Unsicherheitswahrnehmungen von Lehrkräften im Rahmen digitaler Unterrichtsentwicklung – Eine experimentelle Studie
Hackenberg, Tobias
Munich School of Management (LMU), Deutschland
Unter den zahlreichen Herausforderungen unserer Zeit nimmt die digitale Transformation nicht nur gesellschaftlich, sondern auch im Bildungsbereich eine zentrale Rolle ein. Um diese Herausforderung zu bewältigen, sind Lehrkräfte dazu angehalten, ihren individuellen Unterricht weiterzuentwickeln. In der bisherigen Forschung wurden schwerpunktmäßig individuelle (aus Sicht der Lehrperson) und externe Bedingungsfaktoren identifiziert (Helmke, 2021, S. 307–313). Darauf aufbauend sollen mögliche Unsicherheitswahrnehmungen von Lehrkräften gegenüber einer digitalen Unterrichtsentwicklung als weiterer individueller Bedingungsfaktor untersucht werden. Unsicherheit differenziert zwischen Entscheidungen für unbekannte Wahrscheinlichkeiten im Vergleich zu denen für bekannte Wahrscheinlichkeiten (Abdellaoi et al., 2011, S. 702). Daraus ergibt sich die forschungsleitende Frage, inwiefern die Unsicherheitswahrnehmung von Lehrkräften, hinsichtlich einer erfolgreichen Implementierung digitaler Innovationen in den Unterricht, ihr Zeitinvestment in die Unterrichtsentwicklung beeinflusst. Hierzu wird ein Zwei-Gruppen-Laborexperiment online durchgeführt. Für die erste Probeerhebung werden N = 60 Lehramtsstudierende am Experiment teilnehmen. Es wird erwartet, dass Lehrkräfte mit einer hohen Unsicherheitswahrnehmung weniger Zeit in die Unterrichtsentwicklung investieren, im Vergleich zu dem Fall, in dem sie das Risiko eines Scheiterns abschätzen können. Zudem wird davon ausgegangen, dass Lehrkräfte, die ihren Unterricht als qualitativ hochwertig ansehen (Experimentalgruppe), eine höhere Unsicherheitswahrnehmung aufweisen als Lehrkräfte, die ihren Unterricht als qualitativ niedriger (Kontrollgruppe) ansehen. Die gefundenen Ergebnisse können dabei helfen (Un-)sicherheitswahrnehmungen als weiteren Bedingungsfaktor für eine gelingende Unterrichtsentwicklung zu identifizieren und Maßnahmen zu entwickeln, um Unsicherheiten hinsichtlich der Unterrichtsentwicklung bei Lehrkräften abzubauen.
Abdellaoui, M., Baillon, A., Placido, L., & Wakker, P. P. (2011). The Rich Domain of Uncertainty. American Economic Review, 101 (2), 695–723. doi.org/10.1257/aer.101.2.695
Helmke, A. (2021). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität: Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts (8. Aufl.). Kallmeyer.
KI-basierte Anwendungsfälle für die Lernortkooperation - Eine empirische Studie in der Schweizer Berufsbildung
Seufert, Sabine; Spirgi, Lukas
Universität St.Gallen (HSG), Institut für Bildungsmanagement und Bildungstechnologien
Fragestellung
Mit ChatGPT ist die Künstliche Intelligenz (KI) in einer breiten Öffentlichkeit angekommen. Durch KI-Technologien, wie Deep Learning werden unstrukturierte digitale Daten strukturiert und verwertbar gemacht. Diese maschinelle Datenanalyse und -auswertung kann Entscheidungs‑, Optimierungs- oder eben auch Lernprozesse unterstützen (Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation in der Schweiz (SBFI), 2019). Daher erscheint die Fragestellung des vom SBFI-geförderten Projektes hochaktuell: Welche (neuen) Möglichkeiten entstehen im Kontext der digitalen Transformation, die Lernortkooperation (LOK) zu stärken und insbesondere die Potenziale der fortgeschrittenen Digitalisierung (Data Science und Künstlichen Intelligenz) zu nutzen?
Theoretischer Hintergrund
Als theoretischer Hintergrund dient ein validiertes Rahmenkonzept zu Gestaltung von LOK-Zukunftsmodellen auf der Makro-, Meso- und Mikro-Ebene (Seufert & Guggemos, 2021). Die Entwicklung von LOK-Zukunftsmodellen stützt sich dabei auf die gemeinsame Organisation von Bildungsprozessen in einem digitalen Ökosystem auf der Basis von Data Science und KI. Um möglichst konkret die Potenziale von KI auszuloten, wurden insgesamt 22 Anwendungsfälle bezogen auf spezifische Problemstellungen entwickelt (Seufert et al., 2022). Davon wurden 11 Anwendungsfälle ausgewählt, um diese im Rahmen einer Expertenbefragung genauer untersuchen zu können.
Methode
Datenbasis ist eine Befragung (Online Umfrage) mit N = 111 Berufsbildungsakteuren, die von Januar bis März 2023 befragt wurden. Die Befragten setzen sich zusammen aus Schulleitungen (49 %), Lehrbetriebe, überbetriebliche Kurse (18 %, 4 %), Berufsverbände (19 %) und kantonale Behörden, etc. (17 %). Nützlichkeit, Nutzungsabsicht und Einschätzung des Nutzens, um die Lernortkooperation zu stärken, stand im Vordergrund der Umfrage.
Ergebnisse und Diskussion
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass grundsätzlich alle 11 Anwendungsfälle positive Zustimmung erhalten. Die höchsten Mittelwerte hat der Anwendungsfall «bildungsstufenübergreifende Förderinstrumente (Sprachen, Mathe)». Aber auch ein lernortübergreifendes Portfolio sowie eine Learning Experience Plattform für eine stärkere personalisierte Kompetenzentwicklung erhalten sehr hohe Zustimmung. Die Ergebnisse bilden eine fundierte Grundlage zur Diskussion, um die Ausgestaltung des Ökosystems für die Berufsbildung in föderalistischen Strukturen zu ermöglichen.
Legitimationsmuster bezüglich Digitalisierungsstrategien an Schweizer Berufsfachschulen
Gonon, Philipp; Schmitz, Maria-Luisa
Institut für Erziehungswissenschaft Universität Zürich, Schweiz
Legitimationsmuster bezüglich Digitalisierungsstrategien an Schweizer Berufsfachschulen
Maria-Luisa Schmitz & Philipp Gonon (Institut für Erziehungswissenschaft Universität Zürich)
Fragestellung
Wie wird die digitale Transformation an Schweizer Berufsfachschulen gerechtfertigt?
Theoretische Verortung
Im Rahmen eines vom SNF geförderten Projektes zum Stand der Digitalisierung in Schweizer Sekundarstufe II Schulen wurden neben einer quantitativen Studie auch qualitative Daten erhoben. Die schulspezifisch unterschiedlichen Digitalisierungsstrategien wurden aus rechtfertigungssoziologischer Perspektive analysiert.
Die Rechtfertigungssoziologie unterscheidet 4-6 Legitimationsmuster: Das bürgerliche Muster bezieht sich auf Solidarität und soziale Integration, das industrielle auf Effizienz und Standardisierung. Die marktwirtschaftliche Legitimation fokussiert auf Wettbewerb, Beschäftigung und Kosten. Pädagogische Werte und Vertrauen gehören zur häuslichen/handwerklichen Konvention (Leemann & Imdorf, 2019).
Methodischer Zugang
Sechs besonders innovative, digitale Schulen wurden für standardisierte Interviews mit Schulleitungen identifiziert, aufgrund von Häufigkeitsangaben des Technologieeinsatzes von 2247 Lehrpersonen zur Förderung kognitiv aktivierender Lernaktivitäten (Antonietti et al., 2023) und Einschätzungen von 225 Schulleitenden zum pädagogischen Innovationspotenzial ihrer und anderer Schulen.
Ergebnisse
Erste Ergebnisse zeigen: Schule A begründete die Digitalisierungsstrategie mit der Auftragserfüllung für den Kanton (staatsbürgerliche und industrielle Legitimation). Schule B betonte die zentrale Rolle pädagogischer Konzepte (häusliches Muster) und die Vorbereitung auf eine moderne Arbeitswelt (marktwirtschaftliche Rechtfertigung).
Mögliche Implikationen
Digitalisierungsstrategien werden unklar begründet. Durch quantitative und qualitative Forschung werden mehr Möglichkeitsspielräume ausgelotet.
Literaturverzeichnis
Antonietti, C., Schmitz, M. L., Consoli, T., Cattaneo, A., Gonon, P., & Petko, D. (2023). Development and validation of the ICAP Technology Scale to measure how teachers integrate technology into learning activities. Computers & Education, 192, 104648.
Leemann, R.J., & Imdorf, C. (2019). Das Potential der Soziologie der Konventionen für die Bildungsforschung. In Bildung und Konventionen. Die “Économie des Conventions” in der Bildungsforschung; Imdorf, C., Leemann, R.J., Gonon, P., Eds.; Springer; pp. 3–45. ISBN 978-3-658-23300-6.
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