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Sitzungsübersicht
Sitzung
P05: Medienpraktiken des Widersprechens in vernetzten Öffentlichkeiten
Zeit:
Donnerstag, 14.03.2024:
11:00 - 12:30

Chair der Sitzung: Susanne Eichner
Ort: C03-LG 1 | HS 4 (0121)

Personen: 96

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Präsentationen

Medienpraktiken des Widersprechens in vernetzten Öffentlichkeiten

Chair(s): Susanne Eichner (Filmuniversität KONRAD WOLF)

Widersprechen ist eine gängige kommunikative „Praxis des Entgegensetzens“ (Warnke & Acke, 2018: 325), die sich in variierender Intensität gegen einen inhaltlichen Gegenstand oder dessen Urheber*in richtet. Das mediale Widersprechen ist, was seine Folgen anbelangt, durchaus ambivalent oder gar paradox. Der Widerspruch kann als Movens in gesellschaftlichen Debatten wahrgenommen werden, weil über die Medienpraktik des Widersprechens differente Positionen entwickelt, allgemein sichtbar und damit gesellschaftlich berücksichtigbar gemacht werden und so zu Formen eines besseren Lebens führen können.

Vernetzte Öffentlichkeiten bieten Möglichkeitsräume des Widersprechens, die den Nutzer*innen einerseits große Freiheitsgrade zugestehen und die Etablierung partizipatorischer Diskursräume in Aussicht stellen. Doch ungleiche Machtverhältnisse schränken zugleich die Sichtbarkeit und Anerkennungsbemühungen der Akteur*innen ein. Mithin kann mediales Widersprechen folgenreich sein: In normativ-funktionaler Hinsicht kann das Widersprechen konstruktiv in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen wirksam werden, weil damit vielfältige Positionen entwickelt und öffentlich sichtbar gemacht werden. Auf diese Weise kann mediales Widersprechen zur Polyvokalität öffentlicher Kommunikation beitragen, in gesellschaftliche Selbstverständigungsprozesse einfließen und idealiter die Auflösung sozialer Ungleichheitsverhältnisse anstoßen. Zugleich tritt Widersprechen als affektiv grundierte Form der Intervention mit spezifischer Kontingenz auf, die nicht intendierte Effekte erzeugt oder schlicht von der Lust am Widerspruch getrieben wird. In vernetzten Öffentlichkeiten werden Personen und Kollektive, die auf ihre Belange aufmerksam machen, oftmals verbal scharf attackiert, mitunter emotional verletzt und somit auch zum Verstummen gebracht („Silencing“). Als Paradoxie des Widersprechens begreifen wir dabei jene Formen des öffentlichen Intervenierens, die ein Stumm-Machen zur Konsequenz haben und damit die Voraussetzungen zum Widersprechen selbst eliminieren.

Mittels qualitative Medieninhaltsanalysen, digitale Datenanalyse sowie historisch-hermeneutische Analysen adressieren die Vorträge des Panels nicht nur Beispiele des öffentlichkeitswirksamen, mit Erfolg verbundenen Widersprechens, sondern nehmen gleichfalls das kontingente, paradoxe und nicht-intentionale Medienhandeln in den Blick, welches gerade in Bezug auf ein gelingendes, ‚besseres‘ Leben von großer Relevanz ist. Paper 1 ist Beispiel für eine solche Paradoxie, bei der nicht Solidarität und Teilhabe, sondern Exklusion im Vordergrund steht. Paper 2 untersucht, welche Möglichkeiten des medialen Widerspruchs Arbeiterkinder, als eine (medien)stigmatisierte soziale Gruppe, haben und in Anspruch nehmen (können). Paper 3 setzt gegenwärtige Medienpraktiken des Widersprechens gegen Rassismus in Bezug zur Symbolfigur der Civil-Rights-Bewegung Mamie Till-Mobley. Eine historische Perspektive bietet Paper 4, das aufzeigt, wie pazifistischer Widerspruch gegen den Ersten Weltkrieg durch den Internationaler Frauenfriedenskongress in Den Haag (1915) durch Verbote zum Verstummen gebracht wurde.

Die Relevanz diese Panels liegt nicht zuletzt darin, dass trotz ihrer weiten Verbreitung sowie ihrer interessanten Paradoxie die medialen Praktiken des Widersprechens nur vereinzelt Thema innerhalb der Kommunikations- und Medienwissenschaft ist (z.B. Schmidt 2023; Coddington & Molyneux, 2023).

  • Coddington, M., & Molyneux, L. (2023) When Sources Contradict: The Epistemological Functions of Contradiction in News Texts, Journalism Studies, 24(10), 1316-1333.
  • Schmidt, J. H. (2023). Widersprechen in und mit sozialen Medien. In Widerspruchs-Kulturen (pp. 57-66). Dietrich Reimer Verlag.
  • Warnke, I. H., & Acke, H. (2018). Ist Widerspruch ein sprachwissenschaftliches Objekt? In M. Wengeler, & A. Ziem (Eds.), Diskurs, Wissen, Sprache. Linguistische Annäherungen an kulturwissenschaftliche Fragen (S. 319-344). DeGruyter.

 

Beiträge des Symposiums

 

Paradoxien des Widersprechens: #FrauenSagenNein als exkludierende Intervention

Margreth Lünenborg, Pauline Zahn
FU Berlin

Unter dem Hashtag #FrauenSagenNein meldeten sich 2022/2023 eine Vielzahl von Akteur:innen zu Wort, um dem Vorhaben eines neuen Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG), das das alte Transsexuellen-Gesetz ablösen soll, zu widersprechen. Die Rechte von trans* Personen sind zu einem öffentlich umkämpften Feld geworden, bei dem gegen deren Forderung nach Sichtbarkeit und Anerkennung gezielt mobilisiert wird. Als „Anti-Genderismus“ (Kuhar/Paternotte, 2017) haben sich national wie international Allianzen etabliert, die von Gender-kritischen Feministinnen bis zu rechts-autoritären Organisationen und Akteur:innen reichen. Im Gegensatz zu feministischen Formen des Widersprechens, die auf Solidarität und Teilhabe abzielen, steht hier die Exklusion im Zentrum. Sie nutzt dabei jedoch vergleichbare kommunikative Praktiken des Widersprechens, die durch die Affordanzen digitaler Plattformen begünstigt werden.

Der Vortrag präsentiert Ergebnisse der Sozialen Netzwerkanalyse sowie der qualitativen Inhaltsanalyse von #FrauenSagenNein und diskutiert daran Paradoxien des Widersprechens als Herausforderung aktueller Netzöffentlichkeit.

Literatur:

- Kuhar, R. & Paternotte, D. (eds.) (2017): Anti-Gender Campaigns in Europe: Mobilizing against equality. Rowman & Littlefield.

 

„Die nicht dazugehören“ – Eine vergleichende Analyse der medialen Darstellung von Arbei-terkindern und ihrem Aufbegehren

Dagmar Hoffmann
Universität Siegen

Die besonderen Problemlagen und systematische Benachteiligung von Arbeiterkindern werden in der deutschen Medienberichterstattung kaum thematisiert. Die hier vorzustellende inhaltsanalytische Untersuchung von Artikeln der Zeitungen und Magazine Der Spiegel, Die Welt, Die Zeit, FAZ, SZ und taz über einen Zeitraum von insgesamt zwölf Jahren (2010 bis 2022) veranschaulicht die zuweilen klassistische Berichterstattung über die soziale Gruppe der Arbeiterkinder, die häufig Mehrfachdiskriminierungen (u.a. Armut, Migration) erfahren (hooks, 2000). Ausgehend von diesen Befunden wird aufgezeigt, welche Möglichkeiten der Selbstdarstellung, des Stigmamanagements und des (Self-)Empowerments Arbeiterkinder in verschiedenen (vernetzten) Öffentlichkeiten haben, um auf ihre soziale Lage, psychoso-ziale Befindlichkeit und Diskriminierung aufmerksam machen sowie medialen Fremdzuschreibungen widersprechen zu können. Präsentiert werden neben den Ergebnissen der vergleichenden Medieninhaltsanalyse auch konzeptionelle Überlegungen zur aussichtsreichen Erfassung der Modi (möglichen) Widersprechens (medien)stigmatisierter sozialer Gruppen in verschiedenen (vernetzten) Öffentlichkeiten.

Literatur:

- hooks, b. (2000). Where we stand. Class Matters. New York & London: Routledge.

 

Zum rassistischen Normalzustand im Widerspruch: Mamie Till-Mobley in medialen Öffentlichkeiten

Tanja Thomas
Eberhard Karls Universität Tübingen

‚Let the world see what I’ve seen’, entschied die in Chicago lebende Mamie Till-Mobley im August 1955. Im Angesicht ihres in den Südstaaten aus rassistischen Motiven brutal ermordeten Sohnes nahm sie sich das Recht, für den gewaltsam entstellten Körper ihres Sohnes und die Brutalität des Verbrechens Öffentlichkeit und Sichtbarkeit herzustellen: Sie erreichte den Transport der Leiche nach Chicago, öffentliches Gedenken, mediale Verbreitung. Die Zeitschriften ‚Jet‘ und ‚Chicago Defender‘ wurden zu Leitmedien der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Es gelang, gegen den gesellschaftlich normalisierten Rassismus und sein (visuelles) Vokabular zu intervenieren. In ihrem Text Talking back verknüpft bell hooks die Praxis, ‚sich in einer revolutionären Geste vom Schweigen hinein in die Rede zu bewegen‘ mit der Bereitschaft, einen ‚radikalen Standpunkt‘ und Räume einzunehmen, von denen aus ein ‚Prozess der Re-Vision‘ hin zu einer nicht rassistischen Gesellschaft vorgenommen werden kann. Diese ‚Re-Visionen‘ als Fluchtpunkt des Widersprechens werden inhaltsanalytisch anhand ausgewählter Medienangebote wie (auto)biographischen Zeugnissen, Reden, Dokumentarfilmen von und über Mamie Till-Mobley rekonstruiert. Die Befunde werden in Beziehung gesetzt zu Analysen gegenwärtiger Medienpraktiken des Widersprechens gegen Rassismus über social media, die auf die als Symbolfigur der Civil Rights Bewegung geltende Mamie Till-Mobley und ihre Praktiken des Widersprechens referenzieren.

 

Medienpraktiken des Widersprechens unter Zensurbedingungen: Feministisch-pazifistische Interventionen im Ersten Weltkrieg

Susanne Kinnebrock
Universität Augsburg

Inmitten von Hypernationalismus und europaweitem Schlachtengetümmel formierte sich 1915 ein internationaler Frauenfriedenskongress in Den Haag. Er forderte nicht nur die sofortige Einstellung aller Kriegshandlungen, sondern entwickelte darüber hinaus einen wegweisenden Gegenentwurf einer neuen, demokratisch fundierten Weltordnung, die das internationale Recht und friedliche Konfliktbeilegung ins Zentrum stellte. Obgleich das gemeinsame Widersprechen gegen den Ersten Weltkrieg von den Kongressteilnehmerinnen als enorm ermächtigend beschrieben wurde und obwohl diese internationale Teilöffentlichkeit lebhaft weiter debattierte (u.a. über trilinguale Zeitschriften), konnte der pazifistische Widerspruch in der deutschen Öffentlichkeit kaum Resonanz erzeugen. Denn die für Zensur zuständigen deutschen Militärbehörden verhängten nicht nur ein generelles Publikationsverbot der Inhalte des Haager Frauenfriedenskongresses, sondern verordneten auch Maßnahmen gegen einzelne Pazifistinnen wie generelle Publikations- und Auftrittsverbote oder Postkontrolle. Ein erzwungenes Verstummen war die Folge. Anhand von internationalen Zeitschriften, aber auch Egodokumenten werden die Dynamiken zwischen dem gemeinsamen Finden einer Stimme und dem Verstummen historisch-hermeneutisch herausgearbeitet.

Eichner-Medienpraktiken des Widersprechens in vernetzten Öffentlichkeiten-224.pdf


 
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