Bachelor und Master während ihres Studiums an Schulen. Welche (nicht) intendierten Auswirkungen diese Maßnahme hat, ist noch nicht zufriedenstellend untersucht. Lediglich für die Schweiz liegen erste Studien vor (Bäuerlein et al., 2018; Kreis & Güdel, 2023; Scheidig & Holmeier, 2021). Dort arbeitete rund die Hälfte der Studierenden mit durchschnittlich 12 Stunden pro Woche an Schulen, die Hälfte fachfremd. Nur 18 % der Studierenden geben an, bei ihrer studienunabhängigen Tätigkeit in der Schule betreut zu werden. Lag eine Betreuung vor, hatte dies positive Auswirkungen auf deren Informiertheit und den erkundenden Charakter ihrer Tätigkeit (Bäuerlein et al., 2018). Die Studierenden übernehmen neben ihrer Unterrichtstätigkeit Aufgabenfelder wie Betreuung und integrative Förderung (Kreis & Güdel, 2023). Negative Auswirkungen auf die Einschätzungen des Studiums lassen sich nur in einem sehr geringen Ausmaß finden (Scheidig & Holmeier, 2021). In den Empfehlungen „Zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel“ die Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK, 2023) in Deutschland wird unter bestimmten Bedingungen der Einsatz von Studierenden zur Unterstützung des Lehrpersonals als eine Maßnahme benannt. Die Bedingungen umfassen u. a. ein Minimum von 10 Unterrichtsstunden sowie die Arbeit zusammen mit einer*einen Mentor*in an der Schule. Wir haben mit unserer Studie die Möglichkeit, diese Bedingungen in Österreich auf deren Auswirkungen auf verschiedenste Qualitätsmerkmale der Professionalisierung hin zu prüfen und untersuchen: In welchem Umfang werden die Studierenden an den Schulen eingesetzt? Hat eine Anstellung negative Auswirkungen auf das Stressempfinden und eine qualitätsvolle Professionalisierung? Führen die beschriebenen Bedingungen der SWK-Empfehlungen zur Abpufferung dieser negativen Auswirkungen? Im Frühjahr 2023 wurde die Online-Fragebogenstudie „Studium & Schule“ an neun Universitäten und Pädagogischen Hochschulen in Österreich durchgeführt. Dies führte zu Daten von 1643 Lehramts-Studierenden, von denen bereits 618 als Lehrkraft arbeiteten. Die Studierenden beantworteten bereits bestehende (z.B. PALEA) Fragekomplexe zu deren Unterrichtstätigkeit, zur Einschätzung bezüglich ihres Studiums sowie zu deren Einsatz in den Schulen. Bezüglich der möglichen negativen Auswirkungen sowie der Abpufferung durch Einhaltung der SWK-Empfehlungen führten wir für Indikatoren zu den drei Themenkomplexen mit t-Tests (Studierende mit vs. ohne Früheinstieg) und Regressionsanalysen (nur Früheinsteiger*innen) durch. Unabhängige Variablen waren Anzahl der Stunden (weniger vs. mehr als 10) sowie die Bereitstellung einer:eines Mentor:in an der Schule In Österreich werden die Studierenden mit durchschnittlich 16 Unterrichtsstunden angestellt (SD = 6), was zu einer wöchentlichen Gesamtarbeitszeit von 33 Stunden führt (SD = 16). Die t-Tests zeigten, dass die Früheinsteiger:innen bezüglich aller Indikatoren negativere Angaben machten. Die Regressionsanalysen zeigten jedoch, dass eine Anstellung mit 10 oder weniger Stunden (im Vergleich zu mehr als 10 Stunden) das Stresserleben (β=.15) verringert. Die Bereitstellung einer:eines Mentor:in von Seiten der Schule wirkt sich positiv auf die Selbstwirksamkeit im Beruf der Früheinsteiger*innen (β=.12), die kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit dem Lehrberuf (β=.11) sowie auf die Motivation, im Beruf zu bleiben (β=.09) aus. Kein Abpuffern ergab sich für die Indikatoren Verständnis des Theorie-Praxis-Verhältnisses, Sicherheit der Berufswahl, Freude am Studium, eigene Einschätzung der Kompetenzen im Fach, Interesse an den Bildungswissenschaften sowie Einschätzungen zum eigenen Umgang mit Herausforderungen. Die Studierenden werden somit in Österreich mit größerem Stundenumfang als von der SWK empfohlen angestellt. Die Tätigkeit wirkt sich wiederum negativ auf die Professionalisierung aus. Diese kann nur teilweise durch die Bedingungen, wie sie von der SWK formuliert wurden, abgepuffert werden. Auf der Tagung werden diese Ergebnisse bezüglich des Einsatzes von Studierenden an Schulen diskutiert. Anforderungen und Belastungen von Lehramtsstudierenden im Schuldienst Forschungsfrage Steigende Pensionierungen, Schüler*innenzahlen und Teilzeitbeschäftigungen führen aktuell auch in Österreich zu einem deutlichen Mangel an Lehrkräften (Huber et al., 2023). Dieser führte dazu, dass bereits jeder zweite Bachelorstudierende an einer Schule unterrichtet. Aufbauend auf das Job Demands-Resources Modle (JD-R) untersucht die Befragungsstudie, jene Anforderungen, Belastungen, Ressourcen und Motivationen die Studierende erleben, wenn sie ihre doppelte Rolle als Studierende und Lehrer*innen ausbalancieren. Theoretischer Rahmen Das der Studie zugrunde gelegte JD-R (Bakker & Demerouti, 2014) beschreibt zwei parallel ablaufende Prozesse: Einerseits wird angenommen, dass Anforderungen die Belastung erhöhen und somit durch Erschöpfung zu gesundheitlichen Einbußen führen. Andererseits wird angenommen, dass Ressourcen einen motivationalen Prozess hervorrufen und damit einen positiven Einfluss auf die Gesundheit ausüben (Bakker & Demerouti, 2007). Weiters wird davon ausgegangen, dass Anforderungen und Ressourcen nicht nur einen eigenständigen Einfluss auf das Wohlbefinden und die Zufriedenheit von Personen haben, sondern auch miteinander interagieren, d.h. sich gegenseitig beeinflussen (Bakker & Demerouti, 2014). In der vorliegenden Studie werden die Annahmen des JD-R Modells im Kontext des frühzeitigen Berufseinstiegs von angehenden Lehrkräften empirisch geprüft. Methode An der Onlinebefragung nahmen 484 Lehramtsstudierende im Studienverbund Mitte (Oberösterreich/Salzburg) teil. 296 Studierende gaben an, als Lehrkraft in einer Schule tätig zu sein (43% Bachelorstudierende, durchschnittliche Lehrverpflichtung an der Schule: 15,42 Stunden bzw. ~75%-Anstellung). Der Onlinefragebogen enthielt Selbsteinschätzungsskalen zu den wahrgenommenen Anforderungen und Belastungen, den Ressourcen und der Motivation für den Lehrer*innenberuf sowie zum allgemeinen Wohlbefinden. Die Prüfung des JD-R erfolgt mittels Strukturgleichungsmodellierung. Ergebnisse Die univariaten Analysen zeigen, dass die Doppelrolle von den Studierenden als sehr belastend wahrgenommen wird, wobei die Anforderungen im Studium als signifikant belastender bewertet werden als jene im Schuldienst. Rund 60% der Befragten fühlen sich durch das Studium ausgebrannt; während sich nur 17% durch den Schuldienst ausgebrannt fühlen. Im Schuldienst selbst wird die fehlende Schülermotivation und -disziplin als stärkste Herausforderung beschrieben. Hinsichtlich der Ressourcen zur Bewältigung dieser Anforderungen werden von den Studierenden soziale Ressourcen (Lehrerkollegium, Familie) hervorgehoben. Aber auch die Wahrnehmung der schulischen Arbeit als sinnstiftend und wertschätzend hilft beim Bewältigen der Anforderungen. Die multivariaten SEM-Analysen bestätigen die Annahmen des JD-R: Berichtete Anforderungen im Schuldienst und Studium sagen die wahrgenommenen Belastungen in eben diesen beiden Bereichen signifikant vorher (β = .504**/.475**). Gleichzeitig sind die im Schuldienst und Studium erlebten Ressourcen prädiktiv für die berichtete Motivation (β = .838**/.872**). Schließlich sagt die Motivation die Zufriedenheit der Studierenden im Studium und im Schuldienst vorher (β = .754**/.385**), während die Belastung widererwarten nicht im Zusammenhang mit der Zufriedenheit steht. Auch das allgemeine Wohlbefinden der Studierenden wird ausschließlich von den berichteten Anforderungen im Schuldienst und Studium vorhergesagt (β = -.418**/-.568**), nicht aber von den anderen JD-R-Komponenten. Diskussion Die Studienergebnisse legen nahe, dass Studierende zwar hoch motiviert ihrer Tätigkeit als Lehrperson nachgehen, sie aber gleichzeitig auch durch die zu erfüllende Doppelrolle überfordert sind. Dies deckt sich mit der TALIS-Studie (Schmich et al., 2020). Im Einklang mit bestehenden Studien (Hagenauer et al., 2018; Núñez-Regueiro et al., 2023; Scheidig & Holmeier, 2022) zeigt sich, dass Studierende, die bereits im Schuldienst tätig sind, das Studium als sehr belastendes Moment einstufen, während die schulischen Erfahrungen überwiegend als Ressource wahrgenommen werden. So fühlt sich ein hoher Anteil als „kompetent“ im Schuldienst, was sich mit der Studie von Bach & Hagenauer (2022) deckt. Gezielte Maßnahmen sind notwendig: (1) Das Zeitmanagement beim Berufseinstieg sollte besser vermittelt werden, da Erwartungen und Realität oft stark abweichen. (2) Das Ausmaß der Unterrichtstätigkeit, die berufsbegleitend ermöglicht wird, sollte begrenzt werden. (3) Hochschulen müssen durch digitale Formate und Anerkennung von Praxiserfahrungen flexibler werden. (4) Zudem sollten Hochschulen die Integration von Theorie in die Praxis forcieren. (5) Schließlich ist soziale Unterstützung beim Berufseinstieg entscheidend (Prenzel et al., 2021). Unterrichten neben dem Studium. Eine Bestandsaufnahme hinsichtlich der studienunabhängigen Vertretungslehrkrafttätigkeit von Lehramtsstudierenden in Niedersachsen Zur Bewältigung des akuten Lehrkräftemangels empfiehlt die SWK (2023) die Entlastung und Unterstützung der Lehrkräfte durch Studierende sowie weitere formal nicht (vollständig) qualifizierte Personen. Genauer empfiehlt die SWK (2023) die Übernahme bestimmter Aufgaben von Lehrkräften durch Lehramtsstudierende mit ausreichender Qualifizierung und Begleitung, wie beispielsweise die Korrektur von Leistungsüberprüfungen. Zudem soll sich die Einstellung auf die Studierenden, die sich bereits im Master befinden, beschränken und einen Umfang von 10 Unterrichtsstunden pro Woche nicht überschreiten. Weiterhin wird eine Definition klarer Anforderungsprofile für einen konkreten Einsatz sowie die Zuordnung jedes unterrichtenden Lehramtsstudierenden zu einer erfahrenen Lehrkraft zur gemeinsamen Planung des Unterrichts (Mentoring) empfohlen. Lehramtsstudierende, die sich erst im Bachelor befinden, sollen demnach ausschließlich assistierende Funktionen in unmittelbarer Regie einer Lehrkraft ausüben (SWK 2023). In den Empfehlungen zur Begegnung des akuten Lehrkräftemangels der SWK (2023) wird im gleichen Zuge auch angegeben, dass über Lehramtsstudierende, die bereits als Vertretungslehrkräfte an Schulen tätig sind, bislang kaum etwas bekannt sei. Zudem sei auch über den spezifischen Einsatz sowie die Unterstützung der Vertretungslehrkräfte wenig bekannt. So sei weder klar, wie viele Studierende eigenverantwortlich unterrichten, noch in welchem Ausmaß und in welchen Fächern sie dies tun oder, ob sie dabei betreut werden (vgl. SWK 2023). Daher hatte die vorliegende explorative Studie zum Ziel, einen erstmaligen und differenzierten Einblick in die aktuelle Beschäftigungssituation von Studierenden an Schulen in Niedersachsen vorzunehmen. In diesem Beitrag folgt nach einer Bestandsaufnahme vorliegender (inter-)nationaler empirischer Befunde eine Darstellung des Studiendesigns sowie ausgewählter Befunde zu der Tätigkeit innerhalb der Schule neben dem Studium. Dabei wurden folgende Forschungsfragen untersucht: 1. Wie viele Studierende arbeiten während des Studiums in welchem Umfang, unter welchen Bedingungen und mit welchen Tätigkeiten in der Schule? a) Inwieweit unterrichten Studierende fachfremd? b) Welche Betreuung erhalten Studierende? c) In welchem Stadium im Hinblick auf den professionsspezifischen Studienfortschritt befinden sich die studentischen Vertretungslehrkräfte im Studium? 2. Wie schätzen Studierende die Wirkung ihrer Unterrichtstätigkeit neben dem Studium auf ihren Professionalisierungsprozess ein? 3. Unterscheiden sich Studierende mit und ohne Tätigkeit in der Schule hinsichtlich der Sicherheit, später als Lehrkraft tätig sein zu wollen? Die Daten wurden im Wintersemester 2022/2023 an sechs Hochschulen oder Universitäten im Bundesland Niedersachsen erhoben. Es handelte sich um eine freiwillige Online-Befragung, an der insgesamt 943 Studierende teilnahmen. Der Fragebogen enthielt teils bestehende, teils adaptierte, teils neu entwickelte und validierte Skalen und Items zu u. a. den folgenden Aspekten: soziodemografische Angaben der Studierende, Angaben zum Studium, Angaben zur Erwerbstätigkeit (außerhalb und innerhalb der Schule), Informationen zur Tätigkeit innerhalb der Schule, Angaben zur Zukunft. Die Ergebnisse zeigen, dass von 943 Studierenden 35 Prozent einer Tätigkeit innerhalb der Schule nachgehen. Von den 325 Studierenden mit Schultätigkeit sind 58 Prozent als Vertretungslehrkraft tätig (n = 189, Stunden/Woche im Semester: M = 11.53, SD = 5.58). Dabei gaben 35 Prozent der studentischen Vertretungslehrkräfte an, ausschließlich in ihren Studienfächern zu unterrichten. Folglich unterrichten rund zwei Drittel der studierenden mindestens in einem Fach fachfremd. Darüber hinaus gab ein Drittel an, bei der Tätigkeit als Vertretungslehrkraft betreut zu werden. Die studentischen Vertretungslehrkräfte schätzen den Profit von der Tätigkeit als Lehrkraft für das Studium hoch ein, wobei sie den Profit von ihrem Studium für die Tätigkeit in der Schule moderat einschätzen. Studierende, die als Vertretungslehrkraft tätig sind, und solche, die es nicht sind, unterscheiden sich bei Kontrolle von Alter, Geschlecht und Hochschulsemester signifikant in der Sicherheit, später als Lehrkraft tätig sein zu wollen (M = 1.26, SD = 0.61 vs. M = 1.49 , SD = 0.77; F(1, 910) = 18.82, p < .001, ηp2 = 0.02). |
10:30 - 12:10 | 4-04: Antecedents and Processes for Well-being in Schools: New Longitudinal Evidence Ort: H02 |
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Symposium
Antecedents and Processes for Well-being in Schools: New Longitudinal Evidence Over a decade, well-being has received attention in education. The recent COVID-19 pandemic has made the topic of well-being in schools even more prominent. Schools are key environments to promote not only student well-being, but also teacher well-being. Most recently, the European Commission underscored the importance of a whole-school approach to promoting the well-being of everyone in schools (Cefai et al., 2021). Theoretically, school climate is highly related to teacher well-being, influencing students’ learning and well-being outcomes (Braun et al., 2019; Dicke et al., 2020; Klusmann et al., 2008). However, how teacher well-being is longitudinally related to students’ learning and well-being outcomes is less explored. Moreover, recent scholars introduced a new framework of social-emotional competences (Chernyshenko et al., 2018; Schoon, 2021). Yet, it is unclear how this new theoretical framework aligns with earlier frameworks to predict students’ well-being systematically. Besides, the recent COVID-19 studies have addressed less how school environments are longitudinally related to student well-being during the pandemic. As a result, current evidence still limits our understanding of salient predictors and potential mechanisms to explain student and teacher well-being from a longitudinal perspective. To address the current research gap, we will adopt a whole-school and longitudinal perspective to advance our knowledge about potential antecedents and processes to explain student and teacher well-being in this symposium. The first study examines how the quality of teacher-student interactions reported by teachers and students could longitudinally explain relationships between teachers’ emotional exhaustion and job satisfaction and students’ motivation and achievement outcomes in Germany. The second study investigates the longitudinal predictions of social-emotional characteristics (i.e., competences) on school-related and general academic and well-being outcomes from the end of lower secondary school to the first year of upper secondary school in Germany. The third study examines the longitudinal relationship between students’ perceptions of school experiences and affective and cognitive well-being during the COVID-19 pandemic in Luxembourg. All studies have a longitudinal design and focus on diverse populations and situations and multiple aspects of well-being in the school context. This symposium will provide a multidimensional and comparative view to add theoretical and practical insights into antecedents and processes of well-being in schools. It will inform the EU’s Pathways to School Success Initiative, which aims to promote better educational and well-being outcomes for learners and educators in schools. Beiträge des Symposiums The Association between Teacher Well-Being, Teacher-Student Interaction and Students’ Development: Evidence from a Three-Wave Longitudinal Study Burnout and job satisfaction represent two important aspects of teachers’ occupational well-being, which is of particular interest with regard to increasing teacher shortage worldwide (OECD, 2005; UNESCO Institute for Statistics, 2016), high attrition rates (den Brok et al., 2017; Lindqvist et al., 2014), and frequent incapacity to work due to mental and physical illness (Seibt et al., 2009; Simone et al., 2016). From a theoretical perspective, teachers’ occupational well-being is thought to affect the quality of teacher-student interactions and students’ cognitive-motivational development (Jennings & Greenberg, 2009). For instance, according to the broaden-and-build theory (Fredrickson, 2001), high levels of occupational well-being (e.g., job satisfaction) likely foster individual resources (e.g., time, energy, empathy, care), which enable teacher to create positive, effective and cognitively activating learning environments, promoting student motivation and successful learning. In turn, teachers experience high levels of emotional exhaustion likely have less emotional, social and cognitive resources available for accomplishing the various tasks of the teaching profession (Bakker & Costa, 2014; Hobfoll, 1989; Maslach & Leiter, 1999). Likewise, teachers’ well-being might directly affect students through emotional contagion (Frenzel et al., 2021; Oberle & Schonert-Reichl, 2016; Tikkanen et al., 2021). Numerous cross-sectional studies documented this association (Arens & Morin, 2016; Gastaldi et al., 2014; Klusmann et al., 2022). However, longitudinal evidence is scarce and focused on individual paths of the hypothesized mediating process (Shen et al., 2015). Therefore, this study aimed to investigate data of N = 45 teachers and their students (N = 806) from a three-wave longitudinal study to test the mediating role of teacher- and student-reported quality of teacher-student interactions (i.e., emotional support, classroom management and instructional support) for the predictive effect of teachers’ emotional exhaustion and job satisfaction – two key aspects of teachers’ occupational well-being – on students’ motivation and achievement. In doing so, we extend previous research not only by testing the complete meditation model longitudinally, but also by considering multiple dimensions of teachers’ occupational well-being and accounting for a wide variety of interaction- and student outcomes. Preliminary analyses revealed significant association consistent with our expectations between teachers’ preceding well-being, in terms of job satisfaction and emotional exhaustion, and student-rated quality of classroom management and instructional support at the following measurement point. For teachers’ self-report only, cross-sectional relationships emerged between teachers’ well-being and classroom management. While no significant relationship emerged between teachers’ well-being and students’ outcomes, the preliminary analyses suggested a significant positive link between emotional support and classroom management at the previous measurement point and subsequent student motivation (i.e., utility value and self-concept) for both teachers’ self-report and student ratings. For students’ achievement, significant positive associations were only found for teachers rated emotional support, classroom management and instructional support. According to the pre-registration (https://osf.io/npk8c), we will conduct full longitudinal mediation models to investigate whether teacher- and student-rated quality of teacher-student interactions (emotional support, classroom management, and instructional support) at the second measurement point mediates the relationship between teachers’ occupational well-being (i.e., emotional exhaustion and job satisfaction) in the beginning of the school year and students’ motivation and achievement at the third measurement point (Little et al., 2009). Because our data has a multi-level structure (i.e., students nested within teachers), we will address this structure in our analyses (Preacher et al., 2010; Raudenbush & Byrk, 2002). In doing so, we will control for prior levels of the quality of teacher-student interactions (at least for teachers’ self-reports) and students’ outcomes. The findings will be discussed with regard to theoretical and practical implications, study limitations, and avenues for future research. The Longitudinal Predictions of Social-Emotional Characteristics on School-Related and General Academic and Well-being Outcomes among Secondary School Students Educationalists, psychologists, and economists have agreed that social-emotional characteristics are essential to students’ successful life outcomes (Duckworth & Yeager, 2015; Heckman & Kaut, 2012). The core domains of social–emotional characteristics can be organized based on three psychological needs in the Self-Determination Theory (SDT): (a) task-orientation (competence), (b) self-orientation (autonomy), and (c) other-orientation (relatedness) (Ryan & Deci, 2000; Schoon, 2021). Based on the contextual aspect of the SDT, social-emotional characteristics might not contribute to different outcomes uniformly as different outcomes are associated with distinct goals and life experiences (Ryan & Deci, 2000). This leads to the question of how social-emotional characteristics are related to two important outcomes — academic and well-being outcomes — for secondary school students. Also, whether the predictions of social-emotional characteristics are similar between general and school-related academic and well-being outcomes. This conceptualization of social-emotional characteristics can map into main components in the Expectancy-Value Theory (EVT) to explain the predictions of social-emotional characteristics on school-related and general academic outcomes (Eccles et al., 1983). The EVT posits that expectancy beliefs, values, general self-schema and socialization are linked to school-related and general academic outcomes. Expectancy beliefs (self-orientation domain) and value (task-orientation domain) directly influence school-related and general academic outcomes; general self-schema and socialization processes have more distant influences on school-related and general academic outcomes. Regarding the predictions of social-emotional characteristics on well-being, during the period of secondary school, students are particularly in need of strong competence, autonomy and relatedness to foster their development (Eccles et al., 1993; Erikson, 1968). Moreover, given that establishing a coherent self-identity is an important developmental task for students, social interactions with others play an important role in helping students shape their identities, which leads to better well-being (Eccles et al., 1993; Erikson, 1968). Thus, social-emotional characteristics in the self-orientation and other-orientation domains might strongly predict general and school-related well-being. So far, no longitudinal study investigated the joint predictions of social-emotional characteristics from multiple domains on school-related and general academic and well-being outcomes (Guo et al., 2023; Soto et al., 2022). Thus, we investigated two main research questions: (1) the longitudinal predictions of social-emotional characteristics from the task-orientation, self-orientation, and other-orientation domains on school-related and general academic outcomes, and (2) the longitudinal predictions of social-emotional characteristics from the task-orientation, self-orientation, and other-orientation domains on school-related and general well-being outcomes. To answer our research questions, we analyzed 4,744 students who were followed from grade 9 to grade 10. Predictors were social-emotional characteristics in three domains in grade 9: (1) task-orientation domain: learning motivation, (2) self-orientation domain: academic self-concept and self-esteem, and (3) other-orientation domain: empathy and social anxiety interaction. Academic outcomes were academic performance (school-related outcome) and expectations of studying at university (general outcome) in grade 10. Well-being outcomes were school and life satisfaction in grade 10, corresponding to school-related and general well-being. Control variables were immigrant status, family socioeconomic status, gender, school track, prior cognitive ability and well-being. Multivariate linear regression and probability analyses were applied. The results showed that learning motivation, academic self-concept, and social anxiety interaction positively predicted academic performance. Learning motivation and academic self-concept positively predicted expectations of studying at university. Moreover, self-esteem and empathy significantly positively predicted life satisfaction, but social anxiety interaction negatively predicted life satisfaction. However, only learning motivation positively predicted school satisfaction. In sum, the results supported the EVT that task-orientation and self-orientation domains were strongly related to school-related and general academic outcomes. These findings additionally supported the contextual aspect of the SDT that the predictions of social-emotional characteristics are rather domain-specific. |
10:30 - 12:10 | 4-05: Lernen in digitalen Umgebungen – Modellierung, Messung und Förderung der Kompetenzen von Studierenden im Umgang mit Online-Informationen Ort: H01 |
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Symposium
Lernen in digitalen Umgebungen – Modellierung, Messung und Förderung der Kompetenzen von Studierenden im Umgang mit Online-Informationen Studierende nutzen zunehmend Online-Informationen zum Lernen im Studium (Maurer et al., 2020). Die Nutzung digitaler Lernumgebungen und -inhalte nimmt stetig zu und gewinnt sowohl mittels etablierter Lernplattformen aber auch innerhalb kaum regulierter Informationsräume des offenen Internets immer stärker an Bedeutung. Die gezielte Suche, Auswahl, Bewertung und Integration von Online-Informationen für den eigenen Wissenserwerb erfordert jedoch besondere Fähigkeiten. Insbesondere das erfolgreiche Lernen mit dem Internet ist aufgrund der Überfülle von algorithmisch vorselektierten, vorwiegend unverifizierten, didaktisch kaum aufbereiteten und teilweise inkorrekten Informationen voraussetzungsreich (Wineburg et al., 2022). Während die Forschung zum Lernen in moderierten digitalen Umgebungen gerade nach der Pandemie zunahm, ist das Lernverhalten von Nutzer:innen in der offenen Internet-Informationslandschaft noch wenig erforscht (Osborne et al., 2022). Dies umfasst insbesondere die mangelnde Forschung zur Entwicklung und Förderung kritischer Fähigkeiten, die einen erfolgreichen Wissenserwerb auch in Selbstlernsettings sicherstellen (Wissenschaftsrat, 2022). In diesem Symposium werden aktuelle nationale und internationale Forschungsarbeiten zur theoretisch-konzeptuellen Modellierung und validen Messung der Fähigkeiten zum kritischen Umgang mit Online-Informationen und ihrer Entwicklung bei Hochschulstudierenden vorgestellt und kritisch diskutiert. Die Studien umfassen die Analysen der genutzten Informationsquellen und Inhalte bei der Lösung von fachübergreifenden Aufgaben, wie zum Klimawandel und Gesundheit. Um ein detailliertes Bild der komplexen Lernsituation im Umgang mit Online-Informationen aufzubereiten, behandeln die Beiträge jeweils unterschiedliche, sich ergänzende Perspektiven auf den Wissenserwerb in geschlossenen und offenen Internet-Informationsumgebungen. Dabei werden zum einen Studierendenfähigkeiten zum kritischen Umgang mit Online-Information bei Lösung von Aufgaben zu o.g. Alltagsthemen mittels neu entwickelter komplexer szenariobasierter Aufgaben mit freier Internetrecherche erfasst. Die spezifischen Fähigkeiten von Hochschulstudierenden im Umgang mit Online-Informationen werden im ersten Beitrag als kritisches Online-Reasoning (COR) theoretisch eingebettet, empirisch operationalisiert und erfasst. Die drei untersuchten COR-Facetten umfassen Online-Informationsbeschaffung, kritische Informationsbewertung, und evidenzbasiertes Argumentieren und Synthetisieren der Informationen. Ausgehend von der theoretisch-konzeptuellen Grundlage wird im Beitrag die Entwicklung innovativer Aufgabenformate vorgestellt, die freie Internetrecherche ermöglichen. Die Datengrundlage bilden die bereits abgeschlossene Pilotierungsstudie sowie die ersten Ergebnisse aus der laufenden Hauptstudie mit 1200 Studierenden bundesweit. Zum anderen werden die bei der Bearbeitung dieser COR-Aufgaben im Internet vorgefundenen und genutzten Quellen und Informationen in einer weiteren Teilstudie untersucht (genutzte Webseiten, Plattformen etc.), welche Studierende zur Lösung dieser Aufgaben verwendet haben. Die Interaktion von Lernenden mit der Internet-Informationslandschaft wird dabei mittels innovativer Verzahnung der hermeneutisch rekonstruktiven sowie narrativen Methoden untersucht. Damit werden im zweiten Beitrag Merkmale und Qualität der Online-Informationen analysiert, die die Studierenden als Quelle des Wissenserwerbs (auch bei der COR-Aufgabenbearbeitung) nutzen. Die aufgezeichneten besuchten Webseiten werden hierbei im Zusammenhang mit den Studierendenantworten zu den COR-Aufgaben untersucht – mit Fokus auf enthaltene latente Bedeutungsstrukturen und narratives Framing der genutzten Informationen und deren Manifestation in den Aufgaben-Antworten. So zeigt die Analyse z.B. auf, welche Online-Quellen und Autorinnen als „Autoritäten“ von den Studierenden zitiert bzw. als „Expertenwissen“ angesehen wurden und inwieweit Studierende die in diesen Quellen enthaltenen normativen Setzungen und Deutungen unreflektiert übernehmen und dabei zu inkorrekten Schlussfolgerungen z.B. bei Ursache-Working-Betrachtung von e-Bikes auf Gesundheit kommen. Im dritten Beitrag werden mittels eines komplexen computergestützten szenariobasierten Aufgabensettings werden besonders die (Teil-)Fähigkeiten im kritischen Denken zur Quellen- und Informationsbewertung und argumentativen Synthese erfasst. Die Studierenden verfassen dazu einen argumentativen Essay zu einer sozialen Dilemmasituation anhand einer vorgegebenen Dokumentbibliothek (geschlossener Informationspool) mit unterschiedlich verlässlichen und relevanten Quellen (mit kontrollierten Pro- und Contra-Argumenten). Hierbei werden insbesondere argumentationsrelevante Fähigkeiten wie Ausgewogenheit und kritische Einordnung der Informationen bewertet. In der hier vorgestellten längsschnittlichen Interventionsstudie über zwei Semester werden signifikante Verbesserungen bei Lösung der Aufgaben aus diesem Assessmenttool berichtet, wobei mit drei zunehmend intensiveren Interventionen auch jeweils die Performanz der Studierenden steigt. Abschließend wird im Diskussionsbeitrag der präsentierte Forschungstand zur Erfassung der Kompetenzen von Studierenden im Umgang mit Online-Informationen aus der Perspektive der allgemeinen Hochschul-Kompetenzdiagnostik kritisch betrachtet. Beiträge des Symposiums Erfassung der kritischen Informationsnutzung im Internet durch interaktive computerbasierte Aufgaben Theoretischer Hintergrund Das Internet ist für Studierende eine essentielle Informationsquelle zu studienrelevanten Themen (Maurer et al., 2020; Autoren, 2021). Dabei stehen Studierende vor besonderen Herausforderungen, wenn sie das Internet als Wissensressource nutzen. Studierende benötigen nicht nur die Fähigkeit, das Internet strategisch nach hochqualitativen Quellen und Informationen zu durchsuchen, sondern auch in der Lage sein, Suchergebnisse kritisch zu evaluieren und verlässliche Quellen zu identifizieren. Die Informationen, die in der Regel aus verschiedenen Quellen stammen, müssen inhaltlich-argumentativ reflektiert, verknüpft und schließlich zur Beantwortung spezifischer Fragen, wie der Lösung von Studienaufgaben, effektiv angewendet werden können. Die Evaluierung der Relevanz, Glaubwürdigkeit und Vollständigkeit der gefundenen Informationen ist dabei von zentraler Bedeutung. Die allgemeine Fähigkeit hierzu, einschließlich der Informationsbeschaffung in Online-Umgebungen, der kritischen Informationsbewertung sowie der Argumentation und Synthese, wird als Generic Critical Online Reasoning (GEN-COR, Molerov et al., 2020) bezeichnet. In Abgrenzung zu Domain-Specific Critical Online Reasoning (DOM-COR), das sich auf den Umgang mit Informationen innerhalb spezifischer Studienfächer bezieht, erfordert GEN-COR kein fachspezifisches Wissen. Fragestellung Um GEN-COR mit den drei Facetten „Informationsbeschaffung“, „Bewertung“ und „Synthese“ valide erfassen zu können, ist ein hohes Maß an Interaktivität in einer authentischen Aufgabenumgebung erforderlich (Molerov et al., 2020; Nagel et al., 2020). Im Teilprojekt einer DFG-Forschungsgruppe [anonymisiert] haben wir daher komplexe szenarienbasierte Aufgaben zur Messung von GEN-COR entwickelt, um das Verhalten von Hochschulstudierenden bei der Informationsnutzung in realen Internet-Umgebungen zu erfassen. Des Weiteren werden in der Studie zusätzliche Tests zum Leseverständnis und Intelligenz eingesetzt, um auch die Beziehung zwischen GEN-COR und den zugrundeliegenden kognitiven Fähigkeiten vertieft zu untersuchen. Methode Die Studie begleitet Hochschulstudierende aus vier Fachdomänen (Medizin, Ökonomie, Soziologie und Physik) während ihrer ersten drei Jahre an der Universität, um die langfristige Entwicklung von COR-Fähigkeiten während des Studiums zu untersuchen und wichtige individuellen und kontextuellen Prädiktoren zu identifizieren. Zudem ermöglichen weitere entwickelte DOM-COR-Aufgaben, die domänenspezifisches Wissen in den o.g. Fächern erfordern, die Zusammenhänge zwischen den Leistungen in den generischen und domänenspezifischen COR-Aufgaben zu untersuchen. Die entwickelten GEN-COR-Aufgaben greifen allgemeine bzw. alltägliche Informationsprobleme auf, die kein spezifisches Fachwissen erfordern. Beispielsweise werden die Studierenden mit Fragen zum Recycling bestimmter Abfallprodukte oder zu möglichen Gesundheitsrisiken von Wohnortbedingungen konfrontiert, zu denen sie im freien Internet recherchieren und anschließend ein kritisches Statement mit Pro und Contra Argumenten aus den gefundenen Evidenzen zu den Fragen verfassen sollen. Zudem sollen auch recherchierte Quellen durch die Studierenden in ihrer Qualität (z.B. Zuverlässigkeit) beurteilt werden. Neben schriftlichen Antworten werden auch Verhaltensdaten in vivo erfasst, wie verwendete Suchbegriffe, aufgesuchte Internetseiten und Scrollbewegungen, um relevante Aspekte des COR-Aufgabenbearbeitungsprozesses zu analysieren. Hierzu zählen beispielsweise die Effizienz der Suchstrategien und die Einbeziehung zusätzlicher Informationen zur Verifizierung bei der Beurteilung von Quellen. Ergebnisse In einer ersten Pilotierung der vier neu entwickelten Aufgaben mit Hochschulstudierenden (N=16) wurde im Rahmen einer qualitativen Auswertung eine beachtliche Heterogenität in den Aufgabenleistungen der Studierenden festgestellt. Sowohl anhand der Analyse der Logdaten zum Vorgehen bei der Aufgabenbearbeitung und den Suchstrategien als auch in der inhaltlichen Qualität der schriftlichen Antworten zu den Aufgaben ließen sich deutliche Unterschiede bei High- versus Low-Performern erkennen. Die Aufgaben sind somit geeignet, um theoretisch erwartete unterschiedliche Kompetenzniveaus im Bereich GEN-COR abbilden zu können. In der aktuell laufenden Hauptstudie werden die Aufgaben einer größeren Stichprobe von Studierenden (N=1200) aus den vier Fachdomänen vorgelegt. Auf Basis dieser Stichprobe werden im Symposium neben den qualitativen Pilotierungsergebnissen erste quantitative Ergebnisse zur Interrater-Reliabilität bei der Leistungsbeurteilung, der dimensionalen Struktur der erfassten Leistungen sowie der Skalen- und Itemeigenschaften vorgestellt. Die Ergebnisse werden im Hinblick auf ihre Implikationen für das längsschnittliche COR-Assessment und die Erfassung der Entwicklung von COR-Kompetenzen im Studiumsverlauf diskutiert. Zum kritischen Umgang Studierender mit Internetinformationen – Methodologische Potentiale hermeneutisch-rekonstruktiver und narrativer Analysen in digitalen Lernumgebungen Theoretischer Hintergrund/Fragestellung: Studierende unterschiedlicher Studienrichtungen nutzen zum Lernen Informationen im Internet, die in narrative Framings und latente Sinngehalte eingebettet sind. Im Teilprojekt einer DFG-Forschungsgruppe [anonymisiert] untersuchen wir, wie Studierende der Medizin, der Ökonomie und des Lehramts mit solchen Frames bei der Auswahl und Nutzung der Informationen für die Lösung von Internet-basierten Aufgaben umgehen. Dabei nehmen wir an, dass der „Sinn digital[en] sozialen Handelns […] in der Relationierung von Ding und Mensch in je spezifischen Situationen“ liegt, die sich wiederum „als Repräsentanten einer allgemeinen Situiertheit jeden sozialen Handelns deuten“ lassen (Wolf & Thiersch, 2023, S.68). Sowohl die Quellen-Recherche der Studierenden als auch die Textproduktion (Aufgabenantworten) werden als soziale Praxis betrachtet (Macgilchrist et al. 2023), die sich situativ vollziehend entlang der genannten Daten hermeneutisch rekonstruiert und interpretiert wird. Methode: Hierzu setzen wir ein neuartiges methodengemischtes Studiendesign ein und kombinieren die methodischen Zugänge der sequentiell vorgehenden rekonstruktiven Hermeneutik (Oevermann), die die Regelhaftigkeit von Handeln fokussiert (Dickel/Neumann 2021) und die narrative Analyse (Autoren, 2020), mit besonderer Sensibilität für sprachliche Merkmale (z.B. Methapern). Die Studierenden der unterschiedlichen Studiengänge werden gebeten, sogenannte GEN-COR-Aufgaben zu alltäglichen Themen (z.B. zur Gesundheitsförderung von E-Bikes) sowie domänenspezifische DOM-COR-Aufgaben (z.B. zur Start-Up-Gründung, in der Domäne Wirtschaft) zu lösen und dazu zuverlässige Internetquellen zu recherchieren (s. Beitrag 1). Anschließend untersuchen wir rekonstruktiv hermeneutisch und narrativ die Situation und, bezogen auf den gesamten Prozess der Aufgabenlösung, inwieweit die Studierenden Framings sowie latente bzw. normative Deutungen erkennen, die in den von ihnen verwendeten Quellen enthalten sind. Um die Entstehung studentischer Aufgabenlösungen als soziale Praxis zu untersuchen, ziehen wir die Aufgabenstellungen und alle digital erfassten Dokumente aus den individuellen Lösungsprozessen heran: verlinkte Webseiten, die besuchten bzw. genutzten Internetquellen, erstellte Antworten sowie Log-Daten (inkl. Suchbegriffe etc.), die die Denkprozesse der Studierenden in der situativen Internetumgebung dokumentieren. Anhand des multimodalen Datenkorpus arbeiten wir heraus, wie die Aufgabenlösungen situativ und interaktiv zwischen Studierenden und Internetumgebung hervorgebracht werden. Die rekonstruktive Analyse der in situ erzeugten sichtbaren Spuren, die die Studierenden beim Lösen der Aufgaben in digitalen Räumen erzeugen (wie Log-Daten, genutzte Quellen, formulierte Texte), machen ihre Informationsverarbeitungs- und Entscheidungsprozesse zur Nutzung bestimmter Quellen sichtbar, die ansonsten nicht manifest sind. Ergebnisse: Die kontrastierende Analyse von vier Fällen (Studierende des Lehramts und der Medizin) mit den je besten und schlechtesten Leistungen zu einer GEN-COR-Aufgabe rekonstruiert schrittweise die Situation und den Prozess der Auseinandersetzung von Studierenden mit Informationen in Internetumgebungen. Die Analysen der Antworten der Studierenden zeigen, dass Studierende den (latenten) Frames aus den genutzten Internet-Quellen mehr oder weniger unreflektiert folgen: So folgt z.B. der Proband ID3 den Framings, die die gesundheitliche Gefahr von E-Bikes auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen (Ältere, Übergewichtige) hin engführen sowie weiteren normativen Setzungen und Deutungen (z.B. „Sportmuffel“). Dieses Framing aus den Quellen wird in der Antwort übernommen und nicht kritisch hinterfragt. Dies gilt auch für Bezugnahmen auf die in Quellen zitierten Experten. In den Antworten werden häufig „Experten“ wie „anerkannte Autoritäten“ zitiert und kaum hinterfragt, deren „Autorität“ bzw. „Expertise“ jedoch narrativ konstruiert ist (z.B. durch wörtliche Rede, die Nennung akademischer Titel, den Vorsitz in einer Fachorganisation). Neben solchen und anderen in den Antworten enthaltenen Ausdrucksgestalten (wie Metaphern, Sinndeutungen) zeigen die präsentierten Analysen: Inwiefern ein Selbstbezug, eine Positionierung des Subjekts und/oder ein souveräner, kritischer Standpunkt eingenommen wird; Inwiefern generische und/oder domänenspezifische (z.B. sportmedizinische) Aspekte berücksichtigt und kontextualisiert werden; Inwiefern von Studierenden als zuverlässig eingestufte Quellen (z.B. auch Werbe- bzw. Verkaufsseiten eines Fahrradherstellers) sich auf die Qualität im Antwortverhalten auswirken. Indem wir hermeneutische Rekonstruktion und Narratologie verschränken, beschreiten wir neue methodische Wege und zeigen, wie der neuartige Ansatz auch für Interaktionsanalysen in digitalen universitären Lehr-Lernräumen hilfreich sein könnte. Die Entwicklung kritischen Denkens in der Hochschulbildung. Empirische Evidenz für die Wirksamkeit direkter Unterweisung Theoretischer Hintergrund/Fragestellung: Die Popularität des Konstrukts „kritisches Denken“ (critical thinking) als identifizierte Kernkompetenz an der Schnittstelle Hochschule-Beruf steht in deutlichem Kontrast zum Mangel an Klarheit in der definitorischen Abgrenzung von verwandten Konstrukten wie Problemlösen und logischem Denken. Eine Folge davon ist, dass ein grauer Markt für methodisch fragwürdige Messinstrumente entstanden ist, die angeblich das individuelle Niveau von kritischem Denken für die Personalauswahl indizieren. Das Kernproblem aller, in der Regel auf Fragebögen basierenden Tests ist ihre mangelnde Validität, wenn man zeitgemäße Definitionen zugrunde legt, die u.a. die Reflektion der Zuverlässigkeit und Relevanz von Informationsressourcen mit einschließt (Shavelson, 2007). Die Validitätsprobleme herkömmlicher Erhebungsinstrumente lassen auch sehr fraglich erscheinen, ob der von Pascarella und Terenzini (2005) sekundäranalytisch geschätzte Zuwachs von .5 SD über 4 Studienjahre, über die in die Datensynopse einbezogenen Tests hinaus verallgemeinerbar ist, zumal die Autoren selbst anerkennen, dass sie 15 Jahre zuvor den Zuwachs mit 1.0 SD angegeben hatten (Pascarella & Terenzini, 1991). Ein neuer, zukunftsweisender Ansatz zur ökologisch validen Messung kritischen Denkens bei jungen Erwachsenen stellt das „Performance Assessment“ da (Braun et al., 2020; Shavelson et al., 2019). Unser Ansatz ist hierbei, die Studierenden mit einer sozial relevanten Entscheidungsdilemma zu konfrontieren, das auf echten komplexen Problemen in der zeitgenössischen Lebenswelt basiert. Hierfür stehen ihnen sieben bis acht vorausgewählte kuratierte Dokumente zur Verfügung, die mehr oder weniger relevante und vertrauenswürdige Information enthalten. Keine andere Quelle darf herangezogen werden (geschlossener Informationspool). Das Niveau kritischen Denkens in dem ein- bis zweiseitigen Essay, den die Studierenden schreiben, leitet sich nicht aus der Entscheidung selbst ab, sondern aus der Anzahl und Bewertung der für die Entscheidung herangezogenen Argumente. Bislang wurden drei solcher Performance Assessment Aufgaben (Bryn Bower Series, BBS) entwickelt, die auch im Kontext einer Lehrveranstaltung leicht eingesetzt werden können, da die Erhebungszeit auf 50 Minuten begrenzt ist. In einer ersten Studie im Jahr 2021 mit Psychologiestudierenden im 2. bis 4. Studienjahr konnten wir mit dem BBS-Instrument im Querschnitt keinen Effekt der Studiendauer auf das Niveau kritischen Denkens nachweisen. Für die längsschnittlich über ein Semester angelegte Hauptstudie gingen wir der Frage nach, welche Interventionen kritisches Denken nachhaltig verbessern. Die Kernhypothese lautete, dass der Zuwachs um so deutlicher ausfällt, je intensiver die Intervention. Methode: Stichprobe: 144 Studierende der Psychologie in der Lehrveranstaltung Pädagogische Psychologie an einer US-amerikanischen Universität. Messung am Anfang und Ende des Semesters (Herbst 2022) mit je zwei unterschiedlichen BBS-Aufgaben. Abhängige Variablen: 4 Indikatoren kritischen Denkens (Zahl der Argumente, Ausgewogenheit der Argumente („myside-bias“), Häufigkeit von Glaubwürdigkeitsaussagen in Bezug auf Dokumente, Textqualität) Unabhängige Variable: kumulative Interventionsintensität mit vier Stufen: 1 = keine Intervention (Kontrollgruppe), 2 = eine Vorlesung zu kritischem Denken, 3 = Vorlesung plus eine Kleingruppenübung zur zweiseitigen Argumentation, 4 = Vorlesung, Gruppenübung, plus Training in der Kodierung von BBS-Aufgaben). Ergebnisse: 1. Wie aufgrund der Vorstudie erwartet, zeigte die Kontrollgruppe keinen signifikanten Lernzuwachs. 2. Der Haupteffekt Intervention (Kontrollgruppe vs. Interventions-Gruppen) ist signifikant positiv. 3. Die Interventionsgruppen unterscheiden sich signifikant monoton kumulativ voneinander, d.h. Gruppe 4 > 3 > 2 > 1. Diskussion Die Studie zeigt, dass die Qualität kritischen Denkens nicht von selbst über die Studienjahre zunimmt. Nur dann, wenn kritisches Denken explizit (d.h., curricular eingebunden) unterrichtet wird, lassen sich substanzielle Zuwächse nachweisen. Allerdings zeigt sich auch, dass die von uns entwickelten Instrumente und Auswertungsverfahren zwar gute Beurteiler-Übereinstimmung erzielen und für Aggregatdiagnostik reliabel sind (z.B. für Kohorten- oder Institutionenvergleiche), aber für die Individualdiagnostik keine angemessene Messwiederholungreliabilität erzielen. |
10:30 - 12:10 | 4-06: Using person-centred approaches to examine intraindividual and interindividual differences in students’ motivational beliefs. Ort: H08 |
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Symposium
Using person-centred approaches to examine intraindividual and interindividual differences in students’ motivational beliefs. Previous research has shown that students’ motivational beliefs significantly impact their learning and achievement (Eccles & Wigfield, 2020). Understanding more about how these beliefs arise, and how they change over time is therefore an important goal for educational psychology. However, much of the previous research in the area has made use of variable-centred approaches. Although these approaches provide an understanding of how motivational beliefs typically develop or influence outcomes, they have some important limitations. Firstly, even though such studies typically report significant variance in levels of motivational beliefs or their development over time, they do not examine the different trajectories students can follow. Secondly, statistical constraints typically lead to these studies exploring the impact of motivational beliefs individually, limiting the extent to which we can know how different motivational beliefs might influence outcomes in tandem. Finally, although these studies can identify factors that predict developmental change, they cannot show how they relate to the probability of following specific developmental trajectories. To address these limitations, researchers are increasingly turning to person-centred approaches of analysis. The purpose of our symposium is to showcase these alternative approaches, and to answer the question: ‘How can person-centred approaches increase our theoretical understanding of intraindividual and interindividual differences in students’ motivational beliefs?’ Our proposed symposium brings together four studies that use different person-centred approaches to analyse motivational and/or emotion data collected from students in different national contexts, at different stages of schooling, and from different theoretical perspectives. The four studies include samples from England (paper 1), USA (paper 2), Germany (paper 3) and Finland (paper 4). With regards to the different approaches, paper 1 and paper 2 use two methods for exploring interindividual differences cross-sectionally, namely latent profile analysis (LPA) and latent class analysis (LCA) respectively. Paper 3 and paper 4 utilise two methods for exploring interindividual differences in intraindividual development longitudinally. More specifically, paper 3 uses latent transition analysis (LTA) with two waves of data, whilst paper 4 uses growth mixture modelling (GMM) with three waves of data. In terms of stage of schooling, the fours studies cover primary school (papers 1 and 2), middle school (paper 2), and early secondary school (papers 3 and 4). Finally, our studies show how these approaches can be adopted to explore motivational and emotional development from a variety of theoretical perspectives, including control-value theory (Pekrun, 2006; paper 1), the dual-factor model of mental health (Suldo et al, 2014; paper 2), situated expectancy value theory (Eccles & Wigfield, 2020; study 3) and dimensional comparison theory (Möller & Marsh, 2013; papers 3 and 4). Alongside all using person-centred approaches, the four studies also include similar covariates and/or outcomes. For example, two studies explore how gender relates to the likelihood of belonging to a particular profile (papers 1 and 3), whilst one study examines how gender is related to developmental change (paper 4). In terms of outcomes, papers 1, 2 and 3 all explore how class or profile membership relates to mathematics competence. Papers 2 and 3 additionally explore how class or profile membership relates to outcomes in language (e.g. German) as well. Thus, the combination of different approaches but similar research questions allow for a more nuanced understanding of the factors that might influence the development of multiple motivational beliefs simultaneously, or how different combinations of motivational beliefs might relate to outcomes, thereby increasing our theoretical understanding of motivational development. Together, the four studies demonstrate the theoretical and methodological added value of adopting person-centred approaches to explore both intraindividual and interindividual differences in motivational beliefs. Beiträge des Symposiums Profiles of Control, Value and Achievement Emotions in Primary School Mathematics Lessons Theoretical Background According to control-value theory (CVT, Pekrun, 2006), student emotions about their schoolwork (‘achievement emotions’) arise because of simultaneous and mutually reinforcing control and value appraisals. Although the theory proposes that distinct achievement emotions are related to certain combinations of control and value, it is less clear how these combinations of motivational beliefs relate to the experience of multiple domain-specific emotions. Furthermore, pleasant emotions (e.g., enjoyment) are proposed to positively, and unpleasant emotions (e.g., boredom) negatively, influence achievement via their impact on motivation and learning strategies. Yet it remains unclear how the experience of multiple emotions relates to competencies in a relevant domain. This is because previous research has typically adopted a variable-centred approach that examines average relations between control and value appraisals, discrete emotions, and achievement. Recent research in the field however suggests students may be heterogenous in their profiles of achievement emotions (e.g. Jarell et al., 2016; Tze et al., 2022), or achievement emotions and control and value appraisals (Parker et al., 2021), and that these profiles may relate differentially to achievement (Parker et al., 2021). The present study adopted a person-centred approach to build on this research and to answer the following two research questions: Research Questions 1. Are heterogenous profiles of control and value beliefs and achievement emotions found in a large sample of primary school students? 2. Do these profiles relate differently to mathematics test scores? Method Our sample comprised 883 primary school students (50% girls, mean age = 9.34 years, SD = .48) from 23 primary schools in England. Students sat a mathematics test in January (T1) and June (T3) of the school year, and provided self-reported control and value beliefs, and emotions (T2), approximately one week before T3 data was collected. Control was measured using 4 items from the Academic Self-Description Questionnaire II (Marsh, 1990). Subjective task value was measured using 12 items each from the Michigan Study of Adolescent Life Transitions scales (Eccles et al., 2005). Enjoyment, anxiety and boredom were measured using 4 items each from the Achievement Emotions Questionnaire – Mathematics Elementary Version (Lichtenfeld et al., 2012). Participants responded to all items on a 5-point Likert scale from 1 = strongly disagree to 5= strongly agree. Mathematics tests were worth 20 marks each. We conducted a latent profile analysis in Mplus v. 7 to examine the presence of heterogenous profiles of control and value beliefs and emotions in our sample. Results The 3-profile model was selected as the optimal model based on statistical fit indices, theoretical considerations and class size. Profile one (the ‘high enjoyment’ profile) comprised 52% of the sample and was characterised by high intrinsic value and enjoyment, and low boredom. Profile two (the ‘high boredom’ profile) comprised 12% of the sample and was characterised by low intrinsic value and enjoyment, and high boredom. Profile three (the ‘moderate’ profile) comprised 36% of the sample and was characterised by moderate levels of control, value, enjoyment, anxiety and boredom. We explored profile differences in mathematics test scores at T3, controlling for gender and mathematics test scores at T1. A Wald test indicated a main effect of profile on mathematics test scores, 𝜒2(2) = 25.596, p = <.001. Pairwise difference tests revealed that students in the ‘moderate’ profile had significantly lower mathematics test scores than students in the ‘high enjoyment’ profile (z = -4.344, p <.001). Higher levels of anxiety seemed to compensate for high boredom and low intrinsic value in the ‘high boredom’ group. Studying the impact of emotions and motivational beliefs in combination may be a fruitful area of future research. Profiles of Student Emotion as Predictive of Academic Achievement Theoretical Background Nearly 20% of school-aged children exhibit signs of significant mental health needs with this concern rising over the last several years since the pandemic (De France et al., 2022; Merikangas et al., 2016); however, few of these students are identified and receive timely intervention services. Mental health challenges that are left unaddressed can lead to long-term, negative outcomes for youth, including social problems (e.g., poor relations with peers; Hall‐Lande et al., 2007), increased behavioral concerns (e.g., aggressive behaviours; Taras et al., 2003), as well as substance abuse and school dropout (Perfect et al., 2016). Schools have become an ideal setting for both identifying and intervening for students with mental health concerns (Nemeroff et al., 2008). Screening tools offer benefits over more reactive methods such as teacher referrals, as they are proactive (i.e., regularly scheduled), predictive of salient long-term outcomes (e.g., academic performance), and encompassing complete mental health (i.e., assets and needs). The Dual-Factor Model of Mental Health (Suldo et al., 2014) posits that complete mental health consists of psychological strengths and the absence of psychological problems. As such, (screening) assessment tools should identify both strengths and weaknesses to accurately reflect which students need support. Research on these screeners has yielded promising psychometric evidence (Kilgus et al., 2016; von der Embse et al., 2017). However, schools are often forced to prioritize limited resources when identifying student complete mental health with screening tools. Research is needed to identify the grouping of students in different types (emotional, social) or intensities of need (low, medium, high) to allow for triaging of intervention supports. Evidence that these groupings are linked to socially valid outcomes such as academic performance, would be important to support these critical decisions. Research Questions The purpose of the present investigation is to (1) use latent class analysis (LCA) to identify classes of student emotional behavior and (2) if these classes are linked to student math and reading performance. Identified classes of need could lead to better utilization of limited school resources by aligning intervention to comorbid risk domains (e.g., academic and social risk; Iaccarino et al., 2018). Methods The current study attempts to resolve these gaps in the literature regarding student self‐report scales with a large sample of elementary and middle school‐aged students in the USA. A de-identified dataset was used and included students' responses on the Social, Academic, and Emotional Behavior Risk Screener (SAEBRS), which is a screening tool based on a dual-factor model of mental health (Kilgus & von der Embse, 2014). An LCA was used to identify latent risk classes of children with similar patterns of behaviour risk and to explore their impact on academic outcomes. Results Three distinct classes emerged as the best-fitting model for the SAEBRS scores, including Class 1 with low risk (46.8%), Class 2 with low-moderate risk (33.7%), and Class 3 with high risk (20.8%). Differences indicated significant variations in reading and math outcomes between the classes, with effect sizes ranging from small (-.24) to large (.81). Class 1 indicated higher reading and math scores than Class 2 and Class 3. Class 2 had slightly better reading scores than Class 3 but lower math scores. Overall, there is a statistically significant difference between math and reading outcomes and student emotions between the classes (p=0.000). These findings indicate that different combinations of psychological strengths and problems may relate to academic outcomes in different ways. Screening for students using comprehensive mental health screening tools may therefore be an effective option for offering targeted support. Stability and change in profiles of mathematics and German self-concept and intrinsic value: Relations to perceived teaching behaviours and competence. Theoretical background: Variable-centred studies have shown that students’ motivational beliefs, more specifically their expectancies of success and subjective task values, decline with age (e.g. Jacobs et al., 2002). Findings from research using person-centred approaches have shown, however, that there may be interindividual differences in time-related motivational change (e.g. Archambault et al., 2010). Situated expectancy-value theory (SEVT; Eccles & Wigfield, 2020) proposes that interindividual differences in level and change of motivational beliefs result from socialisation processes. These processes include the beliefs and behaviours of socialisers, such as teachers, which may be influenced by salient student characteristics, such as gender. Furthermore, whilst some students may have high or low levels of motivation across academic domains (Gaspard et al., 2019) others may have higher or lower motivation in some domains than others. According to dimensional comparison theory (DCT; Möller & Marsh, 2013), these domain-related differences arise due to the experiences in one domain influencing the development of expectancies and values in a contrasting domain. Although perceptions of teaching behaviour in one domain have been shown to be influenced by achievement in a contrasting domain (Arens & Möller, 2016), it is less clear how such comparisons relate to the interindividually different development of expectancies and values. Research Questions Accordingly, we used latent transition analysis to answer the following research questions: 1. Which profiles of mathematics and German motivation do students belong to in grades 5 and 6, and how stable is profile membership? 2. Are there grade 6 profile differences in mathematics and German competence, even when controlling for prior levels of competence? 3. How does gender and perceived teaching behaviour relate to grade 5 profile membership and transitions from grade 5 to grade 6. Methods Our sample comprised 721 secondary school students from Germany (54.6% female) who participated in the longitudinal study ‘Educational process, competence development and selection decisions in preschool and school age’ (BiKS 8-14, Artelt, Blossfeld, Faust, Roßbach & Weinert, 2013). Our study focused on data collected in wave 4 (grade 5) and wave 5 (grade 6). Mathematics and German self-concept and intrinsic value were measured using three items each from adapted versions of established scales (Baumert et al., 1997; Marsh, 1992). Students responded to all items on a 5-point Likert scale. Perceived teaching behaviour was measured using an established scale (Rakoczy, Buff, & Lipowsky, 2005). Students responded to all items on a 4-point Likert scale. German competence was assessed with 43 itemsin grade 5 and 31 items in grade 6. Mathematics competence was assessed using 44 items in grade 5 and 40 items in grade 6. We used latent transition analysis and the three-step approach to explore outcomes and covariates of profile membership. Results We selected the 5-class model as the best fitting model at both waves. In grade 5, girls were significantly more likely than boys to belong to a Low Motivation or High German profile than a Low Value profile. Perceived teaching behaviours related to the likelihood of profile membership in grade 5, but not transitions in grade 6. Students in the High German profile in grade 6 scored significantly lower in mathematics than German than students in the High Mathematics or Low Value profile in grade 6, even after controlling for prior competence. Students in the High Mathematics profile in grade 6 scored significantly higher in mathematics than German than students in the High Motivation profile. The findings indicate that perceived teaching behaviour in one domain is related to motivation and outcomes in the same and a contrasting domain, and that these motivational beliefs are relatively stable over time. Growth Trajectories of Self-Concept and Interest in Mathematics and Language – Individual Differences and Cross-Domain Relations Theoretical Background During secondary education, adolescents’ motivation seems to decline on average (Gaspard et al., 2020). Although this may reflect a mismatch between students’ needs and the secondary schools’ resources, general declines may also stem from increasing intraindividual differentiation in competence- and value-beliefs across domains (Möller et al., 2020; Wan et al., 2021). As adolescents become increasingly aware of their abilities and their interests become more specialized, they likely maintain high self-concept and interest in only a few domains, while disengaging from others. Yet, inter- and intraindividual differences in students' co-developmental processes of self-concept and interest across domains have rarely been studied. In addition, considering some consistent gender differences in both mathematics and L1, it seems relevant to investigate whether such dimensional comparison processes differ between genders. Research Questions This study aimed to examine: 1. what kinds of developmental trajectories of self-concept and interest in mathematics and L1 can be identified among adolescents across lower-secondary education, and 2. whether trajectories and cross-domain relations differ between genders. Methods 612 Finnish students were followed across Grades 7–9 (13 to 15-year-olds). Participation was voluntary, and informed consent forms were collected from the student’s parents. In Finland, lower secondary education spans from Grade 7 to Grade 9, after which the students can make an important decision about whether they opt for vocational or general upper secondary education. Students completed electronic questionnaires on their math and L1 self-concept and interest (Marsh, 1992) across four time points. The analyses started with confirming longitudinal measurement invariance for each construct. Next, a series of growth models were tested, comparing both linear and quadratic growth curves to confirm the best-fitting growth trajectory for each construct. Based on the models chosen in the first step, growth mixture models were applied to identify distinct motivational trajectories of math and L1 self-concept and interest across Grades 7–9. Lastly, multi-group growth models were used to compare growth trajectories and cross-domain relations between genders. Results The results revealed that students’ math and L1 motivation development was rather homogenous across grades 7–9, as a one-profile solution fitted the data best. Although variances were found in the overall levels of self-concept and interest in math and L1 (i.e., intercepts), no significant variances were found in the growth rates (i.e., slopes). The growth trajectories indicated that most students experienced a decline in both their math and L1 motivation, but interest and self-concept in math were levelled out by a positive quadratic trend towards the ninth grade. Nevertheless, these findings suggest that many experience challenges while simultaneously entering both early adolescence and lower secondary education, highlighting the importance of supporting students' motivation and well-being during this critical time period when several co-occurring changes take place and while they are making important decisions about their future. When a gendered multi-group growth model was applied, we found that there was a clear differentiation in girls' motivational beliefs across domains: they showed significantly higher L1 motivation as compared to math, whereas boys had similar levels of motivational beliefs across domains. Girls also engaged in more dimensional comparison processes, as we identified several negative cross-domain relations among girls that were not identified among boys. This, coupled with prevailing gender stereotypes, may be harmful in some cases. It could, for example, unnecessarily hinder some from engaging in and aspiring for math-related educational and career alternatives, despite having high performance in math. These findings should be considered in schools while supporting students’ motivation and goal setting, and, while planning targeted interventions to, for example, support girls' relatively low motivation in math. |
10:30 - 12:10 | 4-07: Wie kann Wissenstransfer zwischen Schulpraxis und Bildungsforschung gelingen? Neue Erkenntnisse zu Wissenschaft-Praxis-Kooperationen Ort: H06 |
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Symposium
Wie kann Wissenstransfer zwischen Schulpraxis und Bildungsforschung gelingen? Neue Erkenntnisse zu Wissenschaft-Praxis-Kooperationen Die Forderung nach Evidenzorientierung im Bildungswesen wird sowohl in Deutschland als auch international seit gut zwei Jahrzehnten intensiv diskutiert (Schrader, 2014; Farley-Ripple et al., 2018; Sjölund et al., 2022). Um diesem Anspruch gerecht zu werden, sind in den letzten Jahren vielfältige bildungspolitische Maßnahmen – oftmals Top-Down (vgl. Gräsel, 2010) ergriffen worden – nicht immer erfolgreich. Immer wieder wird vom sogenannten „research-practice gap“, gesprochen und es gilt, Wege und Möglichkeiten zu finden, diese Lücke zu verringern (Phelps, 2019), um wirksame Methoden und aktuelle Erkenntnisse für die Schulpraxis nutzbar und implementierbar zu machen. In den letzten Jahren beginnt sich eine Vorstellung durchzusetzen, dass die Bildungsforschung sich während des gesamten Konzeptions- und Forschungsprozesses stärker an den tatsächlichen Bedarfen der Bildungspraxis orientieren müsse. Theoretische Modelle, die sich damit befassen, wie dies gelingen kann, betonen die Relevanz eines bidirektionalen Wissenstransfers zwischen Bildungsforschung und Schulpraxis (Brühwiler & Leutwyler, 2020; Farley-Ripple et al., 2018). Eine Möglichkeit dafür wird in engen Kooperationen zwischen Forschenden und pädagogisch tätigen Personen gesehen, die darauf abzielen, Bildungsforschung und Schulpraxis gemeinsam zu gestalten. Coburn und Penuel (2016) sprechen in diesem Zusammenhang von Research-Practice Partnerships (RPP), im Deutschen meistens als Wissenschaft-Praxis-Kooperationen bezeichnet. In der engeren Auslegung des Begriffs werden RPP als langfristige Kooperationen beschrieben, die gemeinsam praxisorientierte Forschungsfragen formulieren und bearbeiten. Die Partnerschaften arbeiten gezielt zusammen an der Erhebung, Analyse und Aufbereitung von Daten, wobei die jeweiligen Expertisen anerkannt werden. In den USA sind solche Partnerschaften an der Schnittstelle zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis bereits eine gängige Methode, um Herausforderungen der Schulpraxis zu begegnen. Das Forschungsfeld, das sich mit RPP, ihren Eigenschaften und Erfolgsaussichten beschäftigt, wächst stetig (Penuel et al., 2020). In Deutschland hingegen findet sich ein breites Spektrum vornehmlich lokaler Wissenschafts-Praxis-Kooperationen. Sie reichen von Projekten einzelner universitärer Fach- oder Arbeitsbereiche und engagierten Einzelschulen (z.B. Design-Based-Research) über längerfristig angelegte Kooperationen im Kontext von Universitäts- oder Versuchsschul-Programmen. Großangelegte BMBF-Vorhaben wie beispielsweise das Schule macht stark oder lernen:digital versuchen darüber hinaus, Ko-Konstruktionsprozesse zwischen Bildungsforschung und Schulpraxis auf struktureller/institutioneller Ebene anzuregen. Dennoch haben RPP in Deutschland bisher vergleichsweise wenig Beachtung hinsichtlich ihrer Beforschung erfahren. Auch international ist das Wissen über Gestaltungsmerkmale von entsprechenden Partnerschaften sowie über Gelingensbedingungen und Herausforderungen, die mit ihnen einhergehen, insgesamt noch lückenhaft (Coburn & Penuel, 2016). Das hier vorgestellte Symposium wird dazu beitragen, aktuelle Forschungsbefunde aus Deutschland über Wissenschaft-Praxis-Kooperationen zusammenzufassen. Basierend auf vier Einzelbeiträgen wird ermittelt, wie ko-konstruktive Transferaktivitäten zwischen Schulpraxis und Wissenschaft in Form von RPP gelingen können bzw. welche Aspekte dabei hinderlich sind. In Beitrag 1 wird am Beispiel des Schulversuchs Universitätsschule Dresden der Austausch zwischen Forschenden und pädagogisch tätigen Personen beschrieben. Dabei wird insbesondere darauf eingegangen, welche Relevanz die Konzepte Dialog und Resonanz in diesem Kontext haben. In Beitrag 2 wird die Frage von Gegenseitigkeit im Rahmen von RPP thematisiert. Anhand von vier Leitfragen wird ermittelt, welche Stakeholder beteiligt sind, welche Ziele die verschiedenen Stakeholder verfolgen, welche Rollen sie einnehmen und wie Wissen zwischen Wissenschaft und Praxis ausgetauscht wird. Mithilfe der Fragen wird reflektiert, inwiefern Gegenseitigkeit, als ein zentrales Merkmal von Wissenschafts-Praxis Kooperationen im groß angelegten BMBF-Verbund Schule macht stark beachtet und umgesetzt wird. In Beitrag 3 werden Befunde einer systematischen Literaturrecherche vorgestellt. In dem Review werden die komplexen Mechanismen von RPP untersucht und es wird ermittelt, welche Funktionen RPP anstreben, welche Einheiten und Eigenschaften dabei eine Rolle spielen und welche Interaktionen zwischen Einheiten und Eigenschaften dabei zu beobachten sind. Beitrag 4 widmet sich der Frage nach Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in RPP im Kontext der Lehrer*innenausbildung. Hier wird die Arbeit von Entwicklungsteams in der Lehrer*innenbildung evaluiert und Befunde einer Fragebogenerhebung vorgestellt. Im Anschluss werden die vier Einzelbeiträge durch einen Diskutanten hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Forschungsfeld und eine evidenzorientierte Schulpraxis reflektiert. Beiträge des Symposiums Dialog und Resonanz zwischen Schulpraxis und Wissenschaft am Beispiel des Schulversuches Universitätsschule Dresden Die Universitätsschule ist ein 15jähriger Schulversuch beantragt durch Wissenschaftler:innen der TU Dresden und genehmigt durch das Sächsische Kultusministerium und der KMK angezeigt. Die Universitätsschule ist eine Gemeinschaftsschule vom 1. bis zum 12. Jahrgang in Trägerschaft der Stadt Dresden (Langner & Heß, 2020). Gestartet ist der Schulversuch 2019, die Schule wird vollaufgewachsen sein mit ca. 1000 Schüler:innen im Schuljahr 2026/27. Die Universitätsschule stellt ein Real-Labor (Schäpke et al., 2018) dar, die Forschung an dem Schulversuch lässt sich mit dem Design Based Research Ansatz (Gess et al., 2014) wie aber auch dem Ansatz der gestaltenden Bildungsforschung (Tulodziecki, 2019) charakterisieren (vgl. Langner et al., 2020). Im Rahmen des Beitrags im Symposium wird vor allem die Zusammenarbeit zwischen Schulleitung und wissenschaftlicher Leitung für vier ausgewählten Themen genauer betrachtet. Drei dieser vier Themen stehen exemplarisch für die nach Rolff (2016) beschrieben Schwerpunkte der Schulentwicklung: Organisationsentwicklung, Unterrichtsentwicklung und Personalentwicklung, darüber hinaus spielt ein viertes Thema – die Bildungspolitik – eine bedeutende Rolle. Diese Themen sind das Ergebnis der Analyse des Chatverlaufs zwischen Schulleitung und wissenschaftliche Leitung im 2. Schuljahr des Schulaufbaus. Hinsichtlich des Themas der Bildungspolitik wird herausgearbeitet, dass das Zusammenspiel der beiden Rollen – Schulleitung und wissenschaftliche Leitung - wesentlicher Bestandteil für die Etablierung dieses Schulversuches und damit auch für die Umsetzung von Schulentwicklung ist. Die Darstellung der Zusammenarbeit von wissenschaftlicher Leitung und Schulleitung an Hand der exemplarischen Themen zielt darauf ab, herauszuarbeiten, dass das Verhältnis von Schulpraxis und Wissenschaft mehr als ein Rückmelden von Evidenz und/oder Datenanalyse ist, wenn die Gestaltung von Bildungsinnovation das Ziel sein soll. Vielmehr muss es darum gehen, dass sowohl Praxis als auch Forschung gemeinsam für das Gelingen von Schule Verantwortung übernimmt – jeweils in ihrer Rolle als Schulleitung und in ihrer Rolle als wissenschaftliche Leitung - und ein Scheitern eine mögliche Option sein kann. Die gegenseitige Anerkennung der Expertise des anderen ist unabdingbar wie Resonanz im Handeln und im Dialog (Rosa, 2019) miteinander. Gemeinsames Gestalten und Entwickeln von Schule bedarf Respekt und Wertschätzung, es ist nicht institutionell anzulegen. Die notwendige Resonanz zwischen den beiden Akteur:innen soll für die ausgewählten Themen herausgearbeitet werden. Die Gegenseitigkeit im Fokus: Vier Fragen an Research-Practice-Partnerships Der Transfer zwischen Bildungsforschung und Bildungspraxis hat in den vergangenen Jahren besondere Aufmerksamkeit bekommen und wird aktuell als zentrale Voraussetzung diskutiert, um den Herausforderungen im Bildungssystem begegnen zu können. Um zu verstehen, wie erfolgreicher Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis gelingen kann, ist es notwendig, die unterschiedlichen Handlungslogiken, Mechanismen und Strukturen beider Seiten zu betrachten (Blatter & Schelle, 2022). Theoretische Ansätze wie der “Conceptual Framework on the Research-Practice-Gap” von Farley-Ripple et al. (2018) oder das Konzept der „Knowledge Mobilization“ von Cooper et al. (2020) beschreiben dieses ambivalente Verhältnis und nennen Bidirektionalität, Reziprozität und Partnerschaft als zentrale Eigenschaften gelingender Zusammenarbeit. In ähnlicher Weise betont das Positionspapier der Landesinstitute und Qualitätseinrichtungen der Länder zum Transfer von Forschungswissen, dass es beim Transfer von wissenschaftlichem Wissen in die Bildungspraxis einer ko-konstruktiven Zusammenarbeit und der Wertschätzung der Expertisen der jeweils beteiligten Wissenschafts- und Praxisvertretr:innen bedarf (Bieber et al., 2018). Research-Practice-Partnerships (RPPs) sind eine Möglichkeit ko-konstruktive Beziehungen zwischen Wissenschaft und Praxis umzusetzen. In RPPs bearbeiten Wissenschafts- und Praxisvertretr:innen gemeinsam und langfristig Probleme der Praxis. Die Zusammenarbeit beruht dabei auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und es werden gezielt Strategien genutzt, um die Partnerschaft zwischen den Beteiligten zu fördern (Coburn et al., 2013). Wie aber kann das Gegenseitigkeitsprinzip in RPPs umgesetzt und vor allem für die Praxisvertreter:innen sichtbar werden? In unserem Beitrag möchten wir die Gegenseitigkeit in RPPs konkretisieren und konzeptuell ausleuchten. Wir arbeiten dazu vier Fragen heraus, die es ermöglichen, die Gegenseitigkeit im Kontext von RPPs umzusetzen oder zu untersuchen. Anschließend wenden wir die vier Fragen auf das SchuMaS-Projekt an, ein aktuelles Beispiel für RPPs aus der deutschen Forschungslandschaft. Zunächst gehen wir davon aus, dass die Stakeholder in RPPs von Seite der Wissenschaft in der Regel homogener in ihren persönlichen Hintergründen, Einstellungen und beruflichen Erfahrungswelten sind, als die Stakeholder aus der Praxis. Diese Heterogenität der Stakeholder sollte Berücksichtigung in der Planung und Durchführung von RPPs finden, indem als erstes die Frage gestellt wird: Welche Stakeholder sind in der RPP vertreten? Mit der Heterogenität der Stakeholder aus der Praxis geht möglicherweise eine Heterogenität der Ziele in RPPs einher. Da Schule von Komplexität und Unsicherheit geprägt ist, was ambigue Ziele produziert (Mintrop & Zumpe, 2019), sollten die Ziele aller Akteure klar definiert werden. Daraus ergibt sich die zweite Frage: Welche Ziele verfolgen die Stakeholder in der RPP? Je nach Zielsetzung der RPPs können die Rollen der Stakeholder aus Wissenschaft und Praxis unterschiedlich ausgestaltet sein. Verschiedene Rollenkonstellationen gehen dabei mit jeweils unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen einher (Sjölund et al., 2022). Die Rollen können sich dabei im Verlauf eines Projekts ändern und an verschiedenen Stellen zu Konflikten führen (Farrell et al., 2019). Mit unserer dritten Frage plädieren wir dafür, Rollen aktiv in RPPs zu thematisieren: Welche Rollen haben die Stakeholder in der RPP? Schließlich wird in theoretischen Modellen und empirischer Forschung zu RPPs häufig der Fokus auf den Transfer von wissenschaftlichem Wissen in die Praxis gelegt. Seltener wird untersucht, wie Praxiswissen in die Wissenschaft gelangt. Soll die Zusammenarbeit auf Augenhöhe ernst genommen werden und in RPPs auch die Wissenschaft durch die Praxis verändert werden, kann unsere vierten Frage angeführt werden: Wie fließt Wissen zwischen Praxis und Wissenschaft in der RPP? Anhand des SchuMaS Projekts, in dem ko-konstruktiv Schulentwicklungsmaßnahmen entwickelt, umgesetzt und verbreitet werden sollen, zeigen wir exemplarisch, wie die vier Fragen helfen können, das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis im Rahmen von RPPs in den Blick zu nehmen. Insbesondere reflektieren wir, inwiefern Gegenseitigkeit zwischen Wissenschaft und Praxis in SchuMaS bislang umgesetzt wurde. Wissenschafts-Praxis-Partnerschaften im Bildungswesen – Eine systematische Literaturanalyse ihrer Mechanismen Wissenschafts-Praxis-Partnerschaften (WPP) sind ein aufstrebendes Forschungs- und Praxisfeld, um die Brücke zwischen Theorie und Praxis im Bildungsbereich zu schlagen (Coburn et al., 2013). In den letzten zehn Jahren hat es einen exponentiellen Anstieg bildungswissenschaftlicher Veröffentlichungen zu WPP gegeben (Denner et al., 2019). Obwohl WPP zunehmend an Bedeutung gewinnen, ist unser Verständnis der komplexen sozialen Dynamiken, die diese Partnerschaften von ihrer Entstehung bis zu wirkungsvollen Ergebnissen prägen, immer noch begrenzt (Farrell et al., 2022). Es besteht somit Bedarf an einer systematischen Übersicht, die die Komplexität von WPP erfasst und die verschiedenen Aspekte und Wege berücksichtigt, die ihre Funktionsweise und ihren Erfolg bei der Erreichung ihrer beabsichtigten Ergebnisse gestalten (Coburn et al., 2016; Penuel et al., 2019; Welsh, 2021). Diese Studie hat das Ziel, durch eine systematische Literaturanalyse relevante Mechanismen von WPP zu identifizieren (Illari et al., 2012). Die Ergebnisse dieser Analyse können dazu beitragen, die Theoriebildung über die komplexen Funktionsweisen von WPP voranzubringen und die Umsetzung von WPP, ihre Evaluation und die empirische Forschung in diesem Bereich zu unterstützen. Wir greifen auf einen theoretischen Ansatz von Illari und Kolleg*innen (2012) zurück, um die angenommenen Wirkungen von WPP in ihre Einzelteile zerlegen zu können. WPP können demnach als komplexe soziale Mechanismen verstanden werden (Penuel et al., 2019), also Strukturen mit Komponententeilen und Prozessen, die jeweils bestimmte Funktionen erfüllen (Bechtel et al., 2005; Machamer et al., 2000). Um diese Mechanismen zu verstehen, müssen sie in ihre Komponententeile zerlegt werden (Illari et al., 2012). Diese Komponententeile umfassen die angestrebten Funktionen (Outcomes) der WPP, relevante Einheiten und ihre Eigenschaften (Einflussgrößen) sowie Interaktionen zwischen diesen Komponententeilen (Prozesse). Unsere Studie zielt darauf ab, diese Komponententeile im Rahmen einer Literaturanalyse zu identifizieren. Daraus ergeben sich drei zentrale Forschungsfragen: (F1) Was sind laut bestehender Literatur Outcomes von WPP? (F2) Welche zentralen Einflussgrößen stellt die Literatur heraus, die das Erreichen der Ziele beeinflussen? (F3) Was sagt die Literatur über die Prozesse zwischen diesen Komponententeilen im WPP-Mechanismus aus? Unsere Literaturanalyse orientiert sich an den PRISMA-Richtlinien (Liberati et al., 2009) und den EPPI-Center-Richtlinien (Gough et al., 2017), um einen umfassenden und reproduzierbaren Überblick über die Forschungsliteratur zu WPP zu erstellen. Dazu wurden relevante Veröffentlichungen in den Datenbanken EBSCO Education Research Complete und Social Science Citation Index (SSCI) von Web of Science gesucht und ausgewählt. Von den anfänglich gefundenen 3.444 Veröffentlichungen wurden nach mehreren Auswahlrunden 578 Artikel für unsere Analyse ausgewählt, darunter konzeptionelle, empirische, Übersichts- und Hybridveröffentlichungen. Unsere Analyse ergab, dass die meisten Artikel empirische Studien waren, wobei Einzelfallstudien den Großteil dieser Kategorie ausmachten. Derzeit führen wir qualitative Inhaltsanalysen durch, um die relevanten Komponententeile des WPP-Mechanismus zu identifizieren. Unsere vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass die Outcomes (F1) von WPP vielfältig sind, aber in den meisten Fällen auf die Schüler*innen- und Lehrer*innen-Ebene abzielen. Auf Schüler*innenebene konzentrieren sie sich auf verschiedene Lernbereiche und die Förderung der Chancengleichheit. Auf Lehrkraftebene zielen sie vor allem auf die berufliche Weiterentwicklung der Lehrenden ab. Wir haben eine große Menge an Einflussgrößen (F2) in sechs Kategorien identifiziert, wobei der "strategische Aufbau der Partnerschaft", konkret die dokumentierte Institutionalisierung, die Infrastruktur für berufsfeldübergreifendes Arbeiten, die Unterstützung von übergeordneten institutionellen Führungskräften und ein kollaborativer praxisorientierter Forschungsansatz – neben den "sozialen Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Partnerschaft" besonders wichtig erscheinen. Die Einflussgrößen interagieren auch untereinander (F3): Zum Beispiel wirkt sich laut Literatur der strategische Aufbau der Partnerschaft auf die sozialen Beziehungen zwischen den Partnerschaftsmitgliedern aus. Unsere systematische Übersicht trägt dazu bei, ein umfassenderes Verständnis der komplexen Mechanismen von WPP zu entwickeln. Diese Erkenntnisse können zukünftige Forschung sowie die Umsetzung von WPP unterstützen. Im Vortrag werden methodischer Zugang und Analysen im Detail vorgestellt und angesichts der gefundenen sehr heterogenen Literatur zu WPP kritisch diskutiert. Zur Arbeit in Entwicklungsteams: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in Research-Practice Partnerships in der Lehrkräftebildung Kollaborativen Formaten zwischen Schule und Universität, häufig mit Integration weiterer Partner*innen „mit unterschiedlichen Hintergründen, Rollen und Funktionen" (Lillejord & Børte, 2016, S. 556), wird das Potenzial zugesprochen, die Lehrkräftebildung durch eine verbesserte Theorie-Praxis-Verzahnung weiterzuentwickeln (Autor*innen A, 2022; Lillejord & Børte, 2016; Villiger, 2015). Research-Practice Partnerships (RPPs) sind eines dieser kollaborativen Formate, die auf Innovationen in der Lehrkräftebildung durch Kooperation zwischen Praxis und Forschung setzen (Farrell et al., 2021). Die mit RPPs einhergehenden Prozesse sowie auch die Erträge jenseits der entwickelten Produkte oder Lösungen sind jedoch noch weitestgehend unerforscht (Coburn & Penuel, 2016). Im Projekt „Zukunftszentrum Lehrkräftebildung – Netzwerk (ZZL-Netzwerk)“ der Leuphana Universität Lüneburg wurden als Teil der Qualitätsoffensive Lehrerbildung seit 2016 neun institutionenübergreifende Entwicklungsteams (ETs) konstituiert, die sich aus Vertreter*innen der folgenden vier Akteur*innengruppen zusammensetzen: Universität (Forscher*innen), Schule (insbesondere Lehrkräften), außerschulische Partnerorganisationen und Lehramtsstudierende. Das Design dieser ETs vereint alle Prinzipien von RPPs nach Farrell et al. (2021). Die Teams arbeiten in ko-konstruktiver Zusammenarbeit vor allem an der Konzeption von Lernmodulen und an der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien (Autor*innen B, 2022). Ziele und Methode Eine in 2021 mit den ETs durchgeführte Fragebogenerhebung mit n=78 Teilnehmer*innen (n=105 kontaktiert; Vollerhebung; Rücklaufquote 74%) zielte u.a. darauf ab, Erkenntnisse zu Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in der Zusammenarbeit in RPPs zu gewinnen. Dafür waren folgende Forschungsfragen zu beantworten: 1) Welches sind die Herausforderungen, Enttäuschungen und Erfolgsfaktoren der Zusammenarbeit sowie die größten persönlichen Nutzen, die die Teilnehmer*innen wahrnehmen? 2) Gibt es Unterschiede zwischen den vier Akteur*innengruppen hinsichtlich der Herausforderungen, Enttäuschungen und Erfolgsfaktoren der Zusammenarbeit sowie hinsichtlich der größten persönlichen Nutzen? 3) Welche Auswirkungen ergeben sich für die Arbeitsstätte der Teilnehmer*innen (z.B. die Schule, das Studienseminar oder die Universität) durch die Beteiligung an der ET-Arbeit? Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen wurden Fragen mit offenem Antwortformat in den Fragebogen integriert. Dabei sollten die Teilnehmer*innen jeweils maximal drei Aspekte benennen. Die Daten wurden mit Hilfe der strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz & Rädiker, 2022) ausgewertet. Ergebnisse und Implikationen Folgende relevante Erfolgsfaktoren für die Zusammenarbeit in RPPs konnten identifiziert werden: a) gegenseitiger Austausch & Kommunikation (57,63%); b) Entwicklung konkreter Produkte (40,68%); c) Multiperspektivität (38,98%); d) Wertschätzung (38,98); e) Kompetenzerweiterung & Wissenstransfer (37,29%) sowie f) Praxisorientierung (35,59%). Als größte Herausforderungen werden von den Teilnehmer*innen wahrgenommen: a) Zielfokussierung in den Sitzungen (45,28%); b) Arbeitsaufwand (37,74%); c) Planung und Organisation der Treffen (37,74%); d) Theorie-Praxis-Gap (30,19%) sowie e) Onlinetreffen / Covid (24,53%). Enttäuschungen spielen eine untergeordnete Rolle (Rücklaufquote 37%). Wenn sie genannt werden, dann beziehen sie sich zumeist auf die Planung und den Fokus der Treffen sowie auf fehlende Zeit (51,72%). Akteur*innengruppenspezifische Unterschiede bei den Wahrnehmungen sind insgesamt gegeben. Finale Ergebnisse zu den größten persönlichen Erträgen sowie zu den Auswirkungen auf die Arbeitsstätte der Teilnehmenden (primär Forschungsfrage 3) werden in Kürze erwartet. Die Ergebnisse tragen wesentlich zu Erkenntnissen über Gelingensbedingungen und Verbesserungspotenziale in der Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams in der Lehrkräftebildung bei. Sie deuten darauf hin, dass ko-konstruktive Zusammenarbeit in RPPs kein Selbstläufer ist, sondern komplex. Eher widersprüchliche Ergebnisse wie Multiperspektivität als Erfolgsfaktor und die Lücke von Theorie und Praxis als Herausforderung verstärken diese Schlussfolgerung. Akteur*innengruppenspezifische Unterschiede können für zukünftige Zusammenarbeiten sowie für die Gewinnung neuer Mitglieder berücksichtigt werden, um die Zufriedenheit der Teilnehmenden und Lerneffekte weiter zu verstärken. Die Ergebnisse zu den Wirkungen auf die beteiligten Organisationen (z.B. Schulen, Studienseminare oder die Universität) erweitern den Analyserahmen auf Effekte jenseits der direkt Beteiligten. Sie adressieren daher insbesondere Forschungslücken, die das Fehlen von Studien zu RPPs über die jeweilige Innovation hinaus kritisieren. Weitere Forschung über die Gestaltung und Umsetzung von RPPs sind erforderlich. |
10:30 - 12:10 | 4-08: Mehrsprachigkeit im Unterricht!? Ergebnisse der X-Studie zu den Überzeugungen von Grundschullehrkräften im Umgang mit Mehrsprachigkeit Ort: S18 |
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Symposium
Mehrsprachigkeit im Unterricht!? Ergebnisse der BLUME-Studie zu den ÜBerzeugungen von GrundschulLehrkräften im Umgang mit MEhrsprachigkeit Kontext: Mehrsprachigkeit ist weltweit und auch in Deutschland durch die internationalen Migrations- und Fluchtbewegungen die Regel (Tracy, 2014). Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit bezieht sich dabei auf die verschiedenen Familiensprachen von Grundschulkindern, die die sprachliche Heterogenität im Grundschulunterricht prägen und ein zentrales Kennzeichen von Grundschulklassen darstellen (Grosjean, 2020). Aktuelle Ergebnisse der IQB-Studie zeigen, dass jedes fünfte Kind erst in der Grundschule mit Deutsch in Berührung kommt (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Davon ausgehend ist es gerade im grundschulpädagogischen Mehrsprachigkeitsdiskurs notwendig den Blick gezielter auf unterrichtsnahe Fragestellungen zu richten. Professionstheoretische Verortung: In der BLUME-Studie werden Überzeugungen ausgehend von einem kompetenztheoretischen Verständnis professioneller Kompetenz (Baumert & Kunter, 2006) überwiegend dem affektiv-motivationalen Bereich zugeordnet, wobei diese auch kognitive Komponenten umfassen (Reusser, et al., 2011). Überzeugungen werden als selbst-normativ und individuell verstanden und zeichnen sich durch emotionale Gehalte aus. Die Überzeugungen von Lehrkräften sind als Forschungsgegenstand interessant, weil ihnen zugeschrieben wird, dass sie das Handeln steuern und Lehrkräfte ihr Handeln mit ihren Überzeugungen auch begründen (Buehl & Beck, 2015; Voss et al., 2011) Forschungsstand & Forschungsdesiderat: Berufsbezogene Überzeugungen sind grundsätzlich auf eine bestimmte berufliche Anforderung gerichtet (Reusser et al., 2011, S. 642), wobei der Umgang mit Mehrsprachigkeit – insbesondere in Bezug auf berufstätige Grundschullehrkräfte und deren Überzeugungen – ein Forschungsdesiderat in der Grundschulpädagogik darstellt. Im internationalen Forschungsstand liegen einzelne Studien vor, welche die Überzeugungen von Lehrkräften zum Umgang mit kultureller und sprachlicher Vielfalt untersuchen (z.B. Haukas, 2015; Lundberg, 2019). Insgesamt deutet der Forschungsstand darauf hin, dass die Überzeugungen von Grundschullehrkräften gegenüber dem Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht insgesamt tendenziell positiv ausgeprägt sind. Zusammenfassend lässt sich das Forschungsdesiderat, auf das reagiert wird, wie folgt beschreiben: Vorliegende Studien fokussieren entweder nicht spezifisch das Konstrukt der Überzeugungen, sondern die Erhebung von Einstellungen über Mehrsprachigkeit (Maak et al., 2015), nicht spezifisch das Thema Mehrsprachigkeit, sondern Migrationshintergrund (Wischmeier, 2012) oder untersuchen als Zielgruppe Lehramtsstudierende (Fischer & Ehmke, 2019) oder pädagogische Fachkräfte (Kratzmann et al., 2017) – jedoch nicht berufstätige Grundschullehrkräfte. Im vorliegenden Symposium werden die Überzeugungen von berufstätigen Grundschullehrkräften in den Blick genommen. Erkenntnisinteresse: Bei der DFG-geförderten BLUME Studie („ÜBerzeugungen von GrundschulLehrkräften zum Umgang mit MEhrsprachigkeit“) handelt es sich um eine Qualitative Vignettenstudie. Ziel der Studie ist eine differenziertere und tiefergehendere Analyse der mehrsprachigkeitsbezogenen Überzeugungen entlang von theoretisch entwickelten didaktischen Funktionen (Lange & Pohlmann-Rother, 2024/i.V.), die Grundlage waren für die Entwicklung von sechs Vignetten. Im vorliegenden Symposium werden die theoretischen und empirischen Ergebnisse der BLUME-Studie vorgestellt. Datenerhebung und -auswertung: Die Stichprobe der vorliegenden Studie beläuft sich auf N=43 Grundschullehrkräfte in sechs verschiedenen Bundesländern. Als Stimulus für die Interviews dienten Unterrichtsvignetten als kurze Fallbeispiele (Atria et al., 2006) zu alltäglichen Mehrsprachigkeitssituationen im Unterricht. Das Interview gliedert sich in eine narrative Einstiegsphase (Teil 1) mit offener Fragestellung und eine Vignettenphase (Teil 2), in der die Lehrkräfte gebeten wurden zu zwei der sechs theoretisch entwickelten Unterrichtsvignetten Position zu beziehen (vgl. Lange & Pohlmann-Rother, 2024/i.V.). Jeder Unterrichtsvignette lag dabei eine der in Vortrag 1 beschriebenen didaktischen Funktionen von Mehrsprachigkeit im Unterricht zugrunde. Ablauf des Symposiums: Nach einer kurzen Einführung werden in Vortrag 1 die theoretischen Ergebnisse der BLUME-Studie in Form der theoretisch ausgearbeiteten didaktischen Funktionen zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht vorgestellt. Anschließend werden in Vortrag 2 die empirischen Ergebnisse der Vignettenstudie präsentiert, indem zum einen die induktiv-deduktiv herausgearbeiteten Kategorien zur fallübergreifenden Beschreibung der Ausprägungen der Überzeugungen der Lehrkräfte und zum anderen die fünf Überzeugungstypen der Typenbildung nach Kelle und Kluge (2010) präsentiert werden. Abschließend werden in Vortrag 3 die Ergebnisse der deduktiv-induktiven Sekundäranalyse präsentiert, mit der im Rahmen der DFG-geförderten Zusatzstudie BLUME IV-Migration die Konstruktion von Linguizismus im Unterricht untersucht wurde. Abschließend werden die Vorträge aus Sicht der Diskutantin kritisch-konstruktiv reflektiert. Beiträge des Symposiums Didaktische Funktionen zum Einbezug von Familiensprachen im Unterricht Hinführung: Das Thema Mehrsprachigkeit ist von hoher pädagogischer und gesellschaftlicher Relevanz, da Grundschullehrkräfte täglich sprachlicher Heterogenität begegnen. Im aktuellen Diskurs lässt sich ein Perspektivwechseln von der Defizitperspektive hin zu ressourcenorientierter Betrachtung von migrationsbedingter Mehrsprachigkeit erkennen (Autor:innen, 2020). Der Grundschule als „Schule der Vielfalt und Gemeinsamkeit“ (Schorch, 2007, S. 35) kommt ein demokratischer Bildungsauftrag als ‚Schule für Alle‘ sowie die Aufgabe zu, kindgemäße Lernumgebungen zu gestalten sowie unterschiedliche Vorerfahrungen und Wissensstände der Kinder einzubeziehen (Jung, 2021). Ausgangspunkt des Beitrags ist die Ausformulierung eines theoretisch begründeten grundschulpädagogischen Selbstverständnisses hinsichtlich der lernförderlichen Nutzung von nicht-deutschen Familiensprachen im Grundschulunterricht. Der ressourcenorientierte Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht kann u.a. bildungstheoretisch und pädagogisch begründet werden (Autor:innen). Grundschulpädagogisches Selbstverständnis: Zur theoretischen Untermauerung der Bedeutung des Themas Mehrsprachigkeit im Unterricht wurden sechs Begründunglinien zu einem grundschulpädagogischen „Selbstverständnis“ ausformuliert. So wird postuliert, dass der Einbezug von Mehrsprachigkeit in den Unterricht (a) die Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung der Schüler:innen unterstützen kann (Martschinke, 2014), (b) das Selbstwertgefühl und die Lernmotivation der Kinder fördern (Lohrmann & Hartinger, 2014) und (c) die Vermittlung sprachbezogener Basiskompetenzen bestärken kann (Busch, 2013). Eine (d) diversitätssensible Orientierung des Unterrichts kann sicherstellen, dass der Unterricht an den sprachlichen Lernvoraussetzungen aller Kinder orientiert wird (Fürstenau, 2011). Außerdem kann die Wertschätzung von Mehrsprachigkeit im Unterricht (e) die Verbindung sprachlicher Bildungsprozesse mit fachlichen Inhalten unterstützen (Gogolin, 2020) sowie (f) außerschulische und kulturelle Spracherfahrungen aufgreifen (Neuhaus, 1991). Didaktische Funktionen zur Ausdifferenzierung des lernförderlichen Nutzens von Mehrsprachigkeit im Grundschulunterricht: Aufbauend auf diesen Begründungslinien wird für die Unterrichtsebene eine Systematisierung zu sechs verschiedenen didaktischen Funktionen entworfen, die mit dem Einbezug von nicht-deutschen Familiensprachen im Unterricht verfolgt werden können. Diese Funktionen wurden auf Grundlage des aktuellen Forschungsstands zur migrationsbedingten Mehrsprachigkeit sowie unter Einbezug der spezifischen grundschulpädagogischen Kernaufgaben entwickelt. Es handelt sich um die identitätsstiftende, soziale, spracherwerbsstützende, diskriminierungskritische, fachliche und kulturelle didaktische Funktion (vgl. Autor:innen). Die identitätsstiftende didaktische Funktion bspw. bezieht sich auf das Bewusstsein verschiedener sprachlicher Identitäten. Dies kann bei den Schüler:innen ein Identitätsbewusstsein fördern; die Stärkung des Selbstkonzepts kann zur Identitätsentwicklung der Schüler:innen beitragen (Krumm, 2020) und das Selbstbewusstsein von mehrsprachigen Kindern als Herkunftssprecher:innen fördern (Riehl, 2014). Bei der sozialen didaktischen Funktion geht es um die Bildung einer Gemeinschaft in der Schulklasse durch Wertschätzung und Darstellung der Mehrsprachigkeit (Fürstenau, 2017). Mit der spracherwerbsstützenden didaktischen Funktion kann durch Sprachvergleiche, sowie Vorteile des grammatischen Grundgerüst der Erstsprachen der Kinder sprachliche Bildung erfolgen (Akbulut et al., 2017). Durch die gleiche Wertschätzung und Berechtigung aller Sprachen soll mit der diskriminierungskritischen didaktischen Funktion der Diskriminierung einzelner Schüler:innen entgegengewirkt (Riehl, 2014) und vorurteilsbewusste Bildung angestrebt werden. Die fachliche didaktische Funktion definiert sich durch mögliche kognitive und kommunikative Vorteile, die der Einbezug der Familiensprachen in den Unterricht für das fachliche Lernen bringen kann (Prediger et al., 2019). Mit der kulturellen didaktische Funktion kann ausgehend von einer kindlichen Lebenswelt über den Vergleich von Gemeinsamkeiten und Unterschieden kulturelle Bildung erreicht werden (Nießeler, 2016). Diskussion: Die ausgeführten didaktischen Funktionen sind hypothetische und theoriefundierte Unterscheidungen zum Einbezug von Mehrsprachigkeit in den Grundschulunterricht und beschreiben didaktische Prozesse und Zielsetzungen. Das Ziel besteht darin, zu einer Ausdifferenzierung der bisher im Diskurs dominierenden Polarisierung zwischen stark befürwortenden oder ablehnenden Positionen in der Mehrsprachigkeitsforschung beizutragen, um den Blick zu schärfen für das breitere Spektrum der verschiedenen Möglichkeiten des Einbezugs von Mehrsprachigkeit im Grundschulunterricht. In der Diskussion wird ausgeführt, wie die zentralen Aspekte der didaktischen Funktionen in Unterrichtsvignetten operationalisiert wurden, die im Rahmen der DFG-geförderten X-Studie in Interviews mit Grundschullehrkräften eingesetzt wurden, in der die Überzeugungen von Grundschullehrkräften zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht untersucht werden. Die vorliegenden Ergebnisse zur Theoriebildung aus der X-Studie stellen den Kern des Beitrags dar. „Also es ist utopisch“ – Ergebnisse der Typenbildung zu den Überzeugungen von Grundschullehrkräften zum Umgang mit Mehrsprachigkeit Fragestellung: Um dem Ziel der X-Studie nachzukommen, die Überzeugungen der Grundschullehrkräfte in ihrer Vielschichtigkeit und auch möglichen Widersprüchlichkeit zu beschreiben, wurden mit 43 Grundschullehrkräften vignettengestützte Interviews durchgeführt und qualitativ ausgewertet. Datenauswertung: Um der Herausforderung nachzukommen, die Überzeugungen der Lehrkräfte in den Beschreibungen und Begründungen im Vignetteninterview sichtbar zu machen, wurden zunächst mit einer Basiskodierung ‚Positionierungsaussagen‘ identifiziert. Diese Positionierungsaussagen zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine subjektive Bewertung der Lehrkräfte darstellen und eine klare und eindeutige eigene Positionierung zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht mit inhaltlichem „Ich“-Bezug aufweisen. (1) Induktiv-deduktive Kategorienbildung: Im Rahmen der Kodierung der Positionierungsaussagen wurde zunächst ein Kategoriensystem aus einzelnen Interviews mit Haupt- und Unterkategorien erarbeitet, um fallübergreifend die Ausprägungen der Überzeugungen der Grundschullehrkräften zum Umgang mit Mehrsprachigkeit zu beschreiben. Das so entstandene Kategoriensystem umfasst elf Hauptkategorien, welche die mehrsprachigkeitsbezogenen Positionierungen der Lehrkräfte zu Mehrsprachigkeit im Unterricht abbilden. Jedes Interview wurde in zwei unabhängigen Durchgängen doppelt kodiert und in regelmäßigen Auswertungstreffen in der Forschungsgruppe konsensuell validiert (Hopf & Schmidt, 1993). Parallel fand eine Beratung über die Kodierentscheidung statt, um das Kategoriensystem gegebenenfalls noch zu präzisieren und im Sinne der induktiven Datenauswertung an das Datenmaterial anzupassen (vgl. Levasier, 2022). (2) Typenbildung: Ausgehend vom Kategoriensystem wurde eine Typenbildung nach Kelle & Kluge (2010) durchgeführt. Zunächst wurden Vergleichsdimensionen erarbeitet – ausgehend vom Kategoriensystem und auch fallspezifisch ausgehend von den Fallzusammenfassungen zu den Interviews. Folgend wurden die Fälle anhand der Vergleichsdimensionen gruppiert und die empirischen Regelmäßigkeiten analysiert, die Merkmalskombinationen mit Hilfe von Kreuztabellen erstellt und inhaltliche Sinnzusammenhänge herausgearbeitet. Abschließend wurden die konstruierten Typen anhand ihrer Merkmalskombinationen und der übergreifenden Zusammenhänge charakterisiert. Für jeden gebildeten Typ wurde ein repräsentativer Prototyp herausgestellt. Empirische Ergebnisse: (1) Kategorienbildung: Die Ausprägungen der Überzeugungen von Grundschullehrkräften zu Mehrsprachigkeit im Unterricht lassen sich in vier übergeordnete Bereiche fassen, die durch verschiedene Ober- und Unterkategorien ausdifferenziert werden: (1) Befürwortende Kategorien zur Bedeutung von Mehrsprachigkeit im Unterricht, (2) Eher ablehnende Kategorien zu Schwierigkeiten und Grenzen von Mehrsprachigkeit im Unterricht, (3) Priorisierung des Deutschen im Unterricht im Gegensatz zu ‚Normalität‘ von Mehrsprachigkeit und (4) Reflexion der eigenen Überzeugungen durch die Lehrkraft. Diesem Bereich werden auch Aussagen der Lehrkräfte zugeordnet, in denen sie ihre eigene Ambivalenz zum Thema beschreiben. (2) Typenbildung: Die Typenbildung ergab fünf Überzeugungstypen, die eine große Bandbreite und Widersprüchlichkeiten im Umgang der Lehrkräfte mit Mehrsprachigkeit aufzeigen. Typ 1: Der selbstsichere, mehrsprachigkeitsbefürwortende Typ zeichnet sich dadurch aus, dass er Mehrsprachigkeit gegenüber aufgeschlossen und sehr zugewandt ist. Typ 2: Der unsichere, offene Typ zeichnet sich durch Unsicherheiten im unterrichtlichen Umgang mit Mehrsprachigkeit aus. Typ 3: Der hierarchisierende, ambivalente Typ ist Mehrsprachigkeit gegenüber teilweise aufgeschlossen, teilweise (leicht) zurückhaltend. Typ 4: Der ambivalente, unsichere Typ zeichnet sich durch Unsicherheiten im gewählten Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht aus. Typ 5: Der zurückweisende, funktionale Typ ist Mehrsprachigkeit im Unterricht gegenüber zurückweisend eingestellt. Mehrsprachigkeit wird von diesen Lehrkräften nicht als Aufgabe angesehen und nicht als Thema im Unterricht berücksichtigt. Diskussion: Trotz der sozialen Erwünschtheit bei diesem Thema und des Rahmens einer Interviewsituation, ist es gelungen, die ganze Bandbreite der Überzeugungen von Lehrkräften zu erfassen. Neben der Vielschichtigkeit zeigen die Ergebnisse der X-Studie auch die Widersprüchlichkeiten der Überzeugungen der Lehrkräfte zum Umgang mit Mehrsprachigkeit. Sprachliche Diskriminierung im Unterricht – Ergebnisse einer linguizismuskritischen Sekundäranalyse Kontext der Studie sind die empirisch erwiesenen, stabilen Bildungsungleichheiten und -gerechtigkeiten in Grundschulen in Deutschland, wie sie bereits vor zehn Jahren insbesondere an den Übergängen zu und von der Grundschule empirisch sichtbar wurden (Gomolla, 2013; Gresch, 2016; Ditton, 2016; Cloos, 2017; Schräpler & Weishaupt, 2019). Wenn Sprache als Differenzmittel in der Zuordnung von Personen zu gesellschaftlichen, meist untergeordneten Gruppen verwendet wird und dies zu Abgrenzungs- und Ausgrenzungspraktiken führt, bezeichnet Dirim (2010) dies als Linguizismus. Empirische Befunde zu sprachbezogenen Bildungsungleichheiten zeigen bspw., dass es einen Zusammenhang bei Kindern mit Migrationserfahrungen zwischen den Kompetenzen der Zweitsprache Deutsch mit Blick auf (1) Rückstellungen vor der Einschulung und hinsichtlich (2) Schulleistungen gibt (Kemper, 2015). Zwar ist eine Entwicklung des theoretischen Verständnisses von sprachbezogenen Ungerechtigkeiten in der Grundschule zu beobachten, jedoch sind Fragen zur Konstruktion der belegten Diskriminierungsphänomene nach wie vor offen. Theoretisch liegt der Studie ein migrationspädagogisches Bildungsverständnis zugrunde, mit dem differenz-, macht- und rassismuskritische Perspektiven auf Bildungsinstitutionen sowie deren Akteur:innen und entsprechende Bildungspraktiken gerichtet werden (Mecheril, 2004). Dabei sollen insbesondere der Zusammenhang von Kultur, Macht und Sprache sowie systematische Marginalisierungsprozesse im Kontext von Migration aufgedeckt und reflektiert werden (Auernheimer, 2013; Emmerich & Hormel, 2015). Im Unterricht zeigt sich dies häufig durch Abgrenzungspraktiken und binäre Trennung vom Eigenen und vermeintlich Fremden – nach Spivak (1985) mit ‚Othering‘ bezeichnet. Solche Abgrenzungspraktiken sind häufig mit herabmindernden Zuschreibungen und damit erwarteten, identitätsstiftenden Wirkungen hinsichtlich der Illusion von innerer ‚Homogenität‘ und Ordnung verbunden (Foroutan & İkiz, 2016; Akbas & Polat, 2020, S. 152). Erkenntnisinteresse und Methode: Empirische Grundlage stellt die DFG-geförderte X-Studie dar, in der Interviews mit Grundschullehrkräften (N=43) in sechs Bundesländern erhoben wurden, um die berufsbezogenen Überzeugungen von Grundschullehrkräften zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im Unterricht zu analysieren. In der vorliegenden Teilstudie werden diese Interviews unter linguizismuskritischer Perspektive anhand der qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2016) mit deduktiv-induktiver Kategorienbildung analysiert. Das Ziel der Studie ist es, die Konstruktion von möglichen, linguizismusbezogenen Benachteiligungen in der alltäglichen Bildungspraxis zu analysieren, um folgende Forschungsfragen zu beantwortet: (1) Welche Alltagspraktiken von Grundschullehrkräften sind hinsichtlich des Umgangs mit Mehrsprachigkeit im Unterricht aus linguizismuskritischer Sicht zu beschreiben? (2) Welche Begründungen und Legitimierungen werden von Lehrkräften geäußert, um hypothetisches linguizistisches Verhalten zu rechtfertigen? Ergebnisse und Diskussion: Die Auswertung ergab acht zentrale Themen, die aus linguizismuskritischer Perspektive in den Äußerungen der Lehrkräfte eine besondere Bedeutung einnehmen. Diese umfassen die Beschreibungen von Hierarchisierungen zwischen Sprachen. So äußern die Lehrkräfte bspw. Auf- und Abwertungen zwischen verschiedenen Sprachen, wobei Deutsch und Sprachen wie Englisch oder Französisch im Hinblick auf die Vorbereitung auf zukünftige Bildungswege als überlegen und prestigeträchtiges angesehen werden („wenn Kinder aufs Gymnasium wechseln möchten / (.) ist nun mal ähm Englisch Minimum. Deutsch dann ja schon dazu. Und dann natürlich noch mindestens Französisch, (.) Spanisch oder halt, welche Sprache dann noch anerkannt ist“; I1, Pos. 409-411). Als auch zentral zeigten sich Sprachgebote und Sprachverbote in Schule und Unterricht. Auch die Sonderstellung der Kinder aufgrund der Familiensprachen sowie die Distanzierung von der Aufgabe mehrsprachige Kinder zu unterrichten sind Themen im empirischen Material. Zudem beschäftigen die Lehrkräfte Probleme, die besonders mehrsprachigen Schüler:innen zugeschrieben werden – insbesondere bezogen auf Sprachnutzung und Lernausgangslagen – sowie sprachbezogene Schwierigkeiten im familiären Kontext. Ferner reflektieren sie sprachbezogene Diskriminierung und benennen ihre Vorstellungen von Normalität und Alterität in Bezug auf Mehrsprachigkeit im Unterricht. Die Ergebnisse können dazu beitragen, einen Anstoß für Veränderungsprozesse im Bildungssystem im Sinne der demokratischen Teilhabegerechtigkeit zu geben. Das bessere Verstehen der Konstruktion von Linguizismus kann dazu beitragen, in der Ausbildung von Grundschullehrkräften den Fokus darauf zu richten, Lehrkräftekompetenzen im Umgang mit sprachlicher Vielfalt auszubilden, indem Lehrkräfte für die verschiedenen Erscheinungsformen von Differenz und Diskriminierung sensibilisiert werden (Winter, 2022). |
10:30 - 12:10 | 4-09: Professionelle Unterrichtswahrnehmung: Wie blicken Lehrkräfte auf ihre Schülerinnen und Schüler? Ort: S17 |
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Symposium
Professionelle Unterrichtswahrnehmung: Wie blicken Lehrkräfte auf ihre Schülerinnen und Schüler? Professionelle Unterrichtswahrnehmung ist eine zentrale Kompetenz von Lehrkräften, da sie in der Lage sein müssen, relevante Ereignisse wahrzunehmen und als solche zu identifizieren, um entsprechend darauf reagieren zu können (Wolff et al., 2016). Studien konnten zeigen, dass Eye Tracking eine vielversprechende Methode darstellt, professionelle Unterrichtswahrnehmung bei Lehrkräften zu untersuchen (für ein Review dieser Arbeiten, Grub et al., 2020). Eye Tracking ermöglicht die präzise Erfassung der Blickbewegungen von Lehrkräften und somit die Analyse der Anzahl und Dauer von Fixationen auf Schüler:innen sowie die Untersuchung der Aufmerksamkeitsverteilung im gesamten Klassenzimmer (Stahnke & Blömeke, 2021). Das Symposium präsentiert vier Beiträge, die mit Hilfe der Eye-Tracking-Technologie neue Einblicke in die professionelle Unterrichtswahrnehmung von Lehrkräften in komplexen schulischen Kontexten geben und der Frage nachgehen, wie Lehrkräfte ihre Aufmerksamkeit auf das Unterrichtsgeschehen und ihre Schüler:innen fokussieren. Individuelle Schülermerkmale, darunter Geschlecht sowie motivational-affektive und kognitive Voraussetzungen, beeinflussen Lehrer-Schüler-Interaktionen im Unterricht (Brophy & Good, 1970). Obwohl ihre Bedeutung in der Unterrichtsforschung anerkannt ist, wurden sie in Untersuchungen zur professionellen Unterrichtswahrnehmung bisher vernachlässigt. Ungeklärt ist daher, ob auch die den Lehrkrafthandlungen oftmals vorausgehenden Aufmerksamkeitsprozesse der Lehrkräfte systematisch mit individuellen Schüler:innenmerkmalen zusammenhängen. In diesem Zusammenhang fokussiert Studie 1 auf die Heterogenität im Klassenzimmer im Hinblick auf das Geschlecht und geht der Frage nach, ob es Unterschiede im Blickverhalten von Lehrkräften gibt, je nachdem, ob sie Schülerinnen oder Schüler betrachten. Dabei argumentieren die Autor:innen, dass mögliche Geschlechterstereotype (z.B. Mädchen haben geringes Interesse in Mathematik; Stanat et al., 2018) Aufmerksamkeitsprozesse der Lehrkraft im Unterricht abbilden – angenommen wird, das trotz ähnlichem Verhalten der Schüler:innen, Schüler häufiger und länger Aufmerksamkeit von der Lehrkraft bekommen als Schülerinnen. Zusätzlich wird in der Studie untersucht, ob es einen Unterschied zwischen erfahrenen und unerfahrenen Lehrkräften gibt. In Studie 2 wird untersucht, wie Lehrkräfte ihre Aufmerksamkeit auf Schüler:innen mit unterschiedlichen kognitiven und motivational-affektiven Schüler:innenmerkmalen verteilen (dazu zählen Vorleistung, Interesse und Selbstkonzept). Aufbauend auf Forschungsergebnissen, die zeigen, dass Lehrkräfte häufig mit leistungsstarken Schüler:innen interagieren (Lipowsky et al. 2007), ist bislang ungeklärt, wie sie ihre Aufmerksamkeit auf beispielsweise leistungsschwächere oder desinteressierte Schüler:innen richten, unabhängig von stattfindenden Interaktionen. Es wird vermutet, dass Lehrkräfte zwar weniger häufig mit leistungsschwächeren Schüler:innen interagieren, dass sie diese aber über die Dauer und Verteilung des Unterrichts hinweg immer wieder wahrnehmen und monitoren. Auch in Studie 3 wird argumentiert, dass das Wahrnehmen von Schüler:innenvoraussetzungen eine wichtige Kernkompetenz von Lehrkräften darstellt, insbesondere um den Unterricht in heterogenen Klassenzimmern differenziert gestalten zu können. Aufbauend auf vorherigen Studien, die aufgezeigt haben, dass professionelle Unterrichtswahrnehmung mit spezifischen Wissensstrukturen der Lehrkraft in Zusammenhang stehen (Gegenfurtner et. al., 2023), wird in der Studie Professionswissen (pädagogisch-psychologisches Wissen) und Überzeugungen/Werthaltungen (z.B. Einstellungen zu Inklusion) der Lehrkraft in Verbindung mit ihren Aufmerksamkeitsprozessen beim Betrachten von Unterrichtsvignetten gebracht. Es wird analysiert, ob ein umfassendes Unterrichtswissen und eine hohe Selbstwirksamkeit in Bezug auf inklusiven Unterricht mit einem intensiveren Monitoring aller Schüler:innen sowie einer generell stärkeren Schüler:innenzentrierung (gemessen an der Anzahl und Dauer der Fixationen) einhergehen. Während Eye Tracking präzise Daten über visuelle Aufmerksamkeitsprozesse liefert, bleibt die Interpretationstiefe dieser Aufmerksamkeitsprozesse ohne die Integration von weiteren Datenströmen—wie beispielsweise verbale Rückmeldungen—oftmals vage (Orquin & Holmqvist, 2017). Diese Methoden-Triangulation, obwohl in Eye-Tracking-Studien im Bereich der empirischen Unterrichtsforschung selten verwendet, bietet vertiefte Einblicke in kognitive Vorgänge. In diesem Zusammenhang leistet Studie 4 einen wichtigen Beitrag für zukünftige Forschungsarbeiten, indem die Autor:innen analysieren, wie verbale Rückmeldungen von Lehrkräften zu videografierten Unterrichtsereignissen mit ihrem Blickverhalten korrespondieren. Das Symposium endet mit der Diskussion einer renommierten Unterrichtsforscherin über die Implikationen dieser vier Beiträge zur Integration von Eye Tracking in das Methodenrepertoire der empirischen Unterrichtsforschung. Beiträge des Symposiums Noticing-Fähigkeit von Lehrkräften auf Geschlechter von Schüler*innen Theoretischer Hintergrund Seidel und Stürmer (2014) definieren professionelle Unterrichtswahrnehmung als die Fähigkeit, relevante Unterrichtssituationen zu erkennen und zu interpretieren. Studien in diesem Bereich werden häufig mit der Eye-Tracking-Technologie durchgeführt, um die Augenbewegungen von Lehrkräften (z. B. die Anzahl und Dauer ihrer Fixationen) während des Unterrichtsgeschehens genau zu beobachten und für weitere Analysen zugänglich zu machen (Stahnke & Blömeke, 2022). Die Komponente des Erkennens wird häufig der Noticing-Fähigkeit gleichgesetzt. Diese ist im Bereich des Klassenmanagements sehr bedeutsam und meint eine wissensbasierte Fähigkeit, die Lehrkräfte dazu befähigt selektiv auf relevante Ereignisse in einer Unterrichtssituation zu achten und wahrzunehmen (van Es & Sherin, 2002). Ein professionelles Klassenmanagement zeigt sich unter anderem in der Beurteilungsfähigkeit und dem Verhalten der Lehrkraft im Klassenzimmer. Diese können jedoch durch Stereotype (z.B. Vorurteile gegenüber dem Geschlecht) und Unterrichtsstörungen (z.B. unangemessenes Verhalten einer Schüler*in) verzerrt werden (Glock & Baumann, 2022). Bisherige Befunde zeigen, dass vor allem Stereotype gegenüber Mädchen im Mathematikunterricht bestehen (Denn et al., 2015). Mädchen zeigen geringes Interesse am Fach sowie eine geringe Motivation, wodurch die aufmerksame Beteiligung am Mathematikunterricht erschwert wird (Stanat et al., 2018). Bisherige Forschungen zeigen, dass Lehrkräfte Mädchen im Mathematikunterricht weniger zutrauen als Jungen (Denn et al., 2015). Dabei stellt sich die Frage, ob sich diese Erwartungshaltung schon in der visuellen Aufmerksamkeit bemerkbar macht. Bislang ist unklar, wie Lehrkräfte Schüler*innen Geschlechter wahrnehmen und wie ihre Wahrnehmung mit den schulischen Leistungen der Schüler*innen zusammenhängen. Zweifelsohne impliziert Lehrkraftprofessionalität, dass Lehrkräfte Schüler*innen ohne Voreingenommenheit wahrnehmen, um eine hohe Unterrichtsqualität für alle Schüler*innen unabhängig von ihrem Geschlecht und deren Unterrichtsbeteiligung zu gewährleisten. Forschungsfrage Aufgrund von wenigen Erkenntnisse zu Heterogenitätsaspekten im Zusammenhang mit der professionellen Wahrnehmung von Lehrkräften in Eye-Tracking Studien (Keskin et al., 2022) sind die Forschungsfragen dieser Studie wie folgt: (a) Wie unterscheidet sich der Blick von Lehrkräften, wenn sie Schüler und wenn sie Schülerinnen fixieren, die ähnliche Verhaltensmuster zeigen, (b) wie unterscheiden sich in diesem Fall das Blickverhalten von erfahrenen und angehenden Lehrkräften? Da erfahrene Lehrkräfte ein globaleres Monitoring im Unterricht aufweisen (Gegenfurtner et al., 2023), wird angenommen, dass diese unaufmerksame Jungen früher erkennen.Außerdem wird angenommen, dass erfahrene Lehrkräfte aufmerksame Mädchen erst später erkennen, da Lehrkräfte Mädchen im Mathematikunterricht weniger beachten. Methode An der Studie nahmen 20 erfahrene (15 weiblich, 5 männlich, MAlter = 45.10 Jahre, SDAlter = 9.69) und 20 unerfahrene (12 weiblich, 8 männlich, MAlter = 26.70, SDAlter = 3.79) Lehrkräfte teil. Dabei hatten erfahrene Lehrkräfte im Durchschnitt 18.30 Jahre (SD = 10.89) Berufserfahrung nach abgeschlossenem Referendariat und übernahmen zusätzlich eine Vorgesetztenrolle an ihrer Schule (z.B. Leitung der Fachschaft Mathematik oder Betreuung der Referendar*innen). Unerfahrene Lehrkräfte waren im Durchschnitt im letzten Semester ihres Masterstudiums (MSemester = 3.35, SDSemester = .90) zur Sekundarstufenlehrkraft. Den Teilnehmenden wurden zwei kurze Videoausschnitte gezeigt, in denen jeweils ein authentischer Mathematikunterricht aus der Sekundarstufe zu sehen war. Während der Betrachtng wurden die Augenbewegungen der Teilnehmenden mit Hilfe eines Eye Trackers aufgenommen. Ergebnisse Aufgrund der nicht normalverteilten Daten haben wir Mann-Whitney U tests durchgeführt. Dabei konnten wir feststellen, dass Lehrkräfte länger (U = 10.00, z = -2.13, p = .03) und öfter (U = 110.00, z = -2.10, p = .04) auf Schüler und weniger auf Schülerinnen blicken, wobei die Expertise einen signifikanten Einfluss zeigte. Diskussion Die aufgestellten Hypothesen, lassen die praktische Implikation vermuten, dass angehende Lehrkräfte schon früh in der universitären Ausbildung auf bestehende Stereotype sensibilisiert werden müssten. Damit ist auch die Vermittlung von bestimmten Strategien zum Klassenmanagement verbunden. Weiterhin können situierte Lerngelegenheiten ermöglichen, dass angehende Lehrkräfte lernen in bestimmten Situationen professionell zu handeln. Unterstützend kann dabei beispielsweise der Eye Tracker als Reflexionsinstrument eingesetzt werden. Im Blickfeld der Lehrkraft: Wie verteilen Lehrkräfte ihre Aufmerksamkeit auf Schüler:innen mit unterschiedlichen kognitiven und motivational-affektiven Lernermerkmalen? Einleitung Die Fähigkeit von Lehrkräften, ihre visuelle Aufmerksamkeit im komplexen Umfeld des Klassenzimmers gezielt auf relevante Informationen zu lenken, wird als professionelle Unterrichtswahrnehmung (PU) bezeichnet (Seidel & Stürmer, 2014). Um diese Wahrnehmungsprozesse tiefergehend untersuchen zu können, werden in der aktuellen Bildungsforschung häufig Eye-Tracking-Studien durchgeführt (Grub et al., 2020). Die Erfassung von Blickbewegungen und die Analyse von Fixationsfrequenzen und –dauern, sowie die Betrachtung der Aufmerksamkeitsverteilung im Klassenzimmer ermöglichen eine umfassende Analyse der PU. Bisherige Forschungsarbeiten haben sich darauf konzentriert, inwieweit Lehrkräfte beim Monitoring alle Schüler:innen gleichermaßen berücksichtigen können (Dessus et al., 2016). Allerdings wird in diesen Studien nicht berücksichtig, ob die Aufmerksamkeitsverteilung im Zusammenhang zu den individuellen Lernvoraussetzungen der Schüler:innen steht. Unterschiede in den kognitiven und motivational-affektiven Lernvoraussetzungen beeinflussen das Interaktionsverhalten mit der Lehr-kraft (Jurik et al., 2013). Forschungsergebnisse aus videobasierten Unterrichtsstudien zeigen, dass Lehrkräfte oftmals mit leistungsstarken Schüler:innen interagieren, um einen reibungslosen Unterrichtsfluss zu gewährleisten (Lipowsky et al. 2007) — wie sie jedoch beim Monitoring ihrer Schüler:innen ihre Aufmerksamkeit auf beispielsweise leistungsschwächere oder desinteressierte Schüler:innen richten, ist bislang unerforscht. Ziel der Studie Die vorliegende Studie untersucht die Verteilung der Aufmerksamkeitsprozesse von Lehrkräften in Abhängigkeit von kognitiven und motivational-affektiven Lernvoraussetzungen der Schüler:innen (dazu zählen Vorleistung, Interesse und Selbstkonzept). In einem ersten Schritt sollen Schülerprofile aus den verschiedenen Lernvoraussetzungen erstellt werden. Auf der Grundlage bisherigere Forschungsergebnisse erwarten wir sowohl konsistente Schülerprofile (z.B. starke und schwache Schüler:innen) als auch inkonsistente Schülerprofile (z.B. überschätzende Schüler:innen, die ein geringes Vorwissen aber ein hohes Interesse und Selbstkonzept aufweisen) (Jurik et al., 2013). In einem zweiten Schritt soll dann mittels Eye-Tracking Analysen überprüft werden, ob systematische Unterschiede in der Aufmerksamkeitsverteilung zwischen den identifizierten Schülerprofilen existieren. Dabei soll sowohl die Dauer als auch die Häufigkeit der Fixation auf die jeweiligen Schülerprofile verglichen werden. Methode An der Studie nahmen fünf Gymnasiallehrkräfte (2 weiblich) im Fach Mathematik teil. Mittels mobilen Eye-Tracking (Tobi Pro Glases 2) wurde das Blickverhalten der Lehrkräfte während einer gesamten Mathematikstunde in der neunten Jahrgangsstufe erhoben. Das Stundenthema und der Ablauf der Stunde waren vorgegeben. Im Anschluss an die Unterrichtsstunde wurden die 92 Schüler:innen mittels Fragebogen zu ihrer Vorleistung, dem fachspezifisches Interesse und dem fachspezifischen Fähigkeitsselbstkonzept befragt. Zur Identifizierung der Schülerprofile wurde eine explorative Profilanalyse mit dem R package tidyLPA gerechnet. Die Analyse der Fixationen auf diese Schülerprofile befindet sich aktuell noch in Bearbeitung. Derzeit werden die Areas of Interest (AOIs) mit Hilfe Tobii Pro definiert, um daraus die Blickbewegungsparameter für jede:n Schüler:in zu extrahieren. Die Ergebnisse zu den Aufmerksamkeitsprozessen für jedes Schülerprofil werden in den kommenden Wochen aufbereitet und auf der Konferenz präsentiert. Ergebnisse und ihre Bedeutung Die explorativen Profilanalyse ergab vier Schülerprofile. Erwartungsgemäß konnten sowohl ein starkes Profil (n = 18) als auch ein schwaches Profil (n = 34) identifiziert werden. Zudem ergaben sich zwei inkonsistente Schülerprofile: Ein durchschnittliches Schülerprofil mit besonders niedriger Vorleistung (n = 32) und ein überschätzendes Schülerprofil, dass eine geringe Vorleistung aufweist und gelichzeitig durch ein starkes Fähigkeitsselbstkonzept und ein hohes Interesse charakterisiert ist (n = 16). Die zusätzlichen Analysen der mobilen Eye-Tracking Daten sollen Aufschluss darüber geben, ob Lehrkräfte ihre Aufmerksamkeit vergleichbar über diese Schülerprofile verteilen oder ob einzelne Schülerprofile tendenziell übersehen werden, während anderen mehr Aufmerksamkeit zugewandt wird. Die Ergebnisse dieser Forschung sollen Lehrkräfte für die Heterogenität der Schüler:innen sensibilisieren und eine adaptive Aufmerksamkeitsverteilung fördern, damit die unterschiedlichen Schülertypen ihren Bedürfnissen entsprechend gesehen und gefördert werden können. Oculus Inclusio – Eine quasi-experimentelle Eye-Tracking Studie zur Wahrnehmung inklusiver Unterrichtssituationen Inklusive Bildung bedeutet die gemeinsame Beschulung aller Kinder, um die Grundlage für Teilhabe an der Gesellschaft zu schaffen (Ainscow, 2007; Göransson & Nilholm, 2014) . So stellt das Wahrnehmen und Identifizieren von physischen wie psychischen Voraussetzungen individueller Schüler:innen eine Kernkompetenz von (angehenden) Lehrkräften dar, um Unterricht adaptiv und differenziert gestalten zu können (Soodak, 2003). Im Sinne eines schülerorientierten, adaptiven Unterrichts bei dem allen Schüler:innen trotz unterschiedlicher Voraussetzungen die gleichen Chancen auf Lernerfolg geboten werden, ist ebendiese Professionelle Wahrnehmung von notwendiger Lernunterstützung und individuellen Lernangeboten im heterogenen Klassenraum besonders relevant. Professionelle Wahrnehmung wurde bisher meist im Rahmen von Studien zur Klassenführung (z. B. Wolff et al., 2016; Stahnke & Blömeke, 2021) verwendet, wobei der Fokus hierbei meist auf Unterrichtsstörungen lag (siehe Grub et al., 2020). Der konstruktive Umgang mit Heterogenität nimmt mit fortschreitender Inklusion zu (Akalin & Sucuoglu, 2015) und im Gegensatz zu einer auf Homogenität ausgelegten Lerngruppe, bei der grundsätzlich ein ähnliches Arbeitstempo und -pensum vorausgesetzt werden, ist diese Annahme für inklusive Klassen nicht mehr haltbar. Die Merkmale effektiver Klassenführung: Allgegenwärtigkeit und Überlappung, Reibungslosigkeit und Schwung, Gruppenmobilisierung und Abwechslung und Herausforderung (Kounin, 2006) stellen demnach eine besondere Herausforderung dar. Die Studie kombiniert Aspekte professioneller Handlungskompetenz, die insbesondere für den inklusiven Unterricht von Bedeutung sind (Södervik et al., 2022): Professionswissen – insbesondere pädagogisch-psychologisches Wissen – sowie Überzeugungen/Werthaltungen (Baumert & Kunter, 2011). Aus den Einstellungen zu Inklusion leitet sich die Bereitschaft zur Umsetzung ab (Dignath et al., 2022), während die Selbstwirksamkeit die Überzeugung abbildet, diese Umsetzung auch durchführen zu können. Bisherige Forschung zeigt insbesondere, dass Unterschiede in der Professionellen Wahrnehmung mit spezifischen Wissensstrukturen in Zusammenhang stehen und ein ganzheitliches Bild von Unterricht erlauben (Carter et al., 1987; Grub et al., 2022a, 2022b). Das Ziel unserer Eye-Tracking-Studie lag in einer differenzierten Analyse der Professionellen Wahrnehmung Lehramtsstudierender im Bereich der Klassenführung als eine Voraussetzung Differenzierten Unterrichts. Untersucht wurde mittels eines quasirandomisierten Versuchsdesigns mit vier Unterrichtsvignetten (Toolbox Lehrerbildung, Lewalter et al., 2020), ob ein größeres Wissen über Unterricht(en) sowie eine höhere Selbstwirksamkeit hinsichtlich inklusiven Unterrichts mit (a) einem Monitoring (Fixationsverteilung) sowie (b) einer Schülerorientierung (Fixationsanzahl, -dauer) einhergeht. Dabei werden Pädagogisches Unterrichtswissen (PUW; König & Blömeke, 2010), Einstellungen zu Inklusion (Lüke & Grosche, 2017), sowie Selbstwirksamkeitserwartungen zum adaptiven Unterrichten in heterogenen Lerngruppen (SAUL; Meschede & Hardy, 2020) – und Blickbewegungsdaten mittels stationärem Eye-Tracking (Fixationsanzahl, Fixationsdauer sowie Fixationsverteilung/Gaze Relational Index; Grub et al., 2020; Gegenfurtner et al., 2020) zusammengebracht. Die Blickbewegungsmaße werden basierend auf bestimmten vorab definierten und anhand eines Masterratings mit einer erfahrenen Lehrkraft validierten Ereignissen ausgewertet (AOI-basierte Analysen). Hierzu werden Situationen mit einem Fokus kognitiver Aktivierung im Rahmen einer effektiven Klassenführung näher betrachtet (z. B. Notwendigkeit der Lernunterstützung). An der Studie nahmen N = 80 Lehramtsstudierende (44 weiblich, 34 männlich, 2 divers) der Universität des Saarlandes (MAlter= 24, SDAlter= 6,03) teil, die im Durschnitt im 5. Fachsemester Bildungswissenschaften studierten. Vorläufige inferenzstatistische Regressionsanalysen mit Einstellung bzw. Selbstwirksamkeit als Prädiktoren und den Blickbewegungsparametern als Kriterien (am Beispiel einer der Videosequenzen) zeigen keine signifikanten Ergebnisse: Weder Selbstwirksamkeit im Umgang mit heterogenen Lerngruppen, noch Einstellungen zu Inklusion können die Ausprägung der Blickbewegungsparameter vorhersagen, Fixationsanzahl: F(3,74) = 0.810, p = .492), Fixationsdauer; F(3,74) = 0.954, p = .419), Fixationsverteilung/Gaze Relational Index: F(3,74) = 0.652, p = .584). Die vollständigen Ergebnisse für alle vier Videos unter Bezugnahme des Wissenstests werden bis zur GEBF 2024 ausgewertet sein. Die Ergebnisse werden im Hinblick auf bisherigen, publizierten Forschungsergebnissen zur Professionellen Wahrnehmung und Inklusion diskutiert und verschiedene Erklärungsmöglichkeiten dargeboten (z. B. zu geringe Power, Priming durch den Wissenstest, etc.). Außerdem werden die Ergebnisse vor dem Hintergrund der Unterstützungsmöglichkeiten für Lehramtsstudierende diskutiert, um zukünftig Methoden zu entwickeln, die eine effektivere Identifikation relevanter Unterrichtssituationen in der universitären Ausbildung ermöglichen. Was können uns Blickverhalten und verbale Aussagen über Professional Vision offenbaren? Erkenntnisse einer Mixed Methods Studie mit angehenden und erfahrenen Lehrkräften Lehrkräfte sind tagtäglich mit komplexen Unterrichtssituationen konfrontiert. Sie müssen daher wissen, worauf sie im Unterricht achten müssen, wie diese Informationen zu interpretieren sind und welche Unterrichtsentscheidungen daraus resultieren sollten (Kohler et al., 2008). In der Bildungsforschung werden diese Kompetenzen als "Professional Vision" (PV) bezeichnet (Keller et al., 2022). PV ist typischerweise durch zwei miteinander verbundene wissensbasierte Teilprozesse gekennzeichnet: Noticing und Knowledge-based Reasoning (Seidel et al., 2017; Todorova et al., 2017). Noticing bedeutet, die Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Aspekte des Unterrichts zu richten (Ereignisse, die das Lernen fördern oder beeinträchtigen), während nicht relevante Ereignisse ignoriert werden. Knowledge-based Reasoning ist die Fähigkeit, auf der Grundlage von professionellem Wissen und Überzeugungen über Unterrichtsbeobachtungen nachzudenken (Meschede et al., 2017). Um PV im Rahmen der Lehrkräftebildung zu fördern und zu überprüfen werden heute mehrheitlich videobasierte Ansätze verwendet, da diese als besonders vielversprechend gelten (Kramer et al., 2020). Bislang wurde die PV von Lehrkräften zumeist anhand von verbalen Daten untersucht. Lehrkräfte wurden dementsprechend gebeten, sich zu Unterrichtssituationen zu äussern, die in der Regel als Videoclips zur Verfügung gestellt wurden (Minarikova et al., 2021). Solche Verfahren fokussieren damit hauptsächlich auf den Teilprozess des Knowledge-based Reasonings. Ein relativ neuer Ansatz zur Untersuchung der PV von Lehrkräften basiert auf der Erfassung ihrer Blickbewegungen mit Hilfe von Eye Tracking Technologien (Vogt & Schmiemann, 2020). Anhand von remote und mobilem Eye Tracking kann die visuelle Aufmerksamkeit beim Betrachten von Unterrichtsvideos oder im Klassenzimmer selbst ermittelt werden. Es wird dadurch möglich, auch den Teilprozess Noticing spezifisch zu untersuchen. Insbesondere in Kombination mit verbalen Daten in Mixed Methods Ansätzen ergeben sich neue Möglichkeiten der Analyse der PV. Solche Studien sind bislang jedoch noch weitestgehend inexistent (Muhonen et al., 2021). In einer Studie mit 31 angehenden und 20 erfahrenen Lehrkräften wurde ein solches Mixed Methods Design umgesetzt. Die Studie hatte zum Ziel, die Möglichkeiten dieses Ansatzes zu erproben und dabei zu untersuchen, ob sich die Gruppen darin unterscheiden, was sie wahrnehmen und wie sie über videografierte Unterrichtsereignisse argumentieren sowie inwieweit ihr Blickverhalten mit ihren verbalen Aussagen korreliert. Konkret wurden folgende Forschungsfragen bearbeitet: - Unterscheiden sich angehende und erfahrene Lehrkräfte hinsichtlich der von ihnen beobachteten und beschriebenen Aspekte des Unterrichts? - Inwiefern korrespondieren das Blickverhalten und die verbalen Aussagen? Die Testpersonen wurden gebeten, sich einen Videoclip von authentischem Unterricht im Fach Deutsch anzusehen. Die Unterrichtsstunde war aus unterschiedlicher Kameraperspektive aufgezeichnet. Zwei Aufnahmen zeigen die Perspektive des/der Beobachtenden und wurden mit statischen Kameras aufgenommen. Die dritte Aufnahme zeigt die Perspektive der Lehrkraft, die während der Unterrichtsstunde eine Eye-Tracking-Brille (Tobii Pro Glasses 2) trägt. Der visuelle Aufmerksamkeitsfokus der Testpersonen beim Betrachten der Videoclips wurde mit einem Desktop Eye Tracker (Tobii Pro Nano, 60 HZ) aufgezeichnet. Anschliessend berichteten die Testpersonen in einem Interview, was ihnen aufgefallen war. Für die Analyse der Eye Tracking Videos wurden in Anlehnung an Cortina et al. (2018) sogenannte Areas of Interest (AOIs) festgelegt und jede Fixation einem dieser AOIs zugeordnet. Die verbalen Aussagen wurden mit analogen Kategorien anhand qualitativer Inhaltsanalyse (Kuckartz, 2018) in MAXQDA analysiert. Die triangulierten Daten zeigen, dass sich das Blickverhalten der angehenden und erfahrenen Lehrkräfte nicht unterscheidet, wohl aber der Inhalt ihrer verbalen Äusserungen. Je nach Videoperspektive fokussierten die Testpersonen häufiger auf einen der AOIs, dieser Unterschied spiegelte sich jedoch nicht in den verbalen Daten wider. Das Blickverhalten und die verbalen Aussagen waren demgemäss nicht überall konsistent. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Berücksichtigung mehrerer Datenquellen und -typen für die Erforschung der PV wertvoll sein kann und neue Einsichten in die PV von Lehrkräften ermöglicht. Im Beitrag werden die gewonnen Erkenntnisse wie auch die Herausforderungen solcher Mixed Methods Studien dargestellt und diskutiert. |
10:30 - 12:10 | 4-10: Zusammenarbeit von Regellehrkräften und sonderpädagogischen Lehrkräften im inklusiven Unterricht: Welche Faktoren spielen eine Rolle? Ort: S26 |
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Symposium
Zusammenarbeit von Regellehrkräften und sonderpädagogischen Lehrkräften im inklusiven Unterricht: Welche Faktoren spielen eine Rolle? Der Zusammenarbeit von Regellehrkraft (RLK) und sonderpädagogischer Lehrkraft (SLK) wird eine große Bedeutung bei der Umsetzung inklusiven Unterrichts zugeschrieben (Urban & Lütje-Klose, 2014). Diese Zusammenarbeit kann hinsichtlich verschiedener Faktoren betrachtet und analysiert werden: der Zufriedenheit mit der Zusammenarbeit, den Herausforderungen, der Intensität und der Formen der Zusammenarbeit im Unterricht oder der Rahmenbedingungen (Gebhard et al., 2014; Grosche et al., 2020; Pool Maag & Moser Opitz, 2014; Scruggs et al., 2007). Eine besondere Bedeutung für gelingenden inklusiven Unterricht wird oft der Intensität der Kooperation zugeschrieben (Grosche et al., 2020; Lütje-Klose & Urban, 2014). Grosche et al. (2020) unterscheiden in ihrem Modell die drei Zusammenarbeitsformen Austausch, arbeitsteilige Kooperation und kokonstruktive Kooperation, von denen die Kokonstruktion als die intensivste Form gilt. Eine intensive Form der Kooperation wird z.B. darin gesehen, dass die Lehrkräfte innerhalb des Unterrichts so zusammenarbeiten, dass keine räumliche Separation der Schüler*innen stattfindet und gemeinsame Lernsituation realisiert werden (Grosche et al., 2020). Allerdings zeigen Studien, dass sich die Zusammenarbeit häufig auf die weniger anspruchsvollen Formen Austausch und Arbeitsteilung beschränkt (Kalinowski et al., 2022; Rogge et al., 2021). Bisher ist nur wenig darüber bekannt, welche individuellen Lehrkraftmerkmale (z.B. Geschlecht, Überzeugungen, Selbstwirksamkeit) und welche Rahmenbedingungen (z.B. zeitliche Ressourcen, Anzahl Lernende mit Förderbedarf, Schulkultur) die Intensität der Zusammenarbeit beeinflussen (Kalinowski et al., 2022; Rogge et al., 2021). Trotz intensiver Forschung zur Kooperation von Lehrkräften im inklusiven Unterricht zeigen sich nach wie vor Forschungsdesiderate. Erstens wurde noch wenig untersucht, wie verschiedene individuelle Lehrkraftvariablen sowie Rahmenbedingungen und eine kokonstruktive Zusammenarbeit zusammenhängen. Zweitens fehlen Untersuchungen zu Unterscheidungsmerkmalen der Kooperation sowie deren Abhängigkeit von verschiedenen Variablen. Nach Jones und Brownell (2014) ist die Berücksichtigung beider Lehrkräfte eines Teams wichtig, da sich in der Untersuchung der Zusammenarbeit im inklusiven Unterricht die Herausforderung der „nested instruction“ stellt. Nested instruction steht für die komplexe Situation, in der Lehrkräfte gemeinsam in einer Klasse unterrichten und als Team nicht nur den Unterricht, sondern sich auch gegenseitig beeinflussen. Das Symposium soll einen Beitrag zur Untersuchung solch komplexer Zusammenarbeitssituationen leisten, indem verschiedene forschungsmethodische Zugänge gewählt werden. Die ersten beiden Beiträge beziehen sich auf das Modell der kokonstruktiven Kooperation (Grosche et al., 2020). Im ersten Beitrag wird mit Mehrebenenregressionsanalysen untersucht, welche Lehrkraftmerkmale und schulische Rahmenbedingungen einen Einfluss auf kokonstruktive Handlungen der RLK und SLK im inklusiven Unterricht haben. Im zweiten Beitrag wird die Zusammenarbeit von RLK und SLK mittels Clusteranalysen untersucht. Es werden Profile von Lehrkräften sowie von Teams aus RLK und SLK unter Berücksichtigung von Variablen zur Kooperationszufriedenheit und Kooperationsintensität sowie weitere Variablen auf Individual- und Teamebene erstellt und verglichen. Im dritten Beitrag wird anhand der Analyse von Interviews mit Teams von RLK und SLK untersucht, welche Überzeugungen die RLK und SLK bezüglich des Umgangs mit Leistungsheterogenität haben und wie sich dies auf die Kooperationsintensität hinsichtlich der Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen auswirkt. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Kooperation von Lehrkräften im inklusiven Unterricht ein sehr komplexer Untersuchungsgegenstand ist und unterschiedliche methodische Zugänge notwendig sind. Beiträge des Symposiums Welche schulischen Rahmenbedingungen und individuellen Lehrkraftmerkmale unterstützen die kokonstruktive Kooperation von Regellehrkräften und sonderpädagogischen Lehrkräften in inklusiven Schulen der Sekundarstufe I? Theoretischer Hintergrund Der kokonstruktiven Kooperation als anspruchsvollste Kooperationsform werden positive Effekte für eine inklusive Schul- und Unterrichtsentwicklung zugesprochen (Grosche et al., 2020; Lütje-Klose & Urban, 2014). Studien zur Kooperation belegen allerdings immer wieder, dass sich die Zusammenarbeit von Lehrkräften häufig auf die weniger anspruchsvolleren Formen, den Austausch und die Arbeitsteilung, beschränkt (Kalinowski et al., 2022; Rogge et al., 2021). Das gilt insbesondere für Schulen der Sekundarstufe I (Drossel & Willems, 2014; Richter & Pant, 2016; Zhang & Zheng, 2020). Es ist davon auszugehen, dass (intensive) Kooperationsprozesse eine Vielzahl von Voraussetzungen erfordern. Hierzu zählen bspw. gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen der Lehrkräfte oder Zeitfenster für die Kooperation sowie ein kooperationsförderliches Schulleitungshandeln (Grosche et al., 2020; Lütje-Klose & Urban, 2014). Bisher ist jedoch nur wenig darüber bekannt, welche individuellen Lehrkraftmerkmale und schulischen Rahmenbedingungen die Umsetzung von intensiver Kooperation unterstützen (Kalinowski et al., 2022; Rogge et al., 2021). Diesem Forschungsdesiderat widmet sich der vorliegende Beitrag. Als theoretische Hintergrund dient das Modell der kokonstruktiven Kooperation (Grosche et al., 2020). Fragestellung Welche intra- und interpersonalen Lehrkraftmerkmale sowie schulstrukturellen- und -kulturellen Rahmenbedingungen hängen mit den kokonstruktiven Handlungen von Lehrkräften in inklusiven Schulen der Sekundarstufe I zusammen? Methode Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden Daten aus dem Forschungsprojekts „Inklusion in und nach der Sekundarstufe I in Deutschland“ (INSIDE, Schmitt et al., 2020) herangezogen. Die Stichprobe umfasst 1204 Lehrkräfte der 6. Jahrgangsstufe, darunter 963 Regellehrkräfte und 241 sonderpädagogische Lehrkräfte, und 156 Schulleitungen aus 234 Schulen der Sekundarstufe I. Die kokonstruktive Kooperation wurde mit einem Kurzfragebogen in Anlehnung an die Kokonstruktionstheorie (Grosche et al., 2020) erfasst. Die Skala kokonstruktive Handlungen stellt die abhängige Variable dar. Die Skala Arbeitsatmosphäre wurde als interpersonales Merkmal in die Analysen einbezogen. Als intrapersonale Merkmale wurden neben den demografischen Angaben Geschlecht, Disziplin und Berufsjahre, das Gefühl, (a) insgesamt auf den gemeinem Unterricht und (b) auf das gemeinsame Unterrichten (Team-Teaching) vorbereitet zu sein, die Einstellung zu schulischer Inklusion (PREIS-K; Bruns et al., 2023) und die Selbstwirksamkeit in Anlehnung an Bosse und Spörer (2014) in die Analysen einbezogen. Die schulischen Rahmenbedingungen wurden von den Schulleitungen berichtet. Sie umfassen als schulstrukturelle Merkmale die Umsetzungsdauer von Inklusion, die Anzahl der Schüler*innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf sowie die Anzahl an Schüler*innen insgesamt. Zu den untersuchten schulkulturellen Merkmalen gehören die Schulkultur, die Kooperationskultur (in Anlehnung an Steinert et al., 2006) und das direkte sowie indirekte Schulleitungshandeln (in Anlehnung an Drossel & Eickelmann, 2013). Alle Analysen wurden in R (R Core Team, 2020) durchgeführt. Die Intraklassenkorrelationen der Lehrkraftvariablen lagen zwischen .059 und .231, was eine mehrebenenanalytische Betrachtung begründete. Davon ausgehend wurden Mehrebenenregressionsanalysen berechnet. Die vier Dimensionen intra- und interpersonale Lehrkraftmerkmale sowie schulstrukturelle und -kulturelle Merkmale wurden schrittweise in das Regressionsmodell aufgenommen. Fehlende Werte wurden zuvor in einem Mehrebenenmodell imputiert. Bei den berichteten Ergebnissen handelt es sich um die nach Rubin (1987) gepoolten Ergebnisse. Ergebnisse Die Ergebnisse der Mehrebenenregressionsanalyse zeigen, dass eine höhere Selbstwirksamkeit (B = 0.23, p < .001), ein stärkeres Gefühl auf das gemeinsame Unterrichten vorbereitet zu sein (B = 0.12, p < .001), sowie eine positivere Arbeitsatmosphäre (B = 0.65, p < .001) mit ausgeprägteren kokonstruktiven Handlungen einhergehen. Zudem nehmen Regellehrkräfte die Kokonstruktion positiver wahr als sonderpädagogische Lehrkräfte (B = -0.24, p < .001). Auf Schulebene begünstigen eine positive Schulkultur (B = 0.20, p = .003) und ein organisatorisch-strukturell unterstützendes Schulleitungshandeln (B = 0.10, p = .005) die kokonstruktiven Handlungen. Alle anderen untersuchten Lehrkraft- und Schulmerkmale erweisen sich als nicht bedeutsam. Das Modell erklärt 44.4% der Varianz in den kokonstruktiven Handlungen. Aufbauend auf den Ergebnissen und vor dem Hintergrund des theoretischen Modells der kokonstruktiven Kooperation werden Ansatzpunkte zur Unterstützung von kokonstruktiver Kooperation diskutiert und Limitationen der Studie aufgezeigt. Zusammenarbeit von Regellehrkräften und sonderpädagogischen Lehrkräften: Profile auf Individual- und Teamebene Theoretischer Hintergrund Eine enge Zusammenarbeit zwischen Regellehrkraft (RLK) und sonderpädagogischer Lehrkraft (SLK) wird als zentrale Gelingensbedingung für die Umsetzung von Inklusion gesehen (Scruggs et al., 2007; Urban & Lütje-Klose, 2014). Grosche et al. (2020) unterscheiden die Formen Kokonstruktion, Arbeitsteilung und Informationsaustausch, wobei eine intensive Kooperation, bei der die beiden Lehrkräfte gemeinsam Verantwortung für alle Kinder übernehmen (Grosche et al., 2020) und bei der möglichst wenig räumliche Separation der Schüler*innen stattfindet (Nes et al., 2018), als besonders gewinnbringend betrachtet wird. Welche Faktoren eine kokonstruktive Zusammenarbeit sowie die Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen begünstigen, wurde noch wenig untersucht. Gemäß Avramidis et al. (2000) ist die Einstellung zur Inklusion hinsichtlich der Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen zentral. Zudem wird angenommen, dass gemeinsame Lernsituationen eher umgesetzt werden, wenn RLK und SLK mit der Kooperation im Team zufrieden sind (Gebhard et al., 2014). Pool Maag und Moser Opitz (2014) vermuten, dass die zur Verfügung stehenden Ressourcen (Förderstunden der SLK) eine zentrale Rolle spielen: Je weniger Förderstunden zur Verfügung stehen, desto häufiger wird separativ gefördert. Im Beitrag interessiert, ob sich hinsichtlich der Variablen Kooperationsintensität, Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen, Einstellung zur Inklusion, Kooperationszufriedenheit und Ressourcen Profile von Lehrkräften auf Individual- und Teamebene eruieren lassen. Fragestellung 1. Welche Profile von Lehrkräften lassen sich auf der Individualebene bezüglich der Einstellung zur Inklusion sowie der Kooperationszufriedenheit identifizieren? 2. Welche Profile von Unterrichtteams (RLK und SLK) lassen sich bezüglich der Kooperationsintensität, der Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen und der Anzahl Förderlektionen identifizieren? Methode Die Stichprobe umfasst N = 79 Unterrichtsteams (N = 173 Lehrkräfte, RLK: n = 102, SLK: n = 71) aus inklusiven Klassen (2. - 4. Jahrgang). Instrumente Mit den Lehrkräften wurden zwei Mal nach einem Unterrichtsbesuch Einzelinterviews zur Kooperationsintensität und zur Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen geführt und die Aussagen wurden eingeschätzt. Kooperationsintensität: Einzelinterview (z.B. Wie teilt ihr euch die Verantwortung für die Förderung von xy auf?). Einschätzung auf Teamebene in welcher Intensität die gemeinsame Unterrichtsplanung und -reflexion erfolgt (1 = Informationsaustauch, 2 = arbeitsteilige Kooperation, 3 = kokonstruktive Kooperation; Übereinstimmung g = .77). Umsetzung gemeinsamer Lernsituationen: Einzelinterview (z.B. Heute habt ihr die Klasse aufgeteilt und deine Kollegin ging in den Gruppenraum. Arbeitet ihr häufig in dieser Form zusammen? Einschätzung auf Teamebene, wie häufig gemeinsame Lernsituationen umgesetzt werden (1 = sehr separativ bis 4 = sehr inklusiv; Übereinstimmung g =.91). Einstellung zur Inklusion: Fragebogen Attitudes towards the inclusion of students with SEN (AIS) (Sharma & Jacobs, 2016, 8 Items, αRLK = .83, αSLK = .63) Kooperationszufriedenheit: Fragebogen zur Arbeit im Team (FAT) (Gebhard et al., 2014, 10 Items, αRLK = .84, αSLK = .83f) Anzahl Förderlektionen: Fragebogen Analyse: zwei Clusteranalysen nach Ward, Kriterien und Prüfung der Clusteranalyse nach Bacher et al. (2010), Kontingenzanalysen. Variablen Ebene Individuum: Einstellung zur Inklusion, Kooperationszufriedenheit Variablen Ebene Team: Umsetzung gemeinsamer Lernsituationen, Kooperationsintensität, Anzahl Förderlektionen Ergebnisse Ebene Individuum: Die Clusteranalyse ergab drei Gruppen von Lehrkräften: Inklusionsbefürwortend-sehr zufrieden; inklusionsambivalent-sehr zufrieden; und eher inklusionskritisch-moderat zufrieden. Ebene Team: Es konnten vier Cluster identifiziert werden: Cluster 1: eher wenig gemeinsame Lernsituationen, arbeitsteilige Kooperation, moderate Ressourcen Cluster 2: gemeinsame Lernsituationen/Separation ausgeglichen, arbeitsteilige Kooperation, viel Ressourcen Cluster 3: eher viel gemeinsame Lernsituationen, arbeitsteilige Kooperation, moderate Ressourcen Cluster 4: eher viel gemeinsame Lernsituationen, kokonstruktive Kooperation, moderate Ressourcen. Auf Individualebene ist interessant, dass Lehrkräfte trotz unterschiedlicher Einstellung zur Inklusion mit der Zusammenarbeit zufrieden sein können. Auf Teamebene fällt auf, dass die arbeitsteilige Kooperation in drei Clustern vorkommt und zu dominieren scheint, dass diese jedoch mit einer unterschiedlichen Umsetzung von gemeinsamen Lernsituationen einhergeht. Mögliche Gründe für diese Ergebnisse werden im Symposium diskutiert. Die Überzeugungen von Lehrkräfteteams beim Umgang mit Leistungsheterogenität im inklusiven Mathematikunterricht Theoretischer Hintergrund Studien haben gezeigt, dass sich die Überzeugungen von Lehrkräften auf die Unterrichtsgestaltung auswirken bzw. dass sich die Überzeugungen in der Unterrichtsgestaltung manifestieren (Gheyssens et al., 2020; Jordan, 2018; Prediger & Buró, 2021; Reusser & Pauli, 2014). Zur Untersuchung dieser Überzeugungen stellen sich im inklusiven Unterricht, in dem eine Regellehrkraft (RLK) und eine sonderpädagogische Lehrkraft (SLK) gemeinsam unterrichten, besondere Herausforderungen. Die Unterrichtsgestaltung wird von den Überzeugungen beider Lehrkräfte beeinflusst. Dadurch entstehen immer wieder neue Dynamiken, sodass sich kaum bestimmen lässt, welchen Einfluss die einzelne Lehrkraft auf den Unterricht und das Lernen der Schüler*innen hat (Lindacher, 2021). Diese komplexe Situation wird auch als nested instruction bezeichnet (Jones & Brownell, 2014). Welche Überzeugungen der einzelnen Teammitglieder für die gemeinsame Gestaltung inklusiven Unterrichts und die Kooperationsintensität (Grosche et al., 2020) von Bedeutung sind, wurde bislang noch nicht untersucht. Dies erfolgt in dieser Studie am Beispiel der herausfordernden Thematik des Umgangs mit Leistungsheterogenität, die im inklusiven Unterricht besonders bedeutsam ist (Hahn, 2020). Fragestellungen 1. Welche Überzeugungen zeigen sich in Teams von RLK und SLK, wenn sie berichten, wie sie mit der Leistungsheterogenität in ihrer Klasse umgehen? 2. Wie unterscheiden sich die Überzeugungen der Lehrkräfte innerhalb der einzelnen Teams und zeigt sich ein Zusammenhang mit der gemeinsamen Unterrichtsgestaltung und der Kooperationsintensität? Methode Die Forschungsfrage erfordert einen Zugang, der es ermöglicht, die Überzeugungen beider Lehrkräfte im Kontext ihrer Unterrichtsgestaltung sowie die entstehende Dynamik zu erfassen. Gewählt wurde deshalb eine Kombination von Unterrichtsbeobachtung und anschließender Befragung. Teams bestehend aus einer RLK und einer SLK, die in einer inklusiven Klasse (Jahrgangstufe 2-4) unterrichteten, wurden im Anschluss an die Beobachtung einer Mathematikstunden, in der die Lehrkräfte gemeinsam unterrichteten, zwei Mal (November/Dezember und Februar/März) mittels Leitfrageninterview zu ihrem Umgang mit Leistungsheterogenität befragt. Insgesamt wurden Interviews mit 79 Teams geführt. Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden die Interviews von fünf Teams (n = 10), die eine 3./4. Klasse unterrichten, mit einer inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring & Fenzl, 2019) analysiert. Ausgewählt wurden Teams, deren Interviews hohe Erzählanteile aufwiesen und die sich hinsichtlich der Beschreibung ihres Unterrichts unterschieden (z.B. in den Sozialformen oder in der Differenzierung mit Hilfe von Plänen, Arbeitsblättern oder Schulbuchaufgaben). Um die Überzeugungen der Lehrkräfte herauszuarbeiten, wurde induktiv ein Kategoriensystem erarbeitet, indem alle Äußerungen zum Thema Leistungsheterogenität von zwei Forschenden in Sinneinheiten gegliedert, paraphrasiert und anschließend interpretiert wurden. Die Kategorien wurden thematisch geordnet, kommunikativ validiert und an vier Interviews, die nicht in die Analysen einbezogen wurden, überprüft. Ergebnisse Die Analysen ergaben Überzeugungen zu fünf Themen: 1) Verantwortungsübernahme für die Lernenden, (2) Differenzierungsmaßnahmen, (3) Förderabsichten, (4) Rollenverständnis der Lehrkräfte und (5) Umgang mit Herausforderungen. Wie angenommen wurde, hängt die Unterrichtsgestaltung von den Überzeugungen beider Lehrkräfte ab. In nur zwei Teams stimmten die Überzeugungen von RLK und SLK überein, was aber nicht heißt, dass die Lehrkräfte auch gemeinsam unterrichten und intensiv kooperieren. Als besonders bedeutsam für einen gemeinsamen Unterricht, in dem RLK und SLK intensiv kooperieren und alle Lernenden gemeinsam unterrichten, erwiesen sich Überzeugungen hinsichtlich der Verantwortungsübernahme. Wenn sich die RLK für den Regelunterricht und die SLK für die besondere Förderung zuständig fühlte, führt das nicht nur zu einem getrennten Unterricht mit niedriger Kooperationsintensität, sondern auch dazu, dass die Kompetenzen der SLK nicht in den Unterricht eingebracht wurden. Diese Orientierung an den Professionen (RLK/SLK) spiegelte sich in den Überzeugungen von vier Teams wider. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass es wichtig ist, die „nested instruction“ zu berücksichtigen, wenn vertiefte Erkenntnisse zum inklusiven Unterricht gewonnen werden sollen. Forschungsmethodisch stellt sich dabei die Frage, inwieweit das induktiv erstellte Kategoriensystem genutzt werden kann, um Daten einer großen Stichprobe zu analysieren und die Perspektiven von gemeinsam unterrichtenden Lehrkräften herauszuarbeiten. |
10:30 - 12:10 | 4-11: Stereotype von (angehenden) Lehrkräften und deren Inhalte: Perspektiven aus qualitativen Forschungsprojekten Ort: S27 |
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Symposium
Stereotype von (angehenden) Lehrkräften und deren Inhalte: Perspektiven aus qualitativen Forschungsprojekten Die Einstellungen von Lehrkräften gegenüber benachteiligten sozialen Gruppen wurden vielfach untersucht (Glock et al., 2020). Welche Assoziationen mit bestimmten sozialen Gruppen verknüpft werden, ergibt sich aus Stereotypen, die als kognitive Einstellungskomponente verstanden werden können (Eagly & Chaiken, 1993). Stereotype beinhalten u.a. antizipierte Charakteristika und Verhaltensweisen gegenüber Mitgliedern sozialer Gruppen, beispielsweise Schüler*innen mit niedrigem sozioökonomischen Status (SES; Bspw. Beruf oder Bildung der Eltern). Diese Assoziationen können neutral, positiv oder negativ sein (Eagly & Chaiken, 1993). Speziell in der Schule ist es wichtig zu erfahren, was genau Stereotype beinhalten, da sie bspw. mit verzerrten Leistungserwartungen in Verbindung gebracht werden können (Gentrup, 2018). In der Bildungsforschung wird bei der Untersuchung von Stereotypen häufig auf das Wärme-Kompetenz-Modell von Fiske et al. (2002) zurückgegriffen. Die beiden Facetten Wärme und Kompetenz werden dabei als universelle Inhaltsbereiche von Stereotypen beschrieben, jedoch ermöglichen sie keinen Zugriff auf die inhaltliche Breite von Stereotypen (Imhoff, 2021; Schell et al., under review; Yendell et al., 2023). Qualitative und an Sprache orientierte Forschungsprojekte eignen sich durch ihre Offenheit, diese Inhaltsbereiche tiefergehend zu untersuchen (Hollander & Abelson, 2014). Zudem ermöglicht die Offenheit, weitere Aspekte explorativ einzubeziehen, die Stereotype in der schulischen Praxis beeinflussen können (bspw. Interaktionen zwischen Lehrkräften) (Mayring, 2020). Einerseits können die Ergebnisse daher hypothesengenerierend für quantitative Folgestudien sein. Andererseits können sie tiefere inhaltliche Einblicke in die Ergebnisse quantitativer Forschungsprojekte bieten (Cresswell & Plano-Clark, 2011). Daher werden in diesem Symposium Beiträge präsentiert, die sich aus unterschiedlichen qualitativen Perspektiven mit Stereotypen von (angehenden) Lehrkräften auseinandersetzen. Die unterschiedlichen Perspektiven ergeben sich durch vielfältige Erhebungsarten (Gruppendiskussionen, Interviews, offene Assoziationsaufgaben) sowie Auswertungsformen (qualitative Inhaltsanalyse, Grounded Theory, rekonstruktiv-hermeneutische Analyse). Zudem werden unterschiedliche theoretische Bezüge präsentiert (Doing Difference und Positioning-Analyse). Dabei wird vor allem auf die Gruppe der Schüler*innen mit niedrigem SES fokussiert. Deren Benachteiligung wird u.a. anhand niedriger Leistungen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2022) oder negativer Einstellungen von (angehenden) Lehrkräften (Glock & Kleen, 2020; Tobisch & Dresel, 2020) ersichtlich. Im ersten Beitrag (Yendell et al.) wurden mittels Gruppendiskussionen die Assoziationen von Lehrkräften gegenüber Schüler*innen mit Transferleistungsbezug (Bürgergeld) herausgearbeitet. Eltern, die Transferleistungen beziehen, werden als eher verantwortungslos beschrieben und schlechte Schüler*innenleistungen werden durch eine antizipierte Vererbung dieser Verhaltensweisen begründet. Einige Lehrkräfte widersprechen diesen negativen Assoziationen jedoch auf Basis positiver Erfahrungen in der Interaktion mit Eltern. Im zweiten Beitrag (Claus) wurden Grundschullehrkräfte in Deutschland und Argentinien kulturvergleichend interviewt. In beiden Kontexten wurde eine Verbindung zwischen sozialer Herkunft, fehlender Unterstützung und schlechter Schulleistungen gezogen. Bei deutschen Lehrkräften lag der Fokus jedoch auf einem individualisiertem Versagen der Schüler*innen, während in Argentinien von einem gesellschaftlichen Bildungsversagen ausgegangen wurde. Der dritte Beitrag (Dickert & Glock) untersuchte die Rolle des Elternhauses bei den Stereotypen gegenüber Schüler*innen mit Förderbedarf. Lehramtsstudierende assoziierten Schüler*innen mit dem Förderbedarf Verhalten und Lernen mit einem wenig unterstützenden Elternhaus sowie vorwiegend negativ. Bei dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung zeigt sich dies hingegen nicht. Im letzten Beitrag (Enssen) wurden stereotype Annahmen von schulischen Akteur*innen im Berufsorientierungsprozess von Schüler*innen in sozial deprivierter Lage untersucht. Es wird gezeigt, dass stereotype Denkmuster vor allem von Akteur*innen reproduziert werden, die in Ermangelung von kollegialer Kooperation, Schwierigkeiten haben, die berufliche Entwicklung von Schüler*innen positiv zu beeinflussen. Die Vielfalt der Beiträge ermöglicht es, Stereotype und deren Erforschung unter dem Einsatz unterschiedlicher Methoden sowie Theoriebezüge weiterzudenken. Hierdurch können interdisziplinäre Forschungsprojekte (bspw. Mixed-Methods) forciert und ein Transfer zwischen Wissenschaftsdisziplinen hergestellt werden, wodurch ein muliperspektivisches Verständnis für Stereotype in Bildungsprozessen ermöglicht wird. Um diesen Anspruch zu begegnen, werden die Beiträge einerseits aus der Perspektive der quantitativ orientierten Stereotypforschung (Jun. Prof. Dr. Meike Bonefeld) diskutiert. Andererseits werden sie vor dem Hintergrund schul- und ungleichheitsbezogener Theoriebezüge diskutiert, die in der qualitativen Forschung Anwendung finden (Dr. Matthias Forell). Beiträge des Symposiums Bürgergeld in Schule – Wie der Transferleistungsbezug von Schüler*innen in schulischen Interaktionen sichtbar wird und welche (stereotypen) Erwartungen Lehrkräfte gegenüber Schüler*innen aus dem Transferleistungsbezug haben Studien zeigen, dass Schüler*innen niedriger sozioökonomischer Herkünfte (SES) von (angehenden) Lehrkräften u.a. im Hinblick auf Intelligenz und Sozialverhalten negativer stereotypisiert werden als Schüler*innen höherer SES (Dunkake & Schuchart, 2015; Eagly & Chaiken, 1993; Glock & Kleen, 2020). Dies kann niedrigere Leistungserwartungen zur Folge haben (Gentrup et al., 2018). Zusätzlich wird gezeigt, dass unterschiedliche niedrige SES unterschiedlich stereotypisiert werden. Transferleistungsbeziehende (Bürgergeld bzw. ehemals „Hartz-4“) werden von angehenden Lehrkräften u.a. in Hinblick auf Leistungsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein negativer stereotypisiert als Einkommensarme ohne Transferleistungsbezug (Yendell et al., 2023). Ähnliche Ergebnisse zeigen sich in außerschulischen Studien (Henry et al., 2004; Suomi et al., 2022). Obgleich ca. zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland Transferleistungen beziehen (Bundesagentur für Arbeit, 2023), ist bisher unbekannt, ob und in welchen Interaktionen der Transferleistungsbezug von Schüler*innen für Lehrkräfte sichtbar wird. Ebenso ist unbekannt, welche Erwartungen Lehrkräfte an diese Schüler*innen haben und welche Rolle Stereotype dabei spielen. Um diesem Desiderat zu begegnen, richtet sich der Beitrag am „Doing Difference“-Ansatz aus, nach dem soziale Kategorien (z.B. Transferleistungsbeziehende) in schulischen Interaktionen „getan“ und sichtbar werden (West & Fenstermaker, 1995). Erwartungen durch Lehrkräfte können als Kern dieses Ansatzes verstanden werden, da sie eine Rechenschaftspflicht an Schüler*innen in Bezug auf Gruppenzugehörigkeit (Transferleistungsbezug) und Situation (Schule) formulieren (Hollander, 2013). Stereotype können Teil dieser Erwartungen sein (Imhoff, 2021). Fragestellung Untersucht wird, ob und in welchen Interaktionen der Transferleistungsbezug von Schüler*innen für Lehrkräfte sichtbar und wahrnehmbar wird. Zusätzlich wird untersucht, welche Erwartungen Lehrkräfte gegenüber diesen Schüler*innen äußern und welche Bedeutung Stereotype dabei haben. Methodologisch-Methodischer Ansatz Die Erhebung wurde durch sechs Gruppendiskussionen mit Sekundärschullehrkräften (N=24) an gymnasialen und nicht-gymnasialen Schulformen zwischen Juni und Oktober 2023 realisiert. Gruppendiskussionen wurden als Raum für das interaktive „Doing“ verstanden, indem Lehrkräfte über Interaktionssituationen berichten und eigene Erwartungen auf den Transferleistungsbezug von Schüler*innen durch Sprache „tun“ konnten (Barbour, 2018; Hollander & Ableson, 2014; Morgan, 2019). Hierdurch wurde dessen (Nicht-)Bedeutung für die Schule miteinander ausgehandelt. Die Auswertung orientierte sich an der Grounded Theory (Corbin & Strauss, 1990; Strauss & Corbin, 1998), im Zuge dessen Kernkategorien gebildet wurden. Diese stellen einerseits Interaktionen dar, in denen der Transferleistungsbezug von Schüler*innen für Lehrkräfte sichtbar und wahrnehmbar wird. Zum anderen stellen sie die Erwartungen der Lehrkräfte gegenüber Schüler*innen aus den Transferleistungsbezug und damit verbundene Stereotype dar. Ergebnisse Übergreifend berichten die Lehrkräfte, dass der Transferleistungsbezug in der Interaktion zwischen Lehrkräften, Schüler*innen und Eltern sichtbar wird. Beispielsweise in Interaktionen, in denen Schüler*innen über den Transferleistungsbezug berichten, da sie ihre Eltern bei Behördengängen während der Schulzeit begleiten. Darüber hinaus erwähnen Lehrkräfte bürokratische Tätigkeiten, die sie übernehmen müssen, z.B. Antragsstellungen zur Finanzierung von Schulausflügen, Mittagsverpflegung oder Schulmaterialien. Die Lehrkräfte formulieren, dass sie für Eltern teilweise als erste Ansprechpersonen in Bezug auf bildungsbezogene behördliche Fragestellungen dienen. Im Hinblick auf Erwartungen, werden Eltern durch einige Lehrkräfte wegen ihres Transferleistungsbezuges als schlechte Vorbilder adressiert, da ihnen eine geringe Leistungsbereitschaft zugeschrieben wird. Zudem werden sie als verantwortungslos umschrieben, indem ein geringes Bildungsinteresse und ein verantwortungsloser Konsum benannt wird. Gleichzeitig wird eine kulturelle Vererbung dieser Verhaltensweisen an die Kinder antizipiert. Das Wissen um den Transferleistungsbezug wird dann genutzt, um schlechte Schüler*innenleistungen durch die wahrgenommene Vererbung zu begründen. Gleichzeitig wird eine Machtlosigkeit in Hinblick auf die eigene Tätigkeit formuliert. Andere Lehrkräfte, die zum Teil an derselben Schule arbeiten, beschreiben Eltern und Kinder hingegen als interessiert an schulischer Bildung. Die eigene Tätigkeit erleben sie als eine Unterstützung von Schüler*innen im Transferleistungsbezug, die auch gemeinsam mit Eltern geleistet wird. Zur Begründung dieser unterschiedlichen Sichtweisen wird auf die oben aufgeführten Interaktionen mit Eltern und Schüler*innen verwiesen. Die Ergebnisse werden vor dem Hintergrund weiterer notwendiger Studien diskutiert, die das „Doing“ vom Transferleistungsbezug in Interaktion zwischen Schüler*innen, Eltern und Lehrkräften direkt und multiperspektivisch untersuchen. Doing Difference – entlang der Kategorie soziale Ungleichheit im argentinisch-deutschen Vergleich Der vorliegende Beitrag greift Bildungsungleichheiten in der Grundschule im binationalen Vergleich zwischen Argentinien und Deutschland auf und orientiert sich dabei am Konzept des Doing Difference (West & Fenstermaker, 1995; Budde, 2023; Spiegler, 2018; Walgen-bach 2017) entlang der Kategorie soziale Ungleichheit. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Bildungsungleichheiten nicht zuletzt durch das Handeln und die Orientierungen von Lehrper-sonen (re-)produziert werden. So stellen sie im Unterricht z.B. durch Differenzsetzungen zwi-schen Schüler*innen Ungleichheiten her. Diese Differenzsetzungen bauen u.a. auf stereoty-pen Zuschreibungen (Yendell et al., 2023) gegenüber Schüler*innen auf, die sich wiederum z.B. auf deren soziale Herkunft beziehen können. Stereotype vermögen folglich nicht nur das unterrichtliche Handeln der Lehrpersonen (negativ) zu beeinflussen, sondern zugleich (Bildungs-)Ungleichheiten zwischen Schüler*innen zu verstärken (Eagly & Chaiken, 1993). Schließlich mündet das Forschungsinteresse in der Frage danach, inwiefern Lehrpersonen im schulischen, insbesondere unterrichtlichen Alltag Differenzsetzungen vornehmen. Dabei steht die Differenzkategorie soziale Ungleichheit im Fokus. In den Blick gerät so ferner, inwiefern diese Differenzkonstruktionen der Lehrpersonen den an sie gerichteten Anspruch ‚allen Schüler*innen gerecht zu werden‘ potentiell unterlaufen; diskutiert wird dies in Bezug auf Bildungsgerechtigkeit im Anschluss an die Konzepte der Verteilungs-, Teilhabe- und Anerkennungsgerechtigkeit. Im Fokus steht eine binational vergleichende Auseinandersetzung, da Schule einerseits als ursprünglich nationalstaatlich gegründete und begründete Bildungsinstitution Länderspezifika aufweist. Im Zeitalter der Globalisierung ist die Schule jedoch andererseits von kollektiven Veränderungsprozessen geprägt ist, die über strukturelle Rahmensetzungen hinaus ebenso die pädagogische Theorie und Praxis einschließen (Gonon, 2017). Anzunehmen ist somit, dass sich sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede im Hinblick darauf zeigen, inwiefern die argentinischen und die deutschen Lehrpersonen Differenzsetzungen entlang der Kategorie soziale Ungleichheit prozessieren und bspw. mit Bildungsungleichheiten umgehen. Im Zuge der Studie wurden in beiden Ländern jeweils acht halbstrukturierte Expert*inneneninterviews (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2021) mittels offener Interviewleitfaden (Meuser & Nagel, 1991) geführt. Interviewt wurden Grundschullehrpersonen, die zum Zeit-punkt der Erhebungen (von 2020 bis 2022) Klassenlehrer*in einer ersten oder zweiten Klasse waren. Die Auswertung des Datenmaterials erfolgte in Anlehnung an die Grounded Theory Methodologie nach Glaser und Strauss (2008). Die interviewten Lehrpersonen, so zeigen die Befunde, ziehen Differenzlinien, die sich entlang der Kategorie soziale Herkunft entfalten. Im Zuge dessen greifen sie zum einen die familiale Unterstützung, die in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft als defizitär oder als „zuviel“ markiert wird, auf. Zum anderen thematisieren sie die schulische Leistungserbringung, die sich aus der Perspektive der Lehrpersonen in Abhängigkeit von der sozialen Herkunft – und damit wiederum verbunden der familialen Unterstützung – durch Leistungsschwäche oder Leistungsstärke auszeichnet. Sowohl die argentinischen als auch die deutschen Lehrpersonen stellen einen Zusammen-hang zwischen de-privilegierter Herkunft – defizitärer/ fehlender familialer Unterstützung – schwachen schulischen Leistungen her. Unterschiede zeigen sich darin, dass (a) die deut-schen Lehrpersonen in diesem Kontext tendenziell auf individuelles, also auf einzelne Schü-ler*innen bezogenes Bildungsversagen hindeuten, während die argentinischen Lehrpersonen tendenziell auf kollektives und mithin gesellschaftliches Bildungsversagen schließen, was eine Mehrheit der Schüler*innen eines Klassenverbandes betrifft. Ferner zeigen sich Unter-schiede (b) hinsichtlich der Anforderungen an ‚Schulkinder‘: So formulieren die deutschen Lehrpersonen voraussetzungsreiche Erwartungen, indem sie eine Vielzahl an Eigenschaften und Fähigkeiten auflisten, die Schulkinder aus ihrer Perspektive idealtypisch kennzeichnen bzw. beherrschen (sollten). Diese umfassen u.a. das soziale Miteinander oder die Eigenorga-nisation. Die argentinischen Lehrpersonen zeichnen dagegen das Bild eines ‚Schulkindes‘ als ‚Kind, das zur Schule geht‘ und machen dies nicht von spezifischen Anforderungen abhängig, die erfüllt werden sollten. Diese Befunde sind u.a. anschlussfähig an den Diskurs um Doing Pupil oder Doing Student (Walgenbach, 2015). Zusammengenommen sind die auf Stereotypen aufbauenden Differenzsetzungen zu problematisieren, da die Schüler*innen im Zuge dessen pauschal kategorisiert und nicht als Individuum anerkannt werden. Das unterläuft bspw. die Sphäre der Anerkennungsgerechtigkeit, was es im Rahmen des Beitrags zu entfalten gilt. Zeig‘ mir deine Eltern und ich sag‘ dir, was du hast? Stereotype bezüglich des Elternhauses über Schüler*innen mit verschiedenen sonderpädagogischen Förderbedarfen von (angehenden) Lehrkräften Theoretischer Hintergrund und Fragestellung: Schüler*innen aus einem sozial benachteiligten Elternhaus werden eher als Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf erkannt und an Förderschulen beschult als Schüler*innen aus einem privilegierten Elternhaus (Kölm et al., 2017). Da Lehrkräfte auch das Elternhaus für das Fehlverhalten von Schüler*innen verantwortlich machen (Andreou & Rapti, 2010), ist denkbar, dass Assoziationen zwischen dem Elternhaus und dem Verhalten von Schüler*innen auch die Diagnostik von SPF beeinflussen. Als ursächlich für diese Assoziationen werden Stereotype von Lehrkräften diskutiert. Stereotype, also verallgemeinerte Annahmen oder Überzeugungen über Mitglieder sozialer Gruppen (Hilton & von Hippel, 1996), können wie logische Fehler wirken, die entstehen, wenn Lehrkräfte Merkmale zur Beurteilung heranziehen, die für die Beurteilung eigentlich unzureichend sind (Kleber, 1976). Stereotypen variieren gleichzeitig nicht nur inhaltlich, sondern auch in Bezug auf ihre Valenz (positiv, neutral, negativ). Während bekannt ist, dass Schüler*innen aus einem sozial benachteiligten Elternhaus als weniger intelligent, fleißig, ehrgeizig und motiviert eingeschätzt werden als ihre Mitschüler*innen aus einem privilegierten Elternhaus (Tobisch & Dresel, 2020), ist bislang unklar, welche Stereotype gegenüber dem Elternhaus von Schüler*innen mit Verhaltensauffälligkeiten sowie den Förderbedarfen Lernen und geistige Entwicklung existieren. Die vorliegende Arbeit untersucht deshalb den Inhalt und die Valenz solcher Stereotype. So soll ein tieferer Einblick in die zugrunde liegenden Mechanismen der Ungleichbehandlung gewonnen werden. Dies ist besonders relevant für Analysen einer möglichen „doppelten“ Benachteiligung von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf und einem sozial benachteiligten Elternhaus. Methode: Die Inhalte der Stereotype wurden mittels einer Assoziationsaufgabe erfasst. Die Proband*innen wurden gebeten, ihr Wissen über Vorstellungen und Annahmen von (angehenden) Lehrkräften wiederzugeben. Hierzu wurden den Proband*innen zufällig einer der vier sonderpädagogischen Förderbedarfe (Lernen, internalisierende sowie externalisierende Verhaltensstörung, geistige Entwicklung) zugeteilt. Die Stichprobe umfasste 88 Master-Lehramtsstudierende (89,41 % weiblich). Befragt wurden Studierende mit dem Ziel Grundschule (81.82 %) und HRGe (18.18 %), da der Großteil der Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf diese Schulformen besucht (KMK, 2022). Zur Auswertung der Assoziationen wurden induktive Kategorien gebildet („Elternhaus ohne Einfluss“, „niedriger SES“, „niedriger Bildungsstand“, „niedriges Einkommen“, „hohe elterliche Unterstützung“ „hohe oder niedrige elterliche Unterstützung“, „niedrige elterliche Unterstützung“, „familiäre Konflikte“, „Psychopathologie der Eltern“) und mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring, 2010) ausgewertet. Alle Kategorien wurden zudem hinsichtlich ihrer Valenz bewertet. Ergebnisse: Der Großteil der Proband*innen hatte stereotype Vorstellungen über das Elternhaus von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf hinsichtlich einer niedrigen elterlichen Unterstützung (z. B. „Das Kind ist oft auf sich alleine gestellt“, „das Kind bekommt keine Hilfe von den Eltern“, „es gibt keine Regeln und Strukturen“) (55 Nennungen). Die Proband*innen gaben an, dass die Eltern von Schüler*innen mit den Förderbedarfen Lernen (14 Nennungen), internalisierende (16 Nennungen) und externalisierende Verhaltensstörung (23 Nennungen) wenig unterstützend seien. Über den Förderbedarf geistige Entwicklung wurden hingegen weniger stereotype Annahmen bezüglich des Elternhauses von den Lehramtsstudierenden wiedergegeben. Bei der Auswertung der Valenz zeigte sich zudem, dass überwiegend negative Stereotype über das Elternhaus von Schüler*innen mit den Förderbedarfen Lernen (65,63 %), internalisierende (89,36 %) und externalisierende (84,31 %) Verhaltensstörung genannt wurden, während über das Elternhaus von Schüler*innen mit dem Förderbedarf geistige Entwicklung vermehrt positive Stereotype wiedergegeben wurden (40,63 %). Diskussion: Stereotype in Bezug auf das Elternhaus zeigen sich vor allem bei den Förderbedarfe Lernen und Verhalten (internalisierend und externalisierend), beziehen sich vor allem auf die elterliche Unterstützung und sind überwiegend negativ. Deutlich weniger Stereotype zeigen sich hinsichtlich des Förderbedarfs geistige Entwicklung, diese sind dann vermehrt positiv. Die Sonderstellung der beiden Förderbedarfe Lernen und Verhalten wurde bereits in anderen Studien deutlich: Lehrkräfte haben gegenüber den beiden Förderbedarfen besonders negative Einstellungen (de Boer et al., 2011; Schwab & Seifert, 2015). Die vollständigen Ergebnisse werden im Rahmen des Vortrags aufgezeigt und diskutiert. Zwischen Entschlossenheit und Resignation – Zum Einfluss von Stereotypen auf wahrgenommene Handlungsspielräume schulischer Akteur:innen im Berufsorientierungsprozess von Schüler:innen mit heterogenen Unterstützungsbedarfen Der Übergang von der Schule in weitere (Aus-)Bildungswege markiert für Schüler:innen einen wichtigen Lebensabschnitt. Das Verlassen des gewohnten (schulischen) Umfeldes in einen neuen Lebensabschnitt ist für die jungen Menschen mit vielfältigen Entwicklungsaufgaben verbunden (Daigler 2018). Damit der Übergangsprozess für die Schüler:innen möglichst erfolgreich verläuft, werden sie bereits während der Schulzeit im Rahmen der Berufsorientierung auf den Arbeitsmarkt und das Erwachsenwerden vorbereitet. Obwohl die berufliche Orientierung durch Vorgaben der Kultusministerkonferenz im schulischen Alltag verankert ist (KMK, 2017), gestaltet sich die Umsetzung an den Schulen noch sehr unterschiedlich. So kommt es dazu, dass die Gestaltung des beruflichen Orientierungsprozesses u.a. von der Schulform, individuellen Förder- und Unterstützungsbedarfen und den Personen, die den beruflichen Orientierungsprozess begleiten, abhängig sind (Friese, 2020). Obwohl schulische Akteure der beruflichen Orientierung bestrebt sind, allen Schüler:innen die gleichen Chancen auf einen erfolgreichen Übergang von der Schule in weitere (Aus)Bildungswege zu ermöglichen (Brüggemann & Rahn, 2020; Burda-Zoyke & Radde, 2019), kann die Begleitung und Beratung von stereotypischen Denkmustern geprägt sein, wie bspw. in Bezug auf Geschlechterstereotype bekannt ist (Scholand, 2020). Stereotype können unterschiedliche Ursachen haben, da die Bedingungen, unter denen Schüler:innen den Übergang von der Schule ins Erwachsenwerden und weitere (Aus)Bildungswege bewältigen, auch von individuellen Schüler:innenmerkmalen geprägt sind (Brüggemann & Rahn, 2020). Im Fokus des Beitrags steht daher der Einfluss von stereotypischen Denkmustern auf die wahrgenommenen Handlungsspielräume schulischer Akteur:innen im Berufsorientierungsprozess von Schüler:innen mit heterogenen Unterstützungsbedarfen. Fragestellung Welche heterogenen Unterstützungsbedarfe haben Schüler:innen an Schulen in sozial deprivierter Lage im Berufsorientierungsprozess und inwieweit beeinflussen stereotypische Denkmuster (Eagly & Chaiken, 1993) schulischer Akteur:innen ihre wahrgenommenen Handlungsspielräume bei der Unterstützung von Schüler:innen? Methode Der Auswertung liegen reflexionsanregende, leitfadengestützte Interviews von Lehrkräften, Schulleitungen und Schul- bzw. Jugendsozialarbeit (n=12) aus zwei Fallstudien an Schulen der Sekundarstufe I zugrunde, die mit der rekonstruktiv-hermeneutischen Analyse nach Kruse (2015) ausgewertet wurden. Im Fokus des Beitrags stehen insbesondere die Positioning-Analyse, die Aufschluss über Selbst- und Fremdpositionierung der Beteiligten eines Prozesses gewährt und stereotypisches Denken aufzeigt, die Agency-Analyse, die Einblicke in die wahrgenommene Handlungs- und Wirkmächtigkeit von Personen gibt sowie die Argumentationsanalyse, die Legitimations- und Anerkennungspraktiken aufdeckt. Ergebnisse Einleitend wird dargelegt, wie schulische Akteur:innen die heterogenen Unterstützungsbedarfe Ihrer Schüler:innen rahmen. Diese Rahmung basiert in Teilen auf Stereotypen, die je nach Unterstützungsbedarf auf positiven oder negativen Zuschreibungen basieren. Inwieweit die Unterstützungsbedarfe der Schüler:innen ihrer Wahrnehmung nach adressiert werden können, variiert nach persönlich wahrgenommener Handlungs- und Wirkmächtigkeit. Es zeigt sich einerseits, dass Personen, die eher selten mit anderen Akteur:innen kooperieren und sich nicht als Teil eines Unterstützungsnetzwerks verstehen, sich häufig nicht auf besondere Bedarfe ihrer Schüler:innen einlassen können. Stereotype Einordnungen werden als Argumentationsfiguren herangezogen, um die eigene Ohnmacht zu rechtfertigen. Diese wahrgenommene Ohnmachtserfahrung mündet mitunter in einer resignierenden Haltung schulischer Akteur:innen, woraus wiederum eine defizitäre Begleitung von Schüler:innen im Berufsorientierungsprozess resultiert. Andererseits zeigt sich, dass Personen, die multiprofessionell mit inner- und außerschulischen Akteur:innen zusammenarbeiten und von sich ein Selbstverständnis als Teil eines Unterstützungsnetzwerks haben, einen größeren Handlungsspielraum in Bezug auf die Unterstützungsbedarfe im Berufsorientierungsprozess ihrer Schüler:innen wahrnehmen. Auch bei komplexeren Fällen agieren Personen, die mit anderen kooperieren entschlossen und versuchen beständig Lösungen für Herausforderungen im Berufsorientierungsprozess ihrer Schüler:innen zu finden. Stereotype rücken bei dieser Personengruppe in den Hintergrund und werden nicht zur treibenden Kraft des zugrundeliegenden Handelns. Die Ergebnisse belegen die Bedeutung von multiprofessioneller Kooperation für die Unterstützung von Schüler:innen mit heterogenen Unterstützungsbedarfen. Je nachdem ob und inwieweit schulische Akteure sich als Teil eines Unterstützungsnetzwerks verstehen, begegnen sie den heterogenen Bedarfen ihrer Schülerschaft mit mehr oder minder großem Engagement. Stereotype Denkfiguren werden dabei insbesondere von solchen Akteuren reproduziert, die sich bei besonderen Bedarfslagen außer Stande sehen, die Entwicklung von Schüler:innen im Berufsorientierungsprozess in positivem Sinne zu beeinflussen. |
10:30 - 12:10 | 4-12: An interdisciplinary view on learners’ argumentation competences: empirical studies from Economics Education, Political Education and English. Ort: S19 |
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Symposium
An interdisciplinary view on learners’ argumentation competences: empirical studies from Economics Education, Political Education and English. Argumentative competences are an important goal of modern education. In the competence model for democratic culture and intercultural dialogue (European Council, 2021), argumentation skills are described as basic for “analytical and critical thinking skills”, “conflict resolution skills” and “knowledge and critical understanding of the world (politics, human rights, cultures, etc.)”. Argumentative competences play an important role in the curricula of different subjects. For that reason, research on argumentative competences is conducted in different subjects. Previous research on argumentation in the classroom is mostly devoted to science subjects and language subjects in compulsory education (e.g., Budke et al., 2015; Duschl & Osborne, 2002; Erduran & Jiménez-Aleixandre, 2007; Osborne et al., 2004). Little is known so far about argumentation in social science subjects in compulsory and post-compulsory school. Especially for the domain "politics and economics", only few theoretical and empirical works are available (Ackermann & Kavadarli, 2022; Gronostay, 2019; Siegfried, 2021). Furthermore, these subject specific research traditions have been largely unconnected. The main goal of this symposium is to bring together empirical work on argumentation skills from various school subjects and domains, and to analyse similarities and differences between them in empirical studies. There are two guiding questions: First, whether the argumentative competences are similar or different between subjects; and second, what the relationship is between argumentative competences in spoken or written form is. This symposium addresses both these questions in an interdisciplinary format by presenting 3 empirical studies from different school subjects: English, Economic Education, and Political Education. In paper 1, Lohmann, Lötscher and Keller analyse argumentative competences in the context of argumentative essays in English at upper secondary level (“Gymnasium”). They show that in English, written English argumentative skills and receptive competences (reading and listening) are highly correlated, suggesting there is a common underlying language competence from which all of these abilities draw. Also, students need most support in language competence while elements such as structuring a text or finding content can be transferred from other domains (e.g. first language writing). In paper 2, Ackermann and Siegfried focus on written and oral argumentation in a problem-oriented, cooperative teaching/learning setting in the subject "Politics and Economics" at upper secondary level. They analyse the structure and content of written arguments in short essays on a socio-economic problem, the change in written argument quality during the teaching/learning setting as well as the connection between oral contributions from the group discussion and written argument quality in short essays. In paper 3, Aydin, Waldis & Wenger present a program for promoting oral argumentation in citizenship education. Their paper provides empirical insights into a strategy training course and classroom debates. They show that despite standardized argumentation training, debates in the observed class turned out very heterogeneous. This seems to be partly due to the diversity of thematic inputs and partly due to students’ linguistic competencies and the debate culture. Based on these presentations, consequences and transfer for teacher education and practical teaching will be discussed. Beiträge des Symposiums Argumentation in English essays at upper-secondary level: linguistic and argumentative competences of foreign language learners Background Foreign language skills are vital for learners’ active participation in modern knowledge societies and integration in an international democratic system (Keller, 2023). Argumentative competences in English as a foreign language (EFL) are particularly important at secondary level. Yet they presuppose advanced skills of language proficiency, text structuring and argumentation which need to be explicitly instructed for students to master them (Keller et al., 2020). This paper presents insights on the internal structure and development of EFL argumentative competences at upper secondary level. In particular, it has the following two research questions: 1) What competences of argumentative writing do learners at upper-secondary level reach? 2) What is the composite structure of argumentative writing competence in English in terms of use of language, structure and content / argumentation? Data This study was carried out as a repeated measurement design in upper secondary schools in Germany and Switzerland with an interval of eight to nine months between the two measurement points. Students completed computer-based tests on writing (two TOEFL argumentative writing tasks at each time point). Overall, data were collected from n=1882 students in Switzerland (58% female; age: x¯T1=17.56, SDT1=.91; x¯T2=18.27, SDT2=.91) and n=965 students in Germany (58.6% female; age: x¯T1=16.91, SDT1=.56; x¯T2=17.61, SDT2=.56). Method Two types of analyses were performed to analyse leaners’ argumentative writing competences. In a first study (Keller et al., 2020), holistic ratings were produced by two trained raters on the operational TOEFL iBT scoring rubrics. Inter-rater agreement, as measured by quadratic weighted kappa (QWK), was satisfying for all prompts and time points (QWK=.865/.775). In a second study, learners’ texts from the same dataset were analytically analysed by a new set of trained raters (both for T1 and T2). The analytic assessment of learner texts included the most important elements of an argumentative essay, based on relevant linguistic and pedagogical analyses of the genre. Furthermore, the rubric captured a range of criteria mentioned in upper-secondary EFL curricula in Germany and Switzerland, mostly control of grammatical and lexical language features and the ability to state one’s opinion in a large range of contexts (Fleckenstein et al. 2019). In terms of ICC, the weighted Kappa for language quality was .74, .70 for structure and .61 for content. Results For RQ1, results show that learners at upper secondary level mostly reach level B2 according to the CEFR in argumentative writing in terms of internal structure of their competences. For RQ2, analytic ratings show that students achieve highest scores for structure, lower ones for content and argumentation, and the lowest scores for language proficiency (i.e., spelling, grammar and lexical quality). Our study, however, also found considerable differences in development rates between the three aspects of writing quality: on average, learners gained half of a standard deviation in structure, a quarter of a standard deviation in content, and less than one fifth of a standard deviation in language quality, i.e., hardly anything at all. Discussion and Relevance In terms of fostering argumentative writing, the fact that the linguistic quality (in the sense of general language proficiency) of argumentative EFL essays hardly budges over one year would suggest learners need specific support in this area, and that linguistic structures should be taught in the specific context of EFL argumentative writing. By contrast it seems that the ability of finding content for argumentation and especially structuring of texts can be transferred from other languages or domains of learning. Quality of written arguments on “energy policy” in a classroom intervention with upper secondary students: the role of individual learning characteristics and cooperative learning activities Problem statement An overarching educational goal of upper secondary education is that students acquire competences for present and future participation in society and economy (Eberle, 2015; Ross, 2021). To achieve this goal, content knowledge and argumentation skills on societal problems are, amongst other things, required (Ackermann & Siegfried, 2022). Whereas most empirical studies at upper secondary level in German-speaking countries focus on content knowledge of students in different school types and professional fields (e.g, Beck, 1993; Müller et al., 2007; Schumann & Eberle, 2014; Schumann et al., 2017) and the effect of different teaching/learning settings (e.g., traditional, action-oriented, self-organised) on performance and motivation (e.g., Seifried & Sembill, 2010; Sembill et al., 2007), a few recent studies examine argumentative competences in the domain “politics and economics” (e.g., Ackermann & Kavadarli, 2022; Gronostay, 2019; Siegfried, 2021). Research goal and questions Our study aims to investigate students’ written arguments before and after a problem-oriented, cooperative classroom intervention on a societal problem. We raise three research questions: • (RQ1) What is the quality of written arguments regarding structural and content criteria before and after the intervention? • (RQ2) How many profiles of written argument quality can be identified and characterised before and after the intervention? • (RQ3) To what extent is written argument quality effected by individual learning requirements and group-based learning activities? Methods For the data collection, a problem-oriented, cooperative teaching/learning setting on the topic "energy policy" was developed and used in the subject "politics and economics". The sample was randomly drawn from high school students in the German state of Hesse (N=190, grade 10+11, age 16-18, female 46 %). Within the classroom intervention, students were confronted with the societal problem, then had to search for further information on the problem in the material given and discuss problem solutions in small groups (Siegfried, 2021). Before and after the classroom intervention an achievement test was used for domain-specific content knowledge (Ackermann, 2019) and a writing task on "energy policy measures" for domain-specific reasoning skills. The textual data of the writing task were analysed qualitatively (Cohens κ = .84) using an analytical framework for domain-specific argumentative writing (Ackermann & Kavadarli, 2022). The video data of the group discussion were transcribed and coded (Cohens κ = .72 to .83) using an analytical framework for domain-specific argumentative discussing (Siegfried, 2021). With the quantified data (codings), frequency analyses, cluster analyses and regression analyses were conducted. Results Regarding RQ1, at the level of variables, the quality of the students’ arguments is rather low and did not significantly change by the intervention. Of all the arguments, about 80% were supportive justifications, 60% were specific, 12% were completely correct, 20% had scientific references and 35% contained multiple perspectives. Regarding RQ2, at the case level, there are three distinct argument profiles before and after the invention. The profiles in the post-test are characterised as follows: Profile-1 (N1≈48 %) has a moderate argument quality, Profile-2 (N2≈43 %) shows a moderate to high argument quality, Profile-3 (N3≈9 %) has a very low argument quality. Regarding RQ3, there is an effect of some individual learning requirements and some group-based learning activities on written argument quality. In the pre-test, argumentation quality is predicated by content knowledge and partly by the grade in German as first language. In the post-test, argumentation quality is partly predicted by content knowledge and by contributions in the group discussion. Discussion From these results, implications can be derived for both further subject specific research on argumentation in social sciences subjects and for teacher training to support argumentative competences. Promoting Oral Argumentation in Citizenship Education. Empirical Insights into a Strategy Training Course and Classroom Debates Theories of deliberative democracy call for citizens to be communicatively activated in forming opinions on issues since the 1990s. Therefore, civic education is expected to introduce adolescents to deliberative processes and to promote their argumentative competence–understood as a linguistic and a political competence (Rapanta & Felton, 2022; Zohar & Nemet, 2002). Empirical findings show that instructional interventions can promote oral reasoning and critical thinking in a variety of subjects. However, intervention effects are often small and inconsistent. Authors suggest moderately controversial topics for civic education goals in middle school (Gronostay, 2019). Empirical findings show that students in deliberative settings are more willing to engage opposing arguments and revise their own than in competitive settings (Felton et al., 2015). In addition, student dialogues in small groups are conducive to argumentation skills (Rapanta & Felton, 2022; Schuitema et al., 2011). There is limited information to date on the effectiveness of strategy training. In an intervention study (grade 8/9, Gymnasium), Gronostay (2019) combined thematic input with argumentation training that included analytical tasks and oral practice. This led to more transactive speech acts (counterarguments, objections) in the experimental group in the subsequent fishbowl discussion. However, revision and adaptation of own arguments remained largely absent. In this study, we investigate the extent to which an adapted version of this strategy training with additional dialogue exercises contributes to more transactive dialogues. The following research questions will be investigated: RQ1: What it the distribution of different argumentative moves (e.g., counterarguments, integration) in processes of argumentative reappraisal? RQ2: What is the complexity of argumentations (number of reply moves per argument) and the distribution of argumentative sequences (one-sided/critical/responsive)? RQ3: To what extent are different patterns regarding argumentative moves and complexity visible in the observed classes? RQ4: Are "political" arguments visible and how are they negotiated? Method Six teachers (4-27 years of teaching experience) participated with their classes in the testing of an argumentation training in the school year 2022/23. The students (aged 13-17, lower secondary (grade 8/9, different educational levels) exhibited heterogeneous linguistic competencies. The instructional setting consisted of a) the standardized argumentation training (90′), b) a thematic input on a controversial topic selected by the teachers (90′), c) a fishbowl debate about it in class (45′), and d) a written judgment task (45′). As a controversial topic, teachers chose either a topic close to everyday life (sustainable school) or a topic of social relevance (introduction of a cashless society). Data collection included video recording of the fishbowl debates and written documentation of all lessons and teaching materials used. The analysis of the transcribed student debates was conducted in four steps: 1) analysis of argumentative structure (Toulmin, 1958/2003), 2) analysis of argumentative moves (Gronostay, 2019; Felton et al. 2015), 3) complexity per argumentative sequence (one-sided, critical, or responsive) (Gronostay, 2019), and 4) identification of political issues per sequence (table 1). All debates were coded in teams of two and then discursively cleaned up by the research team. Code definitions, anchor examples, and collaborative discussion of special cases and their documentation ensured standardization. Results The argumentative moves practiced in the argumentation training were visible in the fishbowl debates. Contradiction and integration of arguments occurred frequently. A larger proportion of the argumentations were responsive. Class-specific patterns emerged at both code levels (argumentative moves, complexity). Political issue were often pronounced in one-sided argumentation. Conclusion Despite standardized argumentation training, debates in the observed class turned out very heterogeneous. This seems to be partly due to the diversity of thematic inputs and partly due to students’ linguistic competencies and the debate culture (on/off-topic, meta-talk, commitment to topic) in the classes. |
10:30 - 12:10 | 4-13: Ausbildungsabbrüche – Prädiktoren und anschließende Verläufe Ort: S28 |
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Symposium
Ausbildungsabbrüche – Prädiktoren und anschließende Verläufe Hohe Abbruchquoten an Ausbildungsverhältnissen sowohl im dualen System (ca. 27 % der Ausbildungsverträge pro Jahr; BIBB, 2023) als auch im Schulberufssystem (ca. 38 %; Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022) stellen seit Jahren eine zentrale Herausforderung des Berufsbildungssystems dar (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022; BIBB, 2023). Vor allem im Kontext der aktuellen Situation um Fachkräfteengpässe erfährt der Diskurs um Abbrüche in der beruflichen Ausbildung eine hohe Aufmerksamkeit. Aber auch international ist das Thema relevant, da Ausbildungssysteme in vielfältigen Ländern ähnlich ausgestaltet sind und dort vergleichbare Problemlagen bestehen. Mehrere Studien verdeutlichen, dass Brüche im Ausbildungsverlauf nur für den geringsten Anteil an Jugendlichen zu langfristigen und somit „problematischen“ Bildungsverläufen führen (Michaelis et al., 2022; Michaelis & Richter, 2022; Holtmann & Solga, 2023). Häufiger ist ein Bruch mit einem Ausbildungsverhältnis als eine Bildungs-, Berufs- bzw. Betriebskorrektur zu werten (Krötz & Deutscher, 2022). Positiv betrachtet bergen solche nachschulischen Erfahrungen deshalb auch ein Sozialisationspotenzial für die berufliche und karrierebezogene Entwicklung (Michaelis et al., 2022), dennoch sollten Risiken dieser Umwege nicht negiert werden. Patzina und Wydra-Somaggio (2021) verdeutlichen beispielsweise Nachteile in der späteren Beschäftigungs- und Gehaltssituation. Auch institutionelle Risiken, zum Beispiel auf Seiten der Betriebe sind zu berücksichtigen, da Negativerfahrungen im Ausbildungsprozess die Ausbildungsbereitschaft gefährden können. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist es deshalb bedeutsam, Hintergründe von Abbrüchen eines Ausbildungsverhältnisses sowie deren Konsequenzen theoriegeleitet zu analysieren, um evidenzbasierte Handlungsempfehlungen für die Gestaltungsakteure beruflicher Bildung zu generieren. Derzeit stehen vor allem zwei Forschungsschwerpunkte im Mittelpunkt: (1) Prädiktoren von Abbrüchen: Der aktuelle Forschungsstand verdeutlicht, dass der Abbruch eines Ausbildungsverhältnisses ein komplexes Konstrukt ist, dass auf vielfältige Kontext-, Input sowie Prozessmerkmale der beruflichen Ausbildung zurückzuführen ist (Böhn & Deutscher, 2022). Gut erforscht sind vor allem distale Einflüsse der Individuen (Leistungsmerkmale der vorherigen Bildungsbiografie, sozioökonomischer Hintergrund etc.). Wenig erforscht ist hingegen die Ausbildungsprozessebene und komplexe Strukturzusammenhänge zwischen den einzelnen Input- und Prozessmerkmalen. (2) Diskontinuierliche Ausbildungsverläufe: Abbrüche von Ausbildungsverhältnissen werden nicht nur durch den vorherigen Bildungsverlauf beeinflusst, sondern haben selbst auch Einfluss auf den zukünftigen Lebensverlauf. Erkenntnisse bestehen vor allem für Entwicklungen nach dem Abbruchsereignis (Michaelis & Richter, 2022; Holtmann & Solga, 2023; Krötz & Deutscher, 2022). Auch bestehen erste Analysen zum Einfluss von distalen Faktoren (z.B. Bildungshintergrund) auf die Entwicklungen nach dem Abbruch eines Ausbildungsverhältnisses (Michaelis & Richter, 2022; Holtmann & Solga, 2023), wenig Evidenz besteht hingegen zum Einfluss proximaler Abbruchsgründe (z.B. persönliche Gründe, Ausbildungsqualitätsmerkmale) auf den anschließenden Verlauf. Vor diesem Hintergrund bildet das Symposium in Form von vier Vorträgen aktuelle empirische Problemstellungen zu diesen beiden Forschungsschwerpunkten im Themenfeld beruflicher Abbrüche ab. Dabei werden quantitative (Beiträge 1, 3 und 4) und qualitative Ansätze (Beitrag 2) kombiniert.
Ein abschließender Diskussionsbeitrag wird die Befunde vor dem Hintergrund theoretisch-konzeptioneller Aspekte reflektieren und forschungsmethodische und bildungspolitische Implikationen beleuchten. Beiträge des Symposiums Zur Rolle beruflicher Kompetenzentwicklung für die Ausbildungsabbruchabsicht bei kaufmännischen Auszubildenden Theoretischer Hintergrund Hohe Abbruchquoten in den beruflichen Bildungssystemen stellen rund um den Globus eine große Herausforderung dar (CEDEFOP, 2016). Die jahrzehntelange Forschung zum Thema Ausbildungsabbruch konnte inzwischen zahlreiche Einflussfaktoren identifizieren, allerdings werden einerseits die Kausalität zwischen solchen Einflussfaktoren und andererseits die Rolle der Kompetenzentwicklung der Auszubildenden für ihr Abbruchverhalten weitestgehend außer Acht gelassen. Nur selten fokussieren Studien auf den Kausalzusammenhang zwischen Kompetenzen und Ausbildungsabbruch. In solchen Fällen werden ausschließlich die Auswirkungen sozialer und methodischer Kompetenzen analysiert (z. B. Ulrich et al., 2020; Weber & Garcia-Murias, 2019). Zum heutigen Zeitpunkt liegen keine empirischen Belege vor, die einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung berufsfachlicher Kompetenzen und dem Abbruch der Berufsausbildung belegen. Allerdings verdeutlichen Befunde durch Zumbühl und Wolter (2017) im Längsschnitt, dass Befunde zu typischen Abbruchfaktoren variieren können, wenn allg. schulische Kompetenzen (Mathematik, erfasst durch PISA-Erhebungen) der Auszubildenden einbezogen werden. Fragestellung und Methode Die vorliegende Studie analysiert die Auswirkungen der beruflichen Kompetenzentwicklung auf die Abbruchabsicht anhand von Längsschnittdaten von 458 Auszubildenden (Industriekaufleute) in Deutschland. Über zwei Jahre wird die berufliche Kompetenz durch einen validierten Kompetenztest (Klotz, 2015) zu drei Zeitpunkten gemessen und in eine domänenverbundene und eine domänenspezifische Dimension unterteilt (Gelman & Greeno, 1989). Außerdem werden vier unterschiedliche Richtungen von Abbruchabsichten (Krötz & Deutscher, 2022) modelliert. Somit wird eine differenzierte Betrachtung der Forschungslücke in insgesamt 12 temporären Kausalbeziehungen angestrebt (to-t1; t0-t2; t1-t2 für je vier Abbruchrichtungen). Daneben werden gängige Abbruchfaktoren wie Bildungsniveau, Alter, Sprache und Wunschberuf als Kontrollvariablen berücksichtigt. Ergebnisse Im Ergebnis werden über die Verwendung schrittweiser hierarchischer Regressionsmodelle signifikante Einflüsse der beruflichen Kompetenz auf die Abbruchabsicht für 3 der 12 möglichen Beziehungen aufgezeigt: Geringere domänenspezifische Kompetenzen zu Beginn der Ausbildung erhöhen im zweiten Ausbildungsjahr die Absicht, den Ausbildungsberuf zu wechseln. Des Weiteren beeinflussen die Niveaus der domänenspezifischen Kompetenz zu Beginn und nach einem Ausbildungsjahr die Absicht, im letzten Ausbildungsjahr nach unten abzubrechen. Somit können drei temporäre Kausalbeziehungen identifiziert werden, bei denen eine niedrige domänenspezifische Kompetenz zu Beginn der Ausbildung spätere Abbruchabsichten der Auszubildenden signifikant verstärkt. Insgesamt können die beschrieben Modelle jedoch nur 6-7% Varianz der Abbruchabsichten erklären (korrigiertes R²). Die domänenspezifische Kompetenz kann hierbei jeweils rund einen Prozentpunkt Varianzaufklärung beitragen, sodass von nur sehr geringen Erklärungsbeiträgen berufsfachlicher Kompetenzen für das Abbruchgeschehen ausgegangen werden muss. Auffällig ist zudem, dass sich für domänenverbundene Kompetenz keine signifikanten Einflüsse auf die Abbruchabsichten der Auszubildenden zeigen. Gängige Befunde zu Wunschberuf (Übereinstimmung senkt Abbruchabsichten), Alter (höheres Alter erhöht Abbruchabsichten), Geschlecht (männliche Auszubildende zeigen verstärkt Abbruchabsichten) und Bildungsniveau (höheres Bildungsniveau senkt i. d. R. Abbruchabsichten, verstärkt jedoch Abbruchabsicht nach oben) konnten innerhalb der Analysen bestätigt werden (z. B. Böhn & Deutscher, 2022). Dynamiken von Bleibe- und Ausstiegsintentionen im Verlauf der Ausbildungseingangsphase der Pflegeausbildung: Eine qualitative Längsschnittstudie Theoretischer Hintergrund/Fragestellung Nach aktuellen Schätzungen werden in den nächsten Jahren ca. 13 Millionen Pflegekräfte im Gesundheitswesen fehlen (ICN, 2022), weshalb die nachhaltige Bindung von Nachwuchskräften an den Pflegeberuf von großer Bedeutung ist. Leider ist trotz steigender Vertragslösungen und Abbruchneigungen in der Pflegeausbildung (BMFSFJ, 2022; Destatis, 2022; Merkley, 2016) bisher wenig über deren Entwicklung während der Pflegeausbildung bekannt (González & Peters, 2021). Zur Schließung dieser Forschungslücke wird mit der vorliegenden Studie beigetragen, indem Entwicklungsverläufe pflegeberuflicher Aspirationsfelder von Auszubildenden, welche als Zone akzeptabler und zugänglicher pflegeberuflicher Alternativen definiert sind (Gottfredson, 1981, 2005), empirisch untersucht werden. Der Fokus liegt auf der Eingangsphase der Pflegeausbildung, die als Transition in den Ausbildungsberuf verstanden wird (Welzer, 1993). Typisch für diese Phase ist eine Häufung individueller beruflicher Orientierungsversuche (Lamamra & Duc, 2015). Um diese zu verstehen, wird eine subjektorientierte Perspektive auf den Berufswahlprozess eingenommen, bei der die/der Jugendliche als Agent ihrer/seiner Laufbahn verstanden wird und diese in Ko-Konstruktion mit ihrer/seiner Umwelt gestaltet (Savickas 2012, 2021). Abschließendes Ergebnis dieser Ko-Konstruktionsprozesse können berufliche Bleibe-, Reorientierungs- oder auch Abbruchtendenzen während der Ausbildung sein. Methode Um die Entwicklungsdynamiken pflegeberuflicher Aspirationen aus der Subjektperspektive nachzeichnen zu können, wurde eine qualitative Längsschnittstudie auf Basis der Grounded Theory Methodologie (Corbin & Strauss, 2015) durchgeführt. Mittels problemzentrierter Interviews (Witzel & Reiter, 2012) wurden 12 Auszubildende der Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie Altenpflege zu zwei bis vier Zeitpunkten im ersten Ausbildungsjahr befragt (insgesamt k = 35 Interviews). In einem theoretischen Samplingverfahren wurden sieben stark kontrastierende Fälle (21 Interviews) für die weitere Analyse mittels Kodierverfahren der Grounded Theory (Corbin & Strauss, 2015) ausgewählt. Als erstes Ergebnis dieser Analyse wurde ein Modell entwickelt, das die pflegeberufliche Aspirationsentwicklung als sozialen Lernprozess erklärt. Dieses Modell wurde dann zur Identifikation verschiedener Muster der Entwicklung pflegeberuflicher Pläne im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres verwendet. Für diese Prozessanalyse wurde in Anlehnung an die Empfehlungen von Dreier et al. (2018) und die Grounded Theory Methodologie (Corbin & Strauss, 2015) ein qualitatives, längsschnittliches Analyseverfahren entwickelt. Hierdurch konnte das Ausgangsmodell erstens hinsichtlich prozessualer Phänomene optimiert und zweitens typische Prozessvarianten identifiziert werden. Ergebnisse Die Prozessanalysen zeigen verschiedene Einflüsse der Interaktionen mit Ausbildungsbeteiligten (z.B. Kolleg:innen, Ausbilder:innen) auf die beruflichen Planungsüberlegungen der Auszubildenden und die damit verbundenen Ausstiegs- und/oder Bleibeabsichten. Hier wirken sich insbesondere das Erleben der Beziehung zu diesen sowie die erlebte soziale und berufliche Integration im Praxisfeld aus. Die dabei entstehenden Dynamiken lassen sich in vier Prozessvarianten typisieren: (a) das Ankommen- und Bleiben-Wollen, bei dem das soziale Umfeld positiv erlebt und die Bleibeabsicht durch ein Gefühl vollwertiges Mitglied der Community zu sein bzw. zu werden intendiert wird; (b) der Verbleib als Übergangspassage, wobei von Ausbildungsbeginn an der Verbleib als zeitweiser Übergang gesehen und auf negative soziale Erfahrungen mit einer Durchhaltestrategie reagiert wird; (c) das Suchen, um zu bleiben, womit die Intention fokussiert wird, trotz negativer interaktionaler Erlebnisse im Praxisfeld nach Möglichkeiten zu suchen, den Pflegeberuf nicht aufgeben zu müssen; (d) der Ausstieg als Kurzschluss, bei dem durch einzelne negative interaktionale Erlebnisse ein Ausstiegsplan ausgelöst wird. Die Prozessvarianten sind durch typische Oszillationen zwischen den beiden Polen des Bleiben- oder Aussteigenwollens gekennzeichnet, die im geplanten Beitrag dargestellt werden sollen. Die Ergebnisse deuten auf eine sehr dynamische Entwicklung pflegeberuflicher Aspirationen in der Ausbildungseingangsphase hin, die stark vom subjektiven Erleben des pflegerischen Arbeitsfeldes und der sozialen Interaktionen darin abhängt und damit wenig vorhersehbar ist. Das Lernen pflegeberuflicher Aspirationen stellt sich somit als z.T. zufälliges Geschehen dar, wie auch Krumboltz (2009) verdeutlicht. Darüber hinaus liefert die Studie Hinweise darauf, dass einem Ausstieg nicht zwangsläufig eine Akkumulation negativer Erfahrungen vorausgehen muss, wie in vielen Forschungsarbeiten zum Vertragslösungsgeschehen bisher angenommen wurde (u.a. Ertelt et al., 2016; Krötz & Deutscher, 2022; Rohrbach-Schmid & Uhly, 2015). Gründe für verschiedene Formen der vorzeitigen Vertragslösung von Auszubildenden: Eine empirische Analyse von Ausbildungsverläufen Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Vielfältige Studien haben in den vergangenen Jahren Prädiktoren von vorzeitigen Vertragslösungen (vV) analysiert. Insgesamt zeigt sich, dass Hintergründe komplex sind und auf unterschiedliche Faktoren der Input- und Prozessebene zurückzuführen sind (Böhn & Deutscher, 2023; Biggs, 1999, Tynjälä, 2013). Evidenz besteht insbesondere hinsichtlich von Inputmerkmalen der Auszubildenden (z. B. zu Risikomerkmalen wie niedriger Bildungshintergrund, niedriger sozioökonomischer Hintergrund, Migrationshintergrund etc., vgl. Holtmann & Solga, 2023; Michaelis & Richter, 2022). Weniger Evidenz besteht dagegen zum Ausbildungsprozess und hierbei proximale Faktoren, die unmittelbar die Vertragslösung verursachen. Daneben verdeutlichen aktuelle Analysen, dass vorzeitige Vertragslösungen nicht als ein Ereignis analysiert werden sollten, da diese hierdurch zu negativ konnotiert interpretiert werden. Verläufe nach einer vV können vielfältig sein (Michaelis & Richter, 2022), ein nicht unerheblicher Anteil an Jugendlichen mündet wieder in Ausbildung ein und erzielt einen Ausbildungsabschluss (Holtmann & Solga, 2023; Michaelis & Richter, 2022). Daher empfehlen Krötz und Deutscher (2023) die Abbruchsrichtung bei Analysen zu vV zu berücksichtigen, da Erklärungshintergründe sich bei unterschiedlichen Abbruchsrichtungen unterscheiden. Unterschieden werden können hierbei horizontale vV (Wiedereinmündung in Ausbildung), vV nach oben (Einmündung in Bildungsangebote zur Besserqualifikation) und vV nach unten (Arbeitslosigkeit, Beschäftigung als ungelernte Person). In der vorliegenden Analyse werden beide Forschungsdesiderata integriert betrachtet. Folgende Fragestellung steht im Mittelpunkt: Inwiefern erklären verschiedene Gründe für eine vorzeitige Vertragslösung den anschließenden Bildungsverlauf? Methode Zur Beantwortung der Fragestellungen werden Daten der Jugendkohorte SC 4 des NEPS (NEPS-Netzwerk, 2021) genutzt. Der Datensatz wurde reduziert auf Personen, die in ein duales Ausbildungsverhältnis eingemündet sind und dieses vorzeitig gelöst haben sowie mindestens eine Nachbetrachtungszeit von 18 Monaten nach der vV aufweisen (n = 664). Hierbei wird unterschieden, ob die Auszubildenden durch den Betrieb gekündigt wurden (17,9 %) oder selber gekündigt haben (82,1 %, enthält auch einvernehmliche Kündigungen). In letzterem Fall liegen differenzierte Angaben der Auszubildenden zu Abbruchsgründe vor, wobei Mehrfachantworten möglich waren (andere Ausbildungsstelle, nicht Wunschberuf, Konflikte, Überforderung, Qualität, finanzielle oder persönliche Gründe). Die abhängige Variable misst die Richtung der vV. Es werden sechs Richtungen unterschieden. Hinsichtlich horizontaler vV werden Betriebswechsel (15,5 %) und Einmündungen in einen anderen Beruf unterschieden (36,7 %). Für vV nach oben werden Einmündungen in weiterführende Schulen (8,7 %) und in den Hochschulsektor (6,2 %) differenziert. VV nach unten umfassen Einmündungen in den Übergangssektor (9,8 %) und Übergänge in Beschäftigung und Arbeitslosigkeit (23 %). Ergebnisse In einer multinomialen logistischen Regression zeigt sich, dass im Falle einer betrieblichen Kündigung ein Betriebswechsel wahrscheinlicher wird. Wenn Personen selber kündigen, werden die Abbruchsgründe „nicht Wunschberuf“ (58 %), „Konflikte“ (50 %) und „Qualität“ (41 %) am häufigsten angegeben. Die übrigen Gründe haben 16 bis 21% der Personen angegeben. Die Ergebnisse der multinomial logistischen Regression zeigen, dass vV nach oben und Berufswechsel auf horizontaler Ebene wahrscheinlicher werden, wenn der Ausbildungsberuf nicht dem Wunschberuf entspricht. Konflikte führen hingegen seltener zu vV nach oben bzw. in einen neuen Beruf. Wahrscheinlicher werden hierbei Betriebswechsel. Wird Qualität als Abbruchsgrund genannt, sind die Ergebnisse weniger eindeutig. Hier zeigen sich schwache Tendenzen für horizontale vV und Einmündungen in den Übergangssektor. Problematisch sind vor allem persönliche Gründe (Krankheit, Schwangerschaft etc.), die zwar selten sind, aber deutlich das Risiko der Einmündung in Beschäftigung und Arbeitslosigkeit und somit Tendenzen in Richtung Ausbildungslosigkeit verstärken. Die Ergebnisse lassen insgesamt auf reflektierte Entscheidungen nach einer vV vor dem Hintergrund der genannten Gründe für die vV der Personen schließen. Sie lassen aber auch Rückschlüsse auf die Bedeutung von Berufswahlkompetenzen zu, damit die häufig beobachtbaren Korrekturen der Berufswahl reduziert werden. Differenziert wird im Beitrag auf Implikationen für Forschung und Bildungspolitik eingegangen. Woher kommen sie und wohin gehen sie? Berufswechsel von Stop-Outs in Deutschland Einleitung und Fragestellung Der idealtypische Weg von der Schule führt über eine Ausbildung in die Erwerbstätigkeit. Die Realität gestaltet sich jedoch komplexer: Ausbildungen werden abgebrochen oder gewechselt. Für einige Jugendliche resultieren längere und komplexere Ausbildungsverläufe aus Orientierungs- und Suchphasen, die individuelle, betriebliche und wirtschaftliche Kosten verursachen. Bisherige Forschungsarbeiten haben beispielsweise gezeigt, dass der Großteil der Personen, die ihre Ausbildung vorzeitig beenden, später eine neue Ausbildung beginnen, ein Phänomen, das als „Stop-Out“ bezeichnet wird. In Deutschland nehmen 67 Prozent innerhalb eines Jahres eine andere Ausbildung auf, was oft mit einem Berufswechsel einhergeht (Holtmann & Solga, 2023). Über die Art der Berufswechsel von Stop-Outs ist bislang wenig bekannt. Wir gehen explorativ der Frage nach, welche berufsstrukturellen Merkmale den Wechsel maßgeblich charakterisieren. Wir betrachten Berufswechsel hinsichtlich der zentralen soziologischen Kategorien Geschlechtstypik und Sozialstatus. Wir untersuchen auch, ob Auszubildende, die Berufswahlkompromisse eingehen mussten, in Berufe wechseln, die eher ihren initialen Aspirationen hinsichtlich dieser Kategorien entsprechen. Theoretischer Hintergrund Berufe unterscheiden sich hinsichtlich verschiedener struktureller Merkmale (Gottfredson, 2002) und umfassen damit verbunden berufsspezifische Lebensstile, Lebensmöglichkeiten und Kultur (Weeden & Grusky, 2005). In Anlehnung an Bourdieu (1979) können berufliche Fehlentscheidungen oder Kompromisse bei der Berufswahl zu einer „habituellen Unsicherheit“ führen, die sich aus einer Diskrepanz zwischen dem individuellen und beruflichen Habitus (Bourdieu, 1979; Colley et al., 2003; Meuser, 2001) ergibt. Aus der theoretischen Perspektive individueller Handlungsfähigkeit (Evans, 2002; Lent & Brown, 2013) und angesichts des engen Zusammenhangs zwischen freiwilligen Ausbildungsbeendigungen und beruflichen Kompromissen (z. B. Beckmann et al., 2023) können Ausbildungswechsel als Mittel zur Bewältigung unerfüllter beruflicher Ziele betrachtet werden. Sie können aber auch aus Reorientierungen im Zuge der Ausbildung resultieren. Ausbildungswechsel können dazu dienen, Berufe zu ergreifen, die besser mit dem beruflichen Habitus bzw. beruflichen Selbstkonzept in Bezug auf Sozialstatus oder Geschlecht übereinstimmen (Gottfredson, 2002). Methode Wir stützen unsere Analysen auf die repräsentativen Längsschnittdaten des Nationalen Bildungspanel (NEPS), Startkohorte „Schule und Ausbildung“ und konzentrieren uns auf eine Teilstichprobe von etwa 550 Auszubildenden, die ihre erste Berufsausbildung vorzeitig beendet und eine neue Ausbildung aufgenommen haben. Wir verwenden Informationen über die Berufsaspirationen sowie die Ausgangs- und Zielberufe der Auszubildenden in Bezug auf Geschlecht (Frauenanteil im Beruf) und sozialen Status (Internationaler sozioökonomischer Index des beruflichen Status), um zu untersuchen, welche Berufswechsel am häufigsten vorkommen. Ergebnisse Die vorläufigen, deskriptiven Ergebnisse zeigen, dass Jugendliche, deren Ausgangsberuf traditionell mit ihrem Geschlecht assoziiert ist, dazu neigen zu ähnlich geschlechtstypischen Ausbildungsberufen zu wechseln, während sich mehr Vielfalt in Berufswechseln Jugendlicher in geschlechtsatypischen Ausgangsberufen zeigt. Sie wechseln in selbem Ausmaß sowohl zu atypischen als auch typischen Berufen. Hinsichtlich des Sozialstatus wechseln einige Personen zu statushöheren und andere zu statusniedrigeren Ausbildungsberufen. Dies könnte auf sozioökonomische Faktoren und die Anforderungen statushöherer Berufe zurückzuführen sein. In weiteren Analysen werden wir die Berufswechselmuster entlang individueller Merkmale (Geschlecht, Sozialstatus, Migrationshintergrund) detaillierter analysieren, da sich die beruflichen Präferenzen und Möglichkeiten, die zu einem Berufswechsel führen, in den verschiedenen sozialen Gruppen unterscheiden können. Wir werden auch prüfen, ob Auszubildende in Berufe wechseln, die ihren ursprünglichen Berufsaspirationen hinsichtlich Geschlecht und Sozialstatus eher entsprechen. Die Ergebnisse unserer Studie werden Aufschluss darüber geben, welche Muster beruflicher (Neu-)Orientierungen unter Auszubildenden zu beobachten sind und welche Rolle die individuelle Handlungsfähigkeit bei der Verwirklichung von Berufswünschen durch Berufsbildungswechsel spielt. Aus Sicht der Berufsberatung und Praxis helfen sie somit, das Entscheidungsverhalten Jugendlicher zu verstehen und geeignete Maßnahmen zu entwickeln, um die Beständigkeit in der Berufsausbildung zu erhöhen. |
10:30 - 12:10 | 4-14: Herausforderungen für Partizipation von jungen Menschen in formellen und informellen Bildungsprozessen Ort: H07 |
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Symposium
Herausforderungen für Partizipation von jungen Menschen in formellen und informellen Bildungsprozessen Die Einbeziehung von jungen Menschen in Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse erscheint aus verschiedenartigen Gründen sinnvoll (Reisenauer, 2020). Zunächst kann die Beteiligung von Schüler*innen in sie betreffende Fragen als Gewährung grundlegender Rechte betrachtet werden, wie Rechte auf Berücksichtigung des Kindeswillens und des Rechts, gehört zu werden (Art. 12, United Nations, 1989). Aus pädagogischer Sicht erscheint die Einbindung von Schüler*innen in die Auswahl konkreter Lerninhalte und die zeitliche, räumliche und personelle Organisation von Lernaktivitäten sinnvoll, um Einsatzbereitschaft, Lernfreude und Selbstwirksamkeit zu fördern (Hauk & Gröschner, 2022). Zuletzt ist die Beteiligung von Schüler*innen in der Schule gesellschaftlich relevant. Partizipationserfahrungen fallen mit häufigerer späterer politischer Beteiligung zusammen (Keating & Janmaat, 2016; Kiess, 2022). Besonders in Anbetracht globaler Herausforderungen erscheint eine in die Zukunft gerichtete Stärkung demokratischer Gesellschaften, die somit durch die Einbindung der Perspektiven junger Menschen einhergeht, als unerlässlich. Insgesamt ergeben sich im Symposium mehrere Herausforderungen für schulische Partizipationsprozesse: Welche organisatorischen und inhaltlichen Herausforderungen existieren bei der Implementierung von Partizipation in Schulen, und welche Rolle spielen hierbei Lehrkräfte? Wie kann die Partizipation von Schüler*innen in der Schule gestärkt werden, insbesondere in Bezug auf marginalisierte Gruppen? Und zuletzt, wie verändert sich die Rolle der Schule in einer Gesellschaft, die aktive Bürgerbeteiligung betont? Übergreifend werden Potenziale diskutiert, mit denen schulische Mitbestimmungsprozesse an diese aktuellen Herausforderungen angepasst werden können. Beitrag 1 untersucht Schulen in Oberösterreich. Trotz gesetzlicher Verankerung in Österreich mangelt es an Daten zur tatsächlichen Praxis der Demokratiebildung in Schulen, die Schüler*innen darauf vorbereiten soll, demokratische Werte zu vertreten und sie gegen Manipulationen zu schützen. Die Studie basiert auf einer repräsentativen Befragung von 14- bis 16-jährigen Schüler*innen. Erste Ergebnisse zeigen, dass Schulen eher Wissen über Demokratie vermitteln, statt aktive Beteiligung zu fördern. Insbesondere die Rolle der Lehrkräfte hat einen starken Einfluss auf die Demokratiebildung, während individuelle Faktoren der Schüler*innen weniger relevant sind. Es zeichnet sich ein Spannungsverhältnis zwischen einem normativen Anspruch auf Demokratiebildung und ihrer praktischen Umsetzung in Schulen ab. Beitrag 2 untersucht die Partizipation von Schüler*innen in Schulen in Nordrhein-Westfalen aus Perspektive von Lehrkräften. Genutzt wird der Teildatensatz Nordrhein-Westfalen der International Civic and Citizenship Education Study (ICCS 2022), welcher repräsentative Daten für 2.896 Lehrkräfte aller Schulformen bereitstellt. Die Daten beziehen sich darauf, in welchem Ausmaß Schülerinnen von Lehrkräften in Entscheidungen eingebunden werden, wie beispielsweise in die Planung von Unterricht oder die Aufstellung von Klassenregeln. Erste Ergebnisse zeigten schulform-spezifische Unterschiede, mit stärkerer Einbindung von Schüler*innen an Gymnasien. Weiter erweisen sich ein günstigerer Sozialindex und der Anteil von Schüler*innen mit Migrationshintergrund als relevant. Die abschließenden Analysen sollen weitere Einblicke in den Einfluss sozialer Faktoren auf die Partizipation liefern. Beitrag 3 analysiert die wissenschaftliche Begleitung des Programms „Demokratie leben“. Auf Grundlage von Befragungen und Interviews von rund 75 Modellprojekten im Bereich Vielfaltgestaltung und Antidiskriminierung werden Herausforderungen und Möglichkeiten dargestellt, wie in Schulen die Partizipation von durch Diskriminierung Betroffene, sowohl Schüler*innen als auch Lehrende, erhöht werden kann. Insbesondere wird skizziert, welchen Beitrag zivilgesellschaftliche Initiativen zur Demokratisierung von Schulen und diversitätsorientierter Schulentwicklung leisten können. Beitrag 4 wechselt den Fokus auf Beteiligungsprozesse außerhalb der Schule. Vor dem Hintergrund, dass Jugendliche maßgeblich vom Klimawandel betroffen sein werden und weltweit ihr Recht auf Mitbestimmung fordern, rückt „Jugend“ als Kategorie der Marginalisierung in den Vordergrund. Analysiert wird die Beteiligung junger Menschen in transnationalen Netzwerken und die Nutzung sozialer Medien zur Kommunikation ihrer Klimaforderungen. Methodisch werden Texte und Videos rund um die Klimarahmenkonvention sowie Twitterdaten von Klimakonferenzen analysiert. Ergebnisse zeigen, dass Jugendliche sowohl formale institutionelle Angebote der Partizipation nutzen als auch Protestformen initiieren. Dies mündet in einer Notwendigkeit einer breiteren Palette von Beteiligungsmöglichkeiten in Schulen. Die Studie betont zudem, dass traditionelle Partizipationstheorien erweitert werden müssen, um die transnationale Dimension der Jugendbeteiligung zu berücksichtigen. Beiträge des Symposiums Demokratiebildung an oberösterreichischen Schulen zwischen Anspruch und Realität Hintergrund Die gegenwärtigen globalen Herausforderungen wie die Klimakrise oder der Krieg in der Ukraine unterstreichen in eindringlicher Weise die unverzichtbare Rolle von mündigen Bürger*innen für die Stabilisation demokratischer Gesellschaften. Dabei erweisen sich Fähigkeiten zur Toleranz, Diskursfähigkeit, Mündigkeit und Partizipationskompetenz als entscheidend für die Bewältigung dieser Krisen. Da die Fähigkeit zum demokratischen Handeln uns Menschen nicht angeboren ist und in jeder Generation neu erworben werden muss (Baacke & Brücher, 1982, Betz et al., 2010), wird Demokratiebildung zu einer zentralen Aufgabe der Schule (Council of Europe, 2010). Durch Demokratiebildung als Querschnittsaufgabe von Schule sollen junge Menschen verstehen, wie Demokratie funktioniert und gegenüber populistischen Manipulationen widerstandsfähig werden sowie demokratische Werte und Normen wie die Gleichwertigkeit aller Menschen oder das Anerkennen von unterschiedlichen Interessen übernehmen und Vertrauen in die Insitutionen der Demokratie entwickeln. Entsprechend wird Demokratiebildung lerntheoretisch als das erfahrungsbasierte Lernen von demokratischen Prinzipien bestimmt. Daher gilt es nicht nur allgemeine kognitive Fähigkeiten, sondern auch affektiv-moralische Einstellungen sowie praktisch-instrumentelle Fertigkeiten zu vermitteln (z.B. Himmelmann & Lange, 2005). Demokratiebildung ist daher nicht nur ein Lernen über Demokratie, sondern erfordert vor allem auch Partizipation und Mitbestimmung in der Schule. In dieser Perspektive wird Schule zur "embryonic society" (Dewey, 1907, S. 32), zu einem Ort für die reflektierte Entwicklung der Schüler*innen, um sie auf das Leben in der Gesellschaft vorzubereiten. Dieses Verständnis der Demokratiebildung als Förderung handlungsorientierter Kompetenzen über eine aktive Teilhabe ist in Österreich breit in Lehrplänen und Schulgesetzen verankert. Zusätzlich ist das Recht auf die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern an Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, durch die Kinderrechtskonvention rechtlich verankert (Welt & Lundy, 2013). Fragestellung Für Österreich liegen allerdings bislang kaum Daten darüber vor, inwieweit Schulen ein Ort der Demokratiebildung sind. Studien zur Mitbestimmung von Schüler*innen lassen aber auf eine marginale Mitbestimmung schließen (Gamsjäger & Wetzelhütter, 2020). Vor diesem Kontext stellt sich die Frage, inwieweit Schüler*innen in Österreich Demokratiebildung erfahren. Entsprechend geht der Beitrag zu Beginn der Frage nach, inwieweit Schulen Orte sind, an denen Schüler*innen Demokratiebildung erfahren und zeigt, inwiefern Schüler*innen demokratische Prinzipien einüben, in Entscheidungsprozesse einbezogen werden und ob die Beteiligung an Entscheidungsprozessen in der Schule mit diesem Lernen über Demokratie einhergeht. Daran anschließend werden Zusammenhänge zwischen der Umsetzung von Demokratiebildung mit der schulischen Ebene (positives Verhalten der Lehrkräfte) und der Schüler*innenebene (sozioökonomischer Hintergrund, Geschlecht, politisches Interesse und Schulleistungen) untersucht, um mögliche Einflussfaktoren bestimmen bzw. ausschließen zu können. Methode Die korrelative Studie basiert auf einer repräsentativen, quantitativen Befragung von Schüler*innen im Alter von 14 bis 16 Jahren aus Oberösterreich. Die Erhebung wurde als bundeslandspezifischer Teil der österreichweiten Studie " Lebenswelten 2020 – Werthaltungen junger Menschen in Österreich« (Jugendforschung Pädagogische Hochschulen Österreichs, 2021) generiert. Mit Ausnahme der landwirtschaftlichen Schulen (hier wurde eine Vollerhebung angestrebt) wurde für Oberösterreich eine kombinierte, proportional geschichtete Zufallsauswahl getroffen (Meusburger et al., 2021). Die Daten wurden entlang der Verteilung relevanter Merkmale (z.B. Schultyp, Geschlecht) in der Grundgesamtheit gewichtet. Ergebnisse Die vorläufigen Ergebnisse dieser Untersuchung deuten darauf hin, dass Schulen in erster Linie Orte des Lernens über Demokratie sind, während die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an Entscheidungsprozessen begrenzt ist. Als bedeutende Einflussfaktoren für die Umsetzung von Demokratiebildung erweist sich die schulische Ebene, während individuelle Faktoren kaum eine Rolle spielen. Ausgehend von den Ergebnissen diskutiert der Beitrag unter Einbeziehung von Studien aus anderen Ländern die zentrale Rolle der Lehrkräfte bei der Förderung von Demokratiebildung und die Notwendigkeit einer stärkeren Betonung von partizipativen Elementen. Damit wird für das Symposium das Spannungsverhältnis zwischen der gesetzlichen Forderung nach Demokratiebildung und der geringen praktischen Umsetzung sowie die daraus abzuleitende Forderung nach einer umfassenderen Umsetzung von Demokratiebildung im Schulalltag aufbereitet und zur Diskussion gestellt. Beteiligung von Schüler*innen aus Perspektive der Lehrkräfte – Schulform- und Kompositionseffekte Hintergrund Partizipation von Schüler*innen in der Schule ist zentral zur Gewährung basaler Beteiligungsrechte junger Menschen sowie als Lerngelegenheit im Rahmen schulischer politischer Sozialisation (Hahn-Laudenberg et al., 2020). Das Ausmaß dieser Partizipation ist wesentlich davon abhängig, inwiefern sie von Seiten der Lehrenden gewährt wird (Feichter, 2020). Insbesondere strukturelle Aspekte wie Schulform und Schulgröße erweisen sich relevant für die Nutzung von Partizipationsangeboten (Hahn-Laudenberg & Deimel, 2022). Es muss anerkannt werden, dass Schulgesetze (exemplarisch: SchulG Nordrhein-Westfalen) Partizipationsformen für Schüler*innen vorsehen können, die direkt in das unterrichtliche Kerngeschehen der Schule eingreifen. Allerdings bedeutet eine institutionalisierte Mitbestimmung nicht zwangsläufig die Unabhängigkeit von informellen Kommunikations- und Entscheidungsprozessen, die an individuelle Merkmale gekoppelt sein können (Gamsjäger et al., 2013). Ein Kernaspekt zur institutionalisierten Mitbestimmung über Unterricht sind z. B. die Fachkonferenzen (§70 SchulG NRW). Dort beraten Lehrkräfte, Eltern und Schüler*innen über fachspezifische Lerninhalte, Methodik, Lernmittel und Grundsätze zur Leistungsbewertung. Zudem ist der individuelle pädagogische Gestaltungsrahmen der Lehrkräfte (§29 SchulG NRW) zur Auswahl konkreter Unterrichtsinhalte und Methoden relevant. Allerdings muss festgehalten werden, dass eine prinzipielle rechtliche Ermöglichung von Partizipation (auch) auf unterrichtlicher Ebene nicht zwangsläufig in realer Mitgestaltung mündet. Eine weitere Möglichkeit zur Beteiligung von Schüler*innen besteht darin, sie in der Mitgestaltung von Regeln im Sinne einer effektiven Klassenführung zu beteiligen, die auf einen relativ störungsarmen Unterricht abzielt (Seidel, 2009). Diese Form der Mitgestaltung zeigt exemplarisch die Ambivalenz schulischer Partizipation: Klassenregeln werden oft nicht ergebnisoffen verhandelt, sondern beschränken sich zumeist auf internalisierte Verhaltenserwartungen im Sinne eines doing student (Budde et al., 2016). Unzureichende Reflexion des real eingeräumten Partizipationsspielraumes durch Lehrkräfte birgt somit auch die Gefahr einer Pseudopartizipation (Oser & Biedermann, 2006). Zielsetzung Dieser Beitrag untersucht, inwiefern schulstrukturelle Merkmale mit dem Ausmaß der Gewährung schulrechtlich verankerter Beteiligungsmöglichkeiten einhergehen. Aufgrund der hohen Bedeutsamkeit schulischer Partizipationsprozesse im Rahmen der politischen Sozialisation (Keating & Janmaat, 2016) ist die Beantwortung dieser Frage nicht zuletzt in Hinblick auf Chancengerechtigkeit politischer Teilhabe wichtig. Weiter trägt eine Einbindung vielfältiger Perspektiven dazu bei, gerade auch einzigartige Perspektive und Bedürfnisse marginalisierter Jugendlicher im schulischen Umfeld zu berücksichtigen. Eine Beteiligung unabhängig von demografischen Merkmalen ist somit entscheidend, um eine gerechtere und inklusivere Bildung für alle zu schaffen. Methode Mit dem aktuellen Datensatz der International Civic and Citizenship Education Study (ICCS 2022, Sperrfirst 28.11.2023) liegen repräsentative Daten für N = 2.896 Lehrkräfte an 143 Schulen aller Schulformen in Nordrhein-Westfalen vor, die im Schuljahr 2021/22 eine achte Klasse unterrichtet haben. Eine zentrale Frage bezog sich auf das Ausmaß, inwieweit Schüler*innen durch Lehrkräfte in verschiedene Partizipationsmöglichkeiten eingebunden werden. Diese nutzte ein vierstufiges Antwortformat („In großem Ausmaß“, „In mittlerem Ausmaß“, „In geringem Ausmaß“, „Gar nicht“) und bezog sich auf verschiedenen Aktivitäten, etwa Entscheidungen über Lerninhalte, Auswahl von Unterrichtsmaterialien oder der Aufstellung von Klassenregeln. Neben deskriptiven Analysen nutzt der Beitrag ein regressionsanalytisches Verfahren, um Zusammenhänge zu schulstrukturellen Merkmalen, wie der Schulform, der Trägerschaft (öffentlich / privat), dem Anteil der Schülerschaft mit Migrationsgeschichte sowie dem schulscharfen Sozialindex der Schulen (Schräpler & Jeworutzki, 2021) zu beschreiben. Ergebnisse & Diskussion Erste Ergebnisse auf Grundlage der ungewichteten Feldtest-Daten zeigen schulform-spezifische Unterschiede sowie übergreifende Gemeinsamkeiten. Während an allen Schulformen Schüler*innen gleichermaßen in die Aufstellung von Regeln eingebunden waren, wurde vor allem an Gymnasien beschrieben, dass Schüler*innen in der Auswahl von Materialien und Entscheidungen über Lerninhalte mitwirken konnten. Weiter zeigt sich unter Kontrolle der Schulform, dass eine stärkere Einbindung von Schüler*innen an Schulen mit günstigerem Sozialindex sowie einem geringeren Anteil von Schüler*innen mit Migrationshintergrund beobachtbar ist. Dies greift erneut die Frage auf, inwieweit vor allem junge Menschen aus benachteiligenden Kontexten in der Mitgestaltung des unterrichtlichen Alltags eingebunden werden. Die Analysen mit den vollständigen und repräsentativen Daten der Hauptstudie werden es erlauben, Erfordernisse in der Lehrkräfte-Bildung für alle Schulformen zu formulieren. Diskriminierungskritik und Partizipation: welchen Beitrag leisten zivilgesellschaftliche Initiativen zur Demokratisierung von Schulen und diversitätsorientierter Schulentwicklung? Diskriminierungserfahrungen aufgrund von Merkmalen wie Gender, Gesundheit und Befähigung, Klasse, Religionszugehörigkeit, Hautfarbe, Migrationsgeschichte und weiterer Differenzmerkmale wirken sich negativ auf die Identitätsbildung, Leistung und Persönlichkeitsentwicklung von Schüler*innen aus und sind oft noch Jahre später wirksam (Fereidooni, 2011; Celeste et al., 2019; Griesing et al., 2022). Diese diskriminierenden Praktiken beruhen auf historisch gewachsenen Macht- und Ungleichverhältnissen, die sich in allen Gesellschaftsbereichen zeigen (Fathi & Sirin, 2019). Schulen sind Räume, die von asymmetrischen Machtdynamiken geprägt sind. Hierarchische Machtverhältnisse zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen verschränken sich mit Diskriminierungsmerkmalen und strukturelle als auch individuelle Diskriminierungsdynamiken tragen zu sozialer Ungleichheit, Chancenungleichheit und mithin erschwerter Partizipation für marginalisierte Schüler*innen bei (Gomolla & Radtke, 2002; Fereidooni, 2011). Dies macht eine intersektionale Perspektive auf Partizipation im Schulkontext notwendig (Vennemeyer, 2019). Demokratisch sein heißt auch, diskriminierungskritisch und diversitätssensibel zu sein (DeGeDe, 2023). Demokratische Erfahrungen wie Selbstwirksamkeit, Teilhabe, Wertschätzungen von Lebensrealitäten, Mitbestimmung und Zugehörigkeit sind von großer Bedeutung, um Kinder und Jugendliche zu fördern, sich zu demokratisch orientierten Erwachsenen zu entwickeln (Foitzik, Holland-Cunz & Riecke, 2019; Achour & Gill, 2023). Eine demokratische Grundhaltung macht aber nicht automatisch diskriminierungskritisch, sondern Diskriminierungskritik ist eine aktive Praxis bestehend aus verlernen, erlernen und einüben – sowohl auf individueller und kollektiver als auch institutioneller und struktureller Ebene (Kourabas & Mecheril, 2022). Es stellt sich die Frage, wie Schulen sich aufstellen können, um Chancen und Partizipation für alle Schüler*innen gleichermaßen zu ermöglichen und welchen Beitrag zivilgesellschaftliche Akteure dabei leisten können, Schule demokratischer und partizipativer zu machen und dabei Diversität und Diskriminierungskritik auf allen Ebenen mitzudenken. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung der Modellprojekte des Handlungsfeldes „Vielfaltgestaltung“ des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ (2020-2024) werden Fallstudien, leitfadengestützte Interviews, Fokusgruppen und quantitative Befragungen mit rund 75 zivilgesellschaftlichen Initiativen durchgeführt. Diese sind insbesondere in der schulischen und außerschulischen politischen Bildung tätig, um unter anderem demokratiebildende, diversitätsorientierte und diskriminierungskritische Veränderungsprozesse an und in Kooperation mit Schulen zu erreichen. Der Vortrag bezieht sich auf Daten und Ergebnisse von Erhebungen mit Schwerpunkten zu pädagogischen Ansätzen von 2022 (Weiberg et al., im Erscheinen), wofür narrative Interviews und teilnehmende Beobachtungen eingesetzt wurden, sowie zu Transfer und Organisationsentwicklung von 2023, wofür auch regelstrukturelle Institutionen befragt wurden. Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass demokratiepädagogische und diskriminierungskritische Bildungsarbeit sich methodisch und inhaltlich mit diversitätssensibler Schulentwicklung ergänzt. Zivilgesellschaftliche Organisationen bringen pädagogische Formate an die Schulen, wo oft noch wenig Expertise in Anti-Diskriminierungsarbeit besteht. Es werden Materialien und Werkzeuge in den Themenfeldern Anti-muslimischer Rassismus, Antisemitismus, Homo- und Trans*feindlichkeit, Antiziganismus und Rassismus erarbeitet, die in Schulen transferiert werden sollen, um bei Schüler*innen als auch Lehrkräften für Diskriminierung und Diversität zu sensibilisieren und Empowerment zu ermöglichen. Insbesondere durch Empowermentansätze findet eine Erweiterung des Partizipationsverständnisses statt. Die oft neuen Ansätze der Modellprojekte setzen zunächst auf Ebene des Individuums an und sind charakterisiert durch Praxisnähe und affektivem Erfahrungslernen. Gleichzeitig wird deutlich, dass Veränderungsbereitschaft der Schulen notwendig ist, um institutionell auf allen Hierarchieebenen sowohl Diversitätsorientierung und Diskriminierungskritik als auch aus dieser Ausrichtung hervorgehende Partizipationsmöglichkeiten und Lern- und Empowermenträume nachhaltig zu verankern. In Kooperationen mit Schulen werden mit zivilgesellschaftlicher Unterstützung diskriminierungskritische Standards, diversitätsorientiertes Personalmanagement und das Schaffen von Beschwerde- und Präventionsmechanismen angestrebt. Demokratiebildung und diskriminierungskritische Bildungsarbeit muss gemeinsam gedacht, aber nicht gleichgesetzt werden: Anti-Diskriminierungsarbeit führt nicht per se zu demokratischer Beteiligung, aber ohne Anti-Diskriminierungsarbeit kann keine Chancengleichheit und Beteiligung für alle erreicht werden. Genauso führen Partizipationsmöglichkeiten und demokratische Beteiligungsformate nur zum Abbau von Chancenungleichheit, wenn strukturelle Diskriminierung mitgedacht wird. Zivilgesellschaftliche Akteure und außerschulische Bildungsarbeit können Schulen dabei unterstützen, die Themen Anti-Diskriminierung strukturell umzusetzen und zu institutionalisieren, um Partizipation für Schüler*innen zu ermöglichen und dabei auch Diskriminierungsschutz zu etablieren. Transnationale Partizipation junger Menschen in der Klimapolitik Jugendliche gehören zu den am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffenen Gruppen. In jüngster Zeit organisieren sie sich weltweit und fordern aktiv ihr Recht auf Mitbestimmung in Bezug auf ihre Zukunft im Kampf gegen den Klimawandel ein (Thew et al. 2021). Gerade Schüler*innen scheinen darin neue Beteiligungsformen zu erproben. Dieser Artikel präsentiert die Ergebnisse einer empirischen Studie zur Beteiligung von Jugendlichen an transnationalen Netzwerken im Kontext des Klimawandels. In der vorliegenden Studie haben wir untersucht, wie Jugendliche soziale Medien nutzen, um ihre Klimaforderungen zu kommunizieren und wie sie in transnationalen politischen Netzwerken, bestehend aus verschiedenen institutionellen und individuellen Akteuren aktiv werden (Kolleck & Schuster 2022). Unsere Studie basiert auf einem theoretischen Rahmen, der Partizipationstheorien (Cahill & Dadvand 2018) um politiknetzwerktheoretische Ansätze erweitert (Rhodes 2008; Ball 2012). Dies erlaubt es uns, die relationale Dimension von Jugendpartizipation innerhalb der Klimabewegung zu erfassen. Methodisch nutzen wir ein Mixed-Methods-Design. Hierzu werden in einem ersten Schritt Texte und Videos rund um die Klimarahmenkonvention analysiert, um zentrale Akteure und Themen zu identifizieren. In einem zweiten Schritt werden Twitterdaten von drei Klimakonferenzen (2018, 2019 und 2021) mit Hilfe von sozialer Netzwerkanalyse (Borgatti et al. 2018) analysiert, um weitere zentrale Akteure und ihre Rollen herauszuarbeiten und die zuvor bereits identifizierten Akteure weiter beschreiben zu können. Die Ergebnisse zeigen, dass die Beteiligung von Jugendlichen an Klimapolitik auf verschiedene Weisen erfolgt. Einerseits unterstützen internationale Organisationen aktiv die Einbindung von Jugendlichen in globale politische Prozesse, um ihre Stimmen zu hören. Die Jugendlichen wiederum nutzen diese formal-institutionellen Angebote der Partizipation, zum Beispiel im Rahmen der von der Klimarahmenkonvention organisierten Konferenz für junge Menschen (YOUNGO). Hierbei beteiligen sich Jugendliche aktiv an den Diskussionen und Verhandlungen über Klimapolitik auf globaler Ebene, können darüber direkt auf politische Entscheidungsträger einwirken und ihre Standpunkte in internationalen Foren vertreten. Andererseits formen Jugendliche selbst transnationale soziale Bewegungen und stellen sich explizit (inter)nationalen Organisationen und formalen Institutionen entgegen (Schulschwänzen). Diese Protestformen sind Ausdruck ihres Drucks auf Bildungseinrichtungen, um den Klimawandel als dringendes Thema in den Lehrplänen zu verankern und den Ernst der Situation anzuerkennen. Die Ergebnisse unserer Studie haben weitreichende Implikationen für die Schule und die Bildungspolitik. Sie deuten darauf hin, dass herkömmliche Ansätze zur Erforschung von Jugendbeteiligung ihre Grenzen haben, insbesondere wenn es um transnationale Formen der Partizipation geht. Die Tatsache, dass junge Menschen sowohl Protestformen gegen formale Institutionen wie die Schule als auch formale institutionelle Partizipationsangebote nutzen, zeigt die Komplexität und Vielfalt der heutigen Jugendbeteiligung. Für die Schule bedeutet dies, dass sie sich mit den sich verändernden Erwartungen und Bedürfnissen junger Menschen in Bezug auf ihre Beteiligung an gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen muss. Die traditionelle Vorstellung von Partizipation, die sich auf schulische Gremien und Projekte beschränkt, reicht nicht mehr aus. Schulen sollten sich stärker bemühen, eine breitere Palette von Beteiligungsmöglichkeiten anzubieten, die den vielfältigen Ansätzen junger Menschen gerecht werden. Darüber hinaus zeigt unsere Studie, dass übliche Partizipationstheorien nicht mehr ausreichen, um die aktuellen Formen der Jugendbeteiligung zu erklären. Wir zeigen, wie neuere Ansätze aus der Politikwissenschaft integriert werden können, um solche Formen der Jugendbeteiligung angemessen zu verstehen und zu analysieren. Insgesamt sollten Schulen und Bildungseinrichtungen erkennen, dass die Partizipation junger Menschen nicht länger auf den Klassenzimmerkontext beschränkt ist, sondern sich auf transnationale Ebene erstreckt. Schließlich hebt die Studie die Bedeutung der Frage nach den "Zugängen zu Partizipationsmöglichkeiten" hervor. Jugendliche wählen alternative Partizipationsformen, weil sie ihre wichtigsten Anliegen in schulischen Prozessen unzureichend repräsentiert sehen. Die Studie weist zudem auf soziale (Selbst)selektion hin, die mit außerschulischen Partizipationsprozessen, insbesondere im Kontext internationaler Klimakonferenzen, einhergehen kann. Dies könnte bedeuten, dass die Präferenzen der Jugendlichen für außerschulische Partizipationsformen Rückschlüsse auf ihre Wünsche in institutionalisierten Bildungsprozessen ermöglichen, die eine breitere Zielgruppe erreichen könnten. |
10:30 - 12:10 | 4-15: Identifikation mit Beruf und Betrieb: Voraussetzungen, Entwicklung und Korrelate in verschiedenen Be-rufsgruppen Ort: S14 |
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Symposium
Identifikation mit Beruf und Betrieb: Voraussetzungen, Entwicklung und Korrelate in verschiedenen Be-rufsgruppen Hintergrund: Sowohl in dualen Ausbildungsberufen als auch im Lehrerberuf sind aktuell viele Stellen schwer besetzbar: (1) 27% der Ausbildungsverträge werden vorzeitig gelöst, 13% scheinen zumindest zunächst ganz aus dem Ausbildungssystem auszuscheiden, teils verbunden mit prekären weiteren Berufsverläufen (BMBF 2023). (2) Bei der Versorgung mit Lehrpersonen sieht es für viele Schularten, besonders aber für die beruflichen Schulen kritisch aus. Bis 2035 kann hier der Einstellungsbedarf jährlich im Durchschnitt nur zu 62,3 Prozent gedeckt werden (KMK 2023). Jeweils stellt sich die Frage, welche Faktoren dazu beitragen können, Menschen (1) in die betroffenen Berufe zu bringen und sie (2) dort zu halten. Ad (1): Berufswahltheoretisch präferieren Individuen schon frühzeitig Berufe, die sie als passend zu ihrem Selbstkonzept wahrnehmen (Gottfredson, 1981, 2005) oder streben in berufliche Umwelten, die möglichst zur eigenen Persönlichkeit kongruent sind (Holland, 1997). Darüber hinaus sind Berufe noch immer zentrale Definitionsräume sozialer Identität und gelten als Filter, durch die eine Person von außen wahrgenommen und taxiert wird (Gildemeister & Robert, 1987, S. 73). Dementsprechend bewegt sich Berufswahl im Spannungsfeld zwischen der Suche nach personaler Identität und dem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung (Oeynhausen & Ulrich, 2020). Sowohl die Einmündung in einen Beruf als auch der Verbleib, dürfte davon abhängen, wie gut sich beide Bedürfnisse ausbalancieren lassen. Ad (2): Ausgehend von der Social Identity Theory (Tajfel/Turner 1979, Mael/Ashforth 1992) können hohe Abbruchquoten auf eine fehlende Identifikation mit einem gewählten Beruf oder Unternehmen zurückgeführt werden. Eine ausgeprägte berufliche Identifikation, d. h. ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit und des Engagements für den Beruf und mit dem (Ausbildungs-)Unternehmen kann dagegen zu erhöhter Bleibeabsicht beitragen (z. B. Avanzi et al., 2014; Hong, 2010; van Dick & Wagner, 2002). Zusätzlich geht eine hohe Identifikation mit Ausbildungs-/Arbeitszufriedenheit einher (Wuttke et al., eingereicht), diese wiederum unterstützt, dass Menschen in gewählten Berufen/Unternehmen/Institutionen verbleiben. Sowohl für Berufswahlentscheidungen als auch für die duale Berufsausbildung gibt es bisher noch wenige empirische Erkenntnisse zur beruflichen und betrieblichen Identifikation, deren Voraussetzungen und Wirkungen (Metzlaff, 2015; Kirchknopf/Kögler, 2020). Gemeinsamkeiten der Beiträge: Die Beiträge nehmen in verschiedenen Zugängen die Entscheidung für und den Verbleib in einem Beruf in den Blick. Zwei Beiträge betrachten dabei den Beruf der Lehrerin/des Lehrers (einmal im Querschnitt, einmal im Längsschnitt), ein Beitrag ist in der dualen beruflichen Bildung angesiedelt. Zwei Beiträge stützen sich – bei verschiedenen Berufsgruppen – auf die Theorie der sozialen Identifikation. Ein Beitrag ist sowohl berufswahl- als auch anerkennungstheoretisch fundiert. Kurze Vorstellung der drei Beiträge: Beitrag 1 (Weiß et al.) betrachtet im Längsschnitt und bei einer Stichprobe von Referendar:innen die Entwicklung der beruflichen Identifikation. Dabei werden insbesondere autonomiefördernde/-hemmende Einflussfaktoren berücksichtigt. Ziel der Studie ist es zu untersuchen, inwieweit die Identifikation mit dem Beruf angehender Berufsschullehrkräfte mit dem Bedürfnis nach Autonomie zusammenhängt und inwieweit die genannten Konstrukte wiederum die Absicht beeinflussen, im Berufsfeld zu verbleiben. Im zweiten Beitrag (Heinrichs et al.) wird untersucht, (1) inwiefern Auszubildende in Deutschland und Österreich sich mit ihrem Beruf und Lehrbetrieb identifizieren, (2) welche Ausbildungsbedingungen mit der Identifikation zusammenhängen und (3) inwiefern sich die Ergebnisse der Länder unterscheiden. Die Befunde zeigen, dass die Identifikation insgesamt positiv ausgeprägt ist, sich die Identifikation zwischen den Ländern durchaus unterscheidet und dass die Fürsorglichkeit von Ausbilder:innen (insbes. in Österreich), deren Fachkompetenz (insbes. in Deutschland) sowie die Aufgabenvielfalt eine zentrale Rolle bei der Identifikationsentwicklung spielen. Der dritte Beitrag (Ziegler et al.) nimmt die Berufswahlneigung zum Lehrberuf in den Blick und analysiert, in welcher Stärke unterschiedlicher Passungsfaktoren (personale, soziale sowie berufliche Rahmenbedingungen) die Neigung beeinflussen. Zudem werden Interaktionen zwischen den Einflussfaktoren untersucht und ein Gesamtmodell der Neigung berechnet. Als relevante Einflussfaktoren erweisen sich Interessenpassung, soziale Passung, die Passung zum Idealselbst und die Realisierbarkeitspassung. Interaktionseffekte zeigen sich u.a. zwischen der sozialen Passung und der Interessenpassung. Beiträge des Symposiums Berufliche Identifikation, wahrgenommene Autonomie und Bleibeabsicht: Ergebnisse einer Längsschnitt-studie im Referendariat für das Lehramt an beruflichen Schulen Hintergrund: Der Übergang in das Berufsleben geht mit einer Weiterentwicklung der persönlichen Identität durch den beruflichen sozialen Kontext einher (Heinrichs et al., 2022). Eine ausgeprägte berufliche Identifikation, d. h. ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit und des Engagements für den Beruf, kann dazu beitragen, die Ab-sicht zu erhöhen im betreffenden Beruf zu verbleiben (z. B. Avanzi et al., 2014; Hong, 2010; van Dick & Wagner, 2002). Nach der Selbstbestimmungstheorie der Motivation ist die Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse als Ergebnis eines bedürfnisunterstützenden Umfelds besonders wichtig für die Verin-nerlichung oder persönliche Akzeptanz der gewählten Identität (Luyckx et al., 2009). Eine Voraussetzung dafür, dass sich angehende Lehrkräfte mit ihrem angestrebten Beruf identifizieren (können), ist, dass ihnen während dieser Ausbildungsphase genügend Freiraum für ihre berufliche und persönliche (Weiter-)Entwicklung gewährt wird (Orr, 2012; Kaplan et al., 2021). Das subjektive Erleben der beruflichen Identität der Referendar:innen steht hierbei in Wechselwirkung mit verschiedenen Bedingungen des Ausbildungs-umfelds, wobei wir uns auf die wahrgenommene Autonomieunterstützung und das autonomiehemmen-de Verhalten der Fachleiter:innen konzentrieren, welche eine zentrale Rolle im Ausbildungsprozess ein-nehmen. Aus theoretischer Sicht lassen sich einerseits Hinweise des Einflusses beruflicher Identifikation auf das Autonomieerleben finden. Andererseits scheint auch die wahrgenommene Unterstützung bzw. Vereitelung des Grundbedürfnisses nach Autonomie einen Effekt auf berufliche Identifikationsprozesse haben zu können (vgl. u. a. Gruen, 1968; Helsper, 2016). Diese theoretisch begründeten Zusammenhänge beider Konstrukte werden im Rahmen der Studie empirisch überprüft. Ziel der Studie ist es daher zu un-tersuchen, inwieweit die Identifikation mit dem Beruf angehender Berufsschullehrkräfte mit dem Bedürf-nis nach Autonomie zusammenhängt und inwieweit die genannten Konstrukte wiederum die Absicht be-einflussen, im Berufsfeld zu verbleiben. Methode: Auf Basis einer Längsschnittstudie mit insgesamt 79 Referendar:innen in Baden-Württemberg und vier Erhebungszeitpunkten während des Referendariats (nach drei Monaten, nach sechs Monaten, nach neun Monaten und nach einem Jahr) wurden entsprechende Entwicklungsprozesse über einen Ge-samtzeitraum von einem Jahr erfasst. In Bezug auf soziodemographische Merkmale ist die untersuchte Stichprobe repräsentativ für die Gesamtkohorte an Referendar:innen mit gleichem Ausbildungsbeginn in Baden-Württemberg. Cross-lagged Panelanalysen erlauben Rückschlüsse darauf, inwieweit die berufliche Identifikation der Referendar:innen mit autonomiefördernden bzw. autonomiehemmenden Bedingun-gen, die von Fachleiter:innen ausgehen, interagiert und inwiefern das Zusammenspiel der genannten Faktoren wiederum die Bleibeabsicht beeinflusst. Ergebnisse: Die Analysen zeigen, dass die berufliche Identifikation nach sechs Monaten im Referendariat die Absicht, ein halbes Jahr später im Lehrberuf zu verbleiben, signifikant vorhersagt (β = .652, p < .001). Signifikante Kreuzpfade beschreiben jeweils positive Effekte zwischen beruflicher Identifikation und Autonomieun-terstützung und negative Effekte zwischen beruflicher Identifikation und Autonomievereitelung. So zeigt sich unter anderem, dass im ersten Drittel des Referendariats die berufliche Identifikation einen Einfluss auf die eigene Wahrnehmung der erfahrenen Autonomieunterstützung hat. Dieser Zusammenhang än-dert sich jedoch insofern, als dass die wahrgenommene Autonomieunterstützung der Referendar:innen die berufliche Identifikation positiv vorhersagt, sobald sie in die Beurteilungsphase eintreten und die Fach-leiter:innen zu Prüfer:innen werden, was auf die Veränderung der Rolle des/der Fachleiter:in von Bera-ter:in zu Beurteiler:in zurückzuführen sein könnte. Gerade vor dem Hintergrund des Lehrkräftemangels in Deutschland verdeutlichen die Befunde dieser Studie, dass die Förderung professioneller Identifikationsprozesse im Sinne einer Leh-rer:innenidentität als entscheidend zu bewerten ist. Insofern trägt ein autonomieförderndes Umfeld, wie es z. B. von Fachleiter:innen geschaffen werden kann, bereits während des Referendariats zur konstrukti-ven Förderung bei. Identifikation mit dem Beruf und mit den Lernorten Betrieb und Berufsschule – Ein Vergleich zwischen Auszubildenden aus Deutschland und Österreich Theoretischer Hintergrund In den letzten Jahren steigt der Fachkräftemangel auch in Berufsfeldern, in denen in Deutschland und Österreich das duale System für die Berufsausbildung vorgesehen ist. Es fehlen Personen, die sich für eine solche Ausbildung entscheiden. Zudem werden viele Ausbildungsverhältnisse vorzeitig gelöst. Ausgehend von der Social Identity Theory (Tajfel/Turner 1979; Mael/Ashforth 1992) könnte man dies auch auf eine fehlende Identifikation mit dem gewählten Ausbildungsberuf oder dem ausbildenden Unternehmen zurückführen. Für die duale Berufsausbildung gibt es bisher kaum empirische Erkenntnisse zur beruflichen und betrieblichen Identifikation (Metzlaff, 2015; Kirchknopf/Kögler, 2020). Neuere quantitative Studien indizieren, dass berufliche Identität und organisationale Identifikation positiv korrelieren (r = 0.57–0.74) (Klotz/Billet/Winther 2014; Kirchknopf/Kögler 2020) und die soziale Identifikation mit dem Betrieb unter Auszubildenden höher ist als die mit dem Beruf (Forster-Heinzer 2020). Gute Ausbildungsqualität und soziale Integration der Auszubildenden fördern die Identifikation mit dem Unternehmen und dem Beruf (vgl. Klotz et al. 2017. In Österreich und Deutschland ist die duale Berufsausbildung in durchaus vergleichbarer Weise verankert. Detailstrukturen, Ausbildungsberufe, alternative Bildungswege, Reputation und Klientel sind aber unterschiedlich. Fragestellung In dieser Studie wird untersucht, (1) inwiefern Auszubildende in Deutschland und Österreich sich mit ihrem Beruf und Lehrbetrieb identifizieren, (2) welche Ausbildungsbedingungen mit der Identifikation zusammenhängen und (3) inwiefern sich die Ergebnisse der Länder unterscheiden. Methode • Eimalbefragung von N=598 Auszubildenden mittels Online-Fragebogen • davon 277 aus Österreich, 331 männlich, 77% Muttersprache Deutsch; Berufsfeld: 46,6% kaufmännisch, 23,8% gewerblich-technisch,17,7% Einzelhandel, 1,3% Gastronomie, 10,3% Pflege; Durchschnittsalter: 19,6 Jahre; 16,6% 1. Lehrjahr, 64,8% 2., 17,3% 3. 1,2% 4.) Instrumente: • Identifikation mit dem Beruf/ dem (Ausbildungs-)Betrieb: beide Skalen 4 Items, 4-stufige Likert-Skala; ID Beruf, α=.930; ID Betrieb, α = .928 • Ausbildungsqualität (Velten/Schnitzler, 2012): 6-stufige Likert-Skala; Fürsorglichkeit der Ausbilder:innen, 4 Items, α=.866; Fachliche Kompetenz der Ausbilder:innen, 6 Items, α=.893; Feedback, 5 Items, α=.854 • Qualität von Arbeitsaufgaben (ELMA, Rausch 2012): 6-stufige Likert-Skala; Komplexität der Aufgaben, 4 Items, α=.768; Planungsautonomie, 2 Items, α=.859; Entscheidungsautonomie, 3 Items, α=.863; Methodenautonomie 3 Items, α=.883; Aufgabenvielfalt, 4 Items, α=.916 • Berufswahlbereitschaft und -fähigkeit (Ratschinski,2014): Entscheidungssicherheit (5 Items, α=.857), Eigenaktivität (4 Items, α=.895), Berufsbindung (4 Items, α=.790) • Wunschberuf: 1 Item: „Bei Ihrer Entscheidung war ihr jetziger Ausbildungsberuf ihr Wunschberuf?“ 4-stufigen Likert-Skala. Ergebnisse Die Mittelwerte von ID Betrieb/Schule/Beruf sind größer oder gleich dem Skalenmittelwert. ID Betrieb/Schule/Beruf korrelieren in der Gesamtstichprobe signifikant: ID Schule und ID Betrieb: r=0.134 (p=0.002), ID Schule und ID Beruf: r=0.252 (p<0.001), ID Betrieb und ID Beruf: r=0.507 (p<0.001). Bzgl. ID Betrieb zeigen sich zwischen beiden Ländern keine signifikanten Unterschiede, anders bei ID Schule (MW AT: 2,78; MW D: 2,50; p<0.001; d=-325) und ID Beruf (MW AT: 3,07; MW D: 3,24; p=0.005; d=-217), je mit kleinen Effekten: Erstere ist in Österreich höher, ID Betrieb in Deutschland. Es wurden schrittweise multiple Regressionsrechnungen durchgeführt (alle mit VIF/Toleranz/Durbon-Watson im Normbereich), um die Varianzaufklärung durch Bedingungen der Ausbildungsqualität im Betrieb, der Berufswahlfähigkeit /dem Wunschberuf zu ermitteln. Die Modelle mit der AV ID Berufsschule für die Gesamtstichprobe, Österreich und Deutschland zeigen geringe Varianzaufklärung (korr. R2 3,9-13,8%). Die Modelle zur Erklärung zur AV ID Betrieb sind aussagekräftiger (korr. R2 42,6-51,6%). Die Prädiktoren Fürsorglichkeit und der Fachkompetenz der Ausbilder:innen sowie der Aufgabenvielfalt sind jeweils signifikant (p<0.001), wenn auch in unterschiedlicher Reihenfolge. Bei den österreichischen Lehrlingen scheint die Fürsorglichkeit bedeutender (Beta=0,343) als in der Gesamtstichprobe (Beta=0,290) und der deutschen Teilstichprobe (Beta=0,251). Die Varianz von ID Beruf wird mit einem korr. R2 von 27,5% (Gesamt), 24,4% (D) und 32,1% (A) aufgeklärt. Hier erweisen sich Aufgabenvielfalt und Wunschberuf in allen drei Modellen als bedeutend, bei den deutschen Auszubildenden zudem die Fachkompetenz der Ausbilder:innen, bei den österreichischen Lehrlingen dagegen die Fürsorglichkeit der Ausbilder:innen. Einflussfaktoren auf die Berufswahlneigung zum Lehrpersonenberuf Theoretischer Hintergrund Für die Identitätsentwicklung im Jugendalter ist die Berufswahl eine sensible Phase. Nach Gottfredson (1981, 2005) resultieren aus dem Abgleich von Selbstkonzept und Berufskonzepten berufliche Präferenzen. Jugendliche schließen meist spontan und undifferenziert Berufe aus, die sie als nicht zum Selbstkonzept passend wahrnehmen; zunehmend wird dies durch Realisierbarkeitserwägung flankiert und das individuelle berufliche Aspirationsfeld sukzessive eingegrenzt. Berufe sind gleichermaßen zentrale Definitions-räume sozialer Identität. Sie wirken als Filter für die Wahrnehmung einer Person durch andere (Gildemeis-ter & Robert, 1987, S. 73) und sind daher bestimmend für das Prestige. Berufswahl ermöglicht somit Im-pressionsmanagment (Mummendey, 2002). Matthes (2019) unterstellt aus anerkennungstheoretischen Überlegungen, dass Berufe selbst bei hoher Interessenpassung (Attraktionsfaktor) ausgeschlossen wer-den, wenn gleichzeitig unzureichende Zustimmung im sozialen Umfeld erwartet wird (Aversionsfaktor). Gleichermaßen können Zweifel an der Realisierbarkeit eines Berufs sowie eine mangelnde Passung der Rahmenbedingungen sowie Urteilunsicherheit aversiv wirken und zum Ausschluss eines Berufes führen, obwohl eine grundlegende Neigung vorhanden ist. Inwieweit Passungsfaktoren auf Personen aversiv oder attrahierend wirken, lässt sich erwartungs-wert-theoretisch ermitteln, indem die Passung als Wert-komponente definiert und über die Stärke der Instrumentalität unterschieden wird (Landwehr, 2021). Die Berufswahlneigung zum Lehrpersonenberuf wurde von Renger et al. (2022) in einer Befragung mit dem FEMOLA-S untersucht. Rahn et al. (2023) befragten rund 200 Schüler:innen an Berufskollegs mit dem Fit for Choice (Watt et al. 2012). Dabei zeigten sich ein Einfluss des Berufsprestiges auf die Berufswahlnei-gung zum beruflichen Lehramt sowie analog zu Renger et al. (2022) primär intrinsische Berufswahlmotive. Matthes (2019) prüfte Hypothesen zur Wirksamkeit von Aversions- und Attraktionsfaktoren auf die Be-rufswahlneigung zu Pflegeberufen und kann die aversive Wirkung mangelnder sozialer Anerkennung nachweisen. Dies wird in einer Folgestudie zu Gartenbauberufen (Landwehr, 2021) bekräftigt. Fragestellung: Mit einer Befragung von Schüler:innen in Bildungsgängen der Sekundarstufe II an berufsbildenden und allgemeinbildenden Schulen wird der Frage nachgegangen, a) welche Faktoren die Berufswahlneigung zum beruflichen Lehramt beeinflussen. Dazu wurden unterschiedliche Dimensionen erfasst (Passung von Interessen, Fähigkeiten, Entfaltungsbedürfnis, Rahmenbedingungen, Idealselbst zum Berufsinhaberkon-zept sowie Urteilssicherheit). Des Weiteren wird der Frage nach gegangen, b) inwieweit aversiv oder at-traktiv wirkende Interaktionseffekte zwischen den Einflussfaktoren identifiziert werden können. Methode/Instrumente: Ausgehend vom theoretischen Bezugsrahmen und Wirkungsmodell wurde ein Befragungsinstrument konzipiert und eine Online-Querschnittsbefragung durchgeführt. Erfasst wurden neben der Berufswahl-neigung (AV) die genannten Passungsdimensionen zwischen beruflichem Selbstkonzept und dem Berufs-konzept, sowie die erwartete Zustimmung von Eltern und Freunden und die Urteilssicherheit (UV) sowie Kontrollvariablen. Im Fragebogen wurden bewährte Skalen aus verschiedenen Instrumenten der Berufs-wahlforschung sowie der Forschung zum Lehrpersonenberuf eingesetzt, wie z. B. dem Fit for Choice (Watt et al. 2012), Lehrerinteressen (Mayr, 1998) eingesetzt und einem Pretest unterzogen. Zur Auswertung liegen über 1300 Fälle vor. Für deskriptive Analysen werden die Gruppen dichotomisiert, je eine Gruppe, die eine Wahl des beruflichen Lehramts ausschließt, und die sich dies eher/sehr gut vorstellen kann. Hin-sichtlich der Passungsdimensionen wird je nach Passungskombinationen ein Wert zwischen 0..1 für die Instrumentalität berechnet. Die Stärke des Einflusses der erfassten Dimensionen auf die Berufswahlnei-gung wird mittels einer linearen Regression geprüft. Es werden Interaktionsanalysen durchgeführt und die relevanten Faktoren über eine stufenweise Regression unter Einbezug von Kontrollvariablen ein Ge-samtmodell berechnet. Ergebnisse: Durch eine Gegenüberstellung wird deutlich, dass sich die beiden Gruppen stärker im beruflichen Selbst-konzept als im Berufskonzept unterscheiden. Lediglich beim Entfaltungsbedürfnis kehrt sich dies um. Den größten Einfluss auf die Berufswahlneigung haben die Tätigkeitspassung, die Zustimmung von Freun-den/Eltern, die berufsbezogene Fähigkeitseinschätzung sowie das Berufsprestige. Interaktionseffekte verweisen auf mangelnde soziale Anerkennung und Prestige als Aversionsfaktoren. Rahmenbedingungen sind wenig einflussreich. Zudem zeigen ältere Befragte eher als jüngere und mehr männliche Schüler eine Berufswahlneigung. An Gymnasien ist die Neigung geringer als in berufsqualifizierenden Bildungsgängen. |
10:30 - 12:10 | 4-16: Feedback und Scaffolding Ort: S15 |
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Paper Session
Mathematikleistungen von Grundschulkindern im Zusammenhang mit dem von ihnen wahrgenommenen Feedback und ihrer Motivation im Mathematikunterricht Universität Paderborn, Deutschland Für Lernprozesse von Kindern im Grundschulalter ist das Feedback von Lehrkräften von zentraler Bedeutung. Dabei beschreibt das Feedback Informationen, die Grundschullehrkräfte ihren Schüler*innen zukommen lassen, wenn sie „Lernprozesse oder Verhaltensänderungen“ unterstützen möchten (Strijbos & Müller, 2014, S. 122). Grundsätzlich können dabei verschiedene Formen des Feedbacks unterschieden werden. Positives Feedback kann bestärkend wahrgenommen und als Lob verstanden werden (Pintrich & Schunk, 2002). Demgegenüber formulieren Lehrkräfte negatives Feedback dann, wenn Kinder eine Aufgabe nicht erfolgreich bearbeitet haben oder ein Wortbeitrag im Klassengespräch nicht richtig gewesen ist (Fong et al., 2019). Entlang des ‚Erwartungs-mal-Wert-Modells‘ von Eccles (2005) ist davon auszugehen, dass sich das von Kindern wahrgenommene Feedback auf ihre Motivation und auf ihre domänenspezifischen Kompetenzen auswirkt. Dementsprechend ist zu erwarten, dass das positive und das negative Feedback Effekte auf die intrinsische Motivation (Burnett & Mandel, 2010; Hattie, 2012; Hattie & Timperley, 2007) sowie auf die Lernleistungen (Baliram & Youde, 2018) der Schüler*innen hat. Als intrinsische Motivation wird der „Wunsch oder die Absicht“ verstanden „eine bestimmte Handlung durchzuführen, weil die Handlung selbst als interessant, spannend, herausfordernd usw. erscheint“ (Schiefele & Köller, 2010, S. 336). Positives Feedback – so wird in Anlehnung an Eccles (2005) vermutet – begünstigt die intrinsische Motivation, wohingegen negativ formuliertes Feedback dafür sorgen kann, dass die intrinsische Motivation sowie die Lernleistungen der Kinder abgeschwächt werden. In verschiedenen Studien konnten Hinweise dafür gefunden werden, dass Zusammenhänge zwischen dem wahrgenommenen positiven Feedback der Schüler*innen sowie ihrer Motivation existieren (z. B. Burnett & Mandel, 2010), ebenso wie Zusammenhänge zwischen positivem Feedback und den Leistungen von Schüler*innen (Baliram & Youde, 2018). Ferner konnte gezeigt werden, dass negatives Feedback einen negativen Effekt auf die Leistung der Kinder in der Schule hat (Kluger & DeNisi, 1996). Weitgehend ungeklärt ist jedoch, ob und inwiefern die Effekte des von Grundschüler*innen wahrgenommenen Feedbacks auf ihre Lernleistungen durch ihre Lernmotivation mediiert werden (Geister et al., 2006). In unserer Untersuchung wurden N=701 Kinder der dritten und vierten Jahrgangsstufe an Grundschulen anhand eines Paper-Pencil-Fragebogens im Mathematikunterricht zu ihrem wahrgenommenen Feedback, ihrer Motivation sowie zur ihrer Mathematikleistung befragt. Die Kinder wurden in dem Fragebogen dazu aufgefordert, Stellung zu der Häufigkeit des von ihnen wahrgenommenen positiven Feedback („Gut gemacht!“, 6 Items, Burnett, 2002, Alpha=.85) und dem wahrgenommenen negativen Feedback („Das war nicht gut!“; 6 Items, Burnett, 2002, Alpha=.82) im Mathematikunterricht zu nehmen. Darüber hinaus gaben die Kinder Auskunft über ihre intrinsische Motivation („Matheaufgaben löse ich gerne.“; 5 Items, Thomas & Müller, 2011, Alpha=.92). Die Mathematikleistungen wurden anhand des Deutschen Mathematiktests für dritte oder vierte Klassen (DEMAT 3+, Roick et al., 2018; DEMAT 4, Gölitz et al., 2006) erfasst. Die Befunde aus einem Strukturgleichungsmodell in Mplus (Muthén & Muthén, 1998–2023) zeigen, dass die Mathematikleistungen der an der Studie beteiligten Kinder – bei einer aufgeklärten Varianz von 17,5 Prozent – einerseits durch das von ihnen wahrgenommene negative Feedback sowie andererseits durch ihre intrinsische Motivation erklärt werden kann. Weiterhin wird deutlich, dass die Effekte des wahrgenommenen negativen Feedbacks auf die Mathematikleistungen durch die intrinsische Motivation mediiert werden. Entgegen den Annahmen stellt das wahrgenommene positive Feedback keinen signifikanten Prädiktor für die Mathematikleistungen dar. Die intrinsische Motivation der Kinder wird bei einer aufgeklärten Varianz von 21,8 Prozent durch das von ihnen wahrgenommene positive sowie negative Feedback erklärt. Zusammenfassend geben die Befunde aus unserer Studie Hinweise auf die Bedeutung des wahrgenommenen Feedbacks von Kindern für ihre intrinsische Motivation und ihre Mathematikleistungen. Paper Session
Leistungsrückmeldepraxis an Grundschulen: Erste Ergebnisse aus dem baden-württembergischen Schulversuch „Lernförderliche Leistungsrückmeldung in der Grundschule“ (LLr) 1Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg; 2Universität Tübingen; 3Pädagogische Hochschule Freiburg Einleitung. Fragen nach der Lernförderlichkeit von Noten gegenüber alternativen Formen der Leistungsrückmeldung werden kontrovers diskutiert (Brügelmann, 2014; Beutel & Pant, 2020; Koenka et al., 2021). Während kritische Stimmen häufig eine Abschaffung von Noten fordern und dies mit Problemen in Bezug auf ihre Vergleichbarkeit, ihre Aussagekraft und negative Auswirkungen auf die Motivation und das Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern begründen, betonen Befürworterinnen und Befürworter ihre Bedeutung für das Einschätzen der eigenen Leistung, Kommunikationsprozesse und Anreize zur Leistungsverbesserung (vgl. Hübner et al., im Druck). Trotz zahlreicher Einzelstudien, die positive Auswirkungen alternativer Formen von Leistungsrückmeldungen, beispielsweise von Feedback, aufzeigen (z.B. Hattie & Timperley 2007; Wisniewski, Zierer & Hattie, 2020), ist die Studienlage zu den Vor- und Nachteilen einer flächendeckenden Abschaffung von Schulnoten erstaunlich überschaubar und die Befundlage uneindeutig (vgl. Beutel & Pant, 2020; Wagner & Valtin, 2003). Zur Versachlichung der oben skizzierten Debatte wird in Baden-Württemberg in den Jahren 2022 bis 2026 der Schulversuch „Lernförderliche Leistungsrückmeldung in der Grundschule“ (LLr) umgesetzt (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2023). Innerhalb des Schulversuchs vergeben die Lehrkräfte über die gesamte Grundschulzeit hinweg keine Noten, sondern setzen stattdessen (verstärkt) alternative Formen der Leistungsrückmeldung ein, u.a. Kompetenzrückmeldebögen in Rasterform statt Zeugnissen. Derzeit haben alle Grundschulen in Baden-Württemberg außerdem die Möglichkeit, die Lernverlaufsdiagnostik quop zu nutzen (Souvignier, Förster & Salaschek, 2014). Fragestellungen. 1) Finden sich zwischen Lehrkräften an Schulversuchs- und Vergleichsschulen Unterschiede in Bezug auf die selbst berichtete Leistungsrückmeldepraxis? 2) Zeigen sich Unterschiede in der Entwicklung der Leistungsrückmeldepraxis zwischen Schulversuchs- und Vergleichsschulen im ersten Jahr des Schulversuchs? Methode. An 35 Schulversuchsschulen und 37 Vergleichsschulen wurden Lehrkräfte, die im Schuljahr 2022/2023 eine 2. Klasse unterrichteten, im Dezember 2022 (SG: N = 69, 93% weiblich; VG: N = 54, 100% weiblich; MZP1) und im Juli 2023 (SG: N = 58, 94% weiblich; VG: N = 41, 100% weiblich; MZP2) mit einem standardisierten Online-Fragebogen befragt u.a. zu ihrer Feedbackpraxis, zur Nutzung verschiedener Leistungsrückmeldeformen zur Leistungserfassung und -beurteilung, zur Häufigkeit von individuellen Schülergesprächen, zur Nutzung der Lernverlaufsdiagnostik quop (alles selbst generierte Items) sowie zu gewählten Bezugsnormen (Baumert et al., 2019). Ergebnisse. In der Schulversuchsgruppe wiesen die Lehrkräfte zu MZP1 höhere Ausprägungen auf den Skalen Feedbackpraxis (t(104) = 2.08, p = .04) sowie individuelle Bezugsnormorientierung (t(101) = 2.31, p = .02) und eine geringere Ausprägung auf der Skala soziale Bezugsnormorientierung (t(105) = 2.5, p = .03) auf. Diese Unterschiede wurden zu MZP2 nicht mehr festgestellt. Daneben berichtete die Schulversuchsgruppe zu MZP1, dass zur Leistungserfassung häufiger Portfolios (t(106) = 3.06, p = .003) und Lerntagebücher (t(105) = 2.9, p = .004) und zur Leistungsbeurteilung häufiger Lernentwicklungsgespräche (t(107) = 2.1, p = .038) und Portfolios (t(104) = 3.14, p = .002) eingesetzt wurden. Diese Unterschiede bestanden auch zu MZP2; zusätzlich berichten die Lehrkräfte eine häufigere Nutzung von Rasterzeugnissen (t(86) = 3.94, p = <.001) und Beurteilungsrastern (t(90) = 2.5, p = .013) zur Leistungsbeurteilung. Bezugnehmend auf Forschungsfrage 2 fand in der Schulversuchsgruppe dahingehend eine Entwicklung statt, dass häufiger Präsentationen zur Leistungserfassung (t(35) = −2.14, p = .039) sowie häufiger Rasterzeugnisse (t(28) = −2.56, p = .016) und Beurteilungsraster (t(33) = −2.24, p = .03) zur Leistungsbeurteilung eingesetzt wurden. In der Vergleichsgruppe zeigten sich diesbezüglich keine Veränderungen. Lehrkräfte in der Schulversuchsgruppe nutzen häufiger die Lernverlaufsdiagnostik quop (t(94) = 3.59, p = <.001). Diskussion. Die Befunde legen nahe, dass Lehrkräfte an den Schulversuchsschulen häufiger alternative Formen zur Leistungserfassung und zur Leistungsbeurteilung nutzen. Die zu Beginn des Schulversuchs identifizierten Unterschiede zwischen Schulversuchsschulen und Vergleichsschulen verstärkten sich im Verlauf des ersten Jahres des Schulversuchs. Diese ersten Befunde weisen darauf hin, dass das durch den Schulversuch intendierte Ziel einer verstärkten Nutzung von alternativen Formaten der Leistungsrückmeldung erreicht wurde. Paper Session
Das Konzept des Scaffolding im Rahmen des Forschungsprojektes „Fair Debattieren und Erörtern“ Universität Potsdam, Deutschland Die literale Basiskompetenz des Schreibens wird von der Europäischen Union als „Schlüsselkompetenz“ sowie als „Teil des lebenslangen Lernens“ (Europäische Union, 2019) bezeichnet. Vor dem Hintergrund des coronabedingten Unterrichtsausfalls in den vergangenen Jahren hat die Förderung von Schreibkompetenz auch in Deutschland zusätzliche Bedeutung gewonnen (KMK, 2022; Stanat et al., 2021). Das Schreiben einer dialektischen Erörterung stellt dabei innerhalb der Sekundarstufe I eine relevante Schreibaufgabe dar, ist diese in Berlin und Brandenburg obligatorischer Bestandteil der MSA-Prüfungen in Klasse 10 im Fach Deutsch (MBJS, 2021). Eine Möglichkeit, die Schreibkompetenz aller Schüler:innen mithilfe von Scaffolds („Lerngerüsten“, Gibbons, 2015; Wood et al., 1976) zu fördern, stellt der Self-Regulated-Strategy-Developement-Ansatz (kurz: SRSD-Ansatz) dar (Graham & Harris, 2017, 1993). Zahlreiche internationale Studien belegen den positiven Effekt des SRSD-Ansatzes auf die Schreibkompetenz (Sun et al., 2022; Washburn et al., 2016), während im deutschsprachigen Raum bisher nur eine vergleichsweise geringe Datengrundlage hierzu besteht (Giera, 2020; Schilcher et al, 2020). Angesichts jenes Forschungsdesiderats geht das vorliegende Promotionsprojekt folgender Fragestellung nach: Wie wirkt sich eine Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern nach dem SRSD-Ansatz und die dazugehörigen Scaffolds auf die Schreibkompetenz in Form der holistischen Textqualität von dialektischen Erörterungen bei Schüler:innen der 9. Jahrgangsstufe (N = 143) an zwei nicht-gymnasialen allgemeinbildenden Schulen aus? Die genannte Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern wurde innerhalb von sechs Unterrichtsstunden (jeweils 90 Minuten) im Sinne des Design-Based-Research-Ansatzes (Howell et al., 2021) im Rahmen des Projekts Fair Debattieren und Erörtern durchgeführt. Jene Interventionsstudie untersucht im Längsschnitt die wechselseitige Beeinflussung von Debattierkompetenz und Schreibkompetenz in der 9. Jahrgangsstufe. Hierfür wurde neben der Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern (Treatment E) auch eine Unterrichtsreihe zum Debattieren (Treatment D) durchgeführt und insgesamt 1024 Schüler:innentexten (dialektische Erörterungen) zu vier Messzeitpunkten digital erhoben. Für die Beantwortung der oben genannten Fragestellung wurden im Rahmen des Promotionsvorhabens aus diesem Korpus die Erörterungstexte von insgesamt sieben Lerngruppen der 9. Jahrgangsstufe an zwei nicht-gymnasialen Schulen in Brandenburg (N = 381) extrahiert, wozu Schüler:innentexte von vier randomisierten Interventionsgruppen mit den Treatmentreihenfolgen DE (n = 115) und ED (n = 118) sowie von drei Kontrollgruppen (n = 148) gehören. Die Texte wurden anhand von vier Schreibaufgaben ausgewählter MSA-Prüfungen der letzten zehn Jahre zu vier Messzeitpunkten erhoben und im Mixed-Methods-Designs folgendermaßen analysiert: a) Auf quantitativer Ebene wird die Schreibkompetenz in Form der holistischen Textqualität (ermittelt im Double-Blind-Rating auf einer 5-Punkt-Skala nach IMOSS-Kodierverfahren, Neumann & Matthiesen, 2011; Interrater-Reliabilität κ = .828., α = 0,90) als Indikator für Schreibkompetenz (Neumann, 2017) von dialektischen Erörterungen zu allen vier Messzeitpunkten betrachtet. Um die Gruppenunterschiede zu einem Messzeitpunkt zu untersuchen, wird die deskriptive Statistik durch einfaktorielle Varianzanalysen ergänzt (Rost, 2022). b) Zur Erklärung der unter a) ermittelten Werte erfolgt auf qualitativer Ebene die Beschreibung der Prozesse der Planung, Durchführung und Reflexion der Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern für die vier Interventionsgruppen unter Zuhilfenahme von (digitalen) Feldnotizen der Trainer:innen (Bortz & Döring, 2016). Insbesondere die Scaffolds in Form des Modellierens des Schreibprozesses durch die Lehrkraft sowie die Nutzung eines Schreibplans erwiesen sich als ergiebig für die Entwicklung der Schreibkompetenzen. Die Ergebnisse zeigen, dass diejenigen Versuchsgruppen die höchste Textqualität aufweisen, welche zuvor die Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern absolvierten (t2 und t3). Die Effektstärken nach Cohen liegen im Vergleich zur Kontrollgruppe für t2 bei d = 0.29 und für t3 bei d = 0.36. Auch acht Wochen nach der Intervention weisen die Interventionsgruppen eine höhere durchschnittliche holistische Textqualität als die Kontrollgruppen auf (MDE = 2,46; MED = 2,57; MKG = 2,11; d = 0.35 bzw. 0.47). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern nach dem SRSD-Ansatz und deren Scaffolds das Potenzial besitzen, die Schreibkompetenz bei Schüler:innen der Sekundarstufe I an nicht-gymnasialen Schulen nachhaltig zu fördern. Paper Session
„Fair Debattieren und Erörtern“ – ein evidenzbasiertes und prüfungsvorbereitendes Schreibprojekt im neunten Jahrgang Universität Potsdam, Deutschland Ein zentrales Ziel der inklusiven Deutschdidaktik ist es, Schüler:innen der Sekundarstufe I durch die Vermittlung literaler Kompetenzen den Zugang zu Bildungsabschlüssen zu ermöglichen und dadurch Bildungsgerechtigkeit zu erzielen (OECD, 2021). Schulleistungsstudien zeigen, dass Schüler:innen Barrieren im Bildungsverlauf aufweisen, wenn ihnen diese literalen Kompetenzen fehlen (OECD 2021; Neumann, 2010). Daher gilt es, alle Schüler:innen, und besonders diejenigen mit gering ausgeprägten literalen Fähigkeiten, zu fördern, damit diese im beruflichen, kulturellen und politischen Kontext gesellschaftlich partizipieren können. Das mündliche und schriftliche Abwägen von Argumenten eröffnet durch das simultane sprachliche und demokratische Handeln ergiebige Möglichkeiten, literale Kompetenzen und das Bestreben zur politischen und gesellschaftlichen Teilhabe bei Schüler:innen zu fördern (Achour et al. 2020; Winkler, 2005). Ungeachtet der Relevanz von dialektischen Erörterungen als obligatorischer Bestandteil der MSA-Prüfung Deutsch lässt sich der Einfluss des mündlichen Argumentierens auf die Fähigkeit zum Schreiben jener Textsorte am Ende der Sekundarstufe I als Forschungsdesiderat bezeichnen. Auf der Grundlage jenes Forschungsstandes wurde das Unterrichts- und Forschungsprojekt Fair Debattieren und Erörtern konzipiert. Dabei handelt es sich um eine kontrollierte, quasi-experimentelle Interventionsstudie im Paneldesign in der Klassenstufe 9 (N = 357), an welcher gymnasiale (n = 189) und nicht-gymnasiale Schüler:innen (n = 168) in Brandenburg teilnahmen. In diesem Kontext wird die zentrale Fragestellung untersucht, wie (schrift-)sprachliche Kompetenzen von Schüler:innen im neunten Jahrgang durch zwei Unterrichtsreihen zu den Themen Debattieren und schriftliches Erörtern erfasst und weiterentwickelt werden können. Die Studie untersucht hierbei die wechselseitige Beeinflussung von Debattierkompetenz und Schreibkompetenz. In diesem Zusammenhang gingen die geschulten Mitglieder des Lehrstuhlteams im Sinne des Design-Based-Research-Ansatzes (Howell et al., 2021) in das Feld Schule, um die Intervention in Form von insgesamt 12 Unterrichtsstunden von jeweils 90 Minuten (pro Treatment sechs Unterrichtsstunden) durchzuführen. Die Unterrichtsreihe zum Debattieren (Treatment D) basierte auf dem Format Jugend debattiert (Hielscher et al., 2019) die Unterrichtsreihe zum dialektischen Erörtern (Treatment E) auf dem Self-Regulated-Strategy-Developement-Ansatz (kurz SRSD, Graham & Harris, 1993). Das Projekt wurde in der ersten Phase (11/2021-05/2022) pilotiert und im Sinne des DBR-Ansatzes auch in Kooperation mit Lehrkräften evaluiert und angepasst. Der innovative Charakter der Datenerhebung liegt in der Erfassung der Schreibprozesse mithilfe der digitalen Erhebungsplattform Gorilla.sc. begründet, welche zu vier Messzeitpunkten in randomisierten Interventionsgruppen (n = 239) sowie in Kontrollgruppen (n = 118) erfolgte. Die Messung der Schreibkompetenz wurde in diesem Zusammenhang durch vier Schreibaufgaben (Textsorte dialektischen Erörterung) ausgewählter MSA-Prüfungen der letzten zehn Jahre realisiert. 90% der Erörterungstexte (n = 1024) wurden, angelehnt an das IMOSS-Kodierverfahren (Neumann & Matthiesen, 2011), im Double-Blind-Verfahren holistisch und analytisch codiert (Cohen’s Kappa =.828). Die Datenaufbereitung erfolgte durch R Studio in Form von Mehr-Ebenen-Analysen sowie Subgruppen-Analysen. Der Vortrag fokussiert die holistische Textqualität als Indikator für Schreibkompetenz (5-Punkt-Skala) sowie die Schreibprozesse anhand der erfassten Zeit im digitalen Schreibplan (in Minuten). Die Ergebnisse zeigen, dass sich die durchschnittliche holistische Textqualität in denjenigen Interventionsgruppen signifikant bis höchst signifikant verbessert, welche zuvor die Unterrichtsreihe zum schriftlichen Erörtern absolvierten. Dies gilt insbesondere für nicht-gymnasiale Schüler:innen (t1 vs. t2 Verbesserung von M = 1,09 auf M = 2,46, p < .001**, t2 vs. t3 von M = 2,11 auf M = 2,60, p .014*). Hinsichtlich der Zeit im digitalen Schreibplan ist besonders auffällig, dass nicht-gymnasiale Schüler:innen auch nach dem Projekt, und unabhängig von der Treatmentreihenfolge, signifikant (p .009*) länger den Schreibplan nutzen als die Teilnehmer:innen am Gymnasium und sogar höchst signifikant länger (p <. 001**) als die Kontrollgruppen. Die Ergebnisse verdeutlichen das Potenzial des Projekts sowie des SRSD-Ansatzes zur Förderung von Schreibkompetenzen als literaler Basiskompetenz, insbesondere bei nicht-gymnasialen Schüler:innen. Zudem heben sie die Relevanz von Interventionsstudien im Längsschnitt im DBR-Design hervor, um Transferprozesse zwischen Universität und Unterrichtspraxis zu initiieren. |
10:30 - 12:10 | 4-17: Unterrichtsqualität Ort: S16 |
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Paper Session
Kognitive Aktivierung im Englischunterricht der Primarstufe: Zusammenhänge mit Schüler:innenleistungen und Dimensionen der Unterrichtsqualität 1Universität Duisburg-Essen, Deutschland; 2Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Deutschland; 3Universität Rostock Theoretischer Hintergrund. Interdisziplinäre Vorhaben zur fachspezifischen Konkretisierung von Unterrichtsqualitätsdimensionen (Praetorius et al., 2020) verdeutlichen, kognitive Aktivierung gelte weiterhin als „theoretisch unterspezifizierte Dimension“ (Praetorius & Gräsel, 2021, S. 177). Obwohl die Faktorenstruktur der drei Basisdimensionen von Unterrichtsqualität mehrfach empirisch bestätigt wurde, ist die Befundlage zur prädiktiven Validität kognitiver Aktivierung hinsichtlich der Schulleistung im (Englisch-)Unterricht inkonsistent (Praetorius et al., 2018; Wilden & Porsch, 2019). Ergebnisse der DESI-Studie (Klieme, 2006) deuten darauf hin, dass der Englischunterricht mit dem Lernziel funktional-kommunikativer Kompetenz eine fachspezifische Konkretisierung kognitiver Aktivierung erfordert. Für das Fach Englisch liegen im Vergleich zu den MINT-Fächern lediglich vereinzelt konzeptionelle Überlegungen und empirische Befunde zu kognitiver Aktivierung vor (Wilden, 2021). Zudem dominieren qualitative Zugänge die Unterrichtsforschung innerhalb der Fremdsprachendidaktik in Deutschland (z. B. Limberg & Jäkel, 2016) und es mangelt an validen Forschungsinstrumenten zur Untersuchung von Unterrichtsqualität im Fremdsprachenunterricht. Ziele der Studie und Fragestellungen. Im Vortrag werden Ergebnisse einer quantitativen Studie mit Schüler:innen der Jahrgangsstufe 4 (n = 510) präsentiert. Ziel der Studie ist die empirische Prüfung einer neu entwickelten Skala zur Erfassung kognitiver Aktivierung im Englischunterricht in Bezug auf die Faktorenstruktur sowie die Konstruktvalidität. Im Rahmen der Itemkonstruktion wurde ein systematisches Review von Forschungsarbeiten zu kognitiver Aktivierung im Englischunterricht (Guttke, 2023) durchgeführt, mit Hilfe dessen sich vier fachspezifische Teildimensionen kognitiver Aktivierung theoretisch formulieren lassen: Qualität und Salienz des verbalen Inputs (INPUT), Maßnahmen zur Unterstützung zielsprachlicher Informationsverarbeitung (PROCESS), Gelegenheiten zur Produktion zielsprachlichen verbalen Outputs (OUTPUT), Fehlerkorrektur (CORR). Bislang wurde in Arbeiten anderer Fächer (z. B. für den Mathematikunterricht: Lipowsky et al., 2009) von der Eindimensionalität des Konstrukts ausgegangen. Exploratorische Strukturgleichungsmodelle, sog. ESEM-Modelle, die für die Auswertung der Daten herangezogen werden, berücksichtigen Kreuzladungen über Faktoren hinweg und bieten somit die Möglichkeit, die theoretisch angenommene Struktur beizubehalten. Vor diesem Hintergrund sollen folgende Fragestellungen beantwortet werden:
Methode und Instrumente. Zur Beantwortung von Fragestellung 1 wurden in Anlehnung an Alamer (2022) vier verschiedene Strukturgleichungsmodelle (SEM) in Mplus 8.8 berechnet: Konfirmatorische Faktorenanalyse (CFA), Bi-Faktor-CFA, Exploratives Strukturgleichungsmodell (ESEM) und Bi-Faktor-ESEM. Die statistisch und theoretisch am besten passende Faktorenlösung wurde genutzt, um mit Hilfe von latenten SEM Fragestellung 2 und 3 zu beantworten. Zur Testung der Leseverstehenskompetenz im Fach Englisch wurde ein bereits vorhandener Test mit geschlossenen und offenen Aufgabenformaten von Wilden und Porsch (2019) eingesetzt. Der neu entwickelte Schüler:innenfragebogen zur Erfassung kognitiver Aktivierung umfasst 38 Items mit einem fünfstufigen Antwortformat (Stimme nicht zu – stimme eher nicht zu – teils/teils – stimme eher zu – stimme voll zu), die sich auf vier Subskalen aufteilen. Die beiden Unterrichtsqualitätsdimensionen Klassenführung und Konstruktive Unterstützung wurden mit einer an den Englischunterricht angepassten Version der Items von Fauth et al. (2014) erfasst. Ergebnisse. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Bi-Faktor-ESEM-Modell mit dem Generalfaktor Kognitive Aktivierung und dessen vier Subdimensionen (INPUT, PROCESS, OUTPUT und KORR) die am besten passende Faktorenlösung darstellt. Die Fragestellungen 2 und 3 werden derzeit bearbeitet, sodass deren Ergebnisse zum Zeitpunkt der Tagung zur Präsentation und Diskussion zur Verfügung stehen. Paper Session
Fachfremder Englischunterricht – Geht die fehlende Fachqualifizierung mit geringerer kognitiver Aktivierung und geringeren Schülerleistungen einher? Johannes Kepler Universität Linz, Österreich Forschungsziel Der fachdidaktischen Ausbildung von pädagogischen Professionellen wird für die Gestaltung von Unterricht und die Lernentwicklung von Schüler*innen eine hohe Bedeutung zugesprochen. Die vorliegende Studie untersucht anhand einer Vollerhebung im Sekundarstufenbereich in Österreich direkte und indirekte Zusammenhänge zwischen der Fachqualifizierung von Lehrkräften einerseits und der kognitiven Aktivierung sowie der Schülerleistungen im Fach Englisch andererseits. Theoretischer Rahmen Professionelle Kompetenzen von Lehrkräften, insbesondere das fachdidaktische Wissen, stellen theoretisch vermutete (Neuweg, 2014; Shulman, 1986; Terhart, 2011) und empirisch belegte Einflussgrößen des pädagogischen Handelns dar (Baumert et al., 2010; Cauet et al.; Förtsch et al., 2016; Hill et al., 2008; Keller et al., 2017; Lenske et al., 2016; Lohse-Bossenz et al., 2015). In die Forschungstradition zum Lehrerprofessionswissen lässt sich die Forschung zum fachfremden Unterricht (FU, z.B. Porsch, 2016) einordnen. Im Zuge des aktuell wieder grassierenden Fachkräftemangel in den deutschsprachigen Ländern wird fachfremder Unterricht (wieder) verstärkt als bildungspolitische Reaktion zur Kompensation des Mangels an fachlich ausgebildeten Lehrkräften eingesetzt (Huber et al., 2023; Lehmann-Wermser & Weishaupt, 2020). Studien legen hinsichtlich der Unterrichtsqualität nahe, dass FU-Lehrkräfte weniger selbstsicher in ihren Anweisungen sind (Napier et al., 2020) und Schüler*innen im Lernen weniger gut unterstützen bzw. komplexe Themen weniger gut erläutern können, da ihnen oft das Wissen über typischen Lernschwierigkeiten fehlt (Singh et al., 2021). Zudem sind FU-Lehrkräfte häufiger damit beschäftigt, die fachlichen Inhalte richtig wiederzugeben, sodass sie die Interaktion mit den Schüler*innen vernachlässigen (Du Plessis, 2017a, 2017b). Dies mündet in repetitiven, langweiligen Unterricht, was der kognitiven Aktivierung abträglich ist. In Bezug auf Schülerleistungen zeigen einige Studien (Sheppard et al., 2020; Taylor et al., 2020), dass Schüler*innen, die von FU-Lehrkräften unterrichtet werden, schlechtere Ergebnisse erzielen. Allerdings zeigen andere Studien (Schlendorf et al., 2023; Ziegler & Richter, 2017), dass die schlechteren Schülerleistungen meist auf die niedrigere Leistungsfähigkeit, den niedrigeren sozioökonomischen Status oder die ethnische Herkunft der fachfremd unterrichteten Schüler*innen zurückzuführen sind. Design der Studie Die Studie basiert auf einer Vollerhebung (Bildungsstandardüberprüfung 2019, www.iqs.gv.at) in der Sekundarstufe im Unterrichtsfach Englisch in Österreich. Daten von 78.672 Schüler*innen und 4.138 Lehrpersonen aus 1.388 Schulen wurden analysiert. FU wurde über die Lehrerangabe zur Fachqualifizierung in Englisch operationalisiert. Zur Erfassung der kognitiven Aktivierung im Unterricht wurden die Schüler*innen gebeten, 8 Items zu raten. Die Schülerleistungen wurden mittels standardisierte Leistungstests zum Lese- und Hörverständnis in Englisch erfasst (BIFIE, 2020). Zur Prüfung der Hypothesen wurde ein latentes Mehrebenen-Mediationsmodell analysiert, wobei die kognitive Aktivierung als Mediator in Form Doubly Latent Variable (Lüdtke et al., 2011) spezifiziert wurde. Die Schülerleistungen gingen als 10 Plausible Values über die Rubin-Formel ein. Als Kontrollvariable wurde der Schultyp berücksichtigt. Befunde Das geschätzte Mehrbenen-Mediationsmodell weist keine signifikanten Effekte aus. Nach Kontrolle des Schultyps sind weder die fehlende Fachqualifizierung der Lehrkraft noch die von den Schüler*innen eingeschätzte kognitive Aktivierung statistisch signifikant oder effekt-bedeutsam mit den beiden Schülerleistungsdimensionen assoziiert. Auch kann kein statistisch signifikanter oder effekt-bedeutsamer Zusammenhang zwischen der Fachqualifizierung und der kognitiven Aktivierung beobachtet werden. Diskussion Die Ergebnisse zeigen, dass sich FU offenbar nicht wie vermutet negativ auf die Unterrichtsqualität und die Schülerleistungen im Fach Englisch am Ende der 8. Schulstufe in Österreich niederschlägt; dies deckt sich mit bisherigen Studien (Ziegler & Richter, 2017; Schlendorf et al., 2022). Mögliche Erklärungen können in moderierenden und kompensierenden Effekten liegen. Die Literatur legt nahe, dass FU (und damit auch seine negativen Wirkungen) insbesondere (a) in sozioökonomisch benachteiligten Schultypen, Schulen und Klassen mit sozial benachteiligter Schülerkomposition stattfindet, (b) von Lehrkräften mit geringerer Unterrichtserfahrung und (c) geringerer Fortbildung umgesetzt wird. Auch könnte (d) das fehlende fachdidaktische Wissen womöglich durch andere Kompetenzbereiche (z.B. Umgang mit Heterogenität) kompensiert werden. Folgestudien sollten daher entsprechende Moderationsanalysen anstreben und der Frage nachgehen, ob FU-Lehrkräfte über bestimmte Kompensationsstrategien verfügen, die eine fehlende Fachqualifizierung wettmachen. |
10:30 - 12:10 | 4-18: Digitale Kompetenzen II Ort: S22 |
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Paper Session
Digitalkompetenzen von Grundschulkindern. Was wissen und können Grundschulkinder im Bereich Datenschutz? Universität Würzburg, Deutschland HINTERGRUND Um in einer zunehmend digital vernetzten Welt verantwortungsvoll und selbstbestimmt handeln zu können, sind Digitalkompetenzen zentral. Auch für die Grundschule hat dies Konsequenzen. Beispielsweise wird gefordert, dass eine „Kultur der Digitalität“ (Irion & Knoblauch, 2021, S. 123) etabliert werden müsste, damit Kinder den Anforderungen einer vernetzen Welt adäquat begegnen können (Grundschulverband [GV], 2015; Thumel, Kammerl & Irion, 2020). Um Kinder auf die sich stetig wandelnde Umwelt vorzubereiten, sollten ihre Digitalkompetenzen kontinuierlich erfasst werden. Dies erscheint umso dringlicher, da erst darauf aufbauend adäquate Fördermöglichkeiten initiiert und medienbezogene Bildungsprozesse angeregt werden können. Digitalkompetenzen sind bislang allerdings weder erschöpfend konzeptualisiert noch empirisch geprüft. Vorliegende Konzeptualisierungen digital-bezogener Kenntnisse, Fähigkeiten und Überzeugungen beziehen sich zudem nicht explizit auf Kinder in der Grundschule, sondern fokussieren stark auf Jugendliche (Cwielong & Bergner, 2020; Gesellschaft für Informatik e.V. [GI], 2016; Kultusministerkonferenz (KMK), 2016, 2021; Vuorikari, Kluzer & Punie, 2022). Vorliegende bildungspolitische Rahmenvorgaben beinhalten zwar teilweise Konzeptualisierungen für das Grundschulalter und Kompetenzerwartungen für Teilbereiche (Medienberatung NRW, 2020), allerdings handelt es sich hier eher um normative Setzungen, die nicht empirisch hergeleitet oder überprüft sind. Vorschläge zur Erfassung der Kompetenzen oder ihrer Teilbereiche werden nicht gemacht. Angelehnt an den Schweizer Lehrplan entwickelten Hermida, Hielscher und Petko (2017) den frei zugänglichen Medienprofis-Test an. Dieser erfasst – auch für das Grundschulalter – in einem spielerischen Rahmen zwar wichtige Teilbereiche von Digitalkompetenzen (beispielsweise Digitalisierung und Computerisierung oder Informationsfreiheit und Glaubwürdigkeit), ein Abgleich mit deutschen bildungspolitischen Rahmenvorgaben offenbart allerdings Leerstellen, wie beispielsweise die dezidierte Erfassung von Kompetenzen im Bereich Datenschutz und Sicherheit im Netz. FRAGESTELLUNG Hier setzt das Projekt Digit.El (Digital Competencies in Elementary School Age) an: Sukzessive sollen in einem mehrschrittigen, multimethodischen Vorgehen die im Medienkompetenzrahmen (Medienberatung NRW, 2020) vorgeschlagenen Teilbereiche von Digitalkompetenzen im Grundschulbereich theoretisch konzeptualisiert sowie operationalisiert und gemessen werden. Damit wird mittelfristig auch das Ziel verfolgt, angemessene Fördermöglichkeiten initiieren zu können. Aktuell wird sich im Projekt Digit.El u.a. dem Bereich Datenschutz gewidmet. Die im Vortrag bearbeiteten Fragestellungen lauten: Was wissen Kinder am Ende der Grundschulzeit über Datenschutz und Sicherheit im Netz? Wie kompetent agieren sie, wenn sie sich im Netz bewegen? METHODE Zur Beantwortung der Fragestellung wurden in einer ersten Projektphase Leitfadeninterviews mit 32 Grundschulkindern der Klassenstufe 3 und 4 durchgeführt. Basierend auf theoretischen sowie empirischen Vorüberlegungen wurde eine fiktive Plattform zur vermeintlichen Anmeldung bei einem Messengerdienst auf SoSci-Survey aufgebaut. Die Kinder wurden gebeten sich dort anzumelden, wobei ihr konkretes Verhalten in der Anmeldesituation die Grundlage für das nachfolgende Interview darstellte. Die audiographierten und transkribierten Interviews wurden inhaltlich strukturierend (Kuckartz, 2018) ausgewertet mit einem deduktiv-induktiv entwickelten Kategoriensystem. Sowohl in der Erhebung als auch in der Auswertung der Daten wurde unterschieden zwischen Wissens- und Verhaltensebene (Weinert, 2001), um sich Kompetenzen stärker anzunähern. ERGEBNISSE Erste Ergebnisse dieser qualitativen Pilotierungsphase des Erhebungsinstrument beleuchten Diskrepanzen zwischen der Wissens- und Verhaltensebene. Insgesamt lassen sich durch die Äußerungen der Kinder solide Wissensbestände in einigen Bereichen erkennen, die jedoch nicht durchgängig auch auf der Verhaltensebene erkennbar sind (Theurer, Jocham & Pohlmann-Rother, angenommen). Beispielsweise wissen Kinder mehr über Passwortsicherheit oder die Sicherheit ihres eigenen Benutzernamens als ihr Verhalten in der Anmeldung erkennen ließ. Weiter wussten viele Kinder um die Problematik öffentlicher Profile und verhielten sich in der Anmeldesituation entsprechend. Obwohl den Kindern ein fremdes Gerät ausgehändigt wurde, entschied sich die Mehrheit der Kinder für eine Speicherung ihrer Anmeldedaten. Erst durch das spätere Interview wurde den Kindern die Probematik dieser Entscheidung bewusst. Aktuell fließen die Ergebnisse der Pilotstudie in die Entwicklung eines Testinstruments ein, das quantitative Daten zum Themenbereich generieren wird. Erste Ergebnisse hierzu können auf der Tagung berichtet werden. Paper Session
Inhalte im Internet bewerten. Entwicklung und empirische Evaluation eines Messinstruments für Grundschulkinder Universität Würzburg, Deutschland Theoretischer Hintergrund Grundschulkinder leben in einer digitalen Welt, in der die gesteigerte Verfügbarkeit von Informationen zu Herausforderungen führt. Insoweit gewinnt ein kritischer Umgang mit Inhalten an Bedeutung (Çetta et al., 2020). WhatsApp, Google und YouTube zählen zu den häufigsten Anwendungen, die von Grundschulkindern genutzt werden (Feierabend et al., 2023). Folglich werden sie mit unterschiedlichen Inhalten konfrontiert, deren Bewertung Strategien voraussetzt. Beeinflusst wird dieser Bewertungsprozess durch Faktoren wie Vorwissen, Geschlecht, Bildungsniveau oder Lesekompetenz (Purington-Drake et al., 2022). Untersuchungen belegen, dass SuS die Glaubwürdigkeit von Onlineinhalten weder evaluieren (Kiili, 2018) noch Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können (Hasebrink, 2019). Der Förderung von Informationsbewertungskompetenzen kommt daher bereits in der Grundschule ein wichtiger Stellenwert zu. Voraussetzung für die Gestaltung und Evaluation von Fördermöglichkeiten ist allerdings ein Messinstrument zur Erfassung verschiedener Kompetenzfacetten in diesem Bereich. Die systematische Entwicklung eines solchen Modells, das relevante Teilkompetenzen und Inhaltsbereiche berücksichtigt und zwischen diesen differenziert, steht allerdings noch aus. An dieser Stelle setzt das vorliegende Dissertationsprojekt an, in dem ein standardisiertes Messinstrument zum Konstrukt der „Informationsbewertung“ mehrschrittig modelliert, konstruiert und validiert wird. Das Projekt ist in die Studie Digit.El eingebettet, welche die Erfassung von Digitalkompetenzen von Grundschulkindern zum Ziel hat. Methodisches Vorgehen Messmodell Die Modellierung des Konstrukts der Informationsbewertung basiert zunächst auf einer Analyse bestehender Konzeptionalisierungen und empirischer Erkenntnisse. Ergänzend wurden alle Lehrpläne systematisch auf relevante (normative) Teilkompetenzen und Inhaltsbereiche untersucht. Explorative Expert:innen-Interviews aus dem Online-Kinderbereich dienten als weitere Indikatoren (Brückner, 2020). Ergebnis ist ein selbstentwickeltes Messmodell, welches in die Inhaltsfelder Werbung, Wissensvermittlung, Unterhaltung, Täuschung sowie Persönlichkeitseingriff unterteilt ist und die Teilkompetenzen Identifizieren, Wirklichkeitsnähe, Glaubwürdigkeit und Methoden der Beeinflussung umfasst. Messinstrument Auf Basis des Messmodells wurde ein digitaler Leistungstest mit gebundenen Mehrfachwahlaufgaben entwickelt. Zur Steigerung der Inhaltsvalidität wurde das Instrument aus multimodalen Testaufgaben von den beliebtesten Plattformen der Altersgruppe konzipiert (WhatsApp/YouTube/TikTok; Reppert-Bismarck, 2019). Qualitative Verständlichkeitsanalysen der 20 Testaufgaben erfolgten in Kleingruppendiskussionen mit Personen aus dem universitären und schulischen Bereich sowie mit fünf Kindern, begleitet durch die Methode des lauten Denkens (Brandt, Moosbrugger, 2020). Pilotierung Eine erste Überprüfung des Messinstruments erfolgte mit 81 Schüler:innen (56,8% weiblich) der 3./4. Jahrgangsstufe (M=10,4, SD=0,64). 57 Kinder erhielten die elterliche Erlaubnis, Angaben zum sozioökonomischen Status zu machen (HISEI=47,44, SD=16,42). 51,9% sprechen zuhause vorwiegend eine andere Sprache. Ziel der Pilotierung war eine erste deskriptive Itemanalyse, wobei explorativ die Aufgabenschwierigkeit, -varianz und -trennschärfe ermittelt wurden. Die Berechnung eines Gesamtscore setzt Itemhomogenität voraus, wobei hohe Trennschärfeindizes ein erster Hinweis sein können (Kelava, Moosbrugger, 2020). Ergebnisse der Pilotierung Die Analyse ergab, dass 15 von 20 Testaufgaben eine Aufgabenschwierigkeit von 45≤Pi≤ 78 haben. Fünf Items wiesen eine höhere Schwierigkeit (25≤Pi≤39) auf. Dies betraf Items, die Phishing, Clickbait, Umgang mit fremden Daten und Bots thematisierten. Die Berechnung der korrelativen Zusammenhänge zeigte ein inkonsistentes Bild für die jeweiligen Aufgaben, woraus sich auch z.T. geringe Trennschärfeindizes (rit.<.3) ergaben. Aufgrund der geringen Stichprobengröße konnte nicht abschließend überprüft werden, ob eine ein- oder mehrdimensionale Struktur der Daten vorlag (Hauptkomponentenanalyse/Varimax-Rotation), weshalb die Trennschärfen nicht weiter interpretiert wurden (Kelava, Moosbrugger, 2020). Diskussion Wenig überraschend erscheint, dass Schüler:innen Testaufgaben im Bereich Täuschung und Persönlichkeitseingriff nicht korrekt lösen konnten, da Phänomene wie Phishing/Bots selbst für Erwachsene herausfordernd sind (Wineburg et al. 2019). Es lässt sich diskutieren, ob diese Inhalte grundsätzlich für den Grundschulbereich ungeeignet sind, wenngleich diese eine lebensweltliche Relevanz aufweisen. Als Ergebnis der Pilotierung wurde deshalb die Aufgabenschwierigkeit der fünf schwierigsten Items angepasst, ohne die Kerninhalte zu ändern. Da genaue Angaben zur Eindimensionalität nur mithilfe von „testtheoretisch begründeten Modellierungen“ möglich sind, werden Modelle der IRT zur Datenanalyse der Hauptstudie herangezogen (Kelava, Moosbrugger, 2020). Die Datenerhebung der Hauptstudie läuft von Juli-November (n=600) und zielt auf präzisere Erkenntnisse zur Item- und Testqualität. Erste Ergebnisse werden auf der Tagung vorgestellt. Paper Session
Effekte eines Lernangebotes zu Computational Thinking in der Sekundarstufe I auf die Fähigkeit zum komplexen Problemlösen 1PH Burgenland; 2PH Freiburg; 3LMU München International werden zunehmend Lernangebote in der Schule implementiert, die sich am Konzept des Computational Thinking orientieren (z.B. Shi, 2018; Kwon & Schroderus, 2017). Zentrales Anliegen ist es dabei, den Schüler:innen zu vermitteln, wie sich Algorithmen für die Lösung von Problemen nutzen lassen (z.B. Li et al., 2020; Eickelmann et al., 2019). Dazu werden Schüler:innen typischerweise kognitiv herausfordernde Problemstellungen vorgegeben, für die sie Lösungen suchen sollen (Lodi & Martini, 2021). Dabei sollen sie lernen, schwierige und komplexe Probleme in kleinere, handhabbare Bestandteile zu zerlegen, Muster und Beziehungen zu identifizieren sowie Algorithmen zu erstellen und für die Problemlösung anzuwenden. Mit diesem Ansatz verbindet sich die Erwartung, dass die Schüler:innen in ihren kognitiven Fähigkeiten gefördert werden (Scherer, Siddiq, & Sanchez-Scherer, 2021). Diese Annahme ließ sich in einer Vielzahl von Studien bestätigen. So konnten Scherer, Siddiq und Viveros (2018) in ihrer Metaanalyse auf der Basis von 105 Studien positive Effekte eines an Computational Thinking orientierten Programmierunterrichts auf kognitive Grundfähigkeiten, mathematische Fähigkeiten, metakognitive Kompetenzen und das kreative Denken nachweisen. Bisher nicht untersucht wurde, ob sich auch positive Effekte auf die Fähigkeit zum komplexen Problemlösen zeigen. Das ist überraschend, da die Vorgabe anspruchsvoller Probleme, die sich im Sinne von Dörner (1998) durch Polytelie, Vernetztheit, Intransparenz und Eigendynamik auszeichnen, zentral für die Vermittlung von Computational Thinking ist. Der vorliegende Beitrag geht daher der Frage nach, ob und inwiefern sich ein nach dem Konzept des Computational Thinking gestaltetes Lernangebot auf die Entwicklung der Fähigkeit, komplexe Probleme zu bearbeiten, auswirkt. Zur Untersuchung dieser Fragestellung wurde im Schuljahr 2018/19 in der siebenten Schulstufe aller 38 Mittelschulen im Burgenland (Österreich) eine längsschnittliche quasi-experimentelle Studie im Prä-Post-Kontrollgruppendesign mit drei Messzeitpunkten (Beginn, Mitte und Ende des Schuljahres) durchgeführt. Die Datenerhebung erfolgte mithilfe von Online-Fragebögen. Die Bruttostichprobe umfasste 1.676 Schüler:innen. Davon nahmen 1.383 (85,5 Prozent) mit Zustimmung der Eltern an der Studie teil. 404 Schüler:innen der Versuchsgruppe besuchten das auf dem Ansatz des Computational Thinking basierende Wahlpflichtfach “Coding & Robotik” (Leitgeb, 2018), in dem mit Robotersystemen anspruchsvolle Probleme bearbeitet wurden. Die Schüler:innen der Kontrollgruppe (n=979) besuchten alternative Wahlpflichtfächer ohne konzeptuellen Bezug zu Computational Thinking (Leitgeb, Rollett & Zimmermann, 2023). Für die Wahlpflichtfächer sind drei Unterrichtsstunden pro Schulwoche vorgesehen. Versuchs- und Kontrollgruppe waren soziokulturell ähnlich zusammengesetzt, in der Versuchsgruppe war der Mädchenanteil aber geringer (33% vs. 51%). Zur Messung der Fähigkeit zum komplexen Problemlösen wurden allen Schüler:innen zu jedem Messzeitpunkt drei bis vier Aufgaben vom DYNAMIS-Typ (Funke, 1992) vorgegeben, mit jeweils zwei bis drei Input- und zwei bis drei Outputvariablen. Abhängige Variablen waren das nach zwei Explorationsdurchgängen (nach je fünf Eingriffen) ermittelte Systemwissen (Güte der Kausaldiagramme, GdK; Funke 1992), die Systematizität der Eingriffe (Vollmeyer, Burns & Holyoak, 1996) und die anschließend in einem Durchgang erreichte Steuerungsleistung (Problemlösegüte, PLG; Funke, 1992). Zur statistischen Auswertung wurden Varianzanalysen mit Messwiederholung verwendet und die Interaktion Gruppe x Zeit mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von α < .05 geprüft. Zu Beginn des Schuljahres zeigten sich zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe keine signifikanten Unterschiede bezüglich der untersuchten abhängigen Variablen. Über die drei Messzeitpunkte hinweg entwickelten sich die Schüler:innen der Versuchsgruppe signifikant besser in Bezug auf das Systemwissen (F1,91;2640,03 = 41.9**, partielles η2=.029), die Systematizität (F1,40;2671,68 = 12.3**, partielles η2 = .009) und die Steuerungsleistung (F1,91;2626,85 = 13.2**, partielles η2=.010). Mit den in diesem Beitrag berichteten Befunden ist es damit nach unserer Kenntnis zum ersten Mal gelungen, empirisch nachzuweisen, dass ein am Konzept des Computational Thinking orientiertes Lernangebot die Fähigkeit zum komplexen Problemlösen fördern kann. Der Ansatz des Computational Thinking hat sich in dieser Hinsicht bewährt. Dies kann als ein weiterer Hinweis darauf gedeutet werden, dass sich die Implementation entsprechender Lernangebote mit Blick auf die kognitive Entwicklung der teilnehmenden Schüler:innen lohnt. |
10:30 - 12:10 | 4-19: Lehrkräftebildung Ort: S23 |
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Paper Session
Lehrer*in für nur ein Unterrichtsfach? Einstellungen von Lehramtsstudierenden zum Ein-Fach-Lehramt für die Sekundarstufe Universität Potsdam, Deutschland Theoretischer Hintergrund Angesichts des massiven Lehrkräftemangels wird derzeit über mögliche Veränderungen des Lehramtsstudiums diskutiert, u.a. auch die Option, Lehrkräfte mit nur einem Fach einzustellen (z. B. KMK, 2023). Die Lehrkräfteausbildung im deutschsprachigen Raum sieht in aller Regel ein Studium von zwei Unterrichtsfächern für die Sekundarstufe vor, international dominiert jedoch das Modell der Ein-Fach-Lehrkraft (Vock, 2021). In diesem Beitrag gehen wir der Frage nach, wie Lehramtsstudierende die Variante eines Ein-Fach-Lehramts einschätzen. Wenn im Lehramtsstudium die Wahlmöglichkeit bestünde, lediglich ein Fach für die Sekundarstufe zu studieren und damit die volle Lehramtsqualifikation zu erreichen, könnte die Studienzeit verkürzt werden, so dass Abschlüsse schneller erreicht werden. Alternativ könnte das Studium so ausgestaltet werden, dass die Studiendauer zwar gleichbleibt, aber mehr Zeit für fachdidaktische und bildungswissenschaftliche Inhalte frei würde (Böttcher, 2020). Zudem ist das Erfordernis, zwei Fächer zu studieren, für einen Teil der Studierenden möglicherweise eine (zu) hohe Belastung. Ein beträchtlicher Anteil der Lehramtsstudierenden weist gesundheitliche Risikomuster auf, die mit negativer psychischer Beanspruchung in Verbindung gebracht werden (32%, Rothland, 2013; 46%, Schaarschmidt & Kieschke, 2007). Durch das Ein-Fach-Studium ließen sich Belastungen reduzieren, ohne inhaltliche Standards zu senken. Damit würde sich möglicherweise die Abbrecherquote im Lehramtsstudium verringern (10-16%, z.B. Heublein et al., 2022), die u. a. auf als zu hoch empfundene Anforderungen zurückgeführt wird (Zimmermann et al., 2018). Ein Ein-Fach-Studium könnte darüber hinaus Personen ansprechen, die spezifisches Interesse an einem Fach haben, und neue Qualifizierungswege für Studierende eines fachwissenschaftlichen Studiums eröffnen. Ferner ließe sich der Quer- bzw. Seiteneinstieg sowie die Integration internationaler Lehrkräfte erleichtern (Böttcher, 2020; Vock, 2021) und zumindest in MINT-Fächern könnte ein Ein-Fach-Lehramtsstudium den Lehrkräftemangel mildern (Klemm, 2022). Fragestellungen Welche Perspektive haben Lehramtsstudierende auf die (hypothetische) Option eines Ein-Fach-Studiums? Wie bewerten sie mögliche Folgen eines Ein-Fach-Studiums für ihr Studium und die spätere Ausübung des Berufs? Unterscheiden sich die Einschätzungen von Bachelor- und Masterstudierenden? Methode Die Datengrundlage bilden N = 273 Studierende im Sekundarschullehramt von vier Universitäten. Gut die Hälfte der Lehramtsstudierenden befand sich zum Befragungszeitpunkt im Sommer 2023 im Bachelorstudium (52%), der Rest im Masterstudium (48%). Der Online-Fragebogen enthielt Fragen zu Demographie, Fächern, Präferenzen und zur Einschätzung eines Ein-Fach-Studiums mit dessen möglichen beruflichen Folgen. Zudem gaben die Studierenden an, wie sie die durch ein Ein-Fach-Studium freiwerdende Studienzeit am ehesten nutzen würden. Ihre Wahl sollten sie ebenso offen begründen. Die Auswertung der quantitativen Daten erfolgte mithilfe deskriptiver Analysen. Unterschiede in den Einschätzungen zwischen Studierenden im Bachelor- und Masterstudium wurden hinsichtlich der Signifikanz mit χ2-Tests geprüft. Zur Analyse der offenen Frage wurde die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2008) angewandt. Erste Ergebnisse Der Großteil der Lehramtsstudierenden (87%) hätte das Studium auch dann gewählt, wenn es nur ein Unterrichtsfach beinhalten würde. Zudem empfand mehr als ein Viertel (28%) diese Alternative als die bessere Option. Während die überwiegende Mehrheit in Betracht zog, später an der Schule nur ein Unterrichtsfach zu unterrichten (59%), war die Zustimmung zu weiteren, daraus möglichen Folgen zurückhaltender. So schlossen 77% aller Lehramtsstudierenden das Unterrichten an verschiedenen Schulen (eher) aus. Insgesamt lagen tendenziell höhere Zustimmungswerte unter den Bachelorstudierenden im Vergleich zu den Masterstudierenden vor. Die Unterschiede waren jedoch nicht signifikant. Die durch das Ein-Fach-Studium freigewordene Zeit würde etwa ein Drittel der Studierenden dazu nutzen, schneller in den Beruf einzusteigen (Bachelorstudierende: 34%; Masterstudierende: 39%). Begründet wurde dies vorrangig mit dem Wunsch nach finanzieller Absicherung und Praxiserfahrungen. Weitere Lehramtsstudierende erklärten dies mit fehlender Studienzufriedenheit (bspw. „Das Studium dauert so schon viel zu lange.“). Ferner würden 20% der Lehramtsstudierenden die Zeit für eine stärkere Vertiefung eines Faches verwenden. Begründet wurde dies etwa mit mangelndem Interesse am zweiten Fach oder der Überforderung mit zwei Fächern (bspw. „Ich habe das zweite Fach nur gewählt, weil ich musste.“). Paper Session
Besser Lehren und Lernen mit Tandemlehre? Kooperative, interdisziplinäre und kollaborative Seminare in der Lehrerbildung im Fokus. Universität Augsburg, Deutschland In Anbetracht der gewachsenen Heterogenität und Pluralität im Unterricht von heute, vor allem aber auch im Hinblick auf die Lernvoraussetzungen und damit verbundenen Bedürfnisse der Schüler*innen, die höhere Flexibilität im Unterrichten, die daraus gestiegenen (fach-)didaktischen Anforderungen und dafür notwendigen neuen Formen des Lehrens und Lernens macht es aus konstruktivistischer Perspektive unausweichlich, bereits in der universitären Ausbildung der Lehrkräfte von morgen diese Zusammenhänge in der Hochschuldidaktik strukturell zu etablieren, um so Lehramtsstudierenden besser zu qualifizieren und auf ihre zukünftigen Aufgaben vorzubereiten. Vor diesem Hintergrund werden im Projekt koko „kompetent kooperieren“ an der Universität Augsburg kooperative, interdisziplinäre Seminare mit Tandemlehre und kollaborativen Lernarrangements unter Studierenden (u.a. Zusammenarbeit in der Gruppe, im Team oder Tandem, Hadwin et al., 2011) in der Lehrerbildung an Universitäten unter besonderer Berücksichtigung ihrer Lernmotivationsregulationsstrategien (Boekaerts, 1997) und Motivationsziele, epistemologischen Überzeugungen (Zinn, 2013), Einstellungen zu Kollaboration, verschiedener Kompetenzorientierungen sowie personaler, lernrelevanter, soziodemographischer und studienbezogener Merkmale, einschließlich des Fachinteresses der Lehramtsstudierenden (Moderatoren) untersucht. Auch aus Sicht der Lehrerprofessionsforschung sind diese hochschuldidaktischen Lehr- und Lernmethoden aufschlussreich, da Schulen in ihrer traditionellen Struktur eher als kooperationshemmend wahrgenommen werden (Rothland, 2016; Altrichter & Eder, 2004). Im Zuge des Trends zum fächerübergreifenden Unterrichten und nicht zuletzt inklusions- und integrationsbedingt wird sich der Lehrberuf jedoch weg vom klassischen Einzelkämpfer hin zur Zusammenarbeit in (multiprofessionellen) Teams (Bertels, 2018) entwickeln. Im Projekt koko wurden bislang solche Seminare in zwei Teilstudien, davon Teilstudie I mit Schwerpunkt in der Religionsfachdidaktik und -pädagogik hinsichtlich der Förderung religionssensibler und interkultureller Dialog- und Kooperationskompetenzen als Ziel und Teilstudie II mit Erweiterung auf alle Fachdidaktiken und die Förderung allgemeiner professioneller Kompetenzen von Lehrkräften (Baumert & Kunter, 2006), jeweils mit einer quantitativen und qualitativen Forschungslinie im Zeitraum vor der Corona-Pandemie bayernweit, d.h. unter Beteiligung (fast) aller Universitäten in Bayern, evaluiert (Mixed-Methods-Design: Quasiexperimentelle Interventionsstudie mit Prä- und Postmessung sowie Experimental- und Kontrollgruppen mit Tandemlehre, kollaborativen Arbeitsformen und Interdisziplinarität als Experimentalbedingungen sowie eine qualitative Interviewstudie). Im Rahmen des Vortrags werden ausgewählte quantitative und qualitative Befunde aus Teilstudie II vorgestellt, worin 23 Seminare aus verschiedenen an der Lehrerbildung beteiligten Disziplinen an sechs Universitäten in Bayern beforscht und evaluiert wurden. Die zentrale Fragestellung dabei lautete: Inwieweit können die fokussierten hochschuldidaktischen Konzepte Fähigkeiten, Überzeugungen und Einstellungen von Lehramtsstudierenden fördern, die als professionelle Kompetenzen in ihrer späteren Berufspraxis als Lehrerinnen und Lehrer nützlich und relevant sind bzw. darauf vorbereiten. Paper Session
Kann Sketchnoting kreatives Lernen im Lehramtsstudium fördern? - Eine explorative Mixed-Method-Studie Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Deutschland Kreativität ist von zentraler Bedeutung für Ideenfindung, Innovation und Wohlbefinden und wird als eine der „21st century skills“ definiert (Vincent-Lancrin et al., 2019, S. 51). Folglich sollten Lehramtsstudierende in ihrer Ausbildung kreative Lernmethoden kennen lernen, die sie für die Weiterentwicklung eigener kreativer Fähigkeiten sowie für die Förderung von Kreativität im Schulunterricht verwenden können. Sketchnoting ist eine Visualisierungsmethode, die dahingehend potentiell nützlich sein könnte. Sie bietet Freiräume, komplexe Informationen mit Hilfe von Skizzen, visuellen Metaphern und diagrammhaften Strukturen aus Boxen und Pfeilen zu veranschaulichen sowie persönlich bedeutsame Erkenntnisse festzuhalten (Rohde, 2013). Das Potenzial von Sketchnoting wird insbesondere in einem besseren Verständnis von komplexen Inhalten wie wissenschaftlichen Texten gesehen (Dimeo, 2016) sowie in der Förderung von Kreativität in Lernsituationen (z. B. Perry et al., 2018). Gemäß eines Modells von Treffinger (1980; Treffinger et al., 1983) sind Indikatoren für kreatives Lernen, z.B. divergente Funktionen (z.B. Ideenreichtum, Originalität, Neugier) sowie komplexe Denk- und Gefühlsprozesse (z.B. Analyse, Synthese, Transformation von Informationen). Forschungsfragen Da es aktuell an empirische Untersuchung mangelt, die untersuchen ob und wie Sketchnoting kreatives Lernen im Lehramtsstudium fördern kann, werden im Rahmen dieses Promotionsprojektes u.a. die folgenden Fragen untersucht: F1: Welche divergenten Funktionen und komplexen Denk- und Gefühlsprozesse kreativen Lernens werden im Sketchnotingprozess deutlich, wenn Lehramtsstudierende eine Sketchnote zu einem wissenschaftlichen Text erstellen? F2: Welche Auswirkungen hat Sketchnoting auf das Lernergebnis? Methode Um die Forschungsfragen zu beantworten, wurden Stimulated-Recall-Interviews (SRIs) mit 10 Lehramtsstudierenden (MAlter= 24,5 Jahre; 80 % weiblich) durchgeführt, die Sketchnoting in universitären Lehrveranstaltungen oder Workshops anwenden lernten. In den SRIs wurden die Lehramtsstudierenden gebeten anhand eines Videos, das sie beim Erstellen einer Sketchnote zu einem wissenschaftlichen Text über eine Lerntheorie zeigt, zu beschreiben wie sie beim Sketchnoting vorgegangen sind und wie sie Sketchnoting wahrgenommen haben. Die Interviews wurden mit einer qualitativen Inhaltsanalyse explorativ analysiert (κ = 0.75 und 0.69). Darauf aufbauend wurde eine Interventionsstudie (Pretest, Posttest, Follow up) mit N = 239 Lehramtsstudierenden (MAlter = 21,80 Jahre; 69.7 % weiblich) in Lehrveranstaltungen durchgeführt, in denen die Teilnehmenden Sketchnoting sowie eine weitere Visualisierungsmethode (Diagramme aus Boxen und Pfeilen ohne Bilder) beim Lernen mit wissenschaftlichen Texten anwendeten oder wie gewöhnlich Notizen erstellten (Kontrollgruppe). Daten wurden mit einem Fragebogen zu Kreativem Lernen erhoben (F1), der aufbauend auf den Ergebnissen der Interviewstudie, elaborierten Fragebögen (z.B. RIBS: Runco et al., 2001) und theoretischen Konzepten (z.B. Cropley, 2006) entwickelt wurde (α = 0.62 - 0.85). Die Auswirkungen von Sketchnoting auf das Lernergebnis (F2) wurde anhand von [1] der Anzahl selbständig entwickelter Ideen (Beispiele, Analogien, Schlussfolgerungen) sowie [2] einem Free Recall-Test (in Anlehnung an Scheiter et al., 2017) untersucht. Ergebnisse Die Ergebnisse der Interviewstudie weisen darauf hin, dass Sketchnoting kreatives Lernen im Lehramtsstudium anregen und fördern kann (F1): Die Lehramtsstudierenden analysierten und synthetisierten den Text in einem zirkulären Leseprozess, um Ideen für die Transformation der komplexen verbalen Textinformationen in grafische Strukturen, Skizzen und originelle Bilder zu entwickeln, was u.a. durch Neugier, ästhetischen Sinn und Intuition geprägt war. Erste Ergebnisse der Interventionsstudie stützen die Befunde und zeigten, dass Sketchnotig Prozesse wie kreative Ideenfindung signifikant stärker förderte als das Erstellen von Diagrammen (p = <.001) und schriftlichen Notizen (p = <.001). Hinsichtlich der zweiten Forschungsfrage (FS2) zeigte sich, dass Lehramtsstudierende die Gestaltung von Sketchnotes als hilfreich wahrnahmen, um den wissenschaftlichen Text besser zu verstehen und zu erinnern. Die ersten Ergebnisse der Interventionsstudie ergaben diesbezüglich, dass die Sketchnotes signifikant mehr selbständig entwickelte Ideen in Form von Beispielen, Analogien und Schlussfolgerungen beinhalteten als Diagramme (p = <.001) und schriftliche Notizen (p = <.001). Interessanterweise zeigten die Ergebnisse des Free-Recall-Tests, dass sich die Studierenden die Sketchnotes jedoch nicht signifikant besser an die Textinhalte erinnerten, als Studierende die Diagramme oder schriftlichen Notizen erstellt haben. Paper Session
Prädiktoren und Effekte der Scham von Grundschullehramtsstudierenden im Fach Mathematik aus Perspektive der Kontroll-Wert-Theorie 1Humboldt-Universität zu Berlin, Deutschland; 2Universität Klagenfurt, Österreich; 3Leuphana Universität Lüneburg, Deutschland Theoretischer Hintergrund Emotionen stellen neben professionellem Wissen eine Disposition professioneller Kompetenz von Lehrkräften dar (Blömeke et al., 2015). Studien zeigen, dass sie Effekte auf die Instruktion einer Lehrkraft und damit auf die Leistungen von Schüler*innen sowie deren Emotionen haben (Frenzel et al., 2021). Dabei stehen die Emotionen, die eine Lehrkraft beim Unterrichten erlebt, in engem Zusammenhang zu den Emotionen, die sie während des Studiums erlebt hat (Eren, 2014). Diese bedingen bereits während des Lehramtsstudiums die Kompetenz- und Identitätsentwicklung (Lutovac, 2020). Scham wird hierbei als eine wesentliche Emotion für Grundschullehramtsstudierende im Fach Mathematik diskutiert (Panagi, 2013). Scham kann als eine aktivierende und negative Emotion konzeptualisiert werden (Pekrun et al., 2023), die eng mit dem Selbst verbunden ist (Turner & Schallert, 2001). Grundschullehramtsstudierende berichten intensive Schamerfahrungen während der Schulzeit, speziell in Mathematik (Jenßen et al., 2022), was vermutlich auf Fachspezifika wie eine hohe richtig-falsch-Orientierung zurückzuführen ist (Goldin, 2014). Neben diesen Vorerfahrungen wird vor allem dem Fähigkeitsselbstkonzept eine zentrale Rolle für die Entstehung von Scham bei Grundschullehramtsstudierenden beigemessen (Jenßen, 2021). Das geringe Fähigkeitsselbstkonzept kann vor dem Hintergrund der Kontroll-Wert-Theorie (Pekrun, 2006) als eine als gering wahrgenommene Kontrolle der Studierenden in Lern- und Leistungssituationen verstanden werden. Jedoch wurden bisher weder Effekte von Wertüberzeugungen auf Scham noch angenommene negative Effekte der Scham auf das professionelle Wissen der Grundschullehramtsstudierenden in Mathematik untersucht. Entsprechend gängiger Konzeptionen kann der Wert von Mathematik sich auf die Domäne, die Leistung oder auf den Wert, den das soziale Umfeld Mathematik zuschreibt, beziehen (Gaspard et al., 2015). Das professionelle Wissen in Mathematik kann in fachmathematisches Wissen und mathematikdidaktisches Wissen ausdifferenziert werden (Shulman, 1986). Fragestellung Folgende Forschungsfragen wurden untersucht: Inwieweit bedingen Fähigkeitsselbstkonzept und Wertüberzeugungen das Schamerleben von Grundschullehramtsstudierenden im Fach Mathematik? In welchem Ausmaß zeigt das Schamerleben Effekte auf fachmathematisches und mathematikdidaktisches Wissen bei Mathematik-Grundschullehramtsstudierenden? Methode Insgesamt wurden bei n = 687 Grundschullehramtsstudierenden zweier Universitäten mittels standardisierter Fragebögen das Fähigkeitsselbstkonzept (Roesken et al., 2011), Wertüberzeugungen (Gaspard et al., 2015)sowie Scham in Mathematik (Jenßen et al., 2023a) erhoben. Die Wissensfacetten wurden mithilfe standardisierter Tests erfasst (Besser et al., 2020; Jenßen et al., 2023b). Zu allen Skalen liegen umfassende Validierungen vor. Die Reliabilität lag mindestens bei McDonalds Omega = .77 (Fähigkeitsselbstkonzept). Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde ein latentes Strukturgleichungsmodell spezifiziert, wobei Fähigkeitsselbstkonzept und Wertüberzeugungen als Prädiktoren und die Wissensfacetten als abhängige Variablen der Scham modelliert wurden. Alle möglichen direkten und indirekten Effekte wurden analysiert. Als Kontrollvariablen wurden die letzte Schulnote in Mathematik, Alter und Geschlecht einbezogen (Orth et al., 2010). Ergebnisse und ihre Bedeutung Das Strukturgleichungsmodell zeigte eine gute Passung auf die Daten (Chi2(149)=333.739, p<.001, RMSEA=.04[.03/.05], CFI=.97, SRMR=.03). Scham wurde nur durch das Fähigkeitsselbstkonzept (-.77, p<.001) und den sozialen Wert (.14, p<.001) signifikant vorhergesagt. Die anderen Wertüberzeugungen zeigten keine signifikanten Effekte. Scham wiederum hatte einen signifikanten negativen Effekt auf das mathematikdidaktische Wissen (-.20, p<.001), nicht jedoch auf das fachmathematische. Neben erwartungskonformen positiven Zusammenhängen zwischen dem Fähigkeitsselbstkonzept und den verschiedenen Wertüberzeugungen zeigte sich ein ebenfalls erwartungskonformer positiver Zusammenhang zwischen dem fachmathematischen Wissen und dem mathematikdidaktischen Wissen. Unter den Kontrollvariablen zeigte die letzte Schulnote in Mathematik eine Vielzahl von Effekten auf das fachmathematische Wissen, die Wertüberzeugungen und das Fähigkeitsselbstkonzept. Vermittelt über letzteres zeigte sich auch ein bedeutsamer indirekter Effekt auf die Scham in Mathematik (.42, p<.001). Effekte von Alter und Geschlecht lagen nur marginal vor. Insgesamt hebt die nomologische Einordnung der Ergebnisse die zentrale Bedeutung des Fähigkeitsselbstkonzepts, des sozialen Werts sowie des Vorwissens aus der Schulzeit (Note) für das Schamerleben in Mathematik bei Grundschullehramtsstudierenden hervor. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass Scham nicht mit geringerem fachmathemathematischem Wissen einhergehen muss, aber möglicherweise den Erwerb mathematikdidaktischen Wissens negativ bedingen kann. |
10:30 - 12:10 | 4-20: Experimentieren im MINT-Kontext Ort: S24 |
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Paper Session
Effects of Video Modeling Examples and Reflection Instruction on Scientific Reasoning Products and Reflection Quality during Inquiry Learning 1University of Potsdam; 2Leibniz Institut für Wissensmedien Inquiry learning actively engages students in experimentation when learning science, thereby students can gain scientific reasoning skills in addition to conceptual knowledge. Two scientific reasoning products, relevant to inquiry learning, are the hypotheses students develop before experimenting and the argumentation in their written explanations. Difficulties during inquiry learning can arise from a lack of scientific reasoning or a lack of self-regulation (Omarchevska et al., 2022a) and inquiry learning is only effective when appropriately guided (Lazonder & Harmsen, 2016). Guidance integrating scientific reasoning and self-regulation was effective for knowledge acquisition (Eckhardt et al., 2013) and scientific reasoning (Omarchevska et al., 2022b). Omarchevska et al. (2022b) showed that video modeling (VM) examples that integrated scientific reasoning and self-regulation instruction improved students’ hypothesis and argumentation quality and their self-regulation of scientific reasoning processes. Eckhardt et al. (2013) showed that reflecting on the inquiry process and outcomes was effective for gaining domain knowledge. The present study investigated whether VM examples, reflection instruction, or their combination is more effective for enhancing hypothesis and argumentation quality. We also investigated the interventions’ effect on students’ reflection quality. We hypothesized that VM and reflection > VM > reflection > control. Participants were 173 students (Mage = 24.3 years, SD = 3.5) from a German university. The experiment had a 2x2 design with reflection instruction and VM as factors: reflection (n = 44), reflection + VM (n = 44), VM (n = 44), control, n = 41. All participants solved a training task with a simulation about photosynthesis without guidance. This task familiarized participants with inquiry using simulations and provided the basis for reflection in the two reflection conditions. The experimental manipulation followed this task. Participants in the VM conditions watched three VM examples that modeled scientific reasoning and self-regulation principles (Omarchevska et al., 2022b), participants in the reflection conditions reflected on their inquiry practices (Eckhardt et al., 2013), and participants in the combined condition first reflected and then watched the VM examples. Then, all participants worked on a transfer inquiry task about energy conversion and wrote a reflection. In both tasks, participants were given a research question, they wrote down a hypothesis (hypothesis quality), collected data using the simulation, and wrote an answer to the research question (argumentation quality). The dependent variables were scored by two raters. Hypothesis quality (α = .74) was measured by the testability and the correctness (Omarchevska et al., 2022a, b), and argumentation quality (α = .82) was scored based on the claim, evidence, and reasoning (McNeil et al., 2006). We developed a coding scheme measuring reflection quality (α = .78) in three categories (systematicity, process, and outcome) on three levels (description, justification, critique). We used three contrasts to test our hypotheses: C1 (1, -1, 0, 0), C2 (1, 1, -2, 0), and C3 (1, 1, 1, - 3). Contrast analyses showed that hypothesis quality in the transfer task was higher for all experimental conditions than the control (C3), t(163) = 2.207, p = .029, but the three experimental conditions did not differ. Reflection quality, particularly the process, was significantly higher in the VM conditions than reflection condition (C2), t(160) = 2.240, p = .026. Our findings indicate that instruction integrating scientific reasoning and self-regulation was effective for improving hypothesis quality, in line with Omarchevska et al. (2022b). The way this integration was delivered, either using video modeling examples or reflecting on the inquiry process, was equally effective and no benefit of combining instruction was observed. Furthermore, video modeling improved reflection quality possibly by providing more guidance during reflection, extending prior research on video modeling and self-regulation (Omarchevska et al., 2022b). Paper Session
Interaktion kognitiver Fähigkeiten beim Experimentieren Pädagogische Hochschule Freiburg, Deutschland Die Förderung experimenteller Kompetenzen ist ein zentrales Ziel naturwissenschaftlicher Bildung (Abd-El-Khalick et al., 2004). Entsprechend wird ein großer Teil der Unterrichtszeit für die Planung, Durchführung und Auswertung von Experimenten verwendet (Börlin, 2012; Tesch, 2005). Dieser Aufwand steht im Kontrast zur geringen Lerneffektivität von Schülerexperimenten (Schwichow et al., 2016; Börlin, 2012). Ohne auf sie zugeschnittene Unterstützungsmaßnahmen scheitern Lernende häufig an der Komplexität experimenteller Aufgaben (Lazonder & Hamsen, 2016; Belland et al., 2017; Furtak et al., 2012). Um die Lerneffektivität von Schülerexperimenten zu steigern, müssen daher die typischen Schwierigkeiten von Lernenden beim Experimentieren bekannt sein. Bisherige Forschungsarbeiten fokussieren auf die Rolle einzelner Teilfähigkeiten, wie der Fähigkeit kontrollierte Experimente zu planen (Schwichow et al., 2016), oder versuchen, die Unterstützung in einzelnen Teilprozessen, wie der Hypothesengenerierung, zu optimieren (z.B. Kuang et al., 2023). Durch die isolierte Betrachtung einzelner Teilprozesse und Fähigkeiten ist jedoch unklar geblieben, welche Fähigkeiten in den verschiedenen Teilprozessen des Experimentierens wichtig sind und inwiefern Abhängigkeiten (Kovarianzen) zwischen ihnen bestehen. In der vorliegenden Studie betrachten wir daher den Einfluss der Fähigkeit zum funktionalen Denken, zur Variablenkontrolle und des Fachwissens auf die Performanz beim Experimentieren. Diese Fähigkeiten wurden auf Basis vorheriger Arbeiten (Nehring et al., 2015; Becker et al., 2019; Schwichow et al., 2016) und dem ModellScientific Discovery as Dual Search (SDDS; van Joolingen & de Jong, 1997) ausgewählt. Van Joolingen und de Jong (1997) diskutieren zudem potenzielle dispositionelle Faktoren, etwa den Einfluss von Misserfolgsängsten der Lernenden auf das Experimentieren. Fraglich ist, ob diese dispositionellen Faktoren auch nach Berücksichtigung kognitiver Variablen zusätzliche Varianz aufklären. Methode Die genannten Forschungsfragen wurden in einerpräregistrierten (https://osf.io/6wspv) randomisiertenOnline-Interventionsstudie mit 232 jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 22 Jahren untersucht. Es wurden fünf kognitive (Fachwissen, Variablenkontrolle, funktionales Denken sowie allgemeine kognitive Fähigkeiten und kognitive Belastung als Kovariaten) und neun dispositionelle Variablen (Interesse, Selbstkonzept, Motivation und sechs Persönlichkeitsdimensionen) erhoben. DieTestpersonen durchliefen Interventionen zum Fachwissen (Wissen zum Auftrieb in Flüssigkeiten), zur Variablenkontrolle und zum funktionalen Denken. Die Reihenfolge der Interventionen wurde in sechs Versuchsgruppen randomisiert. Als abhängige Variable wurde via Web-App die Performanz in einer Transferaufgabe erhoben, in der die Testpersonen herausfinden sollten, wie ein Cartesischer Taucher funktioniert. Auf der Grundlage von sieben Metriken (Qualität der ersten Hypothese und der schriftlichen Beschreibung der Wirkmechanismen des Cartesischen Tauchers, Anteil aussagekräftiger Experimente sowie Punkte in einem Wissenstest, in Aufgaben zur Bestimmung von Variableneinflüssen und Variablenzusammenhängen und in einer Sortieraufgabe bezüglich unabhängiger und abhängiger Variablen) wurde ein Faktorscore berechnet, der die jeweilige experimentelle Kompetenz repräsentiert. Die Daten wurden mittels theoriegeleiteter hierarchischer multipler Regressionen ausgewertet. Ergebnisse Es zeigt sich, dass Fachwissen, die Fähigkeit zur Variablenkontrolle und zum funktionalen Denken auch unter Einbezug allgemeiner kognitiver Fähigkeiten substanzielle Prädiktoren für erfolgreiches Experimentieren sind (R² = .51). Die Aufnahme der weiteren kognitiven und dispositionellen Variablen führt lediglich zu einer moderaten Verbesserung der Modellparameter (R² = .57), was die Bedeutung der drei Kernfähigkeiten unterstreicht. Auch wenn dispositionelle Fähigkeiten beim Erwerb von Fähigkeiten eine Rolle spielen, legen die Ergebnisse nahe, sich bei der Gestaltung von Lernumgebungen auf die Unterstützung bei kognitiven Anforderungen zu konzentrieren. Die mittelhohen Korrelationen (r ~ .45) zwischen den drei Kernfähigkeiten legen zudem nahe, dass Defizite in einer Fähigkeit häufig mit Defiziten in anderen Fähigkeiten einhergehen. Lernumgebungen sollten daher global im Schwierigkeitsgrad anpassbar sein, z. B. durch Reduktion von Variablen und Vereinfachung von Lernzielen. Weitere regressionsanalytische Verfahren zeigen, wie kognitive Fähigkeiten mit Teilprozessen während des Experimentierens zusammenhängen. Beispielsweise zeigt sich, dass die Fähigkeit zum funktionalen Denken für das Erkennen und Charakterisieren von Variablenbeziehungen relevant ist. Lernende mit Defiziten in diesen Fähigkeiten sollten daher bei der Interpretation ihrer Ergebnisse unterstützt werden, indem z. B. zusätzliche Repräsentationsformen angeboten werden. Weitere Ergebnisse und deren Implikationen für Forschung und Praxis werden diskutiert. Paper Session
Bearbeitungsprozesse von Studierenden in einer aufgabenbasierten Lernumgebung zur Physik 1Technische Universität München; 2Justus-Liebig-Universität Gießen Theoretischer Hintergrund und Fragestellungen Von Hochschulen werden digitale Lernangebote u. a. zum Ausbau fachspezifischer Vorkenntnisse angeboten, die Lernende nach eigenen Bedürfnissen selbstbestimmt bearbeiten können. Empirische Befunde deuten darauf hin, dass die selbstbestimmte Bearbeitung von digitalen Lernangeboten häufig nicht sehr persistent erfolgt (Levy, 2007; Kizilcec & Halawa, 2015). Ein Grund dafür könnte sein, dass die Bearbeitung hohe Anforderungen an Fähigkeiten der Selbstregulation stellt (u. a. Greene et al., 2011; Winters et al., 2008). Studien zum selbstregulierten Lernen nehmen bisher vor allem informationsbasierte Lernumgebungen (LU) in den Blick (z. B. Azevedo et al., 2007; DiBenedetto & Zimmerman, 2010; Schleinschok et al., 2017), welche sich auf das Präsentieren und Erläutern von Inhalten fokussieren (z. B. Hypermedia). Vergleichsweise wenig untersucht sind (Regulations-)Prozesse, die sich bei der Bearbeitung von aufgabenbasierten LU einstellen, welche neben instruktionalen Texten verschiedene Aufgaben enthalten, die beispielsweise das Anwenden und Üben von Inhalten erfordern. An diesem Desiderat setzt das Vorhaben mit folgenden Forschungsfragen (FF) an: FF1: Wie bearbeiten Studierende selbstreguliert eine aufgabenbasierte LU? FF2: In welcher Beziehung stehen Bearbeitungsprozesse und Dispositionen der Studierenden (Vorwissen, Selbstwirksamkeit, etc.) sowie deren Lernzuwachs? Methodisches Vorgehen Die Studie ist als Ein-Gruppen-Prä-Post-Design konzipiert, in dem vor und nach der Bearbeitung einer aufgabenbasierten, digital implementierten LU zum physikalischen Themengebiet Mechanik verschiedene Dispositionen von Studierenden erfasst werden. Insgesamt sechs thematische Blöcke umfassen verschiedene Instruktionselemente, die in beliebiger Reihenfolge und Schwerpunktsetzung bearbeitet werden können: kurze instruktionale Texte; Beispiele; Kurzaufgaben mit zugehöriger Lösung; Übungsaufgaben, die zusätzlich in unterschiedlichen Anforderungsbereichen ausgewiesen sind; Testaufgaben im Multiple-Choice-Format mit Rückmeldung (richtig/falsch). Um einen grundsätzlichen Anreiz zur Bearbeitung der LU zu schaffen, wurde diese in einem Präsenzvorkurs angeboten und dort Daten mit einer Stichprobe von 55 angehenden Studierenden mit Kernfach Physik erhoben. Die Studierenden arbeiteten an zwei Tagen für jeweils ca. 90 Minuten selbstbestimmt in der LU. Hierbei wurden eingegebene Lösungen gespeichert und das Navigationsverhalten in Logdateien protokolliert. Die Bearbeitungsprozesse wurden mittels einer latenten Profilanalyse klassifiziert, die in einem ersten Zugang auf einen Parameter des Prozesses fokussiert: die Bearbeitungsdauer einzelner Instruktionselemente im Verhältnis zur gesamten Bearbeitungsdauer. Vor der Bearbeitung der LU wurden das Fachwissen im Bereich der Mechanik sowie Dispositionen erhoben, die im Kontext des selbstregulierten Lernens relevant erscheinen (Fähigkeitsselbstkonzept, Selbstwirksamkeit, Selbstwertkontingenz, Zielorientierung, Fachinteresse). In einem Posttest nach der Bearbeitung der LU wurde erneut das Fachwissen erhoben. Die verwendeten Instrumente wurden ausgehend von bestehenden Instrumenten für das Fach Physik adaptiert; eine Prüfung der psychometrischen Kennwerte im Rahmen der Rasch-Modellierung zeigte eine gute Qualität der Messung. Um Unterschiede zwischen Bearbeitungsprozessen bzgl. Dispositionen bzw. Lernzuwachs zu untersuchen, wurde eine einfaktorielle ANOVA durchgeführt. Erste Ergebnisse Bei den Studierenden stellt sich ein deutlicher Lernzuwachs zwischen Prä- und Posttest ein (t(54) = 3.574, p < .001, d = 0.48), der auf eine lernwirksame Nutzung der LU hinweist. Die Bearbeitungsprozesse der Studierenden lassen sich vier plausiblen Aktivitätsprofilen zuordnen, wobei sich jedes durch gewisse Hauptaktivitäten auszeichnet: Profil A (50% Instruktionen, 13 Studierende), Profil B (35% Tests und 30% Instruktionen, 29 Studierende), Profil C (40% Übungsaufgaben, 8 Studierende) und Profil D (50% Kurzaufgaben, 5 Studierende). Hierbei konnte ein mittlerer, jedoch nicht signifikanter, Haupteffekt der Profilzugehörigkeit auf den Lernzuwachs beobachtet werden (F(3, 51) = 1.377, p = .260, η2 = 0.075). Bezogen auf die Dispositionen liegen mit einer Ausnahme keine Unterschiede zwischen Studierenden unterschiedlicher Aktivitätsprofile vor: Studierende, die überwiegend Instruktionen bearbeiten (Profil A), sind deutlich weniger annäherungsleistungszielorientiert als Studierende, die überwiegend Aufgaben bearbeiten (Profil C, d = -1.08, p = .079 bzw. Profil D, d = -1.12, p = .079). Dies scheint plausibel, da annäherungsleistungszielorientierte Studierende ihre Fähigkeiten demonstrieren und validieren möchten, was sich durch Bearbeiten von Aufgaben eher als durch Lesen von Texten erzielen lässt. Die Ergebnisse werden auf der GEBF 2024 diskutiert. Paper Session
Förderung von subjektivem Aufgabenwert durch Experimente im Mathematikunterricht 1Universität Potsdam/Institut für Mathematik, Deutschland; 2Otto-von-Guericke Universität Magdeburg Mathematisches Modellieren ist eine der Grundkompetenzen des Mathematiklernens (KMK, 2022). Beim mathematischen Modellieren werden Probleme der realen Welt, z. B. des Alltags, mathematisiert, eine mathematische Lösung erarbeitet, welche dann auf die reale Situation übertragen und der gesamte Lösungsprozess validiert wird. Trotz der hohen Relevanz für das gesellschaftliche Leben zeigen Studien, dass Schüler:innen innermathematische Aufgaben gegenüber Modellierungsaufgaben bevorzugen (Krawitz & Schukajlow, 2018). Die Erwartungs-Wert-Theorie nach Eccles und Wigfield (2020) befasst sich mit der Wirkung des subjektiven Aufgabenwerts. Dieser wird häufig in vier Komponenten unterteilt: der Wert der wahrgenommenen Wichtigkeit, der intrinsische Wert, die Nützlichkeit und die Kosten (Eccles & Wigfield, 2020). Den subjektiven Aufgabenwert von Modellierungsaufgaben durch den Einsatz von selbständig durchgeführten Experimenten zu steigern, steht im Fokus dieses Beitrags. Beumann (2016) zeigt in einer explorativen Studie, dass Experimente verknüpft mit Modellierungsaufgaben das situationale Interesse steigern können. Ganter (2013) begründet die Vorteile des Experimentierens in Verbindung mit Modellierungsaufgaben damit, dass authentische Erlebnisse Realitätsbezüge ermöglichen. Bisher ist jedoch noch unklar, welche Komponenten des subjektiven Aufgabenwerts mit der Einbettung von Experimenten gesteigert werden können: Inwiefern unterscheidet sich der subjektive Aufgabenwert bei Modellierungsaufgaben mit Experiment im Vergleich zu Modellierungsaufgaben ohne Experiment? Zur Beantwortung dieser Frage wurde ein Interventions-Kontrollgruppen-Design entwickelt. Die Interventionsbedingung „Modellierungsaufgabe mit Experiment“ soll mit zwei Kontrollbedingungen verglichen werden: „Modellierungsaufgabe mit realen Daten“ und „Modellierungsaufgabe mit geglätteten Daten“. Somit wird untersucht, ob bereits reale Daten authentische Erlebnisse ermöglichen und diese aufgrund des Reliabilitätsbezugs mit einem Unterschied im subjektiven Aufgabenwert einhergehen. Die Modellierungsaufgabe behandelt den Bierschaumzerfall von Malzbier, der mit einer Exponentialfunktion modelliert werden kann. Insgesamt nahmen 190 Schüler:innen aus neun Klassen an dieser Studie teil – n = 95 Interventionsgruppe Experimente, n = 39 Kontrollgruppe 1 reale Daten und n = 56 Kontrollgruppe 2 geglättete Daten. Die Bedingungen wurden klassenweise randomisiert. Die Schüler:innen bearbeiteten im Zeitfenster von 90 Minuten zunächst paarweise eine Modellierungsaufgabe, die sich in den drei Bedingungen nur darin unterschied, ob ein Experiment durchgeführt und mit welchen konkreten Daten modelliert wurde. Im Anschluss wurde mittels Fragebogen der subjektive Aufgabenwert erfasst. Für die vier Komponenten wurden erprobte, leicht angepasste Skalen à vier Items verwendet (sechs-stufige Likert-Skala von 1 = trifft nicht zu bis 6 = trifft zu), z.B. „Die Aufgabe hat mich erschöpft“ für die Skala Kosten (Dietrich et al., 2019, Cronbachs α > .79). Zur Analyse der Daten wurde eine MANOVA mit Bonferroni-korrigierten post-hoc Tests in SPSS 29 durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten Unterschied bezüglich der Bedingung (Wilks-Lambda = 0.85, F(8, 368) = 3,767, p < .001, η² = .076). Für den „Intrinsischen Wert“ ergibt sich ein signifikanter Unterschied mit mittlerem Effekt (p < .05, Cohen’s d = 0.508) zwischen den Bedingungen Experiment und geglätteten Daten, zugunsten der Aufgabe mit Experiment. Für den Wert der „Kosten“ wird ein signifikanter Unterschied zwischen den Bedingungen Experiment und realen Daten mit knapp mittlerem Effekt (p < .05, Cohens’ d=0.491) angezeigt. Dieser Effekt wirkt sich in höherer Bewertung der „Kosten“ bei der Aufgabe mit realen Daten aus. Alle anderen paarweisen Vergleiche waren nicht signifikant. Erwartungskonform aufgrund der Ergebnisse von Beumann (2016) zeigt sich, dass Schüler:innen mehr Freude bei der Bearbeitung von Modellierungsaufgaben mit Experiment berichteten als bei Modellierungsaufgaben mit geglätteten Daten. Bemerkenswert ist jedoch, dass die empfundenen Kosten bei den Modellierungsaufgaben mit realen Daten höher waren als bei der Modellierungsaufgabe mit dem selbstdurchzuführenden Experiment. Die Ergebnisse dieser Studie sind limitiert, da auf Klassenebene randomisiert wurde und die Stichprobe relativ klein ist. Die Ergebnisse sind ein erster Schritt zu verstehen, wie Modellierungsaufgaben mit Experimenten den subjektiven Aufgabenwert positiv beeinflussen können. |
12:10 - 13:10 | Mittagspause |
13:10 - 14:50 | 5-01: PISA 2022: Vertiefende Analysen für Erklärungsansätze der aktuellen PISA-Ergebnisse in Deutschland Ort: H05 |
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Eingeladenes Symposium
PISA 2022: Vertiefende Analysen für Erklärungsansätze der aktuellen PISA-Ergebnisse in Deutschland Im Rahmen der PISA-Studie wird untersucht, wie gut 15-jährige Schüler*innen gegen Ende ihrer Pflichtschulzeit alltagsnahe Aufgaben in Mathematik, im Lesen und in den Naturwissenschaften lösen können. Die Befunde der aktuellen PISA-Studie 2022 zeigen auf, dass für die Schüler*innen in Deutschland in allen drei Bereichen – Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen – Leistungseinbußen im Vergleich zu 2018 zu verzeichnen sind, die im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch ausfallen. Während die mittleren Kompetenzen der Jugendlichen in Deutschland 2018 in allen drei Bereichen noch über dem jeweiligen OECD-Durchschnitt lagen, ist dies in PISA 2022 nur noch für die naturwissenschaftliche Kompetenz der Fall. In Mathematik und im Lesen unterscheiden sich die Kompetenzen nicht mehr signifikant vom OECD-Durchschnitt. Die Gruppe der leistungsschwachen Schüler*innen, ist in Deutschland im Vergleich zu 2018 zudem in allen drei Bereichen gewachsen. Leistungsschwache Jugendliche werden mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne zusätzliche Förderung weder den Anforderungen weiterführender Schulen noch denen der beruflichen Ausbildung gewachsen sein. Ihr Anteil fällt an nicht gymnasialen Schulen, u.a. Haupt- oder Realschulen, deutlich höher aus als an Gymnasien. Diese Entwicklung kann durch mehreren Faktoren beeinflusst sein. Es kann davon ausgegangen werden, dass sowohl die Schulschließungen (vgl. Betthäuser, et al, 2023) und der damit verbundene Distanzunterricht (Lewalter, et al., 2023) negative Effekte hatten, als auch Merkmale der Schüler*innen (Diedrich, et al., 2023) sowie Merkmale des Unterrichts (Schiepe- Tiska, et al., 2023) mit den gefundenen Kompetenzniveaus in Zusammenhang stehen. Im Rahmen des Symposiums wird der gemeinsamen Forschungsfrage nachgegangen, inwiefern Merkmale der Schüler*innen als auch schulische Rahmenbedingungen und Merkmale des Unterrichts mit der Leistung der Schüler*innen in den verschiedenen Domänen in Zusammenhang stehen. Müller et al., untersuchen mittels latenter Profilanalysen den Zusammenhang von Merkmalskombinationen der Schüler*innen und deren Kompetenzen in den drei Domänen der PISA-Studie (Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften). Dabei stellen sie die gefundenen Profile und Zusammenhänge anhand der Daten der PISA-Studien aus 2018 und 2022 einander gegenüber. Kastorff untersucht in ihrem Beitrag den Zusammenhang zwischen schulischen und individuellen Gelingensbedingungen, wie beispielsweise die Ausstattung der Schulen mit materiellen und personellen ICT Ressourcen für den Lernerfolg in den Naturwissenschaften. Dabei wird zum einen ein Vergleich von Schüler*innen an Gymnasien sowie an nicht gymnasialen Schularten durchgeführt und zum anderen die Gruppe der leistungsschwachen Schüler*innen in den Blick genommen. Todtenhöfer et al., stellen demgegenüber den Unterricht im Fach Mathematik und seinen Bezug zu Bildungsstandards und mehrdimensionalen Bildungszielen in den Fokus ihrer Analysen. Sie gehen der Frage nach, inwieweit Prüfungsaufgaben, die den Unterrichtsstoff eines bestimmten Unterrichtszeitraums repräsentativ abbilden, Teilkompetenzen entsprechend der Bildungsstandards adressieren. Als Ergänzung wird der konstruierte Lebensweltbezug als ein mögliches motivationales Potenzial kompetenzorientierten Unterrichts hinzugezogen. Anschließend wird untersucht, wie Unterricht, der dieser inhaltlichen Ausrichtung folgt, mit den mehrdimensionalen Bildungszielen in PISA 2022 (Mathematikkompetenz, Freude und Interesse sowie instrumentelle Motivation) zusammenhängt. Diedrich et al, kombinieren verschiede Schüler*innenmerkmalesowie des Geschlechts und des sozioökonomischen beruflichen Status der Eltern in zusammenfassenden Regressionsanalysen. Als Kriterium wird die mathematische Kompetenz der Schüler*innen herangezogen. Die Analysen werden für alle Erhebungsrunden durchgeführt, in denen Mathematik Hauptdomäne war (2003, 2012 und 2022), sodass eine Entwicklung des Einflusses verschiedener Erklärungsfaktoren betrachtet werden kann. Beiträge des Symposiums Krisenrelevante Merkmalsprofile von Schüler*innen vor und nach der Pandemie Theoretischer Hintergrund und Fragestellungen Die Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wurden in einer Vielzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen (u.a. Betthäuser et al., 2023) untersucht. Die PISA 2022 Studie liefert ergänzend Hinweise auf die Rahmenbedingungen und Gestaltung des Distanzunterrichts in Deutschland und auf internationaler Ebene (Lewalter et al., 2023). Hierbei spielt auch der Einsatz digitaler Medien eine wichtige Rolle. Eine zentrale Frage ist, welche Merkmale von Schüler*innen mit einer erfolgreichen Bewältigung dieser Situation assoziiert sind und in diesen herausfordernden Lernumgebungen Vorteile bringen. Dieser Themenstellung geht der Beitrag anhand von Daten zu zwei Messzeitpunkten vor und nach der Pandemie nach. Resilienz (Rutter, 2006), die Fähigkeit zur Selbstregulation (Blume et al., 2021) sowie das Zugehörigkeitsgefühl zur Schule (Holzer et al., 2021) zählen zu Eigenschaften, die in Krisenzeiten einen besseren Umgang mit den einhergehenden Herausforderungen im Schulkontext nahelegen. Allgemein wird auch ein positives Fähigkeitsselbstkonzept als lernförderlich angesehen (Karlen et al., 2021). Mit Blick auf den Distanzunterricht ist der kompetente Umgang mit digitalen Medien vermutlich besonders relevant. Die genannten Merkmale treten nicht isoliert in Schüler*innen auf, sondern in verschiedenen Merkmalskombinationen, die in unterschiedlicher Weise mit Leistung zusammenhängen. Mit Blick auf die Situation vor und nach der Pandemie und die Ausprägung der Merkmale bei Schüler*innen in Deutschland stellen sich demnach die folgenden Forschungsfragen: 1. Welche Merkmalsprofile zeigen sich bei Schüler*innen in Deutschland vor und nach der Pandemie? 2. Gibt es Unterschiede zwischen Schüler*innen verschiedener Merkmalsprofile hinsichtlich der Kompetenz in den drei PISA-Domänen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften? Methode Die Fragestellungen werden anhand einer latenten Profilanalyse der Daten der PISA-Studie 2018 und PISA 2022 beantwortet. Die berücksichtigten Merkmale werden durch etablierte Skalen der PISA-Studie gemessen (Mang, et al., 2023), deren Ausprägungen die Werte 1 bis 4 annehmen können. Bei allen Werten handelt es sich um die Selbsteinschätzung der Jugendlichen. Alle Analysen werden in R (Version 4.2.2) durchgeführt. Es werden anhand der z-standardisierten Variablen ICT-Kompetenz, Resilienz, Selbstregulation, und Zugehörigkeitsgefühl zur Schule Merkmalsprofile erstellt und auf signifikante Unterschiede hin überprüft. Abschließend werden die Schüler*innen abhängig von ihrer Profilzugehörigkeit hinsichtlich ihrer Kompetenz in den drei PISA-Domänen (Mathematik, Lesen, Naturwissenschaften) beschrieben. Ergebnisse Die Schüler*innen (PISA 2018: N = 5451; PISA 2022: N = 6116) können auf Basis der verwendeten Merkmale bei PISA 2018 drei Profilen zugeordnet werden, die als „Mainstream“, „Vulnerable“ und „Außenseiter*innen“ bezeichnet werden. Mainstream zeichnet sich durch leicht überdurchschnittliche Werte in Selbstregulation, ICT-Kompetenz, Zugehörigkeitsgefühl und Resilienz aus. Die Vulnerablen und Außenseiter*innen weisen leicht unterdurchschnittliche Werte bei Selbstregulation, ICT-Kompetenz und Resilienz auf. Auch das Zugehörigkeitsgefühl zur Schule ist bei beiden Profilen unterdurchschnittlich, wobei die Außenseiter*innen für dieses Merkmal sehr viel niedrigere Werte aufweisen (M = - 2.4). Im Jahr 2018 schneiden die Außenseiter*innen und Vulnerablen in allen drei Domänen schlechter ab als der Durchschnitt. Die Kompetenzen des Mainstreams liegen in allen drei Bereichen über dem Durchschnitt. Bei PISA 2022 zeigen sich ebenfalls drei Profile die jedoch anders charakterisiert werden können, als jene in 2018: die „Allrounder*innen“, „Geeks“ und „Nonliner*innen“. Für die „Nonliner*innen“ liegen die Werte für ICT-Kompetenz im Mittel 1.35 SD unter dem Durchschnitt und diese Schüler*innen zeigen in allen drei Domänen unterdurchschnittliche Kompetenzen. Die „Allrounder*innen“ haben die höchsten Werte in Selbstregulation, ICT-Kompetenz und Zugehörigkeitsgefühl und erzielen in allen drei Domänen die höchsten Kompetenzwerte. Die Kompetenzen der „Geeks“ mit niedrigen Werten beim Zugehörigkeitsgefühl und zugleich überdurchschnittlichen Werten bei der ICT- Kompetenz liegen in allen drei Domänen im Durchschnitt. Bezüglich der Resilienz unterscheiden sich die Profile kaum. Im Vergleich zu den Ergebnissen für 2018 zeigt sich, dass die ICT-Kompetenz in größerem Maße mit dem Erreichen höherer Mathematikkompetenz assoziiert werden kann. Ein zusätzlich hohes Zugehörigkeitsgefühl zur Schule sowie hohe selbstregulative Fähigkeiten scheinen darüber hinaus zentral bei der Erreichung überdurchschnittlicher Kompetenzwerte. Post-Pandemic & lessons learned: schulische und individuelle Gelingensbedingungen des Lernerfolgs in den Naturwissenschaften - Evidenz aus PISA 2022 Theoretischer Hintergrund und Fragestellungen Naturwissenschaftliche Kompetenz ist von zentraler Bedeutung für Schüler*innen, damit sie in Bereichen wie dem Gesundheits- und Umweltschutz nicht nur aktiv handeln können, sondern auch die Folgen des eigenen Handelns einschätzen können (Sailer et al., 2021). Die naturwissenschaftliche Kompetenz ist zudem entscheidend für eine erfolgreiche Teilhabe an einer naturwissenschaftlich-technisch geprägten Gesellschaft (z. B., Schiepe-Tiska et al., 2019). Die aktuellen Ergebnisse der PISA Studie in 2022 zeigen jedoch, dass die Schüler*innen in Deutschland signifikant schlechter in den Naturwissenschaften abschnitten, als dies in PISA 2018 der Fall war (Kastorff et al., 2023). Schüler*innen an Gymnasien schneiden noch relativ gut in den Naturwissenschaften ab, während ein Drittel der Schüler*innen an nicht gymnasialen Schularten nicht die Kompetenzstufe II erreicht, die als kritische Hürde zur erfolgreichen Teilhabe an der naturwissenschaftlichen-technischen Gesellschaft gesehen wird. Folglich weisen die Befunde der aktuellen PISA-Studie auf, dass besonders bei Schüler*innen an nicht gymnasialen Schularten ein vermehrter Förderbedarf besteht und somit die Breitenförderung im Sinne einer naturwissenschaftlichen Kompetenz für alle nicht gelingt. Diese Befunde sind in Teilen auch mit der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Auswirkungen auf das Bildungswesen zu erklären (Betthäuser et al., 2023). Aufgrund der gravierenden aktuellen PISA Ergebnisse stellt sich die Frage, inwiefern sowohl schulische Gelingensbedingungen während der Corona-Pandemie, wie beispielsweise die Ausstattung der Schulen mit materiellen und personellen ICT Ressourcen als auch Maßnahmen zur Erhaltung des Unterrichtsgeschehens sowie individuelle Gelingensbedingungen auf Ebene der Schüler*innen, wie beispielsweise der sozioökonomische Status, in Deutschland während der Corona-Pandemie von Bedeutung waren. Im Rahmen des vorliegenden Beitrags werden daher die Fragestellungen untersucht, welche schulischen und individuellen Gelingensbedingungen für den Lernerfolg in den Naturwissenschaften ausgemacht werden können. Dabei wird auch auf einen Vergleich von Schüler*innen an Gymnasien sowie an nicht gymnasialen Schularten eingegangen. Methode An der PISA-Studie nahmen N = 6116 sowie N = 260 Schulleitungen in Deutschland teil. Von den teilnehmenden Schüler*innen besuchten N = 2273 Gymnasien und N = 3590 nicht gymnasiale Schularten. Als Datengrundlage des vorliegenden Beitrages diente zum einen der PISA Kompetenztest zur Messung der naturwissenschaftlichen Kompetenz von Fünfzehnjährigen. Zum anderen wurden die Antworten der Schüler*innen sowie der Schulleitungen basierend auf Fragebogendaten für die Analysen herangezogen, um sowohl individuelle als auch schulische Gelingensbedingungen in die Analysen einzubeziehen. Aufgrund der genesteten Datenstruktur wurden die Angaben der Schüler*innen und Schulleitungen mittels Mehrebenenanalysen in R analysiert. Ergebnisse und Diskussion Die Ergebnisse zeigen, dass bei Schüler*innen an nicht gymnasialen Schularten (ß = 6.78, SE = 2.78, p <.005) als auch an Gymnasien (ß = 11.58, SE = 3.91, p <.000 ) schulische Gelingensbedingungen wie beispielsweise Aktivitäten zur Erhaltung des Unterrichtsgeschehens während der Corona-Pandemie einen signifikant positiven Effekt auf die Naturwissenschaftliche Kompetenz aufweisen. Gleichzeitig zeigt sich, dass Probleme beim Selbstlernen der Schüler*innen, mit einer niedrigeren naturwissenschaftlichen Kompetenz bei Schüler*innen lediglich an Gymnasien assoziiert sind (ß = -15.82, SE= 3.26, p < .000). Zudem weist lediglich an nicht gymnasialen Schularten die Qualität der Ausstattung mit materiellen und personellen ICT-Ressourcen einen positiven Effekt auf die naturwissenschaftliche Kompetenz auf (ß = 9.67, SE = 4.85, p <.000). Insgesamt veranschaulichen die Ergebnisse die Relevanz schulischer Rahmenbedingungen für die naturwissenschaftliche Kompetenz auch während der Ausnahmesituation der Corona-Pandemie. Betrachtet man die Schüler*innen unterhalb Kompetenzstufe II gesondert, so konnten keine signifikanten Gelingensbedingungen auf Schulebene identifiziert werden. Die Diskussion der Ergebnisse erfolgt unter Berücksichtigung der schulischen und individuellen Faktoren, die in potenziellen zukünftigen Ausnahmesituationen entscheidend sein könnten, um den Erfolg im naturwissenschaftlichen Lernen aufrechtzuerhalten. Zwischen Prüfungsaufgaben und Leistung: Kompetenzorientierter Mathematikunterricht und mehrdimensionale Bildungsziele in PISA 2022 Theoretischer Hintergrund PISA 2022 hat gezeigt, dass die Schüler*innen in Deutschland im Vergleich zu vorherigen PISA-Erhebungsrunden eine geringere Mathematikkompetenz aufweisen (Diedrich et al., 2023). Eine zentrale Stellschraube, die Mathematikkompetenz zu verbessern, ist der Mathematikunterricht (Schiepe-Tiska et al., 2023). Bereits im Jahr 2002 wurden die nationalen Bildungsstandards entwickelt, um zu definieren, welche Kompetenzen Schüler*innen am Ende eines bestimmten Bildungsabschnittes erworben haben sollen (KMK, 2002). Die Bildungsstandards können zusätzlich um die Perspektive motivationaler Lernergebnisse erweitert werden (Schiepe-Tiska et al., 2021), die aufgrund der Umstellung zu kompetenzorientierten Lehrplänen mehr in den Fokus gerückt sind (KMK, 2010). Ziel eines kompetenzorientierten Unterrichts sollte folglich sein, sowohl die Kompetenzbereiche der Bildungsstandards (hier zusammengefasst in die Kategorien Fachkenntnisse, Fachmethoden, Kommunikation, Reflexion) als auch motivationale Aspekte (hier dargestellt durch den konstruierten Lebensweltbezug) in der Unterrichtsgestaltung abzudecken. Diese Unterrichtsgestaltung besteht im Mathematikunterricht zum Großteil aus Unterrichts- und Prüfungsaufgaben, deren Lösungen von Schüler*innen erarbeitet werden (Reiss & Hammer, 2021). Eine Analyse der Prüfungsaufgaben ermöglicht einen konkreten Einblick in das Unterrichtsangebot, da sie den Unterrichtsstoff eines bestimmten Unterrichtszeitraums repräsentativ abbilden sollen und besonderes Potenzial haben, das Erreichen mehrdimensionaler Bildungsziele zu fördern. Fragestellung Darauf basierend befassen sich folgenden Analysen zunächst mit der Frage, inwieweit die untersuchten Prüfungsaufgaben Teilkompetenzen entsprechend der Bildungsstandards adressieren. Als Ergänzung wird der konstruierte Lebensweltbezug als ein mögliches motivationales Potenzial kompetenzorientierten Unterrichts hinzugezogen. Anschließend wird untersucht, wie ein Unterricht, der dieser inhaltlichen Ausrichtung folgt, mit den mehrdimensionalen Bildungszielen in PISA 2022 (Mathematikkompetenz, Freude und Interesse sowie instrumentelle Motivation) zusammenhängt. Methode Die Daten basieren auf N = 891 Prüfungsanalyseeinheiten von 43 Lehrkräften, deren Klassen im Rahmen von PISA 2022 erfasst worden sind. Für die Analyse der Prüfungsaufgaben wurden im Rahmen von PISA-Ceco eingesetzte Klassenarbeiten aus dem Schuljahr 2021/2022 eingesammelt. Die Aufgaben wurden unter anderem in Bezug auf die Dimensionen „Orientierung an den Kompetenzbereichen der Bildungsstandards“ (Fachkenntnisse, Fachmethoden, Kommunikation, Reflexion) sowie in Bezug auf den konstruierten Lebensweltbezug als ein motivationsfördernder Faktor analysiert (ausführliches Kategorienschema: Heinle et al., 2023). Alle Kategorien wurden anhand dichotomer Antwortkategorien doppelt kodiert. Bei abweichenden Kodierungen einigten sich die Rater*innen auf einen Code. Diese Prüfungsaufgaben wurden mit dem klassenbasierten Datensatz der Schüler*innen aus PISA 2022 (rund N = 600) verbunden, um eine Verbindung der Schülerleistungen (Mathematikkompetenz, Freude und Interesse sowie Motivation) mit den genannten Unterrichtsmerkmalen (Fachkenntnisse, Fachmethoden, Kommunikation, Reflexion sowie der konstruierte Lebensweltbezug) herzustellen. Ergebnisse Bezogen auf die Orientierung der Prüfungsaufgaben an den Bildungsstandards zeigt sich, dass die Kategorien Fachkenntnisse (99.9%) und Fachmethoden (89.9%) in nahezu allen Prüfungsaufgaben vorkommen und daher grundsätzlich Bestandteil der Prüfungsaufgaben aller Lehrkräfte sind. In gewisser Hinsicht erfüllen die Prüfungsaufgaben aller Lehrkräfte Teilkompetenzen der Bildungsstandards. Das Kommunizieren (10.3%) wird hingegen nur in etwa einem Zehntel der Aufgaben verlangt und der Kompetenzbereich Reflexion (0.3%) ist so gut wie kein Bestandteil der Prüfungsaufgaben. Es wird erwartet, dass sich Unterschiede in der mathematischen Kompetenz und Motivation der Schüler*innen aus PISA 2022 zeigen, wenn zu den gegebenen Fachkenntnissen und Fachmethoden zusätzlich Kommunikation als kreativer Umgang mit Mathematik hinzukommt. 30.2 % der Lehrkräfte fordern ausschließlich die Kompetenzbereiche Fachkenntnisse und Fachmethoden, entsprechend 69.8 % der Lehrkräfte zusätzlich den Kompetenzbereich Kommunikation 90.7 % der Lehrkräfte gestalten ihre Prüfungsaufgabe grundsätzlich mithilfe eines konstruierten Lebensweltbezugs. Ein genauerer Blick in die Ergebnisse zeigt allerdings, dass sich der konstruierte Lebensweltbezug insgesamt in nur einem Viertel der Aufgaben (26.4 %) wiederfindet und somit von den Lehrkräften nicht konstant eingesetzt wird. In einem abschließenden Schritt wird überprüft, ob das zusätzliche Fordern von Kommunikation zu einer höheren mathematischen Kompetenz oder zu einer höheren Motivation führt. Anschließend wird untersucht, ob der konstruierte Lebensweltbezug als motivationales Potenzial der Aufgaben einen Einfluss auf die Mathematikkompetenz, die Freude und das Interesse sowie die Motivation der Schüler*innen in PISA 2022 hat. Entwicklung der mathematischen Kompetenz in PISA und ihre Prädiktoren Theoretischer Hintergrund Die mathematische Kompetenz Fünfzehnjähriger liegt in PISA 2022 in Deutschland (M = 475 Punkte) nicht mehr signifikant über dem Durchschnitt der OECD-Staaten (M = 472 Punkte). Diese durchschnittliche Kompetenz liegt auch unter jener in PISA 2003 (M = 503 Punkte) und 2012 (M = 514 Punkte), als Mathematik zuletzt jeweils Hauptdomäne war. Zur Einordnung der Kompetenzen wird in PISA stets das Geschlecht sowie der sozioökonomische berufliche Status der Eltern erhoben. Für die Hauptdomäne werden zudem in PISA auch die domänenspezifischen Emotionen, Motivationen und Einstellungen erfragt. In PISA 2022, wie auch in 2003 und 2012, zeigten Jungen höhere mathematische Kompetenzen als Mädchen (Diedrich, Reinhold, Heinze, & Reiss, 2023) und der Zusammenhang des sozioökonomischen beruflichen Status der Eltern mit der Kompetenz der Jugendlichen hat sich seit 2012 nicht verändert (Mang et al., 2023). Im Bereich der mathematikbezogenen Merkmale der Schüler*innen waren von PISA 2003 bis 2012 nur geringe und zwischen 2012 und 2022 signifikante Veränderungen zu verzeichnen: die mathematikbezogene Ängstlichkeit nahm seit 2012 signifikant zu, während Freude und Interesse an Mathematik, mathematikbezogene instrumentelle Motivation sowie Selbstwirksamkeitserwartung hinsichtlich innermathematischer und einfacher Anwendungsaufgaben signifikant abnahmen (Diedrich, Patzl, Seßler, & Reinhold, 2023). Der vorliegende Beitrag kombiniert diese einzelnen Merkmale in gemeinsamen Regressionsanalysen. Fragestellung Wie viel Varianz an der mathematischen Kompetenz Fünfzehnjähriger kann durch folgende Faktoren aufgeklärt werden? 1. die mathematikbezogene Ängstlichkeit, Freude und Interesse an Mathematik, mathematikbezogene instrumentelle Motivation sowie Selbstwirksamkeitserwartung? 2. das Geschlecht? 3. den sozioökonomischen beruflichen Status der Eltern? Methode Zur Beantwortung der Fragestellungen wird die mathematische Kompetenz in drei Regressionsmodellen vorhergesagt durch 1) die mathematikbezogenen Emotionen, Motivationen und Einstellungen, 2) ergänzt um das Geschlecht sowie 3) ergänzt um den sozioökonomischen beruflichen Status der Eltern. Diese Modelle werden getrennt für die Erhebungsrunden 2003, 2012 und 2022 gerechnet, in denen Mathematik jeweils die Hauptdomäne war. Das Kriterium wurde auf Basis der Plausible Values geschätzt. Die Merkmale des ersten Modells wurden im Schüler*innenfragebogen erhoben. Um die Vergleichbarkeit trotz leicht veränderter Zusammensetzung des Fragebogens zu gewährleisten wurden die vier Merkmale reskaliert (Lewalter et al., 2023; Abschnitt 12.7). Beim Geschlecht wurde die Angabe aus der Schüler*innenlistung verwendet und der sozioökonomische berufliche Status (HISEI) wurde dem Elternfragebogen entnommen. Alle Analysen wurden mittels des IDB Analyzer 5.0 (IEA, 2023) durchgeführt. Ergebnisse In allen Modellen klärt die mathematikbezogene Ängstlichkeit sowie die Selbstwirksamkeitserwartung einen signifikanten Anteil an der Varianz der mathematischen Kompetenz auf. Für die Ängstlichkeit variiert dieser Anteil von β = -.13 (2022) bis β = -.22 (2012). Die Selbstwirksamkeitserwartung variiert zwischen β = .50 (2012) und β = .42 (2022). Die Selbstwirksamkeitserwartung ist ein stärkerer Prädiktor als der sozioökonomische berufliche Status der Eltern (β = .28 (2003); β = .27 (2012 und 2022)). Das Geschlecht klärt nur in 2012 einen signifikanten aber marginalen Anteil an der Varianz in der mathematischen Kompetenz (β = -.05) auf. Freude und Interesse an Mathematik sowie mathematikbezogene instrumentelle Motivation sind nur in PISA 2003 signifikante Prädiktoren der mathematischen Kompetenz Fünfzehnjähriger. Insgesamt werden durch die Merkmale in den drei Modelle in allen Jahren substantielle Anteil an der mathematischen Kompetenz vorhergesagt (R² = .37 (2003); R² = .39 (2012); R² = .33 (2022)). Diese Befunde stehen im Einklang mit bisherigen Meta-Analysen zum Zusammenhang der Ängstlichkeit (Ma, 1999) sowie der Selbstwirksamkeitserwartung (Reinhold, et al, under review) mit der Leistung in Mathematik. Insbesonder die Bedeutung der Selbstwirksamkeitserwartung („Mit Hilfe eines Zugfahrplanes ausrechnen, wie lange man von einem Ort zum anderen brauchen würde“) wird im Beitrag kritisch diskutiert. |
13:10 - 14:50 | 5-02: Infoshop – Eine Reise durch das #instalehrerzimmer: Zukunft des Wissen(schaft)stransfers? Ort: H04 |
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Offenes Beitragsformat
Infoshop – Eine Reise durch das #instalehrerzimmer: Zukunft des Wissen(schaft)stransfers? 1Humboldt-Universität zu Berlin; 2Universität Münster; 3Windeck-Gymnasium Bühl; 4Universität Osnabrück Wissen(schaft)stransfer ist seit einigen Jahren eine Leistungsdimension und Kernaufgabe wissenschaftlicher Einrichtungen (Wissenschaftsrat, 2016, 2021), wird vom aktuellen Koalitionsvertrag als zentrales Ziel der Legislaturperiode aufgeführt (Koalitionsvertrag, 2021) und hat in den vergangenen Jahren auch bildungspolitischen Aufwind bekommen: So weist das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in seinem “Rahmenprogramm Empirische Bildungsforschung” der Transferthematik einen besonderen Stellenwert zu (BMBF, 2018) und auch die Kultusministerkonferenz betont in ihrer überarbeiteten Gesamtstrategie zum Bildungsmonitoring, mehr anwendungsbezogenes Wissen und wissenschaftliche Erkenntnisse für bildungspraktische Handlungsfelder bereitzustellen und zu verbreiten (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder [KMK], 2016). Trotz derlei Aktivitäten und Bemühungen liegt bislang jedoch keine differenzierte und konsensfähige Definition vor, was unter einem Wissenschafts-Praxis-Transfers im schulischen Kontext verstanden wird (Hartmann et al., 2016; Manitius & van Holt, 2019; Rolff, 2019). Doch nicht nur der Wissen(schaft)stransfer, ebenso auch die Wissenschaftskommunikation als Kommunikation über wissenschaftliche Fragestellungen zwischen Akteur*innen aus der Wissenschaft und der Gesellschaft gewinnt immer mehr an Bedeutung (Frick & Seltmann, 2023). Auch hier mangelt es bislang an einer einheitlichen Begriffsbestimmung und einer differenzierten Abgrenzung, wenngleich einerseits erste Versuche die Wissenschaftskommunikation dem Handlungsfeld Wissenstransfer zuordnen. Andererseits grenzt sich die Wissenschaftskommunikation vom Wissenstransfer dahingehend ab, da es nicht um eine unidirektionale, gezielte Verbreitung von Forschungswissen geht (Dissemination), sondern um Aspekte des gesellschaftlichen Dialogs und schließt damit alle Aspekte der Kommunikation wissenschaftlicher Arbeit und deren Ergebnisse zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Praxis mit ein (Fahrer et al., 2022; Schuldt-Baumgartner & Lux, 2022). Unterschieden wird nach diesem Verständnis zwischen interner Wissenschaftskommunikation, in der vorrangig innerhalb der eigenen Fachcommunity kommuniziert wird (Science-to-Science) und externer Wissenschaftskommunikation, (Science-to-Public und Public-to-Science), dem vielseitigen Austausch zwischen der Wissenschaft und einem breiten Publikum aus anderen Teilsystemen (Dorgruel & Beck, 2017; Frick & Seltmann, 2023). Insbesondere die externe Wissenschaftskommunikation durch Soziale Medien rückt immer mehr in den Fokus des wissenschaftskommunikativen Diskurses (Fähnrich & Schäfer, 2020; Siegel et al., 2021; Wissenschaftsrat, 2021), wenngleich sich im Kontext der deutschsprachigen Bildungs- und Erziehungswissenschaft(en) nur vereinzelte theoretische sowie empirische Beiträge dazu finden lassen (z. B. Fütterer et al., 2021; Kruse et al., 2023; Richter et al., 2022). Dabei zeigt sich genau hier eine Aktualität, der Betrachtung geschenkt werden muss: Immer mehr Lehrkräfte tauschen sich fernab des klassischen schulinternen Lehrer*innenzimmers über Schule, Unterricht und Lehr-Lernmaterialien aus (Conze ez al., 2020; Kruse et al., 2023). So hat sich auf dem sozialen Netzwerk Instagram unter dem Hashtag #instalehrerzimmer (instagram, 2023) mit mehr als 366.000 Beiträgen ein Forum der Kommunikation zwischen Lehrkräften etabliert, welches die Grenzen zwischen Wissenschaftskommunikation, Wissen(schaft)stransfer und die jeweiligen Verantwortungsbereiche für den Transfer verschiebt: Dort wechseln sich nach „Gutdünken“ erstellte Materialien von Contentcreator*innen mit wissenschaftlich evaluierten Lehr- Lernmaterialien ab, so dass ein nicht mehr übersehbares Gemisch aus Materialien entsteht, das binnen eines Klicks zehntausende Lehrkräfte erreicht und das die eigentliche Intention eines qualitativen Wissenstransfers im schlimmsten Fall konterkariert. Genau hier möchte unser Infoshop, der aus vier Teilen besteht, ansetzen:
Geplant ist eine Kombination aus wissenschaftlicher Informationsveranstaltung und Workshop (Infoshop), in dem vor allem diskussionsorientiert folgende Punkte adressiert werden sollen:
Im Sinne des Wissenstransfers und des Wissenschafts-Praxis-Transfers und vor allem im Sinne des Themas der Tagung wollen wir mit einem eigenen Filmteam diesen Infoshop filmen und anschließend in gekürzter, attraktiver Version reichweitenstark über unsere eigenen Kanäle (zwischen 11.000 und 128.000 Follower*innen) via Instagram und YouTube veröffentlichen. Somit soll der Community im #instalehrerzimmer gezeigt werden, was die empirische Bildungsforschung für die Praxis leistet und welche Fragen wir uns stellen, um Wissen(schaft)stransfer und Lehrkräfteprofessionalisierung in Zukunft pointierter und nachhaltiger zu unterstützen, und um viele Lehrkräfte letztlich dort abzuholen, wo sie „stehen“: bei Instagram. Die geplante Veranstaltung könnte nicht stärker am aktuellen Trendgeschehen im Rahmen der sozialen Medien ansetzen und platziert den von uns thematisierten Wissen(schaft)stransfer als einen wichtigen Forschungsgegenstand der empirischen Bildungsforschung in das Zentrum. Die Frage ist: Wollen wir das #instalehrerzimmer betreten oder lassen wir die digitale Tür geschlossen? Zeit, dies gemeinsam und diskursiv zu klären. |
13:10 - 14:50 | 5-03: How to Promote Adaptive Teaching and Learning with Educational Technology? Ort: H03 |
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Symposium
How to Promote Adaptive Teaching and Learning with Educational Technology? Adaptive teaching and learning have been discussed in educational practice for several decades (Corno, 2008; Tetzlaff et al., 2021). The idea of adaptive teaching is to tailor teaching practices towards students’ pre-requisites to enhance their learning outcomes. Compared to traditional one-size-fits-all approaches, adaptive teaching radically changes the mode of teaching, as it puts students’ needs in the focus (Corno, 2008; Karst et al., 2022; Tetzlaff et al., 2021). Students have different cognitive (e.g., prior knowledge), meta-cognitive (e.g., monitoring one’s own learning process), and motivational (e.g., interest) pre-requisites which require distinct instructional strategies. In the context of adaptive teaching, learning not only comprises the accumulation of knowledge, which is often measured by learning gains, but also enhancements of self-regulation skills that enable students to monitor and regulate their learning strategies. Adaptive teaching comprises a reciprocal loop (Corno, 2008; Tetzlaff et al., 2021) that contains formative assessments, micro-, and macro adaptions: With initial formative assessments, relevant learning pre-requisites are assessed (e.g., concerning knowledge, self-regulated learning, motivation). Based on the formative assessment, teaching or instruction is adapted on a macro level (e.g., tasks with different levels of difficulty) or on a micro level (e.g., specific moment-to-moment adaptations, such as feedback or additional support). Providing students with adaptive support during their learning process is a continuing challenge for teachers, as they must iteratively assess students’ current learning progress to provide adaptations on the macro and the micro level. Educational technologies can help to support adaptive teaching and to realize adaptive learning settings. Online quizzes for instance allow a formative diagnosis of students’ current understanding with immediate feedback of correct and wrong answers. We present a symposium with three contributions that focus on different approaches to explore the effect of technology-based adaptive learning and teaching. Contribution 1 provides an overview by presenting a systematic thematic review of the conceptualizations and operationalizations of adaptive teaching and learning, highlighting educational technology as one key constituent of adaptive teaching and learning. Contribution 2 presents a field study, in which researchers and teachers collaboratively designed and implemented technology-based adaptive teaching units in real classroom scenarios over a duration of three to four weeks. The authors investigated students’ cognitive (learning) and meta-cognitive (monitoring accuracy) outcomes. Contribution 3 demonstrates an adaptive app which was tested in a longitudinal study with secondary school students. The app was adaptive to students’ individual lives and effects on students’ learning outcomes and behavior were investigated. To summarize, our symposium provides a systematic overview of adaptive conceptualizations, presents good practice examples for how to design technology-based adaptive teaching units, and showcases a specific adaptive tool for students. The symposium will be discussed by an expert of adaptive teaching and learning with educational technologies which will enrich and expand the three contributions. Beiträge des Symposiums Adaptive Learning, Instruction, and Teaching: A Systematic Thematic Review to Pinpoint the Common Core and Distinguishing Features of a Big Educational Idea Personalized, individualized, differentiated, and adaptive learning, instruction, and teaching (LIT) are big educational ideas that are an alternative to the prevailing one-size-fits-all educational model of many school systems (Ohanian, 1999). These approaches have grown popular in recent years due to technological innovations and affordances that open up new ways of designing, implementing, and scaling them (Kerr, 2016; Plass & Pawar, 2020). While their meanings seem straightforward, their definitions are actually not clear cut. Consequently, it is also nebulous how these educational approaches relate to and are distinct from each other. Definitions in educational literature range from adaptive as an umbrella term for personalized and individualized instruction (Tetzlaff et al., 2021), to these terms being inseparably connected (e.g., Peng et al., 2019), to defining one term through the other(s) (e.g., Li et al., 2021; Taylor et al. 2021), to those that make no explicit reference to the overlap of these terms and use multiple terms interchangeably (e.g., Gómez at al., 2014; Park et al., 2019; Serra & Gilabert, 2021). As we put high hopes into what these educational approaches can achieve, especially with respect to supporting each student to reach their full potential in increasingly diverse and heterogeneous student populations, we are conducting a multiple phases systematic thematic review to pinpoint the common core and distinguishing features of the four big ideas. We report on the first phase of the review in which we focus solely on adaptive LIT. We searched the databases ERIC and PsycInfo to identify all peer-reviewed publications about adaptive LIT in primary and secondary education from 2018-2022. We used the software CADIMA (Kohl et al., 2018) to conduct and document the systematic review process. From 605 initial search results, 555 were unique records. Through trained screening of titles and abstracts, we identified 136 relevant publications. We developed and iterated a codebook for full text screening and data extraction to answer our research question if and how adaptive LIT is defined and whether it is explicitly or implicitly separated or linked to the other big ideas. All 136 full papers were coded by two researchers who also annotated text passages that fell under the codes “conceptualization” or “operationalization” using the software Dedoose (2021). Annotated data was extracted, discussed and combined to a final data set of conceptualizations and operationalizations. This data was thematically coded. Our goal for this work is to find the consensus and discern distinctions among the conceptualizations and operationalizations of adaptive LIT. This analysis approach allows us to present the frequencies as well as rich insights into the core of adaptive LIT as well as its dimensions. We will present the results of our systematic thematic review on adaptive LIT and talk about our next steps to complete the review in its full scope spanning not only adaptive but also personalized, individualized, and differentiated LIT. We argue that this work can encourage researchers to be explicit about the meaning of terms we use to decrease siloing in educational research and increase collaborative knowledge construction. This will allow us to connect research evidence that is generated under various terms and help identify what we already know about adaptive LIT, its common core, and distinct features. Breaking down the big idea into actionable pieces will also support its implementation into practice. When adaptive LIT is discussed as a set of strategies or specific activity structures that are tangible, practitioners will realize the ways in which they already teach adaptively or how they can adopt adaptive practice into their teaching routines. This might ultimately drive change towards a more tailored educational practice. Adaptive Learning, and Teaching in the Wild: How to Design and Implement Educational Technology for Adaptive Teaching Integrating educational technology in learning environments has become paramount for subject-specific teaching, as it allows to contribute to students’ cognitive (learning) and meta-cognitive (monitoring accuracy) competencies. A crucial potential of educational technology is the design of adaptive and personalized learning environments (Aleven et al., 2016), as it allows to productively handle the increasing heterogeneity among students in the classroom. However, little is still known about how educational technology should be implemented in classrooms to realize adaptive learning environments. Thus, evidence-based practice examples are needed that demonstrate an effective use of educational technology for adaptive teaching. Against this background, we adopted a co-design approach (Roschelle et al., 2006) in which teachers and researchers equitably contributed to the design of adaptive teaching environments, combining research evidence with the demands and requirements of educational practice. Within the co-design, we developed eight adaptive teaching units (duration: 3-4 weeks) across central topics and subjects of the German curriculum (e.g., German, Mathematics, Ethics). We followed a quasi-experimental control-group pre-post-(four-week)delayed design with a total of 16 classes and N = 395 secondary school students. To examine the generalizability of adaptive teaching effects, we adopted a ManyClasses approach (Fyfe et al., 2021) to investigate whether the technology-based adaptive teaching units resulted in higher learning outcomes and better monitoring accuracy compared to the control classes which were engaged in business-as-usual teaching units (pre-registered via as.predicted). We used multiple imputations to handle missing data and used cluster-robust estimation of fixed effect models to account for the correlated error terms within a cluster (i.e., students within classes) but independent error terms across clusters (see Cameron & Miller, 2015). Since data collection has just been finished, we report preliminary results in this submission and will present more extensive results at the GEBF conference. Preliminary results revealed a small effect of the technology-based teaching units compared to the control group regarding students’ learning outcome (b = 0.22, p = .005). No differences regarding students’ monitoring accuracy were found (b = - 0.18, p = .220). However, the adaptive teaching units did not result in lasting learning, since there were no differences among teaching units – neither regarding students’ learning outcome (b = 0.06, p = .781) nor regarding their monitoring accuracy (b = 0.09, p = .505). To unpack these findings, we will explore potential boundary conditions which we will be presented at the conference. The findings provide first evidence that technology-based adaptive teaching lessons may be a fruitful approach to address students’ heterogeneity and to improve their learning. In this context, we regard the co-design as an effective approach to investigate research questions in “the wild” as it combines research evidence with the needs and experiences of educational practice. Our teaching units have increased students’ learning but did not result in lasting learning. Even though students participated in the teaching units for three to four weeks, there were no differences regarding students’ learning outcomes in the technology-based adaptive teaching units or the control groups in the four-weeks delayed posttest. More research is needed on how adaptive teaching can result in lasting learning. All in all, our research will contribute to a better understanding of adaptive teaching processes in authentic contexts and illustrates that co-designs can be a successful approach to productively investigate research questions in classrooms. Personalized Self-Made Plans Help Children Maintain a Regular Study Routine: A Mobile Intervention Study Learning in digital environments requires self-regulation. While these environments allow learners to study more flexibly, learners typically receive less instructional support than they would in a classroom. For self-study to be successful, a choice of effective learning activities is crucial (Dunlosky et al., 2013). One such learning activity is the distribution of study over multiple sessions (distributed practice; Cepeda et al., 2006; Dunlosky et al., 2013). However, studies have shown that younger students in particular tend to make little use of this strategy (Dirkx et al., 2019). Therefore, interventions are needed that have long-lasting effects and can be integrated into students’ daily lives. Mobile technology allows interventions to be integrated into daily life and intervention prompts to be repeated over time for lasting impact. Such interventions could take the form of reminders instructing students to study. However, since failure to start and maintain goal striving is a volitional problem even among adults (Gollwitzer & Sheeran, 2006), it seems reasonable that younger students would struggle in that regard as well. Simple reminders might not be enough to bridge the gap between intention and action. We therefore employed a volitional strategy – implementation intentions (Gollwitzer & Sheeran, 2006) – to help younger students use a vocabulary learning app more regularly. Implementation intentions are if-then plans that link a situational cue to a goal-directed action (Gollwitzer, 1999). In forming implementation intentions for distributed practice, students need to determine when and where to study. Not all students will share an ideal situation that should cue studying. This means that the plans should be personalized – students should create their own plan based on what works best for them. In an intensive longitudinal study, we compared the effects of simple reminders and implementation intentions on children’s study behavior. The sample consisted of N = 130 fifth graders (Mage=10.75 years). The students were asked to use both a study app created by us and a vocabulary learning app for 37 days. This allowed us to base our analyses on objective study data. The study app included daily questionnaires as well as the intervention. All students first watched a video explaining the benefits of distributed practice. A full intervention group additionally was asked to create their own implementation intention building on situations regularly occurring in their lives. Over the course of the following 36 days, they were regularly reminded of both the benefits of distributed practice and their implementation intention. The reminder group only watched the video on distributed practice and received the reminder on the benefits of distributed practice but did not form an implementation intention. The plan group created a personalized implementation intention but received no reminders at all. Children in the full intervention group studied more often than those in the other two groups (𝛘2(2) = 7.78, p = .020). In the groups that received reminders, children were more likely to study on days when they received a reminder (b = 0.87, 𝛘2(1) = 18.50, p < .001). When looking into the development of students’ study behavior over time, we found that the likelihood that students studied decreased faster in the group that did not form an implementation intention than in the other two groups (b = -0.05, 𝛘2(1) = 7.38, p = .007; b = -0.04, 𝛘2(1) = 4.26, p = .039). Forming a personalized implementation intention thus buffered the decrease in likelihood to study. Overall, all groups seemed to profit from our intervention. However, the personalized implementation intentions based on children’s individual lives had a longer lasting positive effect than the simple distributed practice reminder. |
13:10 - 14:50 | 5-04: Qualifizierung von Lehrkräften und Schulleitungen an Schulen in herausfordernden Lagen: Bedarfe und Angebote Ort: H02 |
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Symposium
Qualifizierung von Lehrkräften und Schulleitungen an Schulen in herausfordernden Lagen: Bedarfe und Angebote Die sozio-kulturelle Herkunft von Schüler:innen ist eng verbunden mit dem Erwerb sprachlicher und mathematischer Kompetenzen, vollzogenen Bildungsübergängen und erworbenen Abschlüssen (Maaz & Dumont, 2019; Maaz, Neumann & Baumert, 2014). Die sozialen Disparitäten haben sich in Deutschland in den vergangenen Jahren sogar noch verstärkt (Stanat et al., 2022): Grundschulkinder aus Familien mit einem geringeren sozialen Status sowie Schüler:innen mit Migrationshintergrund verzeichnen stärkere Kompetenzrückgänge als Schüler:innen aus sozial privilegierteren Familien und ohne Zuwanderungshintergrund (Henschel et al., 2022; Sachse et al., 2022). Dies stellt sowohl das Bildungssystem als auch die Bildungsforschung vor besondere Herausforderungen, um Lehrkräfte an Schulen in herausfordernden Lagen gezielt zu unterstützen. Daher beleuchten die vier Beiträge dieses Symposiums die Frage, wie Schulen in herausfordernden Lagen einerseits durch Schul- und Unterrichtsentwicklung und andererseits durch die Professionalisierung der Lehrkräfte, Schulleitungen sowie des weiteren pädagogischen Personals dabei unterstützt werden können, die Bildungschancen ihrer Schüler:innen zu stärken. Dazu werden Daten aus dem Verbundprojekt „Schule macht stark“ (SchuMaS) genutzt, welches deutschlandweit mit rund 200 Schulen in herausfordernden Lagen zusammenarbeitet und ihnen verschiedene forschungsbasierte Fortbildungsformate sowie den Austausch in sog. Schulleitungsnetzwerktreffen anbietet. Bei der Entwicklung von geeigneten Unterstützungsangeboten stellt die Erfassung der individuellen Bedarfe von Lehrkräften und Schulleitungen ein wichtiges Element dar. Nur so können passgenaue Inhalte gestaltet werden, die von der Zielgruppe als relevant erachtet und langfristig in der Schulpraxis verankert werden (van Ackeren et al., 2021). Daher wird zunächst ein Beitrag vorgestellt, der die Qualifizierungsbedarfe von Lehrkräften an Schulen im „Schule macht stark“-Verbund untersucht. Es wurde erfasst, welche subjektiven Fortbildungsbedarfe Lehrkräfte an diesen Schulen in herausfordernden Lagen für sich selbst wahrnehmen und in welchen Kompetenzbereichen sie sich besonders sicher fühlen. Dabei analysieren sie auch schulformbezogene Unterschiede in der Wahrnehmung von Lehrkräften an Grundschulen und weiterführenden Schulen. Die nachfolgenden zwei Beiträge evaluieren Maßnahmen, die Schulen in herausfordernden Lagen befähigen sollen, Qualifizierungs- und Handlungsbedarfe eigenständig zu identifizieren. Zum einen wurde mit Teilnehmenden von Schulleitungsnetzwerktreffen eine zweiteilige Qualifizierungsmaßnahme zur datengestützten Qualitätsentwicklung ihrer Schulen durchgeführt und mittels eines quasi-experimentellen Prä-Post-Kontrollgruppendesigns evaluiert. Zum anderen wurde den Schulen aus dem SchuMaS-Verbund angeboten, Evidenzteams an ihren Schulen zu etablieren, um gemeinsam die datengestützte Qualitätsentwicklung voranzutreiben. Die Nutzung und Qualität dieses Angebots untersuchten sie mithilfe von Längsschnittdaten. Um einen umfassenden Einblick in die Unterstützungsangebote für Schulen in herausfordernden Lagen zu bieten und neben den fachübergreifenden Angeboten auf schulischer Ebene auch fachbezogene Angebote für individuelle Lehrkräfte vorzustellen, wird abschließend auf das Konzept und erste Evaluationsergebnisse von Modulen zur Unterrichtsentwicklung von Deutschlehrkräften eingegangen. Zudem wird analysiert, wie unterschiedliche Formate (synchron vs. asynchron) sich auf das Nutzungsverhalten auswirken. Insgesamt können die Beiträge des Symposiums somit nicht nur Erkenntnisse darüber liefern, welche Inhalte Qualifizierungsangebote an Schulen in herausfordernden Lagen adressieren sollten, sondern auch, welche Angebotsformate dabei vielversprechend erscheinen. Die Gesamtschau aller Beiträge zieht erste Schlüsse für die Konzeption und Evaluation von passgenauen Qualifizierungsangeboten an Schulen in herausfordernden Lagen. Beiträge des Symposiums Subjektive Fortbildungsbedarfe von Lehrkräften an Schulen in herausfordernden Lagen: ein Schulartvergleich Theoretischer Hintergrund Die jüngsten Ergebnisse von nationalen Schulleistungsuntersuchungen in der Primarstufe (z. B. IQB-Bildungstrend; Stanat et al (2021) und IGLU 2021; McElveny et al. (2023)) berichten zunehmende Lernschwierigkeiten deutscher Grundschulkinder, besonders bei denen aus sozial benachteiligten Familien. Diese Befunde konnten für die sprachlichen Fächer in der Sekundarstufe I durch den IQB-Bildungstrend 2022 sogar bestätigt werden (Stanat et al., 2023). An Schulen in herausfordernden Lagen, also mit einem hohen Anteil an Schüler:innen aus sozial benachteiligten Familien, befinden sich überzufällig viele Schüler:innen mit ungünstigen Lernvoraussetzungen (z. B. motivationale Probleme, Hoglund et al., 2015) und mit einer schlechteren physischen und psychischen Gesundheit sowie sozial-emotionalen Problemen (für einen Überblick siehe Bradley & Corwyn, 2002). Die Qualität der schulischen Lernumwelt und Unterstützung scheint bei diesen Schüler:innen von besonderer Bedeutung zu sein. Um Lehrkräfte bei der Bewältigung dieser beruflichen Anforderungen zu unterstützen, ist die Professionalisierung durch regelmäßige Fortbildungen essenziell. Allerdings zeigen Studien, dass nicht alle Lehrkräfte regelmäßig Fortbildungen besuchen (Kuschel et al., 2020), was unter anderem an einer fehlenden Passung zwischen den Inhalten der angebotenen Fortbildungen und den individuellen Bedarfen der Lehrkräfte liegen könnte. Vor dem Hintergrund der besonderen Anforderungen von Lehrkräften an Schulen in herausfordernder Lage untersucht der Beitrag Unterschiede in subjektiven Fortbildungsbedarfen zwischen Grundschulen und weiterführenden Schulen in herausfordernden Lagen. Subjektive Fortbildungsbedarfe verstehen wir als Themenbereiche, in denen sich Lehrkräfte selbst weiterbilden möchten. Darüber hinaus ist aber unklar, inwieweit themenspezifische Einschätzungen einen globalen Fortbildungsbedarf repräsentieren und wie interindividuellen Unterschiede in diesen Bedarfen erklärt werden können. Fragestellungen 1) Unterscheiden sich Lehrkräfte an Grundschulen und weiterführenden Schulen in herausfordernden Lagen in ihrem globalem und themenspezifischen Fortbildungsbedarf? 2) Inwieweit lassen sich globale und themenspezifische Fortbildungsbedarfe unter Kontrolle der Schulform von individuellen (emotionale Erschöpfung, Kompetenzeinschätzung) und schulischen Merkmalen (Kooperationstätigkeit) erklären? Methode Wir analysieren Befragungsdaten von 2,624 Lehrkräften (80% weiblich, 2.6% divers oder fehlend) aus 119 Grundschulen und 68 weiterführenden Schulen in herausfordernden Lagen. Die Befragten gaben ihren subjektiven Fortbildungsbedarf (0 = kein Bedarf bis 6 = großer Bedarf) und ihre Kompetenzeinschätzung (0 = nicht sicher bis 6 = sehr sicher) für ausgewählte Themenbereiche an (10 Items), die wir jeweils faktoranalytisch zu den vier Kompetenzbereichen zusammenfassten (.70 ≥ α ≥ .87). Zudem wurde die emotionale Erschöpfung (α = .85; Enzmann & Kleiber, 1989), die kollegiale Kooperation (α = 78; Hartmann et al., 2021) sowie sozio-demografische Variablen erfasst. Die Daten wurden mittels latenter Strukturgleichungsmodelle in R mit dem Paket lavaan (Roeseel, 2012) und clusterrobusten Standardfehlern ausgewertet. Dafür spezifizierten wir für jeden Kompetenzbereich zuerst ein Modell, in das nur die Schulformvariable einging (0 = weiterführend, 1 = Grundschule). Im zweiten Modell kontrollierten wir für die Berufserfahrung, das Geschlecht, Kompetenzeinschätzung und fügten die emotionale Erschöpfung und kollegiale Kooperation als Prädiktoren hinzu. Ergebnisse Die Befunde zeigen, dass Unterschiede in Fortbildungsbedarfen zwischen Grundschullehrkräften und Lehrkräften an weiterführenden Schulen statistisch signifikant, aber durchweg gering ausfallen (|.07| ≤ β ≤ |.23|). Lehrkräfte an Grundschulen zeigen im Vergleich zu Lehrkräften der Sekundarstufe einen höheren Fortbildungsbedarf in den Bereichen „Lernförderung“, „digitaler Medieneinsatz“ und „Umgang mit Belastungen“, während ihr Bedarf im Bereich „Interaktionsqualität“ niedriger ausfällt. Für den Einsatz digitaler Medien zeigen sich die größten Schulformunterschiede. Insgesamt bleiben die Schulformunterschiede in den betrachteten Kompetenzbereichen auch unter Kontrolle der übrigen Variablen stabil. Diskussion Unsere Befunde unterstreichen die Bedeutung von zielgruppenspezifischen Fortbildungsangeboten für die Entwicklung von Unterstützungsstrukturen und legen einen themenspezifischen Zugang nahe. Wir diskutieren die Befunde hinsichtlich möglicher Konsequenzen für die Planung und Gestaltung von passgenauen Fortbildungsangeboten. Wirksamkeit einer netzwerkbasierten Intervention für Schulleitungsmitglieder zur datengestützten Qualitätsentwicklung an Schulen in herausfordernden Lagen Theoretischer Hintergrund Die datengestützte Qualitätsentwicklung wird als wichtiger Teil des professionellen Handelns von Schulleitungsmitgliedern betrachtet – insbesondere an Schulen in herausfordernden Lagen (Muijs et al., 2004) – und umfasst den systematischen Einbezug von schulischen Datenquellen (z.B. Ergebnisse aus VERA-3/8, externer Evaluation, Schüler:innenfeedback) in die Entscheidungsfindung auf Schulebene. Diese systematische Auseinandersetzung aus Rezeption, Reflexion, Aktion und Evaluation wird anhand theoretischer Rahmenmodelle (z.B. Helmke & Hosenfeld, 2005) als Datennutzungszyklus beschrieben und stellt einen äußerst voraussetzungsvollen Teil des professionellen Handelns von Schulleitungsmitgliedern dar. Zugleich kommt der (erweiterten) Schulleitung eine besondere Rolle für die Etablierung einer produktiven Datennutzungskultur im Kollegium zu (Ikemoto & Marsh, 2007) und sollte daher für die Datennutzung motiviert sein. Angesichts des hohen Potenzials einer datengestützten Qualitätsentwicklung ist es umso wichtiger, dass Schulleitungsmitglieder wirksame Angebote zur Professionalisierung erhalten. Aus internationalen Studien gibt es Evidenz dafür, dass insbesondere Schulen bzw. Klassen mit einem hohen Anteil an Schüler:innen mit niedrigem sozio-ökonomischen Status von einer solcher Qualifizierungsmaßnahme profitieren (Van Geel et al., 2016; Keuning et al., 2017). Jedoch gibt es im deutschsprachigen Raum keine evidenzbasierten Ansätze zur Förderung einer datengestützten Qualitätsentwicklung (Klein & Tulowitzki, 2020). Bisherige Fortbildungsangebote richten sich vornehmlich an (angehende) Lehrkräfte (Vogel et al., 2016; Wurster et al., 2023) oder sind allgemein auf Schulleitungshandeln (Imboden, 2017) und nicht explizit auf die Herausforderungen datengestützter Qualitätsentwicklung (z.B. Motivierung des Kollegiums zur Nutzung von Daten) oder Bedarfe von Schulen in herausfordernden Lagen fokussiert. Fragestellungen Um diese Forschungslücken zu schließen, untersucht dieser Beitrag die Wirksamkeit einer forschungsbasiert entwickelten, zweiteiligen Qualifizierungsmaßnahme (jeweils ca. 6 Stunden im Abstand von 2 Monaten) für das datengestützte Schulleitungshandeln, die Datennutzungskultur sowie motivationale Überzeugungen (Interesse, Enthusiasmus) im Rahmen schulischer Netzwerkarbeit von „SchuMaS“. Zudem wird untersucht, inwieweit Schulleitungsmitglieder mit niedrigen und hohen Ausgangswerten differenziell von der Intervention profitieren. Neben fachlichem Input zur datengestützten Qualitätsentwicklung boten die beiden Termine Austausch- und Arbeitsphasen zur anschließenden Erprobung an der eigenen Schule. Inhaltliche Schwerpunkte stellten die Rolle der Schulleitung in diesem Prozess, der Datennutzungszyklus, förderliche Gelingensbedingungen, die Motivierung des Kollegiums für datengestütztes Arbeiten und die Etablierung von Evidenzteams in Anlehnung an Schildkamp (2016) sowie das baden-württembergische Schuldatenblatt dar. Methode Zur Überprüfung der Wirksamkeit analysieren wir Befragungsdaten der Experimentalgruppe (NEG = 32; Projektschulen aus SchuMaS) und einer Kontrollgruppe (NKG = 32) in einem Prä-Post-Kontrollgruppendesign. Die Rekrutierung dieser Kontrollgruppe fand als statistische Auswahl von „Schulzwillingen“ (propensity score matching) statt, die anhand relevanter Merkmale (aggregierte VERA-3/8-Ergebnisse, Anteil an Schüler:innen mit Migrationshintergrund, Schulform, u.v.m.) durchgeführt wurde. Der Prätest fand im Sommer 2022 vor der Qualifizierung und der Posttest danach im Frühjahr 2023 statt. Die befragten Schulleitungsmitglieder (39% weiblich, M = 7 Jahre (SD = 6.39) Berufserfahrung als Schulleitung) machten Angaben zu ihrem datengestützten Schulleitungshandeln (7 Items; αt1/t2 = .89/.86), zur Datennutzungskultur an den Schulen (7 Items; αt1/t2 = .83/.80) und zu motivationalen Überzeugungen gegenüber datengestützter Qualitätsentwicklung (Interesse: 3 Items; αt1/t2 = .84/.63, Enthusiasmus: 4 Items; αt1/t2 = .89/.73). Von den 64 Schulleitungsmitgliedern liegen für 37 (57.80%) Daten zu beiden Messzeitpunkten (Prä-/Posttest) vor, die mit dem R-Paket mice (van Buuren & Groothuis-Oudshoorn, 2011) multipel imputiert wurden (m = 30, Iterationen = 10). Ergebnisse Zur Beantwortung unserer Forschungsfragen spezifizierten wir mit dem R-Paket lme4 (Bates et al., 2014) linear mixed effects models mit random intercepts, um die genestete Datenstruktur angemessen zu beachten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Intervention signifikant zum datengestützten Schulleitungshandeln (B = .38) wie auch zum Enthusiasmus im Umgang mit Daten (B = .33) beiträgt. Zudem liefern die Analysen Hinweise, dass vor allem Schulleitungsmitglieder mit geringen Ausgangswerten in allen untersuchten Variablen besonders von der Qualifizierung profitieren. Wir diskutieren die Befunde hinsichtlich möglicher Gelingensbedingungen für die Planung und Gestaltung einer netzwerkbasierten Unterstützung von Schulleitungsmitgliedern zur datengestützten Qualitätsentwicklung an Schulen in herausfordernden Lagen. Datengestützte Qualitätsentwicklung an Schulen in herausfordernden Lagen: Welche Schulen etablieren Evidenzteams? Theoretischer Hintergrund Erfolgreiche Schulen in herausfordernden Lagen sehen eine datengestützte Qualitätssicherung und -entwicklung als einen wesentlichen Bestandteil ihrer Arbeit und beziehen mehrperspektivische Datenbestände gezielt in ihre Entwicklungsarbeit ein (Racherbäumer et al. 2013, Reynolds 2001). Daten werden dabei als alle systematisch erfassten und aufbereiteten Informationen aus Prozessen definiert, die für die Schul- und Unterrichtsqualität relevant sein können. Durch die Nutzung von internen und externen Daten stellen Schulen Soll- und Ist-Zustände einander gegenüber, überprüfen fortlaufend die Wirksamkeit initiierter Maßnahmen und erhöhen so ihre Schulentwicklungskapazität (Holtappels et al., 2021). Eine solche an Daten orientierte pädagogische Praxis kann sich positiv auf die Unterrichtsqualität und die Kompetenzentwicklung von Schüler*innen auswirken und damit einen Beitrag zur Reduzierung von Bildungsungleichheiten leisten (z.B. Klein & Bremm, 2019; Visscher, 2021). Der Prozess einer datengestützten Schul- und Unterrichtsentwicklung ist jedoch keinesfalls voraussetzungsfrei: Wichtig ist eine hohe Professionalität schulischer Akteure sowie eine positiv ausgeprägte Datennutzungskultur in den Schulen (Keuning et al., 2017). Entsprechend wurden international Konzepte entwickelt, damit schulische Akteure darin unterstützt werden, kollaborativ Daten effektiv nutzen zu können (data teams; Schildkamp et al., 2018). Es handelt sich hierbei um einen iterativen und zyklischen Entwicklungskreislauf, bei dem Mitglieder der schulischen data teams durch eine:n externe:n Coach unterstützt werden und so systematisch Kenntnisse zum datengestützten Handeln erwerben. Zwar gibt es bislang Studien dazu, unter welchen Bedingungen solche Teams gut funktionieren (Schildkamp et al., 2019), die Frage danach, welche Faktoren an Schulen in herausfordernden Lagen die grundsätzliche Etablierung solcher Teams begünstigen, ist jedoch im nationalen Bildungswesen bislang unklar. Im Beitrag wird der Ansatz zur datengestützten Qualitätsentwicklung im Projekt Schule macht stark (SchuMaS) dargestellt, der die Etablierung sog. „Evidenzteams“ vorsieht, die im Sinne von data teams die datengestützte Schul- und Unterrichtsentwicklung an den 195 teilnehmenden Projektschulen voranbringen sollen. Die Grundlage bildeten schulübergreifende Netzwerktreffen (April/ Mai 2022) in dessen Rahmen die Teilnehmer*innen zu Zielen, Aufbau und Arbeitsweisen von Evidenzteams geschult wurden und anschließend darin unterstützt wurden, Evidenzteams an ihren Schulen zu etablieren. Forschungsfragen 1. An wie vielen der Projektschulen wurden Evidenzteams etabliert? 2. Wie wird die Qualität der Zusammenarbeit innerhalb der Evidenzteams von den Schulleitungen wahrgenommen? 3. Inwieweit hängen schulische Merkmale (Kooperationshäufigkeit, Nutzung von schulischen Datenquellen, Innovationsbereitschaft) mit der Etablierung von Evidenzteams an Schulen in herausfordernden Lagen zusammen? Methode Datengrundlage bildet einerseits die SchuMaS-Ausgangserhebung (Herbst/Winter 2021; SchuMaS-Forschungsverbund 2022), an der 195 Schulleitungen (63% weiblich, zwischen 0 und 34 Berufsjahre als Schulleitung tätig) teilgenommen haben. Dieser Datensatz liefert Informationen zur Ausgangslage an den Schulen im SchuMaS-Forschungsverbund, die prädiktiv für die Etablierung von Evidenzteams sein kann. Ausgehend von empirischen Befunden zur Etablierung von Evidenzteams stehen im Fokus: Kooperationshäufigkeit von Lehrkräften (Hartmann et al., 2021; α = .71), Nutzungshäufigkeit von Daten für schulische Entscheidungen (adaptiert nach Demski, 2017; α = .81) und daraus abgeleitete schulische Maßnahmen (adaptiert nach Wurster et al., 2016; α = .84) sowie die Innovationsbereitschaft im Kollegium (Quellenberg, 2009; α = .82). Diese Ausgangsbedingungen werden mit Daten der SchuMaS-Zwischenerhebung (Sommer/Herbst 2023) längsschnittlich verknüpft, bei der die Schulleitungen (N = 128) befragt worden sind, ob es feste Teams (Evidenzteams) zur kooperativen Nutzung von Daten gibt und wie die Zusammenarbeit innerhalb dieser Teams wahrgenommen wird (α = .84; Eigenentwicklung). Ergebnisse Erste deskriptive Analysen zeigen, dass 45 Schulen von 128 befragten Schulleitungen solche Evidenzteams eingeführt haben, davon 19 Schulen im Zuge von SchuMaS. Zudem bewerten die Schulleitungen die Qualität der Zusammenarbeit von Evidenzteams auf einer Skala von 1 (Gar nicht) bis 4 (Voll und ganz) als hoch (M=3.10; SD=0.56). Da die längsschnittliche Verknüpfung der Daten noch nicht vollständig aufbereitet ist, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Ergebnisse berichten, inwieweit schulische Merkmale mit der Etablierung von Evidenzteams zusammenhängen. Diese werden bis zum Zeitpunkt der GEBF 2024 aber vorliegen. Gelingensbedingungen erfolgreicher Qualifizierungsmodule für Lehrkräfte im Fach Deutsch im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Schule macht stark“ Theoretischer Hintergrund Im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Schule macht stark – SchuMaS“ zielt das Qualifizierungsangebot im Cluster Unterrichtsentwicklung für das Fach Deutsch darauf ab, Lehrkräfte und Multiplikator:innen darin zu unterstützen, bestmögliche Bildungschancen für sozial benachteiligte Schüler:innen zu ermöglichen. Empirisch hat sich die Förderung der basalen Kompetenzen in den Bereichen der Lese- und Schreibflüssigkeit und der Anwendung geeigneter Strategien im Lesen und Schreiben als besonders wirksam erwiesen (Philipp & Schilcher 2012, Philipp 2012, Sturm 2017). Das Cluster bietet den an SchuMaS beteiligten Schulen in Qualifizierungsmodulen material- und skriptgestützte Maßnahmen zur Förderung dieser basalen Kompetenzen an. Die in den Modulen vorgestellten Förderkonzepte werden im Rahmen von Prozessen der Schul- und Unterrichtsentwicklung gemeinsam mit weiteren Lehrkräften in den Schulen implementiert. Die Implementation der Förderkonzepte erfolgt entlang einer Wirkungskette (Becker-Mrotzek & Roth 2022): Von wissenschaftlicher Seite aus werden die Multiplikator:innen qualifiziert, die in der Folge die Lehrkräfte schulen. Die Module werden in einem Blended-Learning-Konzept (Christensen et al. 2013) umgesetzt, das synchrone virtuelle Treffen und asynchrone Selbstlernphasen umfasst. Das Konzept folgt dabei evidenzbasierten Prinzipien gelingender Lehrkräftefortbildungen (Lipowsky & Rzejak 2012). Forschungsfragen Der vorliegende Beitrag skizziert das o. g. Qualifikationskonzept und zeigt auf, wie fachwissenschaftliche und fachdidaktische Inhalte vermittelt und gemeinsam mit den Teilnehmenden ko-konstruktiv weiterentwickelt werden. Das Ziel ist die Förderung basaler (schrift-)sprachlicher Kompetenzen gemäß der Annahme, dass auch Qualifizierungsmaßnahmen für Lehrkräfte sich positiv auf die Lernerfolge ihrer Schüler:innen auswirken können (Yoon et al. 2007). Neben der übergreifenden Forschungsfrage nach den Gelingensbedingungen erfolgreicher Qualifizierungsmaßnahmen für Lehrkräfte, sollen folgende untergeordnete Forschungsfragen in Anlehnung an die Kriterien der Wirksamkeit von Lehrerfortbildungsmaßnahmen nach Rzejak und Lipowsky (2012) im Beitrag beantwortet werden: • Wie beurteilen Lehrkräfte die Rahmenbedingungen der Qualifizierungsangebote? • Wie beurteilen Lehrkräfte die fachdidaktischen Inhalte der Qualifizierungsangebote? • Wie beurteilen Lehrkräfte die Möglichkeit, die fachdidaktischen Inhalte in ihrem Unterricht umzusetzen? • In welchem Umfang haben die Teilnehmenden die asynchronen Selbstlerneinheiten bearbeitet? • In welchem Umfang wurden die asynchronen Aufgaben zur Reflexion der Lerninhalte genutzt? • Haben sich die Lesefähigkeiten der Schülerinnen und Schüler durch den Einsatz des Leseflüssigkeitstraining verbessert? Methode Der Kompetenzzuwachs durch das Training zur Förderung der Leseflüssigkeit wurde in dritten und vierten Jahrgangsstufen in einer quasi-experimentellen Studie im Prä-/Post-Design mit einer Interventions- (N = 291) sowie einer Kontrollgruppe (N = 140) untersucht. Die Kontrollgruppe bestand aus Parallelklassen, die zur gleichen Zeit ohne ein vergleichbares Training, d.h. mit den in der Schule üblichen Methoden des Deutschunterrichts beschult wurden. Zudem wurden nach der Durchführung der Qualifikationsmaßnahmen alle teilnehmenden Lehrkräfte (N = 291) zu ihrer Einstellung gegenüber der Maßnahme, der Umsetzung in ihrem Unterricht und zur Nutzung der asynchronen Selbstlerninhalte mittels eines Online-Fragebogens befragt. Ergebnisse Erste deskriptive Ergebnisse zeigen, dass die teilnehmenden Lehrkräfte auf einer endpunktbenannten vierstufigen Likert-Skala (1 = stimme überhaupt nicht zu; 4 = stimme voll und ganz zu) die strukturellen Rahmenbedingungen (z.B. Modul 1; N=37; M=3.59) und die fachdidaktischen Inhalte (z.B. Modul 1; N = 37; M = 2.88) mehrheitlich als eher positiv bewerten. Auch die Umsetzbarkeit in der Praxis sowie die Nützlichkeit der Fortbildung wurden eher positiv (z.B. Modul 1; N=37; M=2.68) bewertet. Erste Ergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass asynchrone Selbstlerninhalte zu einem großen Teil (28.5 %) nicht bearbeitet wurden und damit relevante Inhalte für die Qualifikation fehlen. Zudem wurde deutlich, dass zwischen verschiedenen Durchläufen (erste und zweite Kohorte) der Qualifikation – bei gleichen Bedingungen – Unterschiede in der Bewertung erfolgten. Hier ist zu diskutieren, wie sich unterschiedliche Merkmale der Teilnehmenden (wie bspw. ihre Erwartungen, Ziele und/oder ihre Haltung gegenüber dem Projekt etc.) auf die Bewertung auswirken. Ergebnisse zur Kompetenzentwicklung der Schüler:innen werden zum Zeitpunkt der Tagung vorliegen und im Rahmen des Beitrags berichtet. Anhand der Ergebnisse ist zu diskutieren, wie Qualifikationsmaßnahmen im Bereich der Lehrkräftefortbildung erfolgreich umgesetzt werden können. |
13:10 - 14:50 | 5-05: Besser als ihr Ruf? Vorurteile vs. Empirie in der Lehrkräfteforschung Ort: H01 |
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Symposium
Besser als ihr Ruf? Vorurteile vs. Empirie in der Lehrkräfteforschung Die zentrale Bedeutsamkeit des Lehrkraftberufs für unsere Gesellschaft gilt als unbestritten (Burroughs et al., 2019). Konsequenterweise rücken Lehrkräfte immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit und Printmedien (Blömeke et al. 2005; Rothland, 2022). Das dort gezeichnete Bild von Lehrkräften ist vielfältig und reicht von Mutmaßungen über eine mangelnde Eignung und Kompetenz der Personen, die den Lehrkraftberuf ergreifen, über postulierte Charakteristiken zu ihrer Persönlichkeit, bis hin zur Annahme, Lehrkräfte wiesen eine geringere Arbeitsmotivation auf als andere Berufsgruppen (Blömeke, 2005; Rothland, 2022; Terhart, 2013). Prominent sind hierbei neben Vorurteilen über geringere fachliche Leistungsvoraussetzungen der Personen, die das Lehramtsstudium ergreifen (Rothland, 2022), insbesondere Annahmen darüber, dass praktizierende Lehrkräfte eine hohe Reform- und Innovationsresistenz aufweisen (Lomba-Portela et al., 2022), was sich etwa in der Tatsache wiederspiegle, dass insbesondere deutsche Lehrkräfte und Schulen schlecht auf die Digitalisierung vorbereitete seien (Scheiter & Gogolin, 2021). In Zeiten des Lehrkräftemangels ist zudem die Debatte um die Eignung und Professionalisierung von Seiten- und Quereinsteiger*innen prominent, denen neben ungünstigen Berufswahlmotiven geringere professionelle Kompetenz zugeschrieben wird (Sanders, 2022). Das geplante Symposium hat zum Ziel, diese Werturteile über Lehrkräfte einer empirischen Prüfung zu unterziehen. Aus der Sicht verschiedener Disziplinen werden diese Vorurteile vor dem Hintergrund empirischer Befunde beleuchtet. Alle Fragestellungen werden in repräsentativen Stichproben untersucht, wobei sowohl Vergleiche zwischen (angehenden) Lehrkräften und anderen Studierenden sowie zu anderen Berufsgruppen angestellt werden. Der erste Beitrag greift die sogenannte negative Selektionshypothese auf und prüft das Vorurteil, dass Lehramtsstudierende weniger leistungsstark sind als andere Studierende. In einer repräsentativen Stichprobe deutscher Hochschulstudierender werden Studienleistungen zwischen Personen in Lehramts- und anderen Studiengängen unter Berücksichtigung ihrer Studienfächer verglichen. Darüber hinaus wird untersucht, ob die Daten Hinweise auf einen Wechsel von Personen, die in ihrem fachwissenschaftlichen Studium verhältnismäßig schlecht abschneiden, hin zum Lehramtsstudium liefern. Der zweite Beitrag liefert empirische Ergebnisse zur Kompetenzausgestaltung von Seiten- und Quereinsteiger*innen in den Lehrkraftberuf und stellt die Frage, ob und in welchen Aspekten ihrer professionellen Kompetenz diese Personen hinter traditionell ausgebildeten Lehrkräften zurückbleiben. Hierbei werden insbesondere motivationale Aspekte und Überzeugungen in den Blick genommen, die sich als prädiktiv für eine erfolgreiche Berufsausübung erwiesen haben. Der dritte Beitrag widmet sich schließlich der Frage, ob Lehrkräfte tatsächlich weniger innovatives Verhalten zeigen als ausgewählte andere Berufsgruppen. Neben der Analyse dieser Fragestellung in einer repräsentativen Stichprobe deutscher Hochschulabsolvent*innen beleuchtet der Beitrag anhand der genutzten Längsschnittdaten auch Unterschiede in häufig postulierten personalen und beruflichen Bedingungsfaktoren des individuellen Innovationsverhaltens. Die Bündelung und gemeinsame Diskussion dieser Beiträge, soll zu einem empirisch fundierten Lehrkräftebild beitragen und prominente Vorurteile auf die Probe stellen. Der Vergleich mit relevanten Referenzgruppen und unterschiedliche methodische Zugänge sollen eine aussagekräftige Einordnung der Kompetenz, Überzeugungen und des professionellen Verhaltens von Lehrkräften in diesen Bereichen ermöglichen. Dabei stellen die Beiträge empirische Evidenz bereit, die entgegen vielfach postulierter Vorurteile in vielen Aspekten ein Bild von kompetenten und progressiven Lehrkräften zeichnen und auch die Vorurteile gegenüber Seiteneinsteiger*innen teilweise zurückweisen. Gleichzeitig zeigen die Studien Punkte auf, in denen auf Basis der Ergebnisse tatsächlich Handlungsbedarf besteht. In einer gemeinsamen Diskussion werden Implikationen dieser Befunde für das Lehrkräftebild, sowie dessen mögliche Konsequenzen als Belastungsfaktor für praktizierende Lehrkräfte und die Attraktivität des Berufes (vgl. Köller et al., 2019; Rothland, 2022) erörtert. Beiträge des Symposiums Leistungsunterschiede zwischen Lehramtsstudierenden und Studierender anderer Studiengänge Lange hielt sich die Mär von der negativen Selektionshypothese in das Lehramtsstudium. Zahlreiche Studien belegen, dass Personen, die das Lehramtsstudium wählen, sich nicht generell hinsichtlich ihrer leistungsbezogenen Eingangsmerkmale unterscheiden (Neugebauer, 2013; Osada & Schaeper, 2022; Roloff Henoch et al., 2015). Vielmehr deuten die Ergebnisse auf eine Leistungsheterogenität innerhalb des Lehramtsstudiums hin, da die leistungsbezogenen Merkmale von nicht-gymnasialen Lehramtsstudiengängen geringer ausgeprägt sind als die des gymnasialen Lehramtsstudiums oder anderen Studiengängen. Trotz der geringen empirischen Evidenz, wird in der breiten Öffentlichkeit das Lehramtsstudium immer noch als relativ einfach gesehen und das Bild, dass dieses vor allem von leistungsschwächeren Personen gewählt wird, scheint immer noch vorzuherrschen (Köller et al., 2019). Dieses Vorurteil wird zudem von Hochschuldozierenden bestätigt, die Lehramtsstudierenden weniger kompetent einschätzen als andere Studierenden im selben Kurs (Carstensen et al., 2021; Ihme & Möller, 2015). Auch wenn bekannt ist, dass die Abiturnoten nicht die Wahrscheinlichkeit einer Wahl des Lehramtsstudiums beeinflussen, weiß man wenig darüber, ob Studierende im Lehramt generell schlechter als ihr Kommiliton*innen im gleichen Fach oder in ähnlichen Fächergruppen bewertet werden. Zudem kann das allgemeine Bild des Lehramtsstudium dazu führen, dass Studierende mit unzureichenden Leistungen in ihrem Fach in das Lehramtsstudium wechseln und dort das Fach weiterstudieren, da das Lehramtsstudium vermeintlich leichter sei. Fragestellung Die folgenden Forschungsfragen sind für den Beitrag leitend: (1) Unterscheiden sich die Studienleistungen von Lehramtsstudierenden von den Leistungen anderer Studierender? und (2) Wechseln Studierende bei unzureichenden Leistungen in ein Lehramtsstudium? Bei der Beantwortung der Fragestellungen werden die Studienfächer berücksichtigt, sowie bei Lehramtsstudierenden die angestrebte Schulart, um ein differenziertes Bild zu erhalten. Methode Zur Beantwortung der Forschungsfragen werden Daten der Kohorte 5 des nationalen Bildungspanels (NEPS) analysiert. Die Ausgangsstichprobe beinhaltet 17910 Studierenden, von denen 5500 in einem Lehramtsstudiengang immaktrikuliert waren und von 2010/11 bis 2022 kontinuierlich zu ihrer Studien- und Berufssituation befragt wurden. Aufgrund von Panelmortalität und unterschiedlichen Karrierewegen, sind die Analysen zu den unterschiedlichen Zeitpunkten reduziert. Anhand von Mittelwertsvergleichen und Regressionsmodellen wird untersucht, inwiefern sich die Studienleistungen zwischen den Gruppen unterscheiden. Dabei werden zunächst nur Lehramtsstudierende und andere Studierende verglichen, um danach in weiteren Modellen zu untersuchen, ob sich mögliche Differenzen durch die Hinzunahme der Studienfächer in die Analysemodelle sowie durch die Berücksichtigung der angestrebten Schulart erklären lassen. Zusätzlich werden soziodemografische Faktoren bei den Analysen kontrolliert, die sowohl die Wahl des Studiengangs als auch die Leistungen in Schule und Studium beeinflussen. Ergebnisse Den Forschungsfragen folgend wurde zunächst getestet, inwiefern es bereits ein Jahr nach Studienbeginn Differenzen hinsichtlich der Studienleistungen zwischen Lehramtsstudierenden und anderen Studierenden gibt. Mittelwertsvergleiche zeigen, dass sich die Studienleistungen (Lehramt M=2.25; Nicht-Lehramt M=2.27; p=0.2764) nicht signifikant (α < .05) unterscheiden. Auch ein Vergleich von Studierenden im Gymnasiallehramtsstudium (M=2.27) mit Nicht-Lehramtsstudierenden (M=2.27) ergibt keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Studienleistungen (p=.8759). Allerdings zeigen sich in den Regressionsmodellen, dass bei Aufnahme der jeweiligen Studienbereiche Lehramtsstudierende signifikant schlechtere Noten aufweisen als andere Studierende. Dieses Muster zeigt sich auch, wenn man gezielt Lehramtsstudierende für das Gymnasiallehramt dieser Fächer mit Nicht-Lehramtsstudierenden vergleicht. Im Datensatz konnten 36 Personen identifiziert werden, die innerhalb der ersten drei Semester in das Lehramt gewechselt sind. Die vorläufigen Analysen deuten nicht darauf hin, dass Personen, die in das Lehramtsstudium wechselten, zuvor schlechtere Studienleistungen aufwiesen als Studierende, die nicht gewechselt sind. Auf der Konferenz werden weitere Untersuchungen der Studienleistungen im späteren Verlauf des Studiums präsentiert, die zusätzlich zu den Studienbereichen einzelne Studienfächer berücksichtigen und helfen, die Befunde besser einzuordnen. Auch durch eine Differenzierung der Lehramtsstudiums nach den angestrebten Schularten soll die Robustheit des Ergebnisses geprüft werden. Die im Symposium präsentierten Ergebnisse sollen eine Diskussion zu den Fragen anregen, inwiefern das stereotypische Bild der leistungsschwachen Lehramtsstudierenden zu halten ist. Professionelle Kompetenz: Ein Vergleich von traditionell und alternativ qualifizierten Lehrkräften Dem hohen Bedarf an Lehrpersonal an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Deutschland bei gleichzeitig niedriger Verfügbarkeit voll ausgebildeter Lehrkräfte begegnet die Bildungspolitik aktuell zunehmend mit einer Öffnung der beruflichen Zugangswege zum Lehrkräfteberuf (Dedering 2020; Lucksnat et al., 2022). In vielen Bundesländern ist somit der Eintritt in den Lehrkraftberuf durch sogenannte Quer- oder Seiteneinstiege möglich, d. h. ohne Abschluss eines Lehramtsstudium und/oder Lehramtsreferendariat. Dieser Öffnung des Zugangs zum Lehrkraftberuf steht die Unsicherheit gegenüber, ob die nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräft trotz des Fehlens wichtiger Etappen des berufsbiographischen Entwicklungsprozesses (Terhart, 2011) dennoch über hinreichend professionelle Kompetenzen verfügen, um sich im anspruchsvollen Lehrkräfteberuf bewähren zu können. Der angenommene Mangel an berufsbezogenem Wissen nährt in der Öffentlichkeit wie in Fachkreisen die Befürchtung einer niedrigeren Unterrichtsqualität von Quer- und Seiteneinsteiger*innen, auch wenn es dafür noch keine empirische Evidenz gibt (Ziegler et al., 2022, GEBF 2023). Bisherige Studien deuten auf vorhandene Unterschiede zwischen traditionell und nicht-traditionell ausgebildeten Lehrkräften, etwa hinsichtlich fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Wissens, hin (z.B. Kleickmann & Anders, 2011; Lucksnat et al., 2020, 2022). Dies ist insofern plausibel, als dass diese Kompetenzdimensionen eine gezielt wissenschaftsbasierte Auseinandersetzung mit Theorien des Lehrens und Lernens voraussetzen, um eine reflektierte Anwendung dieses professionsbezogenes Handlungswissen in der Praxis überhaupt erst zu ermöglichen (Oser, 2001; Terhart, 2003). Die Befundlage ist gleichwohl alles andere als eindeutig. Zudem wurden in jüngeren Untersuchungen oftmals gerade die Seiteneinsteiger*innen vernachlässigt oder es kann nicht hinreichend zwischen Quer- und Seiteneinsteiger*innen unterschieden werden. Daraus abgeleitet untersucht dieser Beitrag folgende Forschungsfrage: Lässt sich empirische Evidenz für das Fehlen wichtiger professioneller Kompetenzen des Lehrkräfteberufes bei Seiten- und Quereinsteigenden finden oder handelt es sich bei diesbezüglichen Befürchtungen doch um Vorurteile? Der Beitrag lenkt den Blick auf den Vergleich von Quer- und Seiteneinsteiger*innen mit traditionell ausgebildeten Lehrkräften und untersucht Unterschiede hinsichtlich ausgewählter professionsbezogener Werthaltungen und Überzeugungen (transmissive und konstruktivistische Überzeugungen, kognitiv aktivierendes Unterrichten) sowie emotionale Kompetenzaspekte (Enthusiasmus für das Unterrichten, berufliches Wohlbefinden; Baumert & Kunter, 2006; Klieme et al., 2006; Kunter & Pohlmann, 2015; Kunter et al., 2011) zu Beginn einer Lehrkraftkarriere. Auf Basis der repräsentativen Daten der NEPS-Studierendenkohorte und des zugehörigen Lehramtsstudierenden-Panels (NEPS-Netzwerk, 2023; Schaeper et al., 2023; Ortenburger et al., 2023), in denen zunehmend auch Personen identifiziert werden können, die als Quer- und Seiteneinsteiger*innen in Schulen unterrichten (n=132), wird analysiert, inwieweit sich Lehrkräfte mit unterschiedlichen, nicht-traditionellen Berufszugangswegen unterscheiden. Zur Messung der interessierenden Konstrukte wurde jeweils der erste erfasste Messzeitpunkt zum Karrierebeginn berücksichtigt, welcher aufgrund des komplexen Paneldesigns in unterschiedlichen Befragungsjahren liegen kann. Für alle Konstrukte wurde auf bewährte Instrumente zurückgegriffen. Die transmissiven und konstruktivistischen Überzeugungen wurden mit jeweils vier Items gemessen (α=.714/.761), die Skala zum kognitiv aktivierenden Unterrichten mit fünf Items erfasst (α=.751); zur Messung des Enthusiasmus für das Unterrichten wurden vier Items eingesetzt (α=.894), zur Erfassung des beruflichen Wohlbefindens kam eine Skala zur emotionalen Erschöpfung (vier Items, α=.772) und eine Skala zur beruflichen Zufriedenheit (vier Items, α=.882) zum Einsatz (für alle Skalen: s. Ortenburger et al., 2023). Zur Analyse werden Strukturgleichungsmodelle genutzt, die einen (sehr) guten Modellfit zeigen (Model „Überzeugungen“: RMSEA: .044, CFI/TLI: .941/.928, SRMR: .061; Modell „Emotionen“: RMSEA: .058, CFI/TLI: .958/.956, SRMR: .056). Es zeigt sich, dass Unterschiede nicht nur zwischen traditionell und alternativ qualifizierten Lehrkräften, sondern auch innerhalb der Gruppe der alternativ qualifizierten Lehrkräfte zu beobachten sind, was eine differenzierte Betrachtung dieser Gruppe rechtfertigt. Im Beitrag werden Anlage und Ergebnisse der Untersuchung dargestellt, Limitationen diskutiert und zukünftige Untersuchungsschritte abgeleitet. Innovativer als ihr Ruf? Ein Vergleich von Lehrkräften und anderen Hochschulabsolvent*innen Der sich beschleunigende Wandel in der Gesellschaft und unserem Bildungssystem macht die Anpassungsfähigkeit und das innovative Verhalten von Lehrkräften zu entscheidenden Faktoren für die aktuelle und zukünftige Qualität von Schulen, sowie für die Motivation und Leistung von Schüler*innen (Hosseini & Haghighi Shirazi, 2021; Paniagua & Istance, 2018). Gleichzeitig gelten Lehrkräfte oft als weniger innovativ als andere Berufsgruppen und wenig bereit, Reformen anzunehmen (Ayaita & Stürmer, 2020; Terhart, 2013). Diese Tendenz wird zum einen auf Eigenschaften der Personen, die sich für den Lehrkraftberuf entscheiden, zum anderen auf Innovationshemmnisse im Schulsystem zurückgeführt. Dabei wird angenommen, dass Merkmale des Lehrkraftberuf, etwa eine hohe Jobsicherheit und vorhersehbare Karrierewege, insbesondere für Personen mit höherer Risikoaversion und geringerer Offenheit für neue Erfahrungen attraktiv ist (Ayaita & Stürmer, 2020; Le Fevre, 2014). Gleichzeitig gelten Arbeitsplatzmerkmale der Schulen, inbesondere bürokratische Strukturen, die den Handlungsspielraum der Lehrkräfte einschränken, und geringe zeitliche Ressourcen, als Hemmnis für innovatives Verhalten (vgl. Job Demand-Resources Model, Li & Zhu, 2022). Trotz der wiederholten Diskussion dieser Thematiken fehlen empirische Studien, die diese Annahmen empirisch prüfen. Ziel dieser Studie ist es daher zu untersuchen, ob Lehrkräfte tatsächlich weniger innovatives Verhalten zeigen als Personen vergleichbarer Berufsgruppen (andere Hochschulabsolvent*innen, sowie Personen, die andere Professionen und andere Soziale Dienstleistungsberufe ausüben, Forschungsfrage 1) und ob mögliche Unterschiede durch persönliche Charakteristiken (Risikobereitschaft und Offenheit für neue Erfahrungen) oder berufliche Faktoren (Handlungsspielraum und Zeitdruck) erklärt und vermittelt werden (Forschungsfrage 2). Analysiert werden hierzu Längsschnittdaten der repräsentativen Studienstart-Kohorte des National Bildungspanels (SC5, NEPS-Netzwerk, 2022). Für unsere Fragestellungen nutzen wir Selbstberichtsdaten von 368 Lehrkräften und 1614 anderen Hochschulabsolvent*innen. Die Teilnehmenden wurden zu drei Messzeitpunkten, vor (t1) und nach (t2) dem Berufseintritt, sowie ein weiteres Jahr später (t3) mittels standardisierter Skalen (Risikobereitschaft, Dohmen et al., 2011; Offenheit, Rammstedt & John, 2007; Autonomie, Stegmann et al., 2010; Zeitdruck/innovatives Verhalten, NEPS-Netzwerk, 2022) befragt. Nach einer Prüfung der Messinvarianz zwischen den Gruppen untersuchen wir unsere Unterschiedshypothesen mittels Regressionsanalysen, um für mögliche Gendereffekte zu kontrollieren. Die Frage nach Einflussfaktoren, die mögliche Unterschiede bedingen, analysieren wir anhand mediierter Strukturgleichungsmodelle. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Lehrkräfte entgegen unserer Erwartungen signifikant mehr innovatives Verhalten als andere Hochschulabsolvent*innen berichten (β = .51, p < .001). Über alle Gruppen hinweg sagen die Offenheit und Risikobereitschaft (t1), sowie Autonomie und Zeitdruck (t2) der Teilnehmenden ihr innovatives Verhalten (t3) vorher und erklären 58% der Gesamtvarianz (CFI=.96, RMSEA=.048, SRMR=.031). Die berufliche Autonomie erweist sich als stärkster Prädiktor (β = .72) und mediiert zusätzlich den Zusammenhang zwischen Berufszugehörigkeit und innovativem Verhalten (βind=.22). Hierbei geht die Berufsgruppenzugehörigkeit mit einer höheren beruflichen Autonomie von Lehrkräften einher, welche wiederum mit höherem innovativem Verhalten assoziiert ist. Einen Effekt persönlicher Merkmale auf die Berufsgruppenzugehörigkeit, welcher ein späteres geringeres innovatives Verhalten von Lehrkräften erklären würde, finden wir nicht. Wenn die Umsetzung von Reformen im Bildungssystem nicht oder nur langsam gelingt, werden oft Lehrkräfte dafür verantwortlich gemacht. Man sagt ihnen wenig Innovativität und Offenheit für Neues nach. Diese Annahme bestätigen unsere Daten jedoch nicht. Auch einen geringeren Handlungsspielraum für Innovationen im Lehrkraftberuf, welcher häufig als Innovationshemmnis postuliert wird, können wir in dieser Studie nicht bestätigen. Lehrkräfte berichten vielmehr ein hohes Maß beruflicher Autonomie, welches sich für das innovative Verhalten von Personen in allen Berufen als bedeutsam erweist und in unseren Modellen als einziger Prädiktor auch Unterschiede zwischen Lehrkräften und anderen Berufsgruppen erklärt. Für praktische Interventionen mit dem Ziel, das innovative Verhalten von Lehrkräften zu steigern, weisen unsere Ergebnisse somit auf die höhere Relevanz von Modifikationen der Arbeitsplatzmerkmale relativ zu einem Fokus auf die Attraktion und Selektion von Lehrpersonen mit bestimmten personalen Merkmalen hin. Differenzierte Schulform- und Berufsgruppenvergleiche sowie Limitationen und weitere Implikationen der Befunde, auch im Hinblick auf das Image des Lehrkräfteberufs, werden auf der Konferenz diskutiert. |
13:10 - 14:50 | 5-06: Motivation im Hochschulkontext: Interindividuelle und situationsspezifische Variabilität von Erwartungen und subjektiven Werten und deren Zusammenhängen mit Studienerfolgsindikatoren Ort: H08 |
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Symposium
Motivation im Hochschulkontext: Interindividuelle und situationsspezifische Variabilität von Erwartungen und subjektiven Werten und deren Zusammenhängen mit Studienerfolgsindikatoren Leistungsbezogene Motivationen spielen eine bedeutsame Rolle für Entscheidungsprozesse und Erfolg im Studium (Schneider & Preckel, 2017). So prägt die Motivation nicht nur das momentane Lernverhalten von Studierenden, sondern beeinflusst auch längerfristige akademische Entscheidungen, wie die Studienfachwahl oder die Entscheidung zum Studienabbruch (z.B. Fleischer et al., 2019; Gaspard et al., 2019). Daher sollte sowohl im Sinne der Partizipation an Bildung als auch im Sinne der Steigerung des Studienerfolgs (Neugebauer et al., 2021) die Motivation der Studierenden im Hochschulkontext eingehender betrachtet werden. Etablierte Theorien der Leistungsmotivation wie die Erwartungs-Wert-Theorie (Eccles et al., 1983) beschreiben die Entstehung und Entwicklung der Motivation von Lernenden dabei als komplexe Prozesse. Gemäß der Erwartungs-Wert-Theorie entsteht Motivation auf Basis von subjektiven Erfolgserwartungen („Kann ich das?“) und subjektiven Wertüberzeugungen („Will ich das?“). Diese interagieren dabei allerdings nicht nur miteinander, sondern werden zusätzlich durch persönliche und situationsspezifische Faktoren wie beispielsweise durch die spezifischen Inhalte in einer Lernsituation oder den sozialen und akademischen Kontext geprägt (Eccles, 2022). Die Relevanz der Hinzunahme dieser intraindividuellen wie situativen Aspekte zeigt sich in jüngsten theoretischen Entwicklungen. Mit der Umbenennung der Theorie in situative Erwartungs-Wert-Theorie (SEVT, Eccles & Wigfield, 2020) betonen Eccles und Wigfield die Notwendigkeit der Untersuchung von Fragestellungen, die Aussagen darüber erlauben, wie persönliche und situative Merkmale intra- und interindividuelle motivationale Unterschiede und Entwicklungsverläufe prägen und wie sich diese im Zusammenspiel auf den Studienerfolg sowie akademische Entscheidungen auswirken. Allerdings gibt es bisher vergleichsweise wenige Studien, die diese situative Perspektive auf die Motivation von Lernenden in spezifischen Lernkontexten berücksichtigen (z.B. Dietrich et al., 2017). Zudem gibt es im Vergleich zum Schulkontext weniger Forschung im Hochschulkontext, sodass unklar bleibt, inwiefern bisherige Befunde bezüglich der Bedeutsamkeit sowie postulierte Prozesse von Erwartungen und Werten für Bildungsentscheidungen und akademische Leistungen über verschiedene Kontexte generalisierbar sind. Das vorliegende Symposium beschäftigt sich daher mit inter- und intraindividuellen Unterschieden in Erwartungs- und Wertüberzeugungen von Lernenden im Hochschulkontext und fokussiert dabei auf (1) Interaktionsprozesse zwischen persönlichen und situations- bzw. kontextspezifischen Faktoren bei der Genese von Erfolgserwartungen und subjektiven Werten (Beiträge 1&2) sowie (2) der Rolle von Erfolgserwartungen und subjektiven Werten sowie deren Interaktion in der Vorhersage von Studienerfolgsindikatoren und Studienabbruchtendenzen (Beiträge 3&4). Die vier Beiträge erweitern und ergänzen bisherige Forschungsergebnisse auf Basis der SEVT im Hochschulkontext, indem sie unterschiedliche Forschungsdesigns nutzen und dabei sowohl situations- und kontextspezifische als auch globale und fachspezifische Erwartungs- und Wertüberzeugungen von Studierenden betrachten. In Beitrag 1 werden die situations- und kontextspezifische Variabilität des Fähigkeitsselbstkonzepts (als Proxy der Erwartungskomponente) und der subjektiven Werte in einer Testsituation im Studium sowie interindividuelle und situationsspezifische Faktoren untersucht, die zu dieser Variabilität beitragen. Beitrag 2 stellt mit intensiven Längsschnittdaten, die mittels Experience-Sampling erhoben wurden, neue Methoden vor, die zur Untersuchung der Entwicklung von Stabilität und Variabilität von Erwartungs- und Wertüberzeugungen genutzt werden können, insbesondere in der für Studienerfolg besonders kritischen Phase des ersten Studienjahres, in der Motivationsveränderungen wahrscheinlich sind. Beitrag 3 beschäftigt sich mit der Relevanz von Interaktionseffekten zwischen Erfolgserwartungen und subjektiven Werten in der Vorhersage von Studienabbruchintentionen. Dabei wird insbesondere die Relevanz des Kontextes im Vergleich der Ergebnisse mit bisherigen Studien zu Erwartungs-mal-Wert-Interaktionen im schulischen Kontext herausgearbeitet. Zuletzt untersucht Beitrag 4 im Sinne individueller Werthierarchien interindividuelle Unterschiede in der Bedeutsamkeit verschiedener Erwartungs- und Wertkomponenten in der Vorhersage von Studienerfolgskriterien sowie Studienabbruchsintentionen. Das Symposium wird wie folgt gestaltet: Die Chairs werden zunächst das Thema des Symposiums und die präsentierenden Autor*innen vorstellen. Die Vortragenden haben dann jeweils etwa 17 Minuten Zeit für die Vorstellung ihrer Beiträge, gefolgt von 2 Minuten für Verständnisfragen. Im Anschluss wird unser Diskutant mit Expertise im Bereich der Motivationsforschung die einzelnen Beiträge diskutieren (ca. 15 Minuten). In den übrigen 10 Minuten wird es die Gelegenheit zu einer offenen Diskussion geben. Beiträge des Symposiums Die Bedeutung der Situation in der Erwartungs-Wert-Theorie: Kreuzklassifizierte Analysen zur testspezifischen Motivation von Studierenden in MINT-Fächern Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Der erwartete Erfolg und subjektive Werte in Bereichen wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) sind gemäß der situativen Erwartungs-Wert-Theorie (SEVT, Eccles & Wigfield, 2020) bedeutsame Prädiktoren für akademische Leistungen und Entscheidungsprozesse von Studierenden, beispielsweise bezüglich des investierten Aufwands in spezifische Lerninhalte oder der Wahl eines MINT-Studiengangs im Allgemeinen. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass fachspezifische Erwartungen und Werte über vergleichsweise kürzere Zeiträume, wie etwa ein Semester, sowie über verschiedene Lernsituationen und Themen hinweg stark variieren können (z.B. Dietrich et al., 2017). Ein Absinken dieser motivationalen Überzeugungen, insbesondere in anspruchsvollen Veranstaltungen zu Studienbeginn, kann dabei ein Warnzeichen für spätere Leistungsprobleme und Studienabbruchstendenzen darstellen (z.B. Benden & Lauermann, 2022). Warum sind manche Studierende anfälliger für solche Motivationsverluste, insbesondere in MINT-Veranstaltungen? Einzelne Studien deuten auf situationsspezifische Faktoren wie beispielsweise Leistungsfeedback als zentrale Einflussfaktoren hin (Benden & Lauermann, 2022). Allerdings gibt es bisher kaum Studien, die die Bedeutung situationsspezifischer Merkmale sowie mögliche Interaktionseffekte zwischen situationsspezifischen und persönlichen Merkmalen der Studierenden für diese motivationale Variabilität untersucht haben (Eccles, 2022). Dieser Beitrag untersucht daher die Rolle von situationsspezifischen (z.B. Aufgabenschwierigkeit) und persönlichen (z.B. Geschlecht, Schulleistungen) Merkmalen sowie deren Interaktion in der Vorhersage von situationsspezifischen Erwartungs- und Wertüberzeugungen von Studierenden in einer Testsituation im Studium. Methode Die Stichprobe umfasste 3.213 MINT-Studierende, die im Rahmen von Einführungsveranstaltungen einen landesweiten Mathematiktest zu den inhaltlichen Voraussetzungen für MINT-Studienfächer bearbeiteten. Ein Multi-Matrix-Design mit 22 Booklets, die per Zufall verteilt wurden, wurde genutzt (45-60 Min. Testzeit). Studierende bearbeiteten Schnittmengen der 11 Inhaltsbereiche des Tests (z.B. Differentialrechnung, Trigonometrie). Die Booklets enthielten vier Abschnitte, wobei jeder Abschnitt Aufgaben aus einem Inhaltsbereich enthielt. Nach jedem Abschnitt beantworteten die Studierenden Fragen zu ihren Fähigkeitsselbstkonzepten (Erwartungskomponente in SEVT) und zu subjektiven Werten (Wertkomponente in SEVT) bezüglich der Mathematikaufgaben des bearbeiteten Abschnitts. Zur Berücksichtigung der genesteten Datenstruktur der motivationalen Überzeugungen für jeden Testabschnitt (L1) innerhalb der Studierenden (L2a) und der Inhaltsbereiche des Tests (L2b), wurden die Daten mittels kreuzklassifizierter Modelle analysiert. Zunächst wurden die Varianzanteile der motivationalen Überzeugungen auf den verschiedenen Ebenen geschätzt. Die prädiktiven Effekte von persönlichen Merkmalen (Geschlecht, letzte Mathematiknote und der Besuch eines Mathematikleistungskurses), situationsspezifischen Merkmalen (Testleistung, Aufgabenschwierigkeit, bearbeitete Testinhalte im zugewiesenen Booklet) und ihren Interaktionen wurden anschließend getestet. Ergebnisse Die Analysen unterstreichen die Bedeutung von situationsspezifischen Faktoren sowie Interaktionseffekten zwischen situationsspezifischen und persönlichen Merkmalen bei der Entstehung situationsspezifischer Erwartungs- und Wertüberzeugungen der Lernenden (Eccles, 2022). Ein Großteil der Variabilität der motivationalen Überzeugungen ist dabei auf Unterschiede zwischen den Studierenden zurückzuführen (57%-61%), während die Unterschiede zwischen den Inhaltsbereichen des Tests geringer ausfielen (3%-9%). Männliche Studierende und Studierende mit besseren schulischen Mathematikleistungen und Mathematikleistungskurs hatten signifikant höhere situationsspezifische Fähigkeitsselbstkonzepte und subjektive Werte (R²=3%-42% auf Lernendenebene). Diese Unterschiede blieben bestehen, wenn die situationsspezifische Testleistung kontrolliert wurde (ΔR²=2%-10%). Folglich ging die Qualität früherer Lernerfahrungen und Mathematikleistungen mit höherer Motivation der Studierenden einher, unabhängig von ihrer tatsächlichen Testleistung. Weibliche Studierende hatten zudem selbst unter Kontrolle schulischer Mathematikleistungen und Testleistung ein geringeres Selbstkonzept. Unabhängig von ihrer objektiven Testleistung sind weibliche Studierende und Studierende mit negativen Vorerfahrungen in Mathematik folglich vergleichsweise anfälliger für Motivationsverluste in neuen akademischen Kontexten. Auf der Inhaltsebene erwies sich die Aufgabenschwierigkeit als bedeutsamer Prädiktor der testspezifischen Motivation der Studierenden (R²=17%-67% auf Inhaltsebene). Zudem zeigten sich signifikante Interaktionseffekte zwischen der Aufgabenschwierigkeit und persönlichen Merkmalen der Studierenden: Der negative Effekt der Aufgabenschwierigkeit auf die testspezifische Motivation der Studierenden war signifikant größer für Studierende, die Mathematik als Grundkurs belegt und somit weniger Lerngelegenheiten mit den getesteten Inhalten in der Schule hatten. Gezielte Motivationsfördermaßnahmen für weibliche Studierende und Studierende mit weniger Lerngelegenheiten sind – möglicherweise bereits vor Studienbeginn – notwendig, da diese Studierenden ihr situationsspezifisches Selbstkonzept und ihre subjektiven Werte unabhängig von ihrer tatsächlichen Leistung eher negativ interpretieren. Die Dynamik der Studienmotivation: Individuelle Veränderungen und Stabilisierungsprozesse der Motivation im Semesterverlauf Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Die Veränderung akademischer Motivation im Hochschulstudium ist zentral für den Lernerfolg von Hochschulstudierenden. Obwohl die situative Erwartungs-Wert-Theorie (SEVT) nach Eccles und Wigfield (2020) Aussagen über Motivation in konkreten Lernsituationen trifft, untersuchen wenige Studien die Situationsebene (Gaspard et al., 2015). Um diese Forschungslücke zu adressieren, fokussiert das auf Dynamischen Systemtheorien basierende DYNAMICS-Modell (Moeller et al., 2022) die kurzfristige Entwicklung von einer Lernsituation zur nächsten auf Ebene motivationaler State-Prozesse und deren Zusammenhänge mit langfristig stabileren motivationalen Dispositionen. State-Prozesse beschreiben einerseits relativ stabile Muster wiederkehrender Erlebenszustände (z.B. häufige Langeweile in der Vorlesung) oder Kontingenzen (z.B. häufige Langeweile infolge geringen Werterlebens). State-Prozesse können sich andererseits hinsichtlich ihrer Häufigkeit oder rekursiven Zusammenhänge verändern. Beispielsweise kann Interesse in einer Lernsituation zu stärkerer Anstrengung führen, dadurch einen Lernerfolg auslösen, woraufhin verstärktes Interesse in der nächsten Lernveranstaltung folgt. Das stabiler werdende Interesse wäre Ausdruck eines emergenten Prozesses (Hidi & Renniger, 2006). Operational werden emergente Prozesse als Prozesse definiert, deren Parameter sich über die Zeit verändern. Die vorliegende Studie untersucht bei Studierenden im ersten Studienjahr, inwieweit motivationale State-Prozesse im Semesterverlauf zunehmend stabiler werden (Forschungsfrage 1). In diesem Kontext untersuchen wir zudem, welche statistischen Methoden bzw. Parameter für die Beschreibung zunehmender Stabilität am besten geeignet sind (Forschungsfrage 2). Dazu werden verschiedene statistische Maße für Stabilität identifiziert und verglichen, welche Stabilitätskennwerte welche Schlussfolgerungen hinsichtlich der angenommenen Zunahme von Stabilität zulassen. Methode Mittels Experience-Sampling-Methode wurden Daten von N=7 Studierenden im 2. Fachsemester ihres Psychologiestudiums (n=6 Bachelor, n=1 Master, 100% weiblich, M_Alter=20) erhoben. Die Studierenden wurden über den Verlauf eines Semesters hinweg (~11 Wochen, 45-282 MZP/Person) via Smartphone-App in ihren wöchentlich stattfindenden Lehrveranstaltungen zu ihren motivationalen States befragt. Aufseiten der positiven Aufgabenwerte wurden intrinsischer Wert der aktuellen Aufgabe bzw. des aktuellen Lerninhalts („Das, was gerade besprochen wurde, habe ich gern gemacht“, 1=überhaupt nicht gern bis 5=sehr gern), dessen Wichtigkeit und Nützlichkeit, und aufseiten der negativen Kostenwerte die aktuellen Anstrengungskosten eingeschätzt (adaptiert nach Dietrich et al., 2017). Die Erwartungskomponente wurde über eine aktuelle Kompetenzeinschätzung operationalisiert („Ich fühle mich gerade… 1=stark inkompetent bis 5=sehr kompetent“). Auf Basis von Zeitreihenanalysen über Einzelpersonen und drei Variabilitätsmaßen (Dejonckheere et al., 2019) überprüfen wir folgende Annahmen: (1) Zunehmende Stabilität drückt sich darin aus, dass die Variabilität motivationaler States kleiner wird. Die Varianz in den Zeitreihen sollte sich damit über die Zeit verringern. (2) Zunehmende Stabilität drückt sich darin aus, dass Vorhersagestärke von einem Messzeitpunkt zum nächsten (Parameter: Autokorrelation) über die Zeit größer wird. (3) Zunehmende Stabilität drückt sich darin aus, dass die Fluktuationen von einem zum nächsten Messzeitpunkt über die Zeit kleiner werden (Parameter: Mean-Square-Successive-Difference, MSSD). Wir prüfen diese Annahmen mittels rollierender, also sich über eine Zeitreihe verändernder, Parameter. Ergebnisse Erste Ergebnisse liegen auf Basis von Kernel-Change-Point-Detection-Analysen für (1) die Annahme sinkender Variabilität vor (R-Paket „kcpRS“, Cabrieto et al., 2022). Die Ergebnisse zeigen sinkende Varianzen für jeweils 3 von 7 Personen für den Nützlichkeitswert und für die momentane Erwartung. Für den intrinsischen und den Wichtigkeitswert fand sich jeweils nur bei einer Person eine sinkende Varianz. Bei den momentanen Anstrengungskosten fand sich entgegen unserer Annahme bei einer Person sogar eine steigende Varianz. Weitere Ergebnisse werden es aufgrund der Länge der erfassten Zeitreihen erlauben, die Dynamiken und Entwicklungsprozesse von alltäglichen Erwartungs-Wert-Erlebnissen stärker in die Tiefe zu verstehen als es in bisherigen Feldstudien möglich war. Zukünftige Studien werden mit größeren Stichproben hierauf aufbauen können, um über Einzelfälle hinaus Schlussfolgerungen zu generieren. Grundsätzlich kann das Modellieren motivationaler Verläufe und Mikroprozesse nach Studienstart dazu beitragen zu identifizieren, wie sich motivationale Dispositionen wie Selbstkonzept oder Interesse verfestigen. Es könnte auch dazu dienen zu ermitteln, welche Studierenden beispielsweise einen Risikoverlauf für Studienabbrüche nehmen, um zur richtigen Zeit passende Unterstützungsangebote geben zu können. Erwartungs-Wert-Interaktionen im Hochschulkontext: Können hohe Wertüberzeugungen geringe Erfolgserwartungen kompensieren? Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Erfolgserwartungen und Wertüberzeugungen sind wichtige Prädiktoren für ein erfolgreiches Studium und gute akademische Leistungen (Eccles & Wigfield, 2020; Schnettler et al., 2020). In den vergangenen Jahren legten Studien aus dem Schulkontext zudem nahe, dass auch Erwartungs-Wert-Interaktionen einen Einfluss auf Leistung und Verhalten von Schülerinnen und Schülern haben können (Meyer et al., 2019; Nagengast et al., 2011; Trautwein et al., 2012). Da sich Erwartungen und Werte aber gerade in der Übergangsphase zwischen Schule und Universität erheblich verändern können (Benden & Lauermann, 2022; Fredricks & Eccles, 2002; Lee et al., 2022), benötigt es Forschung, die Erwartungs-Wert-Interaktionen im Hochschulkontext untersucht. Damit könnten kontextspezifische Unterschiede in Erwartungs-Wert-Interaktionen identifiziert werden, was letztendlich dabei helfen soll Leistung und Verhalten von Studierenden besser zu verstehen. Differenziertere Informationen zu interindividuellen Unterschieden könnten beispielsweise dazu beitragen, vom Abbruch gefährdete Studierendengruppen zu erkennen und dadurch Ansatzpunkte für gezieltere Hilfestellungen eröffnen. Mit Bezug darauf untersucht diese Studie den Zusammenhang von Erwartungen, Werten sowie Erwartungs-Wert-Interaktionen und Studienabbruchsabsichten im Hochschulkontext. Methode Daten von N = 1140 Studierenden der Geistes- und Sozialwissenschaften wurden dazu mit Hilfe latent moderierter Strukturgleichungsmodelle (LMS) und dreidimensionalen Response Surface Plots analysiert. Das Durchschnittsalter der Studierenden lag bei 23.50 (SD = 5.05) Jahren und 68.86 % der Studierenden identifizierten sich als weiblich. Wertüberzeugungen wurden dabei multidimensional durch den intrinsischen Wert, die berufliche Nützlichkeit, die Wichtigkeit guter Leistungen, der emotionalen Kosten, Anstrengungskosten und Opportunitätskosten mit jeweils drei Items pro Konstrukt erhoben (Schnettler et al., 2020). Die Studienabbruchsabsicht wurde dabei als Absicht das Studium abzubrechen oder das Studienfach zu wechseln anhand von vier Items erhoben (Dresel & Grassinger, 2013). Als Kontrollvariablen wurden Alter, Geschlecht, First-Generation Status und der bisherige Notendurchschnitt im Studium verwendet. Ergebnisse Unsere Ergebnisse zeigen neben den Haupteffekten signifikante Interaktionen zwischen Erwartungen und dem intrinsischen Wert (positiv, β = .135), der beruflichen Nützlichkeit (positiv, β = .168), der emotionalen Kosten (negativ, β = .201), der Anstrengungskosten (negativ, β = .251) und Opportunitätskosten (negativ, β = .151) in der Vorhersage von Studienabbruchabsichten. Die dazugehörigen Response-Surface-Plots deuten auf eine kompensatorische Interaktion zwischen Erwartungen und Werten hin (im Zusammenhang zur Abbruchsabsicht). Hohe Wertüberzeugungen und niedrige Kosten konnten eine niedrige Erfolgserwartungen bis zu einem gewissen Grad kompensieren. Ebenso konnten hohe Erwartungen die negativen Auswirkungen von niedrigen Wertüberzeugungen und hohen Kosten abfedern. Waren jedoch sowohl die Erwartungen als auch die Wertüberzeugungen niedrig (oder die Kosten hoch), zeigten Studierenden besonders hohe Studienabbruchabsichten. Alles in allem zeigt sich, dass Erwartungs-Wert-Interaktionen auch im Hochschulkontext von Relevanz sind und deshalb in zukünftigen Studien Berücksichtigung finden sollten. Unsere Ergebnisse legen zudem nahe, dass Hochschuleinrichtungen zusätzliche Aufmerksamkeit auf Studierende legen sollten, die nur einen geringen Wert in ihrem Studium sehen und gleichzeitig nicht erwarten, es erfolgreich abzuschließen. Diese Gruppe von Studierenden zeigt Abbruchsabsichten, die weit über die individuellen Effekte geringer Erwartungen und Werte hinausgehen und durch die Interaktion beider motivationaler Komponenten stärker sind, als in vorangegangenen Studien angenommen. Bemerkenswert ist außerdem, dass in bisherigen Studien aus dem Schulkontext meist Interaktionseffekte mit entgegengesetzter Wirkrichtung gefunden wurden (Guo et al., 2016; Meyer et al., 2019; Nagengast et al., 2011; Trautwein et al., 2012): Dort deuten Ergebnisse auf synergistische Interaktionen hin. Demnach reichen hohe Wertüberzeugungen nicht aus, um niedrige Erwartungen auszugleichen und resultieren in geringeren Leistungen (und umgekehrt). Im Gegensatz dazu sind Leistungen besonders hoch, wenn sowohl Erwartungen als auch Werte hoch sind. Insgesamt finden sich in beiden Bildungskontexten signifikante Erwartungs-Wert-Interaktionen, der Zusammenhang zu verschiedenen Erfolgsfaktoren scheint aber nicht zwingend verallgemeinerbar. Ein möglicher Grund dafür könnte beispielsweise sein, dass Wertevorstellungen im Hochschulkontext stärker ausgebildet und deutlich proximaler sind, da erste berufsbezogenen Entscheidungen (z.B. Fach, Berufsorientierung) bereits getroffen wurden. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Die Relevanz individueller Bedeutsamkeit und Erfülltheit verschiedener studienbezogener Erwartungen und Wertüberzeugungen für Studienerfolg Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Die Sicherstellung und Steigerung des Studienerfolgs im Sinne hoher Studienzufriedenheit und niedrigen Abbruchquoten (van der Zanden et al., 2019) stellt ein gesellschaftlich wichtiges Thema dar (Neugebauer et al., 2021). Ein wesentlicher Genesefaktor für Studienerfolg ist optimale Studienmotivation (Schneider & Preckel, 2017). Studienmotivation aufgefasst als studienbezogene Handlungsmotivation entsteht gemäß der situativen Erwartungs-Wert-Theorie (SEVT; Eccles & Wigfield, 2020) im Zusammenspiel aus subjektiven Erfolgserwartungen (“Wird es mir gelingen im Studium erfolgreich zu sein?“) und subjektivem Wert des Studiums („Wofür studiere ich?“). Der subjektive Wert wird dabei in positive (z.B. intrinsischer Wert, Nützlichkeit) und negative (Kosten) Komponenten unterschieden. Gemäß der SEVT können diese Komponenten kontextspezifisch weiter ausdifferenziert werden und sich in ihrer Bedeutsamkeit zwischen Personen unterscheiden (vgl. Gaspard et al., 2015; hierarchy of STVs, Wigfield et al., 2021). So wird im Kontext der Studienwahl zwischen intrinsischer, extrinsisch-materialistischer, extrinsisch-sozialer, bewältigungsorientierter und sozial-induzierter Studien(wahl)motivation unterschieden (Janke et al., 2023). Die intrinsische Motivation und bewältigungsorientierte Motivation leiten sich direkt aus der SEVT ab, aus dem intrinsischen Wert und den Kosten. Die Nützlichkeit der SEVT wird in Nützlichkeit hinsichtlich des gesellschaftlichen Ansehens (extrinsisch-materialistisch) und hinsichtlich der Vereinbarkeit des Studienfachs mit Zeit mit sozialen Kontakten (extrinsisch-sozial) unterschieden. Die sozial-induzierte Studien(wahl)motivation stellt eine Erweiterung der SEVT dar und beschreibt die Konformität des Studienfachs mit den Vorstellungen anderer nahestehender Personen (Janke et al., 2023). Bislang gibt es zahlreiche empirische Studien, die auf interindividueller Ebene positive Zusammenhänge zwischen Erwartung und positiven Wertkomponenten mit Studienerfolg belegen (bspw. Robinson et al., 2019). Allerdings lässt die bisherige Forschung die Annahme außer Acht, dass Unterschiede in der Erfülltheit dieser motivationalen Komponenten, sowie deren persönliche Bedeutsamkeit für verschiedene Personen miteinander interagieren und motiviertes Handeln erklären können (Wigfield et al., 2021). Dies lässt sich aus der Person-Umwelt-Passung-Theorie ableiten, wonach eine Übereinstimmung zwischen den Merkmalen einer Person und den Merkmalen der Umgebung zu mehr Erfolg führt (z.B. Edwards & Shipp, 2007; Le et al., 2014). Übertragen auf den Studienkontext mündet dies in die Vorhersage, dass der Einfluss der Erfülltheit bestimmter Werte und Erwartungen im Studium (Umwelt) für den individuellen Studienerfolg davon abhängen sollte, ob das Individuum diesen Aspekten auch persönliche Bedeutsamkeit zuschreibt (Person). Zusammenfassend nehmen wir basierend auf der SEVT an, dass die Erfüllung verschiedener Komponenten der Motivation (intrinsisch, extrinsisch-materialistisch, extrinsisch-sozial, bewältigungsorientiert, sozial-induziert) zu höherem Studienerfolg (höhere Studienzufriedenheit, höhere Studienwahlsicherheit, geringere Studienabbruchintention) führt. In Kombination mit der Theorie der Person-Umwelt-Passung erwarten wir weiterhin, dass dieser Zusammenhang mit zunehmender persönlicher Bedeutsamkeit der jeweiligen Komponente der Studienmotivation stärker wird. Methode Diese Hypothesen wurden mit Hilfe einer Befragungsstudie getestet, an welcher 457 Psychologiestudierende (M_Alter=22.0, 83.2% weiblich, 1.7% divers) teilnahmen. Dabei beantworteten sie zunächst Fragen sowohl zur persönlichen Bedeutsamkeit als auch zur wahrgenommenen Erfülltheit verschiedener Komponenten von Studienmotivation (intrinsisch, extrinsisch-materialistisch, extrinsisch-sozial, sozial-induziert, bewältigungsorientiert). Anschließend wurde ihre Studienzufriedenheit, -sicherheit und -abbruchintention erfasst. Zur Analyse der Daten wurde eine multiple multivariate moderierte Regression gerechnet, in welcher im ersten Schritt die Erfülltheit der fünf Komponenten der Studienmotivation eingefügt wurden, im zweiten Schritt die persönliche Bedeutsamkeit der Komponenten und im letzten Schritt die fünf Interaktionsterme zwischen jeweils der Erfülltheit und Bedeutsamkeit jeder motivationalen Komponente. Ergebnisse Die multivariaten Ergebnisse zeigten, dass eine höhere Erfülltheit an intrinsischer Studienmotivation und an sozial-induzierter Studienmotivation mit größerem Studienerfolg einhergingen. Für intrinsische und bewältigungsorientierte Studienmotivation verstärkten sich die Zusammenhänge zwischen deren Erfülltheit und Studienerfolgsindikatoren, je höher die persönliche Bedeutsamkeit dieser Komponente der Studienmotivation von den Studierenden eingeschätzt wurde. Die Ergebnisse dieser Studie geben erste Hinweise darauf, dass die Zusammenhänge der Erfülltheit verschiedener motivationaler Komponenten mit Studienerfolg nicht personenübergreifend einheitlich wirken, sondern von deren persönlicher Bedeutsamkeit abhängig sind (Eccles, 2022). Dieses Wissen ist zentral, um beispielsweise motivationsförderliche Maßnahmen zielgerichtet passend für spezifische Personen anzuwenden. Limitationen und zukünftige Forschungsperspektiven werden diskutiert. |
13:10 - 14:50 | 5-07: Lived diversity: The role of parents in the education and socialization of children in multicultural school settings. Ort: H06 |
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Symposium
Lived diversity: The role of parents in the education and socialization of children in multicultural school settings. Approximately 40% of children and adolescents living in Germany today come from families with migration experiences, a number that is set to increase in coming years. Despite the fact that the majority of these children are themselves born in Germany, they face persistent and recently even increasing educational disparities compared to their peers without familial migration experiences (e.g., Henschel et al., 2023). To address these educational disparities and foster educational achievement for all children and adolescents, they need adequate support from schools and families. In fact, positive family-school-cooperation is highlighted as a promising factor in reducing existing disparities in educational achievement (Wild, 2021). Previous research shows that ethnic-racial minority parents are generally highly motivated to support their children in this endeavor and have high aspirations for their children’s educational achievements and qualifications (e.g., Kim et al., 2020). However, they are also less likely to be actively involved in their children’s educational processes than parents from majorities, partly because they face greater barriers to involvement (e.g., Wild, 2021). This symposium looks at processes that may help to bridge this gap between parental motivation and involvement and ultimately children’s educational achievements, by focusing on parental approaches to diversity (their identities, attitudes, strategies, and socialization practices) and their effects for themselves and their children. We bring together four contributions from Germany and, in one case, the UK. The studies draw on small datasets tailored to assess these issues, as well as more representative samples, incorporate several viewpoints (of children and/or their parents, from ethnic minority and majority groups) and examine different indicators of parenting (e.g., acculturation gaps, familial and school ethnic racial socialization, and attitudes towards school diversity approaches) and outcomes (e.g., cultural identification, school belonging and school involvement). The first study by Lilla and colleagues aims to extend the well-known finding that immigrant children’s acculturation orientations affect their academic achievement. Drawing on dyadic data from the (German) National Education Panel Study (NEPS), the study examines the manifestations of acculturation gaps, i.e. the overlap or discrepancy between 415 children and parents in their cultural identity, cultural habits and language use and the conditions of these acculturation gaps. Taking the parents more strongly into focus, Harms and colleagues (Abstract 2) apply a mixed methods approach to the ethnic-racial socialization practices of both ethnic minority and majority parents in Germany and the UK (N = 1159), generating new insights regarding the contextual applicability and breadth of the concept (qualitatively), as well as its relationship to parental and child school belonging (quantitatively). The third contribution to the symposium by Aral and colleagues provides a complementary perspective to the previous contributions by considering the separate and interacting relations of family and school socialization with cultural identity among 311 early to midteen ethnic minority adolescents using survey data from -adolescents in Germany. The fourth contribution by Benbow and colleagues takes a closer look at how ethnic minority parents’ views on school approaches to cultural diversity are related to several aspects of their school involvement. Taken together, these studies expand our understanding of how parents and schools help children to negotiate the benefits and challenges of ethnically diverse school settings and may therefore ultimately contribute to a reduction of educational disparities. The findings and their implications for educational processes are discussed by Birgit Leyendecker, a renowned expert on family, acculturation and education. Beiträge des Symposiums Acculturation gaps in parent-child-dyads: Shedding some light on a blind spot in research on immigrant families in Germany. The acculturation gap-distress model suggests that acculturation gaps, i.e. discrepancies in acculturation orientations between parents and their children, result in negative consequences for children with an immigrant background (Portes & Rumbaut, 1996), including less favorable academic outcomes (e.g., Telzer, 2016). According to a common two-dimensional approach (e.g., Berry, 2006), these orientations refer to the mainstream culture and to the heritage culture. While existing studies predominantly focus on consequences of when children adjust faster and stronger to the mainstream culture than their parents, little is known about the manifestations of these gaps and the conditions under which they emerge, particularly in the German context (but see Aumann & Titzmann, 2018). This seems particularly relevant as findings from international studies have shown that different types of acculturation gaps exist and that the causes and consequences of these gaps vary depending on the cultural context (cf. Aumann & Titzmann, 2018; Telzer, 2010). The present study addresses this issue and investigates the manifestations and conditions of acculturation gaps in multiple domains in immigrant families in Germany of different heritage. We do this through a person-centered approach, conducting Latent Profile Analysis (LPA), which enables us to empirically identify significantly meaningful acculturation gaps. Research questions read: 1) What acculturation gaps can be identified in different domains of acculturation? 2) What profiles of acculturation gaps can be empirically determined by LPA? 3) What conditions at the individual, family, and school level are related to the identified profiles in different domains? The study analyzes data from Starting Cohort 3 of the National Educational Panel Study (NEPS). There are data on several domains of acculturation (cultural identity, language competence, language use) which have been assessed bi-dimensionally, i.e. pertaining to German culture and pertaining to heritage culture. Acculturation orientations were reported independently by the students from immigrant families and one of their parents, resulting in about N = 415 parent-child dyads. First, we descriptively analyze acculturation gaps in multiple domains. Subtracting the parent’s level of acculturation from their child’s, we calculated (1) matches (if parent-acculturation equals child-acculturation) and mismatches (if parent-child-acculturation is discrepant), and (2) difference scores to examine the direction of the mismatch. Next, we identify distinct acculturation gaps in multiple cultural domains running latent profile analysis. Finally, we conduct regression analysis to investigate possible interrelations with characteristics at the individual, family, and school level. Initial inspection of the data reveals matching as well as discrepant acculturation orientations in both directions, indicating four types of acculturation gaps. In terms of cultural identity, one third of children matches with their parent regarding German identity (33.2%), and about a quarter matches regarding ethnic identity (27.2%). Interestingly, in only 19.9% of dyads children identified more strongly with Germany than their parent, whereas in 46.9% of dyads children were less identified. On the opposite, in 46.5% of dyads children identified more strongly with their ethnic origin than their parents, whereas in 26.3% of dyads children were less identified. Relating to subjective language competence, 27.3% of dyads have matching competencies in German language and 17.0% in heritage language. Calculating difference scores shows that in the majority of dyads, children’s self-reported competencies in German language exceed those of their parent (51.8%), while in 20.9% parents exceed their children’s competencies. The opposite is the case with regard to heritage language competencies: In 65.3% of dyads parents exceed their children, while in 17.7% children exceed their parents. Fully investigating multiple domains of acculturation and running LPA will shed more light on the prevalence of acculturation gaps in immigrant families in Germany. The study’s hypotheses and planned analyses will be preregistered at the Open Science Framework (https://osf.io). Comparing Ethnic-Racial Socialization Practices: Minority and Majority Parents in Germany and the UK. Theoretical background In an increasingly diverse world, conversations about race, ethnicity, and discrimination are imperative for parents. Psychological research recognizes these dialogues as ethnic-racial socialization (ERS; Wang et al., 2020). Yet, a significant knowledge gap exists concerning the content and effects of ERS, particularly within majority families and beyond the US. ERS has been mostly studied among ethnic-racial minority families in the US, focusing on its components cultural socialization, preparation for bias, and promotion of mistrust (Huguley et al., 2019; Umaña-Taylor & Hill, 2020). Extensive research has shown the positive impact of some dimensions of ERS, specifically cultural socialization, on identity development, psychosocial adjustment and academic outcomes of children from minority families (Huguley et al., 2019; Umaña-Taylor & Hill, 2020; Wang et al., 2020). However, the meaning of ERS for children from majority families, particularly in the context of education, remains poorly understood (but see Seider et al., 2023). Furthermore, existing scales of ERS have been developed with a focus on ethnic minorities. Recent studies examining how White American parents discuss race with their children identified two broad themes distinct from the previously described components: most White parents seem to endorse a colour-blind approach and only some communicate colour-consciousness (Abaied & Perry, 2021; Cox et al., 2022). While some studies summarize downplaying the importance of race and actively avoiding discussions of race under colour-blindness (Zucker & Patterson, 2018), others support a distinction of those strategies (Pahlke et al., 2021). Additionally, many parents seem to communicate mixed messages, which further supports extending the above-mentioned binary (Abaied & Perry, 2021; Freeman et al., 2022). Overall, White parents’ ERS practices seem to be multi-layered but distinct from those of ethnic minorities and continue to be under-researched, especially outside the US. Little is known also about the effects of ERS on majority children. Accordingly, the current study investigates the content of minority and majority parents’ ERS practices and their associations with school belonging in Germany and the UK. Method A mixed-methods approach is used. Associations between ERS and parents’ belonging to their children’s school and parent-reported child school belonging are analysed quantitatively. Then, the content of ERS is examined via thematic analysis (Braun & Clarke, 2006). Identified themes will be linked to an ERS scale, verifying whether it fully captures ERS, specifically in majority families. Data in the UK stems from N = 525 parents of school aged children (n = 273 majority; n = 252 minority; 73.1% female; mean age 39.87). In Germany, N = 643 parents were questioned (n = 301 majority; n = 342 minority; 56.5% female; mean age 39.83). Results Regression analysis confirmed prior findings on effects of ERS dimensions in ethnic minority families: Cultural socialization was associated with higher parental and child school belonging in both countries. Conversely, preparation for bias was negatively related to both outcomes. In the UK, mistrust was associated with lower parental school belonging only while in Germany it was associated with lower parental and child school belonging. Looking at majority families, only the positive effect of cultural socialization on child school belonging was significant in both countries. In majority families in Germany, this was true also for parental school belonging. Furthermore, here mistrust was related to lower parental and child school belonging. Qualitative results showed that majority parents in both countries endorse similar approaches to ERS which do not fully map on ethnic minority ERS practices. Additionally, two new themes emerged: schools’ responsibility for ERS and ERS as a joint learning context. Overall, results illuminate nuances in ERS practices and their effects in ethnic minority and majority families across different national contexts. The social contexts of cultural identity among adolescents of immigrant descent: Separate and interacting relations of family and school ethnic-racial socialization. For minorized adolescents, those with higher attachment to their ethnic-racial or cultural identity demonstrate higher academic achievement than those with lower attachment to their ethnic-racial or cultural identity (Miller-Cotto & Byrnes, 2016). We know that adolescents develop an understanding of their ethnic-racial and cultural identity through ethnic-racial socialization, defined as “the myriad ways that varied agents of socialization transmit messages about ethnicity, culture, and race to children (Hughes & Watford, 2021, p. 3). Ethnic-racial socialization occurs in various social contexts, such as families, schools, and peer groups. Most research has focused on social contexts separately. For instance, family (especially parental) (Umaña‐Taylor & Hill, 2020) and school ethnic-racial socialization (Saleem & Byrd, 2021; Schachner et al., 2021) relate to adolescents’ ethnic-racial or cultural identity development. Nevertheless, because adolescents negotiate the complex socialization messages from both family and school, it is important to examine the two contexts together. The ways adolescents understand and define their ethnic-racial or cultural identity may differ if the messages they receive in one context (e.g., family) and the messages they receive in another context (e.g., school) are congruent or incongruent (Wang & Benner, 2016). Our study explored the separate and interacting relations of family (cultural socialization/pluralism, preparation for bias, promotion of mistrust) and school (equal treatment, intercultural learning) socialization with cultural (heritage culture and German) identity among adolescents of immigrant descent. Analyses were based on survey data from 311 early to mid-adolescents in Germany (Mage= 13.85, SD = 1.82). We tested the direct paths and added the interaction terms one at a time. Later, we performed simple slope analyses to explore significant interactions. Higher family cultural socialization/pluralism and intercultural learning at school were related to higher heritage culture identity and higher equal treatment at school was related to lower heritage culture identity. Higher intercultural learning and equal treatment at school were related to higher German identity. Family preparation for bias and promotion of mistrust had no direct relation to heritage culture and German identity. Thus, school socialization had more direct relations to cultural identity than family socialization. Interactions of the two contexts had enhancing and compensating relations to heritage culture but not to German identity. These findings highlight the importance of school context and expand our understanding of the complementary roles of school and family in supporting cultural identity development. The role of perceived school diversity approaches in the school involvement of ethnic minority parents. In times of increasing diversity and continuing heritage-based educational disparities schools are particularly challenged with creating a climate where pupils, staff and parents can thrive, feel able to engage and belong. Parental involvement, as one indicator of an effective, positive school climate, generally refers to parents cognitive, affective and behavioral involvement in school matters at home and at school. It is thought to be especially beneficial for the school adaptation of children who have ethnic-racial minority backgrounds, because it can help to reduce educational disparities in school belonging and achievement (Jeynes, 2003; Kim et al., 2020). However, ethnic minority parents have been found to be less likely to be actively involved in their children’s schooling than majority parents (Kim et al., 2020). This may be due to several barriers to involvement, such as low income, language gaps and concerns regarding their ability to provide educational assistance to their children (e.g., Desforges & Abouchaar, 2003). Other barriers may be more strongly related to interethnic relations within the school context (e.g., perceptions of racism or disparate cultural values, Wild, 2021). Research on how schools promote interethnic relations, has considered several diversity approaches, including discrimination, assimilation, and multiculturalism. These approaches are known to have differential consequences for students’ school adjustment, as demonstrated by school policy statements (e.g., Celeste et al., 2019), student perceptions (e.g., Baysu et al., 2016; Schachner et al., 2016) and teacher beliefs and self-reported behavior (Schotte et al., 2021; Schwarzenthal et al., 2023). However, parental perceptions of school diversity and diversity approaches are currently under-researched, and little is known about whether and how they can promote or inhibit parental involvement. Our study therefore considered the following research questions: 1.) How do ethnic minority parents perceive the diversity approaches of their children’s schools? 2.) How is the perceived school diversity approach related to parental involvement? Specifically, we investigated the perceptions of the diversity approaches of their child’s school in 342 minority parents (68% female, Mage = 37, SD = 9) and examined their relations to several aspects of their school involvement (e.g., their volunteering, school endorsement, relationship to the teacher, and feelings of inclusion). Regression analysis largely supported our assumptions: Perceptions of a multicultural school diversity approach were positively related to all aspects of parental involvement (βs > .19, ps ≤ .001), highlighting the importance of creating school environments that discuss and include cultures represented within them. A discriminatory climate was negatively related to parental involvement (βs > -.19, ps ≤ .009), except for volunteering where the relationship was positive (β = .196, p < .001). Thus, parents who perceived discrimination feel less included, report lower relationship quality to teachers, and endorse their children’s schools less, while getting more involved. Follow-up exploratory analyses indicate that this is especially true for their provision of supplementary school materials. Unexpectedly, an assimilationist climate was positively related to all facets of parental involvement (βs > .12, ps ≤ .026), though less strongly than multiculturalism. Our findings show first evidence that school diversity approaches matter for parental involvement. Thus, schools wanting to increase parental involvement from ethnic minority groups may benefit from explicitly evaluating and communicating their approaches to diversity. This may, in turn, help to address existing educational disparities. |
13:10 - 14:50 | 5-08: Ist es so, wie es scheint? Indirekte Methoden zur Erfassung impliziter Stereotype und Vorurteile Ort: S18 |
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Symposium
Ist es so, wie es scheint? Indirekte Methoden zur Erfassung impliziter Stereotype und Vorurteile Einstellungen sind in unserem Alltag allgegenwärtig und spielen eine wichtige Rolle bei der Art und Weise, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und auf sie reagieren (Eagly & Chaiken, 1993). Einstellungen bestehen aus verschiedenen Komponenten (Eagly & Chaiken, 1993): Die kognitive Komponente wird als Stereotype bezeichnet und beschreibt Kognitionen zu Eigenschaften und Verhalten von Mitgliedern einer sozialen Gruppe (Hilton & von Hippel, 1996). Vorurteile als affektive Komponente beschreiben Gefühle gegenüber einem Einstellungsobjekt (Eagly & Chaiken, 1993). Im Schulkontext spielen Einstellungen ebenfalls eine wichtige Rolle: Studien zeigen, dass Schüler*innen bessere Chancen haben, wenn die Lehrkraft positiver eingestellt ist (van den Bergh et al., 2010). Bestimmte Gruppen von Schüler*innen sind dabei besonders von Stereotypen und Vorurteilen betroffen, zum Beispiel diejenigen mit einem Förderbedarf und/oder Migrationshintergrund (z.B.: Glock et al., 2020; Pit-ten Cate & Krischler, 2020). Die meiste Forschung hierzu konzentriert sich auf direkte Messmethoden, wobei Stereotype und Vorurteile bewusst abgerufen und in Worte gefasst werden, und widmet weniger Aufmerksamkeit impliziten Stereotypen und Vorurteilen, die tendenziell unbewusster Natur sind (Glock et al., 2020). Allerdings sind diese, besonders bei sensiblen Themen, anfällig für soziale Erwünschtheit und können implizite, das heißt unbewusste, automatische Assoziationen nicht erfassen (Gawronski & De Houwer, 2014). Implizite Einstellungen gelten jedoch als relevant, wenn es um Verhalten geht (Fazio, 1995). Diese bestimmen das Verhalten insbesondere in stressreichen Situationen, in denen wenig Zeit, wenige kognitive Ressourcen und wenig Motivation vorhanden ist. Lehrkräfte nehmen ihre Arbeit als sehr stressreich wahr (Skaalvik & Skaalvik, 2015), weshalb die impliziten Einstellungen im Schulkontext eine hohe Relevanz haben. Wenngleich indirekte Messmethoden mittlerweile viel Beachtung finden, werden diese dennoch weniger häufig eingesetzt als direkte Methoden, die ökonomischer sind. Gerade weil Studien zeigen, dass implizite und explizite Einstellungen bei sensiblen Themen in der Regel nicht übereinstimmen (Nosek, 2007), sollten indirekte Methoden nicht vernachlässigt werden. Daher beschäftigt sich dieses Symposium mit Möglichkeiten, implizite Stereotype und Vorurteile von (angehenden) Lehrkräften zu untersuchen. Es werden bewährte, aber auch neue Methoden vorgestellt. Der erste Beitrag von Schell und Kolleginnen untersucht implizite Stereotype von Lehramtsstudierenden gegenüber verschiedenen Gruppen von Schüler*innen mit Förderbedarf mittels eines Lexical Decision Task. Dieses Verfahren ist durchaus bewährt, fand jedoch im Kontext der Erfassung von Stereotypen gegenüber Schüler*innengruppen bisher kaum Beachtung. Lehramtsstudierende zeigten sowohl implizite als auch explizite Stereotype gegenüber Schüler*innen mit Förderbedarf. Im zweiten Beitrag verwenden Stang-Rabrig und Kolleginnen den Impliziten Assoziationstest (IAT), um implizite Einstellungen von Kindern und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund gegenüber Schüler*innen mit türkischem Migrationshintergrund zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl Kinder als auch Jugendliche im Durchschnitt negative implizite Einstellungen haben, wobei Geschlechtsunterschiede bei den Kindern beobachtet wurden. Während die beiden ersten Beiträge implizite Verfahren verwenden, die auf der Messung von Reaktionszeiten beruhen, wird im dritten Beitrag von Reichardt und Schmid mit einer Misattributionsaufgabe ein alternatives Maß verwendet, um Inkompetenz-Stereotype von Lehramtsstudierenden gegenüber Schüler*innenn mit türkischem und osteuropäischem Migrationshintergrund zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen implizite Stereotypen, wobei die Art der Stereotypen je nach Herkunftsregion variiert. Der letzte Beitrag von Bonefeld und Beissert beschäftigt sich ebenfalls mit einem relativ neuen Verfahren: Er untersucht, ob das Linguistic Category Model auf die deutsche Sprache anwendbar ist, um implizite Stereotypen von Lehrkräften zu messen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Anwendung auf die deutsche Sprache Schwierigkeiten aufwirft, da die Beschreibungen von Lehrkräften tendenziell in konkreten Kategorien verbleiben und keine klaren sprachlichen Unterschiede aufweisen. Insgesamt verdeutlichen alle vier Beiträge die Relevanz von impliziten Stereotypen und Vorurteilen im Bildungskontexten. Insbesondere die Einblicke in die verschiedenen indirekten Methoden können Chancen aufzeigen, wie innovative Methoden aus der Einstellungsforschung zu einem besseren Verständnis bezüglich der Rolle von Stereotypen und Vorurteilen bei der Bildungsbenachteiligung führen können. Diskutiert werden die Beiträge von Dr. Ineke Pit-ten Cate. Beiträge des Symposiums What’s in a label? Indirekte Erfassung von Stereotypen gegenüber Kindern mit Förderbedarf mittels Lexical Decision Task Durch die Konvention der UN zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen (United Nations, 2006) hat das Thema Inklusion in den letzten Jahren in Schulen weltweit an Bedeutung gewonnen. Für die erfolgreiche Umsetzung von Inklusion spielen Lehrkräfte und deren Einstellungen eine entscheidende Rolle (Markova et al., 2016). Dazu gehören Stereotype als die kognitive Komponente. Stereotype sind Überzeugungen über Eigenschaften und Verhaltensweisen von Mitgliedern einer sozialen Gruppe (Hilton & von Hippel, 1996) und können sich auf Verhalten, Urteile und Entscheidungen und damit auf die Entwicklung von Schüler*innen auswirken - unabhängig von deren individuellen Voraussetzungen (Murdock-Perriera & Sedlacek, 2018). Bezüglich der Inklusion unterscheiden sich jedoch die Stereotype je nach Förderbedarf der Schüler*innen: Schüler*innen mit Down-Syndrom werden stereotyp beispielsweise als warm, aber nicht sehr kompetent wahrgenommen (Fiske, 2012). Autistische Schüler*innen hingegen werden oft mit Savant-Fähigkeiten assoziiert (Bennett et al., 2018). Schüler*innen mit Lese-Rechtschreibstörung werden mit deutlich geringerer Kompetenz und Leistungsfähigkeit assoziiert, als es tatsächlich der Fall ist (Pit-ten Cate & Krischler, 2020). Ein Großteil dieser Forschung beschäftigt sich jedoch mit expliziten Stereotypen, die bewusst abgerufen und verbalisiert werden können und weniger mit impliziten Stereotypen, die eher unbewusst sind (Glock et al., 2020). Stereotype explizit zu erfassen kann allerdings, besonders angesichts der Sensibilität des Themas (Avramidis & Norwich, 2002), anfällig für soziale Erwünschtheit sein (Lüke & Grosche, 2018b, 2018a, zitiert nach Lautenbach & Antoniewicz, 2018). Dies zeigt sich auch aufgrund der niedrigen Korrelationen zwischen impliziten und expliziten Einstellungen (Nosek et al., 2007). Da jedoch speziell implizite Einstellungen handlungsleitend sein können (Fazio, 1995), ist es besonders relevant, auch implizite Stereotype zu erheben. Eine Möglichkeit dies zu tun, stellt der Lexical Decision Task (Meyer & Schvaneveldt, 1971) dar. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Aktivierung eines Konzepts damit assoziierte Begriffe leichter zugänglich macht (Macrae et al., 1997). Fragestellung Daraus ableitend gehen wir der Frage nach, welche impliziten und expliziten Stereotype Lehramtsstudierende gegenüber autistischen Kindern, Kindern mit Down-Syndrom und Kindern mit Lese-Rechtschreibstörung haben. Methode Untersucht wurden N = 76 Lehramtsstudierende (67.1% weiblich, MAlter= 22.75, SD = 3.29). Während der Lexical Decision Task mussten sie per Tastendruck entscheiden, ob es sich bei einem präsentierten Wort um ein real existierendes Wort oder ein Nichtwort handelte. Bei den Wörtern handelte es sich um stereotype (z.B. „hochbegabt“ bei Autismus) versus nicht-stereotype Adjektive (z.B. „spiegelverkehrt“), welche in einer vorherigen Studie validiert wurden (Schell et al., under review). Vor jedem Adjektiv wurde der Förderbedarf als Prime gezeigt. Jede Versuchsperson durchlief in randomisierter Reihenfolge drei Lexical Decision Tasks: jeweils mit Autismus, Down-Syndrom und Lese-Rechtschreibstörung als Prime. Die Lehramtsstudierenden beantworteten zudem einen Fragebogen auf Basis von Fiske et al. (2002) zu expliziten Stereotypen mit einer Likert-Skala von 1 „gar nicht zutreffend“ bis 6 „sehr zutreffend“ sowie demographische Fragen. Ergebnisse Mittels t-Tests wurden die Reaktionszeiten für stereotypen und nicht-stereotypen Adjektive für jeden Förderbedarf miteinander verglichen: Für alle drei zeigte sich, dass stereotype Adjektive schneller als Wort erkannt wurden, tAutismus(148.56) = -3.27, p = 0.001; d = .53, tDown-Syndrom(127.23) = -3.57, p < .001, d = .58, tLese-Rechtschreibstörung(122.79) = -4.27, p < .001, d = .69. Bezogen auf die expliziten Stereotype zeigte sich, dass alle stereotypen Adjektive als eher zutreffend eingestuft wurden. t-Tests zeigten, dass die Mittelwerte der stereotypen Adjektive fast alle signifikant höher als der Mittelwert der Skala waren. Nur bezüglich Schüler*innen mit Lese-Rechtschreibstörung unterschieden sich die Einschätzungen der Adjektive „verhaltensauffällig“ und „introvertiert“ nicht signifikant vom Mittelwert der Skala. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass Lehramtsstudierende stereotype Eigenschaften mit den drei Schüler*innengruppen assoziieren. Überraschenderweise zeigen sich implizit und explizit ähnliche Muster, welche Adjektive als zutreffend angesehen werden. Dies ist insbesondere mit Blick auf Einstellungs-Verhaltens-Relationen interessant und sollte in zukünftigen Bestrebungen für eine erfolgreiche Umsetzung von Inklusion berücksichtigt werden. Implizite Einstellungen zu Menschen mit Migrationshintergrund: Kinder und Jugendliche im Vergleich Weltweite Migrationsbewegungen führen zu einer kulturell-ethnischen Heterogenität in Schulklassen (International Organization for Migration, 2021). Lernende mit einem türkischen Migrationshintergrund stellen dabei die größte Herkunftsgruppe nichtdeutschstämmiger Kinder und Jugendlicher dar (Statistisches Bundesamt, 2022). Gegenüber Lernenden mit Migrationshintergrund bestehen beispielsweise bei signifikanten Sozialisationsagent*innen wie Lehrkräften jedoch negative leistungsbezogene Stereotype (z.B. Costa et al., 2022; Glock & Klapproth, 2017), wobei Stereotype die kognitive Komponente von Einstellungen sind. Einstellungen sind im Gedächtnis vorhandene Assoziationen zwischen einem Einstellungsobjekt und der Bewertung des Objektes und können anhand ihrer Valenz (positiv/negativ), Intensität (stark/schwach) und Art (implizit [unbewusst]/explizit [bewusst]; z.B. Maio et al., 2019) differenziert werden. Das Vorliegen negativer Einstellungen kann per Ingroup/Outgroup-Favorisierung (Tajfel, 1982) erklärt werden: Der Eigengruppe gegenüber bestehen eher positive, der Fremdgruppe, der man nicht angehört, gegenüber hingegen eher negative Einstellungen (z.B. Nosek et al., 2002; Stang et al., 2021). Implizite Einstellungen zum Beispiel bezüglich Geschlecht oder ethnischen Minderheiten entwickeln sich bereits ab einem Alter von fünf Jahren (z.B. Bigler & Liben, 2006). Relevante Altersphasen stellen Kindheit und Jugend dar, in denen zudem verschiedene, wichtige Entwicklungsaufgaben bewältigt werden müssen (Havighurst, 1953). Diverse Determinanten können die Ausprägung von Einstellungen erklären, wobei oftmals kontextuelle Determinanten (z.B. Kontakthäufigkeit) betrachtet wurden (z.B. Bowyer, 2009). Theoretische Modelle und empirische Befunde legen jedoch nahe, dass personale Determinanten ebenfalls relevant sind (z.B. Social Identity Theory; Tajfel & Turner, 1986; König et al., 2022). Vor diesem Hintergrund wurden folgende Forschungsfragen untersucht: 1) Liegen in den zwei zentralen Altersphasen (Kindheit, Jugend) negative implizite Einstellungen gegenüber Menschen mit türkischem Migrationshintergrund vor? 2) Unterscheiden sich die zwei Altersgruppen in der Ausprägung ihrer negativen impliziten Einstellungen? 3) Wie hängen verschiedene personale Faktoren (Geschlecht, Identifikation mit Deutschland, wahrgenommene Diskriminierung gegenüber der Fremdgruppe) bei Kindern und Jugendlichen mit negativen impliziten Einstellungen zusammen? Analysegrundlage bildeten zwei Datensätze, an denen 196 Kinder (41.3% weiblich, MAlter= 9.86, SD = 0.61, vierte Klassenstufe) beziehungsweise 142 Jugendliche (58.5% weiblich, MAlter= 15.92, SD = 1.11, ab achter Klassenstufe) ohne Migrationshintergrund teilnahmen. Zur Erfassung impliziter Einstellungen wurde in beiden Kohorten derselbe implizite Assoziationstest (IAT) mit den Kategorien „Deutsch“ und „Türkisch“ sowie leistungsbezogenen positiven und negativen Adjektiven eingesetzt (Greenwald et al., 1998; Nosek et al., 2007). Die Studienteilnehmer*innen beantworteten zudem Fragen zur Soziodemografie und den interessierenden Variablen. Die Items wurden auf vier- beziehungsweise fünfstufigen Likert-Skalen gemessen (1 = stimme überhaupt nicht zu bis 4 bzw. 5 = stimme voll und ganz zu). Die Reliabilitäten lagen in einem zufriedenstellenden bis guten Bereich (.76 ≤ α ≤ .90). Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden Einstichproben-t-Tests gegen +0.15, als Grenzwert für das Vorliegen negativer impliziter Einstellungen, eine Varianzanalyse in SPSS 28 sowie ein Mehrgruppenvergleich in einem latenten Strukturgleichungsmodell in Mplus 8.1 (Muthén & Muthén, 1998–2017) gerechnet. Der Modellfit war zufriedenstellend (χ²= 100.65, df= 72, p = .015, CFI = .97, RMSEA = .05). T-Tests verdeutlichten, dass bei Kindern (M = 0.29, SD = 0.35, t(195) = 5.51, p = .001, d = .35) und Jugendlichen (M = 0.23, SD = 0.35 , t(141) = 2.65, p = .004, d = .35) ohne Migrationshintergrund im Mittel negative implizite Einstellungen gegenüber Menschen mit türkischem Migrationshintergrund vorlagen, da die Mittelwerte signifikant vom Grenzwert abwichen. Die Varianzanalyse ergab, dass sich Kinder und Jugendliche in ihren negativen impliziten Einstellungen im Mittel nicht statistisch signifikant unterschieden (F(1,336) = 2.41, p = .121, 1-β = .34). Der Mehrgruppenvergleich zeigte keine Zusammenhänge für Identifikation mit Deutschland oder Diskriminierungswahrnehmung, aber einen signifikanten Zusammenhang mit dem Geschlecht für die Gruppe der Grundschulkinder (β = .15, SE = .07, p = .030): Das Ausmaß der negativen impliziten Einstellungen war bei Mädchen höher als bei Jungen ausgeprägt. Die Ergebnisse werden inhaltlich und methodisch diskutiert sowie Implikationen für die Forschung abgeleitet. Implizite und explizite Kompetenz-Stereotype über Schüler:innen mit einem osteuropäischen vs. türkisch/arabischen Migrationshintergrund Soziale Kategorisierung und damit zusammenhängende Prozesse wie Eigengruppen-Präferenz und Stereotypisierung sind grundlegende Phänomene sozialer Kognition. Aktuelle Forschung zeigt, dass auch Lehrkräfte in dieser Hinsicht „ganz normale Menschen“ sind. Beispielsweise wurden in einer Reihe von Studien negative implizite Einstellungen gegenüber Schüler:innen mit Migrationshintergrund bei Lehrkräften und Lehramtsstudierenden beobachtet (Pit-ten Cate & Glock, 2019). Gleichzeitig berichten Lehrkräfte in direkten Maßen (Fragebögen) überwiegend positive (explizite) Einstellungen gegenüber ethnischen Minderheiten. Die Dissoziation impliziter und expliziter Einstellungen ist interessant, da aufgrund von Zwei-Prozess-Theorien und empirischen Befunden (Gawronski & Bodenhausen, 2011; Greenwald & Lai, 2020) zu erwarten ist, dass implizite Einstellungen unter bestimmten Bedingungen (z.B. Zeitdruck, eingeschränkte kognitive Ressourcen durch Multi-Tasking) einen stärkeren Einfluss auf Urteilen und Verhalten nehmen als explizite Einstellungen. In Bezug auf Schüler:innen mit Migrationshintergrund wurden bislang vor allem implizite Einstellungen untersucht. Zu impliziten Stereotypen gibt es nur wenig Befunde (z.B. (Glock & Böhmer, 2018). Jedoch könnten implizite Stereotype, insbesondere Stereotype über Kompetenz, gerade in Bildungskontexten besonders interessant sein, da sie einen spezifischeren Bezug zu bildungsrelevanten Variablen haben. Ziel der aktuellen Studie war es daher, erste Evidenz zu impliziten Kompetenz-Stereotypen über Schüler:innen mit Migrationshintergrund zu sammeln. Zudem differenzierten wir nach Herkunftsregion. Wir wählten Osteuropa und Türkei, da dies die beiden größten Einwanderungsgruppen in Deutschland sind. In bisherigen Studien wurde häufig die Gruppe der Schüler:innen mit Migrationshintergrund nicht weiter differenziert, oder nur eine spezifische Gruppe untersucht (z.B. türkischer Migrationshintergrund). Aus aktueller Forschung zum Stereotype Content Model (Fiske, 2018) wissen wir jedoch, dass verschiedene Herkunftsregionen mit unterschiedlicher Kompetenz in Verbindung gebracht werden (Froehlich & Schulte, 2019). Ein weiteres Ziel unserer Studie war, ein alternatives indirektes Maß für implizite Stereotype (Misattributionsaufgabe) einzusetzen, da dieses einige Vorteile gegenüber den bisher häufig verwendeten reaktionszeitbasierten Maßen aufweist. Zudem verwendeten wir zwei verschiedene direkte Maße (Vornamen-basierte vs. Gruppen-basierte Ratings), um das explizite Kompetenz-Stereotyp zu erfassen. Da das Stereotype Content Modell neben Kompetenz auch Wärme als zweite fundamentale Dimension von stereotypen Eigenschaften ansieht, haben wir diese zusätzlich im Gruppen-basierten direkten Maß erfasst. Daten von N = 153 Lehramtsstudierenden zeigen eine Reihe von interessanten Ergebnissen: Im indirekten Maß (Misattributionsaufgabe) wurden beide Einwanderungsgruppen mit geringerer Kompetenz assoziiert als deutschstämmige Schüler:innen, wobei türkischstämmige Schüler:innen die geringsten Kompetenzwerte aufwiesen. Überraschenderweise zeigte sich dasselbe Ergebnismuster auch im direkten Vornamen-basierten Maß, sogar mit größeren Effektstärken. Individuelle Unterschiede in der Motivation zur Kontrolle von Vorurteilen korrelierten zudem nicht mit den Stereotypindizes aus beiden Maßen. Insgesamt deutet dies darauf hin, dass das direkte Vornamen-basierte Maß ähnlich wie das indirekte Maß implizite Stereotype abbildet. Ein anderes Ergebnismuster zeigte sich im direkten Gruppen-basierten Maß: Schüler:innen mit türkischem Migrationshintergrund wurde weniger Kompetenz, aber mehr Wärme zugeschrieben als deutschstämmigen Schüler:innen. Schüler:innen mit osteuropäischem Migrationshintergrund wurde hingegen ähnlich hohe Kompetenz wie deutschstämmigen Schüler:innen zugeschrieben, aber weniger Wärme. Individuelle Unterschiede in der Motivation zur Kontrolle von Vorurteilen korrelierten zudem mit Kompetenz-Stereotypindizes aus diesem Maß. Zusammengefasst zeigt unsere Studie, dass Lehramtsstudierende starke implizite Inkompetenz-Stereotype gegenüber Schüler:innen mit türkischem und osteuropäischem Migrationshintergrund haben. Die Ergebnisse legen zudem nahe, dass es bei der Erfassung von Stereotypen wichtig ist, Herkunftsregionen und Eigenschaftsdimensionen (Kompetenz vs. Wärme) zu differenzieren. Weiterhin zeigen die Befunde, dass implizite Kompetenz-Stereotype auch mit direkten Vornamen-basierten Maßen aufgedeckt werden können. Dies eröffnet neue, effiziente Möglichkeiten zur Erfassung impliziter Stereotype. Chancen und Grenzen der Verwendung des linguistischen Kategorienmodells als Messinstrument für implizite Stereotypen von Lehrkräften in Deutschland Stereotype und Vorurteile gegenüber Personen mit Migrationshintergrund sind ein wichtiges Thema in Bildungskontexten. Die vorliegenden Arbeit konzentriert sich auf die Frage, wie sich solche Stereotypen in Sprache manifestieren, und untersucht, ob das Linguistic Category Model (LCM) (Semin & Fiedler, 1988) verwendet werden kann, um die (impliziten) Stereotypen von deutschsprachigen Lehrkräften zu messen. Stereotype können in Sprache auf viele verschiedene Arten kommuniziert werden. Sie können nicht nur auf offensichtliche Weisen ausgedrückt werden, wie beispielsweise durch offenkundige Aussagen, sondern auch unbewusst, auf subtilere Weise. Zum Beispiel kann die Abstraktion der genutzten Sprache, die Einstellungen und Überzeugungen von Sprecher*innen widerspiegeln (u.a. Linguistic Intergroup Bias, LIB). Semin und Fiedler (1988, 1991) beschreiben solche Unterschiede in der linguistischen Abstraktion in ihrem linguistischen Kategorienmodell (Linguistic Category Model, LCM). Sie konnten in vielfältigen Forschungsarbeiten zeigen, dass die sprachliche Abstraktion je nach den Stereotypen der Sprecher*innen hinsichtlich des Gesprächsinhalts variiert. In diesem Modell definieren sie verschiedene Abstraktionsstufen, die auf Nutzung unterschiedlicher Wortarten, in der Beschreibung von beobachtetem Verhalten, basieren (siehe Semin und Fiedler, 1991; Maas, Cecarelli, & Rudin, 1996 für weitere Details). Das LCM wurde umfassend getestet und ist in der Forschung allgemein anerkannt (Maass et al., 1996; Semin & Fiedler, 1991). Während die Anwendbarkeit der LCM englischsprachigen Ländern gut belegt ist, mangelt es an Studien zu anderen Sprachen. Auf Grundlage von zwei Studien (Studie 1: N = 124 Lehramtsstudierende, 76,6% weiblich; Studie 2: N = 104 Lehramtsstudierende, 67,6% weiblich) wurde in der vorliegenden Arbeit daher untersucht, ob das LCM auch auf die deutsche Sprache anwendbar ist und sich die von Semin & Fiedler erarbeiteten Kategorien auf die deutsche Sprache übertragen lassen. Dazu sahen die Versuchspersonen Bilder von Schüler*innen-Interaktionen, die sie beschreiben sollten. Studie 1 arbeitete dazu mit einem freien Antwortformat während Studie 2 ein geschlossenes Format nutzte, in dem die Antwortkategorien, sich an den von Semin und Fiedler (1988) vorgeschlagenen Abstraktionsebenen orientierten. In beiden Studien umfasste das Kategoriensystem entsprechend der vorangegangenen Studien fünf Kategorien: (1) konkret (deskriptives Handlungsverb, „Max schlägt Murat.“), (2) eher konkret (Interpretatives Handlungsverb; „Max verletzt Murat.“, (3) eher abstrakt (Zustandsverb, „Max hasst Murat.“) (4) abstrakt (Adjektiv, „Max ist aggressiv.“) und (5) sehr abstrakt (Substantiv, „Max ist ein Rassist.“). In Studie 1 kodierten zwei unabhängige Rater*innen anhand eines auf Grundlage des Kategoriensystems erstellen Kodierschemas, die niedergeschriebenen Beschreibungen der Interaktion. Die Antworten waren vorwiegend am konkreten Ende der Kategorien angesiedelt (M = 1,59, SD = 0,73): 87,7% aller Antworten wurden in den Kategorien 1 und 2 kodiert, 11,9% in Kategorie 3, 0,8% in Kategorie 4 und keine in Kategorie 5. In Studie 2 wurde den Versuchspersonen ein Bild präsentiert sowie fünf Bildbeschreibungen (orientiert an den Kategorien von Semin & Fiedler) aus denen sie die für sie passendste auswählen sollten. Die meisten Antworten der Teilnehmer*innen waren ebenso am konkreten Ende der Kategorien angesiedelt (M=1,28 - 1,47; SD=0,48 -0,98). Insgesamt wählten die meisten Teilnehmer*innen Beschreibungen aus Kategorie 1 (von 58,8% bis 75%), gefolgt von Kategorie 2 (von 16,2 % bis 38,2 %). Der Rest der Antworten verteilte sich auf die Kategorien 3 bis 5 (3: 0-1,5%, 4: 1,5-7,4%, 5: 0%-2,9%). Die Analyse beider Studien zeigte Schwierigkeiten bei der Anwendung des LCM auf die deutsche Sprache auf. In beiden Studien zeigte sich eine geringe Varianz in der Nutzung der an Wortkategorien festgemachten Abstraktionslevel in dem Sinne, dass die Aussagen, der angehenden Lehrkräfte vorwiegend in die konkreten Kategorien einzuordnen waren. Gleichermaßen wurden allerdings sprachliche Unterschiede in den Bildbeschreibungen offensichtlich, die sich allerdings nicht in der Nutzung unterschiedlicher Wortarten äußern. Wir diskutieren das fehlende Auftreten differentieller Nutzung von Wortarten als Anker für Abstraktionslevel in der deutschen Sprache und diskutieren daraus resultierende Chancen und Grenzen der Anwendung des Kategoriensystems auf andere Sprachen. |
13:10 - 14:50 | 5-09: Prozessqualität im naturwissenschaftlichen Unterricht der Grundschule: Effekte von Diagnose- und Unterstützungsstrategien auf Konzeptlernen, Interesse und selbstbezogene Kognitionen Ort: S17 |
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Symposium
Prozessqualität im naturwissenschaftlichen Unterricht der Grundschule: Effekte von Diagnose- und Unterstützungsstrategien auf Konzeptlernen, Interesse und selbstbezogene Kognitionen Die Interaktion von Lehrer:innen und Schüler:innen im Unterricht gilt als wichtiger Einflussfaktor für die Entwicklung des Konzeptverständnisses, der Motivation sowie des Selbstkonzeptes von Schüler:innen (Wubbels & Brekelmans, 2005; Hollo & Wheby, 2017). Im Sinne eines ko-konstruktiven Unterrichts sind Schüler:innen aktiv am Verständnisaufbau beteiligt und konstruieren Verständnis immer auch im Austausch und mit Hilfestellungen von Lehrer:innen (vgl. Fthenakis, 2009; Wygotski, 1987). Diese Hilfestellungen können zum Beispiel in Form von Scaffolding stattfinden, indem die Lehrperson ein Lerngerüst bereitstellt, das die Konzeptentwicklung der Lernenden ermöglicht (vgl. Wood et al., 1976). Gleichzeitig soll das Unterrichtsangebot möglichst so gestaltet werden, dass neben dem Lernfortschritt und dem Konzeptaufbau auch selbstbezogene Kognitionen, wie Selbstkonzept und empfundene Kompetenz sowie Interesse, gefördert werden können (vgl. bspw. Reusser & Pauli, 2010). Wie Lehrer:innen ihren Unterricht gestalten, hängt demnach maßgeblich mit der kognitiven und motivationalen Entwicklung von Schüler:innen zusammen (vgl. Decristan et al., 2020, 2023; Gardner, 2019; Schnitzler et al., 2021; van der Veen & van Oers, 2017). Dabei kann insbesondere der Einsatz von adaptiven Unterstützungsstrategien zur Steigerung der Prozessqualität führen (vgl. bspw. van de Pol et al., 2010). Zu diesen Strategien gehören sowohl Formen der Aktivierung, wie das Einfordern von Erklärungen, die Anregung zur Hypothesenbildung, die Vorwissensaktivierung, als auch Formen der Strukturierung, wie Sequenzierung, das Wiederholen, Zusammenfassen und Herausstellen von Schüler:innenäußerungen (vgl. Kleickmann et al., 2010). Um die Passung zwischen Unterstützungsstrategie und Lernstand der Schüler:innen sicherzustellen, sind Diagnosestrategien unerlässlich (vgl. Bell & Cowie, 2001; Black & Wiliam, 1998; Brühwiler & Vogt, 2020). In diesem Symposium untersuchen wir die Prozessqualität in naturwissenschaftlichen Lehr-Lern-Kontexten der Grundschule. Das gemeinsame Ziel der Studien ist es, einen tieferen Einblick in Bildungsprozesse zu gewinnen. Die Beiträge fokussieren dabei sowohl auf Diagnosestrategien als auch auf Unterstützungsstrategien und stellen dar, welchen Effekt diese Strategien auf die konzeptuelle sowie motivationale Entwicklung von Schüler:innen haben. Während sich empirische Untersuchungen zu Interaktionsqualität bisher häufig auf Kleingruppen oder tutorielle Situationen beschränken, beleuchten die Beiträge in diesem Symposium den Klassenunterricht und tragen dadurch zu einer Erweiterung des Forschungsstandes bei. Zur Erfassung der Strategien wurden Video- und Transkriptanalysen von naturwissenschaftlichem Unterricht eingesetzt. Der erste Beitrag fokussiert die Entwicklung selbstbezogener Kognition und Interesse. Die Studie geht der Frage nach wie Unterstützungsstrategien, im Sinne des Scaffoldings und Revoicings, auf die empfundene Kompetenz, die Selbstwirksamkeit, das Fähigkeitsselbstkonzept und das Interesse wirken. Hierfür wurden Fragebögen und Videoaufnahmen analysiert. Der zweite Beitrag beschäftigt sich ebenso mit dem Einsatz von Unterstützungsstrategien, die mittels Videokodierung erfasst wurden. Diese Studie beleuchtet die kognitive Entwicklung von Schüler:innen und geht der Frage nach, wie Unterstützungsstrategien den Konzeptwandel von Schüler:innen unterstützen kann. Dabei werden differentielle Effekte dieser Unterstützungsstrategien bei unterschiedlichen Lernausgangslagen der Schüler:innen aufgezeigt. Der dritte Beitrag zeigt die Bedeutung von adaptiver Gesprächsführung und deren Einzelindikatoren für das Lernen von Schüler:innen auf. Die Grundlage hierfür bilden die Analyse von Transkripten und Leistungstests. Die Implikationen der Ergebnisse aller Beiträge für die pädagogische Praxis werden vorgestellt und diskutiert. Beiträge des Symposiums Der Einfluss verbaler Unterstützungsstrategien auf den Konzeptwandel von Schüler:innen – eine latente Profiltransitionsanalyse Die Gestaltung des Unterrichtsgesprächs durch die Lehrperson beeinflusst Unterrichtsbeteiligung und Lernerfolg von Schüler:innen (Bürgermeister et al., 2019; Decristan et al., 2020, 2023; Gardner, 2019; Schnitzler et al., 2021; van der Veen & van Oers, 2017). Besonders der ko-konstruktive Diskurs, der sich durch Nutzung von Scaffolding- und Revoicing-Techniken auszeichnet, zeigte sich dabei als effektiv (e.g., Hardy et al., 2006; Herrmann et al., 2021; Ing et al., 2015; O’Connor et al., 2017; O’Connor & Michaels, 1993; Pauli, 2010; van de Pol et al., 2010). Weniger Studien beschäftigten sich bislang jedoch mit den Auswirkungen des ko-konstruktiven Unterrichtsgesprächs auf selbstbezogene Kognitionen (wie Selbstwirksamkeit, Fähigkeitsselbstkonzept, empfundene Kompetenz) und Interesse der Schüler:innen. Die bisherigen Forschungsergebnisse dazu zeigen ein gemischtes Bild: Einige Studien finden einen positiven Zusammenhang zwischen einzelnen Scaffolding-Techniken (z.B. Kognitive Aktivierung oder Challenge) und selbstbezogenen Kognitionen sowie dem Interesse von Schüler:innen (Böheim et al., 2021; Jin et al., 2021; Kiemer et al., 2015; Pehmer et al., 2015; Schiepe-Tiska et al., 2016). Andere Studien fanden diesen Zusammenhang jedoch nicht (Henschel et al., 2019; Milles & Jansen, 2021). Allerdings beruhen diese Studien meist auf einer Einschätzung der Unterrichtsgesprächsführung durch (jugendliche) Schüler:innen. Aussagekräftiger erscheint jedoch die direkte Observation der Unterrichtsgespräche mittels Videographie, um die tatsächliche Umsetzung von Scaffolding- und Revoicing-Techniken zu beobachten und zu quantifizieren. Zudem ist es wichtig, die Auswirkungen von Unterrichtsgesprächen auch auf jüngere Altersgruppen zu prüfen, nicht zuletzt, weil selbstbezogene Kognitionen und Interesse substantiellen Einfluss auf das Lernverhalten von Schüler:innen haben (e.g., Eccles & Wigfield, 2020) und als Langzeitprädiktor für die Motivation und Lernerfolg gesehen werden können (Schunk & DiBenedetto, 2021; Schwarzer & Jerusalem, 2002). Daher fragen wir in der vorliegenden Studie, inwieweit die (objektiv erfasste) Gestaltung des Unterrichtsgespräch die Entwicklung selbstbezogener Kognitionen und Interesse von Schüler:innen in der Grundschule beeinflusst. Dazu haben wir videografierten Unterricht aus der Studie PLUS (e.g., Tröbst et al., 2016) re-analysiert. In dieser Studie wurden vor und nach dem Unterricht selbstbezogene Kognitionen und Interesse von 995 Schüler:innen aus 51 Klassen der Primarstufe erfragt. Die Fragebögen erfassten das Fähigkeitsselbstkonzept, die Selbstwirksamkeit und empfundene Kompetenz sowie das Interesse der Schüler:innen in sechs 4-Punkt Likert-Skalen (Blumberg, 2008; Kauertz et al., 2011). Für die Analyse des Unterrichtsgesprächs haben wir 90 Minuten einer Unterrichtseinheit zum Thema Aggregatzustände des Wassers, welches neu für die Kinder war, kodiert. Das Kodierschema erfasste die Scaffolding-Techniken Clarify, Focus, Activate und Challenge (Studhalter et al., 2021; see also Kleickmann et al., 2010; Mannel et al., 2016) sowie Revoicing-Techniken, bei denen die Lehrperson selbst Äußerungen von Schüler:innen zusammenfasste und elaborierte (Teacher Revoicing) oder diese Aufgabe anderer Schüler:innen übertrug (Student Revoicing, cf. O’Connor et al., 2017; O’Connor & Michaels, 1993). Die deskriptiven Daten zeigen, dass selbstbezogene Kognitionen sowohl im Prä- als auch im Posttest im mittleren bis hohen Bereich rangieren (alle Ms > 2.6, alle SDs < 0.9). Scaffolding wurde sehr selten eingesetzt, dabei wurden am meisten Challenge-Techniken genutzt (M = .06, SD = .05; Clarify: M = .02, SD = .02; Focus: M = .02, SD = .02; Activate: M = .04, SD = .04; No Scaffolding: M = .61, SD = .12). Am häufigsten wurde Teacher Revoicing angewandt (M = .24, SD = .08), Student Revoicing wurde hingegen selten angeregt (M = .01, SD = .02). In vorläufigen Analysen mit Multilevel-Modellen zeigten sich negative Einflüsse der Scaffolding-Techniken Activate und Challenge auf das Fähigkeitsselbstkonzept und die Selbstwirksamkeit der Schüler:innen, nicht jedoch auf deren Interesse. Wir diskutieren diese Ergebnisse vor dem Hintergrund ähnlicher Ergebnisse in Bezug auf den Lernerfolg (Studhalter et al., 2021) und den kontrastierenden bisherigen Forschungsergebnissen. Maßnahmen, die der kognitiven Aktivierung von Präkonzepten und der Auseinandersetzung mit diesen dienen, scheinen Schüler:innen zunächst zu verunsichern, sind jedoch langfristig für einen Konzeptwandel unerlässlich. Der Einfluss des Unterrichtsgesprächs auf selbstbezogene Kognitionen und Interesse von Schüler:innen Der Aufbau belastbarer Konzepte gehört zu den Zielen des naturwissenschaftlichen Unterrichts (vgl. bspw. Posner et al., 1982). In ihrem Alltag sammeln Schüler:innen Erfahrungen mit naturwissenschaftlichen Phänomenen und konstruieren Erklärungen für diese. Diese weichen jedoch häufig von wissenschaftlichen Konzepten ab und werden als alternative Vorstellungen bezeichnet (vgl. Driver et al., 1994). Im naturwissenschaftlichen Unterricht wird eine Konzeptveränderung hin zu einem fachlich korrekten Konzept angestrebt (vgl. ebd.). Der Einsatz von strukturierenden und aktivierenden Unterstützungsstrategien kann das Konzeptverständnis unterstützen (vgl. Hardy et al., 2006; Leuchter & Saalbach, 2014). Jedoch gibt es auch Studien, die keinen oder einen negativen Effekt einzelner Unterstützungsstrategien auf die Lernleistung zeigten (vgl. Studhalter et al., 2021). Mit Blick auf die Conceptual-Change-Theorie lässt sich annehmen, dass Unterstützung je nach Lernausgangslage differentiell wirkt und diese in empirische Untersuchungen einbezogen werden sollte (vgl. Carey, 2000). So konnte bereits gezeigt werden, dass sich Schüler:innen unterschiedlichen Konzeptprofilen zuordnen lassen und unterschiedlichen Pfaden bei der Konzeptveränderung folgen (vgl. Schneider & Hardy, 2013). Allerdings fehlt es bislang an Studien, die untersuchen, wie sich Unterstützungsstrategien der Lehrperson auf diese Konzeptveränderung auswirken. Fragestellungen 1. Welche Konzeptprofile zeigen Schüler:innen zum Thema Aggregatzustände und ihre Übergänge? 2. Wie verändern sich die Konzeptprofile durch Unterricht? 3. Wie wirkt sich der Einsatz von Unterstützungsstrategien auf die Konzeptveränderung aus? Methode Um die aufgestellten Fragestellungen zu beantworten, wurde die DFG-Studie PLUS re-analysiert (vgl. Tröbst et al., 2016). Mit 1162 Schüler:innen aus 53 vierten Klassen wurde vor und nach einer Unterrichtssequenz ein Leistungstest durchgeführt, bei dem den Schüler:innen naturwissenschaftliche Phänomene sowie dazugehörige Erklärungen präsentiert wurden. Die Erklärungen umfassten sowohl typische alternative Vorstellungen zu Aggregatzuständen und ihren Übergängen als auch wissenschaftlich anerkannte Konzepte. Für jede der Antwortmöglichkeiten sollten die Schüler:innen entscheiden, ob sie diese als richtig oder falsch einstufen. Die Unterstützungsstrategien der Lehrpersonen wurden mittels Videokodierung erfasst. Das angewandte Kodiersystem erfasst sowohl strukturierende, fokussierende, aktivierende und problematisierende Scaffoldingmaßnahmen, als auch Revoicing und Student Revoicing (vgl. Ing et al., 2015; Kleickmann et al., 2010; Mannel et al., 2016; Studhalter et al., 2021). Statistische Analysen Die Leistungstests wurden mittels latenter Profilanalyse in Mplus 8.5 untersucht (Muthén & Muthén, 1998-2012). Die Profilanzahl wurde durch den Vergleich von Fitindizes (AIC, BIC) ermittelt. Danach wurde eine latente Profiltransitionsanalyse durchgeführt. Erneut wurden die Fitindizes verglichen. Die Mittelwerte zu Zeitpunkt 1 (vor dem Unterricht) und Zeitpunkt 2 (nach dem Unterricht) wurden zur Gewährleistung der besseren Vergleichbarkeit konstant gehalten. Im dritten Schritt wurde die Unterstützungsstrategien als Kovariate in die Analyse einbezogen. Richtung und Signifikanz der Zusammenhänge von Transitionswahrscheinlichkeit und Unterstützungsstrategie wurden mittels odds ratio unter Einbezug des Konfidenzintervalls ermittelt. Ergebnisse und Diskussion Bei der Analyse wurden drei Konzeptprofile identifiziert: - Konzeptprofil 1: Überwiegend alternatives Konzept - Konzeptprofil 2: Überwiegend Koexistenz von alternativem und wissenschaftlichem Konzept - Konzeptprofil 3: Überwiegend wissenschaftliches Konzept Zu Zeitpunkt 1 befand sich ein Großteil der Schüler:innen in den Konzeptprofilen 1 (511 Schüler:innen) und 2 (517 Schüler:innen). Etwa die Hälfte von ihnen verbleibt in diesem Konzeptprofil, während rund ein Drittel in das Konzeptprofil 3 wechselt. Von den 134 Schüler:innen die sich zu Zeitpunkt 1 in Konzeptprofil 3 befanden, verblieben 93% in diesem. 7% von ihnen wechselten in die Konzeptprofile 1 und 2. Der Einbezug der Unterstützungsstrategien zeigt differentielle Effekte auf die Transitionswahrscheinlichkeit. Die Transitionswahrscheinlichkeit von Konzeptprofil 1 zu Konzeptprofil 2 steigt beim Einsatz problematisierender Strategien. Die Transitionswahrscheinlichkeit von Konzeptprofil 1 zu Konzeptprofil 3 wird positiv durch aktivierende und strukturierende Strategien sowie Revoicing beeinflusst, verringert sich jedoch bei fokussierenden Strategien. Beim Wechsel von Konzeptprofil 2 in Konzeptprofil 3 zeigen sich aktivierende Strategien und Revoicing als förderlich. Die Ergebnisse zeigen, dass Unterstützungsstrategien nicht für alle Schüler:innen gleichermaßen förderlich sind und erlauben die Schlussfolgerung, dass Lehrpersonen den Lernstand ihrer Schüler:innen fortlaufend diagnostizieren sollten, um Unterstützungsstrategien adaptiv einzusetzen. Adaptive Gesprächsführung im Klassenkontext: Effekte auf das konzeptuelle Verständnis im Sachunterricht Adaptivität ist ein zentrales Ziel von Unterricht (Parsons et al., 2018). Sie bezieht sich auf die Passung von lehrkräftegesteuerten Unterrichtsaktivitäten zu den individuellen Voraussetzungen der Lernenden. Dabei wurde beispielsweise von Corno (2008) eine Unterscheidung der Aktivitäten auf Makro- und auf Mikroebene vorgenommen. Während die Makroebene eine übergeordnete Anpassung des Curriculums, beispielsweise durch Differenzierungsmaßnahmen, umfasst, steht auf der Mikroebene die prozessbezogene Anpassung im Rahmen der Lehrkraft-Schüler:innen-Interaktion im Fokus. Die Mikroebene wird auch mit dem Begriff des Scaffolding beschrieben, bei dem die Passung bzw. Kontingenz der Interaktionen für die individuellen Lernbedarfe auf einem abgestimmten Zusammenspiel aus diagnostischen Strategien und Unterstützungsmaßnahmen basiert (van de Pol et al., 2011). Studien zeigen, dass sich die Umsetzung eines adaptiven Unterrichts auf der Mikroebene positiv auf das Lernen von Schüler:innen auswirkt (z.B. van de Pol et al., 2015). Allerdings beziehen sich bisherige Befunde insbesondere auf Kleingruppen bzw. tutorielle Situationen und Effekte der einzelnen Indikatoren einer adaptiven Interaktion für das Lernen wurden bislang nicht untersucht. Ziel und Fragestellungen Vor diesem Hintergrund zielt die vorliegende Studie auf die Erfassung mikroadaptiver Prozesse im Klassendiskurs zur Beantwortung folgender Fragestellungen: 1. Inwiefern lässt sich durch die adaptive Gesprächsführung im Klassenkontext das Konzeptwissen von Grundschulkindern zum Inhaltsgebiet Schwimmen und Sinken in zwei Posttests vorhersagen? 2. Welchen Beitrag leisten die Einzelindikatoren der Diagnostischen Strategien, der Instruktionalen Unterstützung und des Schüler:innenverständnisses? Methode Die Datengrundlage der Studie bilden Unterrichtstranskripte von N=17 Lehrkräften mit ihren dritten Klassen (N=341 Schüler:innen), die eine Unterrichtsreihe mit zwei Einheiten zum Thema Schwimmen und Sinken im Sachunterricht umsetzten (Decristan et al., 2015). Dabei wurde jeweils die dritte Stunde aus der ersten Einheit videografiert und transkribiert. Das Analyseinstrument wurde auf Grundlage bisheriger Ansätze zur Erfassung adaptiver Mikroprozesse entwickelt und auf den Klassenkontext übertragen. Es umfasst die drei zentralen Einzelindikatoren der diagnostischen Strategien, der instruktionalen Unterstützung und des Schüler:innenverständisses (Ruiz-Primo & Furtak, 2007; van de Pol et al., 2011). Zudem wurden Kodierregeln für die Kombination der drei Indikatoren definiert, um einen Globalindex für Adaptivität zu bestimmen (vgl. Hermkes et al.,2018; van de Pol et al.,2012). Zur Berücksichtigung der fachlichen Lernprozesse wurden die Analyseeinheiten an zentralen Schritten des naturwissenschaftlichen Arbeitens ausgerichtet (vgl. Furtak et al.; 2010). Die Anwendung des Instruments erfolgte durch zwei unabhängige Rater mit einer sehr guten Übereinstimmung (κmin = 0.74; κmax = 0.86). Das Konzeptwissen der Lernenden zum Schwimmen und Sinken wurde durch einen standardisierten Leistungstest erfasst (EAP/PV-Reliabilität=.52 [Prätest] / .70 [Posttest 1 nach Einheit 1] /.76 [Posttest 2 nach Einheit 2]). Als Kontrollvariablen auf Individualebene wurden naturwissenschaftliche Kompetenz (Martin et al., 2008; EAP/PV-Reliabilität=.70), kognitive Fähigkeit (CFT 20-R, Weiß, 2006; α=.72) sowie Sprachfähigkeit (Eigenentwicklung, α=.72) erhoben. Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden Mehrebenenregressionen mit den Indikatoren für adaptive Gesprächsführung auf Klassenebene unter Kontrolle der Variablen auf Individualebene mit Mplus 7 (Muthén & Muthén, 1998-2012) gerechnet. Ergebnisse und Diskussion Die Ergebnisse (Hardy et al., 2022) zeigen positive Effekte der adaptiven Gesprächsführung (Globalindex) auf das konzeptuelle Verständnis der Lernenden in Posttest 2 (β=.44, p≤.05, R²=.19), nicht jedoch in Posttest 1 (β=.50, p>.05, R²=.25). Dieses weist auf die Bedeutung von Adaptivität insbesondere für die langfristige Konzeptentwicklung hin. In Ergänzung dazu wird derzeit die ebenfalls in der Studie erfasste Bedeutung der Unterrichtsqualitätsdimensionen der kognitiven Aktivierung und konstruktiven Unterstützung geprüft und im Vortrag berichtet. Die Einzelindikatoren erwiesen sich ebenfalls nur in Posttest 2 als prädiktiv für das Lernen der Schüler:innen (Diagn. Strategien: β=.70, p≤.001, R²=.49, Instrukt. Unterstützung: β=.40, p≤.05, R²=.16; Schülerverst.: β=.42, p≤.05, R²=.17). Hierbei hatte insbesondere die Verwendung diagnostischer Strategien die deskriptiv größte Vorhersagekraft, was die zentrale Bedeutung der Analyse der Lernstände und Denkweisen von Lernenden unterstreicht. Die Befunde zeigen jedoch, dass die Lehrkräfte insgesamt ein niedriges Niveau an adaptiver Gesprächsführung aufwiesen. |
13:10 - 14:50 | 5-10: Exekutive Funktionen und selbstreguliertes Lernen im Vor- und späten Grundschulalter (DFG-Netzwerk SeReNe) Ort: S26 |
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Symposium
Exekutive Funktionen und selbstreguliertes Lernen im Vor- und späten Grundschulalter (DFG-Netzwerk SeReNe) Mit dem Wechsel der Bildungseinrichtung, z.B. vom Kindergarten in die Grundschule oder von der Grund- in die weiterführende Schule, sind Kinder mit gesteigerten Anforderungen an ihr zielgerichtetes Verhalten konfrontiert (Obergriesser & Stoeger, 2016). Um diese Anforderungen meistern zu können, sind die Lernenden auf ihre Fähigkeiten in den exekutiven Funktionen (EF) und im selbstregulierten Lernen (SRL) angewiesen (z.B. Cortés Pascual et al., 2019; Dent & Koenka, 2016). EF werden als domänenunspezifische Prozesse zur zielgerichteten Überwachung und Kontrolle des eigenen Denkens und Handelns definiert (Miyake et al., 2000). SRL ist hingegen spezifisch im Kontext des Lernens von Bedeutung; es umfasst eigengesteuerte Kognitionen, Emotionen und Handlungen zur Erreichung selbstgesetzter Lernziele (Zimmerman, 2000). Beide Konstrukte beinhalten also Prozesse der zielgerichteten Planung und Kontrolle von Kognitionen und Verhalten. Entsprechend lassen sich auch empirische Zusammenhänge zwischen ihnen feststellen (z.B. Davis et al., 2021). Sowohl EF als auch SRL liefern einen Beitrag zur Vorhersage akademischer Ergebnisse über Intelligenz hinaus (z.B. Latzman et al., 2010; Zuffianò et al., 2013). Es ist folglich wichtig, diese Fähigkeiten in Altersgruppen, die sich in akademischen Übergangsphasen befinden, tiefergehend zu erforschen, um den Aufbau sowie die Entwicklung der Fähigkeiten in diesem Zeitraum besser nachvollziehen zu können. Weiterhin sind Studien zum Zusammenhang zwischen EF und SRL sowie zu ihrer Relation zu anderen für den akademischen Erfolg wichtigen Kompetenzen wünschenswert. Ein besseres Verständnis dieser Zusammenhänge ermöglicht beispielsweise die Ableitung von Interventionskonzepten mit möglichen Transfereffekten, die den Übergang von einer Bildungseinrichtung in die nächste erleichtern. Zusammengefasst adressiert das Symposium zwei übergeordnete Fragestellungen: (1) Wie lässt sich die Faktorenstruktur von EF und SRL im Vor- und Grundschulalter beschreiben? (2) Wie hängen EF und SRL bei Vor- und Grundschulkindern zusammen? Die ersten beiden Beiträge fokussieren dabei die erste oben genannte Fragestellung: Der erste Beitrag thematisiert die faktorielle Struktur von EF sowie den Zusammenhang der EF mit Intelligenz bei Vor- und Grundschulkindern. Die Autorinnen fanden Evidenz für eine einfaktorielle EF-Struktur in beiden untersuchten Kohorten. Außerdem zeigten sich in beiden Stichproben bedeutsame Zusammenhänge zu Intelligenz. Der zweite Beitrag beschäftigt sich mit der faktoriellen Struktur von SRL in den beiden Zielgruppen. Die vorläufigen Ergebnisse der Studie geben erste Hinweise auf eine einfaktorielle SRL-Struktur sowohl im Vorschulalter als auch im späten Grundschulalter. Beiträge drei und vier widmen sich der zweiten oben formulierten Fragestellung: Der dritte Beitrag fokussiert den Zusammenhang zwischen heißen, in motivationalen Situationen wichtigen EF (Zelazo & Carlson, 2012) und SRL im Vorschulalter sowie ihr Zusammenspiel bei der Vorhersage akademischer Kompetenz. Die Autorinnen fanden, dass SRL als Mediator zwischen heißen EF und akademischer Kompetenz agiert. Der vierte Beitrag beinhaltet eine derzeit laufende Studie zum Zusammenhang des Arbeitsgedächtnisses (AG) als EF-Komponente (Miyake et al., 2000) mit der Lernzielsetzung sowie der Zielerreichungsüberwachung als SRL-Prozesse (Zimmerman, 2000) bei Grundschulkindern. Den vorläufigen Ergebnissen zufolge geht eine höhere AG-Kapazität mit realistischerer Zielsetzung und einer genaueren Zielerreichungsüberwachung einher. Abschließend werden die vier Beiträge integrierend diskutiert. Zusammenfassend leistet das Symposium einen Beitrag zum besseren Verständnis von EF und SRL als für den Bildungserfolg hochbedeutsame Kompetenzen. Es liefert Hinweise sowohl auf ihre faktorielle Struktur als auch auf ihre Beziehung miteinander sowie mit anderen Fähigkeiten. Dabei werden unterschiedliche Altersgruppen in den Blick genommen, die sich in akademischen Übergangsphasen befinden und deren EF- und SRL-Kompetenzen hierdurch besonders gefordert sind. Beiträge des Symposiums Die faktorielle Struktur von Exekutiven Funktionen im Vor- und Grundschulalter und Zusammenhänge mit Intelligenz In der psychologischen Forschung sind Exekutive Funktionen (EF) aufgrund ihrer Relevanz für verschiedene Entwicklungsbereiche, etwa akademische Kompetenzen, von ungebrochenem Interesse (Best et al., 2011). Unter EF werden mentale Prozesse zur zielgerichteten Steuerung und Kontrolle von Kognitionen und Verhalten subsumiert (Friedman & Miyake, 2017; Karbach & Unger, 2014). Miyake et al. (2000) postulieren drei distinkte, aber korrelierte EF-Komponenten: Das Arbeitsgedächtnis, die Fähigkeit zur Inhibition und kognitive Flexibilität. Im Kindesalter liegen kontroverse Befunde im Hinblick auf die Struktur von EF vor. Studien mit Vorschulkindern legen überwiegend eine einfaktorielle (z.B. Wiebe et al., 2008), seltener auch eine zweifaktorielle Struktur des Konstrukts nahe (z.B. Usai et al., 2014). Im Grundschulalter liegen Hinweise auf eine ein-, zwei- und dreifaktorielle Struktur von EF vor (z.B. Lee et al., 2012; Lehto et al., 2003; Xu et al., 2013). Überdies konnten altersbedingte Unterschiede im Zusammenhang von EF mit anderen kognitiven Konstrukten, etwa fluider Intelligenz, gefunden werden. Empirische Studien deuten auf eine starke Überlappung im frühen Kindesalter hin (z.B. Nelson et al., 2016), während sich in der späten Kindheit differenzielle Beziehungen zeigen (z.B. Duan et al., 2010). Vor dem Hintergrund dieser heterogenen Befunde wurde eine vergleichende Analyse der Struktur von EF und Beziehungen des Konstrukts mit fluider Intelligenz in zwei Altersgruppen durchgeführt. 177 Vorschulkinder (MAlter = 5.9 Jahre, SDAlter = 0.39, RangeAlter = 5.0 - 6.75 Jahre, 49.4 % weiblich) und 135 Grundschulkinder (MAlter = 9.9 Jahre, SDAlter = 0.51, RangeAlter = 8.8 – 11.8 Jahre, 48.8 % weiblich) nahmen an der Erhebung teil. Zur Erfassung von EF wurden für jede Komponente zwei behaviorale Aufgaben verwendet (Arbeitsgedächtnis: eine verbale und eine visuell-räumliche Spannenaufgabe; Inhibition: Go/No-Go-Aufgabe und eine AX – Continuous Performance Task; Flexibilität: Wisconsin Card Sorting Tests und der Flexible Item Selection Task). Fluide Intelligenz wurde mit dem Subtest „Muster ergänzen“ aus der K-ABC-II erhoben. Konfirmatorische Faktorenanalysen zeigten, dass jeweils ein einfaktorielles Modell, in welchem alle sechs Indikatoren der EF-Aufgaben auf einen gemeinsamen Faktor laden, die Variabilität in der Performanz in der Vorschulkohorte (N = 145, χ2(df = 9) = 10.43, p = .32, CFI = .98, RMSEA = .03, SRMR = .04) und auch in der Grundschulkohorte (N = 109, χ2(df = 8) = 8.55, p = .38, CFI = .98, RMSEA = .03, SRMR = .04) am besten repräsentierte. Im multiplen Gruppenvergleich zeigte ein konfirmatorisches Faktorenmodell mit metrischer Messinvarianz (Δχ2(df = 5) = 10.08, p = .07), dass zwischen dem latenten EF-Faktor und fluider Intelligenz äquivalente Beziehungen in den beiden Altersgruppen bestehen (N = 254, χ2(df = 31) = 37.56, p = .19, CFI = .97, RMSEA = .04, SRMR = .06). Die Stärke des Zusammenhangs war hoch in der Altersgruppe der Vorschulkinder (r = .69) und Grundschulkinder (r =. 65). Der Befund zur Struktur von EF steht in der Vorschulkohorte in Einklang mit zahlreichen Befunden in dieser Altersgruppe (z.B. Wiebe et al., 2008). Der Befund zur Grundschulkohorte deutet darauf hin, dass eine Differenzierung in mehrere EF-Komponenten erst nach dem Grundschulalter erfolgt (z.B. Xu et al., 2013). Konträre Vorbefunde einer mehrfaktoriellen Struktur im Vor- und Grundschulalter sind vor allem vor dem Hintergrund unterschiedlicher methodischer Ansätze zu erklären, welche insbesondere die Auswahl der Messinstrumente und Indikatoren sowie Stichprobencharakteristika betreffen (Bardikoff & Sabbagh, 2017). Die Untersuchung von Stichproben mit großen Altersunterschieden hat in vergangenen Studien möglicherweise dazu geführt, dass sparsamere Faktorenmodelle nicht angenommen wurden (z.B. Lehto et al., 2003). Der Zusammenhang zwischen EF und Intelligenz war stabil über verschiedene Altersgruppen hinweg, was die Bedeutung von EF im Kindesalter aufzeigt. Analyse der faktoriellen Struktur selbstregulierten Lernens im Vor- und Grundschulalter Selbstreguliertes Lernen (SRL) kann definiert werden als „aktiver, konstruktiver Prozess, bei dem sich die Lernende Ziele für ihr Lernen setzen und dann versuchen, ihre Wahrnehmung, ihre Motivation und ihr Verhalten zu überwachen, zu regulieren und zu kontrollieren“ (Pintrich, 2000, S. 453). In Übereinstimmung mit dieser Definition, sind sich die meisten Autor:innen einig, dass sich SRL aus drei Komponenten (Kognition, Metakognition und Motivation) zusammensetzt (Perels et al., 2020). Obwohl diese allgemeine Annahme besteht, gibt es vor allem im Vor- und Grundschulalter nur wenig empirische Evidenz zur faktoriellen Struktur SRLs. Vorschulkinder zeigen bereits erste selbstregulative Fähigkeiten (z.B. Bronson, 2000; Neitzel & Connor, 2018). So können sie z.B. in Ansätzen ihr Verhalten planen, ihren Fortschritt bei der Aufgabenbearbeitung beobachten und Strategien zur Problemlösung nutzen. Empirisch gibt es erste Hinweise dafür, dass eine Differenzierung SRLs in die drei Komponenten Kognition, Metakognition und Motivation allerdings noch nicht möglich ist (Dörr & Perels, 2018). Da sich metakognitive Bewusstheit und auch die deklarative Metakognition besonders im Grundschulalter entwickeln (Bronson, 2000; Schneider & Lockl, 2008), wäre im Vorschulalter auch eine zwei-faktorielle Struktur, bestehend aus einer (meta-)kognitiven und einer motivationalen Komponente, nicht auszuschließen ist. In der Grundschulzeit erlangen die Kinder die Fähigkeit zur bewussten Kontrolle von Aufmerksamkeit, Planung und Strategienutzung (Bronson, 2000). Zudem hängt die Entwicklung von Wissen, Strategienutzung und Sprachfertigkeiten mit der Entwicklung von SRL zusammen (Wigfield et al., 2011). Studien in diesem Kontext geben erste Hinweise darauf, dass eine Konzeptualisierung von SRL als Konstrukt mit mehreren Komponenten und auch Phasen möglich ist (z.B. Benick et al., 2018; Ferreira et al. 2015; Ferreira et al., 2022). Die systematische Überprüfung einer dreifaktoriellen Struktur SRLs mit den Komponenten Kognition, Metakognition und Motivation stellt jedoch noch eine Forschungslücke dar. Um die empirische Befundlage zu erweitern, ist es das Ziel der Studie, die faktorielle Struktur von SRL im Vor- und Grundschulalter querschnittlich zu untersuchen. Dabei wird im Vorschulalter eine einfaktorielle Struktur erwartet, wohingegen in der Grundschulkohorte eine drei-faktorielle Struktur SRLs mit den Komponenten Kognition, Metakognition und Motivation angenommen wird. In der derzeit laufenden Studie wird SRL bei Vor- und Grundschulkindern mittels einer adaptierten Version eines SRL-Strategiewissenstests für Studierende (Dörrenbächer-Ulrich et al., 2021) gemessen, bei dem die Nützlichkeit hilfreicher und nicht hilfreicher Strategien für ein bestimmtes Szenario bewertet werden muss. Die Szenarien stellen dabei Problemsituationen dar, deren Lösungsstrategien, laut eines Expertenratings, einer der drei Komponenten (Kognition, Metakognition und Motivation) zugeordnet werden können. In der vorläufigen Stichprobe von n = 153 Vorschulkindern (MAlter = 71.0 M., SDAlter = 4.53 M., 50.98 % weiblich) und n = 97 Grundschulkindern (MAlter = 118.7 M., SDAlter = 5.86 M., 51.55 % weiblich), weisen die auf den Komponenten basierenden Subskalen akzeptabel Reliabilitäten auf (Cronbach’s α = .65 - .78). Zur Beantwortung der Forschungsfragen werden in den beiden Kohorten konfirmatorische Faktorenanalysen durchgeführt und auf Basis ihrer Modell-Fits verglichen: Sowohl in der Vorschul- als auch in der Grundschulkohorte wird ein Modell mit einem latenten SRL-Faktor und den Werten aller Szenarien als Indikatoren, mit einem Modell mit drei latenten Faktoren (Kognition, Metakognition und Motivation), die durch die Werte der korrespondierenden Szenarien indiziert werden, verglichen. Zudem wird in der Vorschulkohorte die Modellpassung eines Modells mit zwei latenten Faktoren erster Ordnung ((Meta-)Kognition und Motivation), welche durch die Paarvergleichswerte der korrespondierenden Szenarien indiziert werden, mit den beiden bereits genannten Modellen verglichen. Die vorläufigen Ergebnisse deuten auf eine einfaktorielle Struktur SRLs im Vorschulalter (χ2 = 39.21, df = 42, p = .594, CFI = 1.00, RMSEA = .00, SRMR = .04) als auch im Grundschulalter (χ2 = 41.77, df = 42, p = .481, CFI = 1.00, RMSEA = .00, SRMR = .06) hin. Mögliche Erklärungsansätze für diese Ergebnisse werden diskutiert. Zusammenhänge zwischen vorschulischen heißen exekutiven Funktionen, selbstreguliertem Lernen und akademischer Kompetenz Während mit dem Begriff exekutive Funktionen (EF) allgemeine Prozesse der zielorientierten Kognitions- und Verhaltenssteuerung beschrieben werden (Karbach & Unger, 2014), bezeichnet das Konstrukt des selbstregulierten Lernens eigengesteuerte Prozesse zur zielgerichteten Gedanken-, Verhaltens- und Motivationsregulierung im Lernkontext (Zimmerman & Schunk, 2011). Bereits aus den Definitionen wird die konzeptuelle Überschneidung der beiden Konstrukte deutlich. Auch empirisch konnten Zusammenhänge zwischen EF und SRL gefunden werden (z.B. Garner, 2009). Da sich in beiden Kompetenzen bedeutsame Entwicklungsschritte im Vorschulalter zeigen (z.B. Bronson, 2000; Carlson et al., 2005), stellt sich die Frage, welche Fähigkeit als Vorläuferkompetenz der anderen angesehen werden kann. Erste theoretische und empirische Arbeiten hierzu (Bailey & Jones, 2019; Davis et al., 2021) legen nahe, dass EF die Entwicklungsgrundlage für SRL darstellen. Da beide Konstrukte bedeutsam zur Vorhersage akademischer Kompetenzen beitragen (z.B. Cortés Pascual et al., 2019; Dent & Koenka, 2016), soll mit der vorliegenden Arbeit einerseits überprüft werden, ob sich die berichteten Vorhersagebefunde zwischen EF, SRL und akademischer Kompetenz replizieren lassen. Andererseits soll untersucht werden, ob SRL den Zusammenhang zwischen EF und akademischer Kompetenz mediiert. Evidenz für die angenommene Mediation konnte in ersten Studien gefunden werden, die mit Grundschulkindern durchgeführt wurden (Neuenschwander et al., 2012; Rutherford et al., 2018). Dabei wurden allerdings kühle EF, die in affektiv neutralen Situationen von Bedeutung sind (Zelazo & Carlson, 2012), als Prädiktoren in die Vorhersagemodelle aufgenommen. Das Lernen in der (Vor-)Schule findet jedoch auch in einem emotional-motivationalen Kontext statt – Kinder erwarten bspw. Lob von Erziehungs- und Lehrkräften für ihre Lernleistung. Deshalb zielt die vorliegende Studie darauf ab, die Gültigkeit des Modells in einer Vorschulkohorte und bei Annahme heißer EF, die in emotional-motivational angereicherten Situationen wichtig sind (Zelazo & Carlson, 2012), als Prädiktoren zu prüfen. Hierfür wurden n = 77 Vorschulkinder (MAlter = 71.61 Monate, SD = 4.13; 51.9% Mädchen) multimethodal erhoben. Heiße EF wurden dabei über zwei Maße der Geschenkaufgabe (Kochanska et al., 2000) erfasst. Zur Messung von SRL wurde eine Überarbeitung des SRL-Strategiewissenstests von Jacob et al. (2019) sowie ein Elternrating mittels COMPSCALE (Lange et al., 1989) genutzt. Die akademische Kompetenz wurde durch eine Adaptation des Tests Logisch-Mathematisches Denken der IDS-2 (Grob & Hagmann-von Arx, 2018) sowie eine selbst konstruierte Elternrating-Kurzskala zum erwarteten Schulerfolg gemessen. Die beiden Maße für je ein Konstrukt wurden z-standardisiert und dann zusammengefasst, indem der Mittelwert aus beiden z-Werten gebildet wurde. Somit lag für die Datenanalysen ein Wert pro Konstrukt vor. Die Datenanalysen zeigten eine teilweise Übereinstimmung mit den oben genannten Hypothesen: Die Ergebnisse sprechen für SRL als Prädiktor für akademische Kompetenz sowie für heiße EF als Prädiktoren für SRL, jedoch nicht für heiße EF als Prädiktoren für akademische Kompetenz. Trotz dieses fehlenden direkten Effekts von heißen EF auf akademische Kompetenz fanden wir einen signifikanten indirekten Effekt von heißen EF auf akademische Kompetenz via SRL. SRL kann folglich bei Vorschulkindern als Mediator zwischen heißen EF und akademischer Kompetenz angenommen werden. Die Tatsache, dass ein indirekter Effekt gefunden wurde, legt nahe, dass es auch einen direkten Effekt von heißen EF auf akademische Kompetenz gibt, der jedoch unterpowert getestet wurde (Rucker et al., 2011). Dies könnte möglichweise durch Deckeneffekte bedingt sein, die sowohl für die beiden Maße heißer exekutiver Funktionen als auch für das Elternrating zum erwarteten Schulerfolg gefunden wurden. Künftige Forschung zu den Zusammenhängen zwischen heißen EF, SRL und akademischer Kompetenz sollte daher Maße für heiße EF und akademische Kompetenz einbeziehen, die ausreichend Varianz erzeugen und somit auch die Aufdeckung direkter Zusammenhänge ermöglichen. Die Rolle des Arbeitsgedächtnisses für die Überwachung der Zielerreichung und das Setzen realistischer Ziele beim Lernen Eine wichtige Fähigkeit beim selbstregulierten Lernen ist das Setzen von Zielen und die regelmäßige Überprüfung ihrer Erreichung (Zimmerman, 2000). Eine akkurate Einschätzung, ob ein Ziel erreicht oder verfehlt wurde, ist von entscheidender Bedeutung, da es den Lernenden ermöglicht, sich realistische Ziele zu setzen. Wenn ein Ziel beispielsweise nicht erreicht wurde, kann es anschließend so angepasst werden, dass es dem eigenen Leistungsniveau entspricht (Theobald et al., 2021). Besonders bei jüngeren Kindern kommt es jedoch häufig zu einer Überschätzung der eigenen Leistungen (z. B. Finn & Metcalfe, 2014). Hierdurch kann eine unzutreffende Einschätzung der Zielerreichung und eine unrealistische Zielsetzung entstehen. Eine akkurate Selbsteinschätzung erfordert einen Abgleich zwischen dem Ziel und der tatsächlichen Leistung. Diese Fähigkeit kann von individuellen Unterschieden in der Arbeitsgedächtniskapazität abhängen (Roebers, 2017). Die Arbeitsgedächtniskapazität beschreibt die Fähigkeit, Informationen im Kopf zu behalten und zu verarbeiten (Diamond, 2013). Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass eine hohe Arbeitsgedächtniskapazität mit allgemein besseren metakognitiven Fähigkeiten einhergeht (z. B. Bryce et al., 2015), wurde der Zusammenhang zwischen Arbeitsgedächtniskapazität und der akkuraten Einschätzung der Zielerreichung noch nicht untersucht. Es ist zudem unklar, ob Kinder mit höherer Arbeitsgedächtniskapazität eher in der Lage sind, sich realistischere Ziele zu setzen, also Ziele, die ihrem eigenen Leistungsniveau entsprechen. Ausgehend von der bisherigen Forschung werden daher folgende Hypothesen geprüft: H1: Eine höhere Arbeitsgedächtniskapazität sagt eine akkuratere Einschätzung der Zielerreichung vorher. H2: Eine höhere Arbeitsgedächtniskapazität sagt eine realistischere Zielsetzung vorher. Zudem wird im Rahmen der experimentellen Studie eine explorative Hypothese geprüft. Diese umfasst die Frage, ob Feedback zur eigenen Leistung (vs. kein Feedback), insbesondere Kindern mit niedrigen Arbeitsgedächtniskapazitäten zu einer akkurateren Selbsteinschätzung und realistischeren Zielsetzung verhilft. Die präregistrierten Hypothesen werden im Rahmen einer laufenden Studie mit Grundschulkindern getestet (aktuell: N = 80, Alter: M = 10.31 Jahre, SD = .88). Bis zur Konferenz wird die vorgesehene Stichprobengröße von 112 Kindern erreicht. Die Studie besteht aus 6 Blöcken, die alle gleich aufgebaut sind. Vor jedem Block setzen sich die Kinder ein Ziel, wie viele Multiple-Choice-Quizfragen sie korrekt lösen möchten (max. 15 Fragen pro Block aus den Bereichen Deutsch, Mathematik und Allgemeinwissen). Anschließend beantworten die Kinder die Multiple-Choice-Quizfragen in einem Zeitraum von 2 Minuten. Sie schätzen nach jedem Block, wie viele Fragen sie richtig beantwortet haben. Anschließend bekommen sie abhängig von den Experimentbedingungen Feedback oder kein Feedback zu ihrer Leistung. Die Akkuratheit der Einschätzung wird durch die Differenz zwischen der Selbsteinschätzung und der tatsächlichen Leistung operationalisiert (geringere Differenzen implizieren eine akkuratere Selbsteinschätzung). Eine realistische Zielsetzung wird durch die Differenz zwischen Ziel und tatsächlicher Leistung operationalisiert (betragsmäßig kleinere Abweichungen implizieren eine realistischere Zielsetzung). Nach der Haupttestung bearbeiten die Kinder eine numerische Arbeitsgedächtnisaufgabe (vgl. Dirk & Schmiedek, 2016) zur Erfassung der Arbeitsgedächtniskapazität. Die Daten wurden mehrebenenanalytisch ausgewertet. Kinder mit höherer Arbeitsgedächtniskapazität schätzen ihre Zielerreichung akkurater ein (geringere Differenz zwischen selbst eingeschätzter und tatsächlicher Leistung, ß = .22, 95%CI[.03, .41], p = .030). Kinder mit höherer Arbeitsgedächtniskapazität sind zudem besser darin, sich Ziele zu setzen, die sie auch erreichen können (geringere Differenz zwischen Ziel und tatsächlicher Leistung, ß = .25, 95%CI[.05, .46], p = .018). Bezüglich der explorativen Forschungsfrage zeigt sich ein Trend in die erwartete Richtung. Kinder mit geringerer Arbeitsgedächtniskapazität scheinen in Bezug auf die Einschätzung der Zielerreichung (ß = -.16, 95%CI[-.34, .01], p = .068) sowie das Setzen realistischer Ziele (ß = -.14, 95%CI[-.34, .06], p = .175) stärker von Feedback zu profitieren. Die Analysen werden bis zur Konferenz mit der vollständigen Stichprobe wiederholt. Die bisherigen Ergebnisse bestätigen die präregistrierten Hypothesen. Die Ergebnisse der Studie können dazu genutzt werden, Kinder mit niedrigerer Arbeitsgedächtniskapazität gezielt in ihrer Selbsteinschätzung zu unterstützen, um ihre Fähigkeit zur Selbstregulation zu fördern (möglicherweise indem ihnen Feedback zur eigenen Leistung gegeben wird). |
13:10 - 14:50 | 5-11: Fachliches Lernen und Sprache: Die Bedeutung überfachlicher und domänenspezifischer Sprachkompetenzen auf den Wissenserwerb im schulischen Fachunterricht Ort: S27 |
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Symposium
Fachliches Lernen und Sprache: Die Bedeutung überfachlicher und domänenspezifischer Sprachkompetenzen auf den Wissenserwerb im schulischen Fachunterricht Lernen geschieht in der Schule mehrheitlich über Sprache. Liegen nur unzureichende sprachliche Kompetenzen vor, so wirkt sich das auch immer auf das fachliche Lernen aus. Diese Erkenntnis gilt für alle Fächer (Schmitz & Sturm, 2023), denn im Fachunterricht basiert die Wissensvermittlung mit zunehmender Schulstufe immer mehr auf dem Einsatz komplexer schriftlicher Texte (Becker-Mrotzek & Roth, 2017). Dazu zählen das Verstehen von Sachtexten in naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächern (Härtig et al., 2015), das Verstehen von Aufgabentexten in Mathematik (Prediger & Krägeloh, 2015) und das reflektierte, kritische Lesen von Verfassertexten und Quellentexten in Geschichte (Shanahan & Shanahan, 2020). Daher wird eine lernzielbezogene Nutzung von Fachtexten nach wie vor als Schlüsselqualifikation bezeichnet (Weis et al., 2019a). Entsprechend stellt schulischer Erfolg Anforderungen an die Lesekompetenz und die (fach-)sprachlichen Fähigkeiten der Schüler:innen (Kassis et al., eingereicht; Leiß et al., 2023). Die jeweiligen Unterrichtsfächer stellen dabei unterschiedliche Anforderungen an die Lesekompetenz der Schülerinnen und Schüler (Paetsch et al., 2016; Schneider et al., 2018). Beiträge des Symposiums Ältere Schüler:innen – komplexere Texte? Zur Veränderung sprachlicher Komplexität von Schulbüchern Theoretischer Hintergrund Sprache spielt beim Erlernen von Fachinhalten eine wichtige Rolle, da sie die Kommunikation über und Vertiefung von Wissen ermöglicht (Nagy & Townsend, 2012). Lernende werden regelmäßig mit Sprache in Form von expositorischen Texten konfrontiert, z.B. in Schulbüchern (Berkeley et al., 2016). Beim Verstehen dieser Texte müssen sie ein Situationsmodell entwickeln (siehe Konstruktions-Integrations-Modell; Kintsch, 1988), was auf einer Auseinandersetzung mit der sprachlichen Gestaltung der Texte beruht. Entsprechend ist ein angemessenes Maß an sprachlicher Komplexität für das Verständnis der Fachinhalte in Schulbuchtexten unerlässlich. Gemäß der Annahme der systematischen Komplexifizierung sollten expositorische Texte in Schulbüchern in Abhängigkeit von der Lesekompetenz der Lernenden im Laufe der Schulzeit komplexer werden (Berendes et al., 2018). Tatsächlich sind Studien, die diese Komplexitätsannahme im deutschen Sprachraum untersuchen, rar. Unseres Wissens untersuchten nur Berendes et al. (2018) und Bryant et al. (2017) die sprachliche Komplexität von expositorischen Texten in Geographie-Schulbüchern. Es zeigte sich, dass die sprachliche Komplexität über die Klassenstufen nur teilweise zunahm, sodass die Annahme einer systematischen Komplexifizierung nicht vollständig bestätigt wurde. Fragestellung In der vorliegenden Studie wurde untersucht, ob die sprachliche Komplexität expositorischer Texte in deutschen Schulbüchern über Klassenstufen zunimmt. Gemäß der Annahme der systematischen Komplexifizierung nehmen wir an, dass Indikatoren für sprachliche Komplexität in expositorischen Texten aller Fächer systematisch über die Klassenstufen hinweg zunehmen. Methoden Es wurden Texte aus deutschsprachigen Schulbüchern für die Sekundarstufen I und II gewählt. Viele der Schulbücher sind für den Einsatz in mehreren Klassenstufen vorgesehen, weshalb drei Klassenstufen definiert wurden: die Beobachtungsstufe (Klassen 5/6), die Mittelstufe (Klassen 7-10) und die Oberstufe (Klassen 11-13). Bislang wurden 190 expositorische Texte der Schulfächer Biologie und Geographie analysiert. Die Analyse weiterer expositorische Texte und Fächer folgen. Für die Analysen wurde die Software LATIC gewählt (Linguistisches Analysetool für Text- und Itemcharakteristika), die eine hohe Genauigkeit bzgl. der Analysefunktionen bietet (Cruz Neri et al., 2022). Bislang konzentrierten wir uns auf neun sprachliche Merkmale, die in der Literatur als Indikatoren für sprachliche Komplexität gelten (z.B. White, 2012) wie bspw. verschiedene Lesbarkeitindices oder die Lexikvarianz. Ausgewählte Ergebnisse und Diskussion Es wurden multivariate Varianzanalysen mit Post-hoc-Tests für jedes Fach durchgeführt, um zu prüfen, ob sich die sprachlichen Merkmale zwischen den Klassenstufen signifikant unterschieden. Die Klassenstufen dienten als unabhängige Variable, die sprachlichen Merkmale als abhängige Variablen. Aufgrund der Vielzahl der Tests wurde eine Bonferroni-Korrektur vorgenommen. Die Ergebnisse zeigten, dass einige sprachliche Merkmale, die auf die sprachliche Komplexität hinweisen, im Laufe der drei Klassenstufen signifikant zunahmen. In dieser Hinsicht stachen v.a. Oberflächenmerkmale wie die durchschnittliche Wort- und Satzlängen heraus. Es zeigte sich auch ein Anstieg der Lesbarkeitsindizes in Biologie- und Geographieschulbüchern im Verlauf der Klassenstufen. Verfassende von Schulbüchern sind sich solcher Oberflächenmerkmale oder Lesbarkeitsindizes entsprechend ggf. bewusst und berücksichtigen sie aktiv. Über diese Oberflächenmerkmale hinaus, waren die Ergebnisse weniger eindeutig. So wird beispielsweise argumentiert, dass Konnektoren die Generierung von Schlussfolgerungen und den Aufbau eines Situationsmodells unterstützen (Kohnen & Retelsdorf, 2019). Es gab jedoch keinen Unterschied im prozentualen Anteil dieser zwischen den Klassenstufen in Geographie-Schulbüchern, obwohl gerade jüngere Lernende von Konnektoren profitieren könnten (Cain & Nash, 2011). Darüber hinaus zeigte sich in beiden Fächern keine systematische Zunahme der Lexikvarianz über die Klassenstufen hinweg. Angesichts dessen, dass eine höhere Lexikvarianz auf einen größeren Wortschatz hindeutet, wäre es wünschenswert, jüngere Lernende zu unterstützen, indem die Breite des Wortschatzes verringert wird. Diese ersten Ergebnisse legen nahe, dass Verfassende von Schulbüchern die sprachliche Komplexität stärker berücksichtigen sollten. Lehrkräfte sollten anerkennen, dass expositorische Schulbuchtexte hohe sprachliche Anforderungen an Lernende stellen. Daher sollten Diskussionen um sprachliche Komplexität stärker im Unterricht stattfinden. Die Bewältigung sprachlicher Herausforderungen kann Lernende helfen, Texte besser zu verstehen und so ein kohärentes Situationsmodell zu erstellen (Kintsch, 1988). Sprache als Schlüssel zum Verständnis der Physik: Evidenz aus Schweizer Grundschulen Theoretischer Hintergrund Physik ist aufgrund ihrer Komplexität ein anspruchsvolles Fach und viele persönliche Einflussfaktoren werden beim Verständnis davon als relevant angesehen. Dazu gehören Sprachkompetenz, kognitive Fähigkeiten, vorherige Physikausbildung, Erstsprache, Geschlecht und der sozioökonomische Status der Familie (Angell et al., 2004; Bøe et al., 2011). Obwohl weithin anerkannt ist, dass Sprache eine zentrale Rolle beim Verständnis von naturwissenschaftlichen Fächern spielt (Härtig et al., 2015), wurde die Verbindung zwischen Physik- und Sprachkompetenz bislang kaum untersucht (Kempert et al., 2018). Dabei ist die Sprachkompetenz im Besonderen für das Fach Physik von grosser Bedeutung, weil sich beispielsweise die Fachkonzepte mit Schüler:innen-Vorstellungen aus der Alltagssprache vermengen. Ein anschauliches Beispiel ist der Begriff "Kraft". Im Alltag sagen wir beispielsweise: "Du musst Kraft aufwenden, um die Flasche zu öffnen" oder "Er hat mit Kraft auf den Tisch geschlagen". Im Gegensatz dazu besagt das erste Newtonsche Gesetz, dass ein ruhender Gegenstand in Ruhe verbleibt oder sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt, es sei denn, eine äussere Kraft wirkt auf ihn ein. Mit dem Wort "Kraft" werden Konzepte aktiviert, die nicht dem Fachkonzept von Kraft entsprechen (Rincke, 2007). Das stellt insbesondere für diejenigen Schüler:innen eine grosse Hürde dar, die nie zuvor mit physikalischem Fachjargon in Kontakt gekommen sind, beispielsweise solche aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Hintergrund (Wolter et al., 2018). Die aktuelle Studie wurde im Rahmen der SMS-Längsschnittstudie (Schweizer MINT-Studie) durchgeführt. In der SMS-Längsschnittstudie setzten sich Schüler:innen intensiv mit physikalischen Konzepten wie Schwimmen und Sinken, Schall, Luft und Luftdruck sowie Brücken auseinander (Hardy et al, 2006, Jonen & Möller, 2005). Das Material war so aufbereitet, dass die Schüler:innen die Fachinhalte durch Zuhören, Lesen, Sprechen und Schreiben verarbeiteten und mit ihrem Vorwissen verknüpfen mussten (Schalk et al, 2019). Forschungsziel und Fragestellung Ziel dieser Studie ist es, jene Einflussfaktoren aufzudecken, die die allgemeine Physikkompetenz von Grundschulkindern bestimmen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Sprachkompetenz liegt. Die Hypothese lautet daher: Die allgemeine Sprachkompetenz wird die allgemeine Kompetenz in Physik über andere wichtige Einflussfaktoren wie kognitive Fähigkeiten, Motivation, sozioökonomischer Status, Geschlecht, im Elternhaus gesprochene Sprache und frühe Physikausbildung hinaus vorhersagen. Methode In der Studie nahmen 855 Schülerinnen und Schüler teil (413 Jungen und 442 Mädchen), durchschnittlich 12,7 Jahre alt (SD = 0,464). Die abhängige Variable, die allgemeine Physikkompetenz, zielt auf ein umfassendes Verständnis der Physik ab und basiert auf Aufgaben aus der TIMSS-Studie (Trends in International Mathematics and Science Study) (Mullis et al., 2012). Mittels einer «Mixed-Effects»-Regressionsanalyse mit dem lme4-Paket in R (Bates et al., 2015) untersuchten wir die zentralen Einflussfaktoren auf die allgemeine Physikkompetenz. Als unabhängige Variablen fungierten folgende Einflussfaktoren: Sprachkompetenz (gemessen am Lesetest "Lesen 6-7" (Bäuerlein et al, 2012)), Erstsprache, Geschlecht, familiärer sozioökonomischer Status (ISEI) (Ganzeboom et al, 1992), kognitive Fähigkeiten (drei Subskalen des KFT), Teilnahme am Frühphysikunterricht (aus der Schweizer MINT-Studie), Motivation für Naturwissenschaften sowie die Noten in Sprache und Mathematik. Die hierarchische Struktur der Schüler:innen-Daten, die in Klassen verschachtelt sind, wurde durch Hinzufügen eines «Random Effects» für die Klasse berücksichtigt. Ergebnisse Die allgemeine Sprachkompetenz (Lesen 6-7) war der stärkste Prädiktor (β = .43, p < .00) für die allgemeine Physikkompetenz (TIMSS). Als weitere signifikante Prädiktoren mit kleinerer Effektstärke stellten sich der frühe Physikunterricht (β = .10, p = .01), kognitive Fähigkeiten (β = .17, p < .00), das Geschlecht (β = .14, p < .00) und die Note in Sprache (β = .10, p < .05) heraus. Die Resultate von beiden Teilstudien zeigen deutlich, dass die allgemeine Sprachkompetenz ein sehr wichtiger Prädiktor für die allgemeine Physikkompetenz (TIMSS) ist, mit einem wesentlich stärkeren Effekt als die anderen getesteten Variablen. Insgesamt bekräftigen diese Ergebnisse die häufig postulierte, aber selten empirisch untersuchte, Schlüsselrolle der Sprachkompetenz für das Physikverständnis (Härtig & Kohnen, 2017). Die Wirksamkeit textseitiger und aufgabenseitiger lesedidaktischer Maßnahmen auf das Textverstehen und das fachliche Lernen in Geschichte Theoretischer Hintergrund Historisches Wissen wird in hohem Maß mithilfe von Texten vermittelt und angeeignet (Rüsen, 2008). Die Anforderungen, die Geschichtslehrmitteltexte an die literalen Kompetenzen von Jugendlichen stellen, übersteigen jedoch häufig die vorhandenen Kompetenzen (von Borries et al., 2005). So erfordern Geschichtslehrmitteltexte nicht einfach die Informationsentnahme, sondern das kritische Hinterfragen von Narrativen (Wineburg, 2001) oder das Anwenden komplexer historischer Denkoperationen (Kühberger, 2012). Folglich sind die Lesekompetenzen für das Verstehen dieser Texte mindestens der PISA-Kompetenzstufe V zuzuordnen (Weis et al. 2019a). Um diese hierarchiehohen Leseverstehensleistungen zu erreichen, sind fachspezifische Lesestrategien notwendig, an welche Schüler*innen der Sekundarstufe I allerdings kaum hingeführt werden (Handro, 2018). Auch besteht nur wenig empirisch fundiertes Wissen darüber, wie diese Hinführung für die Sekundarstufe I didaktisch zu modellieren ist: Textseitig schlägt Schrader (2020) vor, den Leseverstehensprozess durch Kohärenzbildungshilfen (Schnotz, 1994) zu entlasten, welche globale Thema-Strukturen, übergeordnete Wissenseinheiten, funktionale Relationen sowie die Leseziele explizieren und sich an geschichtsdidaktischen Zielen orientieren. Zudem kann der Leseprozess sowie die Anwendung von fachspezifischen Lesestrategien mit leseprozesssteuernden Aufgaben angeleitet werden (Lindauer et al., 2013). Forschungsziel und Fragestellung Ziel des SNF-Forschungsprojektes ist es, die Wirksamkeit von Kohärenzbildungshilfen bzw. leseprozesssteuernden Aufgaben auf das Leseverstehen von Schüler*innen der Sekundarstufe I im Fach Geschichte zu überprüfen, um Möglichkeiten aufzuzeigen, wie das Lernen mit Texten allen Lernenden – auch leseschwächeren – zugänglich gemacht werden kann. Daten liegen dazu aus einer Interventionsstudie vor, welche folgende Forschungsfragen bearbeitet: 1. Kann das Leseverstehen von Schüler*innen der achten Klasse beim Lesen eines Geschichtstextes verbessert werden, wenn lesedidaktisch orientierte Kohärenzbildungshilfen im Text eingefügt sind, bzw. wenn der Leseverstehensprozess durch leseprozesssteuernde Aufgaben angeleitet wird. 2. Wie profitieren Lernende mit unterschiedlichen Lesevoraussetzungen von den Kohärenzbildungshilfen bzw. den leseprozesssteuernden Aufgaben? Methodisches Vorgehen Die Fragestellung wurde mithilfe einer materialbasierten Intervention im between-subjects Design untersucht. Das Material bestand zum einen aus einem gut verständlichen Geschichtslehrmitteltext mit oder ohne lesedidaktisch orientierten Kohärenzbildungshilfen, zum anderen aus Aufgaben, die den Leseverstehensprozess zu diesem Lehrmitteltext kleinschrittig anleiten. Die Entwicklung der Materialien basierte sowohl auf Komplexitätsmerkmalen von Geschichtstexten (Schmellentin, 2020) als auch auf Ergebnissen aus Leseprozessbeobachtungen zu Textverstehensschwierigkeiten bei Achtklässler*innen (Dittmar et al., eingereicht). In der Interventionsstudie kam der Geschichtslehrmitteltext in vier Versionen in einem between-subjects Design zum Einsatz. Die drei Experimentalgruppen bearbeiteten je eine der drei Textversionen mit lesedidaktischen Maßnahmen (nur Kohärenzbildungshilfen (E1) oder nur Leseprozesssteuerung (E2) oder mit der Kombination aus beiden Maßnahmen (E3)), während die Kontrollgruppe den Text ohne lesedidaktische Maßnahmen (K) bearbeitete. Die Stichprobe setzte sich aus n=384 (14 Jahre 4 Monate, 56.5% weiblich, 43% männlich, 0.5% divers) Schüler*innen aus achten Sekundarklassen (nicht-gymnasial) in der Schweiz zusammen. Als Kovariablen wurden Leseflüssigkeit und Leseverstehen (LGVT 5-12+, Schneider et al., 2017), nichtsprachliche Intelligenz (CFT 20-R, Weiss, 2019), fachliches Vorwissen, DaZ- und Migrationshintergrund (Weis et al., 2019b) und SES (gemessen mit dem HISEI (Ganzeboom et al., 1992)) erhoben. Ergebnisse Die abhängige Variable bildete der Wissenszuwachs von Messzeitpunkt 1 (textbezogenes Vorwissen) zu Messzeitpunkt 2 (textbezogenes Nachwissen), die unabhängige Variable die Zugehörigkeit zu einer der vier Interventionsgruppen (K, E1, E2, E3). Erste Varianzanalysen zeigen einen knapp mittelstarken Haupteffekt für Interventionsgruppe (F(3,364)=6.252, p=0.000, η2=0.050). Kovarianzanalysen zeigen schwache bis mittelstarke Effekte aller Kovariablen sowie einen starken Effekt für Leseverstehen (F(2,364)=34, p=0.000, η2=0.162). Daher wurden drei Gruppen (Terzile) in Bezug auf Leseverstehenswerte (LGVT 5-12+) gebildet (schwache, mittlere und starke Leser*innen) und separat analysiert. Post Hoc Analysen mit Bonferroni-Korrektur weisen darauf hin, dass vor allem mittelstarke Leser*innen sowohl von Kohärenzbildungshilfen als auch von leseprozesssteuernden Aufgaben profitieren und schwach Lesende nicht. Stark Lesende profitieren nur gegenüber dem Originallehrmitteltext, wenn sie eine Kombination aus Kohärenzbildungshilfen und leseprozesssteuernde Aufgaben erhalten. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Kohärenzbildungshilfen und leseprozesssteuernde Aufgaben differenziell wirken und leseschwächere Lernende anderer Unterstützungsmaßnahmen bedürfen, die sprach- und geschichtsdidaktisch diskutiert werden. Zur Beziehung zwischen Textverstehen, mathematischer Aufgabenlösung und Notizen Theoretischer Hintergrund Klimawandel und Ressourcenknappheit - realitätsbezogene Aufgaben im Mathematikunterricht sind jene Aufgaben, bei denen solch reale Kontexte als inhaltliche Rahmung genutzt werden (Parchmann & Kuhn, 2018), um die Mündigkeit der Schüler*innen zu fördern (Boaler, 2001). Zahlreiche empirische Studien haben gezeigt, dass der Übersetzungsprozess zwischen Realität und Mathematik während der Arbeit mit realitätsbezogenen Aufgaben mit kognitiven Barrieren verbunden ist (Galbraith & Stillman, 2006). Die Bildung eines adäquaten Situationsmodells aus dem Aufgabentext, welches die Voraussetzung für das richtige Lösen realitätsbezogener Aufgaben ist, fordert viele Schüler*innen heraus und hängt stark von verschiedenen individuellen sprachlichen Fähigkeiten (Strohmaier et al., 2023) ab - insbesondere vom Leseverstehen (Leiss et al., 2010; Pongsakdi et al., 2020) und der Lesestrategieanwendung (Schlager, 2020; Schmitz & Karstens, 2022, Schukajlow & Leiss, 2011). Eine vielversprechende Lese- und Lösungsstrategie zur Überwindung der oben beschriebenen Schwierigkeiten ist das Anfertigen von Notizen (Graham et al., 2020; Rogiers et al., 2020; Rovers et al., 2019; Samuelstuen & Bråten, 2007; Schukajlow et al., 2012; Wienecke et al., 2023) Fragestellungen Differenzierte Analysen zur Gestaltung von Notizen und zum spezifischen Einfluss des Notizenanfertigens auf den Lösungsprozess stellen jedoch ein Forschungsdesiderat dar, welches in der vorliegenden Studie aufgegriffen wird: FF1: Welche Merkmale weisen die Notizen der Schüler*innen bei der Bearbeitung von realitätsbezogenen Aufgaben auf? FF2: Welche personenbezogenen Merkmale sind mit dem Anfertigen von Notizen bei der Bearbeitung realitätsbezogener Aufgaben verbunden? FF3: Inwieweit erklärt das Anfertigen von Notizen zusätzliche Varianz bei der Lösung realitätsbezogener Aufgaben? Methode Die Daten zur Anfertigung von Notizen und dem Textverstehen wurden im Rahmen des DFG-geförderten VAMPS-Projekts (Variation Aufgaben Mathematik Physik Sprache) im within-subject Design erhoben. 424 Schüler*innen (47.0 % ♀, 50.6 % ♂, 2.4 % divers) der Klassenstufen 7 bis 10 einer kooperativen Gesamtschule in Niedersachsen generierten durch die Bearbeitung von je 3 Aufgaben 1 272 Antworten in einer Paper-Pencil-Erhebung. Die verschiedenen Ausprägungen von Notizen, die bei der Bearbeitung der realitätsbezogenen Aufgaben entstanden, wurden in den Auswertungen sowohl als abhängige (FF2) als auch unabhängige Variable (FF3, AV: Aufgabenlösung) betrachtet. Neben den Aufgaben wurden noch ein Cloze-Test, ein Fachtest zu den mathematischen Inhaltsbereichen der Aufgaben und ein soziodemografischer Fragebogen zur Erfassung von Kovariablen eingesetzt. Ergebnisse Insgesamt wurden zu knapp einem Drittel der bearbeiteten Aufgaben unaufgefordert Notizen gemacht. Prozentual zeigt sich, dass entgegen der Erwartungen das Unterstreichen nicht die meistgenutzte Form der Notiz ist (7,2 %). Tendenziell wurden mit 21,5 % die meisten Aufgaben mit der Strategie des Herausschreibens der relevanten Daten gelöst. Eine weitere viel genutzte Strategie ist die Verwendung strukturierender Merkmale (22,5 %). Bezüglich des Einflusses von personenbezogenen Merkmalen zeigt sich am stärksten ein Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Status (r = .12 mit p < .001). In Bezug auf den Einfluss auf die fachliche Lösung zeigen die Koeffizienten eines Generalized Linear Mixed Models, dass Notizen unter Kontrolle der innermathematischen (beta = .47 mit p < .001) und sprachlichen (beta = .52 mit p < .001) Kompetenzen ein signifikanter Prädiktor (beta = .39 mit p < .01) für die richtige Lösung realitätsbezogener Aufgaben sind. Fügt man als möglichen Prädiktor das Textverstehen hinzu, bleibt neben innermathematischen und sprachlichen Kompetenzen das Textverstehen und das Anfertigen hilfreicher Notizen signifikant. Der Modellfit wurde unter anderem mit einem conditional R2 (Nakagawa et al., 2017) und dem Akaike information criterion (Burnham & Anderson, 2004) überprüft und es zeigt sich, dass die Modelle, die das Anfertigen von Notizen enthalten, besser sind als jene ohne Notizen. Resultierend zeigt sich, dass verschiedene Formen von Notizen verschiedene Einflussfaktoren haben, verschieden den Lösungsprozess beeinflussen und es folglich weiterer Analysen auf diesem Gebiet bedarf. |
13:10 - 14:50 | 5-12: Soziale Netzwerke in Schulen: Einflüsse auf die Entstehung von Peerbeziehungen Ort: S19 |
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Symposium
Soziale Netzwerke in Schulen: Einflüsse auf die Entstehung von Peerbeziehungen Peerbeziehungen gewinnen im Jugendalter zunehmend an Bedeutung. Ihre Rolle sowohl für die Entwicklung psychischer und körperlicher Gesundheit, devianten vs. adaptiven Verhaltens und für die akademische Entwicklung ist nachgewiesen (Gifford-Smith & Brownell, 2003; Raufelder et al., 2021; Youniss & Haynie, 1992; Zander, Kreutzmann & Hannover, 2017). Da Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit in der Schule verbringen, kommt schulischen Peerbeziehungen eine besondere Bedeutung zu. Die Schule zeichnet sich durch eine Reihe an Besonderheiten aus: Hier treffen Kinder und Jugendliche auf gleichaltrige, mit denen sie, anders als mit Erwachsenen, symmetrische Beziehungen eingehen und durch Aushandlungsprozesse selbstständig gestalten können (Youniss & Haynie, 1992). Schulische Peerbeziehungen zeichnen sich damit durch eine besondere Autonomie aus. Der Schulkontext ist allerdings gleichzeitig durch eine starke räumliche und zeitliche Strukturierung geprägt. Der Lehrkraft kommt im Klassenzimmer eine zentrale Rolle als Referenzperson, Beziehungsmanagerin und Gestalterin des sozialen Klimas zu (Farmer, McAuliffe Lines, & Hamm, 2011). Weiterhin sind Klassenzimmer durch die Komposition, also die Zusammensetzung im Hinblick auf Merkmale wie Geschlecht, Leistung, sozialer und ethnischer Hintergrund geprägt. So haben Schüler*innen zwar die Autonomie darüber, mit wem sie welche Art von Beziehung eingehen, sind in ihrer Wahl allerdings durch Opportunitätsstrukturen begrenzt. Dieses komplexe Zusammenspiel aus individuellen Entscheidungen und kontextuell vorgegebenen Möglichkeiten zu untersuchen, stellt eine methodische Herausforderung dar. Die Soziale Netzwerkanalyse, bei der die Positionierung von Individuen in ein Netzwerk von Beziehungen im Fokus steht, gewinnt in den letzten Jahren auch in der empirischen Bildungsforschung zunehmend an Bedeutung, da sie dieser Herausforderung begegnet. In der Sozialen Netzwerkforschung werden die einzelnen Beziehungen zwischen den Schülerinnen und Schülern als Datengrundlage verwendet. Diese Beziehungen können unterschiedlich charakterisiert werden: so können Freundschaften und Feindschaften ebenso dargestellt werden wie instrumentelle Beziehungen, Beziehungen können in ihrer Qualität oder ihrer Stärke abgestuft bewertet werden und auch Beurteilungen von Peers (z.B. wahrgenommene Beliebtheit) können in einem Netzwerk dargestellt werden. Netzwerkanalysen können auf Ebene von Schulen, Klassen, Subgruppen, Individuen oder auf Ebene einzelner Beziehungen stattfinden. Die in diesem Symposium versammelten Beiträge zeigen die methodische Breite auf, mit der soziale Netzwerke untersucht werden können, ergänzen sich aber auch inhaltlich, um einen facettierten Blick auf Bedingungen der Entstehung von Peerbeziehungen in der Schule aufzuzeigen. Im Modell der Selektions- und Einflussmechanismen von Peerbeziehungen im Klassenzimmer (Zander et al., 2017) werden die Einflüsse der Lehrperson, Selektions- und Sozialisationsprozesse unterschieden, die über die entstehenden Peerbeziehungen vermittelt einen Einfluss auf lernförderliche und lernhinderliche Outcomes haben können. Die Beiträge des Symposiums lassen sich unter Bezugnahme auf das Modell einordnen: So befasst sich der erste Beitrag von Lorenz und Kronenberg mit Selektionsprozessen in Peerbeziehungen und fragt, welchen Einfluss die ethnische Komposition, insbesondere die Heterogenität in der Herkunft von Schülerinnen und Schülern auf die Entstehung von Freundschaften zwischen Angehörigen unterschiedlicher ethnischer Gruppen haben. So nähern sich die Autoren der Frage nach der Basis ethnischer Segregation an Schulen. Der zweite Beitrag von Schuster und Kuhnt befasst sich mit politischen Sozialisationsprozessen zwischen Schülerinnen und Schülern und untersucht den Zusammenhang zwischen Freundschaftsnetzwerken und Netzwerken politischen Austauschs. Im dritten und vierten Beitrag stehen Einflussmöglichkeiten, die durch schulorganisatorische Maßnahmen bzw. durch Lehrpersonen geschaffen werden, im Fokus. So untersucht Kuhnt in Beitrag 3, welchen Einfluss die Auflösung des Klassenverbands zugunsten einer projektförmigen Organisation des Schulalltags auf die Entwicklung von Sozialkontakten hat. Beitrag 4 lenkt den Blick auf Prozesse im Unterricht und fragt, welchen Einfluss die Lehrkraft auf Freundschaftsbeziehungen im Klassenzimmer hat. Insbesondere wird untersucht, ob eine wahrgenommene konstruktive Unterstützung durch die Lehrkraft die leistungsbezogene Homophilie und die relative Beliebtheit leistungsstärkerer Schülerinnen und Schüler beeinflusst. Das Symposium richtet sich an Forschende, die sich für das Potenzial der Sozialen Netzwerkanalyse zur Untersuchung von Mechanismen der Entstehung von Peerbeziehungen in der Schule interessieren. Beiträge des Symposiums Structural sources of segregation: How classroom composition shapes interethnic friendships Theory and Research Question Research on ethnic heterogeneity underscores its pivotal role in fostering interethnic social relationships, a crucial component for both the equal participation of minorities (e.g., Lorenz et al. 2021) and enhancing social cohesion within schools (e.g., Portes and Vickstrom 2011). However, this extensive body of research, though often referencing the seminal work of Peter M. Blau and colleagues (Blau 1994, 1977), has largely overlooked the incorporation of a strand of formal theorizing necessary for a deeper investigation into the origins of interethnic relationships. A prevalent focus in existing studies is on the indirect measurement of homophily preferences while accounting for meeting opportunities. These studies harness theories like social identity, competition, and threat to propose that an increase in school heterogeneity augments the propensity among adolescents to favor same-ethnic friendships (Moody 2001; Smith et al. 2016). However, this methodology, reliant on indirect measurement, doesn’t provide a robust foundation for concluding on the role social contexts play in shaping these preferences (Schaefer 2018; Schaefer and Kreager 2020; Wimmer and Lewis 2010). Data and Methods We advocate for a more restrained approach to theory development, rooted in a meticulous examination of how social contexts influence opportunities for establishing interethnic social relationships (Fararo 1989; Healy 2017), before delving into the complexities of endogenous preferences. Our work, building on the basic tenets of Blau’s structuralist theory, aims to fill this gap, offering both theoretical and empirical insights into the association between distinct dimensions of ethnic heterogeneity and the formation of interethnic and coethnic friendships within the school environment. Empirically, we utilize unique, representative data from over 1,000 secondary schools in Germany, allowing for a comprehensive analysis of complete social networks on an unprecedented scale. We adapt and modify Blau's model to account for the distinct perspectives of majority and minority group members, a necessary evolution considering the recent findings which underscore the necessity of this dual perspective to unravel the intricate relationships between heterogeneity and intergroup ties (Koopmans and Schaeffer 2015; Smith et al. 2016). Our data stems from the IQB Trends in Student Achievement Study 2018 (Stanat et al. 2019), encompassing 32,191 students from 1,319 classrooms in 1,028 schools. We reconstructed complete friendship networks and utilized the Blau index to measure ethnic heterogeneity at the classroom level. Ethnic origin differentiation was based on the birth countries of students and their parents. Results and Conclusion The findings of our descriptive analysis unveil potent associations between heterogeneity and intergroup friendships within schools. While opportunities for coethnic friendships diminish with increased ethnic heterogeneity for the majority group, they elevate for the minority group members. This pattern aligns with the observed consistency across both groups in utilizing available opportunities for coethnic friendships. Consequently, increased proportions of outgroup members correlate with rising fractions of intergroup friendships. Our multivariate analyses elucidate that ethnic heterogeneity and class size account for 92% of the variation in coethnic friendships between classrooms. Consolidation in multiple heterogeneity dimensions amplifies the proportion of coethnic friendships more prominently in heterogeneous social contexts. These findings, which deviate from earlier research conclusions, accentuate the opportunity structures as central in mediating the relationship between ethnic composition and intergroup social relationships, relegating homophily preferences to a secondary role. In essence, our study illuminates the nuanced dynamics and influences shaping the interplay between ethnic heterogeneity, consolidation, and the formation of coethnic and interethnic friendships in schools. The insights gleaned hold substantial implications for educational policies and practices aimed at fostering social integration and cohesion in increasingly diverse educational settings. Let’s talk politics: Eine inferenzstatistische Netzwerkanalyse zu Determinanten politischen Austauschs unter Schüler*innen Fragestellung Soziale Netzwerke spielen eine wichtige Rolle für die politische Meinungsbildung und Partizipation junger Menschen. So steigt bspw. die Wahrscheinlichkeit, politisch zu partizipieren, mit der Anzahl von Personen mit hoher politischer Kompetenzen in einem sozialen Netzwerk (Campbell, 2013). Auch zeigt sich, dass politisch homogene Netzwerke die eigenen Überzeugungen stärken, was wiederum die Teilnahme an politischen Veranstaltungen fördert (Mutz, 2002). Während diese Studien häufig voraussetzen, dass politische Themen innerhalb sozialer Gruppen diskutiert werden und daher bereits Freundschaftsnetzwerke eine gewisse Funktion in dieser Richtung erfüllen, wird bislang weitestgehend vernachlässigt, auf welche Weise Austausch über politische Themen stattfindet. Gerade unter jungen Menschen, die sich noch in einer ganz zentralen Phase der Entwicklung einer politischen Identität befinden, ist es daher von großer Bedeutung, politischen Austausch systematisch zu untersuchen. Diese Studie adressiert das Desiderat und beantwortet die Forschungsfrage: Wie lässt sich die Struktur eines Netzwerks politischen Austauschs unter Schüler*innen erklären? Theoretischer Hintergrund Theoretisch basiert die Studie auf der Sozialkapital-Theorie (Putnam, 2000). Diese geht von einem generellen Zusammenhang von individuellem Handeln und den sozialen Strukturen eines Individuums aus. In der Literatur finden sich verschiedene Mechanismen, nach denen ein Aufbau sozialer Beziehungen stattfindet. Mit Blick auf das Sozialkapital werden insbesondere drei Formen unterschieden: bonding, bridging und linking Sozialkapital (z.B. Rydin & Holman, 2004). Während sich bonding Sozialkapital eher auf das Bilden von Beziehungen innerhalb soziodemographisch homogener Gruppen bezieht, bezeichnet bridging die Interaktion über Gruppen hinweg. Linking Sozialkapital wiederum bezieht sich auf vertikale Beziehungen zwischen Individuen mit unterschiedlichen Ausprägungen von Macht und Autorität (Shin, 2022). Während Freundschaftsnetzwerke zwischen Schüler*innen häufig von Beziehungen innerhalb homogener Gruppen (z.B. auf Grund von Geschlecht oder ethnisch-kultureller Herkunft) und damit bonding geprägt sind (Zander et al., 2017), erwarten wir für das Netzwerk politischen Austauschs insbesondere bridging Sozialkapital, da für den politischen Austausch soziodemographische Homogenität weniger wichtig ist als bspw. ähnliche politische Meinungen (Mutz, 2002). Außerdem erwarten wir ein hohes Level an linking Beziehungen zwischen beliebten und weniger beliebten Schüler*innen, da generelle Beliebtheit weniger gewichtet werden dürfte als eine angenommene oder zugeschriebene politische Kompetenz. Methode Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde eine inferentielle Netzwerkanalyse mit Hilfe von Exponential Random Graph Models (ERGMs) durchgeführt. Die Grundidee von ERGMs ist es, die Charakteristika eines theoretischen Netzwerks zu modellieren, die Gewichte dieser Charakteristika zu schätzen und darüber diejenigen Charakteristika eines empirisch beobachteten Netzwerks zu identifizieren, die statistisch häufiger vorkommen als rein zufällig zu erwarten wäre (Robins et al., 2007). Neben individuellen Faktoren der Schüler*innen, wie Geschlecht, politisches Interesse oder generelle Beliebtheit, und dyadischen Faktoren wie Freundschaftsbeziehungen werden auf netzwerkinhärente Dependenzen wie Reziprozität und Transitivität kontrolliert. Die empirische Grundlage unserer Untersuchung bildet eine Erhebung an der Universitätsschule Dresden, die im Mai 2023 durchgeführt wurde (N=353). Neben soziodemographischen Informationen wurden die Schüler*innen der Klassenstufen 4 bis 8 gefragt, mit wem sie sich über politische und soziale Themen austauschen (angelehnt an NEPS Network, 2022). Außerdem wurde das politische Interesse und die politische Partizipation mit Hilfe erprobter Instrumente erhoben (Abs & Hahn-Laudenberg, 2017). Ergebnisse Die Ergebnisse zeigen, dass sich Netzwerke politischen Austauschs unter Schüler*innen in ihrer Struktur substanziell von Freundschaftsnetzwerken unterscheiden, Freundschaftsbeziehungen aber gleichzeitig quasi das Substrat für den Austausch über politische Themen darstellen. Anders als bei anderen Peer-Netzwerken sind die generelle Beliebtheit und geteilte soziodemografische Merkmale (bonding) nicht so entscheidend dafür, ob sich Schüler*innen mit einer bestimmten Person über Politik austauschen. Viel wichtiger ist dagegen, ob der*die potenzielle Gesprächspartner*in sich für Politik interessiert bzw. sich generell viel damit befasst (bridging und linking). Die Ergebnisse sind von großer Relevanz, um den politischen Austausch zwischen Schüler*innen besser zu verstehen, zu fördern und bei demokratiegefährdenden Tendenzen entsprechend intervenieren zu können. Jenseits des Klassenverbandes. Community lost, saved or liberated? Zur Erprobung neuer Lern- und Lehransätze wurde 2019 die Universitätsschule an der Technischen Universität Dresden gegründet. Ein zentraler Reformansatz bei der Konzeption dieses Schulversuchs an der TU Dresden leitet sich aus der Überzeugung ab, dass das Lernen in festen Klassenverbänden einer individuellen Ausgestaltung von Lernprozessen im Wege steht. Durch die projektförmige Organisation des Schulalltags sollen den Schüler*innen in höherem Maße als an Schulen mit festen Klassenverbänden „‚passgenaue‘ pädagogische Angebote[...]“ (Projektgruppe der Universitätsschule, 2017, S.7) gemacht werden können. Neben diesen intendierten Wirkungen sind in solchen Reformprojekten jedoch auch die nichtintendierten Folgen zu beachten (vgl. Dreeben & Lindquist, 1980). So ist zu erwarten, dass ein Eingreifen in die schulischen Strukturvorgaben auch einen Einfluss auf latente, d.h. auf nicht offensichtliche Funktionen der Schule hat, die jedoch beachtet werden müssen, um zu einem vollständigen Bild dieser sehr speziellen Institution zu kommen. In diesem Zusammenhang ist dann oftmals von einem „heimlichen Lehrplan“ die Rede, der die Schülerinnen und Schüler, ohne dass dies einem offiziellen Lehrplan folgte, auf bestimmte gesellschaftliche Anforderungen vorbereitet, die nur indirekt, d.h. nicht als propositional zu lehrendes Wissen, erlernt werden können. Zu diesem heimlichen Lehrplan gehören nicht zuletzt Sozialisationserfahrungen die sich aus der Einbettung in das soziale Gefüge von Mitschüler*innen ergeben. Für dieses Gefüge sind jedoch Effekte zu erwarten, wenn, anders als in der „klassischen“ Schule, das Lehren und Lernen nicht mehr vornehmlich im Rahmen von Klassenverbänden stattfindet. Weil der Klassenraum der Ort ist, in dem sich die immer gleichen Schülerinnen und Schüler immer wieder begegnen, eignet er sich in besonderer Weise dazu, Sozialkontakte zu knüpfen und zu pflegen; der Klassenraum stellt Opportunitätsstrukturen zur Verfügung, die als Katalysator für den Aufbau von sozialen Beziehungen dienen (Festinger et al., 1950; Gest et al., 2003). Verliert der Klassenverband wie im Falle der Universitätsschule an Bedeutung, sind entsprechende Konsequenzen für diese Opportunitätsstrukturen zu erwarten. Durch die Auflösung von Klassengrenzen erhöht sich die effektive Größe des „sozialen Aggregats“ Schule (Dreeben & Lindquist, 1980, S. 77). Die Entgrenzung der Opportunitätsstrukturen führt jedoch gleichzeitig zu einer größeren Unübersichtlichkeit und Unsicherheit für jedes einzelne Individuum. Dies kann die Ausbildung von Ungleichheiten befördern, wenn einige Schüler*innen mehr, andere jedoch weniger gut in der Lage sind, Sozialkontakte aufzubauen und zu pflegen. Aus einem solchen Gespür dürften sich auch elterliche Vorbehalte gegenüber der Abschaffung des Klassenverbandes speisen: Ohne diese – so die Sorge – könnten Vereinzelungsprozesse einsetzen, die auch durch alternative Arrangements nicht mehr abgefangen werden können. In diesem Beitrag untersuchen wir, ob sich diese Befürchtung bewahrheitet oder ob durch den Verzicht auf „statische“ Klassenverbände nicht vielmehr neuartige Gruppenformationen und Kontaktstrukturen entstehen, die keineswegs als „Vereinzelung“ aufzufassen sind. Die Forschungsfragen, die im Zuge dieser Studie beantwortet werden sollen, beziehen sich daher auf mögliche Konsequenzen für die Beziehungsstrukturen innerhalb der Schülerschaft: Finden sich an der Universitätsschule verglichen mit anderen Schulen in vermehrtem oder verringertem Maße solitäre Rollen – z.B. von „Außenseitern“, die sich auch und gerade in der Gruppendynamik des überkommenen Klassenverbands herausbilden? Verbessert sich die Zusammenarbeit von Schülerinnen und Schülern der gesamten Schule, wenn sich deren Sozialkontakte eher interessengeleitet und nicht anhand von Strukturvorgaben entwickeln? Erhalten oder bilden sich kleine Gruppen, die den Wegfall von Klassenverbänden kompensieren? Um dies zu untersuchen, wurden alle ca. 200 Schüler*innen des ersten Jahres der Universitätsschule nach ihren Sozialkontakten befragt und die sich daraus ergebende Netzwerkstruktur mit entsprechenden Strukturen an vergleichbaren ‚regulären‘ Schulen verglichen. Dabei ergaben sich für die Universitätsschule dichtere und verästeltere Strukturen von Kontakten vergleichbarer Stabilität und einer höheren Wahrscheinlichkeit, dass Nennungen von Sozialkontakten auch erwidert werden. Die Anzahl relativ wenig integrierter Schüler*innen war an der Universitätsschule etwas niedriger als der Durchschnitt der Vergleichsschulen. Die soziale Integration leistungsstarker Schülerinnen und Schüler: Welchen Einfluss hat die Lehrkraft? Hintergrund und Fragestellung Studien zur Entwicklung von Freundschaften in Schulklassen untersuchen häufig Determinanten auf Ebene des Individuums. Dabei zeigt sich immer wieder, dass Schülerinnen und Schüler solche Peers als Freunde haben, die ihnen in unterschiedlicher Hinsicht ähnlich sind (Gifford-Smith & Brownell, 2003; Goodreau, Kitts & Morris, 2009). Welche Eigenschaften dies sind, kann variieren – neben Geschlecht, ethnischem Hintergrund, Alter, Einstellungen und Verhaltensdispositionen ist ein relevantes Kriterium in der Schule die gezeigte Leistung. Dabei zeigt sich nicht nur eine leistungsbezogene Homophilie (Goodreau, Kitts & Morris, 2009; Smirnov & Thurner, 2017), sondern auch eine generell bessere soziale Integration leistungsstärkerer Schülerinnen und Schüler (Wentzel, Jablansky & Scalise, 2021). Allerdings kann die Stärke dieses Zusammenhangs von Kontextmerkmalen abhängen. So gibt es Arbeiten zum Einfluss von Klassennormen auf die Popularität unterschiedlich leistungsstarker Schülergruppen (z.B. Laninga-Wijnen, Ryan, Harakeh, Shin & Vollebergh, 2018) oder zum Einfluss, den Lehrkräfte auf das soziale Miteinander haben können (Farmer, McAuliffe Lines & Hamm, 2011). Ein Mechanismus, der hinter dem Einfluss der Lehrkraft steht, wird durch die soziale Referenzierungstheorie beschrieben: Kinder wenden sich an andere, insbesondere an Erwachsene, um sich zu orientieren, welches Verhalten als vorbildlich gilt und welches nicht (Hertenstein, 2011). Wertet eine Lehrkraft ein Kind ab, dann kann es dazu führen, dass andere Kinder dieses Verhalten übernehmen (McAuliffe, Hubbard & Romano, 2009). Indem Lehrkräfte also positive und unterstützende Beziehungen mit ihren Schülerinnen und Schülern eingehen, befördern sie potenziell deren soziale Akzeptanz. Der vorliegende Beitrag untersucht diesen Zusammenhang mit netzwerkanalytischen Methoden. Methode Den Analysen liegt der Datensatz des IQB-Bildungstrend 2018 zugrunde, in welchem ca. 44,000 Schülerinnen und Schüler der neunten Klassen in ihren Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften getestet wurden. Neben Hintergrundinformationen, motivationalen und kognitiven Merkmalen der Schülerinnen und Schüler liegen soziale Netzwerkdaten von ungefähr 2,000 Klassen vor. Mittels Latent Order Logistischen (LOLOG) Modellen (Fellows, 2018) schätzen wir für jede Klasse ein Netzwerkmodell, in welchem die Wahrscheinlichkeit für die Existenz einer Beziehung zwischen zwei beliebigen Personen auf Basis von Personenmerkmalen der beteiligten Personen (sozialer Hintergrund, Schulleistung, wahrgenommene konstruktive Unterstützung der Lehrkraft) und der Netzwerkstruktur des sozialen Netzwerks geschätzt wird. Die Ergebnisse wurden mit meta-analytischen Methoden aggregiert. Ergebnisse Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass Homophilie-Tendenzen bezüglich Leistungsstärke unabhängig von Einflüssen der Lehrkraft vorhanden waren: Ob leistungsstarke Schülerinnen und Schüler beliebter bei ihren Mitschülern waren, hing nicht mit deren Unterstützung durch die Lehrkraft zusammen. Es zeigen sich jedoch Unterschiede zwischen Schulklassen, die noch durch weitere Analysen qualifiziert werden. |
13:10 - 14:50 | 5-13: Studienabbruch und Studienerfolg Ort: S28 |
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Symposium
Studienabbruch und Studienerfolg Nach Schätzungen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) brechen rund 30 % aller Studierenden ihr Studium ab (Heublein, Hutzsch & Schmelzer, 2022). Die Studienabbruchraten an Universitäten sind dabei höher als an Hochschulen für angewandte Wissenschaften. Studierende der Mathematik sowie der Natur- und Geisteswissenschaften sind besonders von einem Studienabbruch betroffen (fast 50 %). Angesichts dieser hohen Abbruchraten stehen Hochschulen vor der Herausforderung, Studienabbrüche zu verhindern und den Studienerfolg zu fördern (Neugebauer, Daniel & Wolter, 2021). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert seit dem Jahr 2017 Forschungsprojekte, die sich mit der Untersuchung von Studienabbruch und Studienerfolg aus den Perspektiven verschiedener Fachdisziplinen näher befassen. Im Rahmen des Symposiums präsentieren und diskutieren vier dieser Projekte Ergebnisse ihrer derzeitigen Forschungsaktivitäten. Die Beiträge unterscheiden sich hinsichtlich ihrer konkreten Fragestellungen, der eingesetzten Methoden, der verwendeten Daten und der disziplinaren Verortung, um das breite Spektrum laufender Forschungsaktivitäten im Rahmen der BMBF-Förderlinie „Studienerfolg und Studienabbruch II“ zu präsentieren. Im ersten Beitrag (Preuß, Zimmermann & Jonkmann) wird eine Längsschnittstudie internationaler MINT-Studierender vorgestellt, in der aus psychologischer Sicht die inter- und intraindividuellen Zusammenhänge zwischen Komponenten der Studienmotivation (Erwartung und Wert) sowie Studienabbruchintentionen untersucht werden. Es zeigen sich insgesamt interindividuelle Zusammenhänge zwischen studienbezogenen Erwartungen und Wertüberzeugungen sowie Studienabbruchintentionen der internationalen Bachelorstudierenden. Im Unterschied dazu gab es kaum wechselseitige Beziehungen zwischen Veränderungen in motivationalen Merkmalen und Studienabbruchintentionen auf intraindividueller Ebene im Zeitverlauf. Der zweite Beitrag (Scheunemann et al.), der ebenfalls in der Psychologie zu verorten ist, überprüft die Wirksamkeit eines mehrwöchigen, digitalen Präventionsprogramms für MINT-Studierende zur Förderung ihres Studienerfolg. Das Programm zielte besonders auf die Förderung der Motivation, Motivationsregulation und Zeitplanung im Studium ab. Als freiwilliges Angebot wurde es an fachwissenschaftliche Veranstaltungen im zweiten Semester angebunden. Im Rahmen einer Studie mit einem Wartekontrollgruppendesign zeigten sich positive Effekte im Hinblick auf die Studienmotivation, das Studierverhalten und Kriterien des Studienerfolgs. Im dritten Beitrag (Berens et al.) aus dem Bereich der Bildungsökonomie wird untersucht, wie Verwaltungsdaten von Hochschulen genutzt werden können, um bereits zu Beginn des Studiums Studierende zu identifizieren, die Gefahr laufen, ihr Studium abzubrechen. Dabei wird auch analysiert, ob sich bestimmte Cluster von Studienabbrecher:innen identifizieren lassen. Des Weiteren wird die Effektivität von Interventionen überprüft, die mit geringem Aufwand umsetzbar sind. Es zeigt sich insgesamt, dass Hochschulen durch das Monitoring und die Nutzung von Daten ihrer Studierenden ein erhebliches Steuerpotential in Bezug auf den Studienabbruch haben. Der vierte Beitrag (Neugebauer & Forster) aus dem Bereich der soziologischen Bildungsforschung präsentiert die Ergebnisse eines Feldexperiments zu den Arbeitsmarktchancen von Studienabbrecher:innen. Dazu wurden über 3000 Bewerbungen an reale Ausbildungsbetriebe gesandt. In den Bewerbungen wurden Angaben zur Bildungsbiographie (Abitur, Studienabbruch), das Geschlecht und der ethnische Hintergrund der Bewerbenden variiert. Die Auswertungen des Feldexperiments zeigen, dass ein Studienabbruch Bewerbenden insgesamt nicht schadet. Für einige Gruppen konnten sogar Vorteile (z.B. Bewerberinnen), aber auch Nachteile (bei ethnischem Hintergrund) aufgedeckt werden. Ein abschließender Diskussionsbeitrag von Ulrich Heublein synthetisiert die Befunde und reflektiert bestehende Herausforderungen im Forschungsfeld des Studienabbruchs und Studienerfolgs. Beiträge des Symposiums Studienerfolg und Studienabbruch internationaler MINT-Studierender in Deutschland: Längsschnittliche Zusammenhänge zwischen Erfolgserwartungen, Wertüberzeugungen und Studienabbruchintentionen auf inter- und intraindividueller Ebene aus intersektionaler Perspektive Theoretischer Hintergrund An deutschen Hochschulen sind internationale Studierende mit einem Anteil von 12 % eine bedeutende, jedoch wenig beforschte Gruppe (DAAD & DZHW, 2023). Fast 53 % von ihnen studieren in MINT-Fächern und könnten somit dazu beitragen, den bestehenden Fachkräftemangel zu reduzieren (Hoffmeyer-Zlotnik & Grote, 2019). Jedoch brechen besonders viele internationale Bachelorstudierende (41 % versus 28 % der deutschen Studierenden) ihr Studium ab (Heublein et al., 2022). Ein Studienabbruch verursacht nicht nur persönliche, sondern auch gesellschaftliche und ökonomische Kosten. Um passgenaue Interventionen zu implementieren, ist es notwendig, die Bedingungen des Studienerfolgs und die Herausforderungen zu identifizieren, die zum Studienabbruch internationaler MINT-Studierender führen. Die (situative) Erwartungs-Wert-Theorie (EVT; Eccles et al., 1983; bzw. SEVT; Eccles & Wigfield, 2020) erklärt Studienerfolg und Persistenz durch motivationale Merkmale, wie studienbezogene Erwartungen und Wertüberzeugungen. Eine vorhergehende querschnittliche Analyse (Preuß et al., 2023) zeigte Zusammenhänge zwischen den Erwartungs- und Wertüberzeugungen internationaler (MINT-)Studierender zu Beginn ihres Studiums in Deutschland, ihren Sprachkompetenzen sowie ihrer Zugehörigkeit zu (multiplen) demographischen Gruppen, die im Sinne der Intersektionalität (Cole, 2009; Crenshaw, 2017) potentiell Benachteiligungen im MINT-Studium bedingen könnten. Bezüglich des dynamischen Zusammenwirkens der verschiedenen EVT-Komponenten mit Kriterien des Studienerfolgs legten bisherige Befunde von Schnettler et al. (2023) zudem einen negativen Moderationseffekt der wahrgenommenen psychologischen Kosten auf den negativen Zusammenhang zwischen den Erfolgserwartungen und der Studienabbruchintention nahe. Fragestellung Vor diesem Hintergrund untersuchte die aktuelle Studie inter- und intraindividuelle Dynamiken zwischen Erwartungen, Wertüberzeugungen, Sprachkompetenzen und Studienabbruchintentionen internationaler MINT-Studierender mittels eines Random-Intercept Cross-Lagged Panel Models (RI-CLPM; Hamaker et al., 2015; Mulder & Hamaker, 2021). Zudem wurden interindividuelle Unterschiede aufgrund von Geschlecht, elterlichem akademischen Hintergrund und Herkunftsregion sowie deren Interaktion berücksichtigt, um mögliche Benachteiligungen spezifischer Studierendengruppe aus intersektionaler Perspektive zu betrachten. Weiterhin wurde durch eine Moderationsanalyse auf within-Ebene geprüft, ob intraindividuelle Zusammenhänge zwischen akademischer Selbstwirksamkeit und Studienabbruchsintentionen durch Veränderungen wahrgenommener psychologischer Kosten moderiert werden. Methode Genutzt wurden die Daten der ersten fünf Messzeitpunkte der Panelstudie „International Student Survey“ (Falk et al., 2021) von N = 840 internationalen MINT-Studierenden im Bachelorstudium. Effekte von Alter und vorhergehenden Aufenthalten in Deutschland wurden kontrolliert. Die akademische Selbstwirksamkeitserwartung (Erwartungskomponente) wurde mit einer adaptierten Version der Kurzskala zur Erfassung allgemeiner Selbstwirksamkeitserwartungen (ASKU, Beierlein et al., 2013) erhoben. Die Operationalisierung der studienbezogenen Wertüberzeugungen erfolgte mit sechs Items der Kurzskala von Gaspard et al. (2015) mit je zwei Items zu achievement value, utility value und costs. Intrinsic value wurde durch zwei Items der Facette „Zufriedenheit mit den Studieninhalten“ der Studienzufriedenheitsskala (Westermann et al., 1996, in Anlehnung an Heise & Thies, 2015) erfasst. Die Studienabbruchintention wurde mit einem Item „Ich denke ernsthaft darüber nach, mein aktuelles Studium ganz aufzugeben.“ aus dem NEPS (2018) operationalisiert. Zur Erfassung des kulturellen Hintergrundes wurden die Herkunftsländer der Studierenden zu Ländergruppen (DAAD & DZHW, 2020) zusammengefasst. Die Kategorie „mit akademischem Hintergrund“ wurde vergeben, wenn mindestens ein Elternteil einen Hochschulabschluss aufwies. Ergebnisse und ihre Bedeutung Die bisherigen Befunde bestätigen die erwarteten interindividuellen Zusammenhänge zwischen studienbezogenen Erwartungen und Wertüberzeugungen und Studienabbruchintentionen der internationalen Bachelorstudierenden und legen eine Benachteiligung von internationalen MINT-Studentinnen sowie von Studierenden verschiedener Herkunftsregionen hinsichtlich der motivationalen Studienerfolgsbedingungen nahe. Demgegenüber gab es kaum Anhaltspunkte für wechselseitige (moderierte) Beziehungen zwischen Veränderungen in motivationalen Merkmalen und Studienabbruchintentionen auf intraindividueller Ebene im Zeitverlauf. Die Ergebnisse werden hinsichtlich theoretischer Implikationen und Schlussfolgerungen für die Gestaltung von Interventionsmaßnahmen, die die Verringerung von Studienabbruchsintentionen bewirken sollen, diskutiert. Mit Motivation und guter Zeitplanung erfolgreich studieren – Unterstützung durch ein digitales Präventionsprogramm Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Eine mangelnde Studienmotivation und Schwierigkeiten in der Handlungsregulation wie der Zeitplanung können zu ungünstigem Studierverhalten wie Prokrastination (Kegel et al., 2021; van Eerde, 2015) sowie beeinträchtigter Leistung und eingeschränktem Wohlbefinden von Studierenden (Liborius et al., 2019; Schneider & Preckel, 2017) führen. Besonders deutlich wird der Unterstützungsbedarf für den Umgang mit diesen multiplen selbstregulatorischen Herausforderungen im Studium bei MINT-Studierenden, die hohe Studienabbruchquoten aufweisen, die mit Motivations- und Leistungsproblemen einhergehen (Heublein et al., 2020). Bislang liegen jedoch überwiegend Präventionsmaßnahmen vor, die isoliert einzelne Aspekte wie Studienmotivation (Rosenzweig et al., 2022), Motivationsregulation (Eckerlein, 2020) oder Zeitplanung (Häfner et al., 2015) adressieren. Diese Schlüsselkompetenzen in ein Programm zu integrieren, erscheint zielführend, um Studierende ganzheitlich für den Umgang mit mehreren und gleichzeitig auftretenden Herausforderungen im Studium zu stärken. Im Forschungsprojekt wurde ein Präventionsprogramm entwickelt, das neun wöchentliche Kapitel à 30 Minuten umfasst und digital über Lernplattformen der beteiligten Universitäten angeboten wird. Es beinhaltet Inputvideos, Reflexionsaufgaben und Anwendungsmöglichkeiten zum Einüben von Strategien zur Förderung der Motivation, Motivationsregulation und Zeitplanung. Dazu zählen fähigkeitsbezogene Selbstinstruktionen, Zeitpläne sowie der Umgang mit negativen Emotionen im Studium. Ziel des Beitrags ist das Präventionsprogramm anhand von proximalen und distalen Variablen mittels eines Warte-Kontrollgruppen-Designs zu evaluieren. Wir erwarten günstige Veränderungen primär in der Studienmotivation (Erwartung, positive Wertkomponenten, motivationale Kosten) sowie dem Einsatz von Motivationsregulations-, Emotionsregulations- und Zeitplanungsstrategien als proximale Variablen. Zudem wird geprüft, inwiefern sich günstige Veränderungen in Prokrastination und Studienerfolg (Studienzufriedenheit, Studienabbruchintention, Studienleistung) als distale Variablen ergeben. Methode Studierende im zweiten Semester verschiedener MINT-Studiengänge an vier deutschen Universitäten nahmen im Sommersemester 2023 am Präventionsprogramm teil, das als freiwilliges Angebot in zentrale Lehrveranstaltungen eingebettet war. Weitere MINT-Studierende anderer Universitäten bildeten die Warte-Kontrollgruppe. Zur Untersuchung kurzfristiger Effekte des Präventionsprogramms diente eine Prä-Post-Befragung. Ein Follow-Up zu Beginn des Wintersemesters 2023/2024 ermöglicht die Untersuchung langfristiger Effekte. Einschlusskriterien für die Analysen waren die Teilnahme an Prä- und Post-Befragung sowie mindestens fünf vollständig bearbeitete Kapitel des Präventionsprogramms. Damit ergeben sich für die Präventionsprogrammgruppe N = 57 Studierende (47 % weiblich) und für die Warte-Kontrollgruppe N = 202 Studierende (30 % weiblich). Die Auswertungen erfolgten mittels ANOVAs mit Messwiederholung. Ergebnisse und ihre Bedeutung Es zeigten sich günstige Effekte unseres Präventionsprogramms gegenüber der Warte-Kontrollgruppe in folgenden proximalen Variablen (Interaktion Zeit X Treatment): Erwartung (F(1, 257) = 8.409, p = .004; partielles η2 = .032), Anstrengungskosten (F(1, 257) = 6.715, p = .010; partielles η2 = .025), Akzeptanz von Emotionen (F(1, 257) = 4.688, p = .032; partielles η2 = .018), Emotionsregulation (F(1, 257) = 6.166, p = .014; partielles η2 = .023), Anwendungshäufigkeit fähigkeitsbezogener Selbstinstruktionen (F(1, 257) = 14.614, p < .001; partielles η2 = .054) und wahrgenommene Zeitkontrolle (F(1, 257) = 6.480, p = .011; partielles η2 = .025). Die Verringerung von Anstrengungskosten ist besonders interessant, da frühere Kosteninterventionen keine Effekte für Kosten zeigten (z.B. Perez et al., 2019). Für die distalen Variablen zeigten sich günstige Effekte für Prokrastination (F(1, 257) = 6.601, p = .011; partielles η2 = .025) und Zufriedenheit mit den Studienbedingungen (F(1, 257) = 4.246, p = .040; partielles η2 = .016). Möglicherweise entfalten sich weitere günstige Effekte in den distalen Variablen erst langfristig. Die Ergebnisse werden daher bis zur Tagung im März um Ergebnisse des Follow-Ups ergänzt. Unser integriertes Präventionsprogramm zeigt, dass die ganzheitliche Förderung von Motivation, Motivationsregulation und Handlungsregulation positive Effekte für proximale und distale Zielvariablen eines erfolgreichen Studiums vereinen kann. Die digitale Umsetzung ermöglicht einen einfachen Transfer in andere Lehrveranstaltungen sowie ein zeit- und ortsflexibles Bearbeiten der Kapitel. Üblicherweise profitieren von solchen Trainingsangeboten v.a. leistungsschwächere Studierende (z.B. Rosenzweig et al., 2019). Weitere Analysen sind geplant, um zu überprüfen, ob sich ähnliche Effekte auch für das vorliegende Präventionsprogramm zeigen. Studienabbrüche früh und präzise vorhersagen - und dann? Studienabbrüche sind mit erheblichen Kosten für Studierende, Hochschulen und die Gesellschaft verbunden. Ein Studienabbruch kann als Fehlinvestition sowie als Scheitern interpretiert werden (Larsen et al. 2013). Daher entwickeln Hochschulen verstärkt Maßnahmen, um Studienabbrüche zu verhindern oder zu beschleunigen. Dabei ist bekannt, dass das erste Studienjahr einen besonderen Einfluss auf den akademischen Werdegang (Brahm et al. 2016) hat und stärker mit dem Studienerfolg korreliert als folgende Studienjahre (Stinebrickner und Stinebrickner 2014, 2008; Arcidiacono et al. 2016). Die Abbruchneigung von Studierenden sollte also früh erkannt werden, um Unterstützung anbieten zu können (Arulampalam et al. 2005; Heublein et al. 2017). Allerdings zeigen Interventionen allerdings häufig nur geringe Effekte (Oreopoulos et al. 2022) und effektive Interventionen wie Mentoring-Programme sind oft teuer (Sneyers and De Witte 2018). Zudem müssen sowohl der besondere Kontext des deutschen Hochschulsystems (Himmler et al. 2019; Brade et al. 2022) als auch die Heterogenität der Studierenden für den Zuschnitt der Maßnahmen berücksichtigt werden (McBroom et al. 2020; Behr et al. 2021). Die direkte Ansprache abbruchgefährdeter Studierender durch die Hochschulen ist in Deutschland selten, auch weil an Hochschulen in Deutschland kein konsequentes Monitoring eingesetzt wird. Damit verzichten Hochschulen auf Steuerungspotential. Die Studie schließt an Berens et al (2019) an, nutzt die Studierendendaten einer mittelgroßen Universität in NRW und fragt a. ob frühe Prognosen bereits in den ersten Monaten des Studiums auch ohne Leistungsdaten des ersten Semesters möglich sind, b. ob Studienabbrecher eine heterogene Gruppe sind und wie Cluster gebildet werden können, c. wie (abbruchgefährdete) Studierende adressiert werden können und ob Interventionen heterogene Effekte aufweisen. Drohende Studienabbrüche lassen sich mit Methoden des maschinellen Lernens auf der Basis von Verwaltungsdaten nach §3HStatG früh im Studium vorhersagen. Da Leistungsdaten aus dem ersten Semester jedoch erst im zweiten Semester vorliegen, können darauf aufbauende Interventionen erst gegen Mitte des zweiten Semesters beginnen. Um früher zu prognostizieren, werden Daten von Klausuranmeldungen genutzt. Es zeigt sich, dass sowohl die Accuracy als auch die Precision der Prognose mit Klausurergebnissen nahezu die Prognosegüte mit Informationen aus Klausuranmeldungen erreicht. Weiterhin können Studierende oder abbruchgefährdete Studierende basierend auf den Verwaltungsdaten geclustert werden. Dazu wird eine Kombination aus zwei Unsupervised-Learning Algorithmen verwendet (UMAP und HDBSCAN). Das Verfahren findet drei Cluster von Studierenden, nämlich Studierende - ohne Studienabschlussintention (Scheinstudierende), - mit Passungsproblemen und - mit fachlichen Problemen. Schließlich werden in verschiedenen RCTs die Wirkungen von Interventionen auf Cluster von Studierenden getestet. Dabei werden zunächst nur Informationen über die akademischen Leistungen per E-Mail an die abbruchgefährdeten Studierenden geschickt. Während sich über alle abbruchgefährdeten Studierenden und die Gruppe der inaktiven Studierenden kein signifikanter Effekt zeigt, brechen aktive Studierende der Ingenieurwissenschaften aus der Interventionsgruppe ein Jahr nach der Intervention ihr Studium eher ab, während aktive MINT-Studierende eine geringere Abbruchneigung haben. Eine weitere Intervention als RCT macht Studierende auf ein Self-Assessment MOVEO von ORCA.NRW zur Studienmotivation aufmerksam. In einem ersten Schritt wurden Studierende von Lehrenden angeschrieben und motiviert teilzunehmen (keine Bezahlung). Im Folgesemester wurden die Studierenden aus Erstsemesterveranstaltungen von den Lehrenden angeschrieben und es wurde eine Entschädigung von 5€ gezahlt. Schließlich wurde das Thema Studienmotivation durch das Projektteam in den Vorlesungen gepitched und in einer Lotterie konnten 20€ gewonnen werden. Die Take-up-Rate ist am höchsten, wenn der Nutzen der Intervention in der Vorlesung erläutert wurde. Aber auch in den anderen Experimenten zeigt sich, dass insbesondere jüngere Studierende der Versuchsgruppe von dem Self-Assessment profitieren, seltener ihr Studium abbrechen und mehr CP erreichen. Es zeigt sich jedoch kein Effekt auf Noten. Hochschulen liegen also hinreichende Informationen für ein automatisiertes Monitoring vor. Bereits im ersten Semester können abbruchgefährdete Studierende identifiziert werden. Die Heterogenität der Studierendenschaft kann durch automatisierte Clusterverfahren abgebildet werden, um basierend darauf zielgenaue Maßnahmen zur Unterstützung von Studierenden zu entwickeln. Schadet der Abbruch eines Bachelorstudiums jungen Menschen bei der Suche nach einer Ausbildungsstelle? Ein Feldexperiment. Fragestellung und theoretischer Hintergrund Das Gros der Studienabbruchforschung konzentriert sich auf die Beschreibung seiner Ursachen sowie Maßnahmen zu seiner Reduktion (Neugebauer et al. 2019). Im Vergleich dazu ist unser Wissen zu den Abbruchfolgen sehr begrenzt. Die bisherige Forschung zu den Arbeitsmarktfolgen eines Studienabbruchs stützt sich überwiegend auf Befragungsdaten ehemaliger Studierender mit begrenzten Möglichkeiten zur Berücksichtigung nicht beobachteter Heterogenität (z.B. Heublein et al., 2017). Erst in jüngster Zeit wurden experimentelle Vignettenstudien vorgestellt, die messen, unter welchen Umständen Arbeitgeber:innen bereit sind, Studienabbrecher:innen einzustellen (Daniel et al., 2019; Neugebauer & Daniel, 2022). Allerdings messen diese Studien lediglich Einstellungsabsichten von Arbeitgeber:innen und nicht deren tatsächliches Verhalten. Darüber hinaus konzentrieren sie sich auf eine begrenzte Anzahl von Berufen im IT- und im kaufmännischen Bereich sowie auf männliche Bewerber ohne Migrationshintergrund, wodurch die Vielfalt realer Bewerberfelder nicht angemessen abbildet wird. Wir erweitern den Forschungsstand in zweifacher Hinsicht: Erstens stellen wir ein Feldexperiment vor, das es uns erlaubt, den kausalen Effekt des Studienabbruchs zu schätzen, indem wir die Einstellungsentscheidungen realer Ausbildungsbetriebe direkt beobachten. Zweitens untersuchen wir, ob die Folgen eines Abbruchs bei verschiedenen soziodemografischen Gruppen und in verschiedenen Berufsfeldern unterschiedlich sind. In Deutschland versuchen die meisten Studienabbrecher:innen, über die Aufnahme einer Berufsausbildung auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen (Heublein et al., 2019). Beliebt sind dabei vor allem anspruchsvolle Ausbildungsberufe, auf die sich typischerweise Abiturient:innen bewerben. Im vorliegenden Beitrag fragen wir daher, ob Studienabbrecher:innen bei der Bewerbung um Ausbildungsstellen Nachteile gegenüber Abiturient:innen haben, weil ihnen ein Makel des Scheiterns anhaftet, oder ob sie aufgrund ihrer zusätzlichen Studienerfahrung sogar einen Wettbewerbsvorteil genießen. Humankapitaltheoretisch (Becker, 1964) sollte die an einer Hochschule verbrachte Zeit mit einer Akkumulation von Fähigkeiten verbunden sein. Studienabbrecher:innen hätten demnach Vorteile bei Bewerbungen, insbesondere dann, wenn im Falle eines fachverwandten Studiums berufsrelevante Fähigkeiten erworben wurden. Signaltheoretisch (Spence, 1973) könnte man hingegen annehmen, dass Arbeitgeber:innen einen Abbruch als Versagen und damit als Signal für geringe Fähigkeiten oder mangelndes Durchhaltevermögen interpretieren, was die Einstellungschancen von Studienabbrecher:innen gegenüber Abiturient:innen reduzieren sollte. Hinsichtlich verschiedener soziodemographischer Gruppen lässt sich unter Rückgriff auf die Theorie der statistischen Diskriminierung (Arrow, 1973) vermuten, dass der Nichtabschluss eines Hochschulstudiums bestehende Stereotype über ethnische Minderheiten (z.B. geringe Fähigkeiten) und über Frauen (z.B. mangelnde Flexibilität am Arbeitsplatz) verstärkt und als Auswahlkriterium für Arbeitgeber dient, um Bewerber:innnen mit diesen Merkmalen zu benachteiligen. Mit Blick auf verschiedene Berufe vermuten wir, dass Bewerbungen auf Berufe mit ausgeprägtem Fachkräftemangel die Chancen von Studienabbrecher:innen erhöhen sollten. Daten und Methoden In einem landesweiten Feldexperiment haben wir im Jahr 2022 N = 3.002 Bewerbungen auf real ausgeschriebene Ausbildungsstellen in vier Berufsfeldern (Elektronik, Labor, Verwaltung und Medien) verschickt. Experimentell variiert wurden dabei in einem 3 x 2 x 2 Design die Bildungsbiographie (Abitur, Abitur + Studienabbruch in Germanistik, Abitur + Studienabbruch Mathematik), das Geschlecht und der ethnische Hintergrund (deutsch, türkisch). Wir schätzen lineare Wahrscheinlichkeitsmodelle mit dem Antwortverhalten der Arbeitgeber:innen als abhängige Variable (Einladung zum Vorstellungsgespräch oder Absage). Erste Ergebnisse Unsere vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass der Abbruch eines Bachelorstudiums Bewerbenden nicht schadet. Im Durchschnitt haben sie eine etwa 2 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden als Bewerbende ohne Studienepisode. Eine differenziertere Analyse legt nahe, dass dieser kleine Vorteil bei deutschen Frauen am größten ist (etwa 7 Prozentpunkte), bei deutschen Männern kleiner ist (2 Prozentpunkte) und bei Bewerber:innen mit türkischen Namen nicht existiert. Im Vergleich zu Bewerber:innen mit deutschen Namen werden sie seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, wenn sie einen Abbruch erlebt haben. Es zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Berufen. Wir diskutieren die Bedeutung dieser Befunde vor dem Hintergrund hoher Studienabbruchquoten und ungleicher Lebenschancen. |
13:10 - 14:50 | 5-14: Berufliches Wohlbefinden (angehender) Lehrkräfte Ort: H07 |
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Paper Session
Partizipation, Motivation und emotionale Befindlichkeit im Verlauf des Referendariats: Ergebnisse einer 18-monatigen Längsschnittstudie Universität Hohenheim, Deutschland Angesichts des herausragenden Stellenwerts der selbstbestimmten Teilhabe sowohl für das Individuum als auch in der gesellschaftlichen Praxis, insbesondere in der Bildung zur Förderung autonomer Urteilsfähigkeit und Handlungskompetenz, ist es relevant, dass bereits angehende Lehrpersonen im Referendariat Möglichkeiten erhalten, an den für sie relevanten ausbildungsbezogenen Entscheidungen zu partizipieren. Um von Partizipation sprechen zu können, müssen Referendar:innen folgenreichen Einfluss auf die externalen Bedingungen ihres Lernens und Arbeitens ausüben können. Der Grad des Einflusses von angehenden Lehrkräften bewegt sich hierbei zwischen wahrgenommener Fremdbestimmung (ausbildungsrelevante Entscheidungen werden aus Sicht der Referendar:innen von anderen Personen getroffen) und Autonomie (ausbildungsrelevante Entscheidungen werden aus Sicht der Referendar:innen eigenständig getroffen) (Heid et al., 2023). Die Differenzierung zwischen den Kategorien „Autonomie“ und „Heteronomie“ spiegelt sich in der internen Perspektive des Lernens und Arbeitens in verschiedenen Motivationsarten bzw. -qualitäten wider. Mögliche Beweggründe der Initiierung, Ausführung und Aufrechterhaltung intentionalen Verhaltens lassen sich demnach auf einem Kontinuum zwischen intrinsischer und verschiedener Formen extrinsischer Regulation lokalisieren (Ryan & Deci, 2020). Neben der Motivation ist die emotionale Befindlichkeit sowohl interne Bedingung als auch Ergebnis von Lehr-Lern-Prozessen. Die Kontroll-Wert-Theorie postuliert, dass das Auftreten von Lern- und Leistungsemotionen davon abhängt, ob eine Person das Empfinden hat, die Kontrolle über Aktivitäten und Ergebnisse (bspw. durch Partizipation) zu haben (oder nicht), insbesondere wenn diese einen zugeschriebenen Wert (extrinsischer und/oder intrinsischer Herkunft) besitzen, d.h. von persönlicher Bedeutung sind (Pekrun et al., 2011; Warwas & Helm, 2017). Emotionale Zustände integrieren affektive, motivationale und kognitive Aspekte und werden als wesentlich für die Regulation von Handlungen angesehen (Sembill, 2010). Pekrun (2021) weist darauf hin, dass sich bisherige Forschung zum prozessualen Zusammenspiel von emotionaler Befindlichkeit und Motivation bei Lehrkräften zu häufig auf interindividuelle Unterschiede im Erleben und Verhalten fokussiert habe und fordert für den Erhalt aussagekräftigere Forschungsergebnisse, die Perspektive um die Untersuchung intraindividueller Prozesse zu erweitern. Vor diesem Hintergrund verfolgen wir mit unserer empirischen Studie das Ziel, den Zusammenhang wahrgenommener Einflussmöglichkeiten auf ausbildungsrelevante Aspekte mit Veränderungen der emotionalen Befindlichkeit von Referendar:innen zu untersuchen. Zudem stellt sich dabei die Frage, ob interne Regulationsbedingungen, wie die Art der Motivation und insbesondere die subjektiven Anreize zur Initiierung und Aufrechterhaltung von Handlungen, einen Einfluss auf die Beziehung zwischen wahrgenommenem Partizipationserleben und den daraus resultieren emotionalen Zuständen haben. Auf Basis eines Längsschnittdesigns wurden wöchentlich zu insgesamt 58 Erhebungszeitpunkten Kurzfragebögen über den 18-monatigen Gesamtzeitraum des Referendariats erfasst. In Summe gingen 1870 Einzelmessungen von 75 Referendar:innen eines Ausbildungsstandortes in Baden-Württemberg in die Analysen ein. Zur Messung der wahrgenommenen Partizipationsmöglichkeiten wurden vier Items herangezogen, welche zu einem Faktor zusammengefasst wurden. Die internale sowie externale Regulation und die Variablen der emotionalen Befindlichkeit (Freude, Hoffnung, Angst, Ärger etc.) wurden anhand von Einzelitems erhoben. Zur Auswertung der Daten wurden lineare Mehrebenenmodelle herangezogen, welche es ermöglichen, Unterschiede in den abhängigen Variablen über die Zeit nicht nur auf Basis interindividueller Unterschiede zu erklären, sondern auch auf intraindividueller Ebene. Die Ergebnisse unserer Mehrebenenmodelle weisen u.a. auf statistisch signifikante within-person Effekte der wahrgenommenen Partizipationsmöglichkeiten auf Freude, Hoffnung, Stolz sowie Ärger, Angst, Scham und Hoffnungslosigkeit hin. Referendar:innen berichten bspw. mehr Freude bzw. weniger Angst in den Wochen, in denen sie mehr Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungen, welche ihre Ausbildung betreffen, wahrnehmen. Des Weiteren zeigen sich signifikante Interaktionseffekte der erfassten Regulationsarten: In Wochen, in welchen Referendar:innen bspw. wenig Partizipationsmöglichkeiten wahrnehmen, kompensiert eine überdurchschnittliche intrinsische Motivation die Wahrnehmung von Angst und Hoffnungslosigkeit bzw. verstärkt das Erleben von Freude und Hoffnung. Die Befunde legen nahe, dass sowohl die wahrgenommenen externalen Möglichkeiten der Einflussnahme auf ausbildungsrelevante Entscheidungen als auch die internalen Regulationsbedingungen eine wichtige Rolle hinsichtlich der emotionalen Befindlichkeit spielen. Insofern kann ein partizipationsfreundliches bzw. autonomieförderndes Umfeld bereits während der Lehrer:innenausbildung zu einem positiven Emotionserleben bei Referendar:innen beitragen (vgl. hierzu auch Weiß et al., 2023). Paper Session
Zur Bedeutung affektiv-motivationaler Kompetenzen beginnender Lehrkräfte für Unterrichtsqualität und berufliches Beanspruchungserleben 1Institut für Pädagogisch-Psychologische Lehr- und Lernforschung (IPL), Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; 2Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) Kiel Theoretischer Hintergrund Kompetente Lehrkräfte sind essentiell für guten Unterricht (Hattie, 2009). Professionelle Kompetenz von Lehrkräften umfasst neben Professionswissen affektiv-motivationale Kompetenzen wie Überzeugungen, motivationale Orientierungen sowie Selbstregulationsfähigkeiten (Baumert & Kunter, 2006; Blömeke et al., 2015) und stellt einen Prädiktor für qualitativ hochwertiges Unterrichten dar (Fauth, et al., 2019; Kunter et al., 2013). Daneben ist einerseits für Lehrkräfte selbst sowie andererseits zur längerfristigen Aufrechterhaltung guten Unterrichts ein ausgewogenes Beanspruchungserleben relevant (Klusmann et al., 2022). Wenige Studien untersuchten die Bedeutung kognitiver und affektiv-motivationaler Kompetenzfacetten für die Unterrichtsqualität (Kunter et al., 2013). Erste Studien deuten z.B. auf Enthusiasmus als motivationalen Prädiktor von Klassenführung und konstruktiver Unterstützung hin (Baier et al., 2019), wohingegen bezüglich des Beanspruchungserlebens die berufliche Selbstwirksamkeit Burnout negativ vorherzusagen scheint (Lauermann & König, 2016). Daran anknüpfend untersucht die vorliegende Studie die Bedeutung umfassender affektiv-motivationaler Kompetenzfacetten von Lehrkräften am Ausbildungsende für deren Unterrichtsqualität und Beanspruchungserleben am Berufseinstieg. Fragestellung Welche Effekte zeigen die affektiv-motivationalen Kompetenzfacetten von Lehrkräften am Ausbildungsende (Ende Vorbereitungsdienst) auf a) die Unterrichtsqualität? b) das Beanspruchungserleben? Methode Datengrundlage sind Erhebungen des Panels zum Lehramtsstudium (PaLea). Die bundesweite Stichprobe umfasst N = 58 Lehrkräfte (47 weiblich) und ihre N = 2589 Schüler:innen (56% weiblich; Klassenstufe: M = 8.57; SD = 1.98; Range = 5-12). Die längsschnittliche Panel-Befragung der (angehenden) Lehrkräfte von Studienbeginn bis zur Berufstätigkeit wurde auf Personen mit erfolgter Teilnahme an der angeschlossenen Schülerbefragung (mit ihren Klassen) in ihrer Berufstätigkeit begrenzt. Pro Lehrkraft waren dies durchschnittlich 43 Schüler:innen, verteilt auf ein bis drei Klassen der Klassenstufen 5-12; insgesamt 158 Klassen aus 58 weiterführenden Schulen; davon 62% Gymnasien. Variablen der Überzeugungen (z.B. die transmissive lehr- und lerntheoretische Überzeugung), motivationalen Orientierungen (z.B. Fach- und Unterrichtsenthusiasmus) und Selbstregulation (z.B. Unterrichtsreflexion) schätzten die Lehrkräfte zum Ausbildungsende ein (Baumert et al.,1997; Kunter et al., 2008; Kunter et al., 2009; Retelsdorf et al., 2014; Schwarzer & Jerusalem, 1999). Basisdimensionen der Unterrichtsqualität (kognitive Aktivierung, Klassenführung, konstruktive Unterstützung) bewerteten die Schüler:innen (Roloff et al., 2016). Für berufliches Beanspruchungserleben der tätigen Lehrkräfte wurden Burnout und Work-Engagement im ersten Berufsjahr erfasst (Maslach & Jackson, 1996; Schaufeli & Bakker, 2003). Ergebnisse Mehrebenenmodelle kontrolliert für Kovariaten zeigten wesentlich, dass das erzieherische Selbstkonzept als motivationale Kompetenzfacette kognitive Aktivierung, konstruktive Unterstützung und Work-Engagement und Burnout prädizierte; die transmissive lehr- und lerntheoretische Überzeugung sagte Klassenführung, konstruktive Unterstützung und Work-Engagement negativ vorher, wohingegen die konstruktivistische lehr- und lerntheoretische Überzeugung Klassenführung positiv vorhersagte. Aber auch Unterrichtsenthusiasmus prädizierte positiv auf Klassenführung und konstruktive Unterstützung; βs = |.07 bis .69|, p ≤ .01. Kompetenzfacetten am Ende des Vorbereitungsdienstes sagen Dimensionen von Unterrichtsqualität und Beanspruchungserleben vorher. Bedeutsame Prädiktoren sind dabei beispielsweise Fach- und Unterrichtsenthusiasmus, erzieherisches und fachliches Selbstkonzept sowie die transmissiven und konstruktivistischen lehr- und lerntheoretischen Überzeugungen, was im Einklang mit früheren Studienergebnissen steht. Diese Arbeit leistet einen Beitrag zur Forschungsfrage, welche professionellen Kompetenzen frisch ausgebildeter Lehrkräfte für deren Unterrichtsqualität und Beanspruchungserleben am Berufseinstieg eine Rolle spielen. Die Ergebnisse unterstreichen die herausragende Rolle des Selbstkonzeptes und der Facetten der lehr- und lerntheoretischen Überzeugungen. Die Bedeutung von affektiv-motivationalen Kompetenzfacetten sollte einen Anstoß geben, diese in Lehrveranstaltungen und im Vorbereitungsdienst der Lehrkräftebildung neben dem Professionswissen zu berücksichtigen. Paper Session
Täglicher positiver und negativer Affekt in Zusammenhang mit habituellen Emotionsregulationsstrategien und täglichem Arbeitsengegament bei Lehrpersonen im Teamteaching-Unterricht – Ergebnisse einer Tagebuchstudie 1Paris Lodron Universität Salzburg, Österreich; 2Universität Bern, Schweiz; 3IPN - Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Deutschland Der Teamteaching-Unterricht, bei dem zwei Fachlehrpersonen für die Planung, Durchführung und Evaluation des Unterrichts in einer Klasse verantwortlich sind (Krammer et al., 2017), kann neben Vorteilen auch Herausforderungen für Lehrpersonen, besonders in sozial-emotionalen Bereichen, mit sich bringen (Do & Hascher, 2023). Lehrpersonen erleben im Teamteaching-Unterricht eine Vielzahl an Emotionen, die auch reguliert werden (müssen) (Muehlbacher et al., 2022). Obwohl die Relevanz von Lehrer*innenemotionen und deren Regulation für deren Unterrichtshandeln und Wohlbefinden bereits vielfach betont wurde (Frenzel, 2014), ist über das affektive Erleben von Lehrpersonen im herausfordernden Teamteaching-Setting, insbesondere auf situativer (= state) Ebene, wenig bekannt. Erkenntnisse in diesem Feld sind jedoch bedeutsam, da angenommen werden kann, dass das affektive Erleben von Lehrpersonen im Teamteaching-Setting ähnlich wie im Einzelunterricht mit relevanten Zielmerkmalen in Verbindung steht. Zudem wird davon ausgegangen, dass die Fähigkeit der Lehrpersonen zur adaptiven Emotionsregulation dieses Erleben mitbestimmt (Gross, 2015). Dieses Forschungsdesidarat aufgreifend untersucht die vorliegende Studie (1) inwieweit tägliches affektives Erleben (charakterisiert über positiven und negativen Affekt) und tägliches Wohlbefinden (charakterisiert über Arbeitsengagement, bestehend aus den Facetten Vitalität, Hingabe und Absorption, Schaufeli & Bakker, 2004) innerhalb und zwischen Teamteaching-Lehrpersonen variiert; (2) inwieweit das tägliche affektive Erleben von Teamteaching-Lehrpersonen durch die habituellen, reaktionsfokussierten Emotionsregulationsstrategien der Emotionsunterdrückung und des authentischen Emotionsausdrucks erklärt werden kann und (3) inwiefern tägliches affektives Erleben das tägliche berufliche Wohlbefinden erklären kann. Basierend auf der bisherigen Forschungslage wird angenommen, dass sowohl das affektive Erleben als auch das Arbeitsengagement substantiell zwischen Situationen und zwischen Lehrpersonen variieren (Simbula, 2010; Stark et al., 2023), dass adaptive Formen der Emotionsregulation mit höherem positiven Affekt und niedrigerem negativen Affekt in Verbindung stehen (Chang & Taxer, 2021) und dass täglicher positiver und negativer Affekt eng mit täglichem Arbeitsengagement korreliert (Burić & Macuka, 2018) – auch unter Kontrolle der habituellen Emotionsregulationsstrategien. Um diese Hypothesen zu prüfen, wurde eine quantitative längsschnittliche Tagebuchstudie mit 47 österreichischen Teamteaching-Lehrpersonen (MAlter = 40.45; 34 weiblich) durchgeführt. Vorerst beantworteten die Teilnehmenden in einem Präfragebogen Items zu ihren habituellen Emotionsregulationsstrategien der Emotionsunterdrückung (6 Items, ERQ nach Gross & John, 2003 bzw. nach Abler & Kessler, 2009) und dem authentischen Emotionsausdruck (6 Items, Yang et al., 2019) im Teamunterricht. Danach beantworteten die Lehrpersonen 15 Tagebucheinträge jeweils am Tag einer Teamteaching-Einheit hinsichtlich einer zuvor festgelegten Partnerlehrperson in einer ausgewählten Klasse. Die Tagebucheinträge bestanden aus Einzelitems zum täglichen positiven und negativen affektiven Erleben (22 Items, PANAS nach Breyer & Bluemke, 2016) und Arbeitsengagement (jeweils ein Item zu Vitalität, Hingabe und Absorption, UWES-9 Skala nach Schaufeli & Bakker, 2004). Aufgrund der genesteten Datenstruktur kamen in R (R Core Team, 2023) mehrebenenanalytische Regressionsmodelle zur Anwendung (N = 47 Lehrpersonen mit N = 652 Tagebucheinträgen). Die Ergebnisse belegen, dass Teamteaching-Lehrpersonen ein hohes Ausmaß an täglichem positivem Affekt und ein geringes Ausmaß an negativem Affekt (M = 3.55pos / 1.10neg; SD = 0.88pos / 0.23neg; Skala 1–5) berichteten. Sowohl positiver und negativer Affekt als auch Vitalität, Hingabe und Absorption variierten substanziell innerhalb und zwischen den Personen (ICCs = .71 / .45 / .56 / .49 / .52). Zudem zeigte sich, dass lediglich der authentische Emotionsausdruck positiver Emotionen signifikant mit dem Erleben positiven Affekts in der Teamteachingsituation assoziiert war. Weiters stand täglicher positiver Affekt mit allen Facetten des täglichen Arbeitsengagements sowohl auf der within- als auch between-Ebene signifikant in Zusammenhang, während negativer Affekt auf der within-Ebene negativ mit Hingabe und Absorption und auf der between-Ebene negativ mit Absorption in Verbindung stand. Unter Hinzunahme der Emotionsregulationsstrategien blieben diese Zusammenhänge konstant. Die Ergebnisse deuten auf die bedeutsame Rolle des täglichen positiven und negativen Affekts im Hinblick auf das tägliche Arbeitsengagement von Lehrpersonen im herausfordernden Unterrichtssetting des Teamteachings hin und werden im Hinblick auf die Förderung sozio-emotionaler Kompetenzen von Lehrpersonen diskutiert. Paper Session
Das Potenzial transformationaler Führung und beruflicher Selbstregulation für das berufliche Wohlbefinden von Lehrkräften TU Braunschweig, Deutschland Lehrkräfte müssen in ihrem Berufsalltag zahlreiche Herausforderungen bewältigen. Gelingt ihnen dies nicht, sind belastungsbedingte Erkrankungen, Berufsausstiege und Frühpensionierungen (Skaalvik & Skaalvik 2011; Richter et al. 2013) sowie sinkende Unterrichtsqualität und schlechtere Schüler*innenleistungen (Arens & Morin 2016; Klusmann et al. 2016) mögliche Folgen. In diesem Zusammenhang untersucht der vorliegende Beitrag Faktoren, die das berufliche Wohlbefinden beeinflussen. Dabei werden sowohl die schulischen Kontextbedingungen als auch die individuellen Fähigkeiten der Lehrkräfte berücksichtigt. Im Fokus steht die Berufseingangsphase, die für eine besonders hohe Belastung bekannt ist (Richter et al. 2013; Dicke et al. 2016). Die Untersuchung fußt auf Hobfolls (1988) Theorie der Ressourcenerhaltung zur Vorhersage menschlichen Verhaltens angesichts stressreicher Herausforderungen. Ein transformationaler Führungsstil, der auf Empowerment sowie geteilte Verantwortung setzt (Huber 2005), wird dabei als Bedingungsressource zur Bewältigung beruflicher Herausforderungen betrachtet. Die Fähigkeit zur beruflichen Selbstregulation bzw. des effektiven Haushaltens mit den eigenen Ressourcen im Zusammenspiel von beruflichem Engagement und Widerstandsfähigkeit gegenüber beruflichen Belastungen (Kunter et al. 2011) stellt eine personale Ressource dar. Sie umfasst zugleich wichtige Strategien der Ressourceninvestition (Arbeitsengagement) sowie der Ressourcenerhaltung (Widerstandsfähigkeit) (Hobfoll et al. 1997; Westman et al. 2005). Die Forschungsfragen des Beitrags lauten: Welchen Einfluss haben 1) die transformationale Führung der Schulleitung und 2) die berufliche Selbstregulationsfähigkeit auf das Wohlbefinden und die Gesundheit von Lehrkräften am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn? Zeigen sich 3) unterschiedliche Effekte der Schulleitung in Abhängigkeit von den selbstregulativen Fähigkeiten der Lehrkräfte? Bisherige Befunde zum Schulleitungshandeln verweisen auf positive Assoziationen mit verschiedenen Aspekten des beruflichen Wohlbefindens und der Gesundheit (Pietsch et al. 2016, Cansoy 2019; Luo et al. 2022). Unklar ist jedoch, inwieweit sich diese Befunde auf Lehrkräfte in Deutschland am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn übertragen lassen. Auch für den Zusammenhang zwischen beruflicher Selbstregulation und dem Wohlbefinden von (Mathematik)Lehrkräften findet sich empirische Evidenz (Klusmann et al. 2008). Eine Verzahnung dieser personalen und Bedingungsressourcen, die in Form von „Ressourcenkaravanen“ zu einem verstärkten Schutz vor berufliche Belastung beitragen (Buchwald und Hobfoll 2013), ist bisher nicht bekannt. Der vorliegende Beitrag zielt darauf ab, verlässliche empirische Ergebnisse zum Wohlbefinden von Lehrkräften aller Bundesländer und Unterrichtsfächer in den ersten Berufsjahren zu generieren und Ansatzpunkte für eine frühzeitige Prävention gesundheitlicher Risiken zu identifizieren. Die Analysen basieren auf Daten der Startkohorte 5 des Nationalen Bildungspanels, die seit dem Wintersemester 2010/2011 eine bundesweite Zufallsstichprobe von Studienanfängerinnen und ‑anfängern an deutschen Hochschulen vom Studium bis in das Berufsleben begleitet (NEPS-Netzwerk 2022) und seit 2014 zusätzliche lehrkraftbezogene Befragungsinhalte des Lehramtsstudierendenpanels erhebt (Schaeper et al. 2023). Die Analysestichprobe von N=993 Lehrkräften enthält n=320 Befragte, die 2018 zu den Prädiktoren und 2019 zu den Outcomes befragt wurden sowie n=673 Befragte mit Angaben aus den Jahren 2020 (Prädiktoren) und 2021 (Outcomes). Als Prädiktoren wurden 9 Items der transformationalen Führung (Ewen 2012; drei Subdimensionen: α=,85 bis α=,88) sowie 13 Items der beruflichen Selbstregulation (aus dem AVEM-Inventar von Schaarschmidt und Fischer, 2001; vier Subdimensionen: α=,85 bis α=,88) berücksichtigt. Für das Wohlbefinden wurde jeweils vier Items zur emotionalen Erschöpfung (Maslach et al. 1986; α =,80) und zur Berufszufriedenheit eingesetzt (Kunter et al. 2011; α =,84). Das dritte Outcome ist ein Einzelitem zum selbsteingeschätzten Gesundheitszustand. Mittels latenter Profilanalyse wurden vier aus früherer Forschung bekannte Typen beruflicher Selbstregulation unterschieden (z. B. Klusmann et al. 2008; Menge und Schaeper 2019). Ein Strukturgleichungsmodell (Modellfit: RMSEA=,046; CFI=,968; TLI=,961; SRMR=,029) zeigte signifikante Effekte der transformationalen Führung und Selbstregulationstypen auf die Berufszufriedenheit und emotionale Erschöpfung. Die Selbstregulationsfähigkeit der Lehrkräfte hatte zudem einen signifikanten Einfluss auf ihren Gesundheitszustand. In nachfolgenden Analysen zeigte sich keine signifikante Interaktion zwischen den Prädiktoren. Dies bekräftigt die besondere Bedeutung der Schulleitung für das Wohlergehen ihrer Lehrkräfte unabhängig von deren individuellen Voraussetzungen. Im Beitrag werden die Ergebnisse dargestellt und Implikationen für Forschung und Praxis diskutiert. |
13:10 - 14:50 | 5-15: Potenziale von Clearinghouse-Plattformen für den Wissenschaftstransfer in die Bildungspraxis Ort: S14 |
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Symposium
Potenziale von Clearinghouse-Plattformen für den Wissenschaftstransfer in die Bildungspraxis Gute Bildung braucht gut (aus-)gebildete Lehrkräfte. Neben der Ausbildung von Lehrkräften haben daher auch in der Lehrkräftebildung sowohl formelle als auch informelle Fortbildungsangebote eine besondere Bedeutung, um Lehrkräfte im Berufsleben fortwährend zu befähigen, Unterricht zu realisieren, der auf aktuellen Erkenntnissen der Bildungsforschung beruht und diesen kritisch zu reflektieren (Richter et al., 2011). In den letzten Jahren wurden daher national als auch international sogenannte Clearinghouses aufgebaut. Clearinghouses sind webbasierte Angebote der Wissenskommunikation und bieten durch verschiedene Transferformate informelle Lernsettings und Austauschmöglichkeiten zwischen Wissenschaft und Praxis. Auf den Clearinghouse-Plattformen werden empirische Forschungserkenntnisse gebündelt und adressatengerecht für die Praxis aufbereitet (Edovald & Nevill, 2021; Seidel et al., 2017). Damit soll es Personen aus der Praxis erleichtert werden, sich stetig hinsichtlich aktueller Forschungsevidenz fortzubilden und diese in Ihren Unterricht zu integrieren (Seidel et al., 2017). Bisher gibt es nur wenig empirische Forschung dazu, wie (angehende) Lehrkräfte und Lehrkräftebildende solche Clearinghouses wahrnehmen, wie die Plattformen genutzt werden und welche Gestaltungswünsche sie für die Transferformate und die Aufbereitung von Forschungserkenntnissen haben (z. B. Diery et al., 2020; Kerwer et al., 2021). Ziel dieses Symposiums ist es, die Begleitforschung zu drei verschiedenen Clearinghouses zusammenzubringen und so umfassende Einblicke zu erhalten, welche Transferformate zur Vermittlung empirischer Evidenz für den Unterricht sich unterschiedliche Akteursgruppen (Lehrkräfte, Lehramtsstudierende, Lehrkräftebildende) wünschen, welche Bedarfe sie an Clearinghouses sehen, wie sie solche Plattformen wahrnehmen und wie sie deren Inhalte verarbeiten. Im ersten Beitrag wird die Perspektive von Grundschullehrkräften bzgl. dem Transfer- und Partizipationsangebot der Wissenschaft sowie deren Transfer- und Gestaltungswünsche bzgl. der Bereitstellung von Forschungserkenntnissen auf Clearinghouse-Plattformen vorgestellt. Auch im zweiten Beitrag werden Perspektiven aus der Praxis aufgegriffen, indem mithilfe eines Design-Based Research Ansatzes ein konkretes Format (Rapid Reviews) für effektiven Wissenstransfer mit Lehrkräften und Lehrkräftebildenden erforscht wird. Wie Nutzungs- und Verarbeitungsprozesse von Lehramtsstudierenden und Lehrkräftebildenden in einer bereits entwickelten Clearinghouse-Plattform ablaufen, wird im dritten Beitrag anhand eines Mixed-Methods-Designs in den Blick genommen. Das Symposium ermöglicht durch die drei Beiträge Perspektiven von unterschiedlichen Zielgruppen entlang der Lehrkräftebildungskette auf Clearinghouses. Die Befunde erlauben es, Handlungsempfehlungen für die zukünftige Entwicklung von Clearinghouses und die Gestaltung von Transferformaten zu geben, um (angehende) Lehrkräfte und Lehrkräftebildende bestmöglich bei der forschungsbasierten Unterrichtsgestaltung zu unterstützen. Beiträge des Symposiums Was können wir aus der Grundschullehrkraft-Perspektive auf Transferaktivitäten lernen? Die Vorstellung eines kokonstruktiven Clearinghouse-Ansatzes Theoretischer Hintergrund In der Diskussion darum, wie es besser gelingen kann, Lehrkräfte beim Evidenzorientierten Denken und Handeln (EDHL, Bauer & Kollar, 2023) zu unterstützen, liefern Clearinghouses Ansätze dafür, Forschung praxisorientierter bereitzustellen. Aktuelle Modelle des Wissenschaft-Praxis-Transfers bieten Anhaltspunkte, dass eine bidirektionale Betrachtung von Transferaktivitäten hilfreich ist, um die Nutzung von Evidenz bei Lehrkräften zu verstehen und zu fördern (Brühwiler & Leutwyler, 2020; Farley-Ripple et al., 2018). Das dimensionale Research-Practice Framework von Farley-Ripple et al. (2018) legt dabei einen Schwerpunkt auf kokonstruktive Ansätze, in denen Forschende gemeinsam mit Lehrkräften arbeiten, um die vielfach beklagten Research-Practice-Gaps zu reduzieren. Der potenzielle Mehrwert solcher Ansätze lässt sich theoretisch-konzeptionell begründen: Studien weisen darauf hin, dass Forschungsbefunde noch selten für spezifische Zielgruppen (z.B. schulformspezifisch) aufbereitet sind, und dass sie die Praxiserfahrungen, die Lehrkräfte täglich machen, selten mitberücksichtigen (Cain, 2015; Shavelson, 2020). Kokonstruktive Ansätze können dabei unterstützen, praxisrelevante Informationen schon bei der Auswahl und Aufbereitung von Evidenz miteinzubeziehen und bei Erfahrungen und Bedarfen der Zielgruppen anzusetzen. In Deutschland liegen bisher nur vereinzelte Arbeiten zu kokonstruktiven Ansätzen vor (z. B. Fischer-Schöneborn & Ehmke, 2023), die zudem nicht speziell auf die Aufbereitung von Forschungswissen in Form von Forschungssynthesen abzielen. Ziele Wir stellen im Beitrag ein sich im Aufbau befindende Clearinghouse-Portal vor, das thematisch Grundschulkinder im unteren Leistungsbereich fokussiert. Zunächst wird anhand von Befragungsergebnissen aufgezeigt, wie Grundschullehrkräfte dem Transfer- und Partizipationsangebot der Wissenschaft gegenüberstehen und welche Wünsche sie an ein Clearinghouse-Portal haben. Auf Basis dieser Daten sowie des konzeptionellen Rahmens aus dem Modell von Farley-Ripple et al. (2018) entwickelten wir einen kokonstruktiven Ansatz, der Lehrer*innen als Partner*innen, und damit gezielt deren Transfer- und Gestaltungswünsche, in den Erstellungsprozess von Clearinghouse-Beiträgen einbindet. Methode Es wurde eine Online-Befragung von 146 Grundschullehrkräften (101 weiblich, Alter M = 33.52, SD = 8.74) durchgeführt, die zum einen Wünsche an digitale Informationsportale in einem offenen Antwortformat erfasste. Zum anderen beurteilten die Lehrkräfte Aktivitäten des wissenschaftlichen Partizipations- und Transferangebots auf einer Skala von Lysenko et al. (2014). Sie bewerteten etwa, wie sinnvoll sie Diskussionen mit Wissenschaftler*innen, explizite Handlungsanweisungen aus der Wissenschaft oder Forschungsprojekt-Beteiligungen fänden (α = .83, 8 Items, 6-stufige Likert-Skala). Ergebnisse Die Ergebnisse zeigen eine hohe wahrgenommene Sinnhaftigkeit von ‚klaren Handlungsanweisungen‘ aus der Wissenschaft. Beispielsweise sind das Fortbildungen dazu, wie Forschungsergebnisse umgesetzt werden können (M = 4.53; SD = 1.16). Zudem finden Lehrkräfte die ‚Präsentation von Forschungserkenntnissen, die auf die Interessen und Bedürfnissen der Lehrkräfte abgestimmt sind‘, sinnvoll (M = 4.33; SD = 1.07). Die Daten zeigen zudem eine Aufgeschlossenheit der Grundschullehrkräfte zu Diskussionen mit Gruppen aus Wissenschaft und Schulpraxis (M = 4.05; SD = 1.22). Geäußerte Wünsche an ein Webportal, das Forschungsergebnisse aufbereitet, zielten vermehrt auf konkrete Umsetzungsbeispiele. Sie offenbarten zudem Haltungen gegenüber Gestaltungselementen wie etwa (zu) vielen Bildern. Diskussion Die deskriptiven Einblicke aus der Pilotstudie bilden den Ausgangspunkt für die Gestaltung des kokonstruktiven Arbeitsprozesses für unser Clearinghouse-Portal. Sie weisen deutlich in die Richtung, dass Lehrkräfte sich sowohl bedarfsorientierte Forschungsergebnisse als auch konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für wissenschaftliche Erkenntnisse wünschen. Anwendungsbezogene (Handlungs)fragen und Bedarfe von Lehrkräften bereits im Aufbereitungsprozess für ein Clearinghouse-Angebot einzubeziehen, ist der Ansatz des in diesem Beitrag vorgestellten Arbeitsprozesses. Ausgehend von einem bidirektionalen Transferverständnis, das die ‚Lücken‘ zwischen Wissenschaft und Praxis als Ursache für ein Auseinanderklaffen in Nutzung und Produktion von Evidenz sieht, könnte eine solche Zusammenarbeit sowohl zu passgenauen Produkten als auch zu einer höheren Bereitschaft zur Nutzung von Forschungssynthesen als Transferprodukt führen. Im Vortrag stellen wir unser auf Partizipation ausgerichtetes Vorgehen vor, in dem zum Konferenzzeitpunkt bereits erste Einblicke aus der Durchführung reflektiert und eingeordnet werden. Rapid Reviews: Ein zukunftsfähiges Format für den effektiven Wissenstransfer? Theoretischer Hintergrund Evidenzbasierte Praxis erfordert die Analyse und Aggregation von Forschungsbefunden, um gute Praxis zu identifizieren (Bromme et al., 2014). Doch der Weg von der Forschung in die Praxis ist kein Selbstläufer. Wie kann der Transfer gelingen? Wie sollte Forschung aufbereitet werden, damit sie als verständlich und nützlich für die Praxis wahrgenommen wird (Stichwort: Wissenschaftskommunikation)? Ein zentrales Ziel von Wissenschaftskommunikation ist es, den Wissenstransfer zu fördern. Dies ist insbesondere im Bereich der Lehrkräftebildung von großer Bedeutung, da (angehende) Lehrkräfte und Lehrkräftebildende befähigt und unterstützt werden sollten, wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Praxis zu integrieren. Die vorliegende Arbeit beleuchtet die Rolle von „Rapid Review“ als neuartiges Format in der Wissenschaftskommunikation. Rapid Reviews stellen ein strukturiertes und effizientes Verfahren zur systematischen Zusammenfassung von Forschungsbefunden zu einem bestimmten Thema dar (Cirkony et al., 2022; Khangura et al., 2012). Dabei wird von Expert:innen die relevante Forschungsliteratur zu einer aktuellen Fragestellung systematisch gesichtet und zusammengefasst. So ermöglicht es diese Art von Forschungssynthese wissenschaftliche Erkenntnisse in einer verständlichen und ansprechenden Weise zu vermitteln. Mit Blick auf die Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung in Richtung Evidenzbasierung, können Rapid Reviews viele Vorteile bieten: Sie sind eine zeit- und ressourceneffiziente Methode, um aktuelle Forschungserkenntnisse verständlich und ansprechend für Zielgruppen wie Lehrkräfte und Lehrkräftebildende zugänglich zu machen. Gerade im Bereich der digitalen Bildung, ein sich rasch entwickelndes Feld mit stetig neuen Erkenntnissen, stellen Rapid Reviews ein geeignetes Format dar. Sie können bspw. Lehrkräfte und Lehrkräftebildende dabei unterstützen, sich über die neuesten Entwicklungen rund um digitale Bildung zu informieren und diese in ihren Unterricht zu integrieren. Zugleich wirft die Eilbedürftigkeit von Rapid Reviews Fragen zur Qualitätssicherung und zur umfassenden Beurteilung von Studien auf. Fragestellung In diesem Beitrag soll untersucht werden, ob Rapid Reviews ein verständliches und ansprechendes Format für den effektiven Wissenstransfer im Bereich der digitalisierungsbezogenen Lehrkräftefortbildung sind. Konkret soll ein Rapid Review Format für den Themenkomplex digitale Transformation von Schule und Lehrkräftebildung werden. Darüber hinaus soll die Frage beantwortet werden, ob Rapid Reviews von Lehrkräften und Lehrkräftebildenden als hilfreich und relevant empfunden werden. Vorgehen Im empirischen Teil der Arbeit wird im Sinne eines Design-Based Research (DBR) Ansatzes ein Prototyp zum Format Rapid Reviews entwickelt zur Themenstellung: Wirksamer Einsatz von KI im Unterricht. In 3-5 begleitenden Fokusgruppen-Interviews mit jeweils 6-10 Lehrkräften beziehungsweise Lehrkräftebildenden, die im Winter 2023 akquiriert werden, sollen mithilfe von Leitfadeninterviews die Bedarfe, Relevanz und Verständlichkeit zum Format Rapid Reviews und auch Evidenz im Allgemeinen erhoben werden. Im iterativen Prozess des DBR werden die Ergebnisse der Fokusgruppen genutzt, um den Prototyp weiterzuentwickeln. Ergebnisse, Diskussion und Ausblick Rapid Reviews sind ein vielversprechendes Format für die Wissenschaftskommunikation im Bereich der Lehrkräftebildung, insbesondere für den Themenkomplex der digitalen Transformation in Schule und Bildung. Die Ergebnisse der Studie können dazu beitragen, die Wirksamkeit von Rapid Reviews für den Wissenstransfer im Bereich der digitalisierungsbezogenen Lehrkräftefortbildung zu evaluieren. Die Ergebnisse können auch dazu beitragen, Rapid Reviews als Format für die Wissensvermittlung in der Lehrkräftebildung zu etablieren. Kommt es auf die Expertise an? Unterschiede zwischen Lehrkräftebildenden und Lehramtsstudierenden in der Verarbeitung und Akzeptanz von online für die Bildungspraxis aufbereiteten Forschungsergebnissen Theoretischer Hintergrund Von Lehramtsstudierenden und Lehrkräftebildenden wird erwartet, Befunde der Bildungsforschung zu kennen, kritisch zu reflektieren und in der Praxis zu berücksichtigen (KMK, 2019). Um Personen aus der Bildungspraxis bei dieser herausfordernden und zeitaufwändigen Aufgabe zu unterstützen, haben sich in den letzten Jahren verschiedene Clearinghouse-Plattformen etabliert, deren Ziel es ist, die Fülle an Forschungserkenntnissen zu bündeln und adressatengerecht aufzubereiten. Trotz dieser Transferaktivitäten und ersten empirischen Studien zu Clearinghouses (z. B. Diery et al., 2020, Kerwer et al., 2021) gibt es bisher noch wenig empirische Forschung, in der die Akzeptanz von Clearinghouses und das potenzielle Nutzungsverhalten von unterschiedlichen Zielgruppen aus der Lehrkräftebildung systematisch untersucht wurde. Fragestellung In der vorliegenden Studie wurde 1) in den Blick genommen, wie ein spezifisches Angebot auf einer Clearinghouse-Plattform von verschiedenen Zielgruppen (Lehramtsstudierende versus Lehrkräftebildende) wahrgenommen und akzeptiert wurde. Ein besonderer Fokus lag 2) auf dem tatsächlichen Nutzungsverhalten und den zugrundeliegenden Prozessen während der Nutzung dieser Webseite. Aktuell findet die Auswertung der qualitativen und quantitativen Daten statt. Methode Zur Beantwortung der Fragestellungen wurde zum einen eine Laut-Denken-Studie durchgeführt. Dabei wurden 38 Studienteilnehmende (25 Lehramtsstudierende, 13 Lehrkräftebildende) gebeten, eine für die Bildungspraxis aufbereitete Metaanalyse zum Thema Gamification auf der Clearinghouse-Webseite aufmerksam zu lesen und dabei ihre Denkprozesse zu verbalisieren (Lautes Denken). Zum anderen beantworteten die Studienteilnehmenden einen Online-Fragebogen (alle Likert-Skalen mit α ≥ 0.73) vor der Betrachtung der Webseite zum soziodemographischen und beruflichen Hintergrund sowie zu Selbsteinschätzungen und danach zur mentalen Anstrengung, zur subjektiven Schwierigkeit während der Textverarbeitung (DeLeeuw & Mayer, 2008; Paas, 1992) sowie zur wahrgenommenen Nützlichkeit und Glaubwürdigkeit des Angebots (Hendriks et al., 2015; van Braak et al., 2004). Die Lernleistungen wurden mittels einer offenen Recall-Frage und drei Transfervignetten erfasst, welche aktuell ausgewertet werden. Um die Verarbeitungsprozesse nachzuzeichnen (Fragestellung 1), werden aktuell die Äußerungen mithilfe einer thematischen Analyse (Braun & Clarke, 2006) anhand eines Kodierschemas ausgewertet, welches sowohl Prozesse zum Textverstehen (Paraphrasieren, Überbrückungsinferenzen, Metakognition, Elaboration, Monitoring) als auch zur Interaktion mit der Webseite (Orientierung und Navigation, Überfliegen und Überspringen, Rückmeldungen zur Usability) beinhaltet (Kategorien u. a. aus Beach et al., 2020; Li et al., 2022). Auf Basis dessen ist vorgesehen, eine epistemische Netzwerkanalyse (ENA; Shaffer et al., 2016) durchzuführen, um die geäußerten Denkprozesse in Form von Sequenzanalysen auszuwerten. Vorläufige Ergebnisse Lehrkräftebildende schätzten ihr Vorwissen zu Gamification signifikant höher ein als Lehramtsstudierende (g = 0.72, p = .042); hinsichtlich der Selbsteinschätzungen der Reflexionskompetenzen, der technisch-pädagogischen Kompetenzeinschätzung und den zugrundeliegenden epistemologischen Überzeugungen waren die Gruppen jedoch vergleichbar. Analysen zur Akzeptanz (Fragestellung 1) zeigen, dass die teilnehmenden Lehramtsstudierenden unkritischer mit den Inhalten umgingen: Sie schätzten die Integrität (g = 0.75, p = .038) und das Wohlwollen (g = 0.78, p = .031) der Webseitenerstellenden signifikant höher ein als Lehrkräftebildende. In Bezug auf die mentale Anstrengung, die subjektive Schwierigkeit, der Nützlichkeit sowie der wahrgenommenen Expertise der Webseitenerstellenden fanden sich keine signifikanten Unterschiede. Eine vorläufige ENA (Fragestellung 2) mit 21 % der Studienteilnehmenden deutet darauf hin, dass sich die beiden Zielgruppen bezüglich des Nutzungsverhaltens unterscheiden: In beiden Gruppen finden sich ausgeprägte Verbindungen zwischen Paraphrasieren und der Interaktion mit der Webseite. Auffällig bei Lehrkräftebildenden ist, dass sich auch häufiger Verbindungen zwischen Paraphrasieren und Elaboration bzw. Usability zeigen. Diskussion Die vorläufigen Ergebnisse lassen vermuten, dass Lehramtsstudierende und Lehrkräftebildende Inhalte auf Clearinghouse-Plattformen unterschiedlich verarbeiten und akzeptieren. Einen möglichen Erklärungsansatz hierfür stellt das vergleichsweise das geringere Vorwissen und das geringere Ausmaß an Praxiserfahrungen und Wissenschaftsbezug von Lehramtsstudierenden dar (Ericsson, 2012). Empirisch zu überprüfen ist, ob und auf welche Weise diesem Unterschied in der Nutzung von Clearinghouse-Plattformen durch Begleitmaßnahmen (z. B. Einbettung in Hochschulseminare) oder durch eine adaptive Webseitengestaltung begegnet werden kann. |
13:10 - 14:50 | 5-16: Bewertung von Schülerleistungen Ort: S15 |
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Paper Session
Anspruch und Wirklichkeit bei der Vergabe mündlicher Schulnoten: Befunde einer repräsentativen Befragung von Lehrpersonen Universität Tübingen, Deutschland Theoretischer Hintergrund. Bereits seit langer Zeit werden Schulnoten höchst kontrovers diskutiert (Beutel & Pant, 2020; Hübner et al., im Druck; Ingenkamp, 1971). Die Diskussionen resultieren insbesondere aus dem wahrgenommenen Widerspruch zwischen ihrer großen Relevanz für eine erfolgreiche Bewerbung um Ausbildungs- oder Studienplätze einerseits und ihrer sehr eingeschränkten Vergleichbarkeit und unklaren Bedeutung andererseits (Bohl, 2019; Hübner et al., 2020). Letzteres verdeutlicht sich an einer Reihe von Einzelbefunden: Lehrkräfte vergeben für eine identische Klassenarbeit unterschiedliche Noten, beziehen leistungsirrelevante Kriterien in ihre Beurteilung ein und kommen zu verschiedenen Zeitpunkten zu unterschiedlichen Urteilen über identische Leistungen von Schülerinnen und Schülern (vgl. Birkel, 2005; Bonefeld & Dickhäuser, 2018; Brügelmann, 2014; Hannover & Kessels, 2011). Zudem weisen Schülerinnen und Schüler mit identischen Schulnoten deutlich unterschiedliche Kompetenzen auf (Hübner et al., im Druck). Zusammenfassend erfüllen Noten diagnostische Gütekriterien daher nur in einem sehr überschaubaren Maße, sodass in Bezug auf ihre Vergleichbarkeit in der aktuellen Literatur auch von einer notwendigen, aber kontrafaktischen Annahme gesprochen wird (Klieme, 2022, S. 320). Einen „blinden Fleck“ in den immer wieder aufkeimenden Debatten zur Vergleichbarkeit von Noten bilden mündliche Schulnoten. Dies ist erstaunlich, weil mündlichen Noten auch rechtlich ein substanzieller Einfluss auf Zeugnisnoten eingeräumt wird. So ist bisher beispielsweise weitestgehend unklar, welche Informationen Lehrkräfte zur Bildung von mündlichen Noten heranziehen und wie diese gewichtet und verrechnet werden. Es fehlen folglich zentrale Wissensbausteine, um den Prozess der Bildung von Zeugnisnoten und die Bedeutung von mündlichen Noten insgesamt besser verstehen zu können. Fragestellung. Im Vortrag werden drei Fragestellungen beantwortet: Welche Kriterien verwenden Lehrkräfte bei der Bildung mündlicher Noten und wie werden diese gewichtet? Wie stark variieren die Kriterien zwischen Lehrkräften? Welche Lehrermerkmale erklären Variation in der Gewichtung unterschiedlicher Kriterien? Methode. Zur Untersuchung der Fragestellungen wurde zunächst eine Pilotierungsstudie mit 55 Lehrpersonen aus Baden-Württemberg durchgeführt. Im Rahmen der Pilotierung erfolgte eine Überprüfung der Verständlichkeit und psychometrischen Qualität der eingesetzten und zum Teil neu entwickelten Instrumente. Im Anschluss an die Pilotierungsstudie wurde im Herbst 2023 eine repräsentative Stichprobe von rund 1.100 Lehrpersonen in Deutschland zu ihrer Notenbildungspraxis befragt. Neben Fragen zur Demographie (Schulform, Alter, Geschlecht, etc.) wurden die Lehrkräfte auch gefragt, welche Bedeutung unterschiedliche Kriterien (z.B. die Qualität von Gruppenarbeiten und Antworten bei Abfragen oder die Selbständigkeit der Schülerinnen und Schüler) bei der Bildung mündlicher Noten auf einer Skala von 1 (sehr unwichtig) bis 6 (sehr wichtig) für sie haben und wie sie mündliche Noten bei der Bildung von Gesamtnoten gewichten. Zudem wurden Informationen zur Bezugsnormorientierung, zu wahrgenommenen Herausforderungen bei der Beurteilung mündlicher Leistungen und zur Persönlichkeit der Lehrpersonen erfasst. Zur Analyse der Daten wurden unterschiedliche bivariate und multiple Regressionsmodelle sowie Strukturgleichungsmodelle spezifiziert. Fehlende Werte wurden mit der Full Information Maximum Likelihood (FIML)-Methode behandelt. Zur Berücksichtigung der Nestung der Daten (Lehrer in Bundesländern) wurden clusterrobuste Standardfehler berechnet. Ergebnisse und ihre Bedeutung. Erste Ergebnisse legen substanzielle Unterschiede bei der Gewichtung der verschiedenen Beurteilungskriterien zwischen Lehrpersonen nahe. So zeigte sich beispielweise, dass die Häufigkeit der SchülerInnenbeteiligung an Unterrichtsgesprächen von 25% der Lehrpersonen als eher nicht wichtig, von 42% als eher wichtig und von 33% als sehr wichtig eingeschätzt wurde. Darüber hinaus ergaben sich statistisch bedeutsame Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen von Lehrkräften und der Gewichtung der verschiedenen Beurteilungskriterien (z.B. r = -.33 (p < .05) zwischen dem Kriterium „Regelmäßige Erledigung von Hausaufgaben“ und der Offenheit der Lehrpersonen). Zusammenfassend weisen diese ersten Befunde darauf hin, dass die für die Bildung von mündlichen Noten relevanten Kriterien bei Lehrpersonen substanziell variieren und im Zusammenhang mit Hintergrundmerkmalen von Lehrpersonen (z.B. der Persönlichkeit) zu stehen scheinen. Die Befunde werden im Vortrag differenziert dargestellt sowie hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern diskutiert. Paper Session
Leistungsbewertung im schulischen Kontext - Eine empirische Untersuchung des Zusammenhangs von Kompetenzen und Noten unter Berücksichtigung der Bezugsnormorientierung Universität Potsdam, Deutschland Die Bezugsnorm und die Bezugsnormorientierung, d.h. die Neigung von Lehrkräften in der Leistungsbewertung verschiedene Normen (sozial, individuell, kriterial) als Bezugsrahmen heranzuziehen (Rheinberg, 2006), sind schon lange Teil des Forschungsdiskurses der empirischen Bildungsforschung (Rheinberg et al., 1977; Holder und Kessels, 2018). So konnte bisher gezeigt werden, dass die Bezugsnormorientierung die Leistungsbereitungsbereitschaft in Testsituationen von Studierenden beeinflusst (Sülz, 2014). Zudem neigen Schüler:innen eher dazu bei der Leistungserbringung zu betrügen, wenn sie eine Leistungsbewertung durch die Lehrkraft antizipieren, die sich stärker an der sozialen Bezugsnorm orientiert (Marksteiner et al., 2021). Auf Basis dieser Forschung wurden bereits kultusministerielle Empfehlungen zur Verwendung von Bezugsnormen in der schulischen Leistungsbewertung abgeleitet (z. B. in Baden-Württemberg; Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, 2016). Nichtsdestotrotz fehlt es bisher an empirischen Untersuchungen dazu, wie groß der Einfluss der Bezugsnormorientierung auf die schulische Leistungsbewertung ist. Im vorliegenden Beitrag wird daher untersucht, ob und inwieweit sich die von den Lehrkräften präferierte Bezugsnorm bei der Leistungsbewertung auf die Vergleichbarkeit von Schulnoten über den Klassenkontext hinaus, und damit auch auf die Selektionsfunktion von Noten (Breidenstein, 2018), auswirkt. Unter der Maßgabe, dass über Bildungsstandards operationalisierte Kompetenzen und Schulnoten ähnliche Maße derselben akademischen Leistungen von Schüler:innen sind (Stanat et al. 2017), werden in diesem Beitrag die Zusammenhänge zwischen Noten und gemessenen Kompetenzen in Abhängigkeit von der präferierten Bezugsnorm der notengebenden Lehrkraft analysiert. Da die Bildungsstandards zu den kriterialen Standards gehören, die auf die kriteriale Bezugsnorm angewendet werden (Klieme et al. 2010), vermuten wir einen höheren Zusammenhang zwischen den Schulnoten und den Kompetenzen bei einer kriterialen Bezugsnorm der notengebenden Lehrkraft im Vergleich zu den anderen Bezugsnormen (Hypothese 1). Eine weitere Hypothese bezieht sich auf die soziale Bezugsnorm. Da bei Anwendung der sozialen Bezugsnorm die Leistungen der gesamten Klasse als Referenz für die Leistungsbeurteilung genutzt werden, nehmen wir an, dass der durchschnittliche Leistungsstand in der Klasse einen moderierenden Effekt auf den Zusammenhang zwischen Noten und gemessenen Kompetenzen hat (Hypothese 2). Zur Prüfung der Hypothesen nutzen wir den Datensatz des IQB-Bildungstrends 2016 (Stanat et al., 2019) mit einer Analysestichprobe von 14.240 Schüler:innen der 4. Klasse und 724 Lehrkräften. Es wurden nur Schüler:innen in die Analyse aufgenommen, zu denen es Angaben der Lehrkräfte zur präferierten Bezugsnormorientierung gab. Außerdem wurden die Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausgeschlossen, da die Möglichkeit besteht, dass diese Schüler:innen nach einem anderen Maßstab bewertet wurden. Zur Datenanalyse wurde R in der Version 4.2.3 (R Core Team, 2023) und das lme4 Package für Mehrebenen-Regressionsmodelle verwendet. Es wurden getrennte Modelle für die Fächer Mathematik und Deutsch gerechnet. Die schrittweise Analyse des Mehrebenenmodells zeigt im Nullmodell für Mathematik und Deutsch keine relevante Varianz auf der Ebene der Bezugsnormen der Lehrkraft (ICC <.00). Damit zeigen sich auch nur vernachlässigbare Unterschiede im Random-Intercept-Modell sowohl für Deutsch als auch für Mathematik. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass es keine signifikanten und relevanten Unterschiede zwischen Noten und gemessenen Kompetenzen in Abhängigkeit von der präferierten Bezugsnorm der notengebenden Lehrkraft gibt. Zur weiteren Absicherung der Ergebnisse wurde unter Kontrolle der kognitiven Fähigkeiten zusätzlich ein Mehrgruppen Bi-Faktormodell geschätzt, welches zu vergleichbaren Ergebnissen kommt. Keine der formulierten Hypothesen konnte bestätigt werden. Dies deutet darauf hin, dass es im Durchschnitt keine Unterschiede in der Benotung der Lehrkräfte in Abhängigkeit von der präferierten Bezugsnorm und dem Kompetenzniveau der Schüler:innen gibt. Wir konnten jedoch Unterschiede in der Varianz beobachten. In Anknüpfung an diese Befunde werden im Beitrag forschungspraktische und didaktische Implikationen für die Bezugsnormorientierung von Lehrkräften in der schulischen Leistungsbewertung diskutiert. Paper Session
Untersuchung der Beziehungen zwischen Urteilsakkuratheit, Unterrichtsqualität und Leistung: komplexer als gedacht? 1Pädagogische Hochschule St. Gallen, Schweiz; 2Universität Zürich, Schweiz Theoretischer Hintergrund Die Urteilsakkuratheit von Lehrkräften bezieht sich auf ihre Fähigkeit, Merkmale (z.B. Leistung) ihrer Schüler:innen akkurat einzuschätzen (Schrader & Praetorius, 2018). Da sich Lehrkräfte bei ihren täglichen Unterrichtsentscheidungen auf ihre Urteile der Leistung der Schüler:innen stützen, wird deren Akkuratheit als wichtig für einen qualitativ hochwertigen Unterricht und für die Leistungsentwicklung angesehen (Thiede et al., 2019). Obwohl diese Grundannahme die Forschung zur Urteilsakkuratheit motiviert hat, gibt es nur wenige empirische Belege dafür (Urhahne & Wijnia, 2021). Bei Betrachtung der wenigen Studien zu den Beziehungen zwischen Urteilsakkuratheit, Unterrichtsqualität und Leistung zeigt sich, dass 1) verschiedene (Sub-)Dimensionen der Unterrichtsqualität ausgewählt wurden, oft ohne Bezug auf Modelle der Unterrichtsqualität, 2) die Beziehungen zwischen den Variablen unterschiedlich modelliert wurden, oft ohne fundierte Argumentationen zum angenommenen Mechanismus. Untersucht werden entweder a) Interaktionseffekte zwischen Urteilsakkuratheit und Unterrichtsqualität auf die Leistung oder b) Mediationseffekte der Urteilsakkuratheit über die Unterrichtsqualität. Die erste Gruppe unterscheidet sich auch darin, welche Variable als Moderator betrachtet wird (d. h. Urteilungsakkuratheit oder Unterrichtsqualität als Moderator). Obwohl dieser Unterschied statistisch unter Verwendung von Interaktionstermen keine Rolle spielt, ist er bezüglich des angenommenen zugrunde liegenden Mechanismus nicht unbedeutsam. Schliesslich bleibt in manchen Studien unklar, ob der untersuchte Mechanismus aus inhaltlichen Gründen oder datengestützt gewählt wurde. Ziele und Fragestellungen Ziel unseres Beitrags war es daher, den Forschungsstand etwas systematischer zusammenzufassen, kritisch zu reflektieren und darauf aufbauend die Beziehungen zwischen Urteilsakkuratheit, Unterrichtsqualität und Leistung empirisch zu untersuchen. Dabei stützten wir uns auf das MAIN-Teach-Modell (Charalambous & Praetorius, 2020), um die verschiedenen untersuchten (Sub-)Dimensionen der Unterrichtsqualität zu strukturieren und über ihre Rolle bei der Modellierung der Beziehungen zu reflektieren. Zusammengefasst wurden Ergebnisse aus Studien zu Interaktionseffekten, Mediationseffekten und Zusammenhängen zwischen Urteilsakkuratheit und Unterrichtsqualität nach folgenden Aspekten: untersuchter Mechanismus, untersuchte (Sub-)Dimension der Unterrichtsqualität, Fach, Klasse, signifikante Ergebnisse. Für unsere empirische Studie haben wir auf der Grundlage der Ergebnisse der Literaturübersicht, theoretischer Überlegungen anhand von Angebots-Nutzungs-Modellen, in der Studie verfügbaren Skalen zur Unterrichtsqualität sowie statistischer Überlegungen für die Untersuchung von Mediationseffekte entschieden und folgende Fragestellung untersucht: Inwiefern werden die Effekte der Urteilsakkuratheit auf die Leistung im Fach Deutsch durch die Unterrichtsqualität mediiert? Methode Analysiert wurden Daten von 35 Deutschlehrkräfte und 646 Sekundarschüler:innen aus der deutschsprachigen Schweiz. Die Urteilsakkuaratheit wurde mit zwei Indikatoren auf Schüler:innen- und Klassenebene erfasst. Die abhängige Variable war die Deutschleistung der Schüler:innen am Ende der 9. Klasse unter Kontrolle der Leistung zu Beginn der 7. Klasse. Mehrere Aspekte von Unterrichtsqualitätsdimensionen, die nach dem MAIN-Teach-Modell in direktem Zusammenhang mit dem Lernen der Schüler:innen stehen (individuelle Unterstützung, Verständlichkeit und Klarheit, kognitive Aktivierung und Konsolidierung), wurden erfasst und auf ihre mediierende Rolle hin untersucht. Die Daten wurden im Längsschnitt mit Mehrebenen-Regressionsmodellen unter Verwendung von Korrekturmethoden für kleine Stichproben analysiert. Ergebnisse und Bedeutung Gemäß unserer Literaturübersicht zeigte sich die empirische Evidenz wenig schlüssig; statistisch signifikante Ergebnisse zeigten sich für Interaktions- als auch für Mediationseffekte, wobei die Urteilsakkuratheit mit denjenigen Dimensionen in Verbindung stand, die nach dem MAIN-Teach-Modell direkt auf die Unterstützung des Lernens der Schüler:innen ausgerichtet sind (z.B. Kognitive Aktivierung). In der empirischen Studie konnten wir keine Mediationseffekte finden. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass akkurat eingeschätzte Schüler:innen am Ende der 9. Klasse bessere Leistungen zeigten und den Unterricht positiver wahrnahmen als unterschätzte Schüler:innen, wenn es um Möglichkeiten und ausreichende Zeit zum Üben der angestrebten Kenntnisse/Fertigkeiten ging. Darüber hinaus weisen die Ergebnisse unserer Studie in Verbindung mit unserer Literaturübersicht auf den Bedarf an theoretischen Modellen hin, die sich mit den möglichen Wirkmechanismen zwischen den interessierenden Variablen befassen. Die Beziehungen zwischen Urteilsakkuratheit, Unterrichtsqualität und Leistung sind möglicherweise komplexer als bisher angenommen und lassen sich vielleicht besser durch Modelle erklären, die sowohl Mediation als auch Moderation auf der Grundlage fundierter Überlegungen kombinieren. Paper Session
Worauf achten Mathematiklehrkräfte bei der Diagnose von Schülerlösungen? Eine Analyse der Blickbewegungen Technische Universität München, Deutschland Theoretischer Hintergrund Das Diagnostizieren des Lernstandes von Schülerinnen und Schülern gehört zu den Kernfacetten professioneller Lehrkräftekompetenz (KMK, 2004). Dabei umfasst Diagnosekompetenz individuelle Dispositionen (z.B. Professionswissen), situationsspezifische Prozesse und Diagnoseakkuratheit (Blömeke et al., 2015). Während sich viele Studien auf Diagnoseakkuratheit fokussierten (Urhahne & Wijnia, 2021), ist auch ein tieferes Verständnis des Diagnoseprozesses notwendig (Heitzmann et al., 2019). Bisherige Studien untersuchten den Diagnoseprozess vorwiegend beim Beurteilen von Aufgabenschwierigkeiten (z.B. Rieu et al., 2022; Schreiter et al., 2022). Aus fachdidaktischer Perspektive ist neben der Diagnose von Aufgabenschwierigkeiten auch die Diagnose von Schülerlösungen interessant, da diese eine Grundlage für eine adaptive und individuelle Förderung bietet (Hardy et al., 2019). Diagnoseprozesse wurden bei Medizinern vielfach untersucht, insbesondere durch Analyse der Blickbewegungen (Al-Moteri et al., 2017). Es zeigten sich schon in der ersten Phase des Diagnoseprozesses Unterschiede in der Diagnosekompetenz: Während Experten diagnostische Items global betrachten, indem sie in der ersten Phase die relevanten Merkmale nur identifizieren (ohne sie intensiver zu verarbeiten), beginnen Novizen direkt nach Identifikation erster relevanter Merkmale mit deren intensiver Verarbeitung (Kundel et al., 2008). Bei Mathematiklehrkräften wurde der Diagnoseprozess bisher noch nicht aus dieser Perspektive erforscht und verstanden. Insbesondere ist unklar, ob Mathematiklehrkräfte 1) vor allem auf fehlerhafte Schülerlösungen fokussieren oder auch auf diagnostische Aufgaben in korrekten Schülerlösungen achten (die auch diagnoserelevant sind) und ob sie 2) während der Diagnose von Schülerlösungen zunächst global vorgehen oder schon in der ersten Phase mit der intensiveren Verarbeitung diagnostischer Aufgaben beginnen. Diese Studie untersucht daher die Frage, wie intensiv und wie lange angehende Mathematiklehrkräfte diagnostische und nicht diagnostische Aufgaben in korrekten und fehlerhaften Schülerlösungen während der ersten Phase des Diagnoseprozesses verarbeiten. Methode An der Studie nahmen 33 Lehramtsstudierende in Mathematik teil (Semesteranzahl M = 2.7, Alter M = 25.0, 42.4% weiblich). Die Teilnehmenden sollten systematische Fehler in zwölf Items mit Schülerlösungen zur Bruchrechnung diagnostizieren (6 korrekt, 6 fehlerhaft) an einem Eye Tracker (Tobii Pro Spectrum). In jedem Item waren die Schülerlösungen zu vier Bruchrechenaufgaben gleichen Typs dargestellt, von denen jeweils zwei Aufgaben diagnostisches Potential (Hammer et al., 2023) besaßen und damit relevant für die Diagnose waren (diagnostische Aufgaben), während zwei Aufgaben kein diagnostisches Potential besaßen. Zur Analyse der Blickbewegungen wurden Areas of Interests (AOIs) für die vier Aufgaben definiert. Untersucht wurde der Diagnoseprozess bis zum Zeitpunkt, an dem der Blick auf allen vier AOIs verweilte und sie wieder verließ. Als Blickbewegungsparameter wurden für jede AOI die mittlere Fixationsdauer und die Gesamtfixationsdauer als Indikatoren dafür verwendet, wie intensiv und wie lange die Schülerlösungen verarbeitet wurden. Ergebnisse Es wurden lineare Mischmodelle für die beiden Blickbewegungsparameter mit den Faktoren Fehler (ja/ nein) sowie diagnostische Aufgabe (ja/ nein) als feste Effekte sowie Teilnehmende und Item als Zufallseffekte berechnet. Für die mittlere Fixationsdauer zeigte sich ein Haupteffekt von diagnostische Aufgabe: In diagnostischen Aufgaben war die mittlere Fixationsdauer höher als in nicht diagnostischen Aufgaben (β = .23, p < .01). Es zeigte sich auch ein Interaktionseffekt (β = 0.37, p < .001): Bei diagnostischen Aufgaben in fehlerhaften Items war die mittlere Fixationsdauer höher als bei diagnostischen Aufgaben in korrekten Items. Für die Gesamtfixationsdauer zeigte sich ebenfalls ein Interaktionseffekt (β = 0.88, p < .001): In den fehlerhaften Items wurden diagnostische Aufgaben länger fixiert als in korrekten Items. Diskussion Die Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmenden diagnostische Aufgaben sowohl in korrekten Schülerlösungen als auch in fehlerhaften Schülerlösungen in der ersten Phase des Diagnoseprozesses intensiver verarbeiteten als nicht diagnostische Aufgaben und folglich identifizierten. Außerdem verarbeiteten sie fehlerhafte diagnostische Aufgaben länger und intensiver, was nicht auf ein globales Vorgehen hindeutet, wie man es von Experten kennt (Al-Moteri et al., 2017). Diese Studie zeigt das Potential von Blickbewegungen zur Erforschung des Diagnoseprozesses von Mathematiklehrkräften. |
13:10 - 14:50 | 5-17: Soziale Ungleichheiten in der beruflichen Bildung Ort: S16 |
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Paper Session
Regionalspezifische Digitalisierung oder Konkurrenz? Verdrängungsmechanismen geringqualifizierter Jugendlicher beim Übergang in die Berufsausbildung 1Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), Deutschland; 2Universität Siegen Theoretischer Hintergrund Die Bildungsexpansion hat zur relativen Abnahme von Schulabgänger:innen mit maximal Hauptschulabschluss geführt (Holtmann, Menze & Solga, 2017), während die Digitalisierung und neue Technologien die Automatisierung von Arbeitsprozessen vorangetrieben und die Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitskräften erhöht haben (Skill-Biased Technological Change, Acemoglu, 1998; Acemoglu & Autor, 2011). Zahlreiche Kohortenstudien haben gezeigt, dass geringqualifizierte Jugendliche in der heutigen Wissensgesellschaft zunehmend vom Ausbildungsmarkt verdrängt werden (Kleinert & Jacob, 2013), was negative Auswirkungen auf ihre Bildungs- und Erwerbskarrieren mit sich bringt (Solga, 2005). Nach der Job Competition Theorie (Thurow, 1979) bedeutet die steigende Konkurrenz durch Höherqualifizierte für Jugendliche mit keinen oder niedrigen Bildungsabschlüssen, dass sie in der Ausbildungswarteschlange weiter zurückfallen oder ganz von ihr ausgeschlossen werden (Solga & Kohlrausch, 2013). Neben einer top-down Verdrängung hat sich durch die Abwanderung der Leistungsträger unter den Geringqualifizierten auch die Außenwahrnehmung der Gruppe zu ihrem Nachteil verändert, obwohl sie besser ausgebildet sind als vergleichbare frühere Generationen (Solga, 2005). Offen ist jedoch bislang die Frage, welche Rolle regionale Gelegenheitsstrukturen (Hillmert, Hartung & Weßling, 2017) bei der Verdrängung geringqualifizierter Jugendlicher spielen und welche Mechanismen auf dem Ausbildungsstellenmarkt der Verdrängung zugrunde liegen. Ist es nur der Wettbewerb zwischen Schulabgängern auf dem Ausbildungsmarkt, eine sich verändernde Berufsstruktur aufgrund der Digitalisierung, oder beides? Vor dem Hintergrund kumulierter negativer Signalwirkungen (Thurow, 1977) stellt sich zudem die Frage, ob Jugendliche mit Migrationshintergrund (Diehl, Friedrich & Hall, 2009; Söhn, 2020) und solche, die bereits länger vergeblich eine Ausbildungsstelle suchen (Spence, 1974), in besonderem Maße von regional ungünstigen Gelegenheitsstrukturen betroffen sind? Fragestellung Wir untersuchen, ob (1) der regionale Wettbewerb durch höher qualifizierte Schulabgänger:innen in der Ausbildung und (2) verschiedene Dimensionen des sich regional heterogen vollziehenden technologischen Wandels (Automatisierung und gestiegene Nachfrage nach Höherqualifizierten) negative Auswirkungen auf die Übergangswahrscheinlichkeit Geringqualifizierter haben. Zudem betrachten wir, ob kumulierte Benachteiligungen geringqualifizierter Jugendlicher mit Migrationshintergrund oder längeren Suchdauern bestehen. Methode Wir verwenden Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS, Startkohorte 4) zum Übergang in die Berufsausbildung von Schulabgänger:innen mit maximal Hauptschulabschluss (Blossfeld & Roßbach, 2019), die wir mit Regionaldaten auf der Ebene von Kreisen und kreisfreien Städten (NUTS-3) verknüpfen. Darunter Regionaldaten zu neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen von Personen mit Hochschulzugangsberechtigung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB, 2023), einem selbst entwickelten Index zur Messung von Digitalisierung im Sinne der Nachfrage nach Höherqualifizierten, und das Automatisierungspotenzial (Dengler & Matthes, 2018). Wir verwenden Modelle der zeitdiskreten Mehrebenen-Ereignisdatenanalyse, um die Übergangswahrscheinlichkeit in eine Berufsausbildung vor dem Hintergrund regional heterogener Gelegenheitsstrukturen zu schätzen. Wir führen Subgruppenanalysen nach Suchdauer und Migrationshintergrund durch. Ergebnisse Unsere Ergebnisse zeigen, dass vor allem die regionale Konkurrenzsituation die Übergangswahrscheinlichkeit geringqualifizierter Jugendlichen in die Ausbildung beeinflusst, was auf eine Verdrängungsdynamik hindeutet. Digitalisierung und Automatisierung haben nur einen geringen, aber positiven Einfluss. Dies könnte durch die wachsende lokale Wirtschaft und eine insgesamt steigende Nachfrage nach Arbeitskräften erklärt werden, die teilweise auch geringqualifizierte Arbeitskräfte absorbiert. Darüber hinaus ist die Suchdauer von großer Bedeutung für den Übergang in die Berufsausbildung, da sich die Auswirkungen regionaler Gelegenheitsstrukturen nur für kürzere Suchdauern zeigen. Die Ergebnisse zu Gruppenunterschieden nach Migrationshintergrund zeigen, dass Migrant:innen generell geringere Chancen haben, in eine Ausbildung einzumünden und zwar unabhängig von regionalen Gelegenheitsstrukturen. Der negative Zusammenhang zwischen der regionalen Konkurrenzsituation und der Übergangswahrscheinlichkeit trifft lediglich auf Jugendliche ohne Migrationshintergrund zu, was impliziert, dass mit zunehmendem Wettbewerb der Vorteil von Jugendlichen ohne gegenüber solchen mit Migrationshintergrund hinsichtlich ihrer Chancen auf einen Ausbildungsplatz schwindet. Während sich keine Unterschiede nach Migrationshintergrund für den Zusammenhang von Digitalisierung als Maß für die Nachfrage nach Höherqualifizierten und der Übergangswahrscheinlichkeit zeigen, nehmen alleinig die Übergangschancen in die Berufsausbildung für Jugendliche ohne Migrationshintergrund mit zunehmendem Automatisierungspotenzial zu. Paper Session
Geringe Lesekompetenzen und der Übergang in die Erwerbstätigkeit. Ressourcen für einen berufsbildenden Sekundarschulabschluss und den Übergang in die qualifizierte Erwerbstätigkeit 1DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland; 2Universität Bern, Schweiz Der Übergang von der Schule in den Beruf stellt nicht nur eine zentrale Entwicklungsaufgabe in der Adoleszenz dar, die aktiv bewältigt werden muss (Neuenschwander et al., 2012), sondern hat auch langfristigen Einfluss auf die berufliche Erwerbsbiografie (Bertschy et al., 2009). Der etappenweise Übergang in die berufliche Ausbildung, der Ausbildungsabschluss, Entscheidungen für Anschlussoptionen und der Eintritt in die Erwerbstätigkeit erfordern zur Bewältigung personelle und soziale Ressourcen (Häfeli & Schellenberg, 2009; Neuenschwander et al., 2012; Vermeire et al., 2022). Dies gilt insbesondere für Schüler*innen, die durch personen- und/oder umweltbezogene Benachteiligungen erschwerte Bedingungen haben. Für sie kann der Übergang von der Schule in den Beruf eine besondere Herausforderung darstellen (im Überblick Häfeli & Schellenberg, 2009). Darunter zählen auch Schüler*innen mit geringen Lesekompetenzen, die erschwerte Voraussetzungen für gesellschaftliche und berufliche Teilhabe haben (Bertschy et al., 2009; Glauser, 2012; Holtsch & Lehmann, 2010). Schüler*innen mit geringen Lesekompetenzen befinden sich in einer (potenziellen) Risikolage hinsichtlich beruflicher (Aus-)Bildungschancen (Baumert et al., 2017; OECD/PISA, 2001; Stalder et al., 2008) sowie des späteren Berufseinstiegs (Bertschy et al., 2009). Wie internationale Studien zeigen, weisen Schüler*innen mit geringen sprachlichen Entwicklungsständen und niedrigen Leseleitungen im Mittel höhere Risiken auf, ohne berufsbildenden Abschluss zu bleiben (Conti-Ramsden et al., 2018; Glauser, 2010). In der Folge zeigen sich bei diesen Schüler*innen auch niedrigere Wahrscheinlichkeiten, später in einen (höher) qualifizierten Beruf überzugehen (Bertschy et al., 2009; Conti-Ramsden et al., 2018; Glauser, 2012). Geringe Lesekompetenzen sind jedoch nicht deterministisch für den weiteren berufsbildenden Verlauf. Studien im Schweizer Bildungssystem zeigen, dass Jugendliche mit geringen Lesekompetenzen nach dem Ende der obligatorischen Schulzeit zu großen Teilen in eine berufliche Bildung übergehen (Buchholz et al., 2012) und einen beruflichen Abschluss erreichen (Stalder et al., 2008). Für den Übergang in die berufliche Bildung erwiesen sich für diese Schüler*innen sowohl umweltbezogene und individuelle Ressourcen als förderlich (Buchholz et al., 2012). Für das Erreichen des Berufsbildungszertifikats sowie zur Bewältigung des anschließenden Übergangs in die Erwerbstätigkeit wurden bereits allgemein förderliche Ressourcen, wie eigene Fähigkeiten bzw. Interessen und umweltbezogene Ressourcen von Eltern, Schule und den Betrieb untersucht (im Überblick Buchholz et al., 2012; Häfeli & Schellenberg, 2009; Neuenschwander et al., 2012; Schafer & Baeriswyl, 2015). Unklar ist jedoch, ob diese allgemein förderlichen Ressourcen für vulnerable Gruppen stärker wirken und ihnen somit eine kompensatorische Funktion zukommen kann. An dieser Stelle setzt die vorliegende Untersuchung an. Aus einer against the odds-Perspektive wird in dieser Studie danach gefragt, inwiefern personale und umweltbezogene Ressourcen Schüler*innen mit geringen Lesekompetenzen (1) zu einem qualifiziertem Berufsbildungsabschluss und (2) zu einem Übergang in eine qualifizierte Erwerbstätigkeit verhelfen und inwieweit sich kompensatorische Effekte im Sinne stärkerer Wirkungen für Personen mit geringen Lesekompetenzen feststellen lassen. Aus resilienztheoretischer Perspektive (Häfeli & Schellenberg, 2009; Scheithauer & Petermann, 1999) wird davon ausgegangen, dass Ressourcen als Schutzfaktoren, die Wahrscheinlichkeit reduzieren können, aufgrund geringer Leseleistungen keinen qualifizierten Berufsbildungsabschluss zu erreichen bzw. in eine unqualifizierte Erwerbstätigkeit überzugehen. Die Untersuchung erfolgt auf der Datengrundlage der Schweizer Längsschnittstudie Transitionen von der Erstausbildung ins Erwerbsleben (TREE-Studie), Kohorte 1, Erhebungswellen 1 bis 7 (TREE, 2016) anhand von bis zu rund 1300 Personen. Im Fokus stehen Heranwachsende mit geringen Leseleistungen am Ende der obligatorischen Schulzeit. Vorläufige Analysen deuten auf geringere Wahrscheinlichkeiten für diese Schüler*innengruppe hin, einen qualifizierten Berufsbildungsabschluss zu erreichen und in eine qualifizierte Erwerbstätigkeit überzugehen. Gleichwohl fanden sich erfolgreiche Verläufe trotz niedriger Lesekompetenzen, was die Relevanz der Untersuchung möglicher Schutzfaktoren unterstreicht. Als potentielle Schutzfaktoren werden unter anderem eigene Fähigkeitswahrnehmung und wahrgenommene Unterstützung durch Familie, Schule und den Betrieb einbezogen. Die Überprüfung der Schutzwirkung erfolgt regressionsanalytisch über die Modellierung von Interaktionseffekten zwischen Lesekompetenz und dem jeweiligen Schutzfaktor. Abhängige Variablen sind der Ausbildungsabschluss und der Übergang in eine qualifizierte Berufstätigkeit. Weitere Ergebnisse und Implikationen werden diskutiert. Paper Session
Ohne Berufsbildungsabschluss: Risikofaktoren in der Sekundarstufe I Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz, Schweiz Die Erhöhung der Sekundarstufe-II-Abschlussquote ist eine bildungspolitische Absicht der Schweiz, die in vielen weiteren Ländern ebenfalls angestrebt wird (EDK, 2006). Auch Jugendliche verfolgen meist das Ziel, mindestens einen Sekundarstufe-II-Abschluss zu erreichen (Ackermann & Benz, 2023). Trotzdem weisen einige Jugendliche auch Jahre nach Abschluss der obligatorischen Schule keinen solchen Abschluss auf: Gemäss Meyer (2018) verfügen in der Schweiz rund 10% einer Kohorte auch mit 30 Jahren über keinen qualifizierenden Sekundarstufe-II-Abschluss. Dass jemand dauerhaft ohne Sekundarstufe-II-Diplom bleibt, zeichnet sich dabei bereits früher ab: Wer nur schon fünf Jahre nach Sekundarstufe-I-Abschluss ohne Sekundarstufe-II-Diplom ist, hat ein überhöhtes Risiko, gar nie einen qualifizierenden Sekundarstufe-II-Abschluss zu erreichen (Meyer, 2018). Es ist zwar bekannt, dass das Fehlen eines Sekundarstufe-II-Abschluss auf Lehrvertragsauflösungen (LVA), Fehlversuche im Qualifikationsverfahren (QV-Fehlversuche) und Verzögerungen im Übertritt von der obligatorischen Schule in die Sekundarstufe II zurückzuführen ist (Meyer, 2018). Studien zu den Faktoren, die bereits vor Eintritt in die Sekundarstufe II die LVA, QV-Fehlversuche und Übertrittsverzögerungen vorhersagen und dadurch Aufschluss über das Fehlen eines berufsbildenden Sekundarstufe-II-Abschlusses geben, fehlen jedoch. Gemäss der sozial-kognitiven Laufbahntheorie (Lent & Brown, 2008) hängt der fehlende Fortschritt bei der Zielerreichung (Nicht-Erreichen eines Sekundarstufe-II-Abschlusses) von der Anstrengungsbereitschaft und von Umweltfaktoren (Erziehungsstil der Eltern, Schulniveau) ab. Auf Basis der Theorie wurde folgende Forschungsfrage untersucht: In welchem Ausmass sagen die ausbildungsbezogene Anstrengungsbereitschaft der Jugendlichen, ein zuwendungsorientierter Erziehungsstil der Eltern und der Besuch des anforderungstiefsten Sekundarstufe-I-Schulniveaus (jeweils gemessen in der Sekundarstufe I) das Fehlen eines (berufsbildenden) Sekundarstufe-II-Abschlusses fünf Jahre nach Abschluss der obligatorischen Schule über LVA, QV-Fehlversuche und Jahre der Übertrittsverzögerung vorher? Die Forschungsfrage wurde mit einem Sample aus 1779 Berufslernenden überprüft, die sich in ihrer ersten Sekundarstufe-II-Ausbildung befanden. Die Berufslernenden hatten im neunten Schuljahr einen Fragebogen ausgefüllt, wobei ein Teil bereits im siebten Schuljahr an der Studie teilnahm (T1: 7. Schuljahr, T2: 9. Schuljahr). Ausserdem wurden amtliche Angaben zur Ausbildungssituation in der beruflichen Grundbildung verwendet. Diese Angaben wurden im 1-Jahres-Rhythmus erhoben und deckten die ersten fünf Jahre nach Abschluss der obligatorischen Schule ab (T3). Angaben zur ausbildungsbezogenen Anstrengungsbereitschaft (T1: 1 Item [aus Lehrpersonen-Sicht]; T2: 4 Items [aus Sicht der Jugendlichen], Cronbachs Alpha = .89), zum zuwendungsorientierten Erziehungsstil (T1: 6 Items, Cronbachs Alpha = .84; T2: 9 Items, Cronbachs Alpha = .88) und zum Schulniveau (0: mittleres/hohes Schulniveau, 1: tiefes Schulniveau [Hauptschule]) wurden zu T1 und T2 erhoben und jeweils zu beiden Messzeitpunkten ins Analysemodell einbezogen (kombinierte Variable bei Schulniveau). Zu T3 lagen Anzahl LVA (1 Item), QV-Fehlversuche (1 Item), Jahre der Übertrittsverzögerung (1 Item) sowie Fehlen eines berufsbildenden Sekundarstufe-II-Abschlusses (0: vorhanden, 1: fehlend) vor. In einem Strukturgleichungsmodell wurde das Fehlen eines Sekundarstufe-II-Abschlusses als endogene Variable spezifiziert; Anzahl LVA, QV-Fehlversuche und Jahre der Übertrittsverzögerung wurden als Mediatoren der Einflüsse von Anstrengungsbereitschaft, Erziehungsstil und Schulniveau definiert. Das Strukturgleichungsmodell wies einen guten Fit zu den Daten auf, χ2(256, N = 1779) = 563.92, p < .001, CFI = .96, RMSEA = .03, SRMR = .04. Im Hinblick auf die Forschungsfrage zeigten sich signifikante totale indirekte Effekte von Anstrengungsbereitschaft T1 (βind = −.02, p = .011), Erziehungsstil T1 (βind = −.04, p < .001), Schulniveau (βind = .17, p < .001), Anstrengungsbereitschaft T2 (βind = −.09, p < .001) und Erziehungsstil T2 (βind = −.06, p = .008) auf das Fehlen eines berufsbildenden Sekundarstufe-II-Abschlusses. Der Besuch des Schulniveaus mit den tiefsten Anforderungen, eine geringe Anstrengungsbereitschaft und ein zuwendungsarmer Erziehungsstil der Eltern im siebten Schuljahr sagen acht Jahre später das Nicht-Erreichen eines Sekundarstufe-II-Abschlusses signifikant vorher. Die Ergebnisse zeigen, wie potenzielle Ausstiege aus dem Berufsbildungssystem frühzeitig vorgebeugt werden können. Eltern können ihr Kind mit einem zuwendungsorientierten Erziehungsstil beim Erwerb eines Sekundarstufe-II-Abschlusses unterstützen und so nicht nur zur Erreichung eines Ziels der Bildungspolitik, sondern auch der Jugendlichen beitragen. |
13:10 - 14:50 | 5-18: Schulischer Umgang mit gesellschaftlichen Herausforderungen Ort: S22 |
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Paper Session
Schulische Demokratiebildung vor dem Hintergrund unterschiedlicher inklusiver Rahmenbedingungen Humboldt-Unversität zu Berlin, Deutschland Theoretischer Hintergrund Demokratiebildung ist ein zentrales Anliegen schulischer Bildung, welches zudem eng mit schulischer Inklusion assoziiert ist. Hintergrund ist eine gemeinsame Wertebasis, wobei insbesondere gleichberechtigte Teilhabe als verbindendes Element der beiden Ansätze gilt (z. B. Gerdes et al., 2015). Weiterhin wird in Artikel 24 Absatz 1 der UN-BRK als Ziel eines inklusiven Bildungssystems die Achtung vor den Menschenrechten formuliert – einem bedeutsamen Merkmal von Demokratie. Vor diesem Hintergrund lässt sich eine Kopplung zwischen schulischer Inklusion und Demokratiebildung annehmen. Die Art und Weise, wie Demokratiebildung im Schulkontext vermittelt wird, wird dabei häufig durch die Dimensionen der Bildung über, durch und für Demokratie beschrieben (z. B. Edelstein, 2015). Eine explizite Untersuchung aller drei Dimensionen wurde bisher nicht vorgenommen. Gleichfalls ist bisher nicht erforscht, ob Demokratiebildung an Schulen mit ausgewiesener inklusiver Schwerpunktsetzung in höherem Maße stattfindet als an anderen Schulen. Inwiefern Demokratiebildung umgesetzt wird, wird dabei häufig über Befragungen der Lehrkräfte oder der Schüler*innen erfasst. Dabei zeigen verschiedene Studien, dass Lehrkräfte pädagogische Praktiken in Schulen häufig etwas positiver bewerten als die Schüler:innen (z. B. den Brok et al., 2006). Dies kann möglicherweise u. a. darauf zurückgeführt werden, dass die Planungsprozesse und Überlegungen der Lehrkräfte von den Schüler:innen zum Großteil nicht wahrgenommen werden. Fragestellung Der Beitrag untersucht, wie Schüler:innen und Lehrkräfte Demokratiebildung an ihren Schulen wahrnehmen, inwiefern inklusive Rahmenbedingungen mit den Wahrnehmungen von Demokratiebildung zusammenhängen und ob sich Unterschiede in diesen Zusammenhängen zwischen Lehrkräften und Schüler:innen abzeichnen. Methode Datengrundlage bildet eine bundesweite Längsschnittstudie, die im Rahmen des Projekts „INSIDE – Inklusion in der Sekundarstufe I in Deutschland“ erhoben wurde. Dabei wurden in Klassenstufe 7 Schüler:innen (N = 1,572) und Lehrkräfte (N = 487) gebeten, einzuschätzen, inwiefern an ihrer Schule Demokratiebildung umgesetzt wird. Zudem liegen über die Schulleitungen umfassende Informationen zu den inklusiven Rahmenbedingungen vor. Dabei wurden angelehnt an die Qualitätsskala zur inklusiven Schulentwicklung (QU!S) fünf Ebenen einbezogen: „Kinder/Jugendliche“, „Unterricht“, „Team“, „Schulkonzept“ und „Vernetzung“. Fehlende Werte wurden in Stata mit MICE imputiert (van Buuren et al. 1999; Royston, 2004). Für die Analysen wurden Regressionsanalysen unter Einbeziehung der Mehrebenenstruktur berechnet. Ergebnisse Die Auswertungen zeigen, dass Lehrkräfte die Demokratiebildung höher einschätzen als die Schüler:innen, wenngleich grundsätzlich in beiden Gruppen und für alle drei Formen der Demokratiebildung (über, durch und für) eine hohe Zustimmung zur Umsetzung vorliegt. Für die verschiedenen Ebenen inklusiver Rahmenbedingungen bestehen nahezu durchgehend positive Effekte auf alle drei Formen der Demokratiebildung. Nur das inklusive Schulkonzept hängt nicht positiv mit der wahrgenommenen Bildung durch Demokratie zusammen. Eine differenzierte Betrachtung der Zusammenhänge für Schüler:innen und Lehrkräfte zeigt, dass teilweise sowohl Unterschiede in den Effekten als auch zwischen den verschiedenen Formen der Demokratiebildung vorliegen: Beispielsweise spielt die Vernetzung auf Schulebene bei den Lehrkräften kaum eine Rolle mit Blick auf ihre Wahrnehmung von Demokratiebildung. Gleichfalls spielen die verschiedenen inklusiven Rahmenbedingungen nur eine geringe Rolle bei der Wahrnehmung der Schüler:innen von Bildung durch Demokratie. Zudem sind die Effekte von der (inklusiven) Unterrichtsebene und der Teamebene auf die Bildung durch Menschenrechte bei Lehrkräften höher als bei Schüler:innen. Diskussion Die Befunde zeigen, dass Schulen, die sich auf den Weg einer vertiefenden Umsetzung von Inklusion gemacht haben, gleichzeitig auch einen Beitrag zu einer verstärkten Demokratiebildung leisten. Und zwar auf allen Ebenen: der Bildung über, durch und für Demokratie. Gleichzeitig weisen die Unterschiede zwischen Schüler:innen und Lehrkräften darauf hin, dass die Lehrkräfte eine höhere Wahrnehmung der Umsetzung von Demokratie in den Schulen haben als die Schüler:innen. Dies könnte auch mit den größeren Handlungsspielräumen der Lehrkräfte zusammenhängen. Paper Session
Schüler*innen als mündige Bürger*innen des 21. Jahrhunderts – Förderung der Fähigkeit des kritischen Denkens im Fachunterricht 1Leuphana Universität Lüneburg, Deutschland; 2Leibniz Universität Hannover, Deutschland Theorie. Die Unterstützung der Entwicklung junger Menschen zu mündigen Bürger*innen ist zentraler Bildungsauftrag von Schule (European Commission, 2019). Neben dem Aufbau fachlicher Kompetenzen sollen Schüler*innen hierzu insbesondere auch die Fähigkeit des kritischen Denkens (Lai, 2011) als Bestandteil von „21st-Century-Skills“ (Voogt & Roblin, 2010) erwerben. Kritisches Denken wird dabei als Form der reflektierten Begründung von Handlungen im Lebensalltag verstanden und umfasst insbesondere den Prozess der Entscheidungsfindung (decision making), also des (Aus-)Wählens/Abwägens von „besten“ oder „hinreichend guten“ Handlungsoptionen unter bewusster Berücksichtigung eines (erheblichen) Umfangs an Informationen und/oder Argumenten (Amgoud & Prade, 2009). Aus theoretischer Sicht kommt hier (auch) dem Mathematikunterricht in der Schule eine entscheidende Rolle zu, denn dieser soll Schüler*innen unterstützen, Entscheidungsfindungen zu alltagsbezogenen Problemstellungen unter Rückgriff auf mathematikhaltige Informationen/Argumente (bspw. Daten, Diagramme, usw.) reflektiert zu begründen (Böhm et al., 2020). Es ist jedoch unklar, welche mathematikhaltigen Informationen/Argumente Schüler*innen beim Bearbeiten alltagsbezogener Problemstellungen tatsächlich zur Entscheidungsfindung heranziehen (Status Quo) und wie genau der Aufbau so verstandener Fähigkeiten des kritischen Denkens im Mathematikunterricht erfolgreich unterstützt werden kann (Entwicklung). Ein möglicher Zugang zur Entwicklungsfrage scheint zu sein, mittels fachübergreifender Lernangebote mit sprachlicher und mathematischer Förderung die Fähigkeit der Entscheidungsfindung als Momentum kritischen Denkens aufzubauen (Hagena et al., 2017). Forschungsfragen. Die Studie greift aufgezeigtes Forschungsdesiderat auf und adressiert zwei Forschungsfragen: (FF1–Status Quo) Ziehen Schüler*innen bei der Bearbeitung alltagsbezogener Problemstellungen zur Entscheidungsfindung mathematikhaltige Informationen/Argumente (erfolgreich) heran? (FF2–Entwicklung) Greifen Schüler*innen vermehrt (erfolgreich) auf mathematikhaltige Informationen/Argumente bei der Entscheidungsfindung zurück, wenn diese an einem fächerübergreifenden Lernangebot mit sprachlicher und mathematischer Förderung teilnehmen? Methode. Im Rahmen des Forschungsprojekts FASAF (Mercator-Institut; Projektleitung: Neumann, Leiss, Schwippert) haben von November 2014 bis April 2015 insgesamt N=420 Schüler*innen der Jahrgangsstufe 7 an einer sich über 16 Wochen erstreckenden Interventionsstudie zum Aufbau der Fähigkeit der Entscheidungsfindung teilgenommen. Neben einer Wartekontrollgruppe (WKG; n=244) wurden die Schüler*innen entweder einer Experimentalgruppe A (EG-A; integrierte sprachliche/mathematische Förderung; n=85) oder einer Experimentalgruppe B (EG-B; separierte sprachliche/mathematische Förderung; n=91) randomisiert parallelisiert (kontrolliert u. a. für mathematische Leistung) zugeteilt. Inhaltlich fand eine Auseinandersetzung mit alltagsbezogenen Problemstellungen in Form klassischer Entscheidungssituationen (Beispiel: „Lohnt sich der Kauf einer Dauerkarte im Vergleich zum Kauf von Einzelkarten?“) mit explizitem Fokus auf Möglichkeiten des Rückgriffs auf sowohl sprachliche als auch mathematikhaltige Informationen/Argumente statt. Die Fähigkeit zur Entscheidungsfindung wurde im Pre-Post-Design mittels eines neu entwickelten Testinstruments erfasst (interne Konsistenz = .90). Analysen zu deskriptiven Werten (FF1) als auch zu Veränderungen bzw. Effekten (FF2) erfolgen mittels SPSS27. Ergebnisse. (FF1) Vor Beginn der Intervention greifen Schüler*innen bei der Entscheidungsfindung in alltagsbezogenen Problemsituationen allein in 40% der Fälle auf mathematikhaltige Informationen/Argumente zurück. Wenn Schüler*innen dies tun, dann ist ein solches Vorgehen jedoch oftmals nicht erfolgreich. (FF2) Ein erheblicher Anteil der Schüler*innen verändert durch die Intervention die Art der Entscheidungsfindung (37% der Schüler*innen nutzen im Posttest mathematikhaltige Informationen/Argumente, obwohl sie dies im Pretest nicht getan haben). Varianzanalysen mit Messwiederholung (Faktor Zeit) und den verschiedenen Bedingungen (Faktor Gruppe) belegen einen Effekt der Zeit (Eta-Quadrat=.25; p<.001), der Gruppe (Eta-Quadrat=.07; p<.05) sowie einen Interaktionseffekt von Zeit und Gruppe (Eta-Quadrat=.19; p<.001) auf den Erfolg solcher Entscheidungsfindungen. Am stärksten wird dieser Erfolg der Entscheidungsfindung durch die Zugehörigkeit zu EG-A beeinflusst, ein Effekt der WKG liegt nicht vor. Diskussion. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Schüler*innen bei der Entscheidungsfindung zu alltagebezogenen Problemen nur bedingt mathematikhaltige Informationen/Argumente (erfolgreich) berücksichtigen. Eine integrierte sprachliche und mathematische Förderung kann hier eine Entwicklung der Schüler*innen unterstützen. Mit Blick auf das Ziel von Schule, junge Menschen zu mündigen Bürger*innen zu erziehen und in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Fähigkeit des kritischen Denkens im Allgemeinen sowie der reflektierten und bewussten Entscheidungsfindung (decision making) im Speziellen zu fördern, sind diese Ergebnisse für den Aufbau von 21st-Cetury-Skills durch schulischen Fachunterricht zu diskutieren. Paper Session
Gymnasien zwischen cancel culture und Konformismus? Eine Standortbestimmung Universität Stuttgart, Deutschland Theoretischer Hintergrund: Der Begriff cancel culture beschreibt das Bestreben, soziale Akteure kategorisch auszuschließen, weil diese sich auf eine Weise verhalten, die als moralisch verwerflich empfunden wird. Auch geht es darum, Dinge aus moralischen Gründen aus ihrem Verwendungszusammenhang zu entfernen. Die schulische Relevanz von cancel culture ist ein Forschungsfeld im Entstehen. Erste Annäherungen untersuchen, inwiefern das Canceln Bildungsprozesse negativ tangiert (Appleman, 2022; Gordon, 2022; Obiols-Suari et al., 2022). Besagte Forschung basiert auf einem normativen Wahrheitsbegriff und zielt auf Werturteile. Fragestellung: In der Studie, auf der dieser Vortrag gründet, nehmen wir von dem normativen Wahrheitsbegriff und den Werturteilen Abstand und nähern uns von einer anderen Warte. Wir legen den Fokus auf eine empirisch-beschreibende Sicht mit der Frage, inwiefern sich cancel culture im Bildungsbereich – genauer: an deutschen Gymnasien – tatsächlich ereignet: In welchem Ausmaß wird cancel culture wahrgenommen? Sind tatsächliche Begebenheiten die Grundlage, sich mit ihr zu beschäftigen? Oder erwächst dies aus einer alarmierten gesellschaftlichen Debatte (Daub, 2023)? Beziehen sich Vorkommnisse auf Unterrichtsmaterialien oder auf schulangehörige Personen? Beeinflussen eine etwaige cancel culture oder das schlichte Reden über sie das Handeln schulischen Personals? Gibt es Befürchtungen, dass derartige Vorfälle zunehmend auftreten könnten? Zu diesen Fragen liegen bis dato keine wissenschaftlichen Studien vor. Methode: Den metatheoretischen Rahmen für unsere Forschungsarbeit bildet die Phänomenologie in der Tradition von Alfred Schütz (Schütz, 1971, 2016). In der Folge treffen wir so wenige theoretische Vorannahmen wie möglich. Ferner muss gewährleistet sein, so nah wie umsetzbar an die sozialen Interaktionen und Sinnzuschreibungen heranzutreten, die eine etwaige cancel culture beschreiben. Dies erreichen wir mittels leitfadengestützter, explorativer Experteninterviews (Helfferich, 2022). Dabei sind die Experten schulische Lehrkräfte an deutschen Gymnasien, die ihre Wahrnehmungen schildern. Das Sampling ist in der Tendenz offen, mit dem Ziel, die Vielfalt des wenig erforschten Gegenstands zu erfassen (Akremi, 2022, S. 408 ff.). Dabei befragen wir in mehreren Tranchen, bis eine theoretische Sättigung erreicht ist (Glaser & Strauss, 2010). Der Feldzugang erfolgt zum einen über Schulleitungen, zum anderen über das Schneeballprinzip (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2021, S. 82 f.). Die Daten werten wir mit Hilfe der dokumentarischen Methode aus (Nohl, 2012, S. 1 ff.; Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2021, S. 348 ff.). Ergebnisse und ihre Bedeutung: Die Befragungen lassen bisher auf sehr wenige Fälle einer ausgeprägten cancel culture schließen. Vergleichsweise gehäufter ist ein moralischer Absolutismus, der nicht auf den konkreten Ausschluss von Personen oder Materialien gerichtet ist. Beides scheint sich in der Wahrnehmung der Befragten in den letzten fünf Jahren an vielen, wenngleich nicht an allen interviewten Schulen verstärkt zu haben. Themen sind Rassismus, Diskriminierung in Bezug auf Geschlecht sowie sexuelle Orientierung und, hervorstechend, die Religion. Daneben gibt es unter Schülern ein auffallendes moralisches Laisser-faire und konformistische Tendenzen. Die Lehrkräfte sehen in Vorkommnissen von cancel culture und der genannten Vorstufe einen didaktischen Anlass für Demokratiebildung – zeigen also eher einen konfrontierenden anstelle eines vermeidenden Stiles. Die sich andeutende Typologie wird bis zur GEBF differenziert herausgearbeitet sein. Die Ergebnisse sind aus mehreren Gründen relevant für Bildungsforschung und Schulpraxis: Ein wesentliches Merkmal von cancel culture ist, dass ihre Akteure den Korridor des Sagbaren verengen (möchten). Das berührt den zentralen demokratischen Wert der Meinungsfreiheit (Frick, 2023; Tappe, 2022) und somit auch den schulischen Bildungsauftrag. Denn: In Deutschland sind Schulen per Gesetz verpflichtet, Schüler im Sinne einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu erziehen (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland, 2023). Über die Rekonstruktion der Frage, inwieweit Lehrkräfte im schulischen Umfeld das Phänomen der cancel culture wahrnehmen, stellen wir eine Theorie auf, die anschlussfähig ist für Demokratieerziehung und weiterführende Forschung. Die Auswertung ist momentan vorangeschritten. Zur GEBF wird die Studie abgeschlossen sein. Paper Session
„Wenn die Welt Fieber hat, haben wir auch Fieber!“ – Grundschulkinder diskutieren über den Klimawandel 1Universität Bamberg; 2Technische Universität Chemnitz Kinder verfügen über vielfältige Erfahrungen und Kenntnisse der globalisierten Welt. Dabei haben sie individuelle Interessen und Überzeugungen, die zwischen Zukunftsfreude und Resignation oszillieren und ihre Vorstellungen beeinflussen. Diese Vorstellungen zu kennen, ist für die Gestaltung von Unterricht bedeutsam, um dem grundschuldidaktischen Prinzip des Lebensweltbezugs nachzukommen und um Kinder dabei zu unterstützen, ihre Vorstellungen zu validieren, zu überarbeiten und zu erweitern (vgl. Adamina et al., 2018). Die querschnittliche Verankerung der ‚Bildung für Nachhaltige Entwicklung‘ zählt zu den übergreifenden Erziehungs- und Bildungszielen der Grundschule. Im Sinne der Gestaltungskompetenzen nach Bormann und de Haan (2008) sollen Kinder befähigt werden, die Umwelt aktiv und nachhaltig zu prägen. Dabei sollte bedacht werden, dass Kinder über Wissen über Umweltbelange verfügen und sich mit Klimabewegungen, sowie Umwelt- und Klimaschutz beschäftigen (BMUV, 2022). Demzufolge muss Grundschulkindern, die Möglichkeiten gegeben werden, sich forschend mit der Welt auseinanderzusetzen und selbsttätig Gestaltungskompetenzen zu erlernen, die z.B. Umbrüche im ökologischen Bereich möglich machen (Stoltenberg, 2008). Die vorhandenen Studien zeigen, dass Umwelt- und Tierschutz zu Themen gehören, die Kinder interessieren (Melchert, 2014; Lüschen, 2015). Wie sich ihre Sicht zu Nachhaltigkeitsthemen und zum Klimawandel beschreiben lässt, bleibt dabei aber weitgehend unbeleuchtet. Gaubitz (2018) zeigt, dass Kinder ökologische Wertorientierungen aufzeigen und auch in der ‚Göttinger Kinderdemokratie‘-Studie (Blöcker & Redlich, 2021) machen Kinderzeichnungen das Selbstverständnis, mit dem Grundschulkinder sich mit Umwelt- und Klimaproblemen auseinandersetzen deutlich. Mit der X-Studie (X), wird untersucht, welche Vorstellungen Grundschulkinder zum Klimawandel haben. Hierzu wurden fünfzehn Gruppendiskussionen mit Kindern im Alter von fünf bis elf Jahren durchgeführt und inhaltsanalytisch mit induktiv-deduktiver Kategorienbildung (Mayring, 2022) ausgewertet. Die Kindergespräche wurden mit zwei Impulsen strukturiert. Der Eingangsimpuls umfasste einen Videoausschnitt, einer ‚Fridays for Future‘-Demonstration, welcher im Verlauf der Diskussion durch visuelle Bildimpulse ergänzt wurde. Die Ergebnisse zeigen, wie dieses gesellschaftlich und wissenschaftlich präsente Thema – welches von Cross & Congreve (2021) als „super wicked problem“ bezeichnet wird – die Lebenswelt von Grundschulkindern prägt. Die Auswertungen präsentieren breit gefächerte Vorstellungen, welche sich in vier zentrale Bereiche konzentrieren: (1) Kennzeichen des Klimawandels (z.B. CO2-Ausstoß & Treibhauseffekt; Erderwärmung; Menschliches Handeln als (Teil-)Ursache des Klimawandels: „Und für den Klimawandel können wir Menschen auch sehr viel.“; GD Giraffe, Z. 72-72); (2) Folgen des Klimawandels (Folgen für Tiere; Folgen für Menschen; Folgen für Natur und Umwelt („Und immer wenn der Klimawandel schlimmer wird regnet es lange Zeit nicht und dann regnet es einmal so stark dass alles vollschwemmt wird“; GD Jaguar, Z.246-248). (3) Umgang mit Folgen des Klimawandels (verändertes Verhalten bezüglich der Energieversorgung; verändertes Verhalten im Hinblick auf Mobilität; Umgang mit Müll („Und vielleicht in ein paar Jahren, wenn man dann im Meer schwimmen will, dann schwimmt man halt im Müll“; GD Adler, Z. 312-313). (4) Perspektiven auf die eigene Zukunft und die von nachfolgenden Generationen. (Perspektivlosigkeit und Resignation; Auseinandersetzung mit der Bedrohung durch Krieg („ja, weil es ist ja auch so, wenn man, wir haben halt nur die Erde halt, was er auch gesagt hat, aber wenn wir die jetzt vollkommen verschmutzen, dann haben wir die ja gar nicht mehr. Also dann bringt es ja eigentlich gar nichts mehr, dass wir auf der Erde leben.“; GD Adler, 16-18.). Die Ergebnisse werden auch forschungsethisch und methodisch reflektiert: Zum einen dahingehend wie Kindervorstellungen anhand des Gruppendiskussionsverfahrens erfasst und analysiert werden können und zum anderen, wie mit dem Grundsatz umgegangen werden kann, dass Kinder als kompetente Gesellschaftsmitglieder anzusehen sind (vgl. Heinzel, 2000). Die bedeutende Rolle von Nachhaltigkeitsthemen im Lebensbereich von Grundschulkindern, die mit den vorliegenden Ergebnissen untermauert wird, weist auf die Brisanz und Aktualität einer notwendigen grundschulpädagogischen Auseinandersetzung hin (vgl. Luschin-Ebengreuth & Feyta, 2020; Wulfmeyer, 2020). |
13:10 - 14:50 | 5-19: Inklusion und Lehrkräftebildung Ort: S23 |
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Paper Session
Inklusive Bildung braucht Kontakt 1Bergische Universität Wuppertal, Institut für Sportwissenschaft, Sportpädagogik; 2Universität Duisburg-Essen, Institut für Sport- und Bewegungswissenschaften, Sportpädagogik und Sportdidaktik Theoretischer Hintergrund Bildungsprozesse durch Bewegung, Spiel und Sport zu inszenieren, zu fördern und empirischen zu untersuchen, sind ausgewiesene Ziele der Sportpädagogik. Im Kontext gesellschaftlicher Transformationsprozesse wird dabei der Blick auch auf das Themenfeld Inklusion gelenkt. Ein Anspruch sportpädagogischer Bemühungen ist die Teilhabe Aller an der Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur, in der der Schulsport und dessen verantwortliche Lehrkräfte eine zentrale Rolle einnehmen. Nach wie vor herrschen jedoch teils große Vorbehalte gegenüber schulischer Inklusion (Verband Bildung und Erziehung, 2020), so dass sich der Bildungsauftrag einer inklusionsorientierten Professionalisierung angehender Lehrkräfte Fragen des Umgangs mit und der Einstellung zu Vielfalt stellen muss. Diesem Anliegen widmet sich unser Beitrag sowohl auf Grundlage empirischer Erkenntnisse als auch theoretisch-konzeptionell hinsichtlich der Implementierung eines Lehr-Lernkonzeptes in der (sportwissenschaftlichen) Lehrkräftebildung, das wir transferbezogen reflektieren. Fragestellung Ausgangspunkt ist die festgestellte Unsicherheit von Lehrkräften hinsichtlich schulischer Inklusion, die mit fehlender praktischer Erfahrung, fehlender theoriegeleiteter Wissensgrundlage oder auch fehlender Unterstützung in Verbindung gebracht wird. Welche einstellungsbedingenden Variablen dabei wirken, ist nicht zweifelsfrei festzustellen (Reuker et al., 2016). Zur Variable Kontakt werden ambivalente Ergebnisse resümiert (Hutzler et al., 2017). Beispielsweise führen Vorerfahrungen mit Menschen mit Behinderung nicht direkt zu einer positiven Einstellung. Der Kontakthypothese (Allport, 1971; Pettigrew & Tropp, 2006) folgend ist die Art des Kontaktes ausschlaggebend. Konzepte zur Inszenierung des Kontaktes und Analysen der Kontaktbedingungen fehlten in der universitären Lehrkräftebildung bisher weitestgehend. Um die Leerstelle der Bedingungen einer Ausgestaltung des Kontaktes zu füllen, bietet die Diffusionstheorie des Soziologen Rogers (2003) Hilfestellungen. Erkenntnisse der Verbreitung einer sozialen Innovation nutzt Sträter (2019, 2021) zum Verständnis des gesellschaftlichen Transformationsprozesses Inklusion und den damit in Verbindung stehenden Bemühungen der Gestaltung einer inklusionsorientierten Lehrkräftebildung. Durch Implementierung und Evaluation einer Lehr-Lernkonzeption unter besonderer Berücksichtigung der Diffusionstheorie nach Rogers (2003) und der Kontakthypothese nach Allport (1971) wird geprüft,
Methode Kern des Konzepts ist die Kooperation mit dem Franz Sales Haus Essen, einer Bildungseinrichtung für Menschen mit Behinderung, die lebensweltnah Inklusionsprozesse gestaltet. Prozessorientiert nähern sich Studierende zunächst theoriegeleitet dem Themenkomplex Inklusion und machen erste Kontakterfahrungen durch die aktive Teilnahme am Sportunterricht der Franz Sales Förderschule. Anschließend planen sie Unterricht, führen diesen durch und reflektieren theorie- und handlungsorientiert. Effekte des Lehr-Lernkonzepts wurden über vier Semester quasi-experimentell im Prä-Post-Design mit je zwei Messzeitpunkten untersucht. Im Rahmen der Interventionsstudie mit Kontrollgruppe nahmen 124 Studierende teil (nIG = 54; nKG = 70). Mithilfe des Fragebogeninstruments von Seifried und Heyl (2016) wird die Einstellungsentwicklung der Studierenden in den Dimensionen Fachliche Förderung, Persönliche Bereitschaft und Soziale Inklusion nachvollzogen. Ergebnisse Eine Mixed-MANOVA zeigt eine statistisch signifikante Interaktion zwischen den Experimentalgruppen und den Messzeitpunkten (Wilk’s Λ = .795, F(4,116) = 7.47, p < .001, ηp² = .205). Die Interventionsgruppe weist nach dem Treatment in allen Dimensionen signifikant höhere Werte auf, wobei sich die Werte der Kontrollgruppe kaum verändern. Es wird eine bewusst inszenierte Kontaktsituation geschaffen, welche stark auf die Persönliche Bereitschaft (ηp² = .18) zu inklusivem Sportunterricht wirkt. Mehr noch wird das Bildungspotenzial, welches die unterrichtliche Arbeit mit dieser vermeintlich homogenen Lerngruppe bereithält, verdeutlicht. Werden die Vielfalt in und zwischen Personen sowie die Bedarfe der Schüler*innen erkennbar, dann sollte im Sinne der doppelten Förderabsicht, der der Schüler*innen und der Studierenden im Rahmen ihres Professionalisierungsprozesses, derartigen Anlässen zugunsten inklusiver Bildung Raum gegeben werden (Sträter & Pfitzner, 2023). Nicht zuletzt sind Transferfragen bindend für die Sportpädagogik (Neuber, 2023 (i. Dr.); Pfitzner, 2017). Die Transferpotenziale des Anliegens der inklusionsbezogenen Einstellungsentwicklung Studierender reflektieren wir inspiriert durch Hinweise von Glaß (2023) und Paganetti (2023). Das Erfahrungswissen unserer Studierenden in der sportpädagogischen Praxis (z.B. als Vertretungslehrkraft) variiert teils stark, so dass hier – auch problematisierend - angeknüpft wird. Paper Session
Welche Auswirkungen hat die inklusive Hochschullehre mit qualifizierten Menschen mit Behinderungen auf die Überzeugungen von Lehramtsstudierenden gegenüber Inklusion? 1Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Deutschland; 2Institut für Pädagogisch-Psychologische Lehr- und Lernforschung; 3Institut für Inklusive Bildung Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Seit Beginn der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention haben die Bestrebungen zur Umsetzung eines inklusiven Bildungssystem in Deutschland zugenommen (BGB1, 2008). Für den Erfolg inklusiven Unterrichts wird eine entsprechend günstige Haltung der Lehrkraft gegenüber Inklusion vorausgesetzt (Kulturministerkonferenz, 2011). Unter anderem hat diese Auswirkungen auf die Bereitschaft der Lehrkraft, ihren Unterricht an die Bedürfnisse aller Schüler:innen anzupassen (Sharma et al., 2008). Zahlreiche Untersuchungen haben den Einfluss von verschiedenen Determinanten auf die Entwicklung von Einstellungen und Vorurteilen gegenüber Personengruppen untersucht, wobei immer wieder der persönliche Kontakt mit der diskriminierten Personengruppe diskutiert wird (Allport, 1954). Laut der Kontakthypothese (Allport, 1954) hat häufiger Kontakt zu Menschen anderer sozialer Gruppen einen positiven Effekt auf Einstellungen und Vorurteile zu deren Mitgliedern. Eine Kontaktmaßnahme wurde in der Lehrkräftebildung an der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel (CAU) mit dem Institut für Inklusive Bildung (IIB) realisiert. In dieser wird eine Seminarsitzung im Masterstudiengang von qualifizierten Menschen mit Behinderungen (sogenannten Bildungsfachkräften) durchgeführt, welche als Expert:innen für Behinderungs-Erfahrungen für den Umgang mit Schüler:innen mit Behinderungen sensibilisieren. In Anlehnung an die Kontakthypothese (Allport, 1954) ist anzunehmen, dass die direkte Erfahrung mit Menschen mit Behinderungen einen positiven Effekt auf die Überzeugungen von Lehramtsstudierenden gegenüber der Inklusion von Schüler:innen mit Behinderungen nehmen sollte. Ziel dieser Studie ist die Untersuchung der Wirkung einer Kontakt-Intervention auf Einstellungen, Vorurteile, Selbstwirksamkeitserwartungen und Emotionen von Lehramtsstudierenden gegenüber der Inklusion von Schüler:innen mit Behinderungen. Methode Die Datenerhebung erfolgte im Wintersemester 2022/23 in einem kontrollierten Prä-Post-Follow-Up-Design im Rahmen von regulär verpflichtenden Begleitseminaren zu einer Pflichtvorlesung im Master-Lehramtsstudium. Die Stichprobe bestand aus 333 Lehramtsstudierenden, wovon 196 in der Experimental- und 137 in der Kontrollgruppe waren. Es handelte sich um ein quasi-experimentelles Design, da die Studierenden der Experimental- und Kontrollgruppe in den Lehrveranstaltungen nicht randomisiert zugeteilt werden konnten. Während in der Experimentalgruppe eine Sitzung des Seminars von den Bildungsfachkräften durchführt wurde, folgten die Seminare der Kontrollgruppe dem üblichen Lehrplan. Die 90-minütige Seminarsitzung der Bildungsfachkräfte wies einen einheitlichen Ablauf auf und beinhaltete die Vermittlung von theoretischem Wissen über Inklusion und praktische Erfahrungsmöglichkeiten durch Kontakt zu Menschen mit Behinderungen. Mittels eines Fragebogens wurden Einstellungen, moderne Vorurteile, Selbstwirksamkeitserwartung und Emotionen gegenüber der Inklusion von Schüler:innen mit Behinderungen erhoben. Die Prä- und Post-Erhebung fand sowohl in der Experimental- als auch in der Kontrollbedingung im Abstand von zwei Wochen statt. Die Follow-Up-Erhebung erfolgte 4 Monate nach der Intervention. Zum Umgang mit fehlenden Daten zu den verschiedenen Messzeitpunkten wurde das Verfahren der multiplen Imputation gewählt (Schafer & Graham, 2002). Ergebnisse Die Berechnungen multivariater multipler Regressionsanalysen zeigen, unter Kontrolle der Stabilität der Studienvariablen, eine Verbesserung der Einstellungen (β = .14 , p < .05) sowie eine Reduktion von modernen Vorurteilen (β = -.17 , p < .001) in der Experimentalbedingung im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die Ergebnisse der Follow-Up-Erhebung lassen allerdings nicht auf eine langfristige Stabilität der Effekte schließen (βEinstellungen = .03 , p = .76; βVorurteile = -.02 , p = .69). In den Studienvariablen Selbstwirksamkeitserwartungen (β = .06 , p = .37) und Emotionen (β = .31 , p = .11) konnten keine Veränderungen festgestellt werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Rahmen einer Kontaktmaßnahme die inklusive Lehre von Menschen mit Behinderungen kurzfristig einen positiven Effekt auf die Überzeugungen von Lehramtsstudierenden gegenüber der Inklusion von Schüler:innen mit Behinderungen nehmen konnte. Zukünftige Forschungsarbeiten sollten untersuchen, inwiefern dieser vorübergehende Effekt langfristig aufrechterhalten werden kann. Paper Session
Wodurch lassen sich die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehramtsstudierenden in Bezug auf die Durchführung inklusiven Unterrichts erklären? Universität Paderborn, Deutschland Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehrkräften stellen einen bedeutsamen Teil ihrer professionellen Handlungskompetenzen dar (Baumert & Kunter, 2006) und können verstanden werden „als die subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungssituationen auf Grund eigener Kompetenz bewältigen zu können“ (Schwarzer & Jerusalem, 2002, S. 35). Im Zusammenhang mit einer adäquaten Professionalisierung angehender Lehrkräfte für die Gestaltung inklusiven Unterrichts stellt sich daher die Frage, wie sich ihre diesbezüglichen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen entwickeln und wodurch sie sich erklären lassen. Bandura (1997) geht davon aus, dass für die Entwicklung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen vier Quellen von Bedeutung sind: eigene und stellvertretende Erfahrungen, verbale Überzeugungen sowie wahrgenommene Gefühlsregungen, wobei die eigenen Erfahrungen als stärkste Quelle betrachtet werden. Bislang liegen wenige Studien vor (z. B. Franzen, 2021), in denen die Quellen der Selbstwirksamkeit von Lehrkräften im Zusammenhang mit der Gestaltung inklusiven Unterrichts untersucht wurden. Im Vergleich zu in der Praxis tätigen Lehrkräften sind allerdings eigene Erfahrungsmöglichkeiten von Lehramtsstudierenden in Bezug auf den inklusiven Unterricht begrenzt. In dem vorliegenden Beitrag wurde der Frage nachgegangen, wie sich die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von angehenden Lehrkräften, die sich noch in ihrer universitären Ausbildungsphase befinden, durch die von Bandura (1997) postulierten vier Quellen in Bezug auf die Gestaltung und Durchführung inklusiven Unterrichts erklären lassen. Hierzu wurden N=933 Lehramtsstudierende (Grund-, Haupt-, Real- und Förderschullehramt; jeweils ‚Bachelor of Education‘) per Paper-Pencil-Fragebogen befragt. Der Fragebogen enthielt Skalen zur Selbstwirksamkeit und zu den vier Quellen nach Bandura (1997), die auf einer fünfstufigen Antwortskala bearbeitet wurden. Die Erfassung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen hinsichtlich der Gestaltung inklusiven Unterrichts erfolgte durch 7 Items (z. B. „Ich bin davon überzeugt, Unterricht methodisch so gestalten zu können, dass alle Schüler*innen ein für sie angemessenes Arbeitsangebot und einen passenden Arbeitsrhythmus finden“, Kopp, 2009; Alpha=.83). Bezüglich der vier Quellen der Selbstwirksamkeit wurden die Studierenden gebeten, Auskunft über ihre eigenen Erfahrungen (z. B. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine Unterrichtsstunde in einer heterogenen Schüler*innengruppe sehr gut so gestaltet werden kann, dass alle Gruppenmitglieder aktiv teilnehmen können“, Bosse & Spörer, 2014; 4 Items; Alpha=.81), ihre stellvertretenden Erfahrungen (z. B. „Ich konnte beobachten, dass Lehrkräfte den Unterricht in heterogenen Lerngruppen erfolgreich gestaltet haben“; 5 Items; Alpha=.83), wahrgenommene Fremdinstruktionen (z. B. „Ich habe oft gehört, dass ich mich gut auf Schüler*innen mit verschiedenen Bedürfnissen einlassen kann“; 3 Items; Alpha=.75) sowie ihre wahrgenommenen Gefühlsregungen (z. B. „Bei der Durchführung inklusiven Unterrichts würde ich mich wohlfühlen“; 4 Items; Alpha=.76) zu geben. Die Ergebnisse aus einem Strukturgleichungsmodell zeigen, dass die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (Erklärte Gesamtvarianz=.34, p≤.001) der befragten Studierenden signifikant durch ihre eigenen (Beta=.16, p≤.001) sowie ihre stellvertretenden Erfahrungen (Beta=.13, p≤.01), durch die von ihnen wahrgenommenen Fremdinstruktionen (Beta=.21, p≤.001) und ihre Gefühlsregungen (Beta=.32, p≤.001) erklärt werden können. Entgegen der Theorie von Bandura (1997) weisen die Gefühlsregungen der Studierenden den größten Erklärungswert für ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen auf. Insgesamt verdeutlichen die Befunde jedoch, dass die vier Quellen bedeutsam für die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehramtsstudierenden in Bezug auf die Gestaltung von inklusivem Unterricht sind. Paper Session
Effekte eines universitären Lehrerkooperationstrainings auf die inklusionsbezogenen Selbstkonzepte angehender Lehrkräfte Universität Paderborn, Deutschland Die Kooperation von Lehrkräften gilt als eine entscheidende Gelingensbedingung des inklusiven Unterrichts, um den individuellen Lernbedürfnissen aller Schüler*innen gerecht zu werden (European Agency for Development in Special Needs Education, 2012). Kooperativer Unterricht in inklusiven Klassenräumen bedeutet, dass mindestens zwei Lehrkräfte zusammen mit anderen pädagogischen Fachkräften Lernumgebungen für Kinder gestalten und sie in ihren Persönlichkeits- und Sozialisationsentwicklungen fördern (Ferguson & Wilson, 2011). Gegenwärtig kooperieren Lehrkräfte in der schulischen Praxis sehr selten (Schwab et al., 2015). In Anbetracht dieser Situation drängt sich die Frage auf, wie angehende Lehrkräfte während ihrer Aus-, Fort- und Weiterbildung zielorientiert auf das kooperative Unterrichten in inklusiven Schulen vorbereitet werden können. Frey und Kaff (2014) konnten im Rahmen ihrer Studie zeigen, dass Wissen über kooperatives Arbeiten im inklusiven Klassenzimmer durch entsprechende Angebote in der ersten Phase der Lehrer*innenbildung erfolgreich vermittelt werden kann. Ungeklärt ist hingegen, ob und inwiefern Lehramtsstudierende auch im Hinblick auf ihre leistungsbezogene Persönlichkeitsentwicklung durch Lerneinheiten zum kooperativen Unterrichten profitieren können. So gelten positive Selbstkonzepte von Lehrkräften im Hinblick auf den inklusiven Unterricht als wichtige Gelingensbedingungen für ihre persönliche Berufszufriedenheit, ihr psychologisches Wohlbefinden und den erfolgreichen Kompetenzerwerb ihrer Schüler*innen (Friedmann & Farber, 1992; Yeung et al., 2014). Unter dem fähigkeitsbezogenen Selbstkonzept wird dabei das Wissen von (angehenden) Lehrkräften über ihre eigenen Stärken und Schwächen bei der Durchführung inklusiven Unterrichts verstanden (Marsh et al., 2012; Yeung et al., 2014). Unter Berücksichtigung der vorgestellten theoretischen Grundlagen gehen wir davon aus, dass Lehramtsstudierende, die an einem Training zur Kooperation im inklusiven Unterricht teilnehmen, signifikante Verbesserungen in ihren inklusionsbezogenen Selbstkonzepten zeigen werden, im Vergleich zu denjenigen Studierenden, die nicht an einem solchen Training teilgenommen haben. An unserer Studie haben insgesamt N = 262 Studierende des Lehramts an Grund- und Förderschulen teilgenommen. In der Experimentalgruppe befanden sich n = 155 und in der Kontrollgruppe n = 107 Studierende. Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren die Studierenden im Durchschnitt 24 Jahre alt (M = 23,52 Jahre, SD = 4,81 Jahre), sie befanden sich jeweils im ersten Mastersemester. Die Studierenden der Experimentalgruppe nahmen an einem Training zur Kooperation im inklusiven Unterricht teil, welches sich über einen Gesamtzeitraum von drei Seminarsitzungen erstreckte. Während der Intervention lernten die Studierenden der Experimentalgruppe unterschiedliche Arten der kooperativen Zusammenarbeit im inklusiven Klassenzimmer kennen (Friend & Bursuck, 2014) und setzten sich mit Herausforderungen des Unterrichtens im Team auseinander. Prä- und postexperimentell haben wir die Studierenden beider Untersuchungsgruppen gebeten, einen Fragebogen zu ihren professionsbezogenen Selbstkonzepten im Hinblick auf die Planung und Durchführung inklusiven Unterrichts („Ich bin davon überzeugt, dass mir die Aufgaben bei der Planung und Durchführung von inklusivem Unterricht leicht fallen werden“; Alpha = .75/.77) und im Hinblick auf die Kooperation im inklusiven Klassenzimmer („Ich bin davon überzeugt, dass ich gut mit anderen Lehrkräften zusammenarbeiten werde“; Alpha = .81/.85) auszufüllen. Die Ergebnisse unserer Analysen verdeutlichen, dass sich die Studierenden der Experimentalgruppe im Vergleich zu denjenigen der Kontrollgruppe nicht signifikant in Bezug auf ihre Selbstkonzeptentwicklung – gerechnet vom ersten bis zum zweiten Messzeitpunkt – voneinander unterscheiden. Betrachtet man hingegen diejenigen Studierenden der beiden Untersuchungsgruppen mit den jeweils am niedrigsten ausgeprägten Selbstkonzepten zu Untersuchungsbeginn, so wird deutlich, dass die Studierenden der Experimentalgruppe (n = 10) signifikant von dem Treatment zur Lehrer*innenkooperation im Hinblick auf ihre professionsbezogenen Selbstkonzepte (Planung und Durchführung inklusiven Unterrichts, Kooperation) im Vergleich zu den Studierenden der Kontrollgruppe (n = 10) profitiert haben. Zusammenfassend deuten unsere Forschungsergebnisse darauf hin, dass die Beteiligung an einem universitären Training zur Kooperation im inklusiven Unterricht vor allem Studierenden des Lehramts an Grund- und Förderschulen mit schwächer ausgeprägten Lernausgangslagen in ihren professionsbezogenen Selbstkonzepten stärken kann. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit bereits vorhandenen Forschungsbefunden (vgl. Bresges, et al, 2018). |
13:10 - 14:50 | 5-20: Naturwissenschaftlich-technische Bildung Ort: S24 |
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Paper Session
Analyse adressatenorientierter Kommunikation in chemiebezogenen Schüler*innentexten Freie Universität Berlin, Deutschland Theoretischer Hintergrund Als zentralem Baustein von Scientific Literacy wurde der naturwissenschaftlichen Kommunikation in den Bildungsstandards (z.B. für das Fach Chemie s. KMK, 2005) ein eigenständiger Kompetenzbereich zugewiesen (Norris & Phillips, 2003). Ein in der naturwissenschaftsdidaktischen Forschung wenig bearbeitetes Feld ist die Fähigkeit zum adressatenorientierten Kommunizieren. Mit Blick auf die Bedeutsamkeit adressatengerechter Kommunikation für die Teilhabe an gesellschaftlichen Diskursen (KMK, 2005) erscheint das überschaubare Forschungsinteresse verwunderlich. Becker-Mrotzek et al. (2014) haben Adressatenorientierung als zentralen Teilaspekt von Schreibkompetenz identifiziert. Kulgemeyer und Schecker (2009) illustrieren Adressatenorientierung in ihrem konstruktivistischen Kommunikationsmodell mithilfe von vier Dimensionen: (1) (sprachlicher) Code, z.B. Verwendung von Fachtermini, passivischer Satzbau (2) Aspekte des Sachinhalts, z.B. Auslassen redundanter Aspekte (3) Kontext, z.B. Nutzung von Beispielen aus dem Alltag (4) Darstellungsform, z.B. Ergänzung von geschriebenem Text durch Grafiken Fragestellung Gegenwärtig konzentrieren wir unsere Arbeit auf die Forschungsfrage: Inwieweit gelingt es Schüler*innen in chemiebezogenen Texten Adressatenorientierung (1) auf sprachlicher und (2) auf sachinhaltlicher Ebene herzustellen? Methode Um die Fragestellung zu beantworten, haben wir Schüler*innen eine für den Chemieunterricht der Sekundarstufe I typische Aufgabe gestellt: Erkläre deiner Freundin, die das Thema Salze im Chemieunterricht noch nicht behandelt hat, wie sich Salz in Wasser löst. Nutze für deine Erklärung das Beispiel: Du willst Nudeln kochen und gibst Salz in das Wasser. Berücksichtige für deine Erklärung das Modell, dass Stoffe aus kleinsten Teilchen bestehen. Die Lernenden bearbeiten außerdem eine zweite, im Wortlaut identische Aufgabe und richten sich dabei mit der Erklärung an ihre Chemielehrkraft. Da die Aufgabenstellung Darstellungsform (schriftliche Erklärung) und Kontext (Salzen von Nudelwasser) vorgibt, erwarten wir, dass die Lernenden Adressatenorientierung vor allem sprachlich und sachinhaltlich herstellen. Die Kategorienbildung erfolgt deduktiv aus Literatur zu Adressatenorientierung (Becker-Mrotzek et al., 2014; Kulgemeyer & Schecker, 2009) und Fachsprachgebrauch (Jucks et al., 2003; Rincke, 2010). Anhand eines theoriegeleitet entwickelten Kategoriensystems lassen sich die entstehenden Schüler*innentexte qualitativ-inhaltsanalytisch (Mayring, 2022) auswerten. Die Vorkommen der Kategorien auf sprachlicher und sachinhaltlicher Ebene werden ausgezählt und deskriptivstatistisch sowie mittels geeigneter Testverfahren vergleichend analysiert. Ergebnisse und ihre Bedeutung 260 Texte wurden mithilfe von MAXQDA kodiert. Die Interkoderübereinstimmung liegt mit κn = 0,91 im hervorragenden Bereich (Rädiker & Kuckartz, 2019, S. 303). Bezüglich der Textlänge (Lehrkraft: 69,11 Wörter; Freundin: 69,75 Wörter) und der Satzanzahl (Lehrkraft: 9,50 Sätze; Freundin: 9,51 Sätze) unterscheiden sich die Texte an beide Adressat*innen nicht. Mit Blick auf den Gebrauch bestimmter Termini lassen sich jedoch statistisch signifikante Unterschiede zwischen beiden Adressatengruppen identifizieren: In den Texten an die Freundin werden häufiger solche Termini verwendet, die den Schüler*innen bereits vor dem Unterricht bekannt sein sollten (geladene Teilchen, Anziehung), während in den Texten an die Lehrkraft vermehrt Termini vorkommen, die im Rahmen des Unterrichts explizit neu eingeführt wurden (Ion, Hydratation). Wenn die Schüler*innen die Erklärung an die Lehrkraft richten, nutzen sie mehr Passivkonstruktionen (in 23% der Sätze vs. 17% der Sätze an die Freundin) und mehr persönliche Ausdrucksweisen (in 8% der Sätze vs. 3% der Sätze an die Lehrkraft), wenn sie ihre*n Freund*in adressieren. Hinsichtlich Auswahl und Anordnung sachinhaltlicher Aspekte des Lösevorgangs fallen die Unterschiede deutlich geringer aus. Der Aspekt „chemische Struktur von Salz und Wasser“ wird in den Texten an die Mitschüler*in öfter thematisiert, vermutlich um bestmöglich an das Vorwissen der Adressatin anzuknüpfen. Außerdem findet sich in den Texten an die Freund*in vermehrt der Aspekt „Bildung einer Hydrathülle“, welcher für das Verständnis des Lösevorgangs von zentraler Bedeutung ist. Die vorgestellte Untersuchung dient als Bestandsaufnahme der Fähigkeit von Schüler*innen zur Herstellung von Adressatenorientierung in chemiebezogenen Texten. Wenngleich es Lernenden gelingt, hinsichtlich einiger sprachlicher Merkmale von Adressatenorientierung differenziert vorzugehen, bedarf es bei der Auswahl sachinhaltlicher Aspekte zusätzlicher Förderung. Neben der Analyse von Schüler*innentexten kann das Kategoriensystem außerdem für weitere Textprodukte (z.B. Schulbuchtexte) herangezogen werden, um Adressatenorientierung einzuschätzen. Paper Session
Leistungsfach Naturwissenschaft und Technik (NwT) - Inhaltsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in der gymnasialen Oberstufe Universität Stuttgart, Deutschland In nationalen und internationalen Bildungsinstitutionen wird die Notwendigkeit betont, bei Bürger:innen zukunftsrelevante Kompetenzen zu fördern, um ihnen eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft zu ermöglichen [z. B. 5, 7]. Die zu fördernden Kompetenzen im Sinne einer technischen Mündigkeit sind in einigen Rahmenwerken [9, 16, 17] festgehalten. Sie wirken sich nicht zuletzt auf neue und etablierte Schulfächer aus. Dennoch existieren nur wenige (interdisziplinäre) Fächer im deutschen Schulsystem, die Technik ganzheitlich betrachten [18]. Ein Fächeransatz aus Baden-Württemberg ist das Schulfach Naturwissenschaft und Technik (NwT) am allgemeinbildenden Gymnasium. Als Profilfach ist es seit 2007 in der Sekundarstufe I (Klasse 8 – 10) etabliert. Mit dem im Schulversuch befindlichen Leistungsfach wird den Schüler:innen im Sinne einer technischen Allgemeinbildung eine Anknüpfung in der Sekundarstufe II mit Abitur ermöglicht. Gleichzeitig wirft die Neueinführung eines Schulfachs Fragen zu dessen Umsetzung und Wirkung auf. Jedoch liegen nur wenige empirische Befunde zur Wirkung interdisziplinärer natur- und technikwissenschaftlicher Fächer am allgemeinbildenden Gymnasium vor [vgl. 3]. Ausgehend vom Angebots-Nutzungs-Modell nach Seidel [14] und vielfältig belegten allgemeinen Zusammenhängen [u. a. 6] zwischen den einzelnen Elementen der Angebots-, Nutzungs- und Ergebnisebene stehen für die Entwicklung inhaltsbezogener Kompetenzen neben den Rahmenbedingungen auf der Angebotsebene die kognitiven Einflussfaktoren [vgl. z. B. 13] primär im Fokus der Arbeit [3]. Die Operationalisierung der inhaltsbezogenen Kompetenzen über das Fachwissen orientiert sich dabei am Kompetenzmodell von Kauertz und Kolleg:innen [8] wobei für die Testentwicklung auf inhaltlicher Ebene die Bildungspläne des Profilfachs (Vorwissen aus der Mittelstufe) [11] und des Leistungsfachs (Fachwissen) [1] berücksichtigt werden. Das kognitive Anforderungsniveau der Aufgaben orientiert sich an den Operatoren der EPA-Technik [2]. Der vorliegende Beitrag nimmt die Forschungsdesiderate zur Wirkung des Leistungsfachs NwT auf und klärt die nachfolgenden Forschungsfragen anhand der zentralen Befunde aus der Dissertationsschrift des Autors:
Die Messung inhaltsbezogener Kompetenzen erfolgt stellvertretend über das Fachwissen der Schüler:innen. Dazu werden unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen Testinstrumente zum Vorwissen und Fachwissen der Schüler:innen nach der klassischen Testtheorie [s. z. B. 12] entwickelt und pilotiert. Für den Ausbau des Analysepotenzials der Skalen werden diese nach Erhalt der Daten aus zwei Erhebungsdurchgängen mittels Rasch Modellierung [10] ausgewertet. Auf Basis der geschätzten Personenfähigkeit sollen Kompetenzniveaus identifiziert werden. Zur Differenzierung der Stichprobe wird dazu das Verfahren der k-means Clusteranalyse gewählt [15]. Ergänzend zum Fachwissen flankiert die Messung der fluiden Intelligenz mittels CFT 20-R [19] die kognitiven Einflussfaktoren basierend auf der Theorie von Cattell [4]. Die Ergebnisse der Testung von nmax = 140 (w = 9.3 %, m = 90.7 %) belegen, dass sich über den Verlauf der Kursstufe eine Entwicklung des Fachwissens bei den Schüler:innen vollzieht. Gleichzeitig kann der Einfluss der kognitiven Merkmale der fluiden Intelligenz auf das Vorwissen (βIQ-VW = .495) und der Einfluss des Vorwissens auf das Fachwissen (βVW-FW = .374) durch eine vollständige Mediation (βa*b = .185) bestätigt werden. Darüber hinaus lassen sich drei trennscharfe Kompetenzniveaus über die Clusteranalyse identifizieren und anhand der kognitiven Merkmale charakterisieren. Im Vortrag werden die erhaltenen Befunde reflektiert und diskutiert, in den Kontext der bisherigen Forschung eingeordnet und Implikationen für die Bildungsadministration und die schulische Praxis abgeleitet. Paper Session
Schwierigkeitsbestimmende Aufgabenmerkmale bei Prüfungsaufgaben im technischen Bereich Universität Hamburg, Deutschland Prüfungsaufgaben spielen für die Beurteilung von Kenntnislagen Auszubildender eine entscheidende Rolle. Sie sollen die Leistungen von Individuen sowie Leistungsunterschiede in Gruppen valide erfassen. Die Kenntnislage zur Messgüte von Prüfungsaufgaben in der technischen Berufsbildung ist jedoch überschaubar (Ausnahmen bilden Untersuchungen zu schwierigkeitsbestimmenden Aufgabenmerkmalen insbesondere im beruflichen Bildungsbereich, z.B. Schumann & Eberle 2011; Nickolaus 2014). Insbesondere hinsichtlich nichtfachlicher Anforderungen ist die Kenntnislage im technischen Bereich ungenügend. Mehrere Studien zeigen, dass gerade Lesekompetenzen bei Berufsschüler/innen schwach ausgeprägt sind (z. B. Lehmann & Seeber 2007), wodurch sie einen starken Einfluss auf die Prüfungsergebnisse haben. In der Teilstudie 3 des Projekts TechKom (Technologiebasierte Kompetenzmessung und -förderung in der Erstausbildung in der Elektro- und Metalltechnik; Förderkennzeichen: 21AP011) werden Aufgabenmerkmale hinsichtlich benötigter Lesekompetenzen untersucht und die Bild-Text-Integration (z.B. Mayer & Moreno 2007; Schnotz & Bannert 2003) sowie die Textverständlichkeit (z.B. Brünken et al. 2005; Rabe & Mikelskis 2007) fokussiert. Unter dem Aufgabenmerkmal Textverständlichkeit wird in Teilstudie 3 u.a. die fakultative Kohärenzbildungshilfe, die Textlänge sowie die Anzahl der Fachbegriffe definiert. Als Bild-Text-Integration wird in Teilstudie 3 die räumliche Nähe der Informationen von Text und Bild oder der Split-Attention-Effekt definiert. Lesekompetenzen wurden bisher für den allgemeinbildenden Bereich betrachtet (z.B. Ropohl, Walpuski & Sumfleth 2015), für die technische Berufsbildung konnten nur wenige Quellen identifiziert werden (z.B. Kühn 2016). Die Teilstudie 3 des Forschungsprojekts TechKom untersucht schwierigkeitsbestimmende Merkmale von Aufgaben in den theoretischen Abschlussprüfungen der Ausbildungsberufe Mechatroniker/in, Konstruktionsmechaniker/in und Elektroniker/in für Automatisierungstechnik. Dazu wurden alle gebundenen Prüfungsaufgaben der PAL (Prüfungsaufgaben und Lehrmittelentwicklungsstelle der IHK Region Stuttgart) zu den drei genannten Berufen aus dem Zeitraum 2016 bis 2020 bezüglich schwierigkeitsbestimmender Merkmale analysiert (z. B. Lesbarkeitsindex (LIX), Bild-Text-Integration, Split-Attention-Effekt). Hinsichtlich der fokussierten Merkmale variierbare Aufgaben wurden anschließend modifiziert. Im Rahmen einer Interventionsstudie soll die Forschungsfrage beantwortet werden, ob variierte und nicht variierte Aufgaben Unterschiede in den IRT-Itemparametern aufweisen. Zu diesem Zweck wurden für jede ausgewählte Aufgabe drei Varianten erstellt, hinsichtlich 1) Textverständlichkeit, 2) Bild-Text-Integration und 3) die Kombination aus 1) und 2) und diese Auszubildenden der genannten Berufe kurz vor Ihrer Abschlussprüfung zur Bearbeitung vorgelegt. Im Vortrag werden theoretische Grundlagen, das Untersuchungskonzept sowie Ergebnisse der Hauptstudie präsentiert. Ergänzend dazu werden das entwickelte Testheftdesign sowie das digitale Erhebungsformat vorgestellt. Es liegen Daten zu allen drei o.g. Berufen vor, die klassisch und probabilistisch analysiert wurden. Präsentiert werden Daten von 376 Mechatroniker/innen. Der Einfluss der variierten Aufgabenmerkmale kann bestätigt werden, die Richtung des Einflusses (Itemparameter höher oder niedriger) ist jedoch nicht eindeutig. Diese Befundlage soll mit den Teilnehmenden diskutiert werden. Dabei soll die Diskussion sowohl die empirischen Befunde als auch die theoretischen Grundlegungen behandeln. Der Multimediaeffekt (z.B. Mayer 2009), als ein grundlegender Effekt der Zwei-Kanal-Theorie für die Bild-Text-Integration beschreibt z.B. den positiven Einfluss der parallelen Darbietung von visuellen und symbolischen Stimuli gegenüber rein symbolischen Stimuli. In Analysen der Daten aus Teilstudie 3 auf Aufgabenebene kann diese Theorie teilweise bestätigt werden, teilweise zeigen sich gegenteilige Befunde. So ergeben sich für manche Aufgaben nach Hinzufügen einer Abbildung zur Unterstützung der Entwicklung eines mentalen Modells niedrigere IRT-Itemparameter (die Aufgabe wird leichter), bei anderen Aufgaben wird der IRT-Itemparameter höher (die Aufgabe schwerer). Neben den statistischen Analysen der benannten Daten stellen wir daher auch Analyseergebnisse aus Validierungsbefragungen von fachlichen Expertinnen und Externen vor. Der Beitrag kann dem Bereich „Bildung verstehen“ des Tagungsmottos zugeordnet werden. Die Analysen der Teilstudie 3 werden auch vor dem Hintergrund subgruppenspezifischer Einflüsse durchgeführt und die erlangten Befunde in die Diskussion eingebunden. Paper Session
Modellierungsfähigkeiten als Konstrukt zur Beschreibung von Kompetenzen im Ingenieurstudium 1Universität Duisburg-Essen; 2Universität Hamburg, Deutschland Empirische Untersuchungen zu Bildungsverläufen im tertiären Bildungsbereich sind innerhalb der empirischen Bildungsforschung generell eher eine Seltenheit. Noch seltener ist das Ingenieurstudium Gegenstand bildungswissenschaftlicher Untersuchungen. Dabei wird gerade das Ingenieurstudium von jungen Menschen überdurchschnittlich oft als Hochschulbildungsweg gewählt (statista 2023). Ausnahmen für bildungswissenschaftliche Untersuchungen im Ingenieurbereich bilden u.a. die Forschungsprojekte KoM@ING und KOM-ING (beide BMBF-Förderlinie KoKoHs (KOKOHS 2023)) sowie die DFG-Forschergruppe ALSTER in der ersten Phase (ALSTER 2023). Die Projekte KoM@ING und KOM-ING fokussierten beide die Entwicklung und empirische Prüfung erster Struktur- und Niveaumodelle zu fachlichen Kompetenzen in der ersten Phase des Ingenieurstudiums und betrachteten dabei u.a. das Fach Technische Mechanik (TM). In der ALSTER-Untersuchung geht es um Prädiktoren des Studienerfolgs in naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen. Untersucht werden Aspekte des Studienbeginns (z.B. Fachliches Wissen, Motivation, Lernstrategien) und deren Einflüsse auf empirisch erfassbare Aspekte des Studienerfolgs (z.B. Fachnoten aus Klausuren, Studienabbruch, Leistungen in Fachtests). Für den Bereich der technischen Studiengänge wird der Studiengang Bauingenieurwesen untersucht und hierbei ebenfalls das Fach Technische Mechanik (TM) fokussiert. Für die Messung der fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten in diesem Fach wurden theoretische Grundlagen und darauf aufbauend Testinstrumente entwickelt. Eine grundlegende Annahme der ALSTER-Untersuchung ist, dass neben dem fachlichen und mathematischen Wissen insbesondere die Fähigkeit zur fachspezifischen Mathematisierung den Studienerfolg im Fach TM erklärt. Kenntnisse und Fähigkeiten in der TM sind auf die Bearbeitung von Aufgaben zur TM ausgerichtet. Für die Bearbeitung dieser Aufgaben sind verschiedene Bearbeitungsschritte durchzuführen, die sich mit Prozessen eindeutig beschreiben lassen (z.B. Magnus & Müller-Slany 2009; Müller-Slany 2018). Dabei ist der Umgang mit Modellen (z.B. mathematisches Modell) eine wesentliche Fähigkeit. Nach Müller-Slany (2018) ist für in der heutigen TM-Lehre eingesetzte Aufgaben insbesondere die Mathematische Modellbildung unter Berücksichtigung fachspezifischer Prinzipien und Methoden bedeutsam. In Anlehnung an Modelle zur mathematischen Modellierung (z.B. Borromeo Ferri, Greefrath & Kaiser 2013; Greefrath & Maaß 2020) und zur physikalisch-mathematischen Modellierung (z.B. Trump 2016) wurde innerhalb der DFG-Forschergruppe ALSTER für die TM und die Fähigkeit fachspezifischer Mathematisierung ein Modell fachlich-mathematischer Modellierung entwickelt, empirisch geprüft sowie Zusammenhänge mit verschiedenen psychologischen Variablen analysiert. Im Vortrag werden Ergebnisse der Modellanalysen vorgestellt. Dabei wird insbesondere auf die empirische Modellprüfung der fachlichen Konstrukte Fachwissen und Modellierungsfähigkeit sowie auf Zusammenhänge mit psychologischen Variablen eingegangen. Zu diesen psychologischen Variablen gehören u.a. das akademische Selbstkonzept (SESSKO; Schöne, Dickhäuser, Spinath & Steinsmeier-Pelster 2002), die kognitive Grundfähigkeit (KFT; Heller & Perleth 2000) und die Selbstwirksamkeitserwartung (u.a. SWE; Jerusalem & Schwarzer 1999). Es liegen längsschnittliche Daten von rund 180 Studierenden des Bauingenieurwesens aus deren ersten Semestern des Studiums vor, die im Zuge der Haupterhebungen der ALSTER-Untersuchung zu zwei Messzeitpunkten erhoben wurden. Die Stichprobengröße sowie die Vollständigkeit der Datensätze ermöglichen den Einsatz u.a. von längsschnittlichen und mehrdimensionalen IRT-Modellen sowie Strukturgleichungsmodellierungen. Wesentliche Ergebnisse der Analysen sind signifikante Zuwächse in den Fachkonstrukten zwischen den beiden Messzeitpunkten. Darüber hinaus zeigen sich mehrdimensionale IRT-Modelle der drei Fachkonstrukte „Fachwissen“, „Modellierungsfähigkeit“ und „mathematisches Wissen“ besser auf die Daten passend als eindimensionale IRT-Modelle. Strukturgleichungsmodellierungen zeigen, dass sich der Studienerfolg am Ende des ersten Semesters zusätzlich durch fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten zu Messzeitpunkt 1 erklären lässt. Damit bestätigt sich die Bedeutung des fachspezifischen Vorwissens auch in dieser Untersuchung. Mit den Zuhörenden werden wir die Angemessenheit der gewählten statistischen Verfahren zur Beantwortung der Forschungsfragen sowie weitere Analysepotentiale der verfügbaren Daten diskutieren. Der Beitrag kann primär dem Bereich „Bildung verstehen“ des Tagungsmottos zugeordnet werden. Die im Projekt erreichte Stichprobe lässt subgruppenspezifische Analysen zu, die für die Diskussionen um diversitätssensible Lernverläufe Beiträge liefern kann. So beinhaltet die Stichprobe statistisch bedeutsame Anteile weiblicher und männlicher Studierender sowie von Studierenden mit und ohne Deutsch als Muttersprache. Die Prädiktion des Studienerfolgs werden im Vortrag daher auch mit dem Hintergrund diverser Studierendenmerkmale diskutiert. |
13:10 - 14:50 | 5-21: DFG-Förderung in der Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung: Aktuelle Informationen zu Förderprogrammen, Antragstellung und Begutachtungs- und Entscheidungsverfahren Ort: S25 |
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Paper Session
DFG-Förderung in der Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung: Aktuelle Informationen zu Förderprogrammen, Antragstellung und Begutachtungs- und Entscheidungsverfahren Deutsche Forschungsgemeinschaft, Deutschland Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ist die zentrale Selbstverwaltungseinrichtung der Wissenschaft zur Förderung der Forschung an Hochschulen und öffentlich finanzierten Forschungsinstitutionen in Deutschland. Im Jahr 2022 hat die DFG Forschungsvorhaben den Bereich Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung mit ca. 11 Mio. Euro gefördert und ist damit für Forschende eine wesentliche Quelle für Drittmittel. Im Rahmen der Veranstaltung werden aktuelle Informationen zu den Förderprogrammen der DFG, zur Antragstellung und zu den Begutachtungs- und Entscheidungsverfahren präsentiert. Welche Forschungsvorhaben können mit welchen Förderinstrumenten unterstützt werden? Welche Formalia sollten bei der Antragstellung beachtet werden? Wann brauche ich ein Ethikvotum für die Antragstellung? Wie sollte ein „guter“ Antrag aufgebaut sein? Wie können nationale und internationale Kooperationen umgesetzt werden? Nach welchen Kriterien wird begutachtet? Wer sind die Gutachterinnen und Gutachter? Wie sieht der weitere Entscheidungsprozess aus? Zudem besteht die Möglichkeit, mit der Vertreterin der DFG-Geschäftsstelle über Fragen und Probleme bezüglich der Einwerbung von DFG-Mitteln zu diskutieren. |
14:50 - 15:20 | Kaffeepause Ort: Foyer Haus 6 |
15:20 - 17:00 | 6-01: Alternative Qualifikationswege für Lehrkräfte ohne traditionelles Lehramtsstudium in Zeiten des Lehrkräftemangels Ort: H05 |
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GEBF-Panel
Alternative Qualifikationswege für Lehrkräfte ohne traditionelles Lehramtsstudium in Zeiten des Lehrkräftemangels 1Universität Potsdam, Deutschland; 2Bergische Universität Wuppertal; 3Landesinstitut für Schule und Medien Brandenburg; 4Deutscher Philologenverbandes; 5Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg; 6Freie Universität Berlin Die Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF) hat eine Stellungnahme zu alternativen Wegen zum Beruf der Lehrkraft verfasst, die seit mehreren Jahren in vielen Bundesländern eingeführt wurden, um dem Lehrkräftemangel zu begegnen. Diese alternativen Qualifikationswege sind mittlerweile keine „Notlösungen“ mehr, sondern verfestigen sich und haben angesichts der steigenden Zahl an Teilnehmenden Auswirkungen auf das gesamte System der Lehrkräftebildung. Im Panel werden existierende Qualifikationswege diskutiert, deren Ziel es ist, dem Lehrkräftemangel zu begegnet. Dabei steht die Frage der Anbindung an Universitäten, die wissenschaftliche Orientierung der Qualifikationswege und die Einhaltung von etablierten Qualifikationsstandards im Vordergrund. Wir streben eine rege Diskussion und Talkrunde unter den Beteiligten an in der Vertreter:innen des GEBF-Vorstandes, der empirischen (Lehrkräfte-)Bildungsforschung, der Bildungspolitik (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg), der dritten Phase der Lehrkräftebildung (Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg) und der Lehrkräfte (Deutscher Philologenverband e.V.) miteinander zum Thema der alternativen Qualifikationswege für Lehrkräfte ins Gespräch kommen. |
15:20 - 17:00 | 6-02: Die Herausforderung der empirischen Erfassung von Nutzungsprozessen als Teil von Unterrichtsqualität: Chancen und Grenzen unterschiedlicher Ansätze Ort: H04 |
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Symposium
Die Herausforderung der empirischen Erfassung von Nutzungsprozessen als Teil von Unterrichtsqualität: Chancen und Grenzen unterschiedlicher Ansätze Inwiefern Unterricht lernwirksam ist, hängt sowohl von unterrichtlichen Lerngelegenheiten als auch deren Nutzung durch die Schüler*innen ab. Diese Auffassung hat sich in der quantitativ-empirischen Unterrichtsforschung mit der Etablierung der Angebots-Nutzungs-Modelle durchgesetzt, die den Unterricht als interaktive Ko-Konstruktion von Lehrpersonen, Schüler*innen und dem Unterrichtsgegenstand konzeptualisieren (Vieluf et al., 2020). Um die Wirksamkeit von Unterricht nachvollziehen zu können, ist es demnach wesentlich, schüler*innenseitige Nutzungsprozesse zu verstehen. Zeitgleich gibt es über allgemeine Aussagen zur Bedeutsamkeit von Nutzungsprozessen hinaus bislang erstaunlich wenig empirische Forschung zu diesen Prozessen. Deren Erfassung stellt in verschiedener Hinsicht eine Herausforderung dar: So sind kognitive Verarbeitungsprozesse in der Unterrichtssituation nicht direkt beobachtbar und beobachtbare Aspekte der Nutzung, wie eine aktive Beteiligung am Unterricht, ermöglichen nur indirekt Rückschlüsse auf die Nutzung der Lernenden. Dieses Symposium setzt an diesem Desiderat an und beleuchtet Möglichkeiten der empirischen Erfassung von Nutzungsprozessen aus dreierlei Richtungen: mittels Schüler*inneneinschätzungen, mittels Beobachtungen sowie mittels Eye-Tracking. Dazu nutzen die Beiträge jeweils empirische Beispiele, anhand derer sie die Chancen und Grenzen der jeweiligen Herangehensweise in den Blick nehmen. Der erste Beitrag greift die Möglichkeit der Erfassung von Nutzungsprozessen durch Selbstauskünfte der Schüler*innen auf. Hierfür werden zwei unterschiedliche Fragebogenkonzeptionen vorgestellt, die sich sowohl hinsichtlich der Itemformulierungen, des Zeitpunktes und der Häufigkeit des Einsatzes sowie der dahinterliegenden theoretischen Struktur von Nutzung unterscheiden. Auf der Grundlage der Ergebnisse in Bezug auf den ersten Fragebogen, in dem die Nutzung parallel zu den gebräuchlichen angebotsbezogenen Unterrichtsqualitätsdimensionen skaliert wurde, wird ein theoretisches Modell zu Nutzungsprozessen vorgestellt, auf dem die Konzeption des zweiten Fragebogens aufbaut. Die unterschiedlichen Fragebogenkonzeptionen und diesbezügliche Befunde werden kontrastierend dargestellt und diskutiert. Mit einer videobasierten Herangehensweise zur Untersuchung von behavioralen Nutzungsprozessen der Schüler*innen beschäftigt sich der zweite Beitrag. In zwei Studien wird die Nutzung durch hoch-inferente und niedrig-inferente Ratings untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Unterrichtsstörungen und das Engagement auf Klassenebene sowie schüler*innengesteuerte Beteiligungsprozesse auf Individualebene durch Beobachtungen reliabel und valide erhoben werden können. Zudem werden signifikante Zusammenhänge zwischen der beobachteten Schüler*innenbeteiligung und der selbstberichteten Nutzung durch die Lernenden vorgestellt. Daran anschließend thematisiert der dritte Beitrag die Erfassung von Aufmerksamkeit als Aspekt der Nutzung durch die Analyse des Blickverhaltens der Schüler*innen. In der Studie wurde das Blickverhalten der Lernenden in einem virtuellen Klassenzimmer aufgezeichnet und in experimenteller Manipulation im Klassenzimmer untersucht, inwiefern die Aufmerksamkeit durch die eigene Sitzposition sowie das Meldeverhalten von Mitschüler*innen beeinflusst wird. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Aufmerksamkeit besonders dann auf die sich meldenden Schüler*innen gerichtet wird, wenn sich besonders viele oder besonders wenige melden. Überdies zeigen sich negative Zusammenhänge zwischen dem wahrgenommenen Meldeverhalten und dem berichteten Interesse. In der Diskussion werden die Möglichkeiten und Herausforderungen der unterschiedlichen Herangehensweisen zusammenfassend vor dem Hintergrund des im ersten Beitrag vorgestellten theoretischen Modells beleuchtet und Implikationen für die weitere empirische Erforschung von Nutzungsprozessen abgeleitet. Beiträge des Symposiums Erfassung der Nutzung von Lerngelegenheiten im Unterricht aus Schüler*innensicht Theoretischer Hintergrund Unterricht wird als Ko-Konstruktion von Lehrpersonen, Schüler*innen und dem Unterrichtsgegenstand verstanden (Vieluf et al., 2020). Unterrichtsangebote führen dabei nicht zwangsläufig zu Lernfortschritten, da Lernerfolge unter anderem über die Nutzung durch die Lernenden mediiert werden. Bislang lag der Fokus der Unterrichtsqualitätsforschung auf der Untersuchung von Angebotsdimensionen, die mit kognitiven sowie motivational-emotionalen Wirkungen bei den Schüler*innen zusammenhängen, die Struktur der Nutzungsprozesse ist demgegenüber wenig untersucht. Schüler*inneneinschätzungen gelten nebst der Beobachtenden- und Lehrpersonenperspektive als bedeutsam zur Erfassung von Unterrichtsqualität (Lenske & Praetorius, 2020). Dabei stellen Fragebogen eine häufig eingesetzte und forschungsökonomisch effiziente Erhebungsmethode dar. Bisherige Instrumente erheben meist nur das Unterrichtsangebot (z.B. Bertram, 2019; Ferguson, 2012). Wird auch die Nutzung erfasst, werden größtenteils Items für das Angebot und die Nutzung ohne offensichtliche Systematik kombiniert (z.B. Gärtner et al., 2022; Rakoczy et al., 2022), was spezifische Aussagen über die Nutzungsprozesse erschwert. Nur einzelne Fragebogen fokussieren ausschließlich die individuellen Nutzungsprozesse (z.B. Chandra Handa, 2020; Jansen et al., 2022), wählen als Beurteilungszeitraum allerdings mehrere Stunden oder den Unterricht allgemein, was für die Schüler*innen einen unklaren Bezugspunkt darstellen kann. Fragestellung Dieser Beitrag beschäftigt sich in zwei Teilstudien mit den Fragen (1) welche theoretische Struktur den Nutzungsprozessen zugrunde liegt und (2) welche Chancen und Schwierigkeiten mit der fragebogenbasierten Erfassung von Nutzung einhergehen. Hierfür werden zwei Herangehensweisen mit Schüler*innenfragebogen kontrastiert. Teilstudie 1 Methode Basierend auf der umfassenden, siebendimensionalen Konzeptualisierung von Unterrichtsqualität nach Praetorius und Charalambous (2018) wurde ein Beurteilungsinstrumentarium für Unterrichtsqualität entwickelt, das neben dem Angebot mittels Beobachtungsbogen die Nutzungsperspektive mittels Schüler*innenfragebogen erfasst (Rogh et al., 2020). Der Fragebogen deckt analog zum Angebot sieben Qualitätsdimensionen (Klassenführung, motivational-emotionale Unterstützung, Auswahl und Thematisierung der Inhalte, kognitive Aktivierung, Unterstützung des Konsolidierens, Beurteilung und Feedback, Umgang mit Heterogenität) mit je 3-4 Items ab. Deren Formulierung verweist durchweg auf die individuelle Nutzung der Schüler*innen und nimmt jeweils eine ganze Unterrichtslektion in den Blick (z.B. Ich habe gut zugehört). Das Instrumentarium wurde an N=18 Deutschschweizer Primar- und Sekundarschulen (N=112 Unterrichtsstunden; N=1214 Schüler*innen) eingesetzt. Die siebendimensionale Struktur des Fragebogens wurde in Mplus mittels konfirmatorischer Faktoranalysen gegen ein eindimensionales Modell getestet. Ergebnisse Die Fit-Statistiken zeigten für das eindimensionale Modell eine unzureichende Passung (χ2=5213.21; df=231; p<.001; CFI=.86; RMSEA=.06). Das Sieben-Faktoren-Modell wies signifikant bessere Werte auf (χ2=534.96; df=188; p<.001; CFI=.93; RMSEA=.05). Jedoch fallen im siebendimensionalen Modell die quadrierten Faktorinterkorrelationen höher aus als die mittleren quadrierten Ladungen (Fornell & Larcker, 1981). Zudem liegen die Itemladungen bei der Dimension kognitive Aktivierung unter .50. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Nutzung unter Verwendung dieser Items weder parallel zum Angebot noch einfaktoriell modelliert werden kann. Teilstudie 2 In der zweiten Teilstudie wird ausgehend von Schlussfolgerungen aus der ersten Untersuchung eine alternative theoretische Herangehensweise erprobt. Unter Bezug auf bestehende Informationsverarbeitungsmodelle (z.B. Klauer & Leutner, 2012) wurde ein theoretisches Modell für individuelle Nutzungsprozesse erarbeitet, das die Aufmerksamkeit und Verarbeitung sowie emotional-motivationale und metakognitive Prozesse umfasst. Es wird davon ausgegangen, dass diese Aspekte unabhängig vom Lernangebot in jeder Unterrichtssituation erfolgen und für die Fragebogenerhebung den Lernenden kognitiv zugänglich sind. Methode Auf dieser theoretischen Grundlage wurde ein Fragebogen mit sechs bipolaren Items (z.B. motiviert – unmotiviert) entwickelt. Diese Items werden zunächst in einer qualitativen Studie mittels experimentell variierten Videovignetten und kognitiven Interviews an N=18 Schüler*innen der Primar- und Sekundarstufe getestet, bevor eine Pilotierungserhebung in N=6 Schulen mittels Experience Sampling in unterschiedlichen Unterrichtssituationen geplant ist. Die wiederholte Messung innerhalb einer Unterrichtsstunde gewährt zusätzlich Einblick in den zeitlichen Verlauf von Nutzungsprozessen sowohl auf Individual- wie auch Klassenebene (Zirkel et al., 2015). Ergebnisse Erste Ergebnisse dieser Teilstudie werden im Beitrag vorgestellt. In der Gesamtdiskussion werden Möglichkeiten und Herausforderungen des fragebogenbasierten Zugangs zu Nutzung beleuchtet und Schlüsse für die weitere Verwendung von Schüler*innenfragebogen zu deren Erfassung gezogen. Videobasierte Erfassung von Nutzungsprozessen Theoretischer Hintergrund Geht es um die „Nutzung“ des Unterrichtsangebots durch die Schüler*innen, so sind damit kognitive Prozesse gemeint, die sowohl Lernen einschließen als auch das motivationale und emotionale Erleben der Schüler*innen (Vieluf et al. 2020, S. 70). In der internationalen Literatur werden solche Prozesse meist als „Engagement“ diskutiert (Rimm-Kaufmann et al., 2015), wobei dort neben kognitivem und emotionalem auch ein behaviorales Engagement (Troll et al., 2020) konzeptualisiert ist. Wenn Nutzungsprozesse objektiv erfasst werden sollen (also nicht durch Schüler*innen-Selbstberichte), so stellt sich die Frage nach validen Indikatoren, an denen Nutzungsprozesse von außen festgemacht und operationalisiert werden können. Die „aktive Beteiligung“ von Schüler*innen am Unterrichtsgespräch ist beispielsweise als ein möglicher Indikator für (inner-psychische) Nutzungsaktivitäten diskutiert worden (Decristan et al., 2020; Decristan, Jansen & Fauth, 2023). Im Beitrag werden empirische Befunde zu zwei Ansätzen berichtet, die jeweils versuchen, Nutzungsprozesse mittels Videobeobachtungen zu erfassen: Einmal mittel high-inference Ratings auf der Klassenebene (Studie 1) und einmal mittels Kodierungen der schüler*innengesteuerten Beteiligung am Unterricht auf der Individualebene (Studie 2). Studie 1: Hoch-inferente Ratings der Nutzung des Unterrichtsangebots auf der Klassenebene Fragestellung Lässt sich das Nutzungsverhalten von Schülerinnen und Schülern auf der Klassenebene mittels high-inference Ratings reliabel und valide erfassen? a.) Lässt sich in den Ratings eine hinreichend hohe Übereinstimmung erzielen? (Reliabilität) b.) Welche Zusammenhänge zeigen sich zwischen Ratings der Nutzungsindikatoren und bereits bestehenden Ratings ähnlicher Indikatoren? (Validität) Methode N = 10 trainierte Rater*innen beurteilten zehn Unterrichtssequenzen aus der TALIS-Videostudie (5 Minuten Clips). Dieselben Rater:innen schätzten danach N = 34 Unterrichtsvideos (45 Minuten) aus der Pythagoras-Studie ein. Als Übereinstimmungsmaß wird der Average Absolute Deviation Index (ADm) berechnet, der die mittlere Abweichung vom Gruppenmittelwert in der Metrik der Skala (vierstufig) angibt (d.h. niedrige Werte = hohe Übereinstimmung). Ergebnisse Die mittlere Übereinstimmung war zufriedenstellend für die Items Engagement der Schülerinnen (ADm = .43) und Störungen (ADm = .20). Auch die Übereinstimmung mit Masterratings anhand von fünf Videos war gut (ADm = .36 bzw. .19). Insgesamt fallen die Beobachtungsübereinstimmungen für die Items, die auf das Verhalten der Schüler*innen zielen, besser aus als für Items, die auf das Verhalten der Lehrkraft zielen. Es zeigten sich darüber hinaus signifikante Korrelationen mit den korrespondierenden Ratingskalen aus der Pythagoras Studie (r = .47 für Engagement und r = .78 für Störungen). Die Ergebnisse können als Hinweis interpretiert werden, dass schüler*innenseitige Nutzungsprozesse auch mit high-inference Videoratings erfasst werden können. Studie 2: Niedrig-inferente Kodierungen der Nutzung des Unterrichtsangebots auf der Individualebene Fragestellung Lässt sich das Nutzungsverhalten von Schülerinnen und Schülern auf der Individualebene mittels der Kodierung von Beteiligungsprozessen erfassen? a.) Welche Zusammenhänge der schüler*innengesteuerten Beteiligung zeigen sich mit der selbstberichteten Nutzung des Unterrichtsangebots? b.) Welche Zusammenhänge zeigen sich zwischen der Beteiligung der Schüler*innen und deren Leistungsentwicklung? Methode Die Stichprobe setzte sich aus N = 932 Schüler*innen aus 40 Klassen der TALIS-Videostudie zusammen. Kodiert wurden in 10 Minuten Klassengespräch pro Klasse N = 855 Beteiligungen und N = 3850 weitere Meldungen. Ergebnisse In Mehrebenen-Regressionsanalysen hing die schüler*innengesteuerte Beteiligung (Meldung und verbaler Beitrag) auf der Ebene innerhalb von Klassen signifikant mit den selbstberichteten Nutzungsindikatoren Time on task (β = .14, SE = .03), kognitive Aktiviertheit (β = .14, SE = .04) und Selbstbestimmungserleben (β = .17, SE = .04) zusammen. Die schüler*innengesteuerte Beteiligung hing signifikant mit der Leistung im Post-Test zusammen (β = .11, SE = .04). Auch hier weisen die Ergebnisse darauf hin, dass mit den Videokodierungen individueller Beteiligungen valide Nutzungsindikatoren erhoben werden können. Fazit Die Grenzen der videobasierten Erfassung von – per Definition innerpsychischen – Nutzungsprozessen liegen auf der Hand. Allerdings kann auf Grundlage der vorliegenden Befunde argumentiert werden, dass das behaviorale Engagement der Schüler*innen durchaus als valider Indikator für Nutzungsprozesse erfasst und interpretiert werden kann. Aufmerksamkeit von Lernenden im virtuellen Klassenzimmer Die Frage wie Schülerinnen und Schüler ihre Aufmerksamkeit während des Lernens im Klassenzimmer steuern, auf welche Ereignisse sie ihre Aufmerksamkeit richten und welche Auswirkungen dies auf das Lernergebnis hat, ist naturgemäß schwer zu beantworten. Klassische Untersuchungsansätze, wie Befragungen oder auch Unterrichtsbeobachtungen erlauben häufig keine ausreichend genaue Auflösung, um solche Prozesse im Klassenzimmer zu betrachten (Goldberg et al., 2021). Demgegenüber bieten Blickbewegungsmessungen eine vielversprechende Möglichkeit, um die Aufmerksamkeit von Lernenden verhaltensnah zu beschreiben und die Nutzung der verschiedenartigen Informationen durch Lernende im Klassenzimmer zu untersuchen (Jarodzka, Skuballa & Gruber, 2021). Vor diesem Hintergrund wurde ein virtuelles Klassenzimmer entwickelt (Hasenbein et al., 2023), welches es erlaubt die Aufmerksamkeit von Lernenden anhand von Blickbewegungsdaten im Rahmen eines standardisierten Untersuchungssettings zu untersuchen. Es wurde betrachtet, (a) inwiefern die Sitzposition der Lernenden einen Einfluss auf die Aufmerksamkeitslenkung der Lernenden hatte, (b) inwiefern Lernende ihre Aufmerksamkeit auf sich meldende Mitschülerinnen und Mitschüler, die Lehrkraft oder die Tafel richteten und (c) welche Konsequenzen sich daraus für das Lernerleben der Lernenden ergaben. Zudem wurde geprüft, inwieweit interindividuelle Unterschiede bezüglich der Zielorientierung von Lernenden die Aufmerksamkeitslenkung beeinflussten. Methode Genutzt wurden Daten von N = 381 Schülerinnen und Schülern der sechsten Klassenstufe von fünf Gymnasien in Baden-Württemberg. Die Schülerinnen und Schüler erlebten im virtuellen Klassenzimmer aus der Schülerperspektive eine etwa 12-münitige Unterrichtseinheit zum Thema „Sequenzen und Schleifen beim Programmieren“, in der eine virtuelle Lehrkraft wiederholt Fragen mit einem gehobenen Schwierigkeitsniveau an die Klasse richtete. Vor Beginn der Studie wurden die Schülerinnen und Schüler unterschiedlichen Studienbedingungen zugewiesen, die sich im Hinblick auf die Sitzposition (vorn vs. hinten) und den Anteil sich meldender Mitschülerinnen und Mitschüler (20% bis 80%) unterschieden. Zur Analyse der Blickbewegungen wurden Netzwerkanalysen durchgeführt. Darüber hinaus wurden die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler zum Ausmaß ihrer Zielorientierung (Gibbons & Buunk, 1999) im Unterricht (vor Beginn der VR-Unterrichtseinheit) und zum Interesse am Thema (nach Ende der Stunde) befragt. Zudem wurde ein Wissenstest zu den in der Unterrichtseinheit behandelten Inhalten durchgeführt. Ergebnisse und Diskussion Die Ergebnisse zeigten erstens, dass die Sitzposition einen Einfluss auf die Aufmerksamkeitslenkung hatte. Studienteilnehmende in einer vorderen Reihe richteten ihre visuelle Aufmerksamkeit eher auf die Lehrkraft und die Tafel, während Teilnehmende in einer hinteren Reihe stärker die sich meldenden Mitschülerinnen und Mitschüler in den Blick nahmen. Besonders stark ausgeprägt waren die Unterschiede bezüglich der Wahrnehmung männlicher Mitschüler. Zweitens zeigten die Ergebnisse, dass die Wahrnehmung von Meldungen abhängig vom Anteil der sich meldenden Schülerinnen und Schüler war. Meldungen wurden vor allem dann registriert, wenn sich entweder wenige (d.h. 20%) oder viele Mitschülerinnen und Mitschüler (80%) meldeten. Darüber hinaus war der Anteil wahrgenommener Meldungen negativ mit dem Interesse an der Unterrichtseinheit assoziiert (r = -.14, p < .05). Wiederum waren die Zusammenhänge besonders deutlich, wenn männliche Mitschülerinnen und Mitschüler im Zentrum der Aufmerksamkeit standen. Bezogen auf den Wissenstest ergab sich ebenso ein negativer Zusammenhang (r = -.12, p = .07), der jedoch nicht statistisch signifikant war. Zudem zeigte die individuelle Zielorientierung keine Effekte auf die Aufmerksamkeitslenkung und das daraus resultierende Interesse und Wissen. Insofern legen die Ergebnisse nahe, dass Blickbewegungsmessungen durchaus vielversprechend sind, um die Aufmerksamkeit von Lernenden im Klassenzimmer in differenzierter Weise zu beschreiben. Der gewählte Ansatz eines standardisierten Untersuchungssettings macht es darüber hinaus möglich, die Bedeutung unterschiedlicher Aufmerksamkeitsobjekte für den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern in systematischer Weise zu betrachten. |
15:20 - 17:00 | 6-03: Selbsttests, Lernverhalten und Leistung in der Hochschulbildung. Einblicke aus digitalen Verhaltensspurdaten und Selbstberichten Ort: H03 |
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Symposium
Selbsttests, Lernverhalten und Leistung in der Hochschulbildung. Einblicke aus digitalen Verhaltensspurdaten und Selbstberichten Viele Studierende haben zu Beginn ihres Studiums mit hohen Leistungsanforderungen und Durchfallquoten zu kämpfen (Faas et al., 2018). Die Leistungsprobleme werden unter anderem auf Motivationsprobleme und Schwierigkeiten beim Selbstregulierten Lernen von Studierenden zurückgeführt (Benden & Lauermann, 2022; Broadbent & Poon, 2015; Cogliano et al., 2022). Selbstreguliertes Lernen bezieht sich hierbei auf die Fähigkeit, den eigenen Lernprozess zu kontrollieren und zu steuern. Dazu gehören das Setzen von Zielen, das Überwachen von Fortschritten und das Anpassen von Strategien, was letztendlich zu akademischem Erfolg und einem tiefen Verständnis des Lernstoffs führt (Zimmerman, 1989). Eine Möglichkeit, die Leistung und Motivation der Studierenden zu verbessern, besteht somit darin, ihr selbstgesteuertes Lernen während des Studiums zu fördern, indem ihnen erweiterte digitale Lernmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, die das Lernen durch effektive Lerntechniken wie Selbsttests mit Feedback unterstützen. Dies erleichtert es den Studierenden, ihre Fortschritte zu überprüfen und ihre Lernstrategien anzupassen. Empirische Forschung zeigt, dass die aktive und regelmäßige Nutzung von Lernmaterialien und insbesondere die Verwendung von Selbsttests effektive Lernstrategien darstellen, die mit besseren Kursleistungen und geringeren Misserfolgsquoten im Hochschulkontext einhergehen (Yang et al., 2021). Einige Studien aus authentischen Hochschulkontexten deuten jedoch darauf hin, dass Studierende freiwillige Übungsaufgaben nur in geringem Umfang nutzen und meist erst kurz vor relevanten Deadlines oder Prüfungen anfangen zu lernen (Ifenthaler et al., 2022; Peverly et al., 2003, Schwerter et al., 2022). Ein zentrales Anliegen der empirischen Bildungsforschung ist es daher herauszufinden wie Studierende bei der Nutzung effektiver Lernstrategien im Studium unterstützt werden können. Das Symposium addressiert dieses Anliegen und beleuchted dabei zwei Übergeordnete Fragen: A) Welche Personenmerkmale sagen die Nutzung von Lernmaterialien und Selbsttests in Lernmanagementsystemen aus authentischen Vorlesungskontexten vorher (Beitrag 1 und 2)? Und B) Wie hängt die Nutzung verschiedener Lernmaterialien in den Lernmanagementsystemen mit der Testperformance und Kursleistung zusammen (Beitrag 1, 3, 4)? Damit gehen wir der allgemeinen Frage nach, wie wir Studierende dabei unterstützen können, ihr Lernen selbst in die Hand zu nehmen. Dies ist ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu mehr personalisiertem Lernen (in der Hochschulbildung). Alle vier Beiträge nutzen dabei digitale Verhaltensspurdaten aus verschiedenen Lernmanagementsytemen zur objektiven Erfassung des Lernverhaltens von Studierenden in Kombination mit Surveydaten (Beiträge 1 + 2) und Kursnoten (Beiträge 1, 3, 4). Die Studien nutzen Daten von vier unterschiedlichen Hochschulen in Deutschland. Beiträge 1 – 3 beinhalten Studien mit längsschnittlichen korrelativen Designs, während der vierte Beitrag ein Interventionsdesign mit within-person Randomisierung aufweist, das kausale Schlüsse über Zusammenhänge der Nutzung von Selbsttests mit Testleistung zulässt. Der erste Beitrag untersucht anhand der Daten aus zwei sozialwissenschaftlichen Vorlesungen, wie motivationale Überzeugungen mit der Nutzung von Lernressourcen (i.e., Vorlesungsfolien und Übungsquizze) und Kursleistung zusammenhängen. Der zweite Beitrag nutzt Daten aus einem intelligenten tutoriellen Lernsystem, das Studierende für die Vorbereitung einer Statistikklausur nutzen und untersucht Zusammenhänge von subjektiven Judgments of Learning (JOL) in Lernkapiteln mit der Lernpersistenz und Leistung der Studierenden. Der dritte Beitrag untersucht wie die aktive und passive Nutzung von verschiedenen Lernressourcen (z.B. Instruktionsvideos ansehen vs. Übungsaufgaben bearbeiten) mit dem Leistungserfolg der Studierenden zusammenhängt. Der vierte Beitrag untersucht anhand von Daten von Mathematikvorlesungen für Betriebswirte die Wirksamkeit einer Selbsttest-Intervention mit Within-Person-Randomisierung auf Leistungserfolg in geübten und ungeübten Testaufgaben. Nach einer kurzen Einführung durch die Vorsitzenden des Symposiums (3-5 Minuten) haben alle Sympsoiumsbeitragenden 15 Minuten Zeit, die jeweilige Studie vorzustellen und 1-2 Minuten für klärende Fragen. Im Anschluss wird der Diskutant als führender Experte auf dem Gebiet der Lernwissenschaften mit besonderen Schwerpunkten in Learning Analytics, Assessment und Feedback, sowie Educational Technology die Beiträge kritisch diskutieren. Das Symposium wird mit einer offenen Diskussion (5-10 Minuten) abgeschlossen. Beiträge des Symposiums Nutzen motivierte Studierende bessere Lernstrategien? Zusammenhänge zwischen Erfolgserwartungen und Wertüberzeugung mit der Nutzung von Lernmaterialien in Moodle Theoretischer Hintergrund: Regelmäßige Lernaktivitäten und die Nutzung von Selbsttests beim Lernen sind effektive Strategien für Lern- und Prüfungserfolg von Studierenden. Dennoch zeigen empirische Befunde, dass viele Studierende ungünstige Lernstrategien verwenden und Lernmaterialien oft erst kurz vor Prüfungen nutzen (Broadbent und Poon 2015; Ifenthaler et al. 2022). Die Motivationsforschung zeigt, dass Lernende mit hohen Erfolgserwartungen und subjektiven Wertüberzeugungen (SEVT: Eccles und Wigfield 2020) höhere Lernerfolge erzielen und z.T. auch eine höhere Anstrengungsbereitschaft zeigen, während höhere wahrgenommene Kosten mit geringeren Leistungen eihergehen. Wertüberzeugungen können hierbei in Intrischischen Wert, wahrgenommene Wichtigkeit, Nützlichkeit und Kosten eines Kurses oder Faches unterschieden werden. Kosten können weiterhin in Anstrengungskosten durch den Kurs an sich (task effort cost), konfliktierende Kosten durch andere Verpflichtungen (outside effort cost), und emotionale Kosten unterteilt werden. Eine offene Frage ist, ob und wie diese motivationalen Überzeugungen von Studierenden mit ihren Lernaktivitäten und der Nutzung von zur Verfügung gestellten Lernmaterialien in Lehrveranstaltungen assoziiert sind. Die Studie untersucht zwei Fragestellungen: A) Sagen Erfolgserwartungen und Wertüberzeugungen die Nutzung von Lernmaterialien vorher? B) Wie sind kurspezifische Motivation (Erfolgserwartungen, Wertüberzeugungen) und die Nutzung von Lernmaterialien mit Kursleistung assoziiert? Methode Die Studie nutzt Survey Daten und digitale Verhaltensspurdaten aus dem Lernmanagement System Moodle aus zwei sozialwissenschaftlichen Vorlesungen an einer deutschen Hochschule (N=425 Studierende, Wintersemester 2022/23). Beide Vorlesungen fanden in einem wöchentlichen Rhythmus als Präsenzveranstaltung statt und Moodle wurde genutzt um den Studierenden die Vorlesungsfolien und freiwillige Übungsquizze zur Verfügung zu stellen. Die Motivation von Studierenden wurde zu Beginn des Semesters (T1) und in der Mitte des Semesters (T2) per Fragebögen erhoben. Moodle Daten wurden über das gesamte Semester erhoben. Es wurden zwei Variablen zum Nutzungsverhalten von Lernmaterialien verwendet: Die Anzahl aufgerufener Foliensätze und die Anzahl eingereichter Übungsquizze pro Studierendem. In längschnittlichen Strukturgleichungsmodellen in Mplus wurde berechnet wie T1 Motivation die Nutzung von Lernmaterialien in der ersten Semesterhäflte und T2 Motivation die Nutzung von Lernmaterialien in der zweiten Semesterhälfte sowie die Klausurnote vorhersagte. Ergebnisse Studierende nutzten die Vorlesungsfolien über das Semester hinweg, wohingegen Übungsquizze vorwiegend kurz vor der Abschlussklausur genutzt wurden. Studierende mit höherer Erfolgserwartung nutzen mehr Foliensätze und mehr Übungsquizze in der zweiten Semesterhälfte (Folien: β = .23, SE = .08, p < .05; Quizze: β = .15, SE = .07, p < .05), während höhere Wertüberzeugungen (intrinsischer Wert, Nützlichkeit, Wichtigkeit) mit vermehrter Folien- und Quiznutzung in der ersten Semestserhälfte einhergingen (Folien: β = .24, SE = .06, p < .05; Quizze: β = .20, SE = .06, p < .05). Bei den wahrgenommenen Kosten zeigte sich vor allem, dass Studierende die auf Grund anderer wichtiger Verpflichtungen und Aktivitäten angaben nicht genügend Zeit für die Vorlesung zu haben (outside effort cost) weniger Folien und Quizze nutzten (T1 Folien: β = -.22, SE = .06, p < .05; T2 Folien: β = -.16, SE = .06, p < .05; T2 Quizze: β = -.16, SE = .07, p < .05). Anstrengungskosten durch die Vorlesung an sich war ausschließlich mit geringerer Nutzung der Vorlesungsfolien zu T2 assoziiert (Folien: β = -.20, SE = .09, p < .05). Es zeigten sich keine Zusammenhänge zwischen der Motivation und Klausurleistung. Bezüglich der Nutzung von Lernmaterialien zeigte sich das vermehrte Nutzung der Quizze mit besseren (niedrigeren) Klausurnoten einhergingen (β = -.25, SE = .08, p < .05). Diese Ergebnisse zeigen, dass Selbsttests eine effektive Lernstrategie darstellen, die von Studierenden jedoch nur kurz vor Klausuren genutzt werden. Wie erwartet wurden Selbsttests eher von Studierenden mit höheren Erfolgserwartungen und „positiven“ Wertüberzeugungen genutzt. Interessanterweise zeigte sich bei den wahrgenommenen Kosten, dass weniger die Anstrengung oder Stress durch die Vorlesung selbst, sondern vor allem mangelnde Zeit auf Grund anderer Verpflichtungen mit geringerer Nutzung von Selbsttests einherging. Judgments of Learning prädizieren Lernverhalten und Erfolg in intelligenten tutoriellen Lernsystemen Theoretischer Hintergrund Selbstreguliertes Lernen erfordert dass Lernende, ihre eigenen Lernaktivitäten überwachen und kontrollieren (Schunk & Zimmerman, 2023; Zimmerman & Schunk, 2011). Auch bei digital gestützten Lerngelegenheiten sind erfolgreiche Selbstregulationsstrategien von großer Bedeutung für den Lernerfolg (Azevedo et al., 2011; Winters et al., 2008). Metakognitionen, also das Wissen von Menschen über ihr eigenes Wissen, spielen eine zentrale Rolle für selbstreguliertes Lernen und sind ein zentraler Prädiktor für akademischem Erfolg (Soderstrom et al., 2016; Vrugt & Oort, 2008). Um zu erfassen, was Lernende über ihr eigenes Wissen wissen, werden typischerweise Selbsteinschätzungen erfragt. Bei den häufig verwendeten Judgments of Learning (JOLs; Koriat, 1997) beispielsweise werden Lernende gebeten, vorherzusagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie gelernte Inhalte in einem späteren Test werden erinnern können. Studien zeigen, dass JOLs recht akkurat im Hinblick auf die Vorhersage zukünftiger Lernleistung sind (Rhodes & Tauber, 2011) und Einfluss auf Selbstregulation nehmen (Metcalfe & Finn, 2008). Da sich viele dieser Studien jedoch auf Laborparadigmen beschränken (siehe Rhodes, 2016), ist es eine offene Frage, ob JOLs auch im Feld Lernerfolg und Selbstregulation vorhersagen. Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Effekte von JOLs im Kontext eines intelligenten tutoriellen Lernsystems (Kulik & Fletcher, 2016; Ma et al., 2014) zu untersuchen, das von Studierenden für die selbstgesteuerte Klausurvorbereitung genutzt wird. Das Lernsystem bietet Übungsaufgaben in verschiedenen inhaltlichen Kapiteln zum Zwecke des practice testing (Roediger & Karpicke, 2006b, 2006a). Wir erwarteten, dass höhere JOLs für ein Kapitel mit höherer Leistung bei den Übungsaufgaben des spezifischen Kapitels und mit geringerer Lernzeit je Kapitel assoziiert sind. Hierbei erwarteten wir absolute Effekte hinsichtlich geringerer Lernzeit bei höherer JOLs und relative Effekte von mehr allokierter Lernzeit auf Kapitel mit relativ gesehen geringeren JOLs. Methode 102 Studierende, die das intelligente tutorielle Lernsystem für die Vorbereitung auf eine Statistikklausur selbstreguliert nutzten (im Schnitt 24,72h reine Lernzeit je Individuum) erhielten jede Woche beim ersten Login in die Software die Aufforderung, ein JOL für jedes der sechs Kapitel abzugeben. Wir analysierten die prädiktive Validität der JOLs für das nachfolgende Lernverhalten. Wir betrachteten jeweils auf Tagesebene aggregierte Lernverlaufsdaten (Investierte Lernzeit und Anteil korrekt gelöster Aufgaben pro Tag und Lernkapitel), was in insgesamt N = 5321 Beobachtungen resultierte. Mehrebenenanalysen bestätigten unsere Annahmen: JOLs hingen mit Persistenz und Leistung zusammen, wenn für allgemeine Trends steigender Lernaktivitäten und Leistung mit zeitlicher Nähe zur Klausur kontrolliert wurde (Capelle et al., 2022). Die kapitelspezifische JOLs sagten die Lösungswahrscheinlichkeit nachfolgender Übungsaufgaben im Lernsystem vorher, β = 0.14, p < .001. So wurde insgesamt weniger Lernzeit pro Tag für Kapitel investiert, bei denen höhere JOLs abgegeben wurden, β = -0.09, p < .001. Ebenfalls wurde die geringere relative Lernzeit pro Tag, das heißt die prozentuale Verteilung der Lernzeit auf die einzelnen Kapitel, durch die höhere relative Ausprägung der JOLs vorhergesagt, β = -0.09, p < .001. Ergebnisse Die Ergebnisse unterstreichen die prädiktive Validität von JOLs unter Nutzung objektiver Verhaltensspurdaten (Baker et al., 2020). JOLs eignen sich zur Vorhersage von zukünftiger Lernleistung und nachfolgendem Lernverhalten in einem intelligentem tutoriellen Lernsystem über den Verlauf mehrerer Wochen und unterstreichen damit die Bedeutung metakognitiver Prozesse bei der Selbstregulation von (digitalen) Lernaktivitäten. Auch wenn die Studie einen wichtigen Beitrag im Hinblick auf die Validierung von JOLs in bildungsbezogenen Lernumgebungen leistet und damit eine bestehende Forschungslücke schließt, ist sie mit einigen Einschränkungen im Design verbunden. Die Abgabe der JOLs im wöchentlichen Turnus sowie die aggregierte Abfrage auf Kapitelebene dürfte zu höherer Ungenauigkeit der Vorhersagen der Lernenden geführt haben. Eine Follow-Up Studie, bei der die JOLs während des Lernens auf Aufgabenebene abgefragt werden, zur Replikation und weiteren Validierung der Ergebnisse auch unter Betrachtung von Klausurerfolg, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Erhebung.* *Auswertung der Daten bis zur GEBF avisiert Fleißig und/oder stetig?: Was macht Bachelor-Studierende erfolgsreich in großen Einführungskursen? Theoretischer Hintergrund Seit Jahrzehneten ist aus vielfältigen Laborstudien bekannt, dass verteiltes Lernen erfolgreicher ist als massiertes Lernen (z.B. Bjork & Allen, 1970). Dennoch wird weiterhin daran gearbeitet, ideale Lernverteilungen und Lernrhythmen zu finden (z. B. Murphy et al., 2022). Die deutliche Mehrheit der Studien untersucht Lernen dabei im Labor und über relativ kurze Zeiträume (Cepeda et al., 2006). Die fortschreitende Digitalisierung von Lernen macht es heute aber möglich, Lernen und Lernverhalten nicht-invasiv über digitale Verhaltensspuren zu untersuchen. In Bezug auf verteiltes Lernen ist von diesen Möglichkeiten aber bisher wenig Gebrauch gemacht worden. Yeckehzaare und Kollegen (2022) konnten durch dieses so gennnte Learning Analytics in einem Kurs zeigen, dass die Verteilung von Lernen im Semesterverlauf in Beziehung steht zum Lernerfolg. Analysen, die mehrere Dimensionen von Verteilung des Lernens und verschiedene Lernformate getrennt voneinander analysieren und dann in Beziehung setzen, fehlen jedoch. Diese Untersuchung thematisiert daher, ob verschiedene Formen und Varianten von verteiltem Lernen alle jeweils positiv mit Lernerfolg verbunden sind. Außerdem sollen die Stärken dieser Beziehungen miteinander und mit der Beziehung zwischen Fleiß und Lernerfolg verglichen werden. Methode Untersucht wird ein einführender Statistikkurs des ersten Studienjahres verschiedener sozialwissenschaftlicher Studiengänge. Für n=181 Studierende des Kurses liegen digitale Verhaltensdaten und verknüpfbare Prüfungsdaten vor. Die Verhaltensdaten enthalten dabei Informationen über den Umgang der Studierenden mit den vorlesungsersetzenden Lernvideos, mit den Übungsaufgaben, über die (aktive und passive) Teilnahme am Tutorium und über die Nutzung des Kursglossars. Diese Daten wurden zu folgenden Variablen operationalisiert: als Maß für das rezeptive Lernen die Anzahl der im Laufe des Semesters angesehenen Lehrvideos (1), als Maß für das aktive Lernen die Anzahl der durchgeführten Übungen (2) und die Anzahl der Suchen im Glossar (3). Als viertes Maß für die Quantität des Lernens wurde die Häufigkeit der Teilnahme an Tutorien gezählt (4). Als Maß für die Verteilung des Lernens wurde sowohl für die gesehenen Videos (5) als auch für die bearbeiteten Übungen (6) der Anteil berechnet, der während des Kurses und nicht erst kurz vor der Prüfung stattfand. In Bezug auf die Übungen wurde auch berechnet, welcher Prozentsatz des Lernens sich auf einen bestimmten Wochentag konzentrierte (7) und welcher Prozentsatz des Lernens während des Tages zwischen 9 Uhr und 17 Uhr stattfand (8). Ergebnisse Die Korrelationen zwischen den genannten Variablen und dem Prüfungserfolg zeigen für alle Variablen hochsignifikante Korrelationen. Die Anzahl der absolvierten Übungen korreliert mit 0,540 am stärksten, während die Anzahl der angesehenen Videos deutlich geringer korreliert (0,274). Die geringste Korrelation findet sich für die Abfragen im Glossar mit 0,177. Die Teilnahme am Tutorium liegt relativ hoch (0,456). Unter den Variablen des verteilten Lernens korreliert auf Ebene der Verteilung im Kursverlauf der Anteil bei den Videos mit 0,494 deutlich höher als der Anteil der Fragen (0,209). Etwas höher korreliert die Konzentration des Lernens an einem Wochentag mit -0,342. Der Anteil des Lernens während des Arbeitstages korreliert mit 0,197 niedriger. Bringt man alle genannten Variablen sowie den Abiturdurchschnitt und das Geschlecht in ein Regressionsmodell zur Erklärung des Erfolgs, ergibt sich ein Modell mit R^2=0,540. Neben dem Notendurchschnitt und dem Geschlecht zeigen auch die Gesamtzahl der bearbeiteten Übungen, der Anteil der während des Kurses angesehenen Videos und der Anteil der zwischen 9 und 17 Uhr bearbeiteten Fragen signifikante Effekte. Die anderen Effekte verschwinden aufgrund der Kollinearität der Prädiktoren. Betrachtet man die Ergebnisse in ihrer Gesamtheit, so zeigt sich, dass die Verteilung des Lernens tatsächlich einen Einfluss auf den Lernerfolg hat. Allerdings sind diese Effekte für das rezeptive Lernen stärker als für das aktive Lernen. Daraus lässt sich schließen, dass in realen Lernumgebungen die Quantität und die Verteilung des Lernens relevant sind und darüber hinaus der Lernform Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Retrieval Practice in der Hochschulbildung: Erforschung der Auswirkungen des Inhaltstransfers in einem Gateway-Mathekurs Theoretischer Hintergrund Der positive Effekt von Selbsttests (retrieval practice, self-testing) auf das Lernen von Lernenden gehört zu den am besten gesicherten Erkenntnissen in der Lernforschung (z.B., Meta-Analysis von Yang et al., 2021). Es gibt jedoch relativ wenige Studien, die sich auf Mathematik in authentischen Kontexten konzentrieren, und unser Wissen über potenzielle Transfereffekte auf nicht getestete, aber konzeptuell verwandte Inhalte ist begrenzt. Obwohl einige Forscher*innen bezweifeln, dass Selbsttests zu einem Inhaltstransfer führen können, weil dieser mit zunehmender Komplexität verschwindet (Anderson et al., 1994; van Gog & Sweller, 2015), gibt es Hinweise darauf, dass ein Transfer auf nicht getestete, aber konzeptionell verwandte Informationen möglich ist (Bjork et al., 2014; Butler, 2010). In der vorliegenden Studie wurde mit Hilfe von Randomisierung innerhalb einer Person (within-person randomization) und einer Instrumentvariablen-Regression das Problem der Selektion in die Übung im Vergleich zu anderen Studien gelöst (Förster et al., 2018; Schwerter et al., 2022), um die Effekte kausal zu interpretieren. Die Studie untersucht, (a) ob Übungstests die Leistungen von Studierenden in einem Mathematik-Grundkurs beeinflussen und (b) ob Übungstests einen Transfer auf ungeübte Mathematikaufgaben ermöglichen. Methode An der Studie nahmen Studierende der Betriebswirtschaftslehre (N = 731, 50% weiblich) teil, die in einem Mathe-Gateway-Kurs eingeschrieben waren. Eine Randomisierung innerhalb der Gruppe stellte sicher, dass alle Studierenden die wöchentlichen Online-Selbsttests erhielten und davon profitieren konnten. Die Studierende bearbeiteten wöchentlich eine Teilmenge aus einem größeren Pool möglicher Matheaufgaben und drei Zwischentests über das Semester hinweg. Hierbei bereiten die wöchentlichen Übungen jeweils auf den nächsten Zwischentest vor. Wir untersuchten, ob die Studierende nur aufgabenspezifisches Wissen für die spezifischen Matheaufgaben erwarben, die sie bearbeiteten, oder ob sie auch mathematisches Wissen über die geübten Aufgaben hinaus erwarben (d.h. Transfereffekte). Die Studierende gaben zu Beginn der wöchentlichen Online-Übungen an, wie sie am Kurs teilgenommen hatten (Vorlesungen besuchen, Arbeitsblätter bearbeiten, Lösungsvideos ansehen). Die Teilnahme der Studierende und Fixed-Effects für jede Matheaufgabe dienten als Kontrollvariablen. Es gab Anreize für die Teilnahme: Die Studierende konnten sich die Teilnahme an der Abschlussprüfung anrechnen lassen. Ergebnisse Mit Hilfe von Instrumentvariablen-Regressionen wurden die Auswirkungen der Behandlung auf die Behandelten geschätzt. Einen zum 1%-Signifikanzniveau signifikanten positiven Übungseffekt um 3.7% und 4.0% in den respektiven Zwischentestaufgaben wurde gefunden, die die Studierende in ähnlicher Form in ihren wöchentlichen Online-Übungen geübt hatten, z. B. die gleiche Aufgabe, aber mit anderen Zahlen (Gruppe 1: β = .037, SE = .014, p < .01; Gruppe 2: β = .0.04, SE = .015, p < .01). Fixed-Effects und Random-Effects Panel-Regressionen bestätigten die Ergebnisse. Die Studierende schnitten am besten bei ähnlichen Matheaufgaben ab, deutlich schlechter bei mittleren Transferproblemen (z.B. unterschiedliche Formulierungen, β = -.038, SE = .016, p < .05) und am schlechtesten bei fernen Transferproblemen (neue Arten von Matheaufgaben; β = .785, SE = .022, p < .001). Die Wechselwirkungen zwischen der Treatmentvariable (welche spezifischen Probleme geübt wurden) und der Transferbedingung (kein Transfer, mittlerer Transfer und ferner Transfer) waren nicht signifikant, was darauf hindeutet, dass die Treatmentresultate unabhängig von der Transferbedingung waren (Gruppe 1 \times mittlerer Transfer: β = -.001, SE = .027; Gruppe 1 \times ferner Transfer: β = -.012, SE = .034; Gruppe 2 \times mittlerer Transfer: β = -.057, SE = .036; Gruppe 2 \times ferner Transfer: nicht genug Variation). Diese Studie ist eine der ersten, die einen kausalen Nachweis für die Wirksamkeit von Übungstests in einem Mathe-Gateway-Kurs an der Universität liefert. Insbesondere deuten die Analysen darauf hin, dass der Treatmenteffekt auch für Mathematikaufgaben mit mittlerem und hohem Schwierigkeitsgrad gilt, was die Wirksamkeit von Übungstests im (höheren) Mathematikunterricht belegt. Die Studie zeigt somit, wie vielversprechend Übungstests sind, um das Lernen von Studierenden in anspruchsvollen Bildungskontexten zu unterstützen. |
15:20 - 17:00 | 6-04: Testbearbeitungsmotivation in Schulleistungsuntersuchungen: Diagnostik, Modellierung und Einflussfaktoren Ort: H02 |
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Symposium
Testbearbeitungsmotivation in Schulleistungsuntersuchungen: Diagnostik, Modellierung und Einflussfaktoren Die Teilnahme an groß angelegten Bildungsvergleichsstudien stellt ein zentrales Instrument der KMK-Gesamtstrategie zum nationalen Bildungsmonitoring dar (KMK, 2015). In Deutschland finden daher regelmäßig nationale und internationale Schulleistungsuntersuchungen statt. Dies sind die Studie zur Überprüfung des Erreichens der Bildungsstandards („IQB-Bildungstrends“) sowie PISA, PIRLS/IGLU und TIMSS. Diese Studien unterscheiden sich in zahlreichen Merkmalen (z.B. Definition des zu messenden Kompetenzkonstrukts, gemessene Domänen, Stichprobe, Durchführungsintervall, durchführende Organisation), lassen sich aber alle als sog. „low-stakes“ Assessments charakterisieren, da keine persönlichen Konsequenzen (z.B. Noten, Entlohnung) mit dem Ergebnis des Tests verbunden sind. Dadurch kann von einer im Vergleich zu „high-stakes“ Assessments (z.B. Klassenarbeiten) geringer ausgeprägten Testbearbeitungsmotivation ausgegangen werden (z.B. Penk & Richter, 2017; Wolf & Smith, 1995), was sich wiederum in einer geringeren Testleistung niederschlägt (Wise & DeMars, 2005). Dies ist besonders problematisch, wenn bestimmte Gruppen von Schüler:innen (z.B. Jungen, Nicht-Muttersprachler:innen) systematisch von solchen Unterschieden betroffen sind, weil Gruppenunterschiede in der gemessenen Kompetenz dann mit Gruppenunterschieden in der Motivation konfundiert sind. Dieser Umstand stellt somit eine Gefahr für die Interpretation der in den Schulleistungsuntersuchungen gewonnenen Testwerte als Indikatoren für die zu messenden Kompetenzen dar. Die Problematik geringer Testbearbeitungsmotivation findet zunehmend Aufmerksamkeit. Beispielsweise widmete die OECD dem Thema im Rahmen ihres „PISA Research, Development and Innovation“ Programms ein eigenes Projekt (z.B. Buchholz et al., 2022) und wird im Rahmen der Ergebnisrückmeldung für PISA 2022 verschiedene Indizes für „student engagement“ berichten. Gleichzeitig ist das Thema in vielfältiger Weise Gegenstand der aktuellen Forschung. Die Beiträge dieses Kolloquiums lassen sich dabei den folgenden Themenbereichen zuordnen: (a) Entwicklung von Indikatoren von Testbearbeitungsmotivation (Beiträge 1 und 2), (b) Modellierung von Kompetenzen unter Berücksichtigung von Unterschieden in der Testbearbeitungsmotivation (Beitrag 3), und (c) Identifikation von Einflussfaktoren und möglichen Interventionen (Beitrag 4). (a) Neben Selbstberichtsskalen zur aktuellen Motivation oder Anstrengungsbereitschaft können unterschiedliche Indizes gebildet werden, um Verhalten zu quantifizieren, das auf eine geringe oder nachlassende Testbearbeitungsmotivation schließen lässt, etwa Leistungsabfall oder Auslassungstendenzen. Aus den zunehmend computerbasiert administrierten Schulleistungsstudien stehen zudem Antwortzeiten bereit. Diese können u.a. genutzt werden, um übermäßig schnelle Antworten zu identifizieren, die auf Raten zurückgeführt werden können, das wiederum aufgrund geringer Testbearbeitungsmotivation zustande gekommen sein kann. Beitrag 1 untersucht anhand von Eye-Tracking-Daten eine weitere Möglichkeit, zufälliges Raten auf Multiple-Choice-Items zu identifizieren. Beitrag 2 bezieht sich auf das Zusammenspiel verschiedener Indikatoren von Testbearbeitungsmotivation. Anhand von Daten des IQB-Bildungstrends wird der Zusammenhang von Leistungsabfall und selbstberichteter Anstrengungsbereitschaft untersucht, und ob die Auslassungstendenz einen darüberhinausgehenden Erklärungswert besitzt. (b) Auf Basis von Indikatoren geringer oder nachlassender Testbearbeitungsmotivation lassen sich betroffene Antworten und/oder Personen identifizieren, wodurch sich die Frage anschließt, wie mit den Daten im Rahmen der Modellierung umgegangen werden soll und welche Konsequenzen für die Interpretation des Kompetenzkonstrukts damit verbundenen sind. Beitrag 3 stellt modellbasierte Behandlungsmethoden von schnellgeratenen Antworten vor und untersucht, inwiefern sich das Länderranking in PISA in Abhängigkeit von der Behandlungsmethode verändern würde. (c) Um auch in „low-stakes“ Assessments ein angemessenes Niveau der Testbearbeitungsmotivation zu gewährleisten oder ein Abfallen im Testverlauf zu vermeiden, werden u.a. Merkmale von Testadministration und Testdesign untersucht, die einen Einfluss nehmen können. Beitrag 4 untersucht anhand der Umstellung von papier- auf computerbasierte Testung im Rahmen der IGLU-Studie, welchen Einfluss der Testmodus auf das emotionale Erleben während der Testbearbeitung hat und wie dies mit der gemessenen Leseleistung zusammenhängt. Die vier Beiträge werden im Anschluss diskutiert. Dabei wird ein besonderer Fokus auf der Validität von Interpretationen der in den Schulleistungsuntersuchungen gewonnenen Testwerte liegen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den Konsequenzen dieser Befunde für die Sekundärnutzung der Daten aus diesen Studien für die eigene Forschung. Beiträge des Symposiums Der Beitrag von Blickbewegungsdaten zur Fähigkeitsmessung mittels Multiple-Choice-Items Theoretischer Hintergrund Blickbewegungsdaten liefern wertvolle Informationen über die Bearbeitungsprozesse kognitiver Aufgaben. Dementsprechend werden Eye-Tracking-Verfahren vor allem im Kontext komplexer Aufgaben mit offenen Antwortformaten eingesetzt, bei denen Lösungsprozesse und weniger Lösungsprodukte (falsch vs. richtig) im Vordergrund stehen. Es finden sich kaum Arbeiten, die das Potenzial von Blickbewegungsdaten für die Messung individueller Fähigkeiten mittels Multiple-Choice-Items untersuchen. Bisherige Studien dokumentieren, dass sich Blickbewegungen systematisch zwischen falschen und richtigen Antworten unterscheiden (Lindner et al., 2014; Tsay et al., 2012). Diese Arbeiten geben jedoch keinen direkten Aufschluss darüber, inwiefern sich Blickbewegungsdaten zur Messung von Fähigkeiten eignen und inwiefern diese einen diagnostischen Mehrwert gegenüber klassischen Testscores aufweisen. Die zentrale Herausforderung bei der Nutzung von Blickbewegungen zur Fähigkeitsmessung besteht darin, die für eine korrekte Antwort relevanten Informationen zu isolieren und zu einem geeigneten Index zu verdichten. Dieser Index hat dann einen diagnostischen Mehrwert gegenüber kategorialen Itemantworten, wenn er quantitative Informationen über die Sicherheit der gegebenen Antworten kodiert. In diesem Fall wäre es möglich, Itemantworten als „sicher richtig“ (z.B. Können/Wissen), „sicher falsch“ (z.B. Fehlvorstellungen) und „unsicher“ (evtl. Raten) zu klassifizieren. Fragestellungen Die Studie verfolgt zwei Ziele. Erstens soll die Möglichkeit der Fähigkeitsmessung allein mit Blickbewegungsdaten untersucht werden. Zweitens soll der diagnostische Mehrwert von Blickbewegungsdaten über dichotom kodierte Itemantworten hinaus untersucht werden. Methode Die Fragestellungen wurden anhand einer Stichprobe von N = 99 Schülerinnen und Schüler (52% weiblich) der Klassenstufe 6 untersucht, die einen Naturwissenschaftstest mit 18 Items (jeweils vier Antwortkategorien) bearbeiteten. In die Analysen gingen die dichotom kodierten Itemantworten und die Fixationszeiten der vier Antwortkategorien ein. Auf Itemebene wurden die Fixationszeiten zu einem Index zusammengefasst (s.u.). Die Möglichkeit der Fähigkeitsmessung mittels Fixationszeiten wurde auf Item- und Personenebene untersucht (Klassifikationsgenauigkeit der Antwortrichtigkeit und Korrelation der über Items aggregierten Indizes mit individuellen Testwerten). Der inkrementelle diagnostische Wert des vorgeschlagenen fixationszeitbasierten Index wurde mit Hilfe eines latenten Variablenmodells, das sowohl dichotome Itemantworten als auch fixationszeitbasierte Indizes enthält, untersucht. Ergebnisse Ein Index, der auf der Verteilung der individuellen Fixationszeiten über die vier Antwortkategorien basiert, erwies sich als vielversprechend. Der vorgeschlagene Index berücksichtigt (1) die Fixationszeiten der richtigen Antwortkategorien, (2) die Abstände zur kürzesten Fixationszeit und (3) die relativen Unterschiede zwischen den Fixationszeiten der verschiedenen Antwortkategorien. Der Index ermöglichte eine relativ genaue Zuordnung von richtigen und falschen Antworten (Trefferquoten: Median = 85%; Min = 70%, Max = 89%). Der auf Personenebene aggregierte Index wies eine zufriedenstellende interne Konsistenz auf ( = .70), die nur geringfügig unter der der klassischen Testwerte lag ( = .76). Der aggregierte Index korrelierte stark mit den Testwerten (r = .79), sodass die attenuationskorrigierte Korrelation perfekt ausfiel. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der vorgeschlagene Blickbewegungsindex und die klassischen Testwerte dasselbe Konstrukt mit vergleichbarer Genauigkeit erfassen. Das im zweiten Schritt verwendete latente Variablenmodell beinhaltete eine globale Fähigkeitsdimension, die von allen Items und den auf Fixationszeiten basierenden Indizes gemeinsam indiziert wurde. Darüber hinaus wurden itemspezifische (genestete) latente Variablen modelliert, die durch die jeweils zugehörigen Itemantworten und Indizes identifiziert wurden. Die genesteten Faktoren erfassen den „Abstand“ der beobachteten richtigen oder falschen Antworten zu den „unsicheren“ Antworten. Die Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden. Die (globale) Fähigkeitsmessung wurde durch die Hinzunahme der Blickbewegungsdaten kaum beeinflusst (vergleichbare Präzision und nahezu perfekte Übereinstimmung der EAP-Personenparameter). Die EAP-Personenparameter auf den genesteten Faktoren lieferten jedoch Informationen, die für die Interpretation der individuellen Testwerte nützlich sein könnten. Beispielsweise wurden im unteren Fähigkeitsbereich Antwortvektoren identifiziert, die keine als „sicher richtig“ klassifizierbaren Antworten enthielten. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die Testwerte dieser Schülerinnen und Schüler ausschließlich auf Raten zurückzuführen sind. Positionseffekte und Leistungsabfall im Verlauf der Bearbeitung umfassender Kompetenztests: Die Rollen von Anstrengungsbereitschaft und Auslassungstendenz Theoretischer Hintergrund Weltweit werden die Ergebnisse groß angelegter nationaler und internationaler Schulleistungsuntersuchungen (Educational Large-Scale Assessments; LSAs) als Informationsgrundlage bei der Gestaltung von Bildungsprozessen herangezogen. LSAs können empirische Informationen darüber liefern, wie Schüler:innen im Vergleich zu Bildungsstandards abschneiden, ob es Unterschiede in den Kompetenzen zwischen verschiedenen Gruppen gibt und wie sich Testergebnisse im Laufe der Zeit verändern. Um ein valides Bild der schulischen Leistungen der Schüler:innen zu liefern und dazu eine breite Abdeckung der zu untersuchenden Fachgebiete sicherzustellen, dauern einige Untersuchungen insgesamt bis zu 90 Minuten (z.B. Mullis & Martin, 2013), zwei Stunden oder sogar länger (z.B. Becker et al., 2019; OECD, 2017). Bei einer solchen, relativ langen Testdauer ist es wahrscheinlich, dass die Leistungen der Schüler:innen im Verlauf der Testdurchführung schwanken. Sogenannte Aufgaben-Positions-Effekte (Leary & Dorans, 1985) wurden nachgewiesen. Das bedeutet, dass Aufgaben umso schwieriger werden, je später sie im Test präsentiert werden (z.B. Hartig & Buchholz, 2012; Weirich et al., 2014). Diese Zunahme der Schwierigkeit spiegelt einen Leistungsabfall im Verlauf der Testdurchführung wider. Dieser kann aufgrund einer Zunahme von (a) falschen Antworten oder (b) Auslassungen von Antworten auftreten. Beide Gründe können unter anderem als Resultat nachlassender Anstrengungsbereitschaft betrachtet werden. Fragestellung In dieser Untersuchung gehen wir der Frage nach, inwiefern der Leistungsabfall im Verlauf eines LSAs durch selbstberichtete Anstrengungsbereitschaft (Effort, Skalen siehe Eklöf, 2010) erklärt werden kann und welchen Erklärungswert darüber hinaus die individuelle Neigung hat, Antworten auszulassen (Auslassungstendenz bzw. Omission Propensity). Auch stellt sich die Frage, inwiefern sich Anstrengungsbereitschaft und Auslassungstendenz im Testverlauf verändern und wie diese Veränderungen gegebenenfalls mit dem Leistungsabfall zusammenhängen. Methoden Mit Daten des IQB-Ländervergleichs 2012 wurde für N=24.075 Neuntklässler:innen in der Domäne Mathematik und N=19.107 in den Naturwissenschaften der Leistungsabfall innerhalb eines 120minütigen Tests untersucht. Mithilfe von Latent-Change-Score-Modellen (Klopack & Wickrama, 2020; McArdle & Nesselroade, 2014) wurde die Veränderung in der Testleistung mit der Veränderung in der Anstrengungsbereitschaft und der Veränderung der Auslassungstendenz über den Testverlauf in Beziehung gesetzt. Ergebnisse und Diskussion In beiden Domänen wurde ein deutlicher Leistungsabfall von der ersten zur zweiten Testhälfte gefunden sowie ein Abfall der selbstberichteten Anstrengungsbereitschaft und eine Zunahme des Auslassungstendenz über den Testverlauf. Ergebnisse der Latent-Change-Score-Modelle legen nahe, dass Anstrengungsbereitschaft zum ersten Messzeitpunkt in beiden Domänen mit dem Leistungsabfall zusammenhängt. Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften wurde im Fach Mathematik jedoch kein statistisch signifikanter Vorhersageeffekt für die Veränderung der Anstrengungsbereitschaft im Testverlauf auf den Leistungsabfall beobachtet. Darüber hinaus schien die Anstrengungsbereitschaft nicht durch die die Auslassungstendenz vermittelt zu sein. Dies ist interessant, da Auslassungen in der Literatur gelegentlich als Indikator für Anstrengungsbereitschaft betrachtet werden, wohingegen unsere Ergebnisse eher für zwei zu trennende Konstrukte sprechen. Diese und weitere Ergebnisse werden im Vortrag präsentiert, diskutiert und hinsichtlich ihrer Relevanz für die Praxis eingeordnet. Über die angemessene Behandlung von schnellem Rateverhalten am Beispiel von PISA 2018 Schnelles Rateverhalten (Rapid Guessing) wurde für verschiedene kognitive Merkmalsbereiche (z.B., Silm et al., 2020) beobachtet und kann eine ernstzunehmende Gefahr für die Validität von Schlussfolgerungen auf Basis von Testergebnissen darstellen (Wise, 2019). Einer der geläufigsten Ansätze zum Umgang mit schnellem Rateverhalten ist das Effort Moderated IRT Modell (Wise & DeMars, 2006). Hierbei werden einzelne, schnellgeratene Antworten für die Fähigkeitsschätzung aus den Daten entfernt und dadurch als ignorierbar fehlend (Rubin, 1976) behandelt. Jedoch konnte vorangegangene Forschung (Deribo et al., 2021) unter Zuhilfenahme des Mislevy-Wu Modelles (Mislevy & Wu, 1996) zeigen, dass die Annahme von entfernten, schnellgeratenen Antworten als ignorierbar fehlend nicht zwangsweise gegeben ist. Das Mislevy-Wu Modell ermöglicht es dabei, verschiedene Behandlungsmethoden von schnellgeratenen Antworten miteinander zu vergleichen und zu prüfen, ob die Behandlung von schnellgeratenen Antworten als ignorierbar fehlend für die Fähigkeitsschätzung haltbar ist. Die vorliegende Studie möchte dieses Verfahren nun auf die Daten der PISA 2018-Studie (OECD, 2018) anwenden. Dies erscheint relevant, da sich die Länder im Mechanismus, der zu schnellgeratenen Antworten führen kann, theoretisch unterscheiden können. Zudem erscheint es auch hilfreich um zu verstehen, wie unterschiedlichen Behandlungsmethoden sich auf die Ländervergleiche in PISA auswirken können. Die durch die unterschiedlichen Behandlungsansätze separat gewonnenen Item- und Personenparameter werden dabei über Haberman-Linking (Haberman, 2009) miteinander verbunden, um die Auswirkungen von verschiedenen Behandlungsmethoden auf hypothetische Ländervergleiche in PISA deutlich zu machen. Mit Blick auf die Modellgüte (AIC, BIC) scheint das Mislevy-Wu Modell für alle Länder zu bevorzugen. Ebenso zeigte sich, unter Rückgriff auf Differenzen in der Gilula-Haberman-Penalty (Gilula & Haberman, 1995), in 86% aller Fälle eine beachtenswerte Differenz in der Modellgüte zwischen dem Mislevy-Wu Modell und der Behandlung als ignorierbar fehlend. Weiterhin variierten die Ländermittelwerte bei unterschiedlicher Behandlung von schnellem Rateverhalten deutlich. Diese Variation schlägt sich dabei in Unterschieden von ein bis drei Rangpositionen für über 50% der verglichenen Länder nieder. Die Ergebnisse können zeigen, wie wichtig die reflektierte Auswahl eines Behandlungsansatzes für schnellgeratene Antworten ist. Dabei erscheint es wahrscheinlich, dass in Fällen, in denen das Mislevy-Wu Modell gilt, alternative Behandlungsmethoden zu verzerrten Kennwerten (z.B. Ländermittelwerten) führen können. Dabei werfen die Ergebnisse jedoch auch die Frage auf, inwieweit die Wahl eines bestimmten Behandlungsansatzes die Interpretation der gewonnenen Konstrukte (z.B. kognitiver Fähigkeit) beeinflussen kann und ob dieser Einfluss gewollt ist. Leistungsemotionen im Vergleich zwischen papier- und computerbasierter Testung bei IGLU 2021 Theoretischer Hintergrund Im Jahr 2021 wurde die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU; McElvany et al., 2023) nicht mehr als papierbasiertes Assessment (PBA), sondern als computerbasiertes Assessment (CBA) administriert. Die damit verbundenen Änderungen in der Darbietung der Aufgaben und die unterschiedlichen Interaktionsmöglichkeiten mit dem Testmaterial können sich unter anderem auf das emotionale Testerleben der untersuchten Schülerinnen und Schüler auswirken. Gemäß der Kontroll-Wert-Theorie der Leistungsemotionen (Pekrun, 2006) beeinflussen individuelle Bewertungen von Testsituationen die Ausbildung emotionaler Reaktionen. Konkret postuliert sie als zentrale Annahme, dass Leistungsemotionen aus dem Zusammenwirken der Bewertung von Leistungssituationen im Hinblick auf Kontrolle und Wert zustande kommen. Obgleich zahlreiche Studien Bezug auf die Kontroll-Wert-Theorie nehmen, wurde diese zentrale Annahme bisher erst in vereinzelten Studien geprüft (Bieg et al., 2013; Goetz et al., 2010; Putwain et al., 2018; Shao et al., 2020). Fragestellungen Die vorgestellte Studie prüft die zentrale Annahme der Kontroll-Wert-Theorie und untersucht, darauf aufbauend, Effekte des Wechsels von PBA zu CBA bei IGLU 2021. Folgende Fragestellungen werden beantwortet: 1. Finden sich die seitens der Kontroll-Wert-Theorie postulierten Zusammenhänge zwischen kognitiven Bewertungen und Emotionen bei Schülerinnen und Schülern vierter Klassen? 2. Hat der Testmodus (PBA oder CBA) einen Einfluss auf das emotionale Erleben der IGLU-Testsituation im Hinblick auf Freude, Langeweile und Angst? 3. Welchen Einfluss hat das Zusammenwirken von Kontrolle, Wert, Freude, Langeweile und Angst auf die gemessene Leseleistung? Methode Die genannten Fragestellungen werden anhand von Daten von Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten Klasse aus Deutschland beantwortet, die im Rahmen von IGLU 2021 an der „Brückenstudie“ teilgenommen haben. Dabei erhielten nPBA = 538 PBA und nCBA = 1079 CBA mit randomisierter Gruppenzuweisung. Die Erhebung der Leistungsemotionen Freude (3 Items), Langeweile (2 Items) und Angst (4 Items) erfolgte mit einer adaptierten, domänenspezifischen Kurzversion des AEQ-ES (Lichtenfeld et al., 2012). Kontrolle und Wert wurden jeweils mit einem Item im Selbstbericht gemessen. Zur Beantwortung der ersten Fragestellungen wurde eine Pfadanalyse geschätzt. Die Beantwortung der zweiten Fragestellung basierte auf Mittelwertvergleichen zwischen PBA und CBA. Die dritte Fragestellung wurde wiederum mittels Pfadanalyse mit Plausible Values für Lesen beantwortet. Die Pfadanalysen wurden jeweils mit der Gesamtstichprobe durchgeführt. Bei sämtlichen Analysen wurde die komplexe Stichprobenstruktur von IGLU 2021 durch die Nutzung des R-Pakets BIFIEsurvey (Robitzsch & Oberwimmer, 2022) beachtet. Ergebnisse Die Interkorrelationen der drei Emotionsskalen sind größtenteils vereinbar mit den Annahmen der Kontroll-Wert-Theorie. Entsprechend fanden viele aus der Kontroll-Wert-Theorie abgeleitete Hypothesen empirische Unterstützung; einzelne Hypothesen waren jedoch auch zu verwerfen. Hinsichtlich Fragestellung 2 ergab sich eine tendenziell größere Freude (d = 0.146, p = .067) und eine tendenziell größere Angst (d = 0.101, p = .098) bei CBA als bei PBA und kein signifikanter Unterschied bezüglich Langeweile (d = 0.113, p = .135). Im Hinblick auf Fragestellung 3 ergab sich ein signifikant positiver Gesamteffekt von Kontrolle auf Leseleistung (d = 0.315, p = .012), der insbesondere über Angst mediiert wurde. Diskussion Die festgestellten Effekte sind relativ klein, womit nicht von substantiellen Verbesserungen des Testerlebens durch die Einführung von CBA auszugehen ist. Zudem finden sich die von der Kontroll-Wert-Theorie postulierten Zusammenhänge nicht zuverlässig, vor allem hinsichtlich Wert und Angst. Dies widerspricht nur bedingt der bestehenden Befundlage, da auch andere Studien von Abweichungen von den postulierten Zusammenhängen berichten. Aus dem signifikanten Effekt der Kontrolle auf die Leseleistung lässt sich schließen, dass Testsituationen und –eigenschaften insbesondere darauf ausgerichtet werden sollten, dass Tests nach Möglichkeit von allen Getesteten als kontrollierbar wahrgenommen werden. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse zum Ability-Difficulty-Fit (Asseburg & Frey, 2013) kann dies durch die Vorgabe von Items mit individuell angemessener Schwierigkeit erzielt werden. |
15:20 - 17:00 | 6-05: Kompetenzentwicklung im Spannungsfeld von Klassifikation: Einblicke in Bildungsverläufe und schulische Lernerfolge von Schüler:innen mit besonderen Unterstützungsbedarfen in inklusiven Lernsettings Ort: H01 |
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Symposium
Kompetenzentwicklung im Spannungsfeld von Klassifikation: Einblicke in Bildungsverläufe und schulische Lernerfolge von Schüler:innen mit besonderen Unterstützungsbedarfen in inklusiven Lernsettings In Deutschland werden Schüler:innen mit sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfen zunehmend an allgemeinen Schulen unterrichtet (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2022). Gleichzeitig wächst auch die Heterogenität der Schüler:innen aufgrund von Flucht und Migration (Henschel, Heppt & Weirich, 2023). Im Sinne eines weiten Inklusionsbegriffs lernen somit Schüler:innen mit den unterschiedlichsten persönlichen Hintergründen, Lernvoraussetzungen und Lernbedürfnissen gemeinsam, so dass Heterogenität ein grundlegendes Prinzip im schulischen Kontext darstellt (Wischer, 2019). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit eine Klassifikation von Schüler:innen, bspw. durch die Zuerkennung eines bereichsspezifischen, sonderpädagogischen Förderbedarfs, Gruppierungsoptionen bereithält, die – neben dem Risiko potentiell diskriminierender und stigmatisierender Zuschreibungen – auch positive pädagogische Effekte ermöglichen. Kann eine kategoriale Wahrnehmung im Sinne einer Klassifikation dazu beitragen, individuell notwendige Unterstützungsbedarfe so wahrzunehmen und zu beschreiben (Mußmann, 2015), dass inklusive schulische Lerngelegenheiten gewinnbringend gestaltet werden und auf diese Weise zu einem erfolgreichen schulischen Lernen beitragen können? Die Datenbasis aller drei Beiträge stammt aus dem interdisziplinären Kooperationsprojekt INSIDE „Schulische Inklusion und Übergänge nach der Sekundarstufe I in Deutschland“, das Schüler:innen mit und ohne besondere Unterstützungsbedarfe über mehrere Messzeitpunkte hinweg von der Klassenstufe sechs bis in den Berufsübergang begleitet. Hierbei bearbeiten die Schüler:innen Fragebögen sowie Kompetenztests. Ferner werden jeweils die Schulleitungen, Lehr- und Fachkräfte sowie die Eltern der Schüler:innen befragt. Die breite Datenbasis ermöglicht sowohl längsschnittliche als auch querschnittliche Analysen im Themenfeld von Klassifikation und Kompetenzentwicklung. Beitrag 1 betrachtet die Entwicklung der Lesekompetenz der Schüler:innen und geht hierbei der Frage nach, ob Lernende, die im Rahmen einer vorschulischen Sprachstandsdiagnostik als förderbedürftig klassifiziert wurden und auch entsprechende vorschulische Sprachförderung erhalten haben, in der 6. Jahrgangsstufe eine unauffällige Entwicklung ihrer Lesekompetenz zeigen. Für das verstehende Lesen und die Lesegeschwindigkeit finden sich für diese Schüler:innen keine Kompetenzunterschiede im Vergleich zu Schüler:innen ohne vorschulische Sprachauffälligkeiten. Ein möglicher Erklärungsansatz für diesen Befund ist, dass die vorschulische Sprachförderung eine kompensatorische Wirkung entfalten konnte. Beitrag 2 fokussiert ebenfalls auf die Lesekompetenz der Schüler:innen und analysiert die Klassifikationsgenauigkeit diagnostischer Entscheidungen für diesen Bereich. Es wird untersucht, wie hoch der Anteil an Schüler:innen mit einer falsch-positiven Diagnose im Lesen ausfällt und welche Faktoren die Wahrscheinlichkeit für falsch-positive Diagnosen beeinflussen. Personenbezogene Merkmale der Schüler:innen tragen zu falsch-positiven Diagnosen weniger stark bei als Aspekte des schulischen Lernerfolgs in anderen Kompetenzbereichen. Beitrag 3 untersucht die längsschnittliche Entwicklung der mathematischen sowie der Lesekompetenz in inklusiven Lerngruppen der Jahrgangsstufen 6 und 7 und differenziert hierbei zwischen Schüler:innen mit einem besonderen Unterstützungsbedarf in den Bereichen Lernen und Sprache im Vergleich zu Lernenden ohne besondere Unterstützungsbedarfe. Die Ergebnisse dokumentieren eine große Leistungsheterogenität und Unterschiede in den domänenspezifischen Entwicklungsprofilen der drei untersuchten Gruppen. Alle drei Beiträge behandeln somit den Kompetenzerwerb von Schüler:innen mit unterschiedlichen besonderen Unterstützungsbedarfen. Die Frage der Klassifikation wird dabei in unterschiedlicher Weise adressiert. Es wird jeweils hinterfragt, an welchen Stellen und mit welchen Zielen Klassifikationen im Kontext des inklusiven schulischen Lernens sinnvoll sein und wann sie zu Fehlentscheidungen und potenziell negativen Konsequenzen führen können. Insgesamt kann Klassifikation im Kontext inklusiven Lernens sowohl informativ und in diesem Sinne nutzbringend für die gelingende, differenzierende Gestaltung schulischer Lerngelegenheiten sein als auch zu problematischen Entwicklungen beitragen, wenn diagnostische Entscheidungen durch Urteilstendenzen und Beurteilungsfehler beeinflusst werden. In der Diskussion werden die skizzierten Vor- und Nachteile von Klassifikationsentscheidungen im Kontext inklusiver Bildung auf Kompetenzentwicklungen als Indikator für erfolgreiches schulisches Lernen bezogen, das Spannungsfeld von Diagnosegüte und Verzicht auf Klassifizierung nachgezeichnet und Handlungsoptionen für die inklusive Schule abgewogen. Beiträge des Symposiums Wirkt vorschulische Sprachförderung kompensatorisch? Zur Lesekompetenz von Schüler:innen der 6. Jahrgangsstufe mit vorschulisch attestiertem Sprachförderbedarf Für die Entwicklung sprachlicher Kompetenzen sind insbesondere die ersten Lebensjahre und frühe präventive Maßnahmen von zentraler Bedeutung (vgl. Newport et al., 2001; Paul & Roth, 2011). Daher sind auch eine frühzeitige Feststellung möglicher sprachlicher Entwicklungsprobleme und eine im Bedarfsfall bereits vorschulisch einsetzende Sprachförderung dringend angezeigt. Entsprechend empfehlen die Bundesländer verschiedene Maßnahmen, um die sprachliche Entwicklung der Kinder bereits im Vorschulalter zu beobachten und im Bedarfsfall durch frühe Sprachförderung unterstützen zu können (Neugebauer & Becker-Mrotzek, 2013). Diese Maßnahmen sind jedoch heterogen und die Feststellung eines Förderbedarfs führt nicht zwingend zu qualitativ und quantitativ ausreichender vorschulischer Sprachförderung. Es ist somit fraglich, ob die vorschulische Sprachförderung die festgestellten sprachlichen Entwicklungseinschränkungen reduzieren oder sogar aufheben und somit einen kompensatorischen Effekt entfalten kann (Roßbach & Hasselhorn, 2012). Daher möchten wir der Frage nachgehen, inwieweit eine vorschulische Sprachstandsfeststellung und die als Konsequenz aus einem festgestellten Bedarf tatsächlich erfolgte Sprachförderung zu einer unauffälligen schriftsprachlichen Entwicklung, operationalisiert über das Leseverstehen und die Lesegeschwindigkeit zu Beginn der Sekundarstufe I, beitragen und in diesem Sinne kompensatorisch wirksam werden kann. Anhand der Daten der retrospektiven INSIDE-Elternbefragung, die als computergestütztes Telefoninterview (CATI) gestaltet wurde, analysieren wir die lesebezogenen Kompetenzausprägungen von Schüler:innen mit vorschulisch festgestelltem Sprachförderbedarf und daraufhin erfolgter Sprachförderung im Vergleich zur Lesekompetenz der Gesamtstichprobe. Hierfür liegen die Angaben der Eltern von 1.707 Schüler:innen der sechsten Jahrgangsstufe vor, von denen N = 229 (13 %) zum Erhebungszeitpunkt sonderpädagogische Unterstützung erhielten. Für den hier dokumentierten 1. Messzeitpunkt liegen zum Themenkomplex der vorschulischen Sprachförderung Elternangaben für N = 1.626 Schüler:innen ((Alter: M= 12,6; SD= 0,56, Geschlechterverteilung: binär; 45,6% weiblich) vor. Die Lesekompetenzen der Schüler:innen wurden mittels eines standardisierten Kompetenztests zum verstehenden Lesen auf Basis adaptierter NEPS-Aufgaben (Stegenwallner-Schütz, et. al, 2022) sowie einem Test zur Lesegeschwindigkeit (Zimmermann, et. al, 2012) erfasst. Die Kompetenzen wurden mittels IRT-Modellen skaliert und für die Lesegeschwindigkeit wurde ein Summenscore gebildet. Laut Elternangaben wurde für 40% der 1.626 Schüler:innen vor Schulbeginn in der Kita oder unabhängig von der Kita einmalig eine Sprachstandsfeststellung durchgeführt; 20% gaben an, dass dies mehrmalig erfolgt ist. Für 277 (17%) dieser Kinder wurde als Ergebnis der Sprachstandsfeststellung ein Sprachförderbedarf attestiert. 253 dieser Kinder, also weit über 90%, erhielten nach dieser Feststellung ein Sprachförderangebot und nahmen dieses wahr. Lediglich 24 Kinder in der Stichprobe erhielten nach der Feststellung der Förderbedürftigkeit keine Sprachförderung. Die sechs Jahre später gemessene Lesekompetenz dieser Schüler:innen liegt sowohl für das verstehende Lesen als auch für die Lesegeschwindigkeit exakt auf dem Niveau der INSIDE-Gesamtstichprobe zum selben Messzeitpunkt. Die wenigen Schüler:innen, die vorschulisch zwar einen Sprachförderbedarf hatten, jedoch keine Sprachförderung erhielten, zeigen im Vergleich zu den geförderten Schüler:innen eine etwas geringere Kompetenz im verstehenden Lesen (WLE: -0.5), allerdings keine geringere Kompetenz hinsichtlich der Lesegeschwindigkeit. Der Effekt im verstehenden Lesen ist aufgrund der sehr geringen Stichprobengröße statistisch nicht bedeutsam und kann nicht interpretiert werden. Der Befund, dass diejenigen Schüler:innen, die vorschulisch einen Sprachförderbedarf hatten und daraufhin Sprachförderung erhielten, sechs Jahre später unauffällige Lesekompetenzen zeigen, kann aufgrund des Studiendesigns nicht eindeutig auf die vorschulische Sprachförderung zurückgeführt werden. Dennoch ist festzuhalten, dass diese Kinder, obwohl sie vorschulisch mit ungünstigeren Voraussetzungen gestartet sind, sechs Jahre später Kompetenzprofile ähnlich der Gesamtstichprobe aufweisen. Eine mögliche Erklärung für diesen Befund ist, dass die vorschulische Sprachförderung im Sinne einer kompensatorischen Förderung wirksam werden konnte. Aufgrund der elternseitig retrospektiven Erhebung des vorschulischen Sprachförderbedarfs können Erinnerungsfehler jedoch nicht ausgeschlossen werden; auch zeigt sich in den Daten eine gewisse Selektivität hinsichtlich der Teilnahmebereitschaft an der Elternbefragung. Ferner ist der Anteil an Schüler:innen mit besonderen Unterstützungsbedarfen in der INSIDE-Studie insgesamt besonders hoch, was bei der Einordnung der mittleren Lesekompetenz der Gesamtstichprobe ebenfalls kritisch berücksichtigt werden muss. Diese und weitere Aspekte sollen in der Diskussion des Beitrags thematisiert werden. Lässt sich aus Statusdiagnosen und Förderentscheidungen auf das Lesekompetenzniveau schließen? Eine Untersuchung zur Klassifikation von falsch-positiven Entscheidungen Theoretischer Hintergrund Der sonderpädagogische Unterstützungsbedarf dient der Identifikation von Schüler:innen, die ohne gezielte sonderpädagogische Unterstützung die Lernziele ihres Jahrgangs voraussichtlich nicht erreichen würden. Auch ist die Diagnose einer Teilleistungsschwäche im schriftsprachlichen Bereich in der Regel eine Voraussetzung für einen gewährten Nachteilsausgleich. Gleichsam verliert die Statusdiagnostik generell an Bedeutung und wird zunehmend durch prozessorientierte Diagnostik ersetzt, so dass ein besonderer Unterstützungsbedarf als identifiziert gelten kann, sobald Schüler:innen sonderpädagogische oder Leseförderung erhalten (Neumann & Lütje-Klose, 2020). Es ist aufgrund unterschiedlicher Diagnostikverfahren naheliegend, dass es über Schulen und Länder hinweg zu Überschneidungen in den Lesekompetenzverteilung zwischen Schüler:innen mit und ohne ermittelte Unterstützungsbedarfe kommen muss. Diagnostische Entscheidungen unterliegen in der Regel Urteilstendenzen (Hesse & Latzko, 2017) und individuelle Merkmale können zu Halo-Effekten (vgl. Thorndike, 1920) beitragen, so dass die Lesekompetenz möglicherweise unterschätzt wird. Ebenso können Referenzgruppeneffekte auftreten, wenn Lehrkräfte Schüler:innen mit vergleichbaren Lesekompetenzen aufgrund unterschiedlicher Klassenzusammensetzungen verschieden kompetent erleben (Kölm et al., 2020). Kaum untersucht ist bisher, weshalb bei Schüler:innen fälschlicherweise ein Unterstützungsbedarf ermittelt wurde, obwohl diese Schüler:innen eigentlich ausreichende Lesekompetenzen aufweisen. Der Beitrag dient der kritischen Reflexion der gegenwärtigen Diagnostikpraxis und der Interpretierbarkeit der berichteten Kompetenzverteilungen. Forschungsfragen In diesem Beitrag gehen wir der Frage nach, wie hoch der Anteil an Schüler:innen mit einer falsch-positiven Diagnose im Bereich Lesen ausfällt. Es soll untersucht werden, welche Faktoren die Wahrscheinlichkeit für falsch-positive Diagnosen beeinflussen. Geschlecht, sozioökonomischer Status, Migrationshintergrund, sowie Lesegeschwindigkeit und mathematische Fähigkeiten sollen als individuelle Merkmalsfaktoren berücksichtigt werden. Wir erwarten, dass negativ interpretierte Leistungsmerkmale, wie geringere kognitive Fähigkeiten oder eine geringere Lesegeschwindigkeit, die Wahrscheinlichkeit für eine falsch-positive Diagnose erhöht. Auf Klassenebene erwarten wir, dass sich Lehrkräfte bei der Beurteilung der Lesefähigkeiten individueller Schüler:innen an der durchschnittlichen Klassenleistung orientieren, d. h. ein Referenzgruppeneffekt besteht (vgl. Farkas, Sheehan & Grobe, 1990). Demnach müsste die Wahrscheinlichkeit eine falsch-positive Diagnose zu erhalten für durchschnittliche Leser:innen in Klassen mit einem starken durchschnittlichen Lesekompetenzniveau erhöht sein. Methode Wir verwenden INSIDE-Daten aus der 6. Jahrgangsstufe (N = 4.654, 48,75 % Schülerinnen, Durchschnittsalter 13,68 Jahre). 19,4 % der Schüler:innen haben einen identifizierten Unterstützungsbedarf (SPF in den Bereichen Lernen oder Sprache, attestierte Teilleistungsschwäche im Bereich Schriftsprache oder erhielten sonderpädagogische oder Leseförderung). Um die Effekte sowohl auf individueller als auch auf Klassenebene zu schätzen, verwenden wir eine Mehrebenenregression. Die Cut-Offs zwischen Schüler:innen mit und ohne Unterstützungsbedarf werden bestimmt, indem wir die Verteilung der Lesekompetenzwerte für das Leseverständnis heranziehen. Üblicherweise werden Werte innerhalb einer Standardabweichung vom Mittelwert einer Referenzgruppe als unauffällig klassifiziert. Wir nutzen dieses Kriterium, um Schüler:innen mit einem identifizierten Unterstützungsbedarf, die in der Lesekompetenz stärker als 1,04 Logits abschneiden, in die Gruppe der Falsch-Positiven einzuordnen. Die Richtig-Negativen stellen die Schüler:innen ohne identifizierten Unterstützungsbedarf dar. Ergebnisse Die Spezifität liegt für den nach unserer Definition identifizierten besonderen Unterstützungsbedarf bei 82,37 Prozent. Weder der Anteil an Schüler*innen mit Migrationshintergrund noch die mittlere Lesekompetenz bei gleichzeitiger Kontrolle des individuellen Leseverständnisses erwiesen sich als Prädiktoren für falsch-positive Klassifikationen. Jedoch stehen individuelle Faktoren wie die mathematischen Fähigkeiten oder die Schnelllesefähigkeit negativ mit der Wahrscheinlichkeit von falsch-positiven Beurteilungen im Zusammenhang. Außerdem scheinen bei Schüler:innen mit sonderpädagogischen Förderbedarfen eher mathematischen Fähigkeiten im Zusammenhang mit falsch-positiv Klassifikationen zu stehen, während bei Schüler:innen mit einer Teilleistungsschwäche dies insbesondere für die Schnelllesefähigkeit gilt. Diskussion Bei Rückschlüssen auf Basis von Status- oder Förderdiagnosen auf Lesekompetenzen von Schüler:innen sollte berücksichtigt werden, dass falsch-positive Entscheidungen vorliegen können. Die Ergebnisse der Regressionsanalyse können als Halo-Effekt für die Variablen Lesegeschwindigkeit und mathematische Fähigkeiten interpretiert werden. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Lesegeschwindigkeit und Leseverständnis ist das Leseverständnis möglicherweise schwer zu beurteilen, so dass falsch-positive Beurteilungen die Folge sind. Solche systematischen Urteilstendenzen lassen sich kaum vermeiden. Ihnen kann jedoch durch den komplementären Einsatz von objektiven Verfahren begegnet werden. Langsam, aber sicher? Die Kompetenzentwicklung von Schüler:innen mit besonderen Unterstützungsbedarfen in den Bereichen Sprache oder Lernen in der Sekundarstufe Theoretischer Hintergrund Die Implementierung inklusiver Bildung in der Schule stellt das gemeinsame Lernen von Schüler:innen mit und ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf in den Mittelpunkt. In der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland nicht nur zu einem inklusiven Bildungssystem verpflichtet, sondern auch zum Erheben statistischer Daten. Allerdings ist bislang wenig darüber bekannt, wie sich die schulischen Kompetenzen von Schüler:innen mit (sonderpädagogischem) Unterstützungsbedarf im Förderschwerpunkt Lernen oder Sprache im gemeinsamen Unterricht entwickeln. Longitudinale Erkenntnisse zur Kompetenzentwicklung von Schüler:innen mit besonderem Unterstützungsbedarf sind selten. Die Längsschnittanalyse von Jordon et al. (2002) zeigt, dass je nach Unterstützungsbedarf (ausschließlich Lesen vs. Mathematik und Lesen) Schüler:innen der Primarstufe unterschiedliche Kompetenzniveaus und -zuwächse erzielten. Anders als in der Domäne Lesen verzeichneten Schüler:innen mit dem umfassenden Unterstützungsbedarf in der Domäne Mathematik zwar niedrigere Niveaus, aber dennoch höhere Zuwächse. Schüler:innen im Förderschwerpunkt Lernen weisen gewöhnlich bedeutsame Lernrückstände in den Unterrichtsfächern Deutsch und Mathematik sowie unterdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten auf (Grünke & Grosche, 2014) und unterscheiden sich dieser Hinsicht von Schüler:innen im Förderschwerpunkt Sprache. Demnach sind spezifische Kompetenzentwicklungen in den Bereichen Lesen und Mathematik je nach Förderschwerpunkt möglich, die teilweise vom kognitiven Fähigkeitsprofil der Schüler:innen abhängen (Stranghöner et al., 2017). Studien, die die Kompetenzentwicklung von Schüler:innen mit besonderen Unterstützungsbedarfen in der Sekundarstufe untersuchen, liegen bislang nicht vor. Die Schüler:innen mit dem Förderschwerpunkt Sprache oder Lernen umfassen ein breites Spektrum an kognitiven Fähigkeitsprofilen, gleichwohl sind unterdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten ausschließlich ein Einschlussmerkmal für den Förderschwerpunkt Lernen. Daher sind Klassifikationen, nach denen Schüler:innen mit besonderen Unterstützungsbedarfen gruppiert werden, stets relevant für die Interpretation der Ergebnisse. Fragestellung In diesem Beitrag untersuchen wir, erstens, inwiefern querschnittliche Gruppenunterschiede in den Kompetenzwerten in der Jahrgangsstufe 6, also den Ausgangsniveaus der Gruppen mit Unterstützungsbedarfen im Bereich Lernen, im Bereich Sprache sowie ohne Unterstützungsbedarfe bestehen. Zweitens untersuchen wir, inwiefern sich die Kompetenzentwicklungen von der Jahrgangsstufe 6 zur Jahrgangsstufe 7 in den Domänen Lesen und Mathematik zwischen den drei Gruppen unterscheiden. Methode Wir präsentieren das Design für die längsschnittliche Kompetenzmessung in den Domänen Lesen und Mathematik in inklusiven und leistungsheterogenen Schulkontexten für die Jahrgangsstufen 6 und 7, das wir für die INSIDE-Studie (Inklusion in der Sekundarstufe I in Deutschland) entwickelt haben (vgl. Stegenwallner-Schütz et al., 2022). 1462 Schüler:innen haben in der Jahrgangsstufe 6 und 7 an den Kompetenztests und einem kognitiven Fähigkeitstest teilgenommen sowie einen Fragebogen bearbeitet. Auf Basis von Lehrkräfteangaben zu sonderpädagogischen oder klinischen Diagnosen sowie zu sonderpädagogischer Förderung wurden 97 Schüler:innen der Gruppe „Lernen“, 223 Schüler:innen der Gruppe „Sprache“ und 1142 Schüler:innen der Gruppe ohne Unterstützungsbedarf zugeordnet. Um die Kompetenzentwicklung, bzw. die Kompetenzen in der Jahrgangsstufe 7 zwischen den Gruppen zu vergleichen, wurde ein lineares Regressionsmodell separat für die Domänen Lesen und Mathematik eingesetzt mit der Gruppenzugehörigkeit, Kompetenzwerten zum ersten Messzeitpunkt, sowie Testwerten zu intellektuellen Fähigkeiten und Zuwanderungshintergrund als Prädiktorvariablen. Ergebnisse Kompetenzzuwächse zeichnen sich in allen Gruppen zwischen der Jahrgangsstufe 6 und 7 und in den beiden Domänen Lesen und Mathematik ab. Zwischen den Gruppen bestehen Unterschiede in der Stärke der Kompetenzentwicklung. Sowohl die Lese- als auch die mathematische Kompetenzentwicklung fällt bei Schüler:innen mit einem Unterstützungsbedarf im Bereich Lernen geringer aus als die der Schüler:innen mit einem Unterstützungsbedarf im Bereich Sprache (p < 0.01). Somit stützen diese Ergebnisse für die Sekundarstufe die Befunde von Jordon et al. (2002) aus der Primarstufe für die Lesekompetenzentwicklung. Ein Erklärungsansatz für den Gruppenunterschied liegt in den unterschiedlichen kognitiven Profilen begründet, die charakteristisch für die Zuweisung der diagnostischen Kategorien sind. Alternativ sind auch Einflüsse der unterschiedlicher Lernsettings, z.B. durch zieldifferenten Unterricht für die Schüler:innen mit Förderschwerpunkt Lernen, zu berücksichtigen. Die INSIDE-Studie bietet somit erstmals längsschnittliche Daten zur Kompetenzentwicklung von Schüler:innen in inklusiven Lerngruppen in der Sekundarstufe in Deutschland und spiegelt dabei deren gegenwärtige Leistungsheterogenität wider. |
15:20 - 17:00 | 6-06: Voreingenommenheit von Lehrkräften: Veränderbarkeit und Intervention Ort: H08 |
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Symposium
Voreingenommenheit von Lehrkräften: Veränderbarkeit und Intervention In Deutschland sind Schulleistung und Bildungserfolg weiterhin von herkunftsbezogenen Unterschieden charakterisiert (Reiss et al., 2019). Zwar sind Lehrkräfte laut Schulgesetz dazu verpflichtet, Schüler*innen unabhängig von ihrer Herkunft zu behandeln, jedoch zeigt eine Vielzahl an Studien, dass die Einschätzungen von Lehrkräften durch Merkmale der Lernenden abseits ihrer Leistung verzerrt sein können. Dazu zählt unter anderem die ethnisch-kulturelle Herkunft der Schüler*innen (Lorenz et al., 2016; Bonefeld et al., 2017; Nishen & Kessels, 2022). Aktuelle Forschung beschäftigt sich vorwiegend mit dem Nachweis und der Betrachtung von Ursachen für diese Verzerrungen und konnte bisher zeigen, dass unter anderem die Stereotype der Lehrkräfte die Bewertung von akademischer Leistung sowie das Verhalten der Lehrkräfte gegenüber Schüler*innen aus ethnisch-kultureller Minderheiten beeinflussen können (Kleen & Glock, 2018; Bonefeld & Dickhäuser, 2018; Tobisch & Dresel, 2017). Nachdem der Einfluss von Lehrkraftstereotypen in unterschiedlichen Bereichen aufgezeigt werden konnte, wird vielfach über Möglichkeiten der Intervention diskutiert (Glock, 2022). Es mangelt bislang allerdings an Forschungsarbeiten, die sich mit Ansatzpunkten für oder der Wirksamkeit von Interventionen beschäftigen, die (angehende) Lehrkräfte in diesem Bereich sensibilisieren könnten. Hierbei stellt sich neben der Wirksamkeitstestung verschiedener Interventionsansätze zunächst die Frage nach der generellen Veränderbarkeit von Stereotypen und Vorurteilen sowie damit zusammenhängenden begünstigenden Lehrkräftemerkmalen. Laut Rokeach und Cochkane (1972) können Vorurteile durch gezielte Interventionen prinzipiell vermindert werden, es spielen allerdings das Bewusstsein, die Motivation, sowie Fähigkeiten zur Reflexion und Ressourcen der Person eine essenzielle Rolle (Bargh, 1999). Im Zentrum des eingereichten Symposiums stehen daher aktuelle Forschungsarbeiten zur Veränderbarkeit sowie Ansätze zu Verringerung der Einflüsse von Lehrkraftstereotypen. Das Symposium öffnet in vier Beiträgen das Spannungsfeld zwischen empirischer Forschung zu Ansatzpunkten für die Entwicklung von Interventionen und bereits ausgearbeiteten Interventionen, welche in ihrer Wirksamkeit evaluiert werden. Dabei wird bewusst die Frage nach praktisch-anschlussfähigen Lösungen fokussiert und diskutiert. Im ersten Beitrag des Symposiums stellen die Autorinnen, Überlegungen zur Beziehung zwischen der Laientheorie zur wahrgenommenen Veränderbarkeit von Vorurteilen und motivationalen Konstrukten des Umgangs mit ethnisch-kultureller Heterogenität vor. Es zeigt sich, dass Studierende Vorurteile durchschnittlich als relativ veränderbar einschätzen. Die Studie konnte zeigen, dass sich eine stärkere inkrementelle Laientheorie positiv auf den Enthusiasmus für das Unterrichten heterogener Klassen sowie die Wichtigkeit von diversitäts- und nicht diversitätsbezogenen Themen auswirkt. Der zweite Beitrag des Symposiums fokussiert den Zusammenhang der impliziten Intelligenztheorie und impliziten Stereotypen von Lehramtsstudierenden. Die Autorinnen nehmen dabei die in Deutschland besonders benachteiligte Gruppe türkischstämmiger Schüler*innen in den Blick und zeigen, dass Zusammenhänge zwischen der impliziten Intelligenztheorie der Studierenden und deren impliziten leistungsbezogenen Stereotypen bestehen. Im dritten Beitrag des Symposiums testen die Autorinnen in zwei Studien eine Interventionsmaßnahme, die auf Grundlage der Vermittlung von Theorien der Stereotyp- und Einstellungsänderung das Ziel verfolgt, Verzerrungen in Urteilen von Lehramtsstudierenden zu verringern. Sie können die Wirksamkeit der Interventionsmaßnahme in Bezug zu verschiedenen Lehrkrafturteilen, nicht aber für die Veränderung impliziter Einstellungen nachweisen. Auch im letzten Beitrag des Symposiums wird eine Interventionsmaßnahme zur Reduktion von Urteilsverzerrungen vorgestellt und getestet. Im Mittelpunkt der ebenfalls auf angehende Lehrkräfte ausgerichteten Onlineintervention stehen die expliziten Einschätzungen, impliziten Einstellungen und das Bewusstsein über die eigenen Vorurteile. Die Autorinnen können eine Reduktion von expliziten negativen Einschätzungen durch Aufklärungsinformationen und Reflexionsaufgaben zeigen, während für implizite Einstellungen und die Wahrnehmung eigener Voreingenommenheit keine Interventionseffekte gefunden werden konnten. Die Beiträge illustrieren die Notwendigkeit der Beforschung von Ansatzpunkten zur Reduktion von Lehrkraftstereotypen und ihrer Einflüsse im Schulkontext und bieten dabei erste Möglichkeiten an, die Auswirkungen von Stereotypen zu reduzieren. Das Symposium soll damit die Möglichkeit bieten fruchtbare, bestehende Ansätze zu diskutieren und in einen größeren, gemeinsamen Zusammenhang zu stellen, um nachhaltige Interventionen zu entwickeln. Beiträge des Symposiums „Das lässt sich sowieso nicht ändern?“ Erste Ergebnisse zu Beziehungen zwischen Laientheorien zur Veränderbarkeit von Vorurteilen und motivationalen Konstrukten im Umgang mit ethnisch-kultureller Heterogenität Lehrkräfte benötigen für effektives Lehren eine Sensibilität und Handlungswissen in Bezug auf Diversität und Heterogenität (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Ein erhöhtes Stressempfinden, eine Verteidigungshaltung oder negative Emotionen können allerdings bedeutsame Hürden für die tiefergehende Auseinandersetzung mit ethnisch-kultureller Heterogenität und Diskriminierung sein (Gregoire, 2003; Knowles et al., 2014; Trawalter et al., 2009). Um erfolgreiche Interventionen zu ermöglichen, könnte das Stärken motivationaler Ressourcen von Lehrkräften im Umgang mit diesen Herausforderungen bedeutsam sein. Ein effektiver Umgang könnte durch eine inkrementelle Laientheorie zur Veränderbarkeit von Vorurteilen gefördert werden. Laientheorien zur Veränderbarkeit von Eigenschaften werden grob unterschieden in inkrementelle Theorien (veränderbare Eigenschaft) und Entitätstheorien (festgelegte Eigenschaft; Dweck et al., 2004). Eine inkrementelle Laientheorie geht mit einer adaptiveren Motivation bei eigenen – auch vorurteilsbezogenen – Fehlern oder Herausforderungen einher (Burnette et al., 2013; Carr et al., 2012; Dweck et al., 2004; Hennes et al., 2018; Neel & Shapiro, 2012; Nussbaum & Dweck, 2008; Schumann & Dweck, 2014). In der vorliegenden Studie wurde zum ersten Mal geprüft, inwiefern die Wahrnehmung von Vorurteilen als veränderbar mit positiveren motivationalen Ausprägungen von Lehramtsstudierenden im Umgang mit Heterogenität zusammenhängt. Diese Zusammenhänge wurden auf explorativer Basis getrennt für Studierende mit und ohne Migrationsgeschichte betrachtet. Insgesamt nahmen 197 Lehramtsstudierende teil (81% weiblich, 28% mit Migrationsgeschichte, M(Fachsemester) = 3.98, SD = 2.54). Sie beantworteten neun Items zur Laientheorie zur Veränderbarkeit von Vorurteilen (Cronbach’s Alpha = .910; angepasst von Carr et al., 2012), wobei höhere Werte eine stärkere inkrementelle Laientheorie anzeigten. Zusätzlich wurde erfasst, wie wichtig ihnen diversitätsbezogene und nicht diversitätsbezogene Themen in der Lehramtsausbildung sind (1 = gar nicht wichtig, 5 = sehr wichtig). Außerdem wurden ihre Selbstwirksamkeit und ihr Enthusiasmus im Unterrichten von ethnisch-kulturell heterogenen Klassen erfasst (Cronbach’s AlphaSelbstwirksamkeit = .805; Spearman-Brown-KoeffizientEnthusiasmus = .829; Hachfeld et al., 2012). Deskriptiv zeigte sich, dass die Studierenden durchschnittlich Vorurteile als etwas relativ Veränderbares einschätzten, wobei Studierende mit Migrationsgeschichte einer inkrementellen Laientheorie stärker zustimmten, t(195) = −2.65, p < .01, sowie eine höhere Selbstwirksamkeit, t(195) = −4.51, p < .001, und einen höheren Enthusiasmus, t(195) = −2.81, p < .01, berichteten. Anschließend wurden Regressionen durchgeführt, in denen die Laientheorie, Migrationsgeschichte und ihre Interaktion die motivationalen Konstrukte vorhersagten. Es zeigte sich, dass Studierenden mit einer stärkeren inkrementellen Laientheorie sowohl diversitätsbezogene (β = 0.27**, R² = 0.06) als auch nicht diversitätsbezogene Themen im weiteren Lehramtsstudium wichtiger waren (β = 0.21*, R² = 0.08). Studierende mit einer stärkeren inkrementellen Laientheorie gaben außerdem an, höheren Enthusiasmus für das Unterrichten in ethnisch-kulturell heterogenen Klassen zu haben (β = 0.31***, R² = 0.12). Allerdings hingen Laientheorien von Studierenden nicht mit ihrer Selbstwirksamkeit zusammenhingen (β = 0.12, n.s.). Diese Zusammenhänge unterschieden sich nicht für Studierende mit und ohne Migrationsgeschichte (Interaktionskoeffizienten: alle p > .147). Die vorliegende Studie testete zum ersten Mal in Deutschland, inwiefern Laientheorien zur Veränderbarkeit von Vorurteilen mit positiveren motivationalen Ausprägungen bei Lehramtsstudierenden mit und ohne Migrationsgeschichte assoziiert sind. Insgesamt bestätigte sich dieses erwartete Bild mit Ausnahme der Selbstwirksamkeit. Dieses Muster könnte darauf hinweisen, dass eine inkrementelle Laientheorie die Motivation für das eigene Lernen erhöht, aber für eine erhöhte Selbstwirksamkeit weitere Aspekte – beispielsweise das Vermitteln tatsächlicher Kompetenzen – entscheidend sein könnte. Aufgrund der bestehenden Limitationen (z.B. Selbstbericht) können die Ergebnisse nur eine erste Grundlage dafür bieten, die Bedeutsamkeit für die Weiterbildung von Lehrkräften und Lehramtsstudierenden einzuschätzen. Die Ergebnisse zur wahrgenommenen Wichtigkeit des Themas sowie des Enthusiasmus deuten darauf hin, dass eine stärker inkrementelle Laientheorie zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit diversitätssensiblem Unterrichten assoziiert sein könnte. Allerdings waren diese Zusammenhänge nicht spezifisch für diversitätssensible Themen. Weitere Forschung sollte deswegen tatsächliche Entscheidungen von Lehrkräften in den Blick nehmen (z.B. Prioritätensetzung in der Auswahl von Fortbildungen) und prüfen, inwiefern sich Laientheorien zu Vorurteilen von Laientheorien zu Eigenschaften generell abgrenzen lassen. Implizite Intelligenztheorie und implicit bias von Lehramtsstudierenden gegenüber türkischstämmigen Schülern: Gibt es einen Zusammenhang? Soziale Ungleichheiten sind ein präsentes Problem im deutschen Bildungssystem (Autor*innengruppe Bildungsberichterstattung, 2022). Schüler*innen mit Migrationshintergrund, insbesondere mit einem türkischen Migrationshintergrund, schneiden schlechter ab als diejenigen Schüler*innen, die keinen Migrationshintergrund aufweisen. In diesem Zusammenhang werden auch die Lehrkräfte in die Verantwortung genommen und als ein Grund für die ethnischen Disparitäten gesehen (Glock et al., 2020). Diesbezüglich werden insbesondere Einstellungen und Urteilsverzerrungen von Lehrkräften gegenüber Schüler*innen bestimmter sozialer Gruppen diskutiert. So ist die Befundlage recht deutlich, dass (angehende) Lehrkräfte implizit negativ gegenüber Schüler*innen mit türkischem Migrationshintergrund eingestellt sind (Glock et al., 2020) und diese – speziell im Fach Deutsch – schlechter beurteilen als Schüler*innen ohne Migrationshintergrund (z.B. Kleen & Glock, 2018). Resultierend aus diesen Erkenntnissen wird vielfach untersucht, wie Unterricht allen Schüler*innen gerecht und fair werden kann. Implizite Intelligenztheorien von Lehrkräften stellen einen Aspekt dar, der ebenfalls mit Bildungsungleichheiten in Zusammenhang steht (z.B. Canning et al., 2019). Bei der impliziten Intelligenztheorie geht es um die subjektiven Vorstellungen von Personen, wie diese die Veränderbarkeit von Intelligenz einschätzen (Dweck et al., 1995). Dabei wird unterschieden zwischen Intelligenz als starrem und nicht veränderbaren Konstrukt, dem fixed mindset, und Intelligenz als veränderbar und entwicklungsfähig, dem growth mindset. Ein growth mindset bei Lehrkräften gilt als vielversprechend für eine Reduzierung von Bildungsungleichheiten und kann auch positiv auf Stereotype und Vorurteile wirken kann (Burnette et al., 2022; Hooper et al., 2017). Gleichzeitig können sich Disparitäten bei einem fixed mindset der Lehrperson verstärken (Seo & Lee, 2021). In der nachfolgenden Studie wird daher untersucht, inwiefern die implizite Intelligenztheorie von angehenden Lehrkräften mit deren Einstellungen und Attributionen gegenüber türkischstämmigen Schüler*innen zusammenhängt. Dafür werden einerseits leistungsbezogene Stereotype von Lehramtsstudierenden betrachtet und andererseits die Attributionen für schulischen Misserfolg in den Fächern Deutsch und Mathematik. Auf Grundlage der Theorie und Empirie wird davon ausgegangen, dass Lehramtsstudierende, die eher den Annahmen eines growth mindsets zustimmen, weniger implizite leistungsbezogene Stereotype aufweisen. Zusätzlich wird erwartet, dass ein growth mindset mit weniger internal stabilen Attributionen verknüpft wird. An der Studie haben 74 Lehramtsstudierende (48 weiblich, MAlter = 25,71, SD = 2,92) teilgenommen. Zu Beginn wurde ein Fragebogen angelehnt an Hong et al. (1999) zur Erfassung der impliziten Intelligenztheorie (α=.94) eingesetzt. Danach folgt ein Leistungsstereotype-IAT (Impliziter Assioziationstest; Bonefeld & Dickhäuser, 2018; Greenwald et al., 1998). Anschließend erhielten die Teilnehmenden eine Schülerbeschreibung (Kleen & Glock, 2018), wobei die Ethnie anhand des Namens variiert wurde. Der gezeigte Schüler wies schlechte Leistungen auf und die Lehramtsstudierenden haben die Gründe für die Leistungen in einem Attributionsfragebogen (αDeutsch=.92, αMathe=.93, Glock & Kleen, 2020) eingeschätzt. Zum Schluss wurden die demografischen Variablen erfragt. Es wurde eine Regression mit den impliziten Stereotypen als abhängiger Variable und der impliziten Intelligenztheorie als Prädiktor gerechnet. Die Ergebnisse zeigen, dass die implizite Intelligenztheorie der Lehramtsstudierenden mit ihren impliziten leistungsbezogenen Stereotypen zusammenhängen. Diejenigen Lehramtsstudierenden, die eher einem growth mindset zustimmten, wiesen auch geringere implizite Leistungsstereotype gegenüber türkischstämmigen Schülern auf. Weiterhin wurden Regressionen für die Attributionen gerechnet, ebenfalls mit der Intelligenztheorie und zusätzlich dem Migrationshintergrund des Schülers als Prädiktoren. Bei den internal stabilen Attributionen für die Deutschleistung zeigten sich bei dem deutschen Schüler keine Unterschiede je nach Intelligenztheorie der Teilnehmenden. Bei dem türkischstämmigen Schüler wurde jedoch deutlich, dass ein growth mindset mit weniger internal stabilen Attributionen zusammenhängt. Für die internal stabilen Attributionen im Fach Mathematik konnte dies nicht gezeigt werden. Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse, dass das growth oder fixed mindset der Lehrkräfte eine wichtige Variable ist, um Disparitäten entgegenzuwirken. Der Zusammenhang von impliziter Intelligenztheorie mit impliziten Einstellungen, aber auch mit den Attributionen macht deutlich, dass es sich lohnen kann, ein growth mindset bei Lehrkräften zu fördern. Hier könnten Interventionen zum Mindset von Lehrkräften (z.B. Heyder et al., 2023) ein relevanter Schritt sein. Können herkunftsbezogene Urteilsverzerrungen bei angehenden Lehrkräften durch eine kurze Online-Intervention reduziert werden? Eine Pilotstudie Einschätzungen von Lehrkräften können durch irrelevante Merkmale der Lernenden wie deren Herkunft verzerrt sein (z.B. Lorenz et al., 2016; Nishen & Kessels, 2022). In Deutschland bestehen beispielsweise oft hohe Kompetenzerwartungen gegenüber Personen aus Ostasien und eher geringe Erwartungen gegenüber Personen aus Nordafrika (Froehlich & Schulte, 2019) – was dazu führen kann, dass Lernende ostasiatischer Herkunft besser eingeschätzt werden als Lernende nordafrikanischer Herkunft. Um Urteilsverzerrungen vorzubeugen, das Bewusstsein für die eigene Voreingenommenheit (bias awareness; Perry et al., 2015) zu erhöhen und damit insgesamt zu mehr Bildungsgerechtigkeit beizutragen, wurden Interventionen für (angehende) Lehrkräfte entwickelt (z.B. Bonefeld, 2022; Pit-ten Cate & Glock, 2022; Tobisch et al., 2022). Zentrale Elemente solcher Interventionen sind Aufklärungsinformationen und Reflexions- bzw. Übungsaufgaben. Trotz erster Wirksamkeitsnachweise sind noch Fragen offen, zum Beispiel: Zeigen sich Interventionseffekte nur in expliziten Maßen (z.B. Ankreuzverhalten) oder auch in impliziten Maßen (z.B. IAT)? Führt eine Intervention, die die Bias Awareness erhöht, tatsächlich zu weniger verzerrten Urteilen? Inwiefern können auch sehr kurze Interventionen Veränderungen bewirken? In unserer Studie untersuchten wir die Effekte einer kurzen (ca. 20 min.) Online-Intervention darauf, wie angehende Lehrkräfte zwei (fiktive) Schüler einschätzen (= explizite Einschätzungen), wie stark ihre positiven/ negativen Assoziationen gegenüber ostasiatischen/ nordafrikanischen Jungen in einem IAT ausgeprägt sind (= implizite Einstellungen) und wie sehr sie sich der eigenen Voreingenommenheit bewusst sind (= bias awareness). Die Intervention sollte herkunftsbezogene Unterschiede in den (a) expliziten Einschätzungen und (b) impliziten Einstellungen der Lehramtsstudierenden reduzieren und (c) die Bias Awareness erhöhen. An der experimentellen, präregistrierten Online-Studie nahmen 65 Lehramtsstudierende teil (Alter: M = 22.9 Jahre, SD = 4.1; 86% weiblich), die entweder die Stereotypen-Intervention (n = 31) oder eine Kontrollintervention bearbeiteten (n = 34). Die Stereotypen-Intervention beinhaltete Informationen zu den Auswirkungen von Stereotypen in der Schule, Reflexionsaufgaben und Feedback zu den eigenen Einschätzungen. Die Kontrollintervention hatte die gleiche Struktur und Länge, beinhaltete aber Informationen und Reflexionsaufgaben zu kognitionswissenschaftlichen Grundlagen des Lernens. Wir erfassten (a) explizite Einschätzungen zweier fiktiver Schüler namens Takashi und Ahmed hinsichtlich ihrer Anstrengungsbereitschaft und Leistung (diese Namen wurden in einer separaten Studie vorgetestet) mit jeweils einem Item, (b) implizite Einstellungen mittels IAT und (c) die Bias Awareness per Fragebogen (Perry et al., 2015). Die Analysen zeigten, dass (a) herkunftsbezogene Unterschiede in der eingeschätzten Anstrengungsbereitschaft durch die Stereotypen-Intervention reduziert wurden (d = -0.62); Unterschiede in der Leistungseinschätzung verringerten sich in beiden Gruppen (d = -0.41). Diese Effekte waren darauf zurückzuführen, dass Ahmed nach der Stereotypen-Intervention signifikant besser eingeschätzt wurde als vorher (Anstrengungsbereitschaft: d = 0.72; Leistung: d = 0.89). Für (b) herkunftsbezogene Unterschiede in den impliziten Einstellungen und (c) Bias Awareness zeigten sich keine Interventionseffekte (alle ps > .3). Insgesamt konnte die Kurzintervention also teilweise dazu beizutragen, herkunftsbedingte Urteilsverzerrungen zu reduzieren. Insbesondere führte sie dazu, dass ein Junge, dessen Name eine Herkunft impliziert, die mit eher negativen Erwartungen verbunden ist, weniger unterschätzt wurde. Dass die Verzerrungen auch in der Kontrollgruppe abnahmen, könnte darauf hindeuten, dass die Teilnehmenden ihr Ankreuzverhalten in der zweiten Befragung generell stärker reflektierten als in der ersten. Implizite Einstellungen wurden durch die Intervention nicht beeinflusst. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass solche unbewussten, tief sitzenden Einstellungen durch jahrelange Erfahrungen geprägt werden und nur schwer (nachhaltig) verändert werden können (Röhner & Lai, 2021). Entgegen unseren Erwartungen zeigten sich auch keine Effekte auf die Bias Awareness. Dies lag möglicherweise an der Formulierung der Items, die stark auf das „sich Sorgen machen“ fokussierten. Möglicherweise hatten die Lehramtsstudierenden nach der Intervention den Eindruck, nun sensibilisiert zu sein und sich daher weniger „Sorgen“ machen zu müssen. Um die Effekte der Intervention besser zu verstehen und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen, sollen in weiteren Analysen die Antworten auf die Reflexionsfragen ausgewertet werden. Veränderung herkunftsbezogener Stereotype, Einstellungen und Urteilsverzerrungen: Erprobung und Replikation einer Kurzintervention Herkunftsbezogene Unterschiede im Bildungserfolg sind in Deutschland weiterhin auf hohem Niveau (z. B. Reiss et al., 2019). Insbesondere SchülerInnen mit niedrigem sozialem Status und Migrationshintergrund schneiden im Vergleich zu SchülerInnen mit hohem sozialem Status und ohne Migrationshintergrund durchschnittlich schlechter ab und besuchen auch seltener das Gymnasium, was sich nicht ausschließlich durch tatsächliche Fähigkeits- und Leistungsunterschiede erklären lässt. Untersuchungen zum Übergang von der Grundschule auf weiterführende Schulen haben gezeigt, dass sekundäre Effekte des familiären Hintergrunds der SchülerInnen teilweise auf verzerrte Lehrkrafturteile zurückzuführen sind (z. B. Dumont et al., 2014). Erklären lässt sich dies durch verzerrte Prozesse der sozialen Wahrnehmung sowie Kategorisierungs- und Stereotypisierungsprozesse, denen Personen insbesondere bei oberflächlicherer oder eher automatisierter Informationsverarbeitung unterliegen (vgl. Fiske & Neuberg, 1990). Experimentelle Studien ergaben z.T. negativ verzerrte Urteile für männliche Schüler mit türkischem Migrationshintergrund oder niedrigem sozialem Status (z. B. Bonefeld & Dickhäuser, 2018), aber auch positiv verzerrte Urteile für männliche Schüler ohne Migrationshintergrund und mit höherem sozialem Status (z. B. Tobisch & Dresel, 2017). In Übereinstimmung mit dem Kontinuum-Modell der Eindrucksbildung (Fiske & Neuberg, 1990) wurden in ersten experimentellen Studien Einflüsse von Stereotypen und Einstellungen von (angehenden) Lehrkräften auf Urteilsverzerrungen nachgewiesen (z. B. Glock et al., 2016). Um stereotypisierte Urteile zu reduzieren, wurden bereits Interventionsansätze entwickelt, die negative Stereotype und Einstellungen gegenüber stigmatisierten Gruppen reduzieren (z.B. Baadte, 2020). Diese sind allerdings sehr zeitintensiv und lassen sich nur teilweise in die reguläre Lehramtsausbildung integrieren. Vor diesem Hintergrund wurde eine Kurzintervention (3 Seiten) entwickelt, die Elemente aus Theorien der Stereotyp- und Einstellungsänderung (Intergruppenkontakttheorie, vgl. Pettigrew & Tropp, 2008; Elaboration Likelihood Model, Petty & Cacioppo, 1986) kombiniert und in der Lehramtsausbildung eingesetzt werden kann. Dabei erhielten Lehramtsstudierende schriftliches Feedback zu ihren impliziten und expliziten Einstellungen gegenüber türkischem Migrationshintergrund sowie Informationen zum Einfluss von Stereotypen auf die Urteilsbildung im schulischen Kontext. Zudem wurden u.a. praktische Tipps zur Verhaltenskontrolle gegeben. Das Inventionskonzept wurde in einer experimentellen Onlinestudie (Prä-Post-Follow-up-Design mit Placebo-Bedingung) mit N = 215 Lehramtsstudierenden getestet. Erhoben wurden zu allen drei Messzeitpunkten Stereotype und Einstellungen gegenüber SchülerInnen mit türkischem und ohne Migrationshintergrund, sowie Stereotype und Einstellungen in Bezug auf die soziale Herkunft der SchülerInnen. Zudem wurden zu allen drei Messzeitpunkten Schülerbeurteilungen (Leistungserwartung, Gymnasialeignung, Anstrengungsbereitschaft, allgemeine schulische Fähigkeiten) basierend auf Fallvignetten (Halbjahreszeugnis 4. Jgst.; Herkunftsmanipulation durch Vornamen) von den Lehramtsstudierenden erfasst. Die Ergebnisse (zwei-faktorielle mixed ANOVA) zeigten Interventionseffekte (p < .05) auf Stereotype und Einstellungen sowie teilweise auch auf Lehrkrafturteile über Schüler. Eine zweite Studie, in der dieselbe Intervention mit einer alternativen Intervention (in der herkunftsbezogene Emotionen fokussiert wurden) verglichen wurde (N = 203), replizierte die meisten Effekte auf Einstellungen und Stereotype und etliche Effekte auf die Schülerbeurteilungen. Geschlussfolgert werden kann, dass die Kombination von Interventionselementen zur Änderung von Stereotypen und Einstellungen mit Anweisungen zur Kontrolle von Urteilsverzerrungen einen effizienten Ansatz bieten könnte, um (angehende und praktizierende) Lehrkräfte für ihre (zukünftigen) Urteilsverzerrungen zu sensibilisieren. Die entwickelte Kurzintervention kann durch ihren geringeren zeitlichen Aufwand für die Teilnehmenden in der regulären universitären Lehramtsausbildung oder auch im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen eingesetzt werden. |
15:20 - 17:00 | 6-07: World Café: Research-Practice-Partnerships ko-konstruktiv gestal-ten Ort: S18 |
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Offenes Beitragsformat
World Café: Research-Practice-Partnerships ko-konstruktiv gestal-ten DIPF | Leibnizinstitut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Deutschland Die themenbezogene Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Schulen hat sich in den vergangenen Jahren als eine erfolgreiche Methode des Wissenschafts-Praxis-Transfers herausgestellt. In langfristig angelegten Research-Practice-Partnerships (RPPs) arbeiten Forschende und Praktiker:innen ko-konstruktiv daran, Lösungen zu konkreten Praxisproblemen und Ansätze zur Schulentwicklung gemeinschaftlich zu erproben (Coburn, Penuel & Geil, 2013). RPPs dienen dazu, die Kluft zwischen Forschung und Praxis in der Bildung zu überbrücken, evidenzbasierte Entscheidungsfindungen zu fördern und somit positive Veränderungen in Schulen und Bildungseinrichtungen zu unterstützen. Neben Schulen selbst werden dabei auch Strukturebenen des Schulsystems in den Veränderungsprozess einbezogen, so dass RPPs auch geeignet sind, die Flächenwirkung von Maßnahmen zu fördern (Coburn, Penuel & Farrell, 2021; Donovan, 2013). Nach Coburn und Penuel (2016) wird der Ansatz durch die folgenden Kriterien charakterisiert:
Eine wesentliche Herausforderung dabei bilden neben der Herstellung einer gemeinsamen Kommunikationsebene zwischen Wissenschaft und Praxis auch unterschiedliche Normen, Rollenerwartungen und Verantwortlichkeiten der Akteur*innen (Coburn & Penuel, 2016). So kann es aufgrund unterschiedlicher Erwartungen hinsichtlich von Normen, Rollen und Verantwortlichkeiten zu Konflikten in der Zusammenarbeit zwischen Praktiker:innen und Forschenden kommen, die die Zusammenarbeit wesentlich erschweren (Rosen, 2010). Weitere Herausforderungen ergeben sich aus den Organisationsstrukturen der Schulverwaltung und der Schule: So führen beispielsweise personelle Veränderungen, wie sie im Wissenschaftsbetrieb häufig vorkommen, zu einer Neuetablierung der Beziehung, zudem existieren mitunter unterschiedliche Interessengruppen, deren Positionen die Dynamik der RPPs beeinflussen (Coburn & Penuel, 2016; Rosenquist et al., 2015). Wesentlich ist es daher, innerhalb von RPPs eine gemeinsame Identität bzw. geteilte Vorstellungen von Sinn und Bedeutung der gemeinsamen Arbeit zu erarbeiten und in die Beziehungsarbeit zu investieren. Obwohl Unterschiedlichkeit in den Perspektiven der Teammitglieder vorteilhaft ist, sollte dabei eine ausreichende Überschneidung der Perspektiven existieren, um effizient an gemeinsamen Themen arbeiten zu können (Coburn & Stein, 2010). Darüber hinaus ist auch eine wissensbasierte, partizipativ und diskursiv angelegte Evidenzgenese von hoher Bedeutung für den Erfolg von RPPs. Hierfür sind u.a. die Integration unterschiedlicher Logiken der Akteursgruppen eine wesentliche Voraussetzung, die beispielsweise gemeinsame Kommunikationssettings und spezifische Diskussion- und Aushandlungsprozesse erfordern (Manitius & Bremm, 2021). Bislang liegen nur aus wenigen Projekten Erfahrungen und Erkenntnisse zur gelingenden Gestaltung von RPPs vor, so dass unklar bleibt, wie die entsprechenden Prozesse tragfähig gestaltet werden können. Die Daten, die über die Prozesse der Zusammenarbeit existieren, sind zudem meist von Wissenschaftler:innen während des Prozesses angefertigte Notizen und deshalb stark durch die Perspektive der Forschenden geprägt. Das geplante Format zielt daher darauf ab, die Teilnehmenden im Rahmen eines World Cafés dazu anzuregen, gemeinsam Ideen und Impulse für die Gestaltung tragfähiger Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis im Rahmen von Forschungsprojekten zu generieren. Hierbei soll im Sinne eines Austausches zu next practices auf bereits vorliegende Erfahrungen in der ko-konstruktiven Gestaltung von Forschungsvorhaben zurückgegriffen werden. Insbesondere für Nachwuchswissenschaftler:innen kann das Format somit dazu beitragen, die Besonderheiten gelingender Kooperationen mit der Bildungspraxis in zukünftigen Forschungsprojekten adäquat zu berücksichtigen. Inhalte und Ablauf des geplanten Formats Im Rahmen eines World Cafés sollen die Teilnehmenden Gelegenheit erhalten, sich zu Aspekten gelingender RPPs auszutauschen und Ideen zur deren Gestaltung zu sammeln und zu strukturieren. Das Format des World Cafés eignet sich besonders, um große Gruppen große Gruppen miteinander ins Gespräch zu bringen und das Wissen und die Erfahrung der Mitglieder produktiv zu nutzen (z.B. Fouché & Light, 2011). Durch wiederholte Diskussion von Impulsfragen an mehreren Café-Tischen erzielen die Teilnehmenden einen Erkenntnisgewinn aus einer breiten Palette von Wissensressourcen, Meinungen und Erkenntnissen. Das Format strukturiert und befördert somit die Ideenfindung und erzielt innerhalb kürzester Zeit verwertbare und konzentrierte Ergebnisse. Das World-Café starte mit einem Überblick über Ablauf und Ziele des Formats (vgl. Tabelle 1). Von besonderer Bedeutung ist die Erläuterung der verschiedenen Rollen während des Formats: Die Organisator*innen bzw. Antragsteller*innen veranstalten das Café, übernehmen die Vorbereitung, die Einweisung in den Ablauf sowie die Nachbereitung des Cafés. Die Gastgeber*innen betreuen die wechselnden Teilnehmenden an einem konkreten Tisch durch Verknüpfung der Erkenntnisse aus den verschiedenen Diskussionsrunden. Diese Gastgeber*innen werden zum Auftakt des Cafés unter den Teilnehmenden auf freiwilliger Basis gesucht. Die Teilnehmenden selbst wechseln nach jeder Runde den Tisch und bringen eigene Ideen, Impulse und Erfahrungen ein. Tabelle 1. Ablauf des geplanten World Cafés. Auftakt und Vorbereitung (15 min)
Durchführung (60 min + 10 min für Wechselpausen) Gesprächsrunde 1 (15 min)
Gesprächsrunde 2 (15 min)
Gesprächsrunde 3 (15 min)
Gesprächsrunde 4 (15 min)
Auswertung und Verabschiedung (15 min)
Im Rahmen des World Cafés werden insgesamt vier Austauschrunden an vier bis fünf Tischen realisiert. Für vier der Tische bereiten die Organisator*innen Impulsfragen vor, ein fünfter Tisch dient der Bearbeitung von Fragen/Impulsen, die die Teilnehmenden mitbringen. Ideen und Erkenntnisse, die an den Tischen generiert werden, werden von den Teilnehmenden anhand von Vorlagen für die nachfolgenden Gäste notiert und können so einerseits für die folgende Diskussionsrunde genutzt, aber auch für die Dokumentation des Formats aufbereitet werden. Nach Ablauf des World Cafés bereiten die Organisator*innen die Ergebnisse auf und senden sie – ein entsprechendes Einverständnis der Tielnehmenden vorausgesetzt – an die Gruppe. Folgende Fragen können beispielsweise im Rahmen des World Cafés behandelt werden:
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15:20 - 17:00 | 6-08: Von Wissen zu Performanz von Lehrkräften: Beiträge zu den Korrelationen sowie der Entwicklung der Performanz im integrativen Kompetenzverständnis Ort: H06 |
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Symposium
Von Wissen zu Performanz von Lehrkräften: Beiträge zu den Korrelationen sowie der Entwicklung der Performanz im integrativen Kompetenzverständnis In den vergangenen Jahren hat sich In der kompetenzorientierten Lehrer:innenbildungsforschung ein Zweig entwickelt, welcher sich der Erforschung der Wirkungs- und Entwicklungsannahmen bezüglich des integrativen Kompetenzstrukturmodells von Blömeke et al. (2015) widmet. Die Fragestellungen beziehen sich auf die Zusammenhänge und die Entwicklung der drei Kompetenzfacetten der a) Kompetenzaspekte (z.B. Professionswissen), b) der Wahrnehmungs-, Interpretations- und Entscheidungsprozesse (WIE) sowie c) der Performanz. Die Befunde zu den Wirkungszusammenhängen sind jedoch inkonsistent und es bedarf weiterer Forschung (z.B. Junker et al., 2021; Blömeke et al., 2022; König et al., 2021). Des Weiteren gründet das Kompetenzstrukturmodell auf der Entwicklungsannahme, dass die Verbesserung der Performanz einer Lehrkraft (AV) durch die drei Entwicklungskomponenten a) der qualitativen Verbesserung der Kompetenzaspekte (UV1), b) der Verbesserung der WIE (UV2) sowie c) der gezielten Übung der Umsetzung von Qualitätskriterien (z.B. Qualitätskriterien einer guten Klassenführung) in der eigenen Unterrichtspraxis (UV3) erfolgt (z.B. Baumgartner, 2022; Hecker, Falkenstern & Lemmrich, 2020). Die Datenlage bezüglich der (Teil-)Erforschung der dargelegten Entwicklungsvermutung ist jedoch dünn (z.B. Blömeke et al., 2022). Insbesondere über die Faktoren effektiver Interventionen bezüglich der Verbesserung der Zielvariable der Performanz einer Lehrkraft ist noch wenig bekannt (z.B. König et al., 2022). Deshalb werden im Rahmen des (disziplinenübergreifenden) Symposiums sowohl Beiträge zur modellbezogenen Zusammenhangsannahmen als auch zur Entwicklungsvermutung lanciert. Im Spezifischen fokussieren Weyers et al. auf ein neu entwickeltes Beobachtungsinstrument zur Erfassung effektiver Klassenführung im Lese- und Rechtschreibunterricht der Primarstufe. Sie demonstrieren, dass die beobachtete Klassenführung mit dem pädagogischen Wissen, aber nicht mit dem fachdidaktischen Wissen von Primarstufenlehrkräften in Zusammenhang steht. Dabei diskutiert der Beitrag nicht nur Herausforderungen der standardisierten Unterrichtsbeobachtung, sondern regt auch den ergänzenden Einbezug von selbstberichteter Unterrichtsqualität an. Müller et al. werden im dritten Beitrag mit Blick auf angehende Lehrkräfte drei verschiedene Erfassungsformate zur Messung von situationsspezifischen Fähigkeiten in Bezug auf Klassenführung vergleichen und deren Zusammenhänge untereinander sowie mit der Klassenführungsqualität vorstellen. In den beiden letzten Beiträgen wird ein vom Schweizerischen Nationalfonds gefördertes Forschungsprojekt zum Transformationsprozess von Wissen zu Performanz bei (angehenden) Sportlehrkräften am Beispiel der Klassenführung (WiPe-Sport) vorgestellt. Anhand von inhaltlich abgestimmten Mess- und Testinstrumenten zur Erfassung des klassenführungsbezogenen Wissens, der diesbezüglichen WIE und der klassenführungsbezogenen Performanz bei angehenden Sport unterrichtenden Lehrkräften untersuchen Berthold et al. die Zusammenhangsvermutungen des Kompetenzstrukturmodells von Blömeke et al. (2015). Diesbezüglich bleiben die theoretisch erwarteten Zusammenhänge aus. Professionelles Wissen, WIE und Performanz zeigen bei den Teilnehmern der Interventionsstudie (n = 90) weder vor noch nach der Intervention signifikante Zusammenhänge. Diese Ergebnisse werden im Kontext der theoretischen Annahmen, der vorhandenen empirischen Belege und dem Studiendesign kritisch diskutiert. Im Anschluss richten Baumgartner et al. ihren Fokus dabei auf die modellbezogene Entwicklungsannahme (vgl. Blömeke et al., 2015). In einer quasi-experimentellen Interventionsstudie wurde u.a. anhand von vier Untersuchungsgruppen (UG) angehender Lehrkräfte erschlossen, welche Wirkung die jeweiligen Entwicklungskomponenten auf die klassenführungsbezogene Performanzentwicklung haben. Es wird aufgezeigt, dass einzig in der höchsten Interventionsstufe, in welcher die UG die Umsetzung der Qualitätskriterien einer guten Klassenführung in der eigenen Unterrichtspraxis üben konnten, ein signifikanter Performanzzuwachs (z(17) = 12.0, p = 0.002) mit einem grossen Effekt (r = 0.741) festgestellt werden konnte. Beiträge des Symposiums Zur Beobachtung effektiven Classroom Managements in der Primarstufe: Vorstellung eines Rating-Instruments und Bezüge zu Wissen und selbstberichteter Unterrichtsqualität Theoretischer Hintergrund Effektives Classroom Management gilt als Basisdimension der Unterrichtsqualität und bedingt maßgeblich schulisches Lernen (Hattie, 2012; Klieme, 2018; Korpershoek et al., 2016). Es umfasst die Handlungen der Lehrkraft zur Gestaltung einer störungsarmen und die Lernzeit nutzenden Lernumgebung, beispielsweise mithilfe von Regeln und Routinen (Doyle, 2006; Kounin, 1970; Ophardt & Thiel, 2013). Die standardisierte Erfassung von Classroom Management spielt in Forschungsarbeiten zur Unterrichtsqualität und Lehrkräftekompetenz eine zentrale Rolle (König et al., 2021; König & Kramer, 2016; Lenske et al., 2016). Generell ist die Messung von Unterrichtsqualität jedoch herausfordernd und verlangt eine adäquate Konzeption und Erhebungsmethode (Praetorius et al., 2012; Strong et al., 2011). Obwohl Erfassungen aus Sicht der Schüler*innen sowie als Selbstbericht der Lehrkraft möglich sind, werden Beurteilungen durch geschulte Beobachter*innen favorisiert (Praetorius et al., 2012). Allerdings liegen nur wenige Rating-Instrumente für den Primarstufenunterricht vor (z. B. Gabriel-Busse et al., 2021; Pianta & Hamre, 2009). Der Beitrag fokussiert auf ein neu entwickeltes Rating-Instrument zur Beobachtung effektiven Classroom Managements im basalen Lese- und Rechtschreibunterricht (Projektkontext: WibaLes). Das Instrument soll Zusammenhänge zwischen Kompetenzaspekten (z. B. Wissen), Unterrichtsqualität und Lernfortschritt aufdecken. Diese Verwendung setzt passgenaue Validitätsbelege voraus, insbesondere theoriekonforme Zusammenhänge zum professionellen Wissen, aber auch zur selbsteingeschätzten Unterrichtsqualität (Bell et al., 2012; Fauth et al., 2014; Hartig et al., 2020). Fragestellung Zentrale Befunde zum Instrument werden anhand von drei Forschungsfragen dargestellt: Forschungsfrage 1: Erlaubt das Rating-Instrument eine reliable Messung von Classroom Management als eine Basisdimension der Unterrichtsqualität? Forschungsfrage 2: Zeigen sich theoriekonforme Korrelationen zum pädagogischen und fachdidaktischen Wissen? Forschungsfrage 3: Zeigen sich Korrelationen (a) zum selbstberichteten Classroom Management und (b) zu Unterrichtsstörungen im Selbstbericht? Methode Acht Kategorien des Classroom Managements wurden erarbeitet, die insbesondere in der Primarstufe bedeutsam sind: (1) Unterrichtstörungen, (2) Allgegenwärtigkeit, (3) effektive Zeitnutzung, (4) klare Regeln, (5) klare Routinen, (6) Wertschätzung, (7) Strukturierung und (8) Zielklarheit. Dem beobachteten Unterricht wird für jede Kategorie ein Wert zwischen 1 (niedrige Qualität) und 4 (hohe Qualität) zugeordnet. Das Instrument wurde anhand des Unterrichts von 35 Primarschullehrkräften im Lese- und Rechtschreibunterricht erprobt (jeweils bis zu drei Messzeitpunkte). Zusätzlich wurden das pädagogische Wissen und das fachdidaktische Wissen (Schwerpunkt: Lese- und Rechtschreibunterricht) sowie das selbstberichtete Classroom Management erfasst. Die Analysen umfassten Reliabilitäts- und Faktorenanalysen (Ansatz virtueller Fälle; n = 170) sowie Rangkorrelationen zu Wissen und Selbsteinschätzungen. Ergebnisse Das eindimensionale Faktormodell mit acht Beobachtungskategorien zeigte verbesserungswürdige Modellpassung (CFI = .848), aber akzeptable bis gute Reliabilitäten über die Beobachtungszeitpunkte hinweg (.50 ≥ α ≥ .89). Eine theoriegeleitete Unterscheidung zwischen organisationalen (Kategorien 1-6) und instruktionalen Aspekten (Kategorien 7-8) des Classroom Managements verbesserte die Modellpassung (CFI = .949), was Annahmen zu einer mehrdimensionalen Struktur stützt (Clausen et al., 2003; Gilberts & Lignugaris-Kraft, 1997). Erwartungskonform zeigten sich signifikante Korrelationen zum pädagogischen Wissen (r = .385; p < .05), sodass die Ratings valide als Maß fächerübergreifender Performanz von Lehrkräften interpretierbar sein dürften (König & Kramer, 2016; Lenske et al., 2016). In Einklang mit vorherigen Befunden (Baumert et al., 2010; Voss et al., 2014) zeigte sich kein Zusammenhang zum fachdidaktischen Wissen (r = .103; p > .10). Die Unterrichtsbeobachtungen korrelierten signifikant mit der selbstberichteten Intensität der Unterrichtsstörungen (r = .385; p < .05), aber nicht mit dem selbstberichteten Classroom Management insgesamt (r = .265; p > .10). Zusammenfassend zeigen sich vielversprechende Ergebnisse für den weiteren Einsatz des Instruments, wobei auch Limitationen und Weiterentwicklungspotentiale hervorzuheben sind, beispielsweise mit Blick auf (ggf. stichprobenbedingt) vorhandene Deckeneffekte. Auch das Potential der Erfassung von Classroom Management im Selbstbericht ist weiter zu prüfen (z. B. Fauth et al., 2014) – so zeigten explorative Analysen auch Zusammenhänge zwischen pädagogischem Wissen und selbstberichtetem Classroom Management (r = .421; p < .05). Zusammenhänge zwischen analytischer und holistischer Erfassung situationsspezifischer Fähigkeiten in Bezug auf Klassenführung und Klassenführungsqualität von Lehramtsstudierenden In den letzten Jahren stieg die Anzahl der Instrumente zur Erfassung von situationsspezifischen Fähigkeiten (SSF) erheblich an (König et al., 2022; Weyers et al., 2023). Diese unterscheiden sich jedoch hinsichtlich verwendeter Terminologie sowie ihrer Operationalisierung der SSF. So existieren Instrumente, die zwischen einer analytischen (=Betrachtung einzelner SSF-Prozesse wie Beschreibung, Interpretation, etc.) und einer holistischen (=Betrachtung von SSF als ganzheitlicher Prozess) Auslegung von SSF variieren (König et al., 2022). Meist verwenden Instrumente kurze authentische Unterrichtsvideos als Teststimulus, welche von hochstandardisierten geschlossenen Aufgaben wie Ratingitems (z.B. Seidel & Stürmer, 2014) bis hin zu weniger standardisierten offenen Aufgabenformaten (z.B. Jamil et al., 2015) begleitet werden. Dabei konnten nur geringe bis moderate Zusammenhänge zwischen verschiedenen Aufgabenformaten identifiziert werden (z.B. Frommelt et al., 2019; Mischo et al., 2023), die für eine geringe konvergente Validität sprechen. Zudem ist die Evidenz für die Vorhersagevalidität nach wie vor begrenzt, da Zusammenhänge zwischen SSF und Unterrichtsqualität nur vereinzelt gefunden werden konnten ¬¬– unabhängig vom Erfassungsformat (Gold et al., 2021; König & Kramer, 2016; König et al., 2021; Krauss et al., 2020). Davon ausgehend werden in der vorgestellten Studie mittels drei verschiedener Formate zur Erfassung der SSF folgende Fragestellungen fokussiert: Wie hängen die unterschiedlichen Formate zur Messung der SSF (1) untereinander und (2) mit Unterrichtsqualität bei Lehramtsstudierenden zusammen? Inhaltlich wird das Unterrichtsqualitätsmerkmal Klassenführung fokussiert, da sich eine effektive Klassenführung wiederholt als bedeutsam für die Entwicklung der Lernenden erwies (Hattie, 2009; Praetorius et al., 2016). Die Stichprobe bestand aus 85 Masterstudierenden des Lehramtes (70.6% weiblich, MAlter=23.51 Jahre [SD=1.89 Jahre]). Die Auswahl der drei verschiedenen videobasierten Erfassungen orientierte sich an üblichen Verfahren quantitativer Instrumente der bereits erwähnten Unterteilung in eine analytische und holistische Konzeptualisierung von SSF (König et al., 2022). Es wurden zwei typische Formate gewählt, die den analytischen Ansatz repräsentieren (Ratingitems, adaptiert nach Gold & Holodynski, 2017, Cronbachs α=.87, Kodierung einzelner SSF-Prozesse in einer schriftlichen Analyse auf Prompts, adaptiert nach Gippert et al., 2022, .74 < Cohens ĸ < .82). Die Ratingitems deckten das wissensbasierte Interpretieren von unterrichtsrelevanten Events ab, während die schriftlichen Analysen auf die Prompts in erkannte Events, deren wissensbasierte Interpretation und Generierung begründeter Handlungsalternativen kodiert wurden. Der holistische Ansatz wurde durch die Kodierung von Expertisemerkmalen (z.B. Integration verschiedener Perspektiven, Offenheit für alternative Erklärungen) in einer globalen Einschätzung der gezeigten Unterrichtssequenz repräsentiert, adaptiert nach Wolff et al., 2015, .81 < Cohens ĸ < .84. Zur Erfassung der Klassenführungsqualität lagen Schüler*inneneinschätzungen zur wahrgenommenen Klassenführung aus Unterrichtsstunden während des Praxissemesters der Studierenden vor (Subskalen: Präsenz, α=.62; Regelklarheit, α=.55; Strukturierung, α=.62; Mitarbeit, α=.85). Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Erfassungsformaten der SSF wurden mittels Korrelationsanalysen berechnet. Zusammenhänge zwischen den SSF der Lehramtsstudierenden mit den Schüler*innenratings wurden mittels Mehrebenenregressionsmodellen geschätzt. (1) Zwischen den Erfassungsformaten konnten nur einzelne Zusammenhänge identifiziert werden: Die Ratingitems korrelierten mit den Kodierungen der SSF-Prozesse Erkennen (r=.31, p<.01) und wissensbasierte Interpretation (r=.25, p<.01). Zudem hingen die Generierung begründeter Handlungsalternativen der schriftlichen Analyse und die Integration verschiedener Perspektiven im Globalrating geringfügig zusammen (r=.25, p<.05). (2) Hinsichtlich der zweiten Fragestellung zeigte die wissensbasierte Interpretation erfasst mittels Ratingitems einen negativen Zusammenhang mit der von Schüler*innen wahrgenommenen Präsenz (β=-.31, p<.05). Das wissensbasierte Interpretieren aus den Kodierungen der schriftlichen Analyse korrelierte negativ mit der wahrgenommenen Regelklarheit (β=-.29, p<.05). Positive Korrelationen waren nur im holistischen Ansatz identifizierbar: Je offener die angehenden Lehrkräfte für alternative Erklärungen und Kontexteffekte waren, desto besser bewerteten die Schüler*innen die Strukturiertheit des Unterrichts (β=.27, p<.05) sowie die Regelklarheit (β=.40, p<.01). Das unklare Zusammenhangsmuster steht im Einklang mit inkonsistenten Befunden aus bestehenden Untersuchungen zur konvergenten und prädiktiven Validität videobasierter Instrumente. Die Ergebnisse weisen darauf hin, neben der notwendigen Analyse einzelner relevanter Events auch holistische Ansätze zu fokussieren und somit die unterrichtliche Komplexität stärker einzubeziehen. Von Wissen zu Performanz am Beispiel der Klassenführung im Fach Bewegung und Sport: Zu den Zusammenhangsvermutungen Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Für die professionelle Kompetenz von Lehrpersonen lassen sich aus dem Kompetenzstrukturmodell nach Blömeke et al. (2015) Zusammenhangsvermutungen zwischen den drei Kompetenzfacetten 1) der Kompetenzaspekte (z.B. Professionswissen), 2) der situativen kognitiven Wahrnehmungs-, Interpretations- und Entscheidungsfähigkeiten (WIE) sowie 3) die Performanz aufstellen. In jüngster Zeit sind verschiedene Forschungsbemühungen festzustellen, in welchen diese Zusammenhangsvermutungen empirisch erhellt werden. In den Studien werden niedrige bis hohe positive Korrelationen zwischen Professionswissen und der WIE dargestellt (r = 0,13 – 0,56; z.B. Müller & Gold, 2022). Auch bezüglich des Zusammenhanges zwischen dem Professionswissens und der Performanz konnten positive Zusammenhänge gezeigt werden (z.B. König & Pflanzl, 2016). Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen der WIE und der Performanz ist die Datenlage je-doch inkonsistent (z.B. Blömeke et al., 2022; König et al., 2022). Für das Fach Bewegung und Sport liegen zurzeit keine Untersuchungen vor, welche die dargelegte Zusammenhangsvermutungen zwischen den verschiedenen Kompetenzfacetten systematisch und kompetenzbereichsbezogen erforschten. Im Rahmen des SNF-Projekts WiPe-Sport soll diese Forschungslücke am Beispiel der Klassenführung im Sportunterricht bearbeitet werden. Diesbezüglich steht die Fragestellung im Zentrum, ob und welche Zusammenhänge zwischen dem klassenführungsbezogenen Wissen, der klassenführungsbezogenen WIE und der klassenführungsbezogenen Performanz bei angehenden Lehrkräften bestehen. Methode Zur Messung der verschiedenen Kompetenzfacetten wurden im Rahmen der Untersuchung ein computerbasiertes Testinstrument zur Erfassung des klassenführungsbezogenen Wissens (eindimensionale 2pl - IRT Modellierung; Reliabilität: EAP = .603, WLE = .569) sowie ein videovignettenbasiertes Instrument zur Messung der diesbezüglichen WIE (eindimensionale 2pl - IRT Modellierung; EAP = 0.647, WLE = 0.639) entwickelt (Baumgartner et al., 2023). Diese Instrumente wurden von einem vorliegenden Beobachtungsinstrument zur Erfassung der klassenführungsbezogenen Performanz im Sportunterricht (9 latente Variablen mit 27 Items; Baumgartner et al., 2020) abgeleitet und sind dementsprechend inhaltlich abgestimmt. Die Daten wurden im Rahmen der projektbezogenen Interventionsstudie (Pre-Post-Control-Design mit 4x2-Faktorenstufen) erhoben, an welcher angehende Lehrkräfte partizipierten (n = 90); vgl. Beitrag 4: Baumgartner et al.). Zur Auswertung der erhobenen Daten wurden Korrelationsanalysen gerechnet. Ergebnisse Während sich im Rahmen der Pilotierung der Testinstrumente die erwarteten, wenn auch kleinen Zusammen-hänge zwischen Wissen und WIE zeigten (r = 0.13, p < 0.001), sind diese bei den Interventionsteilnehmenden (Hauptuntersuchung) nicht festzustellen. Es liegen bei den Ergebnissen der Teilnehmenden der Interventionen keine signifikanten Zusammenhänge zwischen Wissen, WIE und Performanz vor. Im Beitrag werden die-se Ergebnisse vor dem Hintergrund der theoretischen Annahmen, den empirischen Belegen und des Studiendesigns kritisch diskutiert. Daran anschliessend werden weitere Überlegungen zur Erfassung professioneller Kompetenzen bei (angehenden) Lehrkräften angestellt. Klassenführung angehender Lehrkräfte: Welche Entwicklungskomponenten fördern die Performanz? Einleitung und Fragestellung Die Wirksamkeit der Ausbildung von Lehrkräften lässt sich letztlich daran messen, wie effektiv angehende Lehrkräfte die für den Lehrberuf relevanten professionellen Kompetenzen erwerben können, um die Förderung der Entwicklung der Schüler:innen zu unterstützen (SKBF, 2023). Der Transfer der Ausbildungsinhalte in die eigene Praxis bzw. der Transformationsprozess von den Kompetenzaspekten (z.B. Professionswissen) zu Performanz bei angehenden Lehrkräften nimmt dementsprechend einen relevanten Stellenwert ein (Baumgartner, 2022). Blömeke et al. (2015) legen diesbezüglich ein Kompetenzstrukturmodell vor, das diesen Transformationsprozess darstellt. Das Modell basiert dabei auf der Entwicklungsvermutung, dass die Qualität der Performanze (AV) durch die drei Entwicklungskomponenten der Verbesserung der 1) der Kompetenzaspekte, 2) der situativen kognitiven Wahrnehmungs-, Interpretations- und Entscheidungsfähigkeiten (WIE) von Lehrkräften sowie 3) der Übung der Umsetzung der Qualitätskriterien (z. B. Qualitätskriterien der Klassenführung) in der eigenen Unterrichtspraxis erhöht werden kann (Baumgartner, 2022). Bisher liegen keine Studien vor, in welchen die Wirkung aller drei Entwicklungskomponenten hinsichtlich des Performanzzuwachses von Lehrpersonen anhand von gezielten Interventionen untersucht wurde. Im Rahmen des vom SNF geförderten Forschungsprojekts zum Transformationsprozess von Wissen zu Performanz bei (angehenden) Sportlehrkräften (WiPe-Sport) soll diese Forschungslücke am Beispiel der Klassenführung bearbeitet wer-den. Es wird dabei die Frage gestellt, welche Wirkungen drei verschiedene Interventionen, in welchen die drei Entwicklungskomponenten gezielt angesteuert werden, auf den Performanzzuwachs haben. Methode Die quasi-experimentelle Interventionsstudie basiert auf einem vierstufigen Hauptfaktor Untersuchungsgruppe (UG) und einem zweistufigen Hauptfaktor Messzeitpunkt (Pre-Post-Control-Design mit 4x2-Faktorenstufen). In der Studie durchlaufen die vier UG (n = 20-25), die aus Lehramtsstudierenden der Pädagogischen Hochschule St.Gallen bestehen, verschiedene Interventionsstufen. Drei UG erhalten jeweils eine zunehmend gesteigerte Dosis (UG1: Förderung klassenführungsbezogenen Wissens; UG2: Intervention 1 und Förderung klassenführungsbezogene WIE; UG3: Intervention 1 und 2 sowie videobasiertes Feedback von Dozierenden auf das eigene klassenführungsbezogene Handeln; UG4: Gruppe Standardintervention, die nur ein Praktikum absolviert). Vor und nach der Durchführung der Interventionen wurden die drei Kompetenzfacetten (Professionswissen; WIE; Performanz) durch die für die Studie entwickelten klassenführungsbezogenen Instrumente erfasst (Baumgartner et al., 2020; Baumgartner et al., 2023). Die abhängige Variable (AV) stellt die klassenführungsbezogene Performanz im Sportunterricht dar, als unabhängige Variablen (UV) gelten die Interventionsstufen. Zur Datenauswertung wurden einfaktorielle ANCOVAs mit Messwiederholung, Wilcox-Tests und die jeweiligen Effektstärken berechnet. Ergebnisse Die Analysen zeigen Effekte der Interventionen bei Kontrolle für die Vorkenntnisse zu t0. Es liegen signifikante Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen nach der Intervention im Bereich der WIE (F(3, 64) = 4,80, p = 0.004, partielles η² = 0.144) und der Performanz (F(3, 65) = 4,20, p = 0.008, partielles η² = 0.087) vor, nicht jedoch im Bereich des Professionswissens (F(3, 65) = 2,17, p = 0.100, partielles η² = 0.055). Post-Hoc Analysen zeigen, dass durch die Interventionsmassnahmen die einzelnen Facetten spezifisch und direkt angesteuert werden konnten, während die Gruppe der Standardintervention in keiner der drei Facetten signifikante Entwicklungen zeigt. Einzig in der UG4 konnte ein signifikanter Performanzzuwachs (z(17) = 12.0, p = 0.002) mit einem starken Effekt (r = 0.741) festgestellt werden. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass der Performanzzuwachs bei den angehenden Lehrkräften dann erfolgt, wenn in der Ausbildung die eigene Unterrichtspraxis gezielt und kompetenzbereichsbezogen reflektiert wird. |
15:20 - 17:00 | 6-09: Chancengerechtigkeit in der Hochschule: Die Rolle von Beratung vor dem Abitur Ort: S17 |
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Symposium
Chancengerechtigkeit in der Hochschule: Die Rolle von Beratung vor dem Abitur Die soziale Herkunft beeinflusst die nachschulischen Bildungsentscheidungen junger Erwachsener in Deutschland nach wie vor deutlich (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2020; Hillmert & Jacob, 2010; Schindler & Lörz, 2012). Dies betrifft nicht nur die Wahl zwischen einem Studium und einer Berufsausbildung, sondern auch die Wahl zwischen einer Universität und einer Fachhochschule (z.B. Neugebauer et al., 2016), die Wahl des Studienfachs (Georg & Bargel, 2017) und die Absicht, ein Masterstudium aufzunehmen (z.B. Neugebauer et al., 2016). Auch vor diesem Hintergrund stieg in den letzten Jahren in der Politik und der Forschung das Interesse an Programmen, die darauf zielen, soziale Disparitäten in der Hochschule abzubauen. Diese Programme haben oftmals zum Ziel, die nachschulischen Bildungsentscheidungen von der sozialen Herkunft zu entkoppeln, um horizontale und vertikale Ungleichheiten in der Hochschule zu reduzieren. Die Forschung zu solchen Beratungen steht in Deutschland jedoch noch am Anfang. So gibt es kaum Forschungsarbeiten dazu, wie diese Beratungen ablaufen, wie sie von den Akteur:innen erlebt werden und welche Wirkung sie entfalten. Zwar existieren bereits einige Studien zur Wirkung von Informationsworkshops auf die Einschreibung von Studierenden ohne akademischen Hintergrund (z. B. Barone et al. 2017; Ehlert et al. 2017), jedoch ist die Forschung zur Wirkung individueller Beratungen für Oberstufenschüler:innen in Europa noch sehr spärlich (Herbaut & Geven, 2020). Das Symposium bringt empirische Studien zur Ausgestaltung und Wirkung von individuellen Beratungen in der Oberstufe zusammen, die versuchen, die nachschulische Bildungsentscheidung von sozialen Kontextfaktoren zu lösen. Diese Studien bearbeiten einige Wissenslücken in der aktuellen Forschungslandschaft, so etwa die Themen der Selektionsprozesse beim Zugang zu Beratungsprogrammen, der Beziehung zwischen beratenden Schüler:innen und Berater:innen und letztlich der Wirkung von intensiven Beratungen auf die nachschulischen Bildungsentscheidungen von jungen Menschen und damit ihrer Partizipation an der Hochschulbildung in Deutschland. Damit bietet das Symposium besondere Erkenntnisse darüber, ob und auf welche Weise junge Menschen dabei unterstützt werden können, Bildungswege zu wählen, die ihren Interessen und Potentialen entsprechen, statt Entscheidungen zu treffen, die recht eng an die familiäre Bildung angelehnt sind. Das Symposium beginnt mit der Vorstellung der Ergebnisse zur Wirkung eines individuellen Beratungsprogramms auf die Bildungsentscheidung für einen nachschulischen Bildungsweg. In diesem Beitrag zeigen Erdmann et al. anhand eines experimentellen und längsschnittlichen Forschungsdesigns, dass eine individuelle Beratung von Oberstufenschüler:innen vor allem in der letzten Phase eines längeren Prozesses, der von der Studienintention bis zur Studienaufnahme verläuft, eine beachtliche ungleichheitsreduzierende Wirkung aufweist. Als größte Limitation der Studie wird diskutiert, dass aufgrund des Designs keine Aussagen über die konkreten Wirkmechanismen getroffen werden können und die Intervention somit eine Black Box bleibt. Diese Black Box wird im zweiten Beitrag von Bienek aufgebrochen, indem der Beitrag Befunde zur Zusammenarbeit von Abiturient:innen nichtakademischer Herkunft mit einem:r Berater:in vorstellt. Dabei arbeitet Bienek in ihrer qualitativ-rekonstruktiven Studie drei Typen der Zusammenarbeit heraus: die stetige berufswahlbezogene Kooperation, die engmaschige lebensbereichsübergreifende Begleitung und die punktuelle anlassbezogene Unterstützung. Die gefundenen Typen machen deutlich, dass eine Beratung individuell und flexibel sein sollte, um der Heterogenität der Bedarfe junger Menschen gerecht zu werden. Der dritte Beitrag von Schuchart knüpft an das Thema der individuellen Bedürfnisse bei der Berufsfindung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund an. In diesem Beitrag untersucht Schuchart, welche Bedeutung die Beziehung zwischen Berater:innen und Schüler:innen dafür hat, dass Schüler:innen handlungsmotiviert sind und eine nachschulische Bildungsentscheidung treffen, die als sicher empfunden wird. Besonderes Augenmerkt wird dabei auf die gegenseitige Übereinstimmung in der Wahrnehmung von Beratungsmotiven und der Wertschätzung gelegt. Anhand von quantitativen Befragungsdaten zu den Beratungsgesprächen zeigt Schuchart, dass vor allem eine gesteigerte Wertschätzung die Handlungsmotivation und Entscheidungssicherheit von Personen mit Migrationshintergrund erhöht. Es sind insbesondere die unterschiedlichen Perspektiven und die Methodenvielfalt der Beiträge, die dabei helfen, ein tieferes Verständnis über individuelle Beratungen zur Reduzierung von Bildungsungleichheiten zu erhalten. Beiträge des Symposiums Individuelle Beratungsprogramme als Chance Bildungsungleichheiten entgegenzuwirken. Ergebnisse einer randomisiert kontrollierten Studie Trotz steigender Zahl der Studienberechtigten in Deutschland ist die Wahrscheinlichkeit, ein Studium aufzunehmen, stark von der sozialen Herkunft junger Menschen abhängig (Quast et al. 2023). Dies steht im Widerspruch zur Chancengerechtigkeit und führt auf Ebene der Hochschulen zu einer eher homogenen Zusammensetzung der Studierendenschaft. Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten Jahren zunehmend Maßnahmen implemen-tiert, die von kurzen Informationsworkshops bis hin zu individuellen Beratungsprogrammen reichen. Ziel dieser Maßnahmen ist es, junge Menschen zu befähigen ihre nachschulische Bildungsentscheidung unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und ihrem sozialen Kontext zu treffen und umzusetzen. Studien, die insbesondere die Wirksamkeit individueller Beratungsprogramme kausalanalytisch untersuchen, existieren im europäischen Raum jedoch kaum (Herbaut und Geven 2020). Mit der Studie „Zukunfts- und Berufspläne vor dem Abitur“ (ZuBAb) tragen wir dazu bei, die vorhandene Wissenslücke zu schließen, indem wir anhand eines experimentellen Studiendesigns die Wirkung eines Beratungsprogramms in NRW untersuchen (Pietrzyk et al., 2019). Das untersuchte Beratungsprogramm hat das übergeordnete Ziel, Oberstufenschüler:innen bei der Verwirklichung ihrer Bildungswünsche zu unterstützen und die Passung zwischen ihren Interessen und Fähigkeiten und des gewählten nachschulischen Bildungswegs zu erhöhen. In unserem Beitrag betrachten wir die Aufnahme eines nachschulischen Bildungswegs als Ergebnis eines Prozesses mit mehreren Phasen, in denen sowohl Selbst- als auch Fremdselektionsprozesse stattfinden (siehe z.B. Finger 2022). Untersuchungen zu den jeweiligen Phasen zeigen, dass Ungleichheiten in der Bildungsaspiration vor dem Schulabschluss (Schneider und Franke, 2014; Woisch et al., 2019), im Bewerbungsverhalten (Ehlert et al. 2017) und letztlich in der Aufnahme unterschiedlicher nachschulischer Bildungswege (Neugebauer 2015; Quast et al. 2023) existieren. Eine intensive und lange Beratung kann potentiell auf verschiedene Phasen Wirkung entfalten. Wir untersuchen daher, auf welche dieser Phasen und Selektionsprozesse eine intensive Beratung wirkt, um soziale Ungleichheiten zu verringern. Für die Beantwortung dieser Frage stellen wir entlang der Phasen Ergebnisse verschiedener Teilstudien vor. Die Grundlage für die Analysen bieten die Daten von anfänglich 1404 Schüler:innen, die über einen Zeitraum von vier Jahren in Rahmen des ZuBAb-Projekts erhoben wurden. Für die Analyse nutzen wir lineare Wahrscheinlichkeitsmodelle und wenden für die Bestimmung des Programmeffekts die intention-to-treat Analysestrategie an. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich sichtbare Programmeffekte erst bei der letzten Phase, der Studienaufnahme, beobachten lassen. So zeigt die intensive Beratung keine Wirkung auf die während der Schulzeit erfasste Studienaspiration der Schüler:innen. Zudem unterscheidet sich das Bewerbungsverhalten der Programmteilnehmenden im ersten Jahr nach dem Abitur nicht signifikant von ehemaligen Schüler:innen, die der Vergleichsgruppe zugeordnet wurden. Erst anderthalb Jahre nach dem Schulabschluss zeigt sich ein deutlicher ungleichheitsreduzierender Effekt. Dieser verzögerte Effekt wird teils dadurch erklärt, dass sich soziale Ungleichheiten beim Studienübergang in Deutschland erst ein Jahr nach dem Erlangen der Hochschulreife herausbilden. Vor allem Abiturient:innen aus akademischen Elternhäusern absolvieren nach der Schule ein sogenanntes Gap Year und nehmen erst ein Jahr später ein Studium auf. Weil wir keinen Effekt auf die Studienaspiration beobachten, lassen die Ergebnisse für die verschiedenen Phasen darauf schließen, dass das Programm vor allem die Umsetzung einer Studienaspiration unterstützt. Unser Beitrag schließt mit einer Diskussion der Limitationen und bildungspolitischen und forschungspraktischen Implikationen unserer Ergebnisse. Die größte Limitation unserer Studie ist, dass die vorgestellten Ergebnisse keine Schlüsse über die zugrundeliegenden Wirkmechanismen der Beratung zulassen. Ohne tiefergehende Analysen zum konkreten Geschehen innerhalb der Beratung stellt sich diese als Black Box dar. Dennoch zeigen unsere Ergebnisse, wie bedeutend eine Beratung von Oberstufenschüler:innen für die Reduzierung von sozialer Ungleichheit sein kann. Wie gestalten Abiturient:innen nichtakademischer Herkunft die Zusammenarbeit mit einem Talentscout? Befunde einer qualitativ-rekonstruktiven Studie zur Berufsfindung von Teilnehmenden des NRW-Talentscoutings Als Fundament für eine erfolgreiche Bewältigung des nachschulischen Übergangs hat der Berufsfindungsprozess junger Menschen eine hohe individuelle und gesellschaftliche Relevanz. Die Berufsfindung wird auch von Abiturient:innen als herausfordernd erlebt (Hurrelmann et al. 2019), wobei junge Menschen nichtakademischer Herkunft vermehrt angeben, kurz vor dem Abitur noch keine gefestigte Bildungsintention zu haben und ihren eigenen Informationsstand niedriger einschätzen als Befragte mit akademischem Familienhintergrund (Süßlin 2014; Woisch et al. 2019). Unabhängig von der sozialen Herkunft sind sich viele Abi-turient:innen unklar über ihre Fähigkeiten und äußern den Wunsch nach persönlicher und bedarfsbezogener Beratung (Oechsle et al. 2009). Ein bildungspolitisch stark unterstütztes und medial präsentes Beratungsangebot für junge Menschen in der Phase der Berufsfindung ist das NRW-Talentscouting. Im Rahmen des Programms begleiten sogenannte Talentscouts von 23 Universitäten und Hochschulen landesweit Schüler:innen von Berufskollegs, Gesamtschulen und Gymnasien auf ihrem Bildungsweg. Das Talentscouting richtet sich insbesondere an engagierte Schüler:innen der Sekundarstufe II, die Potenziale aufweisen und aus weniger privilegierten oder nichtakademischen Familien stammen. Das Angebot ist langfristig, freiwillig und hinsichtlich der Anschlussoption (Studium, Berufsausbildung, FSJ etc.) ergebnisoffen angelegt (Kottmann & Bienek 2023; Kottmann & Meetz 2019). Individuelle Angebote der Berufsorientierung werden von Abiturient:innen zumeist positiv bewertet (Oechsle et al. 2009). Während einzelne Effekte individueller Beratungsangebote, z. B. eine Steigerung der Selbstwirksamkeit und der subjektiven Erfolgserwartung (Mohrenweiser & Pfeiffer 2016), belegt sind, fehlt es an Studien, die die Subjektsicht der teilnehmenden Abiturient:innen in den Blick nehmen. Anknüpfend an dieses Forschungsdesiderat stellt der Beitrag Befunde zur Zusammenarbeit von Abiturient:innen nichtakademischer Herkunft mit einem Talentscout vor. Der Beitrag basiert auf einer qualitativ-rekonstruktiven Studie zur Berufsfindung von Abiturient:innen nichtakademischer Herkunft, die am Programm NRW-Talentscouting teilnehmen (Bienek 2023). Die Studie nimmt eine praxeologisch-wissenssoziologische Perspektive (Bohnsack 2017) ein, entsprechend derer davon ausgegangen wird, dass die Handlungspraxis in der Berufsfindung und die Inanspruchnahme des Talentscoutings insbesondere durch implizite, atheoretische Wissensbestände angeleitet wird. Dementsprechend folgt das methodische Vorgehen der Methodologie der Dokumentarischen Methode (ebd.). Um einen Zugang zum impliziten, handlungsleitenden Wissen der Akteur:innen zu erhalten, wurden 15 narrativ-fundierte Interviews mit Abiturient:innen benachteiligter Herkunft geführt, die mindestens ein Jahr durch einen Talentscout begleitet wurden und ihre (Fach-)Hochschulreife auf Gesamtschulen und Berufskollegs im Ruhrgebiet abgelegt haben. Die Datenanalyse erfolgte mittels des mehrstufigen Verfahrens der Dokumentarischen Interviewinterpretation (Bohnsack 2021; Nohl 2017). Die rekonstruierten sinngenetischen Typen können als unterschiedliche Bearbeitungsweisen (modi operandi) eines gemeinsamen Themas verstanden werden. Als Ergebnis lassen sich drei Modi der Zusammenarbeit im Talentscouting differenzieren, die sich hinsichtlich des Gegenstands der Zusammenarbeit, der Interaktionsgestaltung sowie bezüglich der Sicht auf das Programm Talentscouting unterscheiden. Während der Talentscout beim ersten Typ als stetiger berufswahlbezogener Kooperationspartner fungiert und die Interaktion durch eine selbstbestimmte Beziehungspflege und Hilfe zur Selbsthilfe gekennzeichnet ist, erscheint der Talentscout beim zweiten Typ als engmaschige lebensbe-reichsübergreifende Begleitung, in der eine Asymmetrie der Beziehung und emotionaler Rückhalt zentral sind. Für den dritten Typ fungiert der Talentscout als punktuelle anlassbezogene Unterstützung, wobei der Erhalt von Informationen und eine Arbeitsteilung charakteristisch sind. Im Beitrag werden mögliche Relationen zu verschiedenen Bearbeitungsweisen der Berufsfindung sowie zu unterschiedlichen familiären Bildungserwartungen diskutiert. Die Befunde verweisen auf den Stellenwert der Interaktionsgestaltung für die Zusammenarbeit und knüpfen damit an Studien zu Coaching- oder Mentoringansätzen (Stein 2020; Wahl 2021) sowie zum pädagogischen Arbeitsbündnis (Oevermann 2017) an. Insgesamt zeigen die Ergebnisse am Beispiel des Talentscoutings auf, dass die Bedürfnisse sowie die Inanspruchnahme eines individuellen Beratungsangebots durch junge Menschen höchst heterogen sind. Um dieser Heterogenität gerecht zu werden, bedarf es eines Angebots, das flexibel und langfristig angelegt ist und jungen Menschen eine selbstbestimmte Nutzung erlaubt. Gegenseitige Übereinstimmung zwischen schulischen Berater:innen und Schüler:innen: Zur Entwicklung der wechselseitigen Gesprächswahrnehmung über die Zeit Einleitung/Theorie Schüler:innen mit Migrationshintergrund haben größere Schwierigkeiten, ihre Bildungsziele und Karrierepläne zu verwirklichen als Schüler:innen ohne Migrationshintergrund. Einer der Gründe dafür ist, dass viele von ihnen weder über das notwendige Wissen über das Bildungssystem noch über den Zugang zur Hilfe anderer verfügen (Stanton-Salazar et al., 2001). Schulische Berater:innen können Schüler:innen dabei unterstützen ihre Bildungsziele umzusetzen (Heath et al., 2010). Einige Autoren weisen darauf hin, dass die Berater:innen nicht nur kompetent sein müssen, sondern auch in der Lage sein sollten, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. (Schneider et al., 2014; Stanton-Salazar, 2011). Darauf sind besonders nichtprivilegierte Schüler:innen angewiesen (Dogan & Dollarhide 2021). Vertrauensvolle Beziehungen entwickeln sich als Ergebnis der Erfahrung von „Gegenseitigkeit“, d.h. eines gemeinsamen Verständnisses zu Motiven und Zielen der Beratung sowie einem gegenseitigen Rollenverständnis (Bryk & Schneider, 2002, Holland, 2015). Eine wichtige Grundlage ist die durch Berater:innen ausgedrückte Wertschätzung, wie sie sich bspw. im Interesse an der Zukunft der Schüler:innen und im persönlichen Engagement ausdrückt (Noddings 2005). Wenn zwischen Schüler:innen und Berater:innen jedoch aufgrund unterschiedlicher sozialer und kultureller Erfahrungen Differenzen bestehen, kann es schwierig sein, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Dementsprechend weisen einige Studien darauf hin, dass es den Berater:innen besonders schwerfällt, die Bedürfnisse und Ziele von Studierenden mit Migrationshintergrund zu verstehen, mit dem Ergebnis, dass diese Studierenden häufiger entmutigt werden (z. B. Holland, 2015; Tatar, 2012). Insgesamt wissen wir immer noch wenig über die Qualität und Dynamik zwischenmenschlicher Prozesse und ihrer Ergebnisse in der Beratung, da nur wenige Studien sich mit den prozessualen Aspekten der Beratung befasst haben und damit, wie diese durch den Migrationsstatus der Schüler:innen beeinflusst werden. Außerdem sind diese Studien qualitativer Natur, und es ist wenig über die Übertragbarkeit ihrer Ergebnisse auf andere Kontexte bekannt. Die vorliegende Studie richtet sich auf Merkmale gegenseitiger Übereinstimmung in Beratungsbeziehungen und fragt: 1. Ist die Entwicklung von Übereinstimmung beeinflusst durch den Migrationsstatus der Schüler:innen? 2. Beeinflusst Übereinstimmung in Wechselwirkung mit dem Migrationsstatus der Schüler:innen die Ergebnisse der Beratung? Methode Die vorliegende Studie basiert auf einer quantitativen Befragung von Schüler:innen der gymnasialen Oberstufe und von Berater:innen, die als externe "Talentscouts" regelmäßig Beratungen an diesen Schulen anbieten. Für unsere Studie wurden über einen Zeitraum von neun Monaten (2018-2019) Daten zu 265 Beratungsgesprächen von 169 Studierenden und 10 Berater:innen erhoben. Beratenden und Schüler:innen wurden nach jedem Gespräch die gleichen Fragen vorgelegt: Variablen: Beratungsmotive der:s Schüler:in (5 Items zur Studien- und Berufsplanung, ja/nein). Pro Motiv wurden beide Parteien nach der Einschätzung gefragt, ob die Beratung hilfreich war (Effektivität, Skala 1-4). Schließlich wurde nach der persönlichen Wertschätzung durch die Berater:innen gefragt (7 items, α = .91, Skala 1-5). Die Übereinstimmung zwischen Schüler:in und Berater:in wurde durch die Differenz in ihren Angaben zu den drei Aspekten ermittelt. Die Beratungseffekte wurden durch jeweils ein Item zur Handlungsmotivation (1-5) und Entscheidungssicherheit (0-1) erfasst. Weiterhin wurde der Migrationshintergrund (erste/zweite Generation) erfasst. Die Analysen wurden mittels Mehrebenenregressionen durchgeführt. Ergebnisse Frage 1: Zu Beginn des Beratungsprozesses bestand eine geringere Übereinstimmung zwischen Berater:innen und Schüler:innen bezüglich der Beratungsmotive bei Gesprächen mit Schüler:innen der ersten Generation, die über die Zeit jedoch abnahm. Die Effektivität der Beratung als auch die Wertschätzung von beiden Seiten wurde insgesamt als sehr positiv eingeschätzt. Zunehmende migrationsspezifische Differenzen in der Einschätzung der Effektivität und der Wertschätzung sind auf eine zunehmend skeptische Haltung der Berater:innen zurückzuführen, die möglicherweise auf Unsicherheit beruht. Frage 2: Eine höhere Wertschätzung führt insbesondere bei Schüler:innen mit Migrationshintergrund zu einer höheren Handlungsmotivation und zu einer insgesamt höheren Entscheidungssicherheit. Diskussion Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass es den externen Berater:innen gelingt, über eine auf shared understanding beruhende Beziehung Bildungsentscheidungen von Schüler:innen mit Migrationshintergrund zu unterstützen. Gefragt werden muss, ob dieser Grad an vertrauensvollen Beziehungen auch zu Lehrkräften aufgebaut werden kann. |
15:20 - 17:00 | 6-10: „Alle dabei“ bei Inklusion? Inklusive Schulentwicklung von, für und mit Lehrkräften, Schüler:innen und Eltern Ort: S26 |
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Symposium
„Alle dabei“ bei Inklusion? Inklusive Schulentwicklung von, für und mit Lehrkräften, Schüler:innen und Eltern Die Gestaltung eines inklusiven Schulsystems gehört zu den großen Reformvorhaben der heutigen Zeit, an dem Lehrkräfte und weiteres Schulpersonal, Schüler:innen und Eltern beteiligt sind. Entsprechend wurden Gelingensbedingungen einer inklusiven Schulentwicklung in den letzten Jahren in zahlreichen Forschungsprojekten thematisiert (bspw. INSIDE, BiLieF, EiBiSch). Ziel dieses Symposiums ist es, empirische Befunde der Inklusionsforschung zu verschiedenen Akteursgruppen zusammen zu bringen und ihre Bedeutung für die weitere Forschung und für die Praxis zu diskutieren. Gemeinsame Datengrundlage aller Beiträge ist das Projekt BiFoKi – Bielefelder Fortbildungskonzept zur Kooperation an inklusiven Schulen. In BiFoKi wurde eine modular aufgebaute Fortbildung entwickelt und in 28 inklusiven Gesamt- und Sekundarschulen in Nordrhein-Westfalen implementiert. Die Fortbildungsmodule richteten sich an Schulleitungen, Jahrgangsteams (Lehrkräfte, Schulbegleitungen, Schulsozialarbeiter:innen usw.) und Eltern der Schüler:innen der fünften Jahrgänge. Die Fortbildung wurde auf Basis längsschnittlicher Datenerhebungen bei Schulleitungen, Lehrkräften, Schüler:innen und Eltern der teilnehmenden Schulen evaluiert und fokussierte u.a. die psychosoziale und Leistungsentwicklung der Kinder, Merkmale des Unterrichts, Einstellungen und Rollenverteilungen der Lehrkräfte sowie Einschätzungen der und Motivation zur Kooperation zwischen Eltern und Schulen. Die Beiträge adressieren ausgewählte Einflussfaktoren aus dem zugrundeliegenden Prozessmodell, welches, angelehnt an das Angebots-Nutzungs-Modell (Helmke, 2017), Einflussfaktoren, Mediatoren und Outcomes modelliert. Im ersten Beitrag steht die Einstellung der Lehrkräfte zur Inklusion im Mittelpunkt, die in der Literatur häufig als neuralgischer (Ansatz-)Punkt für Inklusion verstanden wird. Die Befunde zeigen jedoch zunächst keine längsschnittliche prädiktive Validität für das Wohlbefinden der Kinder und stellen damit die Relevanz von Einstellungen als Prädiktor für gelingende Inklusion in Frage. Ein längsschnittlicher Effekt von Einstellungen auf das Wohlbefinden der Schüler:innen scheint vielmehr abhängig zu sein von der inklusionsbezogenen Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte. Aus der Perspektive der Schüler:innen untersucht der zweite Beitrag die Fragen, inwiefern wichtige Merkmale der sozialen Lernumwelt (Angenommensein durch Lehrkräfte, Sozial- und Klassenklima, usw.) und der Unterrichtsqualität (Anspruchsniveau und Individualisierung) bei Schüler:innen mit und ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf gleichermaßen valide und reliabel erfasst werden können, und inwiefern sich ihre Einschätzungen unterscheiden. Erste Auswertungen zeigen eine reliable und vergleichbare Messung sowie Unterschiede zwischen Schüler:innen mit und ohne sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf. Im dritten Beitrag wird eine gelingende Kooperation zwischen Schule und Eltern als zentrales Ziel inklusiver Schulentwicklung fokussiert. Ausgehend vom Modell des elterlichen Schulengagements wurde untersucht, inwiefern sich Eltern von Kindern mit versus ohne Unterstützungsbedarf in ihrer Einschätzung der Qualität der Kooperation (bspw. Willkommens- und Begegnungskultur) unterscheiden und welche Rolle diese für die erwartungs-wert-theoretisch konzeptualisierte elterliche Motivation zur Kooperation spielt. Die Ergebnisse zeigen für beide Elterngruppen gleichermaßen die erwarteten positiven Zusammenhänge zwischen wahrgenommener Kooperationsqualität und Motivation zur Kooperation, allerdings beurteilen Eltern von Schüler:innen mit Lernschwierigkeiten die Willkommens- und Begegnungskultur negativer als Eltern von Schüler:innen ohne Unterstützungsbedarf. Ebenfalls aus der Perspektive der Erwartungs-Wert-Theorie geht der vierte Beitrag der Frage nach, welche Faktoren Eltern dazu bewegen (können), sich im Rahmen des Elternmoduls der Fortbildung mit der Kooperation zwischen Schule und Familie auseinanderzusetzen. Konkret wurde die elterliche Motivation zur Teilnahme am Eltern-Workshop untersucht und u.a. die kindliche Leseleistung im Vergleich zu den Mitschüler:innen (i.S.v. einer über-/unterdurchschnittlichen Leistung) erstmals als Prädiktor modelliert, um die Hypothese zu prüfen, dass eine Überforderung des Kindes die Eltern-Schule-Kooperation beeinträchtigt. Die Ergebnisse stützen diese Annahme jedoch nicht; vielmehr erweisen sich die Motivation zur Kooperation, der elterliche sozio-ökonomische Status sowie eine nicht-deutsche Familiensprache als bedeutende Prädiktoren. Anknüpfend an die empirischen Beiträge nehmen die Autorinnen des fünften Beitrags eine Meta-Perspektive auf das BiFoKi-Projekt ein und erörtern Einsichten a) zur Veränderbarkeit von Kooperationsbeziehungen an weiterführenden inklusiven Schulen sowie b) zu Zusammenhängen zwischen den Kooperationspraktiken von Schulen und ihrer breit gefassten Leistungsfähigkeit. Ansätze und Erträge sowie Limitationen des BiFoKi Projektes, auch im Vergleich mit anderen Forschungsprojekten zur Umsetzung schulischer Inklusion (bspw. die INSIDE Studie), werden daran anschließend von Dr. C. Gresch diskutiert. Beiträge des Symposiums Wie gelingt Inklusion für alle? Das Wohlbefinden von Kindern in inklusiven Schulen und die Rolle der inklusionsbezogenen Einstellung und Selbstwirksamkeitserwartung von Lehrkräften Das schulische Wohlbefinden aller Schüler*innen stellt ein Bildungsziel dar (Venetz 2015; Wang et al. 1990) und ist eng verbunden mit deren mentaler Gesundheit (Bryan et al. 2004; Singh et al. 2014). Deshalb gilt es gerade nach dem Übergang von der Grundschule auf eine weiterführende Schule, eine positive psychosoziale Entwicklung aller Schüler*innen der fünften Klassen zu fördern. Insbesondere bei inklusiven Schulen stellt sich die Frage, ob Einstellung (nach De Boer 2012: Standpunkte bzw. Dispositionen eines Individuums gegenüber einem Einstellungsobjekt) zu Inklusion, die häufig als zentrale Gelingensbedingung für inklusiven Unterricht angesehen wird (Avramidis und Norwich 2002; Beacham und Rouse 2012; Ruberg und Porsch 2017), auch Auswirkungen auf das Wohlbefinden hat. Ziel der vorliegenden Studie ist es, auf Grundlage der Theory of planned behavior (Ajzen 1991), der Rolle von fachlicher, sozialer, persönlicher Einstellung zu Inklusion seitens der Lehrkräfte für das Wohlbefinden von Schüler*innen nachzugehen. Zusätzlich untersuchen wir eine Interaktion von fachlicher bzw. sozialer und persönlicher Einstellungsdimension (inklusionsbezogene Selbstwirksamkeit). Die Stichprobe umfasste Angaben von 1873 Schüler*innen (Alter: M = 10.37 (SD = 0.59); 48.7% weiblich; Kinder mit SPF: n = 205) von 26 inklusiven Gesamtschulen, die am Anfang (t1) und am Ende der 5. Klasse (t2) schriftlich befragt wurden. Die Daten von N = 173 Lehrkräften des 5. Jahrgangs (davon Sonderpädagog*innen: n = 22) wurden mit einem Online-Survey erfasst. Die Einstellung zu Inklusion der Lehrkräfte wurden zu t1 mithilfe des EFI-L (Einstellungsfragebogen zur Inklusion, Lehrkräfte; Seifried und Heyl, 2016) dreidimensional (fachliche Förderung, soziale Integration, persönliche Bereitschaft/Selbstwirksamkeit) mit einer fünfstufigen Likert-Skala erfasst. Das Wohlbefinden der Kinder wurde zu zwei Messzeitpunkten in vier Dimensionen (subjektives Wohlbefinden, körperliches Wohlbefinden, positiver Aspekt, negativer Aspekt) mit einer fünfstufigen Likert-Skala erfasst (mit angepassten Items etablierter Messinstrumente: The KIDSCREEN Group 2004; Krause et al. 2004; Laurent et al. 1999; Rauer und Schuck 2004; Ravens-Sieberer und Bullinger 2000). Die Effekte der Einstellung auf das Wohlbefinden wurden mit Mehrebenenregressionanalysen für jede abhängige Variable getestet, sowohl querschnittlich als auch längsschnittlich (Level 1 = Schüler*innen, Level 2 = Schule). Geschlecht, kognitive Grundkompetenz, Gruppe (Experimental- / Kontrollgruppe) und sonderpädagogischer Förderbedarf sowie bei längsschnittlichen Analysen die jeweilige Ausprägung des Konstruktes zu t1 wurden als Kovariate aufgenommen. Alle Prädiktoren waren grand-mean zentriert und standardisiert. Wie erwartet, waren fachliche und soziale Einstellung zu Inklusion sowie Selbstwirksamkeit querschnittlich signifikante Prädiktoren des Wohlbefindens der Schüler*innen. Die Selbstwirksamkeit zeigte die größten Effektstärken. Die Längsschnittanalysen zeigten keine direkten Effekte der Einstellung auf das Wohlbefinden zum zweiten Messzeitpunkt (unter Kontrolle t1). Die Prüfung der prädiktiven Validität der Interaktion zwischen der fachlichen/sozialen Einstellungsdimensionen und der Selbstwirksamkeit zeigte sowohl querschnittlich als auch längsschnittlich signifikante Interaktionseffekte auf die Vorhersage von positivem Affekt, negativem Affekt und subjektivem Wohlbefinden (unter Kontrolle von t1). Es zeigten sich gegenläufige Effekte der Einstellung (d.h. ein positiver Effekt wurde verstärkt, wenn die Selbstwirksamkeit hoch war, kehrte sich aber ins Negative, wenn die Selbstwirksamkeit niedrig war) und einen negativen Effekt einer niedrigen Selbstwirksamkeit (d.h. die Einstellung hatte bei niedriger Selbstwirksamkeit einen negativen Effekt auf das Wohlbefinden). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Einstellung der Lehrkräfte zu Inklusion möglicherweise keinen direkten Einfluss auf die Entwicklung des Wohlbefindens hat, sondern durch die Selbstwirksamkeit moderiert wird. Die querschnittlich gezeigten direkten Effekte der fachlichen und sozialen Einstellung sind statistisch signifikant, werden jedoch durch die Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte moderiert. Aufgrund der gezeigten potenziell nachteiligen Auswirkungen einer geringen Selbstwirksamkeit auf das Wohlbefinden der Schüler*innen sollte die Steigerung der Selbstwirksamkeit von Lehrkräften ein besonderer Schwerpunkt in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften sein. So sollte Lehrkräften bspw. die Möglichkeit gegeben werden, von positiven Beispielen zu lernen (Wang et al. 2004) und das Sammeln positiver Erfahrungen in integrativen Kontexten sollte durch günstige Arbeitsbedingungen und unterstützende Kollegien und Schulleitungen gefördert werden. Eltern von Schüler:innen mit und ohne Lernschwierigkeiten zur Zusammenarbeit mit der Schule motivieren – Welche Rolle spielen Kooperationsangebote an inklusiven Sekundarstufenschulen? Die Beteiligung von Eltern ist für die Umsetzung schulischer Inklusion zentral, da die (häusliche) Unterstützung durch die Eltern nicht nur die Lernfortschritte ihrer Kinder positiv beeinflussen kann (Hill & Tyson, 2009), sondern durch den Austausch von Informationen auch die Schaffung einer inklusiven Lernumgebung in der Schule gefördert wird (Hornby, 2010). Obwohl insbesondere Eltern von Schüler:innen (SuS) mit Lernschwierigkeiten (z. B. sonderpädagogische Förderbedarfe, Teilleistungsstörungen) zur Zusammenarbeit mit der Schule ihres Kindes bereit sind, fühlen sie sich vergleichsweise weniger willkommen, wodurch es nicht zuletzt zu Vertrauensverlusten, Verunsicherung und in der Folge zu einer Zurückhaltung in der Zusammenarbeit mit der Schule kommen kann (Yotyodying & Wild, 2019). Mit Blick auf die Erhöhung chancengleicher Teilhabe für alle SuS durch die Umsetzung schulischer Inklusion erscheint es insbesondere in der von Leistungsselektion geprägten Sekundarstufe essenziell, die Passung zwischen schulischen Kooperationsangeboten an inklusiven Schulen und den Bedürfnissen von Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten zu untersuchen. In diesem Beitrag wird daher der Frage nachgegangen, welche Rolle die von Eltern subjektiv wahrgenommenen schulischen Kooperationsangebote für die elterliche Motivation zur tatsächlichen Zusammenarbeit spielen. Ferner wird beleuchtet, ob sich für Eltern von SuS mit vs. ohne Lernschwierigkeiten verschiedene Formen von Kooperationsangeboten als bedeutsam erweisen. Basierend auf dem Modell des elterlichen Schulengagements beeinflussen vor allem persönliche Motivationsfaktoren der Eltern, Einladungen der Schule sowie familiäre Kontextfaktoren das aktive Elternengagement (Hoover-Dempsey et al., 2005). Als Einladungen der Schule werden eine vielfältige und respektvolle Kommunikation, ein inhaltlich qualitativer Austausch mit den Klassenlehrkräften sowie eine einladende Atmosphäre in der Schule („Willkommens- und Begegnungskultur“; Vodafone Stiftung Deutschland, 2013) verstanden, die nachweislich mit motivationalen Faktoren assoziiert sind (Whitaker & Hoover-Dempsey, 2013). In diesem Beitrag werden unter Berücksichtigung des motivationspsychologischen Ansatzes der Erwartungs-Wert-Theorie (Eccles & Wigfield, 2002) die persönlichen Motivationsfaktoren der Eltern über den subjektiven Wert (Intrinsischer Wert, Persönliche Bedeutung, Kosten) sowie die Erfolgserwartung der Eltern hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der Schule spezifiziert. An der im Rahmen des BiFoKi-Projektes durchgeführten Elternbefragung nahmen 881 Eltern bzw. Erziehungs- und Sorgeberechtigte (78.1 % Mütter, 11.3 % Väter, 8.4 % beide Elternteile) von SuS am Ende der fünften Klasse teil, davon 119 (13.5 %) Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten (sonderpädagogischer Förderschwerpunkt Lernen oder Teilleistungsstörung) sowie 43 (4,9 %) Eltern von SuS mit weiteren Förderschwerpunkten. Voranalysen bestätigen die Faktorenstruktur der Wertkomponenten sowie das Vorliegen starker Messinvarianz (Eltern von SuS mit vs. ohne Lernschwierigkeiten). Zur Überprüfung der angenommenen Zusammenhänge zwischen den Kooperationsangeboten Willkommens- und Begegnungskultur, vielfältige und respektvolle Kommunikation sowie Qualität der Eltern-Lehrkräfte-Kooperation und der persönlichen Motivation der Eltern zur Zusammenarbeit wurde ein Strukturgleichungsmodell spezifiziert. Zur Überprüfung möglicher Unterschiede in der Bedeutsamkeit der Kooperationsangebote wurden anschließend die Regressionsgewichte zwischen den Gruppen in einem Mehrgruppenstrukturgleichungsmodell gleichgesetzt. Mit den Ergebnissen kann nachgezeichnet werden, dass die Willkommens- und Begegnungskultur als Kooperationsform signifikant positiv mit der Erfolgserwartung der Eltern in Bezug auf die Kooperation zusammenhängt. Übereinstimmend mit vorliegenden Befunden beurteilen Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten die Willkommens- und Begegnungskultur negativer als Eltern von SuS ohne Unterstützungsbedarf. Die Qualität der Eltern-Lehrkräfte-Kooperation hängt positiv mit der Erfolgserwartung, geringer wahrgenommenen Kosten sowie mit dem Intrinsischen Wert zusammen. Der Intrinsische Wert ist ebenfalls bei den Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten niedriger ausgeprägt. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass sich die Zusammenhänge zwischen den verglichenen Gruppen nicht signifikant unterscheiden und für die Motivation der beiden Elterngruppen die direkte Kooperation mit den Lehrkräften ihres Kindes von besonderer Bedeutung ist. Dass Eltern von SuS mit Lernschwierigkeiten weniger Freude in der Zusammenarbeit mit der Schule erleben, könnte auf bisherige Erfahrungen (z. B. im Rahmen der Feststellungsdiagnostik) und eine Defizitorientierung in den bestehenden Kontakten zurückzuführen sein. Implikationen für die schulische Elternarbeit an inklusiven Schulen im Sekundarbereich werden diskutiert. Eltern in die Schule bringen – Welche Rolle spielen sozialer Hintergrund, Motivation zur Eltern-Schule-Kooperation und kindliche Schulleistung für die elterliche Teilnahmemotivation an einem Eltern-Workshop? Die Corona-Krise hat erneut gezeigt, wie entscheidend effektive Eltern-Schule-Kooperation (ESK) für den Lernerfolg von Schüler*innen ist. Empirische Studien zeigen positive Zusammenhänge zwischen dem schulischen sowie häuslichen Engagement von Eltern, einschließlich der Fähigkeit und Bereitschaft zur ESK und der psychosozialen, motivationalen und Kompetenzentwicklung ihrer Kinder (Fan & Chen, 2001; Gonzalez-DeHass et al., 2005; Wong et al., 2018). Es zeigt sich jedoch, dass Eltern mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status (SES), einem Migrationshintergrund und leistungsschwächeren Kindern weniger mit Lehrkräften und Schulpersonal kooperieren, obwohl ihnen ein erhöhter Unterstützungsbedarf zugeschrieben wird (Killus & Tillmann, 2012; Lee & Bowen, 2006). Desgleichen unterliegen Bemühungen zur Umsetzung von Elternbildungsangeboten und -trainings, die zur Förderung von ESK beitragen können, einem Präventionsdilemma, d.h. Eltern mit niedrigerem SES und einem Migrationshintergrund nehmen trotz erhöhtem zugeschriebenen Unterstützungsbedarf weniger daran teil (Bauer & Bittlingmayer, 2005). So besteht die Gefahr, dass präventive Angebote mit dem Ziel der Verringerung des Ressourcengefälles, im Gegenteil zu einem noch größeren Ressourcengefälle beitragen (Walper, 2021). Um dieses Phänomen besser zu verstehen, untersuchte die vorliegende Studie (N = 888, 86.9% weiblich) mit Rückgriff auf die Erwartungs-Wert-Theorie (Eccles & Wigfield, 2020) und mit Bezug auf einen kostenlosen, schulbasierten Eltern-Workshop zur Förderung von ESK (Wild et al., 2020), welche Rolle elterliche soziokulturelle Faktoren (SES über ISEI [Ganzeboom et al., 1992]; nicht-deutsche Familiensprache), ihre Motivation zur ESK (utilitaristischer, intrinsisch-persönlicher Wert) und die kindliche Leseleistung im Vergleich zu den Mitschüler*innen für den subjektiven Wert und die wahrgenommenen Kosten des Workshops spielen. Subjektiver Wert und Kosten wurden wiederum als Prädiktoren der elterlichen Teilnahmemotivation (i.S. einer Gesamtbewertung des Eltern-Workshops) und Teilnahmeintention am Eltern-Workshop angenommen. Mediationsanalysen zeigten, dass ein niedrigerer SES, eine nicht-deutsche Familiensprache und ein höherer utilitaristischer Wert von ESK mit einer höheren Einschätzung des subjektiven Werts des Workshops einhergehen. Eine nicht-deutsche Familiensprache der Eltern hing positiv mit den wahrgenommenen Kosten des Workshops zusammen, während ein höherer intrinsisch-persönlicher Wert von ESK und eine überdurchschnittliche Leseleistung des Kindes im Vergleich zu Mitschüler*innen die wahrgenommenen Kosten des Workshops verringerte. Zwischen elterlichem SES und wahrgenommenen Kosten des Workshops zeigte sich entgegen den Erwartungen kein signifikanter Zusammenhang. Der subjektive Wert des Workshops hing positiv, die wahrgenommenen Kosten des Workshops negativ mit der elterlichen Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention am Workshop zusammen. Der subjektive Wert des Workshops mediierte die Zusammenhänge von elterlichem SES, nicht-deutscher Familiensprache und Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention partiell, da ein direkter positiver Effekt von SES auf die Teilnahmeintention sowie ein negativer Effekt der nicht-deutschen Familiensprache auf die Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention bestehen blieben. Die Zusammenhänge der elterlichen Motivation zur ESK und Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention wurden vollständig durch die wahrgenommenen Kosten des Workshops mediiert. Die Ergebnisse deuten insgesamt darauf hin, dass Eltern mit niedrigerem SES und einem Migrationshintergrund zwar an dem Workshop interessiert sind und dessen Nutzen sehen, zugleich aber auch die Kosten einer Teilnahme höher einschätzen und im Gesamturteil eine geringere Teilnahmemotivation / Teilnahmeintention am Workshop aufweisen. Möglicherweise sind die wahrgenommenen Kosten des Workshops zu hoch und / oder nicht überwindbare Barrieren (z.B. zeitlich, finanziell, sprachlich) stehen einer Teilnahme im Weg. Eine höhere elterliche Motivation zur ESK kann zu einer Reduktion der wahrgenommenen Kosten und einer höheren Einschätzung des subjektiven Werts des Workshops beitragen. Eine überdurchschnittliche kindliche Schulleistung im Vergleich zu Mitschüler*innen kann weiterhin zur Reduktion der Kosten beitragen, wohingegen für eine unterdurchschnittliche Schulleistung keine Effekte gefunden wurden. Die elterlich wahrgenommene Schulleistung könnte für die Einschätzung von subjektivem Wert und Kosten eines Eltern-Workshops von größerer Bedeutung sein als die tatsächliche kindliche Schulleistung; dies gilt es in zukünftigen Studien zu überprüfen. Eine Berücksichtigung des kulturellen Hintergrunds von Eltern sowie aufsuchende Elternbildung (zur Förderung von ESK) werden als Strategien zur Verringerung der wahrgenommenen Kosten und zur Überwindung potenzieller Teilnahmebarrieren von sozial benachteiligten Eltern diskutiert. Beitrag des BiFoKi-Projekts zur Gestaltung eines inklusiven Schulsystems – Fazit und Ausblick Fragen rund um die gemeinsame Beschulung von jungen Menschen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf sind seit langem Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, wurden aber in den letzten 10 Jahren in Folge der Anerkennung des Rechts auf inklusive Beschulung sehr viel intensiver und verstärkt interdisziplinär untersucht. Im BMBF geförderten Projekt Bielefelder Fortbildungskonzept zur Kooperation in inklusiven Schulen (BiFoKi) Entwicklung und Evaluation eines interdisziplinären Fortbildungsangebots wurde die Erkenntnis aufgegriffen, dass die Zusammenarbeit der beteiligten Professionen innerhalb der Schule sowie mit den Eltern der Schüler:innen einerseits zentrale Bedingungen für das Gelingen einer inklusiven Beschulung von Schüler:innen mit und ohne besondere Förderbedarfe darstellen und dass andererseits in der Umsetzung insbesondere im Sekundarbereich Optimierungsbedarfe bestehen. Vor diesem Hintergrund wurde unter Einbeziehung sonderpädagogischer und psychologischer Expertise eine praxistaugliche Fortbildung entwickelt und evaluiert, die zur Weiterentwicklung inklusiv arbeitender Gesamt- und Sekundarschulen beitragen soll. Durch das in Anlehnung an Kirkpatrick (1996) konzipierte Evaluationsdesign konnten im Projekt Forschungslücken – insbesondere mit Blick auf die inklusionsbezogene Weiterbildung von Lehr- und weiteren Fachkräften, aber auch zu grundlagenorientierten Fragestellungen – adressiert werden. Aufbauend auf den ersten vier Beiträgen des Symposiums, in denen Befunde zu inklusionsbezogenen Einstellungen von Lehrkräften, zur Wahrnehmung von schul- und unterrichtsbezogenen Aspekten durch Schüler:innen, zur Kooperation von Schule und Elternhaus sowie zu Weiterbildungsbedarfen von Eltern dargestellt werden, werden im vorliegenden Beitrag Einsichten a) zur Veränderbarkeit von Kooperationsbeziehungen an weiterführenden inklusiven Schulen sowie b) zu Zusammenhängen zwischen den Kooperationspraktiken von Schulen und ihrer breit gefassten Leistungsfähigkeit erörtert. Im Fokus stehen dabei Chancen und Grenzen der Unterstützung sowohl multiprofessioneller Teams (vgl. Lütje-Klose & Urban, 2014; Lütje-Klose et al., 2022) als auch der Optimierung von Erziehungs- und Bildungspartnerschaften zwischen Familien und Schulen (vgl. Wild et al., 2020, Wild & Lütje-Klose, 2017) unter Berücksichtigung der Einstellungen und Verhaltensweisen von Schüler:innen. Diese sind dem Modell der überlappenden Sphären von Epstein (1998) folgend für die Qualität der Lehrer-Schüler*innen sowie der Eltern-Kind-Kommunikation (mit-) entscheidend. Ein zentrales Ergebnis (vgl. auch Wild 2021, 2022) der Studie ist der sowohl aus Leitungsperspektive als auch seitens des Schulpersonals an vielen Schulen geäußerte Bedarf an Teamweiterbildungen im Bereich Inklusion, multiprofessioneller Kooperation sowie Elternarbeit. Die Beteiligten sind hoch motiviert, traditionelle Rollen und Aufgabenverteilungen innerhalb der Teams (Neumann et al., 2021) zu überwinden und zentrale Merkmale einer qualitätsvollen Erziehungs- und Bildungspartnerschaft (Grüter et al., 2019) umfänglicher einzulösen. Die Fortbildungskonzeption und -materialien regten zur Selbstreflexion und Weiterentwicklung der Teamstrukturen an und führten zur bewussten Reflexion von Rollen und Aufgaben des multiprofessionellen Personals, von Stärken und Ressourcen im Team sowie ihrer verbesserten Nutzung, was sich in einer insgesamt hohen Zufriedenheit der Jahrgangsteams mit der Fortbildung ausdrückt (Lütje-Klose, et al., 2022). In Teilen ist jedoch auch ein erheblicher Widerstand gegen den Inklusionsauftrag insgesamt festzustellen, weil das Schulpersonal (und auch Teile der Elternschaft) nicht länger bereit ist, bildungspolitisch verantwortete, strukturelle Mängel (z. B. Mangel an sonderpädagogisch qualifiziertem Personal, fehlenden Kooperationszeiten) zu kompensieren. Dennoch konnten einige Effekte der Fortbildung abgesichert werden: So wurden in Schulen der Interventionsgruppe vermehrt feste Teamzeiten eingerichtet und das selbstberichtete Engagement der Lehr- und Fachkräfte im Bereich der Elternkooperation entwickelte sich positiver. Unterschiede in der Aufgeschlossenheit der Jahrgangsteams korrespondierten mit den vorzufindenden Aufgaben- und Rollenmustern von Sonderpädagog:innen und Schulsozialarbeit (Neumann et al, 2021) sowie mit einer stark variierenden Resonanz auf die Veranstaltungen für Eltern, wobei an den Elternforen häufig Erziehungsberechtigte teilnahmen, die als ‚schwer erreichbar‘ gelten. Zudem befürworten rund 60 Prozent der befragten Fünftklässler*innen einen engen Kontakt zwischen Eltern und Lehrkräften, wobei die Zustimmung systematisch mit dem wahrgenommenen Unterstützungsverhalten der Eltern assoziiert ist (Grüter et al., 2023). Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse eine hohe Bereitschaft zur Kooperation einerseits und bieten andererseits Einblicke in Herausforderungen bei der Umsetzung, die auch vor dem Hintergrund bildungspolitischer Entwicklungen diskutiert werden. |
15:20 - 17:00 | 6-11: Digitale Transformation der Weiterbildung Ort: S27 |
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Symposium
Digitale Transformation der Weiterbildung Für die Beschreibung und Analyse der Weiterbildung hat sich die Anwendung von Mehrebenenmodellen (Schrader 2011) bewährt. Darin lassen sich Merkmale und Entwicklungsdynamiken darstellen, in denen sich die Weiterbildung von anderen Bereichen des Bildungssystems hinsichtlich der Lehr-Lern-Interaktion, der Organisation von Angeboten und der institutionellen Regulation deutlich unterscheidet. Für die Lehrtätigkeiten in der Weiterbildung gibt es kein „Einheit stiftendes Professionalitätskriterium“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016, 155), die Standardisierung der Lehre durch Professionalisierung ist eher gering ausgeprägt. Angebote der Weiterbildung sind jedoch oft in einer besonderen Weise an die arbeits- und lebensweltlichen Kontexte der jeweiligen Zielgruppen gebunden, aus denen Teilnahmemotive entstehen. Einrichtungen der Weiterbildung müssen bei der Planung von Angeboten in besonderer Weise die hochgradig selektive Partizipation Erwachsener an Bildung berücksichtigen. Sowohl angebots- als auch nachfrageseitig sind weitgehend stabile Muster der Selektion belegt (Kuper 2019). Die institutionellen Grundlagen bedingen in weiten Bereichen eine Weiterbildungsplanung und Weiterbildungsteilnahme unter partieller bis vollständiger Marktregulation. Weiterbildungseinrichtungen müssen sich unter Konkurrenz zu anderen Einrichtungen bewähren. Die Digitalisierung der Weiterbildung erfolgt unter den oben skizzierten Bedingungen in der Mehrebenenstruktur (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020). Sie geht über den Anspruch hinaus, Organisationsmittel, Lehr-Lern-Mittel oder Lehr-Lern-Gegenstand (Diethelm 2018) zu sein. Deutlich wird das etwa an der Veränderung von Weiterbildungsanlässen aufgrund der Digitalisierung in der Arbeitswelt. Hinsichtlich der selektiven Partizipation an Weiterbildung stellt sich die Frage, ob digitalisierte Angebote die Schwellen der Zugänglichkeit senken oder anheben. Für die Lehre in der Weiterbildung bietet sich vor dem Hintergrund der besonderen Anforderungen an die Teilnehmendenorientierung und die Selbstregulation Erwachsener mit der Digitalisierung ein neues Optionenspektrum didaktischer Gestaltung. Die Beiträge im Symposium Digitale Transformation der Weiterbildung befassen sich mit Veränderungen auf den einzelnen Ebenen, die durch Digitalisierung ausgelöst sind. Sie legen sämtlich Befunde aus empirischen Analysen vor, die sich auf konzeptionelle Innovation in der Lehre, auf veränderte Voraussetzungen der Partizipation und die Umstrukturierung institutioneller Umwelten der Weiterbildung beziehen. Der Beitrag von Schröter u.a. beruht auf einer Interventionsstudie, in der die Wirksamkeit einer digitalen Technologie in der didaktischen Vorbereitung von Alphabetisierungskursen untersucht wird. Diese Technologie unterstützt Lehrende bei der Recherche geeigneter Sprachlerntexte im Internet und kann damit zur Etablierung professioneller Standards beitragen. Reiter wendet sich dem Problem der Teilnahmeselektivität zu und stellt Ergebnisse aus einer Studie zu den Motivationen der Teilnahme an digital unterstützter Weiterbildung vor. Dabei wird auch die Verknüpfung zur Digitalisierung der Arbeitswelt hergestellt. Sie nutzt Surveydaten aus dem Adult Education Survey. Hemmerich und Rüter untersuchen, ob die Digitalisierung des Weiterbildungsangebots die Bedeutung des lokalen Standorts von Volkshochschulen durch die Möglichkeit, Weiterbildung ortsunabhängig anzubieten, verändert. Der Beitrag analysiert den Einfluss des Umfangs der Wohnbevölkerung des Kreises oder der kreisfreien Stadt einer Volkshochschule auf Belegungszahlen und untersucht, ob der Digitalisierungsgrad des Angebots das Ausmaß dieses Einflusses reduziert. Dazu nutzen sie Paneldaten der Volkshochschulstatistik und regionalstatistischen Daten. Martin und Klimpel befassen sich aus soziologischer und ökonomischer Perspektive mit Mechanismen, welche der digitalen Transformation von Weiterbildungsanbietern eine Eigendynamik verleihen. Sie fragen danach, ob sich Weiterbildungsanbieter mit Blick auf die Digitalisierung an ihrem organisationalen Feld und potentiellen Mitbewerbern orientieren. Sie nutzen Daten des WB-Monitor. Die Variation der hier repräsentierten Forschungsdesigns hinsichtlich der genutzten Daten, Auswertungsverfahren und Erkenntnisansprüche bildet bewährte und innovative Ansätze der empirischen Weiterbildungsforschung ab. Mit der methodischen Anlage variieren auch die Optionen des Transfers der Befunde für eine praktische Nutzung, die von der Unterstützung in der Lehre über die Beratung von Einrichtungen bis hin zu Empfehlungen an die Politik diskutierbar sind. Beiträge des Symposiums Suchmaschine für Sprachlerntexte – Wirksame Educational Technology zur Unterstützung von Alphabetisierungslehrkräften bei der Unterrichtsvorbereitung? Im Zuge der Digitalisierung im Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung wird zunehmend Educational Technology entwickelt, die zur Unterstützung von Lehr-/Lernprozessen beitragen soll. Ein Beispiel bildet die kompetenzadaptive, nutzerorientierte Suchmaschine für authentische Sprachlerntexte (KANSAS; Weiss et al., 2018; Dittrich et al., 2019). Ausgangspunkt für die Entwicklung von KANSAS bildeten die Herausforderungen an Lehrkräfte in Alphabetisierungskursen, die sich an die ca. 6,2 Millionen Erwachsenen mit geringen schriftsprachlichen Deutschkompetenzen in Deutschland richten (Alpha-Level ≤ 3; Grotlüschen et al., 2020). Für eine gelungene Binnendifferenzierung in den Kursen mit oft heterogenen Teilnehmendengruppen werden Texte zur Förderung der Lesekompetenzen benötigt, die idealerweise sowohl kompetenzgerechten sprachlichen Input als auch lebensweltnahe Inhalte bieten (vgl. Löffler & Weis, 2016). Die Lehrkräfte nutzen häufig das Internet, um entsprechende Texte zu recherchieren (Schneider, 2019). Der zeitliche Aufwand hierfür ist jedoch groß, zumal der überwiegende Anteil der Texte im Internet eine zu hohe sprachliche Komplexität für eine Verwendung im Alphabetisierungsbereich aufweist (Dittrich et al., 2019). KANSAS vereint die inhaltsbasierte Suche einer üblichen Internetsuchmaschine mit einer computerlinguistischen Analyse der von den Webseiten extrahierten Texte hinsichtlich der globalen Textkomplexität (Alpha-Level; vgl. Heinemann, 2011) und dem Auftreten spezifischer sprachlicher Konstruktionen (z.B. Verbformen, komplexe Sätze, etc.). Lehrkräfte können nach diesen Kriterien gewichten/filtern und Texte werden umso weiter oben in der Ergebnisliste angezeigt, je besser sie den inhaltlichen und sprachlichen Kriterien entsprechen. Ausgewählte Texte können exportiert, wahlweise mit farblichen Markierungen der spezifizierten sprachlichen Konstruktionen, und für den Unterricht aufbereitet werden. KANSAS soll hiermit die zeitliche und kognitive Belastung bei der Recherche reduzieren, die Sprachbewusstheit der Lehrkräfte fördern und zum Einsatz geeigneten Lehr-/Lernmaterials beitragen. Eine Evaluationsstudie ergab, dass Lehrkräfte KANSAS als hilfreiches Werkzeug erleben (Mayer et al., 2023). Die Grundlage unseres Beitrages bilden die Ergebnisse einer Interventionsstudie, mit der die Wirksamkeit von KANSAS bei der Unterstützung von Alphabetisierungslehrkräften bei der Unterrichtsvorbereitung überprüft wurde. 36 Lehrkräfte wurden gebeten, im Internet zwei Texte (jeweils einen Text zu den Themenbereichen „Demokratie“ und „Ausbildung“) mit vorgegebener globaler Textkomplexität (Alpha-Level 4) unter Beachtung spezifischer grammatikalischer Konstruktionen (Auftreten von Sätzen mit genau einem Nebensatz; kein Auftreten von Schachtelsätzen) zu recherchieren. Für eine der Recherchen nutzten die Lehrkräfte KANSAS, für die andere eine optisch angeglichene Dummy-Version, die eine übliche Inhaltssuche, aber keine spezifische Berücksichtigung sprachlicher Kriterien ermöglichte. Die Reihenfolge der genutzten Suchmaschinenversionen und die Zuordnung von Themenbereichen zu Suchmaschinenversionen wurde über die Teilnehmenden ausbalanciert. Die Lehrkräfte wurden nach jeder der beiden Recherchen (Zeitlimit: je 20 min) gebeten, einen Unterrichtsentwurf auf Basis des ausgewählten Textes zu erstellen (Zeitlimit: je 30 min). Jeder Unterrichtsentwurf (inklusive des zugehörigen Textes) wurde hinsichtlich der genutzten Suchmaschinenversion verblindet und von zwei Deutsch-Fachdidaktiker/inne/n unabhängig anhand der folgenden sechs Kriterien bewertet: generelle Berücksichtigung des Textes, Angemessenheit des Textes für das Erreichen der Lernziele, Passung zum vorgegebenen Alpha-Level, Passung zu den grammatikalischen Vorgaben, inhaltliche Passung, Gesamtqualität des Unterrichtsentwurfs. Die Bewertungen erfolgten separat für jedes der Kriterien auf einer fünfstufigen Ratingskala. Die durchgeführten t-tests für abhängige Stichproben für die gemittelten Expertenratings ergaben eine signifikant höhere durchschnittliche Bewertung für Unterrichtsentwürfe bei Nutzung der KANSAS-Version gegenüber der Dummy-Version hinsichtlich der Gesamtqualität, t(35) = 2.43, p = .020, Cohens‘ d = .40, der Passung zum vorgegebenen Alpha-Level, t(35) = 3.01, p = .005, d = .50, und der Passung zu den vorgegebenen grammatikalischen Konstruktionen, t(35) = 2.21, p = .034, d = .36. Für die Kriterien inhaltliche Passung, Angemessenheit des Textes zur Erreichung des Lernziele und generelle Berücksichtigung des ausgewählten Textes im Unterrichtsentwurf traten hingegen keine signifikanten Unterschiede auf, alle ts(35) ≤ 1.57, alle ps ≥ .124, alle ds ≤ .31. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass KANSAS Alphabetisierungslehrkräfte wirksam bei der Unterrichtsvorbereitung unterstützt und somit ein Beispiel ist, wie Educational Technology zur Verbesserung von Lehr-/Lernprozessen beitragen kann. Motivation zur Teilnahme an digital gestützter Weiterbildung Im Zuge der Digitalisierung der Arbeitswelt und den damit verbundenen veränderten Tätigkeitsanforderungen kommt der beruflichen Weiterbildung von Erwerbstätigen eine hohe Bedeutung zu (Heß et al. 2019). Allerdings ist der Zugang zu beruflicher Weiterbildung für Erwerbstätige nach wie vor ungleich verteilt (BMBF, 2022). Insbesondere die geringere Teilnahme an beruflicher Weiterbildung von Geringqualifizierten wird in diesem Zusammenhang problematisiert, da sie häufiger hochstandardisierte Tätigkeiten ausüben, die durch den technischen Fortschritt einem erhöhten Substitutionsrisiko ausgesetzt sind (Kleinert & Wölfel, 2018; Mohajerzad et al., 2022). Zugleich werden mit digitalen Medien Potenziale verbunden, Bildungsprozesse in Arbeitsabläufe zu integrieren und an individuelle Bedürfnisse anzupassen, wodurch neue Zugänge zu beruflichen Qualifizierungsangeboten eröffnet werden können (Kohl, 2019). Bisherige Befunde lassen allerdings erkennen, dass auch die Weiterbildung mit digitalen Medien überwiegend Erwerbstätige erreicht, die ohnehin schon häufiger von Weiterbildung profitieren (u.a. Höherqualifizierte) (Kleinert et al., 2021; BMBF, 2020). An diese Ausgangslage anknüpfend, fragt der Beitrag nach den Faktoren, die die Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung von Erwerbstätigen hemmen oder fördern können, und nimmt hierbei eine motivationstheoretische Perspektive ein. Rekurrierend auf den wert-erwartungstheoretischen Ansatz nach Eccles (1983) wird davon ausgegangen, dass (Weiter-)Bildungsentscheidungen durch (weiter-)bildungsbezogene Wertüberzeugungen motiviert werden (Gorges, 2015). Den Modelannahmen zufolge sind solche Wertüberzeugungen ein Resultat kognitiver Prozesse, die wiederum durch sozial-kulturelle Faktoren und vorangegangene Erfahrungen geprägt werden (Eccles, 2005). An diese theoretischen Überlegungen anknüpfend, wird im Beitrag untersucht, inwiefern Wertüberzeugungen gegenüber dem Lernen mit digitalen Medien einen Einfluss auf die Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung von Erwerbstätigen haben und inwiefern solche Wertüberzeugungen wiederum mit soziodemografischen Merkmalen der Erwerbstätigen (Alter, Geschlecht, Geburtsland, Bildungshintergrund) und ihren Erfahrungen hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien im Beruf zusammenhängen. Als Kontrollvariablen werden zudem weitere erwerbskontextuale Faktoren (Tätigkeitsumfang, Betriebsgröße, öffentlicher Dienst/Privatwirtschaft) in die Analysen einbezogen. Damit wird berücksichtigt, dass die Teilnahme an (digital unterstützter) beruflicher Weiterbildung neben individuellen Voraussetzungen (Motivation) von Faktoren des Erwerbskontextes und den damit verbundenen Gelegenheitsstrukturen für Weiterbildung beeinflusst werden dürfte (Kaufmann & Widany, 2013; Schiener, 2006). Die methodische Umsetzung erfolgt sekundäranalytisch unter Nutzung der Daten des Adult Education Survey aus dem Erhebungsjahr 2018. In die Stichprobe der vorliegenden Analyse gehen abhängig Beschäftigte im Alter von 18-65 Jahren ein (n = 3018). Für die empirische Überprüfung der theoretisch postulierten Zusammenhänge wird ein Strukturgleichungsmodell mit einer dichotomen abhängigen Variable (Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung) mithilfe der Software R (lavaan) auf Basis imputierter Daten (m=25) berechnet. Die Befunde bestätigen, dass Wertüberzeugungen gegenüber dem Lernen mit digitalen Medien einen positiven Effekt auf die Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung haben (β = 0,101, p < 0,001). Erfahrungen mit der Nutzung digitaler Medien im Beruf haben den Ergebnissen zufolge sowohl einen direkten (β = 0,392, p < 0,001) als auch einen indirekten Effekt (mediiert durch Wertüberzeugungen) auf die Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung. Soziodemografische Merkmale stehen wie erwartet in einem Zusammenhang mit Wertüberzeugungen. Ebenfalls können Zusammenhänge zwischen soziodemografischen Merkmalen und Erfahrungen mit der Nutzung digitaler Medien im Beruf beobachtet werden. Beispielsweise zeigt das Bildungsniveau einen positiven Effekt auf Wertüberzeugungen (β = 0,118, p < 0,001) und auf Erfahrungen mit der Nutzung digitaler Medien im Beruf (β = 0,503, p < 0,001). Direkte Effekte auf die Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung können für die soziodemografischen Merkmale nicht festgestellt werden. Insgesamt verdeutlichen die Befunde somit, dass motivationale Faktoren für die Erklärung der Teilnahme an digital unterstützter beruflicher Weiterbildung von Erwerbstätigen eine Rolle spielen und für die Erklärung von sozialen Teilnahmedisparitäten einen Beitrag leisten können. Limitationen werden mit Blick auf die in den genutzten Daten zur Verfügung stehenden Informationen ebenso diskutiert wie bezogen auf methodische Aspekte (z.B. Analysen mit Querschnittsdaten). Mechanismen gelöster Kopplungen in Organisationen der Erwachsenen- und Weiterbildung im Zuge der digitalen Transformation – Zum Effekt der Delokalisierung auf die Teilnahme an Weiterbildung in Volkshochschulen Im Zuge andauernder Dynamiken der digitalen Entwicklung sehen sich Weiterbildungsorganisationen einem tiefgreifenden Transformationsprozess ausgesetzt (Donat, 2023; Rohs, 2019). Die Erforschung von Digitalisierungsprozessen in Weiterbildungsorganisationen sowie deren Auswirkungen auf organisationale Prozesse und Strukturen stellen wichtige Desiderate der erwachsenenpädagogischen Digitalisierungsforschung dar (Altenrath et al., 2021). In der organisationssoziologischen Literatur werden Mechanismen der Digitalisierung theoretisiert, entlang derer sich Organisationen in ihrer Struktur und Funktionsweise wandeln (Kirchner, 2022; Kirchner & Beyer, 2016). Demnach werden mit dem Fortschreiten der Digitalisierung und der zunehmenden Kopplung von Organisationen an Daten, Netzwerke und automatisierte Systeme andere organisationale Kopplungen gelöst. Für die erwachsenenpädagogische Digitalisierungsforschung ist die Frage relevant, ob die beschriebenen Mechanismen auch im Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung empirisch beobachtbar sind und welche intendierten und nicht-intendierten Folgen sich daraus ergeben. Einen zentralen Aspekt von Transformationsprozessen durch Digitalisierung stellt die Delokalisierung – die Lösung der Kopplung von Organisationen an einen Ort – dar. Die Bedeutung von Orten zeigt sich allgemein in einem hohen Maße, in dem Organisationen abhängig von ihrer Umwelt sind – beispielsweise von ihrem Markt oder ihren Finanzquellen (Luhmann, 2000). Für Organisationen im Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung wird die Bedeutung von Orten im Hinblick auf Weiterbildungsprogramme und -teilnahme deutlich. Einerseits ist das Programm das zentrale Medium der Positionierung der Weiterbildungsorganisation zu ihrer Umwelt (Kuper, 2004), welches Konzepte über Bildungsbedarfe und -bedürfnisse potenzieller Teilnehmenden operationalisiert (Nolda, 2018). Andererseits besteht ein Zusammenhang zwischen Ort und Teilnahme. So zeigt eine Analyse des deutschen Mobilitätspanels, dass die Teilnahmewahrscheinlichkeit sukzessive mit der zurückzulegenden Entfernung zum Veranstaltungsort abnimmt (Martin & Schrader, 2018). Darüber hinaus wird die Relevanz der räumlichen Verortung von Organisationen in der öffentlich geförderten Weiterbildung (v.a. Volkshochschulen) durch geographische Zuständigkeitsbereiche in Form des „Territorialprinzips“ herausgestellt (Rohs & Lacher, 2023). Im Zuge der Digitalisierung sinkt die Relevanz der unmittelbaren Umgebung von Organisationen aufgrund der Möglichkeit der ortsunabhängigen Kommunikation und Bereitstellung von Informationen (Kirchner, 2022). Digital kann Weiterbildung orts- und zum Teil zeitunabhängig stattfinden (Manhart & Wendt, 2019). Im Zusammenhang mit der Coronapandemie ist der Anteil digitaler Formate im Kursangebot der Weiterbildungsorganisationen stark gestiegen. Infolgedessen werden in der Literatur Digitalisierungspotentiale von Angeboten zur Erschließung neuer Zielgruppen und zur Erhöhung der Reichweite diskutiert (Rohs & Lacher, 2023; Scheidig, 2022). Vor dem Hintergrund der theoretisierten Entkopplung der Organisationen von Orten im Zuge der Digitalisierung greifen wir die Frage auf, ob die Digitalisierung des Weiterbildungsangebots zu einer Lösung räumlicher Kopplungen (Delokalisierung, Kirchner (2022)) führt. Zentrale Kennzahl des für eine Organisation relevanten Ortes ist für unseren Beitrag der Umfang der Wohnbevölkerung des Kreises oder der kreisfreien Stadt (Bevölkerung ab 18 Jahren; Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder), in der eine Organisation lokalisiert ist. Zentrale Kennzahl für die Teilnahme ist auf der Organisationsebene die Gesamtzahl der Teilnahmefälle. Ausgangspunkt für unsere Analyse von Entkopplungsprozessen durch Delokalisierung ist daher der Zusammenhang des Umfangs der Wohnbevölkerung und der Zahl der Teilnahmefälle einer Weiterbildungsorganisation. Daran anschließend untersuchen wir die Annahme, dass mit steigendem Digitalisierungsgrad des Angebots der Einfluss der Bevölkerung auf regionaler Ebene (Kreis oder kreisfreie Stadt) auf die Teilnahmefälle auf Ebene der Organisationen abnimmt. Dazu wurde basierend auf Paneldaten der Volkshochschulstatistik ein erstes Fixed-Effects Modell geschätzt. Die Aufnahme eines Interaktionseffekts verdeutlicht die Annahme, dass der Einfluss der Bevölkerung auf die Teilnahmefälle vom Digitalisierungsgrad des Angebots moderiert, d.h., mit höheren Ausprägungen des Digitalisierungsgrads abgeschwächt wird. Für den Untersuchungszeitraum 2018-2021 zeigt sich für n = 825 Volkshochschulen und N = 3300 Beobachtungen in der Modellschätzung ein positiver Haupteffekt einer steigenden Bevölkerung auf die Teilnahmefälle einer Volkshochschule (b = 0.113; p = 0.051), der mit steigendem Digitalisierungsgrad signifikant abnimmt (Interaktionseffekt Bevölkerung*Digitalisierungsgrad: b = -0.00012; p < .001). Die Analyse wird nach dem Erscheinen der Volkshochschulstatistik-Daten für das Berichtsjahr 2022 um diese erweitert. Dynamiken der Digitalisierung von Angeboten der beruflichen und wissenschaftlichen Weiterbildung Die digitale Transformation prägt seit langem den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel und ist einer der Treiber vor allem der beruflichen und wissenschaftlichen Weiterbildung. Für die Anbieter in diesem Feld ergibt sich aus der Transformation eine doppelte Herausforderung. Zum einen müssen Bedarfe nach Fort- und Weiterbildung zur Bewältigung der Digitalisierung erkannt und adäquate Angebote auf dem Weiterbildungsmarkt etabliert werden, zum anderen sind die Weiterbildungsanbieter und der Weiterbildungsmarkt selbst diesen Transformationsprozessen unterworfen. Daraus ergeben sich Fragen nach den Faktoren, welche die digitale Transformation in der Weiterbildung beeinflussen und den Mechanismen, die dabei zur Wirkung kommen. Anzunehmen ist, dass zwei Wirkmechanismen die Dynamik der digitalen Transformation maßgeblich forcieren. Im Anschluss an den soziologischen Neo-Institutionalismus kann zum einen angenommen werden, dass sich Weiterbildungsanbieter an die - als rational wahrgenommene - Umwelterwartungen des jeweiligen organisationalen Feldes orientieren, um für die Organisation Legitimität zu reproduzieren (Meyer & Rowan 1977). Insbesondere mit Blick auf die als soziales Ziel etablierte Nutzung von Rationalisierungspotentialen der Digitalisierung kann dies als ein wichtiger Faktor angesehen werden (ebd.). In Folge der Wirksamkeit dieses Mechanismus sollte es zu Prozessen der Angleichung von Organisationen mit Blick auf die Digitalisierung von Angeboten der Erwachsenen- und Weiterbildung kommen. Der Neo-Institutionalismus beschreibt hier drei Formen der Angleichung: mimetischer Isomorphismus (die Nachahmung von als erfolgreich wahrgenommenen Akteuren), normativen Isomorphismus (die Anpassung an als Norm wahrgenommene Praxen) und Zwang (DiMaggio & Powell 1983). Für die hier vorgestellte Untersuchung sind alle drei Formen relevant: Initiiert durch Kontaktverbote während der Corona-Pandemie ist in der Weiterbildung ein enormer Digitalisierungsschub ausgelöst worden, von dem wir annehmen, dass er sich durch normativen und mimetischen Isomorphismus weiterträgt und verstärkt. Die im Neo-Institutionalismus beschriebenen Mechanismen ließen sich problemlos auf jeden Bildungsbereich anwenden. Die Weiterbildung ist jedoch als einziger Sektor des Bildungswesens durch eine bildungspolitisch fixierte Marktkoordination gekennzeichnet (Schrader 2011). Berücksichtigt man dies, ist davon auszugehen, dass die Digitalisierung eine wichtige Rolle im Wettbewerb zwischen Weiterbildungsanbietern spielt. Im Anschluss an Schumpeter (2003) kann die Digitalisierung als eine Innovation und damit als ein zentraler Wettbewerbsmechanismus interpretiert werden. Es ist anzunehmen, dass durch die Digitalisierung von Weiterbildungsangeboten regionale Nischen aufgebrochen werden, in deren Rahmen viele Weiterbildungsanbieter bisher ihre Präsenzangebote auf die jeweilige Nachfrage abgestimmt haben. Diese sehen sich nun neuer digitaler Konkurrenz ausgesetzt und sind gezwungen, neue Teilnahmepotentiale durch eigene digitale Angebote zu erschließen. Zugleich ermöglicht die Digitalisierung neue, innovative Angebotskonzepte, die eine Konkurrenz für herkömmliche Formate darstellen können. Aus dieser Perspektive würde der durch Digitalisierung entstehende Wettbewerbsdruck die Digitalisierung weiter antreiben. Zusammenfassend ist anzunehmen, dass die Digitalisierung unmittelbar einen Angleichungsprozess auslöst und so zu einer Beschleunigung der Digitalisierung führt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass der Einfluss der Digitalisierung des Feldes potentieller Wettbewerber auch über den Wettbewerbsdruck auf die Digitalisierung der Anbieter wirkt. Diese Annahmen werden auf der Grundlage der wbmonitor-Erhebungen des Jahres 2021 und 2022 (N_2021=1.689; N_2022=1.805) getestet. Der Digitalisierungsgrad des jeweiligen organisationalen Feldes bzw. des Feldes potenzieller Wettbewerber eines jeden Weiterbildungsanbieters wird anhand der - durch die inversen Mahalanobis-Distanzen der Angebotsprofile gewichteten - digitalen Angebotsvolumen aller anderen Anbieter operationalisiert. Der Wettbewerbsdruck wird durch das quadratische Polynom des wahrgenommenen Wettbewerbsdruck (Aghion et al 2005) in 2021 gemessen. Das entsprechende Item im wbmonitor wurde aus dem IAB-Betriebspanel übernommen. Die Hypothese wird durch eine kausale Mediationsanalyse (Keele 2015) über zwei Messzeitpunkte getestet. Dabei wird untersucht, inwiefern es einen direkten Effekt der Digitalisierung des organisationalen Feldes auf den Digitalisierungsgrad eines Weiterbildungsanbieters gibt und ob dieser Effekt durch den Wettbewerbsdruck mediiert wird. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass es einen nennenswerten, aber nicht signifikanten direkten Effekt der Digitalisierung des organisationalen Feldes auf die Digitalisierung von Weiterbildungsanbietern im Folgejahr gibt. Der Wettbewerbsdruck hat keinen mediierenden Einfluss. |
15:20 - 17:00 | 6-12: Prozessqualität früher mathematischer und naturwissenschaftlicher Bildung im institutionellen und häuslichem Lernumfeld Ort: S19 |
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Symposium
Prozessqualität früher mathematischer und naturwissenschaftlicher Bildung im institutionellen und häuslichem Lernumfeld Kompetenzen in Mathematik und Naturwissenschaften gelten als zentral für die gesellschaftliche Teilhabe (Falloon et al., 2020; OECD, 2018) und werden deswegen auch in der der Frühpädagogik als relevante Bildungsbereiche für Kinder benannt (KMK, 2004). Bereits lange vor dem Schuleintritt erwerben Kinder grundlegende Kompetenzen in den Domänen Mathematik und Naturwissenschaften und diese Kompetenzen sind ausschlaggebend für den weiteren Kompetenzerwerb der Kinder in der Schule. Voraussetzung für die Entwicklung früher Kompetenzen sind im Sinne des Angebot-Nutzungs-Modells (vgl. Angebot-Nutzungs-Modell nach Roux & Tietze, 2007) frühe Erfahrungen mit Mathematik und Naturwissenschaften (z.B. in Form von informellen Aktivitäten oder strukturierten Bildungsangeboten) in der Institution Kita und dem häuslichen Umfeld. Bisher ist national und international insgesamt wenig über die Qualität und Gestaltung von Interaktionen in Kita und häuslichem Lernumfeld bekannt. Dies trifft insbesondere für die bereichsspezifischen Interaktionen zu. Erste internationale Befunde weisen darauf hin, dass z.B. herausfordernde Fragen zu einem mathematisch oder naturwissenschaftlichen Lerngegenstand sowie geeignete Unterstützungsmaßnahmen durch Fachkräfte oder Erziehungsberechtigte die Kompetenzentwicklung von Kinder positiv beeinflussen können (Eberbach & Crowley, 2017; Gropen et al., 2017; Miller-Goldwater et al., 2023). Auf Grund der Unterschiede in der Ausbildung von Fachkräften sowie der weit verbreiteten Situationsorientierung in deutschen Kitas ist unklar, inwiefern diese Befunde auf Deutschland übertragbar sind und ob Effekte von Facetten der Prozessqualität auf die Leistungsentwicklung von Kindern in deutschen Studien repliziert werden können. Im Rahmen dieses Symposiums werden daher Ergebnisse zur Prozessqualität und ihren Facetten in den Bildungsbereichen Mathematik und Naturwissenschaften vorgestellt. Dabei werden sowohl Ergebnisse aus dem institutionellen als auch häuslichem Kontext präsentiert. Im ersten Beitrag wird anhand von Videos die generische und naturwissenschaftsspezifische Prozessqualität bei der Umsetzung von naturwissenschaftlichen Bildungsangeboten mit Kindergartenkindern untersucht. Die Ergebnisse zeigen eine große Heterogenität in der Qualität der (domänenspezifischen) kognitiven Anregung der Kinder. Der zweite Beitrag untersucht, welchen Effekt Feedback als ein Aspekt der mathematischen Prozessqualität auf die mathematische Leistung von Kindern hat. Erweiternd zu bisherigen Forschungsarbeiten (Kamins & Dweck 1999, Zentall & Morris 2010) zeigt sich, dass prozessbezogenes Feedback einen signifikanten positiven Einfluss auf den mathematischen Leistungszuwachs zwischen Prä- und Posttest der Kinder hat. Der dritte Beitrag gibt anhand von Videos einer Vorlesesituation Einblick in naturwissenschaftliche Lernprozesse im häuslichen Lernumfeld und liefert erste Erkenntnisse darüber, wie Eltern Lernprozesse am Beispiel einer Vorlesesituation umsetzen. Die drei Beiträge nehmen damit die Prozessqualität in verschiedenen Bildungsbereichen in den für die kindliche Entwicklung bedeutsamen Lernumgebungen (Institution Kita und häusliches Lernumfeld) in den Blick und geben erste Hinweise auf die Effekte von Prozessqualität auf die kindliche Kompetenzen. Die Beiträge werden anschließend von Katharina Kluczinok integrativ diskutiert. Beiträge des Symposiums Prozessqualität von naturwissenschaftlichen Bildungsangeboten in der Kita Theoretischer Hintergrund Naturwissenschaften sind in vielen Ländern ein wichtiger Bildungsbereich in der Kita (OECD, 2017). Die Entwicklung naturwissenschaftlicher Kompetenz junger Kinder hängt dabei neben individuellen Voraussetzungen stark von naturwissenschaftlichen Bildungsangeboten in Kita ab (vgl. Roux & Tietze, 2007). Als zentral für die Wirkung der Bildungsangebote wird dabei die Prozessqualität angesehen, die sich unter anderem auf die Qualität der Interaktionen zwischen Kind und Fachkraft bezieht. Indikatoren hoher naturwissenschaftsspezifischer Prozessqualität sind beispielsweise das Erfragen von Ideen, Vermutungen und Erklärungen der Kinder hinsichtlich eines naturwissenschaftlichen Lerngegenstands, die Diskussion naturwissenschaftlicher Sachverhalte sowie altersangemessene kognitiv anregende Versuche. Bisher ist nur wenig über die fachspezifische Prozessqualität von naturwissenschaftlicher Bildung bekannt, was u.a. auf den Mangel an geeigneten Ratingsystemen zurückzuführen ist. Die wenigen international vorliegenden Befunde weisen auf eine geringe Prozessqualität durch die Fachkräfte (Areljung, 2018) hin. Inwiefern diese Befunde auf Deutschland übertragbar sind, ist auf Grund von Unterschieden in der Ausbildung von Fachkräften sowie der weit verbreiteten Situationsorientierung in den Kitas unklar. Fragestellung Ziel dieses Beitrages ist es daher, zu prüfen, wie die (1) naturwissenschaftsspezifische und (2) generische Prozessqualität bei naturwissenschaftlichen Bildungsangeboten ausgeprägt sind und (3) wie diese miteinander zusammenhängen. Methode Im Rahmen der Studie liegen erste Daten für eine Teilstichprobe von N=49 Fachkräften in Deutschland vor (87.8% weiblich; MAlter=39.29 Jahre; SDAlter=11.25). Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden die Fachkräfte bei der Durchführung eines naturwissenschaftlichen Bildungsangebots videographiert. Zur Erfassung der generischen Prozessqualität wurden diese Videos durch zertifizierte Beobachtende mit dem standardisierten Beobachtungsrating CLASS Pre-K (Pianta et al., 2008) hinsichtlich der Prozessqualität auf einer 7er-Skala geratet. Dabei werden die Domänen emotionale Unterstützung, Gruppenführung und instruktionale Unterstützung durch verschiedene Dimensionen erhoben. Die naturwissenschaftsspezifische Prozessqualität wurde mittels eines selbst entwickelten Beobachtungsratings geratet und erzielte eine gute Reliabilität (α=.81). Auf einer 4er-Skala wurden dabei Aspekte kognitiver Aktivierung wie das Stellen von zum Denken anregender Fragen und Aufgaben mit Fokus auf Denk- und Arbeitsweisen, Anregung des Lernens über Denk- und Arbeitsweisen, inhaltliche Kohärenz, fachliche Richtigkeit, Verwendung von Fachsprache, Verstehenselemente, Integration des Inhalts, Alltagsbezug und Eignung der Materialauswahl geratet. Ergebnisse Erste Ergebnisse zeigen im Durchschnitt eine niedrige mittlere Qualität der naturwissenschaftsspezifischen Interaktionen zwischen Fachkraft und Kind (M=2.08; SD=0.43; Min=1.20, Max=3.00). Dies deckt sich mit den generischen CLASS-Ratings, die auf eine im niedrigen mittleren Qualitätsbereich zu verortende instruktionale Unterstützung (M=3.25; SD=0.93; Min=1.00, Max=5.67), eine hohe emotionale Unterstützung (M=5.79; SD=0.63; Min=4.50, Max=6.75) sowie Gruppenführung (M=5.87; SD=0.70; Min=3.33, Max=7.00) bei den Bildungsangeboten hinweisen. Ergebnisse der Korrelationsanalysen zeigen, dass die Ratings der naturwissenschaftsspezifischen Prozessqualität mit der mit der CLASS Pre-K gerateten instruktionalen Unterstützung signifikant korrelieren (r=.308, p<.05) aber nicht mit der emotionalen Unterstützung (r=.026, p>.05) sowie der Gruppenführung (r=-.013, p>.05). Diskussion Die beobachtete naturwissenschaftsspezifische Prozessqualität ist im Mittel im niedrigeren mittleren Bereich der Skala einzuordnen. Dies deckt sich mit der mit der CLASS beobachteten Qualität der instruktionalen Unterstützung, die durchschnittlich auch im niedrigen mittleren Qualitätsbereich zu verorten ist (Pianta et al., 2008) und damit konsistent mit bisherigen Studienergebnissen ist (Kauertz & Gierl, 2014; Stuck et al., 2016). Der signifikante positive Zusammenhang zwischen dem Rating der naturwissenschaftsspezifischen Prozessqualität und dem CLASS-Rating der instruktionalen Unterstützung weisen darauf hin, dass beide Skalen in denselben Situationen zu ähnlichen Qualitätsratings im Bereich der instruktionalen Unterstützung kommen. Dies kann auch als erster Validitätshinweis für das neu entwickelte Ratingsystems gedeutet werden. Die große Streuung beider Ratings zur Prozessqualität weisen auf Unterschiede in den (naturwissenschaftsspezifischen) Interaktionen zwischen den Fachkräften bei der Implementation des Bildungsangebots hin, wobei die im niedrigen Qualitätsbereich einzuordnende Minima auf den Bedarf der Qualitätsentwicklung hindeuten können. Die Unterschiede zwischen den Fachkräften lassen sich möglicherweise durch unterschiedliche Lerngelegenheiten zu früher naturwissenschaftlicher Bildung in schulischer Bildung sowie Aus- und Fortbildung (Barenthien et al., 2020) sowie verschiedenen Ausprägungen der Einstellungen erklären. Wirkung verschiedener Feedbackarten auf frühes mathematisches Lernen Die Bedeutung des frühen Mathematiklernens ist unbestritten. Mehrere Studien (z.B. Duncan et al. 2007) bestätigen starke prädiktive Effekte früher mathematischer Fähigkeiten auf spätere schulische Leistungen. Dabei kommen Kinder mit sehr unterschiedlichen mathematischen Fähigkeiten in die Schule. Frühes Mathematiklernen in der Kindertagesstätte findet insbesondere in Spiel- und Alltagssituationen statt (Gasteiger 2010). Ob eine Spiel- oder Alltagssituation auch zu einer Situation mit mathematischem Lernpotential wird, scheint maßgeblich von der Interaktion mit der Fachkraft abzuhängen – davon, ob sie das mathematische Potential der Situation erkennt und aufgreift (van Oers 2010). Als Teil hochwertiger Fachkraft-Kind-Interaktionen wird u. a. die Qualität des Feedbacks hervorgehoben, welches die Fachkraft dem Kind gibt (Siraj-Blatchford et al. 2002). Dieses Feedback kann Informationen zum Fortschritt, zu Aktivitäten oder zur Arbeit des Kindes enthalten. Zudem kann Feedback konstruktive Hinweise geben, was das Kind als nächstes tun sollte, wenn es Schwierigkeiten hat, erfolgreich voranzukommen (Aumann et al., 2023). Es scheinen jedoch nicht alle Arten von Feedback gleichermaßen lernförderlich zu sein. Auswirkungen verschiedener Feedbackarten auf kindliches Lernen in verschiedenen Altersstufen wurden vor allem in Experimentalstudien untersucht. Prozessbezogenes („Du hast gut gezählt“/ „Versuch mal zu zählen“) und ergebnisbezogenes („Das ist richtig/falsch“) Feedback wirken potentiell lernförderlich u. a. über Durchhaltevermögen und Selbsteinschätzung. Dahingegen scheint unspezifisches („gut“) sowie personenbezogenes („Du bist gut/schlecht“) Feedback potentiell lernförderliche Eigenschaften wie Selbstwirksamkeitserwartung eher negativ zu beeinflussen (Berner et al. 2022, Kamins & Dweck 1999, Zentall & Morris 2010). Unklar ist jedoch, ob und wie prozess-, personen- und ergebnisbezogenes Feedback, das Fachkräfte in natürlichen Lern- und Spielsituationen geben, frühes mathematisches Lernen beeinflusst. Dies ist die Fragestellung dieses Beitrags. An der Studie nahmen 48 frühpädagogische Fachkräfte mit jeweils ein bis sechs Kindern (N=140 Kinder, 3-6 Jahre) teil. Für die Analyse des Feedbackverhaltens filmten die Fachkräfte dabei mit jedem ihrer teilnehmenden Kinder jeweils zwei vorgegebene Spielsituationen mit mathematischem Potential (je 10-15 Minuten). Die Fachkräfte sollten die Situationen wie im normalen Alltag der Kindertagesstätte begleiten. Es gab keinen Hinweis dahingehend, dass das Feedback im Interesse der Studie stand. Die mathematischen Leistungen der Kinder wurden als Prä- und Posttest im Abstand von ca. zehn Monaten mit dem MARKO-D (Ricken et al. 2013) erhoben. Die videografierten Feedbackäußerungen der Fachkräfte wurden mithilfe eines Kategoriensystems (Aumann et al. 2023) in vier Oberkategorien kategorisiert: unspezifisches, personenbezogenes, prozessbezogenes und ergebnisbezogenes Feedback. Pro Kategorie wurde für jedes Kind eine Feedbackrate berechnet (Feedbackäußerungen pro Minute). Der Einfluss der Feedbackkategorien auf den kindlichen mathematischen Leistungszuwachs wurde aufgrund der hierarchischen Datenstruktur (mehrere Kinder pro Fachkraft) mithilfe eines Linear Mixed Models berechnet (Jiang und Nguyen 2021). Deskriptive Datenanalysen zeigen, dass frühpädagogische Fachkräfte in den Spielsituationen eher unspezifisches Feedback geben. Bei den spezifischen Feedbackkategorien überwiegt das prozessbezogene Feedback. Das Linear Mixed Model zeigt einen signifikanten positiven Einfluss des prozessbezogenen Feedbacks auf den mathematischen Leistungszuwachs zwischen Prä- und Posttest. Dieses Ergebnis erweitert empirische Erkenntnisse, nach denen prozessbezogenes Feedback positive Auswirkungen auf potentiell lernwirksame Eigenschaften hat (Kamins & Dweck 1999, Zentall & Morris 2010). Anders als bisherige Studien vermuten lassen, zeigt das personenbezogene Feedback keine negative Wirkung auf den frühen mathematischen Leistungszuwachs. Gegebenenfalls können Vorschulkinder sprachlich noch nicht konsequent zwischen spezifischen Feedbackarten unterscheiden (Nicholls 1978). Henderlong Corpus & Lepper (2007) zeigten beispielsweise, dass personenbezogenes Lob zwar bei Kindern der vierten und fünften Klasse, nicht jedoch bei Kindern im Alter von vier bis fünf Jahren negativ auf Motivation wirkte. Zudem scheinen nach Kamins & Dweck (1999) alle Lobarten zunächst positive Auswirkungen nach Erfolg zu haben – negative Auswirkungen von personenbezogenem Lob zeigten sich erst nach Misserfolg. Unsere Erkenntnisse bieten einen Einblick, wie Feedback in mathematischen Interaktionen Unterschiede im frühkindlichen mathematischen Lernen erklären könnte und damit eine erste Grundlage für Weiterbildungen frühpädagogischer Fachkräfte zur kritischen Reflexion ihres Feedbackverhalten. Qualität häuslicher naturwissenschaftlicher Lernprozesse Kinder entwickeln erstes naturwissenschaftliches Wissen bereits im frühkindlichen Alter (Eshach, 2006). Dabei spielen insbesondere domänenspezifische Lernprozesse in der häuslichen Lernumgebung eine wichtige Rolle. Diese Prozesse werden wiederum durch distale Merkmale wie dem sozioökonomischen Status (SES) oder elterlichen Einstellungen (z.B. dem Interesse an Naturwissenschaften) beeinflusst (Junge et al., 2021; Kluczniok et al., 2013). Häusliche naturwissenschaftliche Lernprozesse können während unterschiedlicher Aktivitäten stattfinden, z.B. dem gemeinsamen Lesen eines Buches oder beim Experimentieren (Lin & Schunn, 2016). Neben der Quantität ist dabei insbesondere die Qualität dieser Lernprozesse entscheidend für die frühkindliche naturwissenschaftliche Entwicklung (Crowley et al., 2001; Eberbach & Crowley, 2017). Erste Befunde weisen darauf hin, dass z.B. herausfordernde Fragen oder geeignete Unterstützungsmaßnahmen der Elternteile den naturwissenschaftlichen Wissenserwerb der Kinder positiv beeinflussen (Eberbach & Crowley, 2017; Miller-Goldwater et al., 2023). Fokussieren sich die bisherigen Studien oftmals nur auf einzelne Aspekte und erfassen die Qualität der Lernprozesse durch niedrig-inferente Häufigkeitszählungen (z.B. von offenen Fragen), bleiben weitere Qualitätsaspekte, die für gelingende Lernprozesse von Bedeutung sind, weitestgehend unbeachtet. Insgesamt gibt es wenig Erkenntnisse darüber, wie naturwissenschaftliche Lernprozesse im häuslichen Bereich umgesetzt werden, welche Faktoren die Qualität beeinflussen, und wie sich die Qualität auf die Lernprozesse und das Wissen des Kindes auswirkt. Ziel des Beitrags ist es, die Qualität häuslicher naturwissenschaftlicher Lernprozesse aus einer globalen und domänenspezifisch differenzierten Perspektive zu erfassen. Unsere Fragestellungen zielen darauf ab, (a) wie die Qualität dieser Lernprozesse ausgeprägt ist, (b) wie die Qualität mit familiären Merkmalen wie dem SES oder elterlichen Einstellungen zu den Naturwissenschaften und (c) mit den Lernprozessen und dem naturwissenschaftlichen Wissen der Kinder zusammenhängt. In dieser Studie lasen 61 Eltern-Kind-Paare ein Bilderbuch über die Jahreszeiten, als eine typische, alltägliche Aktivität (Mage = 67,81 Monate, 48% Mädchen, 79% Mütter). Sie wurden gebeten, das Buch so zu lesen, wie sie es immer tun. Die Interaktionen wurden videographiert und die dabei stattfindenden Lernprozesse anhand von mehreren Qualitätsmerkmalen hoch-inferent analysiert. Es wurden drei Skalen gebildet, die die motivationale Unterstützung (α = .84), die kognitive Interaktion (α = .93), und – domänenspezifisch – die naturwissenschaftsspezifische Interaktion (α = .71) der Lernprozesse betrachten. Doppelkodierungen ergaben eine hohe Raterübereinstimmung (ICC = .78). In gleicher Weise wurden die während der Interaktion auftretenden Lernprozesse des Kindes in einer Skala (α = .92) sowie in Kinderbefragungen das naturwissenschaftliche Wissen erfasst. In einem Fragebogen wurden außerdem das elterliche naturwissenschaftliche Interesse und Selbstkonzept sowie der familiäre SES (HISEI) ermittelt. Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die motivationale Unterstützung der Elternteile während des Vorlesens qualitativ eher hoch, während kognitive und naturwissenschaftsspezifische Interkationen eher gering ausgeprägt sind. Eine hohe Streuung der Qualitätsratings weist auf große Unterschiede zwischen den Familien hin. Weiterhin hängen die kognitive und naturwissenschaftsspezifische Interaktion mit dem elterlichen Interesse (r > .35) und dem familiären SES (HISEI; r > .27) zusammen. Die Qualitätsratings sind zudem stark mit den Lernprozessen des Kindes verbunden (r > .63): Höhere Qualität der Lernprozesse steht mit höherer Eigeninitiative des Kindes im Zusammenhang, mit höherer Partizipation am Gespräch, und dass das Kind mehr Fragen stellt (vgl. Callanan et al., 2017; Leech et al., 2020). Es konnten außerdem Zusammenhänge zwischen naturwissenschaftsspezifischer Interaktion und dem naturwissenschaftlichen Wissen des Kindes gefunden werden (r = .29), nicht aber für die anderen Skalen, was auf eine domänenspezifische Förderung während häuslicher Lernprozesse hindeutet (vgl. z.B. Eberbach & Crowley, 2017). Unsere Ergebnisse liefern erste Erkenntnisse darüber, wie Eltern Lernprozesse am Beispiel einer Vorlesesituation umsetzen und ergänzen bisherige Befunde, die nur einzelne Aspekte der Prozessqualität fokussieren (z.B. Eberbach & Crowley, 2017; Miller-Goldwater et al., 2023; Shirefley et al., 2020). Zudem liefern unsere Ergebnisse erste Erkenntnisse darüber, dass die Qualität häuslicher Lernprozesse mit distalen Merkmalen von Eltern und Familie zusammenhängt sowie mit dem naturwissenschaftlichen Wissen von Kindern verbunden ist. |
15:20 - 17:00 | 6-13: Soziale Ungleichheiten und Kontexteffekte Ort: S28 |
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Paper Session
Wer wählt eigentlich Grundschulen – und nach welchen Kriterien? Soziale Ungleichheiten bei der Wahl der Grundschule 1Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der HU Berlin, Deutschland; 2Humboldt-Universität zu Berlin; 3DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation Im Diskurs um die Genese herkunftsspezifischer Bildungsungleichheiten wird die Rolle von Bildungsentscheidungen als zentrales Erklärungsmoment immer wieder hervorgehoben. So sind für die unterschiedlichsten Übergangsschwellen, allem voran dem Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule, herkunftsspezifische Unterschiede im Entscheidungsverhalten intensiv beforscht und in unzähligen Studien empirisch belegt worden (zusammenfassend vgl. Dumont et al., 2014). Aus theoretischer Perspektive werden die beobachteten Ungleichheiten zumeist als Resultat rationaler Wahlentscheidungen interpretiert, teilweise aber auch auf gezielte Distinktionsprozesse oder strategische Investitionen in die Bildungskarrieren der Kinder als Ausdruck habituell geprägten Wahlverhaltens zurückgeführt (Maaz, Zunker & Neumann, 2018; Mayer & Koinzer, 2019). Diese Mechanismen können gleichermaßen auf die Wahl der Grundschule bezogen und damit entscheidungsbedingte soziale Ungleichheiten beim Übergang in die Grundschule postuliert werden. Auch wenn die Wahlmöglichkeiten aufgrund weitverbreiteter Einzugsgebietsreglungen bei der Grundschulwahl formell eingeschränkt sind, so gibt es in fast allen Bundesländern Sonderregelungen, die ein Ablehnen der Einzugsgebietsschule und die aktive Wahl einer Alternative zulassen (Mayer & Koinzer, 2019). Inwiefern Eltern von dieser Option Gebrauch machen, auch im Grundschulbereich aktiv Schulwahl betreiben und diesbezüglich herkunftsbezogene Disparitäten bestehen, ist für den deutschsprachigen Raum bisher nur regionalspezifisch oder mit Blick auf Schulen in freier Trägerschaft untersucht worden. Die wenigen bestehenden Studien deuten auf ein nach sozialer Herkunft verzerrtes Grundschulwahlverhalten hin (Altrichter et al., 2011; Schuchart et al., 2012; Schwarz et al., 2017), liefern allerdings kein eindeutiges Ergebnis und vermögen zudem nicht, Aussagen für das gesamte Bundesgebiet zuzulassen. Die vorliegende Studie knüpft an diese Befundlage an und zielt darauf ab, sie auf ein breiteres Fundament zu stellen. Dabei werden auf Grundlage einer bundesweiten Stichprobe die folgenden Forschungsfragen bearbeitet: (1) Wie häufig wird von der Möglichkeit der Grundschulwahl Gebrauch gemacht? (2) Inwiefern finden sich herkunftsbezogene Unterschiede zwischen Kindern, deren Eltern die Grundschule aktiv gewählt haben (Chooser), und solchen, deren Eltern nicht von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben (Non-chooser)? (3) Inwiefern unterscheiden sich Chooser und Non-chooser hinsichtlich der Bedeutsamkeit, die sie verschiedenen Schulmerkmalen (z. B. Schulweglänge, Ruf der Schule) beimessen? Die Studie basiert auf den Daten des in der vierten Jahrgangsstufe durchgeführten IQB-Bildungstrends 2021, in dessen Rahmen die Eltern der 24.171 teilnehmenden Grundschüler:innen u. a. um Angaben zur Wahl der von ihrem Kind besuchten Grundschule gebeten wurden. Unter Verwendung von Fallgewichten wurde basierend auf diesen Angaben der bundesweite Anteil der Chooser und Non-chooser ermittelt und es wurde (unter statistischer Kontrolle für das jeweilige Bundesland) untersucht, inwiefern sich diese beiden Gruppen im Hinblick auf herkunftsbezogene Indikatoren (HISEI, Zuwanderungshintergrund, Anzahl der Bücher im Haushalt als Indikator für das kulturelle Kapital) unterscheiden. Zur Untersuchung der Unterschiede bei der Bedeutsamkeit von Schulmerkmalen wurden Fixed-Effect-(FE)-Modelle spezifiziert, die sowohl für beobachtete als auch für unbeobachtete Unterschiede zwischen Schulen kontrollieren. Im Rahmen erster Analysen fiel zunächst auf, dass für rund 35 Prozent der Studienteilnehmer:innen keine Elternangaben zur Grundschulwahl vorlagen. Diese Gruppe ist hoch selektiv zusammengesetzt und weist (im Vergleich zu den übrigen Studienteilnehmer:innen) einen signifikant niedrigeren soziökonomischen Status, weniger kulturelles Kapital und häufiger einen Zuwanderungshintergrund auf. Von den Eltern der übrigen Studienteilnehmer:innen gaben rund 61 Prozent an, im Rahmen der Schulanmeldung Wahlmöglichkeiten gehabt zu haben. Innerhalb dieser Gruppe konnten auf Basis ihrer Angaben zur gewählten Grundschule 67 Prozent als Non-Chooser und 33 Prozent als Chooser klassifiziert werden. Zwischen beiden Gruppen wurden keine signifikanten herkunftsbezogenen Disparitäten festgestellt, was sich vermutlich auf die erwähnte selektive Bearbeitung der Items zur Grundschulwahl zurückführen lässt. Signifikante Unterschiede fanden sich jedoch im Hinblick auf die Bedeutung, die beide Gruppen verschiedenen Schulmerkmalen beimessen: Während Chooser leistungs- und qualitätsbezogene Schulmerkmale (z. B. guter Ruf, hohes Leistungsniveau, hohe wahrgenommene Unterrichtsqualität) als besonders bedeutsam einschätzten, stuften Non-chooser pragmatische Merkmale (z. B. kurzer Schulweg, Geschwisterkinder an der gleichen Schule) als wichtiger ein. Paper Session
Bildungsklima als Gelingensbedingung unterschiedlich zusammengesetzter Grundschulen? PH Gmünd, Deutschland Mit dem zunehmenden Rückgang von Leseleistungen (Stanat et al., 2022) und der steigenden ungünstigen Zusammensetzung von Grundschulen (Weishaupt, 2022) rücken in der aktuellen Debatte um soziale Bildungsdisparitäten insbesondere Schulen in benachteiligter Lage in den Blick. Sie kennzeichnen sich allgemein durch einen hohen Anteil an Schüler*innen aus Herkunftsmilieus mit geringerem sozialen, kulturellen oder ökonomischen Kapital, was tendenziell mit ungünstigeren Lern- und Leistungsvoraussetzungen zwischen Schule und Lernenden assoziiert ist (Klein, 2017, S. 4). Diese „Verräumlichung von Ungleichheit“ (Fölker et al., 2015) hat insofern eine zentrale Bedeutung für den Bildungserfolg, als dass die sozioökonomische bzw. leistungsbezogene Zusammensetzung der Schüler*innen in Klassen und Schulen über Kompositionseffekte einen eigenständigen Einfluss auf die individuelle Lernentwicklung nehmen kann (z.B. Baumert et al. 2006; Scharenberg et al., 2018; Wenger et al., 2020). Zur Abschwächung von Kompensationseffekten wird derzeit häufig gefordert, betroffene Schulen mit zusätzlichen Ressourcen bedarfsgerecht auszustatten (z.B. Köller et al., 2022). Angesichts der deutlichen Leistungsstreuung von Schulen mit ähnlich ungünstiger Zusammensetzung (z.B. Harris & Chapman, 2010) stellt sich jedoch auch verstärkt die Frage, auf welche Weise schulische Akteur*innen Lernbedingungen produktiv gestalten können. Internationale Studien weisen in diesem Zusammenhang u.a. auf das Bildungsklima als schulisches Qualitätsmerkmal hin, das eine der zentralen Subdimensionen des Schulklimas darstellt (zsf. Wang & Degol, 2016). Konsens besteht darin, dass sich das Bildungsklima allgemein als kollektive Wahrnehmung akademischer bzw. leistungsbezogener Normen, Werte und Überzeugungen in einer Schule definiert (Brault et al., 2014), mit Leseleistungen von Grundschüler*innen assoziiert ist (z.B. Martin et al. 2013; Maxwell et al., 2017) sowie als erlern- sowie gestaltbar gilt (Boonen et al., 2014; Hoy et al., 2006). Der Zusammenhang des Bildungsklimas mit der Schulkomposition ist allerdings noch nicht breit untersucht und speziell für den deutschsprachigen Raum liegen bislang vergleichsweise wenig Analysen vor. Vor diesem Hintergrund beleuchtet die Stabil-Studie die Bedeutung des Bildungsklimas für die Leseleistung baden-württembergischer Schüler*innen an unterschiedlich zusammengesetzten Grundschulen. Die Untersuchung ist in das Forschungs- und Nachwuchskolleg „Heterogenität gestalten – starke Grundschulen entwickeln“ (Grassinger et al., 2022) eingebettet, das vom Wissenschaftsministerium in Baden-Württemberg finanziert wird. Für den Vortrag ist folgende Forschungsfrage leitend: Vermittelt das Bildungsklima den Zusammenhang zwischen Schulkomposition und Leseleistung von Grundschüler*innen? Das Bildungsklima wurde in der vorliegenden Studie anhand eines Online-Fragebogens auf Basis verschiedener validierter Skalen (z.B. Hußmann et al., 2020) bei Schulleitungen erhoben. Die Stichprobe der Schulleitungsbefragung setzt sich aus 145 Schulen (N=5.507 Schüler*innen) zusammen, die mit den VERA 3 Daten zur Leseleistung (M=495.91; SD=131.69) und der soziokulturellen Schulkomposition (kulturelles Kapital: M=3.16, SD=1.17, 1-5; Geschlecht: 49% weiblich; nichtdeutsche Alltagssprache: M=24%; SD=0.43) von Drittklässler*innen aus dem Schuljahr 2018/2019 kombiniert wurde. Die im Vortrag berichteten drei Subskalen der Bildungsklima-Skala Schwerpunktsetzung auf akademischen Erfolg (in Anlehnung an Hußmann et al., 2020; 10 Items, 5-stufig) weisen insgesamt zufriedenstellende interne Konsistenzen auf: kollektive schulische Wirksamkeit (M=3.97; SD=0.53; α=.80), Vertrauen in die Eltern (M= 3.19; SD= 0.70; α=.82) und akademischer Fokus (M=3.68; SD=0.45; α=.66). Mehrebenenanalysen mit Mplus zeigen, dass das von den Schulleitungen wahrgenommene Vertrauen in die Eltern (β=12.87; p=0.018) und ein akademischer Fokus der Schulen (β=16.70; p=0.028) die Beziehung zwischen Leseleistung und Schulkomposition mediieren (indirekter Effekt: β=-0.37; p=0.001). Während der Anteil von Schüler*innen mit nichtdeutscher Alltagssprache in den Grundschulen zwar nicht direkt mit der Leseleistung zusammenhängt (in Kontrast zur sozialen Herkunft), wirkt sich die ethnische Zusammensetzung vermittelt über das Bildungsklima auf das Lesen aus: Bei einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Grundschüler*innen mit nichtdeutscher Alltagssprache nimmt tendenziell das Vertrauen in die Eltern sowie der akademische Fokus an den Grundschulen ab, was wiederum mit niedrigeren Leseleistungen einherzugehen scheint. Im Vortrag werden diese Befunde auch mit Blick auf die Limitationen der Studie (z.B. keine Kontrolle der Lernvoraussetzungen der Schüler*innen) kritisch diskutiert und Implikationen zur Gestaltung von Bildungsprozessen abgeleitet. Paper Session
Soziale Disparitäten beim Übergang in den Sekundarbereich I und ihr Zusammenhang mit institutionellen Rahmenbedingungen 1DIPF, Deutschland; 2IQB, Deutschland Der nach der Grundschule erfolgende Übergang stellt eine wichtige Gelenkstelle für den weiteren Bildungs- und Lebensverlauf dar, an der soziale Disparitäten sichtbar und verstärkt werden. Dabei sind auch die institutionellen Rahmenbedingungen des Bildungssystems von Bedeutsamkeit für Bildungsungleichheiten – bezogen auf den Übergang in den Sekundarbereich I sind dies in Deutschland v.a. die durch Grundschule abgegebenen Schullaufbahnempfehlung (verbindlich vs. unverbindlich) sowie die Schulstruktur (zweigliedrig, zweigliedrig erweitert vs. mehrgliedrig). Vor diesem Hintergrund analysiert der Beitrag soziale Ungleichheiten am Übergang in den Sekundarbereich I anhand der Gymnasialempfehlung und des -übergangs mit einem besonderen Fokus auf den vergleichsweise wenig beforschten Zusammenhang mit den institutionellen Rahmenbedingungen. Dazu werden zunächst soziale Herkunftseffekte (1) in der Gymnasialempfehlung und im Gymnasialübergang untersucht. Darauf aufbauend wird (2) analysiert, ob soziale Disparitäten in der Gymnasialempfehlung und Als theoretisches Erklärungsmodell für die mit der sozialen Herkunft variierenden Schullaufbahnempfehlungen und Gymnasialübergangsquoten wird das Modell der primären und sekundären Herkunftseffekte herangezogen (Boudon 1974) und um die sekundären Herkunftseffekte der Übergangsentscheidung sowie der Leistungsbeurteilung und der Laufbahnbeurteilung (Maaz und Nagy 2010) ergänzt. Der Forschungsstand zu sozialen Ungleichheiten am Übergang in den Sekundarbereich I fällt vergleichsweise umfangreich aus und zeigt eine dreifache Benachteiligung von Kindern mit niedrigerem sozioökonomischem Status (SES): Sie weisen schlechtere Schulleistungen auf, erhalten bei gleichen objektiven Leistungen eine schlechtere Benotung sowie seltener eine Gymnasialempfehlung und gehen zudem auch bei Erhalt einer solchen häufiger auf eine nichtgymnasiale Schulform über (Ditton und Krüsken 2006; Pietsch 2007; Arnold et al. 2010; Maaz & Nagy 2010). Sowohl die Verbindlichkeit der Schullaufbahnempfehlung als auch die Schulstruktur des Sekundarbereichs I stellen relevante institutionelle Rahmenbedingungen für den Übergang nach der Grundschule dar und werden als Instrumente zur Reduzierung sozialer Ungleichheiten diskutiert. Der Forschungsstand zum Zusammenhang zwischen der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung und sozialen Disparitäten in der Gymnasialbeteiligung fällt vergleichsweise gering und uneinheitlich aus (Jähnen & Helbig 2015; Dollmann 2011; Gresch et al. 2010; Neugebauer 2010). Bezüglich des Zusammenhangs zwischen Schulstruktur und sozialen Disparitäten deutet sich an, dass sich die soziale Segregation in der Verteilung der Schüler:innen auf die verschiedenen Schulformen des Sekundarbereichs I zwischen Ländern mit zweigliedrigen und mehrgliedrigen Schulsystem nicht unterscheidet (Lenz et al. 2019; Neumann et al. 2017; Helbig & Nicolai 2017). Die Untersuchung basiert auf Daten des IQB-Bildungstrends 2021 und umfasst 12.275 Viertklässler:innen aus allen Ländern in Deutschland in denen der Übergang in den Sekundarbereich I regulär in Klasse 5 erfolgt. Die abhängigen Variablen sind zum einen die Schullaufbahnempfehlung und zum anderen der Gymnasialübergang, welcher über die voraussichtlich in Klasse 5 besuchte Schulart abgebildet wird. Es wird davon ausgegangen, dass diese Angabe den tatsächlich realisierten Übergang sehr gut approximiert, da die Erhebung in den meisten Ländern nach bereits erfolgten Anmeldungen an den weiterführenden Schulen durchgeführt wurde. Die unabhängigen Variablen sind die soziale Herkunft, abgebildet mittels des International Socio-Economic Index (ISEI), sowie Schulnoten und Testleistungen. Die Fragestellungen werden mittels logistischer Mehrebenen-Regressionsanalysen beantwortet. Die Ergebnisse zeigen zunächst in Übereinstimmung mit bisherigen Forschungsarbeiten, dass Kinder mit höherem SES auch bei gleichen Leistungen und Schulnoten häufiger eine Gymnasialempfehlung erhalten und auch häufiger auf ein Gymnasium übergehen. Bezüglich der institutionellen Rahmenbedingungen zeigt sich für die Schulstruktur, dass in Ländern mit zweigliedriger Schulstruktur die Wahrscheinlichkeit, ein Gymnasium zu besuchen, kontrolliert für Schulnoten, Leistung und Empfehlung signifikant geringer ausfällt als in Ländern mit mehrgliedriger Schulstruktur. Bezüglich der Verbindlichkeit der Gymnasialempfehlung zeigt sich, dass in Ländern mit verbindlicher Gymnasialempfehlung die Wahrscheinlichkeit des Gymnasialübergangs (kontrolliert für Leistung, Schulnoten, Gymnasialempfehlung) geringer ausfällt, als in Ländern ohne verbindliche Gymnasialempfehlung. Dieser negative Effekt der Verbindlichkeit fällt für Kinder aus Elternhäusern mit hohem SES im Betrag signifikant geringer aus. |
15:20 - 17:00 | 6-14: Mathematische Bildung II Ort: H07 |
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Paper Session
Digitale Mathematikschulbücher im Fokus: Eine systematische Analyse empirischer Studien Universität Hamburg, Deutschland Einleitung und Forschungsfrage Die Entwicklung und der Einsatz von digitalen Schulbüchern wird als ein aufstrebendes und wichtiges Feld für die zukünftige Ausrichtung der Mathematikschulbuchforschung genannt (Fan et al., 2013). Hier besteht dringender Forschungsbedarf, da die relativen Stärken und Schwächen digitaler Mathematikschulbücher noch nicht vollständig verstanden sind. Dies hat Kilpatrick 2014 in einem Überblick über die Entwicklungsgeschichte von Mathematikschulbüchern festgestellt. Beispielsweise werden interaktive digitale Schulbücher als neue Möglichkeiten für Partizipation, Flexibilität und Personalisierung gesehen, die in scharfem Kontrast zur autoritären Haltung traditioneller Textbücher stehen (Yerushalmy, 2014). Jedoch sind Studien zur Nutzung von Schulbüchern durch SchülerInnen selten (Yerushalmy, 2014) und es ist wenig darüber bekannt, wie LehrerInnen und SchülerInnen die neuen Möglichkeiten interaktiver digitaler Formate nutzen (Rezat, 2013). Nach unserem Kenntnisstand gibt es trotz dieser Forderungen bisher keine systematische Übersicht der Forschung zu digitalen Mathematikschulbüchern. Die letzte systematische Übersicht über den Stand der Forschung zu Schulbüchern im Fach Mathematik stammt von Fan (2013), welcher die Forschung zu digitalen Schulbüchern in der Kategorie „sonstiges“ beschrieb. Aus diesem Grund ist das Ziel dieses Beitrages ein systematisches Review zum Stand der empirischen Forschung bezüglich digitaler Mathematikschulbücher. Methode In drei Datenbanken (ERIC, Web of Science, PsycInfo) wurden englischsprachige Studien in Peer-Review-Zeitschriften im Bereich „Education“ zu Mathematikschulbüchern gesucht (2013-heute). Die Suchworte umfassten Mathematik oder mathematikspezifische Terme (wie z.B. Algebra) sowie Schulbuch. Nach Ausschluss von Duplikaten ergab die Suche 493 Ergebnisse. Von diesen Studien konnten weitere 214 Studien ausgeschlossen werden, da das Schulbuch nicht zentraler Untersuchungsgegenstand war, die Bücher nicht für SchülerInnen konzipiert waren (sondern für z.B. Studierende oder Auszubildende) oder es sich nicht um empirische Studien zu Mathematikschulbüchern handelte. Von diesen 279 Studien wurden im nächsten Schritt nur die Studien ausgewählt, die tatsächlich digitale Schulbücher fokussierten (19 Studien). Ergebnisse Die insgesamt 19 Studien, können in 6 Kategorien beschrieben werden. Zu jeder Kategorie werden die Ergebnisse kurz zusammengefasst: (1) Lehrerkräftebildung und Einstellungen: Die Ergebnisse (Studien 1 und 2) zeigen, dass eine gründliche Vorbereitung und Schulung der Lehrkräfte für die effektive Implementierung digitaler Lehrbücher unerlässlich sind. Insbesondere in den USA besteht eine Präferenz für digitale Formate, was eine differenzierte Herangehensweise an die Lehrmittelbereitstellung erforderlich macht. (2) Technologische Umsetzung und Design: Die Studien in dieser Kategorie (Studien 3, 4, 5 und 14) betonen die Bedeutung des Designs und der Multimodalität in digitalen Lehrbüchern. Insbesondere die Integration interaktiver Bausteine könnte die Schülerleistung positiv beeinflussen. (3) Schülerengagement und Lernergebnisse: Die Studien 6 und 16 zeigen, dass die wahrgenommene Nützlichkeit und das Engagement der Schüler wichtige Faktoren für die tatsächliche Nutzung und den Erfolg von digitalen Lehrbüchern sind. (4) Zugänglichkeit und Inklusivität: Die Studien 7 und 13 legen nahe, dass digitale Lehrbücher das Potenzial haben, den Zugang für Schüler mit besonderen Bedürfnissen zu verbessern, jedoch ist eine sorgfältige Implementierung erforderlich. (5) Pädagogische Implikationen: Die Studien 10, 11, 15, 17 und 18 untersuchen verschiedene Aspekte wie die didaktischen Auswirkungen computergestützter Beweise, die Erfahrungen und Wahrnehmungen der Schüler, pädagogische Widersprüche, die sich aus der Verwendung digitaler Lehrbücher ergeben, und den Einfluss externer Variablen wie Selbstwirksamkeit und Bildungsniveau der Eltern auf die Technologieakzeptanz. Sie unterstreichen die Notwendigkeit eines differenzierten Verständnisses der Wechselwirkungen zwischen digitalen Schulbüchern und Lehrmethoden, dem Engagement der Schüler und den Lernergebnissen. (6) Vergleichende Analysen: Die Studien 8, 9 und 19 zeigen, dass digitale Lehrbücher nicht automatisch zu einer verbesserten Lernqualität führen und dass die Aufgabenanforderungen in beiden Formaten ähnlich sein können. Dieser Beitrag bietet eine fundierte Grundlage der Forschung im Bereich digitaler Mathematikschulbücher. Die verhältnismäßig geringe Anzahl an Studien zu digitalen Mathematikschulbüchern unterstreicht den Bedarf an weiterer Forschung in diesem sich rasch entwickelnden Feld. Die Ergebnisse unterstreichen zudem die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung von digitalen Mathematikschulbüchern, die sowohl technologische als auch pädagogische Aspekte berücksichtigt. Paper Session
Überträgt sich mathematikbezogene Angst der Lehrkraft auf das Grundschulkind? Agency und Communion des dyadischen Lehrkraftverhaltens als Mediator Freie Universität Berlin, Deutschland Mathematikbezogene Angst (MA; Ashcraft, 2002; Hembree, 1990) kann die Leistungsfähigkeit von Schüler:innen beeinträchtigen (Barroso et al., 2021; Caviola et al., 2022). Zudem können auch Mathematik-Lehrkräfte von Angst im Fach Mathematik betroffen sein (Ganley et al., 2019; Porsch, 2017). Auch liegen Belege vor, dass MA der Lehrkraft zu geringeren Mathematikleistungen der Schüler:innen führt (Beilock et al., 2010; Ramirez et al., 2018; Schaeffer et al., 2021). Mögliche Erklärungen für dieses Phänomen sind emotionale Ansteckung, Feedbackverhalten oder Aspekte von Beziehungsqualität (Burić & Frenzel, 2023; Frenzel et al., 2009, 2021). In unserer Forschung haben wir auf das interpersonale Verhalten der Lehrkraft in Lehrkraft-Schüler:in-Dyaden als potentiellen Mediator zwischen MA der Lehrkraft und MA der Schüler:in fokussiert. Der Interpersonal Theory (Leary, 1957) folgend kann das Verhalten von Lehrkräften auf den Dimensionen Communion (Wärme, Zugewandtheit) und Agency (Lenkung, Kontrolle) beschrieben werden. Günstiges Lehrkraftverhalten ist dadurch charakterisiert, dass die Lehrkraft adaptive Agency zeigt, also das Ausmaß der Steuerung von den Kompetenzen des Kindes abhängig macht, und dies in jedem Fall mit hoher Communion kombiniert ist (Hannover et al., 2022; Roorda et al., 2017). Wir erwarten, dass eine Lehrkraft mit hoher MA im Mathematikunterricht Stress und Unsicherheit erlebt und entsprechend wenig kommunales Verhalten gegenüber den Schüler:innen zeigt und versucht, durch hohe Agency das Unterrichtsgeschehen unter Kontrolle zu halten. Durch dieses Verhaltensmuster sollte MA beim Lernenden gefördert werden: denn das Kind fühlt sich nicht emotional unterstützt und erlebt die starke Steuerung als Ausdruck eines geringen Zutrauens der Lehrkraft in seine mathematischen Kompetenzen. Da Mädchen und Frauen im besonderen Maße von MA betroffen sind (Vos et al., 2023) berücksichtigen wir zudem das Geschlecht der Lehrkraft und des Kindes. In einer Feldstudie beschrieben 42 Mathematik-Grundschullehrkräfte (32 Frauen) ihr dyadisches Interaktionsverhalten gegenüber n = 949 Berliner Grundschüler:innen (373 Mädchen) mithilfe eines Circumplex-Instrumentes (Hannover et al., 2022). Lehrkräfte (Ganley et al., 2019) und Schüler:innen (Henschel & Roick, 2020) machten Angaben zu ihrer MA. Als Analysestrategie verwendeten wir die Structural Summary Method (SSM; Gurtman, 1992) mithilfe des R-Paketes "Circumplex" (Zimmermann & Wright, 2017) und berechneten Pfadmodelle mit dem R-Paket „lavaan“ (Rosseel, 2012). Die SSM-Analysen zeigten erwartungsgemäß, dass die MA der Lehrkraft mit geringer Communion zusammenhing, entgegen unserer Erwartung aber unabhängig von der Agency war (Displacement = 152.1°, R2 = .75). Die MA des Kindes hing anders als erwartet mit der Communion des Lehrkraftverhaltens nicht zusammen, nahm aber mit der Agency zu (Displacement = 94.6°, R2 = .98). Der über die Agency (β = 0.00, p = .427) und Communion (β = 0.01, p = .185) vermittelte indirekte Effekt der MA der Lehrkraft auf die MA des Kindes war nicht signifikant. Geschlechtsspezifische Analysen zeigten hingegen den erwarteten Zusammenhang, wenn Lehrkraft und Kind weiblich waren (Gender Match): Die MA der weiblichen Lehrkraft hing erwartungsgemäß mit der Kombination von geringer Communion und hoher Agency in ihrem Verhalten zusammen (Displacement = 119.8°, R2 = .90). Die MA des jeweiligen Mädchens war wie erwartet umso höher, je weniger kommunal und stärker agentisch das Verhalten der Lehrkraft war (Displacement = 112.6°, R2 = .98). Die Pfadanalyse ergab allerdings, dass nur Agency den Zusammenhang zwischen MA der Lehrkraft und des Kindes mediierte (β = 0.04, p = .044; für Communion: β = 0.02, p = .128). Als eine Erklärung, warum sich MA nur bei einer weiblichen Lehrkraft auf ihre weiblichen Schüler überträgt, diskutieren wir den Einfluss von Geschlechtsstereotypen (Eagly, 1987). Mathematiklehrerinnen und Mädchen kennen das Stereotyp über die geringere Mathematikkompetenz ihres Geschlechts. Möglicherweise versuchen deshalb nur Frauen ihre MA durch niedrig kommunales und stark agentisches Verhalten zu regulieren und sind nur Mädchen vulnerabel, sich von der durch das Lehrkraftverhalten vermittelten MA der Lehrkraft beeinträchtigen zu lassen. Paper Session
Personenmerkmale und Mathematikleistungen – Ein systematisches Review metaanalytischer Befunde Universität Trier, Deutschland Mathematikleistungen von Schüler*innen haben weitreichende Folgen, sowohl auf individueller Ebene für Arbeitsmarktchancen oder Gesundheitsentscheidungen (Geary, 2011, Reyna & Brainerd, 2007), als auch auf gesellschaftlicher Ebene für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft (Halpern et al., 2007). Ein tiefgreifendes Verständnis der Personenmerkmale, die zu Mathematikleistungen beitragen, ist hilfreich, um die frühzeitige Identifizierung von Schüler*innen mit einem Risiko für schwache Leistungen und auch die Talentsuche und Förderung von Mathematik-Talenten zu unterstützen. Es gibt eine umfangreiche Literatur zu Prädiktoren von Mathematikleistungen sowie verschiedene Modelle der Begabung und Talententwicklung in Mathematik (e.g., Phillipson & Callingham, 2009; Pitta-Pantazi et al., 2011; Preckel et al., 2020), welche die Bedeutung verschiedener Fähigkeiten, Fertigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale für die Mathematik betonen. In den letzten Jahren wurden in einer Vielzahl von Metaanalysen die Ergebnisse aus verschiedenen Teilen der empirischen Literatur zusammengefasst, um die Auswirkungen von Personenmerkmalen genauer zu quantifizieren (e.g., Atit et al., 2022; Bicer et al., 2021; Emslander & Scherer, 2022; Muncer et al., 2022). Allerdings ist diese Fülle an neuen Erkenntnissen derzeit nur schwer zu überblicken. In der vorliegenden Studie bieten wir daher ein systematisches Review von Metaanalysen personenbezogener psychologischer Variablen, die mit mathematischen Leistungen in Verbindung stehen. Dies ermöglicht einen Vergleich der relativen Bedeutung einer großen Bandbreite von Variablen, der als Grundlage für Talentmodelle, Talentsuchen und Förderung im Bereich der Mathematik dienen kann. Fragestellung Welche personenbezogenen psychologischen Variablen stehen in einem systematischen Zusammenhang mit Mathematikleistung? Wie hoch sind die Zusammenhänge und Unterschiede zwischen ihnen? Methode Durch systematische Suchstrategien wurden 383 Artikel identifiziert und auf Eignung geprüft (u.a. Metaanalyse, Korrelation von Mathematikleistung mit einem Personenmerkmal, keine Kontrolle von Drittvariablen, kein Fokus auf klinische Stichproben). Von diesen wurden 31 Metaanalysen mit insgesamt 86 Variablen in das Review aufgenommen. Die interessierende Effektgröße war die metaanalytische Korrelation zwischen der Variable und der Mathematikleistung. Die Variablen wurden in die Überkategorien a) Wissen und Fertigkeiten, b) (kognitive) Fähigkeiten und c) Persönlichkeit und Motivation unterteilt. Alle Effektgrößen wurden nach ihrer Größe geordnet und die resultierenden Ergebnismuster beschrieben. Effekte wurden in Anlehnung an Empfehlungen von Cohen (1988) und Gignac and Szodorai (2016) in vernachlässigbare (r = .00 - .09), kleine (r = .10 - .19), moderate (r = .20 - .29), große (r = .30 - .49) und sehr große (r ≥ .50) Effekte unterteilt. Ergebnisse Die stärksten Zusammenhänge mit Mathematikleistungen zeigten sich für verbale akademische Leistung (r = .59 bis .67) und verbale Fähigkeiten (r = .27 bis .51), mathematisches Vorwissen und Vokabular (r = .63 und .49), Intelligenz (r = .41 bis .62) und Kreativität (r = .47). Variablen der Kategorie „Wissen und Fertigkeiten“ zeigten durchweg große bis sehr große Zusammenhänge. Fähigkeitsvariablen zeigten vor allem moderate oder große Zusammenhänge. Im Vergleich zu anderen Variablen waren die Effektgrößen der Verarbeitung numerischer Größenordnungen (r = .24 bis .30) und der räumlichen Fähigkeiten (r = .21 bis .35), die oft als wichtige Prädiktoren mathematischer Leistung und als Indikatoren mathematischen Talents beschrieben werden, eher gering. Persönlichkeits- und Motivationsvariablen zeigten vernachlässigbare bis moderate Zusammenhänge, mit Ausnahme des mathematischen Selbstkonzepts (r = .43) und der akademischen Emotion Ärger (r = -.35). Die Ergebnisse zeigen, dass auch viele Variablen stark mit Mathematikleistungen zusammenhängen, die gut durch gezielte Interventionen veränderbar sind (z.B. Lesefertigkeit, mathematisches Selbstkonzept, Selbstregulation). Paper Session
Effekte eines (verzerrten) Fähigkeitsselbstkonzepts auf Schulnoten und deren Mediation durch Erfolgserwartung und subjektive Werte nach dem Erwartungs-Wert-Modell Technische Universität Dortmund, Deutschland [Theoretischer Hintergrund, Fragestellung] Aus einer großen Zahl von Einzelstudien und Metaanalysen (z.B. Valentine et al., 2004; Wu et al., 2021) ist bekannt, dass ein hohes Fähigkeitsselbstkonzept sich positiv auf zukünftige Schulleistungen (Noten, standardisierte Schulleistungstests, erreichter Abschluss) in derselben Domäne, z.B. Mathematik, auswirkt. Über zwei unmittelbar daraus ableitbare Fragestellungen ist hingegen weitaus weniger bekannt. Erstens stellt sich die Frage, ob die Diskrepanz zwischen dem Fähigkeitsselbstkonzept und der tatsächlichen Kompetenz einer Person (der sogenannte Selbsteinschätzungsbias; SE Bias) ebenfalls eine Auswirkung auf schulische Leistungen hat. Hierzu gibt es in der Literatur unterschiedliche Hypothesen. Einige Autor*innen gehen davon aus, dass ein (moderat) positiver SE Bias aufgrund einer angenommenen motivationsförderlichen Wirkung zu besseren Schulleistungen führen sollte (z.B. Bonneville-Roussy et al., 2017; Lee, 2021), während andere die Bedeutung akkurater Selbsteinschätzungen betonen (z.B. Dunlosky & Rawson, 2012; Hacker & Bol, 2019) und einige gar Vorteile von Selbstunterschätzungen identifizieren (z.B. Talsma et al., 2019). Bisherige Studien zu diesem Thema sind aufgrund theoretischer und methodischer Mängel jedoch oft wenig aussagekräftig (siehe z.B. Humberg et al., 2018 für eine Diskussion). Zweitens ergibt sich die Frage, welche Mechanismen für den positiven Effekt des Fähigkeitsselbstkonzepts auf Schulleistung verantwortlich sind. Nach dem Erwartungs-Wert-Modell (Eccles & Wigfield, 2020; 2023) wird dieser Effekt durch subjektive Werte (intrinsische Werte, Wichtigkeitswerte, Nützlichkeitswerte sowie die in dieser Arbeit nicht untersuchten Kosten) und Erfolgserwartung mediiert. Diese angenommenen Mediationen wurden bisher allerdings nicht längsschnittlich überprüft. Daher untersuchten wir in der vorliegenden Arbeit, ob neben der absoluten Ausprägung des Fähigkeitsselbstkonzepts auch der SE Bias einen Einfluss auf Schulleistung ausübt (Fragestellung 1) und, ob der Effekt des Fähigkeitsselbstkonzepts (wie auch der potentielle Effekt des SE Bias) durch subjektive Werte und Erfolgserwartungen mediiert wird (Fragestellung 2). [Methode] Wir untersuchten 504 Gymnasiast*innen zu Beginn der zehnten Klassenstufe (Alter: M = 15.28 Jahre; SD = 0.60; 264 weiblich, 240 männlich) und erfassten ihr mathematisches Fähigkeitsselbstkonzept sowie ihre mathematische Kompetenz mit einem standardisierten Mathematikkompetenztest. Zu einem zweiten Messzeitpunkt (t2) zu Beginn der elften Klassenstufe erfassten wir die subjektiven Werte sowie die Erfolgserwartung in Mathematik und zu einem dritten Messzeitpunkt (t3) am Ende der elften Klassenstufe die Mathematikzeugnisnoten. Weiterhin wurden Kontrollvariablen (Ausgangswert der Noten, Ausgangswert der subjektiven Werte und Erfolgserwartung, Geschlecht, sozioökonomischer Status) erfasst. Wir verwendeten Response Surface Analysen (Edwards, 2002; Edwards & Parry, 1993; Humberg et al., 2019) zur Datenauswertung. Dabei wurden das Fähigkeitsselbstkonzept, das Ergebnis des Kompetenztests und die Kontrollvariablen als unabhängige Variablen, die subjektiven Werte und die Erfolgserwartung als Mediatoren und die Zeugnisnoten am Ende der 11. Klassenstufe als abhängige Variable modelliert. Weiterhin stellten wir durch Parameterrestriktionen verschiedene Modelle auf, die die unterschiedlichen theoretischen Annahmen über SE Bias Effekte (z.B. positiver Effekt einer Selbstüberschätzung, positiver Effekt einer akkuarten Selbsteinschätzung, positiver Effekt einer Selbstunterschätzung) repräsentieren. Wir untersuchten Fragestellung 1, indem wir die entsprechenden Modelle gegeneinander testeten und anhand von Akaike-Gewichten verglichen (Burnham & Anderson, 2002; Humberg et al., 2019). Wir untersuchten Fragestellung 2, indem wir das oder die Modelle, welche in den Analysen zu Fragestellung 1 die besten Akaike-Gewichte aufwiesen, auf signifikante indirekte Effekte vermittelt über subjektive Werte und Erfolgserwartung überprüften. [Ergebnisse] Analysen der Akaike-Gewichte ergaben, dass jenes Modell die Daten am besten abbildete, welches lediglich positive lineare Effekte des mathematischen Fähigkeitsselbstkonzepts und der Kompetenz auf die Zeugnisnoten, aber keine SE Bias Effekte, beinhaltete. Mit anderen Worten, während die absolute Höhe sowohl des Fähigkeitsselbstkonzepts als auch der Kompetenz einen Einfluss auf die Noten hatte, spielte die Diskrepanz zwischen ihnen keine Rolle. Mediationsanalysen dieses Modells ergaben, dass der Effekt des Fähigkeitsselbstkonzepts durch intrinsische Werte und Wichtigkeitswerte, nicht aber durch Nützlichkeitswerte und Erfolgserwartung mediiert wurde. Die Annahmen des Erwartungs-Wert-Modells wurden somit partiell bestätigt. |
15:20 - 17:00 | 6-15: Diagnostizieren und Fördern Ort: S14 |
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Paper Session
Multimedia-Effekte im Testkontext: Eine Metaanalyse 1Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN,Kiel); 2Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM, Tübingen) Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Multimediaeffekte werden traditionell vor allem im Kontext des Lernens betrachtet (Mayer, 2005). Allerdings gibt es immer mehr empirische Arbeiten die zeigen, dass Bildelemente auch in Testsituationen einen bedeutsamen Einfluss auf kognitive, metakognitive und affektive Parameter haben. Analog zum Lernkontext wird eine Erhöhung der Antwortrate durch den Einsatz von Bildern in Testaufgaben auch als Multimedia-Effekt im Testkontext bezeichnet (Lindner et al., 2017). Allerdings haben nicht alle Bildelemente vergleichbare Effekte und so ist es relevant, die Auswirkungen der Nutzung verschiedener Bildtypen näher zur betrachten. Unterschieden werden in der Forschung bisher vor allem dekorative Bilder, die höchstens lose mit dem Aufgabenkontext assoziiert sind. Repräsentationale Bilder hingegen visualisieren lösungsrelevante Textinformationen. Werden räumlich-strukturelle Informationen aus dem Text dargestellt, werden diese teils auch als organisationale Bilder bezeichnet. Informationale Bilder liefern dagegen Informationen, die über den Textinhalt hinausgehen und für die Lösung der Aufgabe essenziell sind. Studien haben gezeigt, dass vor allem repräsentationale Bilder die Testleistung, die Bearbeitungszeit, die Metakognition sowie die Testmotivation bedeutsam beeinflussen können (vgl. Lindner, 2021). Für einen empirisch fundierten Einsatz von Bildern in Testmaterialien ist jedoch differenzierteres Wissen über die Wirkung verschiedener Bildtypen erforderlich. In einer ersten Metaanalyse identifizierten Hu et al. (2021) insgesamt 23 relevante Studien, publiziert bis August 2018, und zeigten für Bilder mit verschiedenen Funktionen unterschiedliche Effekte auf Leistungsoutcomes. Unsere Metaanalyse setzt an diesem Punkt an und erweitert die Datenlage substanziell für die zentralen Bildtypen. Auf Basis unserer Literatursuche (bis Dezember 2022) konnten wir folgende Fragen erstmals differenzierter für Bilder mit verschiedenen Funktionen untersuchen: (1) Welche Rolle spielt die Bildfunktion für Multimediaeffekte auf die Testleistung, die Bearbeitungszeit, die Metakognition und auf affektiv-motivationale Variablen? (2) Gibt es neben der Bildfunktion weitere relevante Moderatoren für Multimediaeffekte im Testkontext, wie beispielsweise das Antwortformat (Multiple-Choice vs. Open Response) oder das Testsetting (Computer-Based vs. Paper-Pencil)? Methode Als Basis unserer Metaanalyse wurden die Datenbanken ScienceDirect, PsycINFO und Web of Science systematisch durchsucht. In einem mehrteiligen Screening-Prozess, dem PRISMA-Schema folgend, wurden die identifizierten Studien anhand von definierten Ein- und Ausschlusskriterien hinsichtlich ihrer Relevanz für die Metaanalyse überprüft. Zwei zentrale Einschlusskriterien waren, dass Bilder in Testaufgaben integriert sind und eine adäquate Kontrollgruppe ohne Bilder (z.B. nur Text) untersucht wird. Insgesamt konnten wir 39 Forschungsarbeiten inkludieren, aus denen 113 Effektstärken geschätzt wurden. Anhand von Random-Effects Modellen wurden für drei verschiedene Bildtypen jeweils summative Effekte und Heterogenitätsmaße bestimmt. Ergebnisse Dekorative Bilder schienen, verglichen mit einer reinen Textbedingung, keinen Einfluss auf die Testleistung (g = 0.02; p = .369), die Bearbeitungszeit (g = -0.02; p = .51), die Metakognition (g = 0.18; p = .347) oder die Freude an der Bearbeitung (g = 0.03; p = .399) zu haben. Für repräsentationale/organisationale Bilder konnten wir signifikante und jeweils positive Effekte auf die Testleitung (g = 0.37; p < .001), die Metakognition (g = 0.26; p < .001) und die Freude an der Testbearbeitung (g = 0.21; p < .001) finden, wohingegen kein signifikanter Effekt bezüglich der Bearbeitungszeit vorlag (g = -0.01; p = .925). Die Datenlage zu informationalen Bildern war geprägt von großer Heterogenität (I² = 99.46 % für die Variable Testleistung) ohne klares Befundmuster. Weitere Forschung ist notwendig, um differenzielle Effekte essenzieller Bilder besser zu verstehen. Unsere Moderatoranalysen deuten in diesem Zusammenhang auf einen signifikanten Einfluss des Testsettings (Computer-Based vs. Paper-Pencil) und des Standorts der Forschungsgruppen (Europa vs. USA vs. Asien) hin. Insgesamt zeigt unsere Metaanalyse, dass vor allem repräsentationale Bilder im Testkontext differenziert eingesetzt werden können, um beispielsweise Konstrukt-irrelevante Varianz zu reduzieren (z.B. Leseanforderungen in naturwissenschaftlichen Aufgaben) oder den Spaß an der Testbearbeitung in Low-Stakes-Assessments zu erhöhen. Dekorative Bilder erwiesen sich als nicht störend, aber entgegen der Erwartung von vielen Testkonstrukteuren und Lehrkräften auch nicht als motivationsförderlich. Paper Session
Lernverlaufsdiagnostik zur Förderung schulischer Leistungen? – Ergebnisse einer Metaanalyse IPN – Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Deutschland Individualisierter, an Schüler:innen orientierter Unterricht, bedarf einer andauernden Erfassung des Lernstandes und individuellen Lernfortschritts (Jung et al., 2018). Diese sollte reliabel und valide, einfach zu handhaben, ohne großen Aufwand implementierbar, auf die Lehrinhalte abgestimmt (Lembke & Stecker, 2007) und zwischen Messzeitpunkten vergleichbar sein. Ein erfolgsversprechender Ansatz um individuelle Lernverläufe über die Zeit abzubilden, ist die Lernverlaufsdiagnostik. Diese beinhaltet wiederholte, kurze Tests desselben Inhalts, mit denen die individuellen Fortschritte von Schüler:innen gemessen und an Lehrkräfte (und ggf. Schüler:innen) zurückgemeldet werden können (Deno, 2003; Fuchs, 2004). Im Sinne einer formativen Beurteilung (Black & Wiliam, 2009) soll so eine effiziente, individuelle Förderung der Schüler:innen ermöglicht werden, da positive wie negative Leistungsentwicklungen zeitnah sichtbar werden und Lehrkräfte wie ggf. Schüler:innen sich daran orientieren können. Bisherige Ergebnisse deuten darauf hin, dass Lernverlaufsdiagnostik einen positiven Effekt auf die akademische Leistung von Schüler:innen haben kann, gleichermaßen zeigt sich eine hohe Heterogenität (Fuchs & Fuchs, 1986; Stecker et al., 2005). So scheint dieser Effekt durch verschiedene Variablen moderiert zu werden (z.B. Adaption des Unterrichts, Stecker et al., 2005; Unterstützung der Lehrkraft, Jung et al., 2018). Aus bisherigen Untersuchungen lassen sich drei Bereiche für mögliche Einflussfaktoren auf die Effektivität von Lernverlaufsdiagnostik ausmachen: Aspekte des Settings (z.B. Eigenschaften der Schüler:innen), die Implementation der Lernverlaufsdiagnostik (z.B. Häufigkeit der Testungen) und die Handhabung der Ergebnisse (z.B. Unterstützung der Lehrkräfte). Eine Systematisierung und metaanalytische Betrachtung bisheriger Ergebnisse entlang dieser Bereiche scheint sinnvoll und richtungsweisend für zukünftige Forschung und Praxis im Bereich der Lernverlaufsdiagnostik. In der präsentierten Metaanalyse werden daher folgende Fragestellungen untersucht: (i) Welchen Einfluss hat Lernverlaufsdiagnostik auf die Entwicklung schulischer Leistungen von Schüler:innen? (ii) Inwiefern variiert die Effektivität der Lernverlaufsdiagnostik basierend auf Aspekten des Settings, der Implementation und der Handhabung der Ergebnisse der Lernverlaufsdiagnostik? Zur Beantwortung der Fragestellungen wurde eine systematische Literatursuche durchgeführt. Eingeschlossen wurden Studien, die die Effektivität von Lernverlaufsdiagnostik in einem (quasi-)experimentellen Design untersuchten und in einer begutachteten englischsprachigen Zeitschrift veröffentlicht wurden. 24 geeignete Studien mit insgesamt 6728 untersuchten Schüler:innen, 85 Gruppenvergleichen sowie 30 unabhängigen Effekten wurden von zwei unabhängigen Kodierer:innen identifiziert (Cohen’s Kappa κ = .71). Diese Studien wurden anhand eines deduktiv-induktiv entwickelten Kodierschemas hinsichtlich möglicherweise relevanter Einflussfaktoren kodiert (Cohens Kappa κmean = .92 [.70; 1]). Bezüglich der ersten Forschungsfrage zeigt sich ein signifikanter, kleiner Haupteffekt von Lernverlaufsdiagnostik auf die schulischen Leistungen von Schüler:innen mit g = .32 (p < .001). Die Heterogenität zwischen den Studien ist moderat bis hoch (I² = 73.49; Q = 242.41, p < .001). Bezüglich der zweiten Forschungsfrage, zeigen Moderatorenanalysen insbesondere signifikante Unterschiede in der Effektivität durch die Implementation sowie durch die Handhabung der Ergebnisse. Bezogen auf die Implementation legen die Ergebnisse nahe, dass die Lernverlaufsdiagnostiktests mindestens wöchentlich durchgeführt werden sollten, um effektiv zu sein. Bezüglich der Handhabung der Ergebnisse zeigen die Analysen, dass der Effekt von Lernverlaufsdiagnostik auf die schulischen Leistungen größer ist, wenn (a) die Lehrkräfte während des Einsatzes der Lernverlaufsdiagnostik kontinuierlich beraten werden und (b) die Lehrkräfte datenbasierte Unterstützung bei der Adaption ihres Unterrichts erhalten. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass Lernverlaufsdiagnostik im Vergleich zu traditionellem Unterricht bessere Lernergebnisse von Schüler:innen erzielt. Demnach scheinen Lehrkräfte durch die Bereitstellung der Informationen zu den individuellen Lernverläufen der Schüler:innen in der Lage zu sein, Schüler:innen effektiver zu fördern. Ein entscheidender Aspekt bei der Umsetzung von Lernverlaufsdiagnostik besteht nicht nur darin, den Lehrkräften die Ergebnisse der Lernverlaufsdiagnostik zur Verfügung zu stellen, sondern sie dabei zu unterstützen, wie sie ihren Unterricht entsprechend der Ergebnisse anpassen können. Unsere Ergebnisse erweitern die bestehende Literatur, indem sie Bedingungen aufzeigen, unter denen Lernverlaufsdiagnostik besonders effektiv ist. Darüber hinaus werden Aspekte der Lernverlaufsdiagnostik und ihrer Implementation fokussiert, die bisher nur unzureichend untersucht wurden. Paper Session
Testing-Effekt 2.0? Steigerung der Lernleistung durch formative Onlinetests mit parametrisierten Fragen Pädagogische Hochschule Karlsruhe, Deutschland Theoretischer Hintergrund Das aktive Abrufen von Informationen während des Lernprozesses, zum Beispiel durch formative Tests, hat einen positiven Einfluss auf Behaltens- und Verstehensprozesse (Dunlosky et al., 2013) und wurde als Testing-Effekt bekannt (engl. testing effect, auch retrieval-based practice, test-enhanced learning). Ergebnisse verschiedener Meta-Analysen zeigen, dass aktives Abrufen anderen Lerntechniken deutlich überlegen ist und, dass diese Effekte über verschiedene Wissensdomänen und auf verschiedene Arten von Wissen verallgemeinert werden können (Adesope et al., 2017; Pan & Rickard, 2018; Rowland, 2014; Yang et al., 2021). Trotz dieser umfangreichen Evidenz werden entsprechende Lernstrategien sowohl von Lehrenden als auch von Lernenden nur sehr begrenzt genutzt (Dunlosky & Rawson, 2015). Neue Impulse für eine intensivere Nutzung werden durch die Verwendung digitaler Technologien und Tools geschaffen. Diese vereinfachen die Erstellung, Verwaltung und Auswertung entsprechender Lernangebote. Ferner gibt es Vorteile durch die Möglichkeit automatisierter Bewertungen und dem Erhalt von Echtzeit-Feedback für die Lernenden. Im Bildungsbereich werden bereits vermehrt Learning Management Systeme genutzt, um formative Onlinetests zu gestalten (Schwerter et al., 2022). Noch einen Schritt weiter geht die vorliegende Arbeit mit der Nutzung algorithmisch generierter Aufgaben, in Form von parametrisierten Fragen (Michael, 2021) und versucht so die Nutzung des Testing-Effekts weiter zu stärken. Fragestellung Die vorliegende Studie befasst sich mit dem Einsatz parametrisierter Fragen in formativen Onlinetests und deren Auswirkungen auf Intensität der Nutzung durch Studierende sowie auf deren Lernerfolg. Parametrisiert meint dabei, dass die verwendeten Multiple-Choice-Fragen spezifische Leerstellen aufweisen, die beim Aufrufen der Frage jeweils mit verschiedenen Werten des zugeordneten Parameters gefüllt werden. Parameter können dabei sowohl Werte, einzelne Worte als auch ganze Sätze sein. Die Grundstruktur der Frage und das zu lernende Konzept ändern sich dabei nicht. So kann z.B. wiederholt die Berechnung des Medians oder die Identifikation von abhängiger und unabhängiger Variable in einem Abstract geübt werden, jedoch wird bei jeder Wiederholung eine andere Datenreihe bzw. ein anderer Abstract angezeigt. Methode In einem experimentellen Setting wurden Studierenden eines Kurses zu quantitativen Forschungsmethoden wöchentliche Onlinetests, entsprechend der sechs behandelten Themenkomplexe, angeboten. Die Studierenden wurden randomisiert zwei Gruppen zugeteilt. Von Thema zu Thema wechselten die Gruppen zwischen Kontroll- und Experimentalbedingung, so dass sowohl Between-Person als auch Within-Person-Vergleiche möglich sind (Split-Plot-Design). In beiden Bedingungen konnten die Multiple-Choice-Fragen beliebig oft wiederholt werden und es wurde unmittelbares, korrektives Feedback zur Verfügung gestellt. Die Onlinetests in der Kontrollbedingung bestanden aus statischen Fragen, so dass bei jeder Wiederholung identische Fragen zur Bearbeitung angezeigt wurden. In der Experimentalbedingung hingegen wurden die parametrisierten Fragen eingesetzt und die Fragen veränderten sich mit jeder Wiederholung etwas. Ergebnisse An der Studie nahmen 318 Studierende im Wintersemester 22/23 teil. Zur Analyse der Ergebnisse wurde aus den Logdaten der Fragen die Übehäufigkeit ermittelt und als weitere abhängige Variable die Ergebnisse in der Abschlussklausur differenziert nach Themenkomplex herangezogen. Die Auswertung erfolgte mit Bayesianischen verallgemeinerten Mehrebenenmodellen in der probabilistischen Programmiersprache Stan, unter Verwendung des R-Pakets brms (Bürkner, 2018). Die beste Modellpassung für die Analyse der Übehäufigkeit gelang mit einer zero-inflated negative binomial Regression (Mahmood & Xie, 2019). Der Effekt auf die Leistung konnte über eine zero-one-inflated Betaregression modelliert werden (Heiss, 2021). Erwartungskonform gehen parametrisierte Fragen mit einer intensiveren Nutzung der Onlinetests einher. Im Durchschnitt werden 13,9 (95%-CI: 10,9-17,0) mehr parametrisierte Fragen als in der Kontrollbedingung bearbeitet. Abweichend von den zuvor getroffenen Annahmen führen parametrisierte Fragen bei den vorliegenden Daten nicht direkt zu einer Steigerung der Lernleistung. Die Ergebnisse werden im Hinblick auf einen möglichen Grenznutzen zusätzlicher Übungseinheiten und im Hinblick auf praktische Implikationen für Lehrkräfte diskutiert. |
15:20 - 17:00 | 6-16: Lesen und Schreiben Ort: S15 |
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Paper Session
Lesestrategien bei leseschwachen Schülerinnen und Schülern wirksam fördern - Einblicke in eine Fördermaßnahme an Haupt- und Werkrealschulen 1Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW); 2Eberhard Karls Universität Tübingen; 3Mercator Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache Die Vermittlung von Lesestrategien ist eine von mehreren wirksamen Möglichkeiten das Lesen zu fördern (Edmonds et al., 2009; Mayer & Marks, 2019; Willenberg, 2004). In den vergangenen Jahren wurden einige Interventionen zur Förderung der Lesestrategien umgesetzt (Okkinga et al., 2018; Pearson & Cervetti, 2017) und international vergleichende Studien zeigen, dass Lernende der Sekundarstufe in Deutschland über das höchste Lesestrategiewissen verfügen (Diedrich et al., 2018). Allerdings ist der Anteil leseschwacher Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe mit 20.7% weiterhin sehr hoch (Weis et al., 2018). Möglicherweise werden Lesestrategietrainings häufig als kurzfristige und isolierte Maßnahme angeboten und werden somit nicht nachhaltig in den Schulalltag integriert (Pearson & Cervetti, 2017). Darüber hinaus stellt die Umsetzung einer wissenschaftsbasierten Maßnahme in der Schulpraxis häufig eine Herausforderungen dar (Philipp & Souvignier, 2016). Verschiedene Rahmenbedingungen, beispielsweise Unterstützung durch die Schulleitung, können zu einer erfolgreichen Implementation beitragen (Schrader et al., 2020). Basierend auf dieser Ausgangslage ließ das Kultusministerium Baden-Württemberg vom Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache ein evidenzbasiertes Training zur Förderung der Basiskompetenzen im Lesen (Leseflüssigkeit, Lesestrategien) und Schreiben (Schreibflüssigkeit, Schreibstrategien) für Fünftklässlerinnen und Fünftklässler an Haupt- und Werkrealschulen in Baden-Württemberg entwickeln. Die Fördermaßnahme wurde im gesamten Schuljahr 2021/22 in 49 Schulen als Pilotprojekt („Die Textprofis“) erprobt. Langfristig soll das Training jedes Schuljahr in der 5. Klassenstufe an allen Haupt- und Werkrealschulen stattfinden. In diesem Beitrag wird der Fokus auf die Förderung der Lesestrategien gelegt. Diese sollte in einem Zeitrahmen von 8 Wochen an 2 bis 4 Tagen die Woche im Umfang von 20 bis 40-minütigen Einheiten umgesetzt werden. Fachberaterinnen und Fachberater führten flankierende Fortbildungen für die Lehrkräfte durch und begleiteten die Schulen in der Umsetzungsphase. Die Evaluation des Lesestrategietrainings wurde vom Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) mit Unterstützung des MI durchgeführt. Im Fokus des Beitrags steht zum einen die Frage, ob das Lesestrategie-Training wirksam war. Zum anderen wird der Frage nachgegangen, welche Rahmenbedingungen die wirksame Implementation des Trainings beeinflussen. Zur Beantwortung der Fragen wurden Daten von N = 1063 Schülerinnen und Schülern aus 69 Klassen der 5. Jahrgangsstufe herangezogen (44.98 % weiblich, 73.92% mit Migrationshintergrund), die an dem Prätest- oder Posttest zu den Lesestrategien teilgenommen haben. Die Stichprobe teilt sich wegen des quasi-experimentellen Designs in eine Interventionsgruppe mit 56 Klassen (n = 872) und eine Vergleichsgruppe mit 13 Klassen (n = 191) auf. Zur Erfassung der Lesestrategien wurde ein Test zur Erfassung des Anwendungswissen von Lesestrategien (Knips et al., 2021; angelehnt an Souvignier & Mokhlesgerami, 2006) vor Beginn und nach Abschluss der Förderung eingesetzt. Weiterhin wurden die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte in der Interventionsgruppe u.a. zur Dauer und Häufigkeit des Trainings befragt. Darüber hinaus wurden über die Lehrkräfte beispielsweise Kontextmerkmale zur Schule und dem Kollegium erfasst (z.B. Unterstützung durch die Schulleitung). Um die Wirksamkeit des Lesestrategie-Trainings zu untersuchen, wurden Mehrebenenregressionen mit den Posttestwerten (ICC1 = .23) als abhängige Variable berechnet. Auf Individualebene wurden die am Klassenmittelwert zentrierten Prätestwerte (ICC1 = .17) als Prädiktor aufgenommen, auf der Klassenebene die Gruppenzugehörigkeit sowie die aggregierten Klassenmittelwerte des Prätests. Die Ergebnisse zeigen, dass höhere Werte im Prätest sowie die Zugehörigkeit zur Interventionsgruppe zu besseren Leistungen im Posttest führen. Die Cross-Level-Interaktion fiel nicht signifikant aus. In weiteren Analyseschritten wird wegen der fehlenden Randomisierung eine CACE-Modellierung vorgenommen. Außerdem werden Aspekte der Implementation (z.B. Häufigkeit & Dauer des Trainings sowie Unterstützung durch die Schulleitung) und deren Zusammenlang mit der Leistung in weiteren Modellen untersucht. Die Ergebnisse dieser Analysen sollen in diesem Beitrag vorgestellt werden. Dadurch, dass die Studie nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch Rahmenbedingungen der Implementation untersucht, können die Ergebnisse Aufschluss dazu geben, welche Rahmenbedingungen zur erfolgreichen Umsetzung einer wissenschaftsbasierten Intervention in der Praxis beitragen (vgl. Schrader et al., 2020). Paper Session
Schlechte Rechtschreibung, aber gutes Selbstkonzept? Die Rolle der Konzeption ‚Lesen durch Schreiben‘ und ihrer unterrichtlichen Umsetzung für Rechtschreibleistung und Selbstkonzept im ersten und zweiten Schuljahr 1Universität Bamberg; 2Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit, Kassel; 3Universität Kassel ‚Lesen durch Schreiben‘ ist eine vielfach kritisierte Konzeption für den Schriftspracherwerb (z.B. Krauß, 2014), in der mit einer Anlauttabelle gearbeitet wird, ohne dass zunächst eine Korrektur orthografischer Fehler erfolgt (Reichen, 2003). In der bisher einzigen Metanalyse von Funke (2014) ergaben sich inkonsistente Befunde für die Rechtschreibung. Kuhl (2020) wies hingegen eine deutliche Überlegenheit eines fibelorientierten Ansatzes für die orthografischen Leistungen nach. Nur in wenigen Studien wurden allerdings individuelle Einflussfaktoren auf die Leistungen kontrolliert. Darüber hinaus wurde in bisherigen Studien die Mehrebenenstruktur der Daten nicht berücksichtigt. Zudem wurden Effekte auf affektiv-motivationale Variablen bisher kaum untersucht. Vereinzelte Ergebnisse hierzu deuten an, dass Grundschüler:innen unabhängig von der didaktischen Konzeption für den Schriftspracherwerb hochmotiviert sind (Kuhl, 2020), dass allerdings die Furcht vor Misserfolg in lehrgangsorientierten Konzeptionen eher zunimmt (Friedrich, 2010). Da Konzeptionen im Unterricht sehr unterschiedlich umgesetzt werden, ist bisher auch ungeklärt, welche konkreten Aspekte der Umsetzung einer Konzeption einen Einfluss auf die Entwicklung der Schüler:innen ausüben. Folgende Fragen stehen im Fokus des vorliegenden Beitrags: Welche Effekte hat die Rolle, die das Konzept 'Lesen durch Schreiben' im Unterricht spielt, auf die Rechtschreibleistungen sowie das Schreib-Selbstkonzept am Ende des ersten und zweiten Schuljahres, wenn man relevante Voraussetzungen der Lernenden kontrolliert? Inwiefern bleiben mögliche Effekte der Rolle von 'Lesen durch Schreiben' bestehen, wenn konkrete unterrichtliche Variablen – wie z.B. der Umgang mit Fehlern, die Differenzierung des Unterrichts oder der Grad der Selbstständigkeit, den die Lehrkraft den Schüler:innen gewährt – in die Analysen einbezogen werden? In der Längsschnittstudie PERLE (Lipowsky et al., 2013) wurden die Lehrpersonen der teilnehmenden 31 Klassen (N=507 Kinder) mittels Fragebogen zu Beginn des ersten Schuljahres u.a. gebeten, die Rolle, die 'Lesen durch Schreiben' in ihrem Unterricht spielt, auf einer vierstufigen Skala einzuschätzen sowie weitere Angaben zur Gestaltung ihres schriftsprachlichen Anfangsunterrichts zu machen. Die Rechtschreibleistungen wurden jeweils zum Ende des ersten und zweiten Schuljahres mit dem Test DERET (Stock & Schneider, 2008) erhoben, die Erfolgserwartung und das Selbstkonzept im Schreiben mit einer selbstentwickelten Skala (Greb et al., 2011). Die Vorläuferfertigkeiten wurden mit einer Adaption des LEst 4-7 (Moser, Berweger & Lüchinger-Hutter, 2004) erfasst. Die Mehrebenenanalysen zeigen unter Kontrolle von Geschlecht, schriftsprachlichen Vorläuferfertigkeiten und Erfolgserwartung zu Beginn des ersten Schuljahres signifikant negative Effekte der Rolle von 'Lesen durch Schreiben' auf die Rechtschreibleistung sowohl zum Ende des ersten (β=-.46*; p≤.05) als auch zweiten Schuljahres (β=-.46**; p≤.01). Auch Aspekte der konkreten Umsetzung der Konzeption haben Effekte: Die Rechtschreibleistungen entwickeln sich signifikant besser, wenn Fibeln eingesetzt werden und nicht mit Anlauttabellen gearbeitet wird, wenn Rechtschreibfehler nicht zugelassen werden und der Unterricht weniger stark durch Materialien und Aufgaben differenziert wird. Bis zum Ende des ersten Schuljahres hat die Konzeption noch keinen Effekt auf das Selbstkonzept im Schreiben (β=.18; p≤.643). Ende des zweiten Schuljahres ist aber ein signifikant positiver Effekt auch unter Kontrolle der Leistung sowie des Selbstkonzepts zum Ende des ersten Schuljahres nachweisbar (β=.48*; p≤.05). Zudem ergeben sich positive Effekte auf das Selbstkonzept, wenn die Kinder selbstständig auf selbst gesetzte Ziele hinarbeiten können und wenn eine Differenzierung nach Zeit sowie nach Aufgaben und Materialien realisiert wird. In keinem Zusammenhang zum Selbstkonzept steht hingegen die (Nicht-)Korrektur von Rechtschreibfehlern. Dass es positive Effekte auf das Selbstkonzept trotz negativer Effekte auf die Rechtschreibleistung gibt, scheint vorwiegend daran zu liegen, dass der schriftsprachliche Unterricht bei einer Orientierung an der Reichen-Konzeption offener und differenzierter gestaltet wird, sodass Leistungsvergleiche zwischen Kindern vermutlich weniger salient werden (vgl. Lipowsky et al., 2011). Die Nicht-Korrektur orthografischer Fehler scheint hingegen keine Effekte auf das Selbstkonzept auszuüben, allerdings negativ auf die Leistung zu wirken. Der Beitrag verdeutlicht, dass es für die Untersuchung von Effekten bestimmter Konzeptionen oder Unterrichtsmethoden bedeutsam ist, auch weitere Variablen zu deren konkreter unterrichtlicher Umsetzung zu berücksichtigen. Paper Session
Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten identifizieren und Partizipation frühzeitig stärken – Adaption und Normierung des diagnostischen Verfahrens Dysmate für den deutschsprachigen Raum 1Europa-Universität Flensburg, Deutschland; 2Universität Potsdam, Deutschland 1) Theoretischer Hintergrund Die Aneignung schriftsprachlicher Kompetenzen stellt für Schüler:innen eine bedeutende Erwerbsaufgabe dar und beschreibt eine der wichtigsten akademischen Fertigkeiten (Schründer-Lenzen, 2013). Sie sind lebenslang bedeutsam für gesellschaftliche Partizipation und Voraussetzung für die erfolgreiche Bewältigung des Alltags (Antoniou & Souvignier, 2007). Eine sichere Identifikation von Schüler:innen mit einem Risiko für Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten ist daher von entscheidender Bedeutung, um gezielt individuelle Unterstützungsmaßnahmen in die Wege zu leiten (Pfost et al., 2014). Je weiter Schüler:innen in ihrer schulischen Laufbahn voranschreiten, desto stärker werden Kompetenzen im Lesen und Schreiben vorausgesetzt. Insbesondere in der Sekundarstufe werden schriftsprachliche Fähigkeiten häufig nicht mehr systematisch diagnostisch erfasst. Diagnostische Entscheidungen divergieren zwischen Lehrkräften stark und sind häufig durch subjektive Kriterien geleitet (Hennes et al., 2023). Dem PISA 2018-Skalenbuch (2021) ist zu entnehmen, dass sich mehr als ein Drittel aller Lehrkräfte nicht sicher fühlt, „Probleme der Schülerinnen und Schüler beim Leseverständnis [zu] identifizieren“ (Mang et al., 2021, S. 212). Außerdem berichten McElvany et al. (2009) von einer geringen Diagnosekompetenz von Lehrkräften, die sich nicht zwingend durch zunehmende Berufserfahrung verbessert. Ziel des hier vorgestellten Projektes ist die Normierung des international eingesetzten, zweistufigen Testverfahrens Dysmate (Nergård-Nilssen & Friborg, 2021), bestehend aus Screening und Follow-Up, zur Erfassung lese- und schreibbezogener Kompetenzen in der Sekundarstufe I in Deutschland. Das digitale Testverfahren soll zukünftig die niedrigschwellige Identifizierung und daraus hervorgehend die gezielte und passgenaue Förderung von Jugendlichen mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten ermöglichen. Auf dem deutschsprachigen Markt existiert bisher kein äquivalentes Testverfahren, das schriftsprachliche Fähigkeiten für verschiedene Klassenstufen systematisch erfasst und ergänzend Maße der kognitiven Informationsverarbeitung in den Blick nimmt. Das vorgestellte Verfahren ist ein wichtiger Baustein in Richtung Handlungssicherheit und Professionalisierung von Lehrkräften, da es eine objektive Einschätzung der schriftsprachlichen Fähigkeiten ermöglicht und somit eine Grundlage für Unterstützungsmaßnahmen bietet (Möbus & Vierbuchen, 2019). Durch die digitale Durchführung und automatisierte Auswertung können Lehrkräfte schriftsprachliche Kompetenzen ihrer Schüler:innen in Gruppen erfassen und danach diejenigen Schüler:innen vertiefend dem ebenfalls digitalen Follow Up-Test in einer 1:1-Situation unterziehen, die das Screening als risikobehaftet identifiziert hat. Um Lehrkräfte optimal auf die Durchführung und Interpretation des Testverfahrens vorzubereiten, durchlaufen diese einen digitalen Zertifizierungskurs. 2) Fragestellung
3) Methode Die Validität der norwegischen Testversion ist empirisch belegt (Nergård-Nilssen & Friborg, 2021). Um die Validität der deutschen Version zu prüfen, wurden die adaptieren Items der Subskalen zunächst in einer Pilotierungsstudie getestet, um aktuell startend in einer groß angelegten Normierungs- und Validierungsstudie repräsentative Normwerte zu erheben. Um eine möglichst aussagekräftige Stichprobe zu generieren, werden die Erhebungen deutschlandweit in zehn Bundesländern in unterschiedlichen Schulformen in der Sekundarstufe I mit siebten bis zehnten Klassen durchgeführt. Die Auswertungen finden auf Grundlage der Item-Response-Theorie statt. Es wird eine Normierungsstichprobe und eine Validierungsstichprobe erhoben. Die Validierungsstichprobe besteht aus Schüler:innen mit bestätigten Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten. 4) Ergebnisse Erste Daten aus der Pilotierung (N= 189) sprechen für eine gute Umsetzbarkeit (bspw. Angemessenheit der Items je Altersstufe, verständliche Instruktionen, hohe Motivation der Schüler:innen) und eine erfolgreiche Adaption des Verfahrens (Cronbachs Alpha: gesamt = .89; 7. Klasse = .86; 8. Klasse = .92; 9. Klasse = .88; 10. Klasse .81). Die Trennschärfen der Items betragen für alle Klassen zwischen .63 und .83, die durchschnittliche Itemschwierigkeit verringert sich von der 7. bis zur 10. Klassenstufe (PKl.7 = .43; PKl.10 = .78). In der 8. Klassenstufe zeigt sich mit PKl.8 = .71 eine geringere Itemschwierigkeit als in der 9. mit PKl.9 = .57. Derzeit findet die Rekrutierung für die Normierungsstudie im Oktober 2023 statt. Im Vortrag sollen das Testverfahren, das Studiendesign sowie Daten der Pilotierungs- und Normierungsstudie vorgestellt werden. Paper Session
Schreiben oder Sprechen? Zur Rolle des Mediums für die Wirksamkeit von Lerntagebüchern 1Universität Freiburg, Deutschland; 2Pädagogische Hochschule Freiburg, Deutschland Theoretischer Hintergrund/Fragestellung Das Schreiben von Lerntagebüchern ist eine etablierte Methode selbstregulierten Lernens, bei der Lernende neue Lerninhalte reflektieren. Studien zeigen, dass Lerntagebücher die Lernprozesse der Lernenden und den Lernerfolg fördern (Nückles et al., 2020). Drei zentrale Wirkmechanismen erklären diese positiven Effekte: 1.) Förderung generativen Lernens: Lerntagebücher regen die Anwendung kognitiver (Organisation, Elaboration) und metakognitiver (Monitoring, Planung) Lernstrategien an (Nückles et al., 2009). 2.) Cognitive-Offloading: Lerntagebücher erfordern, Gedanken in ein Speichermedium zu externalisieren. Dadurch wird das Arbeitsgedächtnis entlastet (Nückles et al., 2020). 3.) Genre-Free-Prinzip: Lerntagebücher können sehr frei gestaltet werden und müssen keiner bestimmten rhetorischen Struktur folgen. Dadurch können Lernende ihre gesamte kognitive Kapazität in das Verstehen des Lernmaterials investieren. Darüber hinaus zeigt Forschung, dass die Wirksamkeit von Lerntagebüchern durch instruktionale Unterstützungsmaßnahmen erhöht werden kann (Nückles et al., 2020). Eine solche Maßnahme besteht zum Beispiel in der Bereitstellung von kognitiven und metakognitiven Prompts, die den Lernenden helfen, die entsprechenden Lernstrategien effektiv anzuwenden. Bisher wurden Lerntagebücher ausschließlich in schriftlicher Form erforscht. Aktuelle Befunde aus dem verwandten Forschungsfeld Lernen durch Erklären weisen jedoch darauf hin, dass auch in der mündlichen Form gewinnbringende Lernprozesse und Lernergebnisse möglich sind (Lachner et al., 2022). In der vorliegenden Studie soll daher die Fragestellung untersucht werden, inwieweit sich die unterschiedlichen medialen Realisierungsformen des Lerntagebuchs in Schrift versus Audio (zusätzlich zur Wirkung von Prompts) auf die Lernprozesse und die Lernergebnisse auswirken. Wir nehmen an, dass das Sprechen zu einer stärkeren Nutzung kognitiver und metakognitiver Lernstrategien und darüber vermittelt zu besseren Lernergebnissen führt als das Schreiben, da das Sprechen aufgrund geringerer Produktions- und Formulierungskosten kognitiv weniger belastend ist (Clark & Brennan, 1991). Nach unserer Annahme werden die lernförderlichen Wirkmechanismen des Lerntagebuchs (Generatives Lernen, Cognitive-Offloading, Genre-Free-Prinzip) im mündlichen Medium im Vergleich zum schriftlichen Medium also noch verstärkt. Methode Zur Untersuchung der Forschungsfrage wurde ein Feldexperiment mit Gymnasiast*innen durchgeführt. N = 163 Teilnehmer*innen (Durchschnittsalter = 17,02 Jahre, SD = 0,63) wurden in einem 2x2-faktoriellen Between-Subjects-Design (plus eine Kontroll-Gruppe) randomisiert einer von fünf Bedingungen zugewiesen. Diese Bedingungen umfassten (1) eine schriftliche Gruppe mit Prompts (n = 35), (2) eine schriftliche Gruppe ohne Prompts (n = 34), (3) eine mündliche Gruppe mit Prompts (n = 32), (4) eine mündliche Gruppe ohne Prompts (n = 30) und (5) eine Re-Study-Gruppe (n = 32). Nach einem Vorwissenstest sahen alle Schüler*innen eine Videovorlesung zur Cognitive Load Theory (30 Minuten). Danach erstellten die Teilnehmer*innen ein erstes Lerntagebuch (Mündlich/Schriftlich; Mit Prompts/Ohne Prompts) (30 Minuten). Anschließend überarbeiteten die Schüler*innen ihre Lerntagebücher mithilfe des Transkripts der Videovorlesung (30 Minuten). Die Re-Study-Gruppe las den transkribierten Text 60 Minuten lang. Schließlich absolvierten alle Teilnehmer*innen einen Tag später einen Post-Test und eine Woche später einen identischen Follow-up-Test mit acht offenen Fragen. Die kognitiven und metakognitiven Lernprozesse wurden anhand eines holistischen Ratingschemas (Nückles et al., 2009) auf fünfstufigen Skalen eingeschätzt. Ergebnisse Hinsichtlich des Lernerfolgs zeigte eine zweifaktorielle ANCOVA (Mathe- und Deutschnoten als Kovariaten), dass die mündliche Bedingung sowohl im Posttest (F(1, 125) = 7.31, p = 0.008, ηp2 = .06) als auch im verzögerten Test (F(1, 108) = 5.71, p = 0.019, ηp2 = .05) der schriftlichen Bedingung überlegen war. Entgegen der theoretischen Annahmen konnte jedoch kein Prompts-Effekt beobachtet werden. Hinsichtlich der Lernprozesse wurden ANCOVAs durchgeführt, um den Einfluss des Mediums auf die kognitiven und metakognitiven Lernprozesse zu prüfen. Die Tests zeigten für alle Lernprozesse signifikante Unterschiede zugunsten der mündlichen gegenüber der schriftlichen Bedingung (alle p < 0,001, ηp2 = .23 - .33). Hinsichtlich des Faktors Prompts konnten mit Ausnahme der Prozessvariable Metakognition wiederum keine Gruppenunterschiede festgestellt werden. Anschließende Mediationsanalysen ergaben, dass fast alle Lernprozessvariablen den Effekt des Mediums auf die Lernergebnisse signifikant mediierten. Theoretische wie praktische Implikationen der Befunde werden bei der Tagung diskutiert. |
15:20 - 17:00 | 6-17: Lehren und Lernen in der Hochschule Ort: S16 |
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Paper Session
Prokrastination im Studium: Validierung und Normierung der „Behavioral and Emotional Procrastination Scale“ 1Universität Münster, Deutschland; 2Universität Augsburg, Deutschland Unter Studierenden ist akademische Prokrastination weit verbreitet und zieht diverse negative Konsequenzen wie Leistungseinbußen nach sich (Klingsieck, 2013; Steel, 2007). Prokrastination ist durch drei zentrale Merkmale charakterisiert. Erstens muss der Aufschub von Aufgaben freiwillig sein und darf nicht durch externe Faktoren verursacht werden (Steel, 2007). Zweitens entsteht eine Diskrepanz zwischen geplanter Absicht und tatsächlicher Handlung, ein sogenanntes „Intention-Action-Gap“ (Lay & Schouwenburg, 1993; Steel, 2007). Drittens ist mit Prokrastination die Erwartung negativer Konsequenzen in Form eines subjektiven Unbehagens, beispielsweise durch Schuldgefühle verbunden (Ferrari, 1998; Sirois & Pychyl, 2013). Diese Aspekte unterscheiden Prokrastination von strategischem Aufschieben, das normalerweise nicht von negativen Gefühlen begleitet wird (Chowdhury & Pychyl, 2018; Klingsieck, 2013; Wieland et al., 2018). Bisherige Skalen zur Erfassung von Prokrastination, wie die bekannte Tuckman Procrastination Scale (Tuckman, 1991), konzentrieren sich ausschließlich auf Verhaltensaspekte in Form des Aufschubs. Sie vernachlässigen die emotionale Komponente des subjektiven Unbehagens, die in neueren Veröffentlichungen als entscheidendes Element von Prokrastination betrachtet wird (Klingsieck, 2013; Krause & Freund, 2014; Wieland et al., 2018). Bobe et al. (2022) adressierten diese Lücke bereits durch die Behavioral and Emotional Procrastination Scale (BEPS), die aus zwei Subskalen besteht. In Anlehnung an existierende Messinstrumente erfasst die erste Subskala „Aufschub“ verhaltensbezogene Aspekte der Prokrastination, wie z.B. freiwilliges Aufschieben wichtiger Tätigkeiten. Die Items der zweiten Subskala „Subjektives Unbehagen“ erheben Sorgen, Schuldgefühle sowie negative Stimmung angesichts des Aufschubes. Die BEPS erfasst Prokrastination somit inhaltsvalide und wurde bereits anhand einer nicht-repräsentativen Stichprobe auf faktorielle Validität, Messinvarianz und interne Konsistenz geprüft (Bobe et al., 2022). Die vorliegende Studie überprüft anhand einer repräsentativen Studierendenstichprobe diese Kriterien erneut, ergänzt Nachweise konvergenter und diskriminanter Validität und liefert standardisierte Normwerte. Wir nutzen eine Quotenstichprobe von N = 980 Studierenden, die entsprechend der Verteilung in der Grundgesamtheit (Statistisches Bundesamt, 2021) rekrutiert wurde. Dazu haben wir, basierend auf den Merkmalen Geschlecht, Fachsemester, Studienrichtung und Hochschultyp repräsentative Cluster gebildet und somit die relative Häufigkeit bestimmter Merkmalskombinationen innerhalb der Grundgesamtheit in der Stichprobe abbilden können. Einige Cluster wurden nicht vollständig gefüllt, was in den Analysen durch entsprechende Gewichtungsfaktoren ausgeglichen wurde. Für die faktorielle Validität der Skala lieferten sowohl das von Bobe et al. (2022) vorgeschlagene Modell mit korrelierten latenten Faktoren (c²(8) = 12.38; p =.135; RMSEA = .025; CFI = .999; SRMR = .015) als auch ein alternatives Modell mit zusätzlichem G-Faktor (c²(3) = 4.90; p =.179; RMSEA = .027; CFI = .999; SRMR = .006) gute Fit-Indizes (Hu & Bentler, 1999). Anhand des erstgenannten etablierten Modells, wurde metrische Invarianz zwischen den Geschlechtern (weiblich vs. männlich) bestätigt. Zusätzlich zu den Erkenntnissen von Bobe et al. (2022) wurde metrische Invarianz zwischen den Fachrichtungen (Gesellschaftswissenschaften vs. MINT vs. Sonstige) und skalare Invarianz zwischen den Hochschultypen (Universität vs. Fachhochschule) ermittelt. Bei der Überprüfung konvergenter und diskriminanter Validität korrelierte die Tuckman Procrastination Scale hoch mit der BEPS-Subskala „Aufschub“ (r = .81), während der entsprechende Zusammenhang mit der BEPS-Subskala „Subjektives Unbehagen“ etwas weniger stark ausgeprägt war (r = .29). Beide Subskalen waren zudem leicht positiv mit anderen studienhinderlichen Variablen (z.B. Studienabbruchsintention) bzw. negativ mit studienförderlichen Variablen (z.B. Leistung) korreliert. Die internen Konsistenzen der Subskalen lagen konsistent im sehr guten Bereich (α = .90 bis .92, ω = .89 bis 92; Dunn & Baguley, 2014). Da die gezogene Stichprobe repräsentativ für die Grundgesamtheit ist, eignet sie sich zur Bestimmung von Normwerten. Diese wurden durch eine T-Transformation gewonnen, die aus den Ursprungswerten eine standardisierte Verteilung erzeugt. Dadurch können Einzelwerte der BEPS im Verhältnis zur Grundgesamtheit interpretiert werden. Zusammengefasst sprechen die Ergebnisse für eine hohe Reliabilität und Validität der BEPS, was eine differenzierte Erfassung der Facetten von Prokrastination in weiteren Forschungsvorhaben ermöglicht. Die Normierung der Skala erleichtert zudem die Anwendung in der hochschulpraktischen Diagnostik. Paper Session
Flipped Classroom: Einfluss von Feedback, Sozialform und Kursmodalität auf die Wissensaneignung Universität Passau, Deutschland Der Flipped Classroom ist eine zunehmend in der Hochschullehre eingesetzte Lehrmethode (Bredow et al., 2021). Er dreht die klassische Unterrichtsstruktur um: Studierende eignen sich über bereitgestellte Lernmaterialien eigenständig deklaratives Wissen an, das sie in einer folgenden, synchronen Lernphase gemeinschaftlich ausbauen und anwenden können. Hierdurch soll im Vergleich zu klassischen Lehrformen tieferes Inhaltsverständnis und anwendungsorientiertes Wissen (Sailer & Sailer, 2020) gefördert werden. Zunehmend werden Faktoren untersucht, die potentiell auf das Lernen in Flipped Classrooms einwirken, beispielsweise auf die Mitarbeit von Studierenden (Lai et al., 2021). Etwa können Faktoren wie Feedback (= formative Diagnostik von Leistung; Shute & Rahimi, 2017) sowie Sozialform (= soziale Interaktion zwischen Lernenden, in Flipped Classrooms oft als kooperatives Lernen; Erbil, 2020) tiefere Lernprozesse fördern. Sie könnten bei der Beantwortung der Frage helfen, wie Flipped Classrooms didaktisch gestaltet werden können, um Lernende bestmöglich in ihrer Wissensaneignung zu fördern. Studie 1 fokussierte die Art des Feedbacks und der Sozialform in einem quasiexperimentellen 2x2-Design mit N = 105 studentischen Proband*innen. In einem Online Flipped Classroom wurden diese Variablen über fünf inhaltliche Sitzungen untersucht. Die Art des Feedbacks (knowledge of correct result vs. elaboriert) wurde während eines Quiz zu deklarativem Wissen, die Sozialform (individuelles Lernen vs. kooperatives Lernen) während einer anwendungsorientierten Übung variiert. Wir vermuteten für Studie 1 einen Einfluss der reinen Onlinelehre auf den kooperativen Lernprozess unter Studierenden. In Studie 2 wurde folglich der Fokus auf die Kursmodalität der synchronen Lernphasen gelegt (Präsenz, N = 65 vs. Online, N = 48). Fraglich war, ob diese auch einen Einfluss auf die Wissensaneignung ausüben könnte, indem etwa das psychologische Grundbedürfnis der sozialen Eingebundenheit (Ryan & Deci, 2000) in Präsenzunterrichtseinheiten besser gefördert werden könnte. Damit sollten zusammenfassend die folgenden Forschungsfragen beantwortet werden: FF1.1: Inwieweit beeinflussen die Art des Feedbacks und die Sozialform sowie deren Interaktion die Aneignung von deklarativem und anwendungsorientiertem Wissen? FF1.2: Inwieweit werden die Effekte der Art des Feedbacks sowie der Sozialform auf anwendungsorientiertes Wissen durch deklaratives Wissen mediiert? FF2: Inwieweit zeigen sich Unterschiede zwischen Lernenden in einem Präsenz- bzw. Online-Flipped Classroom in Bezug auf die Aneignung anwendungsorientierten Wissens? Für die Beantwortung von FF1.1 wurde eine Varianzanalyse (ANOVA) vorgenommen, um zu untersuchen, ob es Unterschiede in der Wissensaneignung abhängig von der Art des Feedbacks und der Sozialform gab. Es traten signifikante Unterschiede im Bezug auf die Art des Feedbacks auf. Gruppen mit elaboriertem Feedback zeigten signifikant höhere Werte für die Aneignung deklarativen (η2 = .086, F1,1 = 4.72, p = .0035) sowie anwendungsbezogenen Wissens (η2 = .103, F1,1 = 5.92, p = .0019). Eine Mediationsanalyse ergab für FF1.2 eine partielle Vermittlung des Effekts von Feedback auf anwendungsorientiertes Wissen durch deklaratives Wissen. Der direkte Effekt der Art des Feedbacks auf anwendungsorientiertes Wissen belief sich auf β = .406, CI 95% [0.29; 1.27] und der indirekte auf β = .180, CI 95% [0.02; 0.67]. Es konnten keine signifikanten Unterschiede im Bezug auf die Sozialform ausgemacht werden. In Studie 2 lassen sich auf Grundlage vorläufiger Ergebnisse keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Kursmodalität für den Wissenserwerb feststellen, die über alle inhaltlichen Sitzungen existieren. Beide Gruppen unterschieden sich nicht signifikant im Bezug auf Selbstwirksamkeit, soziale Eingebundenheit, Studierendenbewertungen der Veranstaltung sowie in den Tests zu deklarativem und anwendungsorientiertem Wissen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass beide Studien einen Beitrag zur Evidenzlage von Flipped Classrooms leisten. Vorausgehende Befunde zur Effektivität unmittelbaren, aufgabenbezogenen Feedbacks (Hattie & Timperley, 2007; Krause et al., 2009) wurden für diese Instruktionsform in Studie 1 repliziert. So wird die Rolle der Lehrkraft als unterstützende*r Vermittler*in für den Erwerb und das Anwenden von Wissen bekräftigt. Ferner zeigte Studie 2, dass Flipped Classroom-Arrangemements sich ähnlich effektiv zeigen, unabhängig, ob sie online oder in Präsenz durchgeführt werden. Paper Session
Stereotypenbedrohung, Zugehörigkeitsgefühl und soziale Integration von Studierenden in Computer-Supported Collaborative Learning FernUniversität in Hagen, Deutschland Theoretischer Hintergrund. Online-Studiengänge werden immer populärer und Studierende in Distance Education sind soziodemografisch diverser als an Präsenzuniversitäten. Höhere Flexibilität in Distance Education ermöglicht besonders nicht-traditionellen Studierenden (historisch an Universitäten unterrepräsentierten Gruppen) ein Studium. Studierendendiversität kann aufgrund heterogener Hintergründe und Perspektiven eine Bereicherung in kollaborativen Lernsituationen darstellen (van Knippenberg & Schippers, 2007). Eine geringe Partizipation von Studierenden an der Kollaboration stellt jedoch besonders in Distance Education eine Herausforderung dar. Computer-Supported Collaborative Learning (CSCL) besteht häufig aus asynchroner, Computer-mediierter Kommunikation, beispielsweise beim kollaborativen Schreiben. In diesen Kontexten sind individuierende Informationen über Lerngruppenmitglieder rar und soziodemografische Gruppenzugehörigkeiten salient (z.B. Geschlecht, Ethnizität, Alter; Flanagin et al., 2002; Spears et al., 2002). Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit der Aktivierung von gruppenbezogenen Stereotypen. Nicht-traditionelle Studierendengruppen (z.B. Studierende mit chronische Erkrankung, Behinderung, Migrationshintergrund und nicht-deutscher Muttersprache) sind in Distance Education mit negativen kompetenzbezogenen Stereotypen assoziiert (Bick et al., 2022). Negative Stereotype können die soziale Identität der betroffenen Gruppenmitglieder bedrohen, was ihre Leistung und ihre Motivation soziale Beziehungen zu Peers aufzubauen reduziert (Froehlich, Brokjøb, et al., 2023; Steele & Aronson, 1995). Ein zentraler Mediator hierfür ist ein reduziertes Zugehörigkeitsgefühl zum akademischen Bereich (Walton & Cohen, 2007). Fragestellung. Basierend auf Befunden aus face-to-face Lernkontexten untersuchen wird die Rolle von Stereotypenbedrohung für das Zugehörigkeitsgefühl und die soziale Eingebundenheit von Studierenden in CSCL (kollaboratives Schreiben zur Zusammenfassung eines Fachartikels). Das vorliegende Projekt sollte a) bisherige querschnittliche Befunde aus face-to-face Lernkontexten in Distance Education replizieren, b) die Zusammenhänge in einem längsschnittlichen Design untersuchen und c) zusätzlich zu Selbstberichts-Daten auch digitale Verhaltensdaten als Outcomes betrachten. Die folgenden präregistrierten Hypothesen wurden untersucht: Zunächst wurde deskriptiv das Ausmaß wahrgenommener Stereotypenbedrohung bei verschiedenen Studierendengruppen untersucht (Forschungsfrage 1). Dann sollten querschnittlich ein einfaches Mediationsmodell (Stereotypenbedrohung sagt verringerte soziale Annäherungsmotivation vermittelt durch niedrigeres Zugehörigkeitsgefühl vorher; Hypothese 1) und ein serielles Mediationsmodell (Stereotypenbedrohung sagt verringerte Verhaltensintentionen zu Peer-Kontakt vorher, vermittelt durch niedrigeres Zugehörigkeitsgefühl und niedrigere Annäherungsmotivation; Hypothese 2) auf Basis bisheriger Forschung (Froehlich, Bick, et al., 2023; Froehlich, Brokjøb, et al., 2023) repliziert werden. Zuletzt wurde eine längsschnittliche Mediation angenommen: Stereotypenbedrohung (T1) sagt niedrigere Annäherungsmotivation und niedrigere Eingebundenheit in die virtuelle Lerngruppe (T3) vorher, vermittelt durch ein niedrigeres Zugehörigkeitsgefühl (T2). Methoden. In einer Stichprobe von N = 1210 Erstsemester-Studierenden in Distance Education wurden längsschnittliche Befragungsdaten (3 Messzeitpunkte) und Learning Analytics-Daten verknüpft. Studierende wurden in CSCL-Gruppen von 8 Personen eingeteilt. Nach einem demografischen Fragebogen (T0) folgte eine Kennenlernphase, eine Eingangsbefragung (T1), eine erste Gruppenarbeitsphase, eine Zwischenbefragung (T2), eine zweite Gruppenarbeitsphase und eine Endbefragung (T3). Die CSCL-Aufgabe fand in individuellen Etherpad Lite-Instanzen innerhalb einer gemeinsamen Moodle-Lernumgebung statt. Mittels Learning Analytics wurde aus Moodle-Forumsdaten und Etherpad-Schreibdaten mit sozialer Netzwerkanalyse die Eingebundenheit individueller Studierender in die virtuelle Lerngruppe (Outdegree) berechnet. Ergebnisse. Nicht-traditionelle Studierendengruppen (Studierende mit chronischer Erkrankung, Behinderung und nicht-deutscher Muttersprache) nahmen stärkere Stereotypenbedrohung als traditionelle Studierendengruppen wahr (Forschungsfrage 1). Im Einklang mit Hypothese 1 zeigte ein querschnittliches Pfadmodell die Mediation des Zusammenhangs von Stereotypenbedrohung und sozialer Annäherungsmotivation durch reduziertes Zugehörigkeitsgefühl. Im Einklang mit Hypothese 2 zeigte sich ebenfalls eine querschnittliche serielle Mediation mit Verhaltensintentionen zu Peer-Kontakt als weiterem Outcome. Hypothesen 3 und 4 wurden in längsschnittlichen Analysen (Random-Intercept Cross-Lagged Panel Models) nicht gestützt: Es zeigte sich intraindividuell im Zeitverlauf eine negative Assoziation von Stereotypenbedrohung (T2) und Zugehörigkeitsgefühl (T3), jedoch keine längsschnittlichen Assoziationen mit Annäherungsmotivation und Eingebundenheit in die CSCL-Gruppe (T3). Korrelationen der Random Intercepts und explorative Analysen mit der Gesamt-Schreibaktivität im Etherpad weisen auf zeitstabile interindividuelle Effekte hin. Zusammenfassend besteht für nicht-traditionelle Studierende ein erhöhtes Risiko zur Stereotypenbedrohung, die teilweise mit negativen Konsequenzen für die soziale Eingebundenheit assoziiert ist. Das Ausbleiben der intraindividuellen längsschnittlichen Effekte könnte durch die Variabilität der CSCL-Aufgabe im Zeitverlauf und durch Off-System Behavior (Kollaboration außerhalb der Moodle-Lernumgebung) erklärt werden. Paper Session
Opportunities and Challenges of Flipped Classrooms: Educator Discussions on German Social Media Universität Tübingen, Deutschland
Digital learning is increasingly important for education in a post-pandemic world. In particular, teachers perceive the flipped classroom concept as a promising tool in the digital transformation of education (Akcayir & Akcayir, 2018). Flipped classroom, also known as “inverted classroom” (Finkenberg, 2018), is a learning method for students in which instruction that traditionally takes place inside the classroom now take place outside the classroom, and vice versa (Bishop & Verleger, 2013). Notably, prior research identified positive effects of flipped classroom use on students’ learning outcomes, cognitive and emotional engagement, and self-regulation (e.g., Lo et al., 2017; Jdaitawi, 2019). While flipped classroom models are predominantly used in higher education, in recent years, they have also been increasingly used in schools. To receive an unbiased perspective on this topic for German educators, we examine how educators discuss the flipped classroom concept in the German “Twitterlehrerzimmer” (TWLZ; Fütterer et al., 2021) on X (formerly known as Twitter). This study uses data from a large project that mapped the entire German educational Twittersphere <blinded for peer-review> and included all tweets with keywords related to flipped classrooms yielding a final sample of N = 39,776 tweets between November 2017 and December 2021. Qualitative coding with deductively and inductively formed categories (Kuckartz, 2016) examined how teachers talked about flipped classroom instruction (7 categories) and teachers’ perceived opportunities and challenges of flipping classroom implementations (12 categories); Cohen’s kappa = 0.86 across all categories. Descriptive analysis and time series analysis examined trends in discussions about the flipped classroom concept (Cryer & Chan 2008). Sentiment analysis and qualitative analysis examined teachers’ attitudes toward flipped classrooms (Pozzi et al., 2016). Descriptive analysis indicates increased tweets and users about flipped classrooms over time. Notably, tweets about the filled classroom account for a mean of 2.8% of all tweets per month in the TWLZ community. Compared to the general increase of tweets in the TWLZ, the percentage of tweets related to flipped classroom generally decreased in the TWLZ, which is even more pronounced during the COVID-19 pandemic. Examining tweet content, most tweets relate to an “exchange of material” (56.1%), followed by an “exchange of experiences and opinions” (29.9%), “marketing” (14.7%), and “asking for help” (10.4%). Regarding opportunities, 44.2% of tweets included more general mentions of opportunities, followed by “needs-based teaching” (31.9%) and perceived “greater learning growth” (16.3%). Challenges included “lack of technological opportunities” (39.4%), followed by “general challenges” (24.8%) and “individual difficulties” (15.3%). Overall, more tweets had a positive sentiment compared to tweets with negative sentiment across all years. This study contributes to research on flipped classroom examining educators’ perspectives on social media. It demonstrates that teachers value and discuss the potential of this teaching strategy, often identifying opportunities for their classroom implementations also sharing relevant information and materials with colleagues. Interestingly, the perceived lack of access to technology was highlighted as the most present challenge, which provides actionable implications for education ministries throughout each German state to provide teachers and students with sufficient infrastructure – also in a post-pandemic world. |
15:20 - 17:00 | 6-18: Klassenführung Ort: S22 |
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Paper Session
Die mediierende Rolle von sozialen Beziehungen zwischen der wahrgenommenen Klassenführung und der Einstellung von Schüler:innen gegenüber der Schule 1Johannes Kepler Universität Linz, Österreich; 2Universität Vechta, Deutschland; 3Pädagogische Hochschule Oberösterreich, Österreich Theoretischer Hintergrund Der positiven Einstellung der Schüler:innen gegenüber der Schule kommt eine zentrale Rolle für eine gelingende Anpassung an die schulischen Anforderungen zu (Longobardi et al., 2021; Thornberg et al., 2022). Sie ist außerdem eine wesentliche Komponente des schulischen Wohlbefindens (Schürer et al., 2021) und nimmt über die Schullaufbahn hinweg besonders stark ab (Kleinkorres et al., 2023; Obermeier & Gläser-Zikuda, 2022). Für die Entstehung und Aufrechterhaltung des schulischen Wohlbefindens und damit auch der positiven Einstellung gegenüber der Schule ist die Erfüllung der menschlichen Grundbedürfnisse nach sozialer Eingebundenheit, Kompetenz- und Autonomieerleben zentral (Deci & Ryan, 2012). Dies untermauern bisherige Studien, welche zeigen, dass sozial besser eingebundene Schüler:innen mehr Wohlbefinden erleben und die Schule eher positiv wahrnehmen (Borgonovi & Pál, 2016; García-Rodríguez et al., 2023; Li, 2021). Qualitativ hochwertiger Unterricht kann ebenfalls zur Befriedigung der drei Grundbedürfnisse beitragen. Dabei lässt sich vor allem die Klassenführung hervorheben, da diese unter anderem die effektive Lernzeitnutzung und das soziale Miteinander fördert (Longobardi et al., 2021). Eine effektive Klassenführung wirkt direkt auf das schulische Wohlbefinden und dessen Dimensionen (Obermeier et al., 2022; Raufelder & Kulakow, 2021). Dies trifft ebenfalls auf die Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehung - auf Individual- und Klassenebene (Schürer et al., 2021) - sowie Peer-Beziehungen (Borgonovi & Pál, 2016) zu. Ferner ist belegt, dass effektive Klassenführung das Sozialverhalten der Schüler:innen fördern kann (Longobardi et al., 2021). Dies impliziert eine Mediation des Zusammenhangs zwischen Klassenführung und Einstellung zur Schule über die wahrgenommenen sozialen Beziehungen, die in bisherigen Studien bislang nicht untersucht wurde. Fragestellung Im Rahmen der durchgeführten Studie wird daher die folgende Fragestellung adressiert: Mediiert die Qualität der Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehung und der Peer-Beziehungen (gemessen auf Individual- und Schulebene) den Zusammenhang zwischen schüler:innenperzipierter Klassenführung (auf Individual- und Schulebene) und positiver Einstellung der Schüler:innen zur Schule? Methode Für die Klärung der Fragestellung wurden im März-April 2022 N = 453 Neuntklässler:innen (Durchschnittsalter: M = 14.98, SD = 0.67, 36.1 % weiblich, 32.1 % mit Migrationshintergrund) in neun einjährigen Polytechnischen Schulen (PTS) in Oberösterreich online u.a. zu Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehung (Bos et al., 2012), Peer-Beziehungen (Saldern & Littig, 1996), Einstellung zur Schule (Hascher, 2004) sowie ihrer Wahrnehmung der Klassenführung (Lenkse et al., 2013) (.71 ≥ α ≤ .85) befragt. Geschlecht, Migrationshintergrund und besuchter Fachbereich wurden kontrolliert. Nach der Gewichtung der Daten anhand von Angaben zu Geschlechterverteilung und Migrationsanteil an PTS in Oberösterreich von Statistik Austria wurde ein Mediationsmodell (RStudio, lavaan) gerechnet, dass sowohl direkte Zusammenhänge zwischen Klassenführung und Einstellung als auch indirekt über die sozialen Beziehungen mediierte Zusammenhänge dieser Variablen berücksichtigt. Aufgrund der genesteten Datenstruktur und hoher ICC1- und ICC2-Werte bei den Schüler:innenangaben zur Klassenführung (ICC1 = .14; ICC2 = .88) und zur Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehung (ICC1 = .05; ICC2 = .68) wurden sowohl die Individual- als auch die Schulebene im Modell berücksichtigt. Ergebnisse Das Modell, das einen sehr guten Fit aufweist (χ2(19) = 62.45, p < .001; CFI = .97, TLI = .95, RMSEA = .07), deckt auf Individualebene folgende Zusammenhänge auf: Die Klassenführung hängt positiv mit der positiven Einstellung der Schüler:innen zur Schule zusammen (β = .29, p < .001). Es zeigen sich auch positive Zusammenhänge positiver Sozialbeziehungen mit der positiven Einstellung der Schüler:innen zur der Schule (Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehung: β = .25, p < .001; Peer-Beziehung: β = .18, p < .001). Der Zusammenhang zwischen Klassenführung und positiver Einstellung wird über individuelle Einschätzung der Lehrer:innen-Schüler:innen-Beziehung (β = .07, p < .001) und der Peer-Beziehungen (β = .05, p < .001) mediiert. Der totale Effekt liegt bei (β = .45, p < .001). Auf Schulebene bestehen keine signifikanten Zusammenhänge. Damit zeigen die Analysen, dass nicht nur effektive Klassenführung allein dazu beiträgt, dass Schüler:innen eine positive Einstellung zur Schule haben, sondern dass positive soziale Beziehungen dies unterstützen können. Paper Session
Wie fachspezifisch ist die professionelle Unterrichtswahrnehmung von Classroom Management bei Expertenlehrkräften aus den Fächern Biologie und Mathematik? 1IPN - Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Berlin; 2Pädagogische Hochschule Heidelberg Theoretischer Hintergrund und Fragestellung Professionelle Unterrichtswahrnehmung beschreibt, wie Lehrkräfte Ereignisse im Unterricht wahrnehmen, wissensbasiert interpretieren und Entscheidungen für folgende Handlungen ableiten (Blömeke et al., 2015; Jacobs et al, 2010; Seidel & Stürmer, 2014). Sie gilt als bedeutsamer Aspekt von Lehrkräfteexpertise, der sich auf die fachlichen Leistungen von Schüler:innen auswirkt (Blömeke et al., 2022). Auch hinsichtlich des Klassenmanagements als zentraler Unterrichtsqualitätsdimension zeigen sich wesentliche Expertiseunterschiede bei der professionellen Wahrnehmung: Wenn Expert:innen Unterrichtsereignisse zum Klassenmanagement analysieren, fokussieren sie im Vergleich zu Noviz:innen mehr auf die Bedeutung der Ereignisse für das Lernen der Schüler:innen, berücksichtigen stärker relevante Kontexte, wie z.B. die Unterrichtsphase oder Sozialform und machen mehr Vorschläge für alternative Handlungsstrategien (Stahnke & Blömeke, 2021; Wolff et al., 2017). Während Expertise hinsichtlich der professionellen Wahrnehmung von Klassenmanagement bisher als eher fachunabhängig aufgefasst und untersucht wurde, legt die Unterrichtsqualitätsforschung zunehmend die Relevanz fachspezifischer Unterrichtsaktivitäten und Anforderungen auch für das Klassenmanagement nahe (Praetorius et al., 2020). Hieran anknüpfend untersucht dieser Beitrag explorativ, wie fachspezifisch die professionelle Unterrichtswahrnehmung von Klassenmanagement bei Expertenlehrkräften aus den Fächern Biologie und Mathematik ist. Methode Zur Untersuchung dieser Forschungsfrage wurden neun Biologielehrkräfte und elf Mathematiklehrkräfte untersucht. Alle Lehrkräfte hatten mindestens 5 Jahre Berufserfahrung (Mbio=16.33, SD=11.16; Mmath=19.91, SD=10.92) sowie Erfahrung in der Unterrichtsbeobachtung und in der Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte. Die teilnehmenden Expertenlehrkräfte betrachteten zwei Videosequenzen und markierten über Tastendruck für sie relevante Ereignisse zum Klassenmanagement. Anschließend wurden sie aufgefordert zu äußern, was sie über diese Ereignisse denken und was ihnen jeweils aufgefallen ist. Die Think-Aloud-Protokolle wurden transkribiert, in Kodiereinheiten unterteilt und hinsichtlich des Levels (wahrnehmen, interpretieren, entscheiden) und des Inhalts der Äußerungen (Schüler:innen, Lehrkraft, Kontext) mit zufriedenstellender Intercoderreliablität kodiert (Cohens Kappa > .77). Zunächst wurden die Codehäufigkeiten zwischen beiden Gruppen mit Hilfe non-parametrischer Mann-Whitney-U-Tests verglichen. Um mehr darüber zu erfahren, wie Lehrkräfte beider Fächer Klassenmanagementereignisse analysieren, wurden die kodierten Daten als Basis für Epistemische Netzwerkanalysen (ENA) genutzt, welche Zusammenhänge zwischen Codes quantifizieren und entsprechend Netzwerke visualisieren können (Shaffer et al., 2016; Shaffer & Ruis, 2017). Einheit der ENA waren die individuellen Lehrkräfte. Alle zu einem Tastendruck gehörenden Kodiereinheiten wurden als Stanza definiert, wobei die Whole-Conversation-Einstellung genutzt wurde. Ergebnisse Der Vergleich der Codehäufigkeiten zeigt tendenzielle Unterschiede zwischen den beiden Fächern: Biologielehrkräfte schlagen mehr Handlungsalternativen vor (U = 24.00, p = .056, d = 0.96) und thematisieren den Kontext von Klassenmanagementereignissen häufiger als Mathematiklehrkräfte (U = 23.50, p = .055, d = 0.99). Die epistemischen Netzwerke erreichen sehr gute Fitwerte (r > .98) und unterscheiden sich signifikant zwischen beiden Gruppen: Die Netzwerke der Biologielehrkräfte zeigen stärkere Verknüpfungen zwischen Aspekten des Kontexts und alternativer Klassenmanagementstrategien, sowie zu Äußerungen über unerwünschtes Schüler:innenverhalten. Bei den Mathematiklehrkräften hingegen zeigen sich stärkere Verknüpfungen zwischen Äußerungen zum konkreten Umgang der beobachteten Lehrkraft mit Störungen und positiven oder negativen Bewertungen dieses Störungsmanagements. Diskussion Insgesamt deuten die Ergebnisse der explorativen Studie darauf hin, dass es fachspezifische Charakteristika von Expertise hinsichtlich der Professionellen Wahrnehmung von Klassenmanagement gibt. Die Epistemischen Netzwerkanalysen legen nahe, dass Biologieexpert:innen bei Klassenmanagement stärker auf (alternative) Strategien zur Planung und Strukturierung von Unterricht achten. Solche Strategien können insbesondere bei Schüler:innenexperimenten in Fachräumen bedeutsam sein (Kwok, 2021; Praetorius, 2020). Mathematikexpert:innen hingegen berücksichtigen eher Strategien zum Umgang mit oder der Prävention von akutem unerwünschten Schüler:innenverhalten wie Störungen oder Unaufmerksamkeit. Insbesondere im Mathematikunterricht mit stärker kontrollierbaren Sozialformen und der Notwendigkeit, die Aufmerksamkeit und das Verständnis der Schüler:innen in kurzen Intervallen zu überprüfen, können solche Strategien besonders relevant sein. Trotz der kleinen Stichprobe legen die Ergebnisse nahe, die bisher angenommene Fachunabhängigkeit der professionellen Unterrichtswahrnehmung von Klassenmanagement zu überdenken. Zukünftige Forschung zu Anforderungen durch typische fachspezifische Aktivitäten oder Sozialformen im Unterricht könnte in diesem Kontext wichtige Hinweise für die Aus- und Fortbildung von Fachlehrkräften generieren. Paper Session
Entwicklung und Validierung eines Video-Instrumentes zur Erfassung von Noticing von Lehrkräften bei salienten und nicht-salienten Unterrichtsstörungen Freie Universität Berlin, Deutschland Eine frühzeitige Wahrnehmung von Unterrichtsstörungen ist essentiell für einen guten Unterrichtsfluss und damit für die Erhöhung der aktiven Lernzeit für Schüler*innen. Lehrkräfte können durch eine frühzeitige Wahrnehmung von störungskritischen Ereignissen präventiv agieren oder zu einem möglichst frühen Zeitpunkt das Ereignis angemessen adressieren. Um frühzeitig solche relevanten Ereignisse wahrzunehmen, bedarf es Noticing -Kompetenzen (König et al., 2022; Scholten et al., 2020; van Es & Sherin, 2002). Die folgende Studie lehnt sich an Barth (2017) Verständnis von Noticing an, das den Prozess des Erkennens relevanter Unterrichtsmerkmale detailliert beschreibt. Noticing findet nach Barth (2017) in zwei Schritten statt. 1. die visuelle Wahrnehmung: Gelenkt wird die visuelle Wahrnehmung von der Aufmerksamkeit Diese wird entweder durch Reize oder Ziele gesteuert (Chun et al., 2011). Die reizinduzierte Aufmerksamkeit wird von Objektmerkmalen gesteuert und ist unabhängig von den eigenen Zielen. Saliente Merkmale haben einen großen Reiz und ziehen dadurch viel reizinduzierte Aufmerksamkeit auf sich. Die zielgesteuerte Aufmerksamkeit beschreibt die aufgrund eigener Ziele gerichtete Aufmerksamkeit und wird gesteuert von Erfahrungen, Wissen und eigenen Motiven. Zur Wahrnehmung nicht-salienter Ereignisse ist daher vor allem die zielgerichtete Aufmerksamkeit von Bedeutung, weil diese einen geringen Reiz ausstrahlen. Daraufhin folgt 2. das „Erkennen“ der wahrgenommenen Ereignisse: Dieser Prozess beschreibt das Filtern und die Verarbeitung der aufgenommenen Informationen. Die Basis hierfür stellt vor allem professionelles Wissen dar, weil es darum geht, Merkmale und Muster von Ereignissen (wieder) zu erkennen. Expert*innen verfügen über gute Noticing-Kompetenzen (Bastian et al., 2022; D. Berliner, 1988; Grub et al., 2022; Kosel et al., 2023), das bedeutet, sie haben einerseits die Fähigkeit auch zielgerichtet wahrzunehmen und verfügen andererseits über bereits verinnerlichte Muster von störungskritischen Ereignissen aufgrund ihres professionellen Wissens und gemachten Lehrerfahrungen. Für NovizInnen ist Noticing jedoch eine Herausforderung (Barth & Thiel, 2018; D. C. Berliner, 1983; Huang et al., 2020; Stahnke & Blömeke, 2021). Besonders nicht-saliente störungskritische Ereignisse werden von Ihnen häufig übersehen (Schulden et al., 2019). Um Noticing-Kompetenzen bereits bei Lehramtsstudierenden fördern zu können, haben wir zunächst 15 theoriebasierte Unterrichts-Clips produziert (Ophardt & Thiel, 2013; Thiel, 2016), die typische saliente und nicht-saliente Unterrichtsstörungen zeigen. Des Weiteren entwickelten und implementierten wir in die produzierten Video-Clips spezielle Video-Tools zur Erfassung von Noticing sowie ein automatisches Auswertungsraster. Abschließend haben wir das Video-Instrument anhand einer Stichprobe von ca. 200 Lehramtsstudierenden und zehn Expert*innen validiert. Im Rahmen der Validierungsstudie erhielten die Lehramtsstudierenden einen theoretischen Input zum Thema Klassenmanagement und dem Umgang mit Unterrichtsstörungen. Anschließend wurden die Video-Clips in einer randomisierten Reihenfolge von den Lehramtsstudierenden und Expert*innen bearbeitet. Die Validierung erfolgte in zwei Schritten: 1. Inhaltlich wurden die Video-Clips anhand der Qualitätskriterien authenticity, engaging, challenging und relevant (Kilbury et al., 2023; Kim et al., 2006; Piwowar et al., 2017) validiert. 2. Die Erfassung von Noticing wurde mit einem Expert*innen-Noviz*innen-Vergleich anhand der Hypothese überprüft: Expert*innen erkennen mehr störungskritische Ereignisse als Studierende. Die Ergebnisse werden aktuell deskriptiv, mit t-Tests und Korrelations-Analysen untersucht und ausgewertet. Die Ergebnisse werden diskutiert. |
15:20 - 17:00 | 6-19: Lehrkräftefortbildung Ort: S23 |
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Paper Session
Professionalisierung für den gesellschaftswissenschaftlichen Fachunterricht in der „dritten Phase“: Themen und Formate von Lehrkräftefortbildungen in Niedersachsen von 2018 bis 2022 Georg-August-Universität Göttingen, Deutschland Theoretischer Hintergrund „Lehrkräfte verstehen ihren Beruf als ständige Lernaufgabe und entwickeln ihre Kompetenzen weiter“ (KMK, 2022, S. 15), indem sie an Fortbildungen teilnehmen. Schüler*innen zur aktiven Teilhabe an gesellschaftsverändernden Prozessen zu befähigen, ist erklärtes Ziel der politischen Bildung, wobei dem politischen Fachunterricht eine bedeutende Rolle zukommt (Detjen et al., 2012). Hierfür bedarf es professionell aus- und fortgebildeter Lehrkräfte. Der hohe Anteil fachfremd erteilten Unterrichts im Leitfach politischer Bildung (bspw. je nach Schulform zwischen 23 % und 81 % im Fach Politik in der Sekundarstufe I in NRW; MSB, 2022) sowie gesellschaftswissenschaftliche Integrationsfächer, für die es keine adäquate Lehramtsausbildung gibt, unterstreichen die Notwendigkeit fortwährender Qualifikation (Grieger & Oberle, 2020). Fortbildungsangebote speziell für den Politikunterricht wurden bislang kaum systematisch erforscht. Jenseits von Informationen zum Format (z. B. Dauer, Präsenz/Online) ist die Datenlage zu Fortbildungsthemen generell lückenhaft und schwer vergleichbar (Schoof-Wetzig, 2019). Aus einer Programmanalyse in Baden-Württemberg gingen Didaktik/Methodik, Curriculum, Heterogenität sowie Digitalisierung als häufigste Themen hervor (Cramer, Johannmeyer & Drahmann, 2019). In Hessen waren Fachwissenschaft, Fachdidaktik, Nach- und Zusatzqualifikationen sowie Medienbildung am meisten vertreten (Benner & Kaufmann, 2020). Damit Fortbildungen ihre Wirksamkeit entfalten können, müssen sie zunächst angenommen werden. Warum Lehrkräfte an ihnen (nicht) teilnehmen, kann mit verschiedenen Handlungstheorien auf der Mikro-Ebene durch Fortbildungsmotivation, auf der Meso-Ebene durch Themen und Formaten sowie auf der Makro-Ebene durch bildungspolitische Rahmenbedingungen erklärt werden (Boeren, Nicaise & Baert, 2010). Fragestellung Der Beitrag geht der Frage nach, welche Themen und Formate Fortbildungsangebote für Lehrkräfte der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer aufweisen und wie es um deren Nachfrage bestellt ist. Erstmalig wird die Fortbildungssituation in der Breite der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer – Sekundarstufe: Geschichte, Geografie, Gesellschaftslehre, Politik/Wirtschaft; Primarstufe: Sachunterricht – in Niedersachsen analysiert. Dazu werden als forschungsleitende Fragestellungen verfolgt:
Methode Für die Analyse wird auf einen Sekundärdatensatz zurückgegriffen, der vom Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) bereitgestellt wurde. Der zunächst knapp 32.000 Einträge umfassende Datensatz wurde auf a) frei wählbare, b) schulexterne c) Fortbildungen d) für Lehrkräfte der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer eingegrenzt (n = 872). Auf Basis der Veranstaltungsprogramme wurden anschließend für die Pilotfächer Politik/Wirtschaft (n = 283) und Sachunterricht (n = 177) mittels deduktiver und induktiver Kategorienbildung die Themen stattgefundener Fortbildungen ermittelt. Außerdem wurden die Formate der Fortbildungen (Dauer, Präsenz/Online) und die Nachfrage (Anmeldungen für ein bestehendes Angebot) berechnet. Ergebnisse Die Adressat*innen waren überwiegend Politik- und Geschichtslehrkräfte (jeweils n = 322; 28 %), gefolgt von Sachunterrichtslehrkräften (n = 213; 18 %), Geografielehrkräften (n = 203; 18 %) und Lehrkräften für Gesellschaftslehre (n = 95; 8 %). Bei der inhaltsanalytischen Auswertung für die Pilotfächer wurden 28 Oberthemen identifiziert. Während Themen wie „Curriculum“ (n = 63), „Abitur“ (n = 61) und „Prüfungen“ (n = 64) für Politik/Wirtschaft hoch im Kurs standen, wurden für den Sachunterricht „Naturwissenschaft und Technik“ (n = 114), „Medienbildung“ (n = 53) und „Programmieren“ (n = 34) am häufigsten angeboten. Die Angebotsdichte erreichte während der COVID-19-Pandemie eine Talsohle, allerdings war bereits in den Halbjahren zuvor ein Abwärtstrend erkennbar. Mit durchschnittlich 15 Personen lag die Nachfrage pro Fortbildung im Mittel zwischen Halbjahren mit schwächerer (n = 11) und stärkerer (n=18) Nachfrage. Erwartungskonform stieg während dieser Zeit die Zahl der digitalen Fortbildungen stark an. Fortbildungen dauerten zumeist nicht länger als einen halben Tag, wobei bei den Präsenzveranstaltungen immerhin ein Drittel ganztägig angeboten wurde, während digitale Veranstaltungen tendenziell deutlich kürzer ausfielen. Insgesamt bestätigt dies einen allgemeinen Trend zu kürzeren Fortbildungen (zsf. Lipowsky & Rzejak, 2019). Schlussfolgerungen hinsichtlich Themen und Formate künftiger Fortbildungsangebote werden diskutiert. Paper Session
Inwiefern beeinflussen Informationen in Ausschreibungstexten von Lehrkräftefortbildungen die Anmeldung? Ergebnisse eines faktoriellen Surveys im Projekt WAhL Universität Kassel, Deutschland Ausgangslage: Die Lehrkräftefortbildung spielt eine entscheidende Rolle in der (Weiter‑)Entwicklung der beruflichen Kompetenzen von Lehrkräften (Lipowsky & Rzejak, 2019; E. Richter & D. Richter, 2020). Trotzdem nehmen Lehrkräfte z. T. eher selten an formalisierten Fortbildungsangeboten teil (z. B. Hoffmann & D. Richter, 2016). Analysen zeigen zudem, dass die Kapazität von Fortbildungen mitunter nicht ausgeschöpft wird, da mehr Plätze verfügbar sind als Anmeldungen vorliegen (Johannmeyer & Cramer, 2021) oder Veranstaltungen ausfallen (Daschner & Hanisch, 2019). Vor diesem Hintergrund ist die Frage bedeutsam, was Lehrkräfte zur Fortbildungsteilnahme veranlasst. Studien untersuchten in diesem Zusammenhang z. B. die Fortbildungsmotivation (Hauk et al., 2022; D. Richter et al., 2019; Rzejak et al., 2014), berufskontextuelle Faktoren wie Berufserfahrung und Schulform (Hauk et al., 2022; Johannmeyer & Cramer, 2021; Krille, 2020) sowie strukturelle und inhaltliche Fortbildungsmerkmale (Ansyari et al., 2022; Johannmeyer & Cramer, 2021; E. Richter et al., 2020). Allerdings ist wenig erforscht, welche Informationen aus dem Ausschreibungstext, der die Fortbildung ankündigt und bewirbt, für die Entscheidung zur Fortbildungsanmeldung bedeutsam sind. Fragestellung: Die WAhl-Studie (Was motiviert Lehrpersonen an Fortbildungen teilzunehmen? Ausschreibungstexte von Fortbildungen für Lehrpersonen) greift dieses Desiderat auf und geht der Frage nach, welche Informationen in Ausschreibungstexten für Lehrkräfte relevant sind, wenn es um die Entscheidung geht, sich für eine Fortbildung anzumelden. Methode: Um diese Frage zu beantworten, wurde ein faktorieller Survey mit Mathematiklehrkräften an weiterführenden Schulen in Hessen und Schleswig-Holstein durchgeführt. Faktorielle Surveys gelten als innovative quantitative Methode, um individuelle Einstellungen objektiv zu erfassen (Beuße et al., 2022). Hierbei werden den Studienteilnehmer:innen mehrere realistische Fälle sogenannte Vignetten vorgelegt, die in verschiedenen Merkmalen systematisch variieren. Im Rahmen der WAhL-Studie erhielt jede Lehrkraft zehn fiktive Ausschreibungstexte für eine Fortbildung zum Thema Bruchrechnung, die sich auf acht Dimensionen unterschieden. Verändert wurde z. B. ob nur das Fortbildungsthema oder konkrete Inhalte angegeben wurden, die Dauer der Fortbildung (0,5 Tage, 1 Tag, 3 Halbtage in 3 Monaten, 6 Halbtage in 6 Monaten) und die Aussicht darauf, Materialien für den Unterricht zu erhalten oder nicht. Am Ende jedes Ausschreibungstextes gaben die Lehrkräfte an, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie sich zur beschriebenen Fortbildung anmelden würden. Die Stichprobe setzt sich aus 288 Lehrkräften (weiblich: 65 %) zusammen, die im Mittel über 14,2 Jahre (SD = 9,4 Jahre) Berufserfahrung verfügen. Ergebnisse: Die Ergebnisse multipler Regressionen zeigen, dass bestimmte Informationen in Ausschreibungstexten die Wahrscheinlichkeit der Anmeldung zu Lehrkräftefortbildungen beeinflussen. Die Anmeldewahrscheinlichkeit ist geringer, wenn im Ausschreibungstext nur das allgemeine Fortbildungsthema benannt ist, aber keine konkreteren Hinweise zu den einzelnen Inhalten der Fortbildung gegeben werden (β = -0.12, p < .001). Für die Fortbildungsgestaltung zeigt sich, dass z. B. die Kombination aus Input-, Erarbeitungs- und Diskussionsphasen im Vergleich zur Ankündigung einer ausschließlich selbstständigen Erarbeitung von Inhalten durch die Teilnehmenden einen positiven Einfluss auf die Absicht hat, sich zur Fortbildung anzumelden (β = 0.11; p < .001). Die Wahrscheinlichkeit der Teilnahme fällt hingegen geringer aus, wenn der Ausschreibungstext keine Informationen enthält, dass Lehrkräfte Materialien für ihre Unterrichtspraxis erhalten, im Vergleich dazu, wenn Materialien in Aussicht gestellt werden (β = -0.08; p < .01). Besonders beeinflusst wird das Anmeldeverhalten durch den zeitlichen Umfang. Für eine halbtägige Fortbildung, die vier Stunden dauert, würden sich die Lehrkräfte eher anmelden als für eine Fortbildung, die sich über einen Zeitraum von sechs Monaten erstreckt und insgesamt sechs Fortbildungshalbtage mit je vier Stunden vorsieht (β = 0.22, p < .001). Diskussion: Insgesamt liefert diese Studie wertvolle Einblicke in ein wichtiges Thema im Zusammenhang mit Lehrkräftefortbildungen. Die Ergebnisse tragen dazu bei, das Verständnis darüber zu vertiefen, auf Grundlage welcher Informationen Lehrkräfte Fortbildungen besuchen. Sowohl für die Gestaltung von zukünftigen Lehrkräftefortbildungen könnten diese Erkenntnisse herangezogen werden als auch dafür, effektivere Strategien bei der Bewerbung von Fortbildungsangeboten zu verfolgen. Paper Session
Höhere Unterrichtsqualität und verbessertes historisches Denken – eine randomisierte Feldstudie zu den Effekten einer Lehrkräftefortbildung im Fach Geschichte 1Universität Tübingen, Deutschland; 2Deutsches Jugendinstitut, München, Deutschland; 3Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Deutschland; 4Universität Oldenburg, Deutschland Theoretischer Hintergrund Inzwischen liegen auch für das Fach Geschichte Kompetenzmodelle (z.B. FUER-Kompetenzmodell; Körber et al., 2007), Konzeptionen zur Unterrichtsqualität (siehe z.B. Gautschi, 2015; Mägdefrau & Michler, 2012; Trautwein et al., 2021; Zülsdorf-Kersting & Praetorius, 2017) sowie Testinstrumente zur Erfassung historischer Kompetenzen (HiTCH; Trautwein et al., 2017) vor, die einen Anschluss an die moderne Wirkungsforschung von Unterricht ermöglichen. Die vorliegende Studie ist eine konsequente Weiterführung dieser Entwicklungslinie: Erstmalig wurde im Bereich der Geschichtsdidaktik eine breit angelegte Lehrkräfte-Fortbildung – die KLUG-Fortbildungsreihe für Geschichtslehrkräfte der Sekundarstufe – zur Unterrichtsqualität im Rahmen einer randomisierten Feldstudie empirisch evaluiert. Das KLUG-Fortbildungsprogramm berücksichtigt Befunde zu effektiven Lehrkräftefortbildungen, deren Berücksichtigung eine Wirksamkeit bis auf die Ebene des Lernens von Schüler:innen ermöglichen sollte (Darling-Hammond et al., 2017; Lipowsky & Rzehak, 2021). Fragestellung Eine Lehrkräftefortbildung gilt in letzter Instanz als erfolgreich, wenn sie im Klassenzimmer implementiert wird und für die Schüler:innen zu günstigeren Outcomes führt. Im Rahmen der vorliegenden Effektivitätsstudie wurden die Effekte der KLUG-Lehrkräftefortbildung auf zentrale Outcome-Variablen untersucht, die unmittelbar mit dem Unterricht der teilnehmenden Geschichtslehrkraft zusammenhängen: die von den Schüler:innen wahrgenommene Unterrichtsqualität und der wahrgenommene Enthusiasmus der Lehrkraft. Außerdem wurden mithilfe standardisierter Leistungstests die Effekte der Intervention auf die historische Kompetenz der Schüler:innen erfasst. Im Rahmen einer randomisierten Feldstudie wurden folgende tentative Hypothesen untersucht:
Methode Insgesamt nahmen 121 Lehrkräfte mit 205 Klassen und 896 Schüler:innen an der randomisierten Feldstudie teil. Die Randomisierung erfolgte jeweils auf Schulebene (Interventionsgruppe: n = 53 Schulen; Wartekontrollgruppe: n = 47 Schulen). Das Fortbildungsprogramm im Blended-Learning-Format erstreckte sich über ein Schulhalbjahr mit insgesamt zwei Präsenztagen und sechs synchronen Online-Sitzungen im Abstand von zwei bis fünf Wochen, gerahmt von einer Prä- und Posttestung vor Beginn bzw. nach Ende des Fortbildungsprogramms. Die historische Kompetenz der Schüler:innen wurden zu beiden Messzeitpunkten mit Aufgaben (84 Items) aus dem HiTCH-Test (Trautwein et al., 2017), teilweise in adaptierter Form, erfasst. Die aus Schüler:innensicht wahrgenommene Unterrichtsqualität wurde zum zweiten Messzeitpunkt bezogen auf die drei Domänen Klassenführung (vier Facetten), konstruktive Unterstützung (acht Facetten) sowie kognitive Aktivierung (zwei Facetten) mithilfe von Items erhoben, die – teilweise adaptiert – weitgehend aus großen Studien wie BIJU (Baumert et al., 1997), PISA (Ramm et al., 2006) oder DESI (Wagner et al., 2009) übernommen wurden (siehe auch Jaekel et al., 2021). Wie Schüler:innen den Enthusiasmus ihrer Lehrkraft wahrnahmen, wurde anhand für das Fach Geschichte adaptierter Items aus Kunter et al. (2008) erfasst. Die Schätzung der Interventionseffekte erfolgte mithilfe von Strukturgleichungsmodellen mit latenten Variablen als abhängige Variablen (Ausnahme: historische Kompetenz als manifester Score) unter Kontrolle des Prätests (sofern vorhanden) und eines jeweils identischen Sets an Kovariaten (Geschlecht, Alter, Klassenwiederholung, Erstsprache Deutsch, Anzahl Bücher zu Hause, Klassenstufe). Ergebnisse und Ausblick Für beide Forschungsfragen zeigten sich teilweise statistisch signifikant positive Interventionseffekte (unadjustiert bei einseitiger Testung):
Damit stellt die Studie hoffentlich den Auftakt zu intensiver weiterer Forschung dar, um die allgemeine Unterrichtsforschung und geschichtsdidaktische Forschung weiter zu integrieren und eine umfassende empirische Grundlage für die evidenzbasierte Entwicklung von Professionalisierungsmaßnahmen für Lehrkräfte zu schaffen. Paper Session
Wie können Lehrpersonen auf einen qualitativ hochwertigen, technologiegestützten Unterricht durch Fortbildungen vorbereitet werden? 1Universität Tübingen, Deutschland; 2Universität Potsdam, Deutschland Theoretischer Hintergrund. Lehrpersonen müssen qualitativ hochwertigen (lernwirksamen) Unterricht organisieren, damit Schüler:innen vom technologiegestützten Unterricht profitieren (Fütterer et al., 2022, 2023a; Petko et al., 2017). Ein qualitativ hochwertiger Unterricht ist beispielsweise dadurch gekennzeichnet, dass Schüler:innen kognitiv aktiviert werden und sich nicht nur passiv sondern konstruktiv und interaktiv mit Lerngegenständen auseinandersetzen (siehe ICAP-Modell: Chi & Wylie, 2014). Lehrpersonen benötigen spezifische Kompetenzen, um Technologien lernwirksam im Unterricht integrieren zu können (Hew & Brush, 2007). Insbesondere TPK wird als wichtige Voraussetzung für einen lernwirksamen technologiegestützten Unterricht angesehen (Ertmer & Ottenbreit-Leftwich, 2010; Harris et al., 2009; Koehler & Mishra, 2009). TPK leitet sich aus den Wissensfacetten technologisches Wissen (TK) und pädagogisch-psychologisches Wissen (PK) ab (Mishra & Koehler, 2006) und bezieht sich auf das bereichsübergreifende Wissen von Lehrpersonen darüber, wie der Einsatz von Technologien das Lernen von Schüler:innen während der Unterrichtsaktivitäten unterstützen kann. Ein vielversprechender Ansatz zur Förderung von TPK und der Fähigkeit zur Umsetzung eines lernwirksamen technologiegestützten Unterrichts sind Fortbildungen (Fütterer et al., 2023b; 2023c; Hillmayr et al., 2020). Allerdings ist bisher—insbesondere bezüglich TPK—wenig darüber bekannt, wie Lehrpersonen in Fortbildungen gefördert werden sollten (Fernández-Batanero et al., 2020). TPK kann zum Beispiel indirekt gefördert werden, indem stärker technologische Aspekte fokussiert werden (integrative Perspektive), oder direkt (transformative Perspektive; Graham, 2011). Fragestellungen. In unserer Studie untersuchen wir, wie sich TPK zwischen einer indirekte und einer direkten Förderung bei Fortbildungen unterscheiden und welche Rolle TK und PK bei der Förderung von TPK spielen. Drei Forschungsfragen (FF) werden fokussiert: (FF1) Wie unterscheiden sich eine integrative und eine transformative Fortbildung zur Förderung von technologisch-pädagogischem Wissen und qualitativ hochwertigem technologiegestütztem Unterricht in ihrer Wirksamkeit? (FF2) Welche Rolle spielt die Behandlungstreue bei der Wirksamkeit dieser Weiterbildungsmaßnahmen? (FF3) Wie hängen technologisches und pädagogisch-psychologisches Wissen (als Voraussetzungen der Teilnehmer) mit der Effektivität dieser professionellen Entwicklungen zusammen? Methode. N = 255 Lehrpersonen (M = 43,29 Jahre alt [SD = 9,23] und 74 % weiblich) wurden zu drei Messzeitpunkten vor (Pretest) und nach (Posttest, Follow-Up) dreimonatigen technologiebezogenen Fortbildungen zur Förderung von TPK und der Fertigkeit, einen qualitativ hochwertigen digital gestützten Unterricht anzubieten, befragt und getestet. Die Lehrer:innen wurden dabei zufällig einer von zwei Fortbildungen zugewiesen: 1. integrative Fortbildung (N = 122), 2. transformative Fortbildung (N = 133). Wir nutzten Strukturgleichungs- und Mehrgruppenmodelle, fehlende Werte wurden mit Full-Information Maximum Likelihood behandelt und Kovariaten entsprechend der What Works Clearinghouse Standards für baseline equivalence einbezogen. Abhängige Variablen beim waren das getestete TPK (8 offene Items, 2 Rater = .81, .81 .85; Lachner et al., 2019), das selbsteingeschätzte TPK (5 geschlossene Items, 67 ≤ α ≤ .70, adaptiert nach Schmidt et al., 2009), die durch Lehrpersonen wahrgenommene kognitive Aktivierung (6 geschlossene Items, .83, adaptiert nach Kunter et al., 2017) und die selbstberichtete Nutzung von Technologie entsprechend ICAP (4 geschlossene Items, 70 .81). Unabhängige Variable ist die Gruppenzugehörigkeit (integrative Fortbildung vs. transformative Fortbildung). Zur Beantwortung der 2. Forschungsfrage wurde treatment fidelity, zur Beantwortung der 3. Forschungsfrage das getestete TK (Fütterer et al., 2023d) und PK (Kunter et al., 2017) als Moderatoren verwendet. Ergebnisse. Deskriptiv zeigte sich eine stärkere Wirksamkeit der transformativen Fortbildung ( = 0.09 bis = 0.23). Treatment fidelity zeigte sich als wichtige Voraussetzung für die Wirksamkeit transformativen Fortbildung bezüglich selbstberichtetem TPK beim Follow-Up () und wahrgenommener kognitive Aktivierung beim Postets . In der transformativen Fortbildung profitieren Lehrpersonen mit mehr TK mehr hinsichtlich wahrgenommener kognitiver Aktivierung beim Postet . In der integrativen Fortbildung profitieren Lehrpersonen mit mehr PK mehr hinsichtlich getestetem TPK beim Follow-Up . Die Ergebnisse zeigen, dass technologiebezogene Fortbildungen nicht für alle Lehrpersonen gleichsam wirken. Limitationen (z.B. attrition rate, power) sowie Implikationen für die Fortbildungspraxis (z.B. Bedeutsamkeit von adaptiven Fortbildungskonzepten) werden diskutiert. |
15:20 - 17:00 | 6-20: Schule und Unterricht entwickeln Ort: S24 |
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Paper Session
Pedagogical reasoning bei der Unterrichtsplanung – Eine netzwerkanalytische Untersuchung des Planungsentscheidens 1Universität Siegen, Deutschland; 2Universität Paderborn, Deutschland Theoretischer Hintergrund: In der professionellen Unterrichtsplanung wird eine Kernaufgabe von Lehrkräften gesehen (Jäger & Maier, 2019): Durch Überlegungen zum künftigen Lehr-Lernzusammenhang als Form des pedagogical reasoning (z.B. Loughran, 2019) kann das eigene Professionswissen in unterrichtliches Handeln überführt (Blömeke et al., 2015; Stender et al., 2015), dieses Handeln durch die getroffenen Planungsentscheidungen entlastet und eine anschließende Soll-Ist-Reflexion grundgelegt werden (Wengert, 1989). Obwohl diese Bedeutung der Unterrichtsplanung durch die Anforderungen an die Lehrer*innenbildung betont wird (KMK, 2019), sind spezifische Facetten der Planungskompetenz allerdings noch nicht hinreichend modelliert und empirisch untersucht (König & Rothland, 2022). In diesem Beitrag werden deshalb Befunde zur situationsbezogenen Fähigkeit des interdependenten Planungsentscheidens als einer solche Kompetenzfacette vorgestellt. Diese Fähigkeit bezieht sich darauf, die präferentielle Auswahl von Planungsoptionen am Planungsprinzip der Interdependenz auszurichten (Scholl et al., 2022), das zu den weichtigsten fachübergreifenden Metakriterien der Unterrichtsplanung gehört (Vogelsang & Riese, 2017). In Anlehnung an die ursprüngliche allgemeindidaktische Aufforderung der Berliner Didaktik, eine „widerspruchsfreie Wechselwirkung der Planungselemente“ (Schulz, 1972, S. 45) herzustellen, lautet dieses Kriterium: Prüfen Sie alle möglichen ziel-, inhalts-, methoden-, medien- sowie lern- und situationsbezogenen Planungsentscheidungsoptionen und wählen Sie diejenigen aus, die am besten zueinander passen. Aus einer kompetenz- und problemlösetheoretischen Perspektive kann dieses Prinzip dem generischen bildungswissenschaftlichen Planungs- und Konzeptionswissen (Baumert & Kunter, 2006) zugeordnet werden, das dem metakognitiven Prozess der Überwachung der eigenen Planungskognitionen beim kreativen Lösen komplexer Unterrichtsgestaltungsprobleme eine Richtung gibt (Dörner, 2003; Funke & Funke, 2002). Eingelöst ist das Interdependenzprinzip, wenn die Wechselwirkungen in Lehr-Lernzusammenhängen so durchdacht sind, dass das künftige Handeln strukturell und prozessual stimmig in die „vorhergesehene“ Unterrichtsdynamik eingebettet zu sein erscheint. Fragestellung: Es gibt bereits Hinweise darauf, dass das Interdependenzprinzip Schwierigkeiten bei der Umsetzung bereitet (z.B. Seel, 2011). So berücksichtigen Planende beispielsweise oft nur einzelne Planungsbereiche (z.B. Bromme, 1981), beziehen die getroffenen Entscheidungen nicht hinreichend auf die Lernvoraussetzungen (z.B. König et al., 2015) oder treffen ihre Entscheidungen linear und nicht dynamisch, wie es dem Interdependenzprinzip eher entspräche. Es ist jedoch unklar, inwiefern konkrete Begründungen für Planungsentscheidungen zumindest Teilversuche der Umsetzung des Interdependenzprinzips erkennen lassen. Darum wird in der berichteten Studie danach gefragt, 1. welche spezifischen Strukturen konkrete Planungsentscheidungsbegründungen haben, 2. inwiefern diese Strukturen den Anforderungen des Interdependenzprinzips genügen und 3. ob sich diese Strukturen über unterschiedliche Planungsexpertisegrade hinweg unterscheiden. Methode: In einer qualitativen Studie mit N = 22 Teilnehmenden von zwei Universitätsstandorten, deren Zusammensetzung kontrastive Expertisevergleiche ermöglicht (6 Bachelorstudierende, 6 Masterstudierende, 4 Referendar*innen und 6 Lehrkräfte), wurden leitfadengestützte Interviews zu zwei Planungsvignetten geführt, die in der Form des lauten Denkens (Ericsson & Simon, 1993) bearbeitet wurden. Die Auswertung durch geschulte Rater*innen folgt der Qualitativen Inhalts- (Mayring, 2022) und der Netzwerkanalyse (u.a. Brauner & Orth, 2002; Hollstein & Straus, 2006). Ergebnisse: Die netzwerkanalytische Auswertung der transkribierten Interviews zeigt u.a., dass die Anzahl der getroffenen Planungsentscheidungen und ihrer Verbindungen mit zunehmendem Expertisegrad kontinuierlich steigt. Diese Zunahmen sind insbesondere auf vermehrt getroffene Methodenentscheidungen in temporalen Begründungsstrukturen zurückzuführen. Gleichzeitig nimmt jedoch die Dichte der Begründungsnetzwerke ab, was unabhängig vom Expertisegrad bedeutet, dass nur wenige Entscheidungen in ihren wechselseitigen Bezügen durchdacht werden. Insgesamt bestätigen diese Ergebnisse frühere Untersuchungen zu Problemen beim adaptiven Planen (König et al., 2015), der begrenzten Elaboration von kognitiven Planungsschemata bei Noviz*innen (Borko & Livingston, 1989) und dem paedagogical reasoning mit einer Tendenz zur hauptsächlichen Fokussierung auf Methodenentscheidungen differenzierter (z.B. Penso & Shoham, 2003). Dabei erweist sich die Netzwerkanalyse trotz noch geringer Fallzahlen als hilfreich, um kognitive Strukturen in der Planung sichtbar zu machen und diese Strukturen mit bestehenden Unterrichtsplanungsmodellen zu vergleichen. Werden diese empirisch nachweisbaren Strukturen künftig auf die Qualität des anschließenden Unterrichts bezogen, wäre damit ein Grundstein für die ausstehende empirischen Untermauerung von Planungsprinzipien gelegt (Rothland, 2022). Paper Session
Zur Messung der Core Practices „Ziele festlegen“ und „Lernaufgaben erstellen“ Leibniz Universität Hannover, Deutschland Für den Erwerb professionsspezifischer Handlungskompetenzen (Baumert & Kunter, 2006) bedarf es im Rahmen des Lehramtsstudiums Lerngelegenheiten, in denen professionsspezifisches Wissen sowie darauf bezogene Überzeugungen und Werthaltungen handlungsnah mit situationsspezifischen Fähigkeiten (Blömeke et al., 2015) verschränkt werden. Das aus der practice-based teacher education stammende Konzept der Core Practices (CP) (McDonald et al., 2013) kann für die Gestaltung derart verschränkter Lerngelegenheiten dienlich sein. Das Konzept der CP beschreibt eine Bündelung von Praktiken, die häufig im Unterricht auftreten, generisch und fachspezifisch, forschungsbasiert und komplex sind, als auch die Möglichkeit bieten, mehr über Schüler:innen und den Unterricht zu erfahren (Grossman et al., 2009). Im deutschsprachigen Raum werden die konzeptuellen Überlegungen aus dem anglo-amerikanischen (z.B. TeachingWorks, 2023) derzeit vielfach aufgegriffen und weitergeführt (z.B. Kleinknecht et al., 2022) und sowohl in der theoretischen Grundlegung als auch messmethodische Zugänge (Matsumoto-Royo & Ramírez-Montoya, 2021) zeichnen sich umfängliche Weiterentwicklungen ab. Das Festlegen von Zielen (Kirchhoff & Müller, 2022) und das Erstellen von Lernaufgaben (Fraefel, 2023) kann im Sinne der pre-lesson activities (van der Schaaf, 2019) im Bereich der Unterrichtsplanung als CP verstanden werden (TeachingWorks, 2023). Wenngleich in der theoretischen und empirischen Literatur die Relevanz dieser Fähigkeiten betont wird (Choy, 2016; König et al., 2015, 2022; Maier et al., 2014), so sind Messinstrumente angelehnt an einer Konzeptualisierung nach CP eher rar (Matsumoto-Royo & Ramírez-Montoya, 2021). In diesem Beitrag werden die Ergebnisse einer zweiteiligen Pilotstudie vorgestellt, die der Entwicklung eines hochstandardisierten Instruments dient, mit dem der Kompetenzerwerb zu diesen beiden CP im Rahmen eines angeleiteten Planungssetting veränderungssensitiv gemessen werden sollen. Entwickelt wurde eine professionelle Lerngelegenheit für Lehramtsstudierende, in der in einem Lernzyklus (McDonald et al., 2013) Phasen der direkten Instruktion und der Modellierung mit Repräsentationen schulischer Praxis und entsprechender Annäherung an Praxis verknüpft wurden. Gearbeitet wurde mit fremden Unterrichtsplanungsbeispielen, welche zunächst kriteriengeleitet analysiert wurden. Am Ende der Lerngelegenheit wurden die Studierenden aufgefordert, Ziele für eine Stunde zu einem vorgegebenen Thema und einer Lerngruppe festzulegen und eine entsprechende Lernaufgabe zu planen. Beide Annäherungen an Praxis enthalten im Sinne der Unterrichtsplanung kreierende und legitimierende Aspekte (Vogelsang & Riese, 2017), wie etwa das Benennen von Lernschwierigkeiten und Lernhilfen oder das Begründen des Schwerpunkts der Stunde. Sowohl für die Analyse fremder und das Erstellen eigener Planungen erhielten die Lehramtsstudierenden Peer- und Dozierenden-Feedback. Im ersten Teil der Pilotierungsstudie (P1) wurden Planungsdokumente inhaltsanalytisch ausgewertet, im zweiten Teil (P2) wird das auf der Basis der Ergebnisse aus P1 entwickelte hochstandardisierte Instrument geprüft. Insgesamt liegen aus der Pilotierungsstudie (P1) N= 59 Planungsdokumente aus neun verschiedenen Fächern von Lehramtsstudierenden (MSemester= 4,8) vor, welche inhaltsanalytisch ausgewertet (Kuckartz, & Rädiker, 2022) wurden. Für die Auswertung wurde für beide CP deduktiv ein Kategoriensystem mit 23 dichotomen Codes entwickelt. Zwei geschulte Kodierer:innen werteten die Planungen aus; dabei wurden 20 % des Datenmaterials doppelt kodiert und eine prozentuale Übereinstimmung von 78,67%, identifiziert. Die Analyse der Planungsdokumente zeigt, dass es den meisten Lehramtsstudierenden (78%) gelingt, ein operationalisiertes Ziel festzulegen. 69,5% der Studierenden benennen und begründen erfolgreich inhaltlich relevante Lernschwierigkeiten. 62,7% spezifizieren ein in der Unterrichtszeit erreichbares Lernziel und 78% legen eine Aufgabe fest, die für die vorgegebene Lerngruppe erreichbar ist. Ein Erwartungshorizont wird von den Studierenden jedoch nur in 25,4% der Fälle fachlich korrekt mitgeplant. Mit Hilfe der entwickelten Codes wurden Items für ein hochstandardisiertes Messinstrument im Sinne einer Planungsanalyse entwickelt (P2). Die Ergebnisse aus P1 sowie die noch ausstehenden Befunde aus P2 werden im Beitrag vorgestellt. Dabei sollen methodische Fragen zur Messung im Vordergrund stehen (Skalierung, Studiendesign), aber auch Fragen zur theoretischen Grundlegung der CP, „Ziele festlegen“ und „Lernaufgaben erstellen“ diskutiert werden. Paper Session
Gemeinsam, nicht einsam, sind wir stark – Zum Effekt der Beteiligung von Lehrkräften an schulischen Entscheidungsprozessen auf die Innovationsbereitschaft im Kollegium und ihre kollektive Wirksamkeit Universität Potsdam, Deutschland Theoretischer Hintergrund Lehrkräfte sind entscheidende Akteure in der Schulentwicklung und sollten in Veränderungsprozesse möglichst intensiv involviert werden (Autor et al., 2023). Auf Grundlage theoretischer Annahmen organisationalen Lernens kann eine Beteiligung von Lehrkräften an schulischen Entscheidungsprozessen zu einem Gefühl von Empowerment und damit zu einer Steigerung motivationaler Orientierungen führen (Marks & Seashore Louis, 1999; Somech, 2010). Erhalten Lehrkräfte die Möglichkeit, ihre individuellen Ideen und Bedürfnisse in Entwicklungsvorhaben einzubringen, führt das zu einer Wahrnehmung von Kontrolle über die eigene Situation (Bogler & Somech, 2004; Somech, 2010). Partizipativ entwickelte Entwicklungsvorhaben erscheinen Lehrkräfte eher relevant und werden eher von ihnen zum Anlass genommen, das eigene berufliche Handeln zu reflektieren und etablierte Praktiken durch innovative Ansätze zu ersetzen (goal-setting theory; Ham & Lee, 2023; Locke & Latham, 2006; Nguyen et al., 2021). Wenn Lehrkräfte gemeinsam arbeiten und Entwicklungsvorhaben erfolgreich umsetzen, kann das ferner zu einer Zunahme ihrer kollektiven Wirksamkeit führen (mastery experience; Bandura, 1993). Empirische Befunde deuten auf einen positiven Zusammenhang zwischen der Beteiligung von Lehrkräften und ihren motivationalen Orientierungen sowie ihrem beruflichen Handeln hin. Lehrkräfte mit hoher Teilhabe an schulischen Entscheidungen sind selbstwirksamer (Lu et al., 2015), zufriedener (Brezicha et al., 2020), eher bereit schulische Aufgaben zu übernehmen, die über ihre Arbeitsverpflichtung hinausgehen (Bogler & Somech, 2004, 2005), arbeiten häufiger mit ihren Kolleg*innen zusammen (Honingh & Hooge, 2014; Liu & Yin, 2023) und beteiligen sich eher an der Umsetzung von Schulentwicklungsvorhaben (Autor et al., 2023). Zumeist handelt es sich bei bisherigen Untersuchungen jedoch um korrelative Querschnittstudien, die keine kausalen Beziehungen überprüfen. Ferner existiert kaum gesichertes Wissen über die Beteiligung von Lehrkräften an schulischen Entscheidungsprozessen in Deutschland. Der vorliegende Beitrag greift diese Forschungslücken auf und geht folgenden Fragestellungen nach: Fragestellung
Methode Der Beitrag nutzt Daten einer längsschnittlichen Untersuchung von 29 Schulen. Die Stichprobe umfasst N = 586 Lehrkräfte, die zu zwei Messzeitpunkten schriftlich befragt wurden. Mithilfe von je drei Items erfassten wir (1) die Beteiligung des Kollegiums an schulischen Entscheidungsprozessen (ω T1 = .81; z.B. Das Kollegium spielt eine aktive Rolle bei grundlegenden Entscheidungsprozessen), (2) die wahrgenommene Innovationsbereitschaft im Kollegium (ωT1 = .81, ωT2 = .80; z.B. In unserem Kollegium gibt es eine große Bereitschaft, die eigenen pädagogischen Ansätze zu überprüfen) sowie die wahrgenommene kollektive Wirksamkeit (ωT1 = .84, ωT2 = .80; z.B. Auch mit außergewöhnlichen Vorfällen können wir zurechtkommen, da wir uns im Kollegium gegenseitig Rückhalt bieten). Zur Beantwortung der Forschungsfragen nutzen wir deskriptive Analysen (Forschungsfrage 1) sowie ein latent modelliertes Strukturgleichungsmodell (Forschungsfragen 2 und 3). Ergebnisse Die Ergebnisse des Beitrages zeigen, dass die untersuchten Lehrkräfte eine eher hohe Beteiligung ihres Kollegiums in schulische Entscheidungsprozesse wahrnehmen (M = 2.95, SD = .73). Die Ergebnisse des Strukturgleichungsmodells (RMSEA = .035, CFI = .985, SRMR = .062) deuten ferner darauf hin, dass Lehrkräfte mit hoher Beteiligung an schulischen Entscheidungsprozessen zu T1 im zeitlichen Verlauf Zunahmen ihrer wahrgenommenen Innovationsbereitschaft im Kollegium (β = .23, p < .001) und der kollektiven Wirksamkeit verzeichnen (β = .39, p < .001) – je unter Kontrolle der Ausgangswerte. Die Ergebnisse geben Hinweise auf die Relevanz der Beteiligung von Lehrkräften in Entscheidungsprozesse im Rahmen der Schulentwicklung, wonach organisationale Zielsetzungen partizipativ mit den Lehrkräften der Schule entwickelt werden sollten. Damit liefert der vorliegende Beitrag neue Erkenntnisse für die Schulentwicklungsforschung in Deutschland. Paper Session
Schulentwicklung und Verantwortung für den Ganztag kooperativ gestaltet. Eine Bereicherung für die Qualität an Ganztagsschulen im Primarbereich? DIPF, Deutschland [Theoretischer Hintergrund] Im deutschen Schulsystem sind über 70 Prozent aller Schulen als Ganztagsschule zu bezeichnen (KMK, 2023). Der Ganztagsbetrieb dient dazu, die Entwicklung und das Lernen von Kindern bzw. Jugendlichen zu unterstützen. Forschungsergebnisse zeigen, dass die Teilnahme an schulischen Ganztagsangeboten vielfältige positive Auswirkungen auf die Entwicklung der Schüler:innen hat (Heyl et al., 2021). Qualitätsmodelle zum Ganztagsbetrieb unterstreichen dies (Holtappels, 2009). Allerdings sind diese Auswirkungen nur dann empirisch zu beobachten, wenn die Angebote guten Konzepten folgen und von den Schüler:innen als qualitativ hochwertig wahrgenommen werden (Kielblock & Maaz, 2021). Aus einem umfangreichen Transferprojekt wurde deutlich, dass gute Konzepte und hohe Qualität schulischer Ganztagsangebote dadurch sichergestellt werden, dass es am jeweiligen Ganztagsschulstandort eine klare Vision des Ganztagsbetriebs, gute Arbeitsbedingungen für das Personal und ein umfassendes Ganztagskonzept gibt (Qualitätsdialog zum Ganztag, 2021). Die Frage ist allerdings, wie die Verantwortung für Steuerungsfragen und die Schulentwicklung gestaltet sein muss, damit die Voraussetzungen für die Entwicklung eines hochwertigen Ganztagsbetrieb gegeben sind. Diesbezüglich betonen die allgemeine Schulentwicklungsforschung (Huber, 2017, 2020; Klein et al. 2019) und die Ganztagsschulforschung (Kielblock, 2023) das besondere Potenzial kooperativer Formen der Verantwortung und Schulentwicklung. Dies empirisch an Ganztagsschulen zu untersuchen, ist Gegenstand des vorliegenden Beitrags. [Fragestellung] Vergleichbare Fragen sind im Bereich der Ganztagsschulforschung bislang eher weniger untersucht worden. Insbesondere der Rechtsanspruch auf ganztägige Förderung (GaFöG, 2021) lenkt den Blick stärker als bislang auf diese Fragestellungen im Primarbereich von Ganztagsschulen. Entsprechend geht der vorliegende Beitrag folgenden Fragen mit Fokus auf Ganztagsgrundschulen nach: Wie hängen die Voraussetzungen für einen hochwertigen Ganztagsbetrieb hinsichtlich der Vision, des Ganztagskonzept und den Arbeitsbedingungen, (1) mit der kooperativen Verantwortung für die Steuerung und (2) mit der kooperativen Schulentwicklung zusammen? [Methode] Die vorliegende Analyse basiert auf einer Sekundäranalyse der Daten eines Teilprojekts der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG-Systemmonitoring). Im Rahmen dieses Teilprojekts wurden 2018 bundesweit Ganztagsschulleitungen schriftlich befragt. Die vorliegende Analyse bezieht sich auf Antworten von Schulleitungen im Primarbereich (n=509; vgl. Details in StEG-Konsortium, 2019). In R lavaan (Rosseel, 2012) werden Strukturgleichungsmodelle berechnet. Im finalen Modell sind alle genannten Variablen untergebracht. Gemäß den Empfehlungen von Weiber und Mühlhaus (2010) hat das Strukturgleichungsmodell einen guten Fit (Chi2/df=2,69, CFI=.94, TLI=.92, RMSEA=.06 [.05, .07], SRMR=.05). Missings wurden mit FIML behandelt und die im Ergebnis genannten Koeffizienten sind standardisiert (std.all). [Ergebnisse] Mit Blick auf Frage 1 zeigen die Analysen, dass die „kooperative Verantwortung der Steuerung“ in Zusammenhang steht mit dem Bereitstellen von Kooperationszeiten (.116*). D. h., dass die Kooperationszeiten um so breiter zur Verfügung gestellt werden, wenn die Schule angibt, eine kooperative Verantwortung der Steuerung umzusetzen. Die Verzahnung und die Ziele stehen mit der kooperativen Verantwortung der Steuerung nicht in Zusammenhang. Bezugnehmend auf Frage 2 hängt die „kooperative Schulentwicklung“ hingegen mit allen drei zu erklärenden Variablen – Kooperationszeiten (.306***), konzeptionelle Verzahnung (.405***), und Breite der Ziele des Ganztagsbetriebs (.336***) – zusammen. Die Ergebnisse legen dar, dass die kooperative Schulentwicklung mit den für einen qualitativ hochwertigen Ganztag relevanten Merkmalen der Organisationsebene eng zusammenhängt. Auch die kooperative Verantwortung der Steuerung ist zumindest für die Kooperationszeiten wichtig. In weiteren Analysen ist geplant, dem Einfluss von Kontrollvariablen genauer nachzugehen. Insgesamt bietet die vorliegende Analyse wichtige vertiefende Erkenntnisse für die Steuerung und Entwicklungen im ganztagsschulischen Primarbereich und bereichert damit sowohl die Ganztagsschulforschung und liefert der Verwaltung und Praxis wichtig Impulse. |
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