Macht(a)symmetrien in der pädagogischen Interaktion aus der Perspektive von Lehrpersonen: Effekte individueller, beziehungsbezogener und institutioneller Determinanten
Kärner, Tobias; Warwas, Julia; Ackermann, Franziska
Universität Hohenheim, Deutschland
Macht ist ein unterbelichtetes Element für die Analyse pädagogischer Interaktionen (Misamer & Thies 2014). Generell beschreibt sie die relative Fähigkeit eines Individuums, den Zustand anderer Personen zu verändern, indem es Ressourcen zur Verfügung stellt oder zurückhält oder aber Strafen verhängt. Die Machtverteilung zwischen Lehrenden und Lernenden kann daher als Verhältnis der durch diese Akteure wahrgenommenen Potenziale zur Vergabe/Verweigerung von Ressourcen sowie Ausübung von sanktionierenden Handlungen begriffen werden, wobei sich drei Kategorien von Bestimmungsgrößen der relativen Macht eines Akteurs unterscheiden lassen: individuelle, beziehungsprägende sowie institutionelle (Keltner et al. 2003). Vor diesem Hintergrund gehen wir der Frage nach, ob sich ausgewählte Indikatoren solcher Bestimmungsgrößen als prädiktiv für die durch Lehrpersonen wahrgenommene Machtverteilung im Klassenzimmer erweisen.
Die Frage wird auf Basis von Daten beantwortet, die mittels Befragung gewonnen wurden. Die Stichprobe umfasst 139 Lehrpersonen (97 w., 42 m.) mit einem durchschn. Alter von 39.7 Jahren und einer mittleren Berufserfahrung von 11.3 Jahren. 60 Teilnehmende berichten, an einer beruflichen Schule tätig zu sein, 79 sind an einer allgemeinbildenden Schule tätig.
Als abhängige Variablen interessieren die seitens der Lehrpersonen wahrgenommenen relativen Machtpotenziale (MP) (MP aufseiten der Lehrperson, bspw. „Ich kann meine Schüler:innen dazu bringen, das zu tun, was ich will“; MP aufseiten der Schüler:innen, bspw. „Meine Schüler:innen können mich dazu bringen, das zu tun, was sie möchten“), welche als ipsative Werte in die Analyse eingehen. Zudem wurden Charakteristika der Lehrer-Schüler-Beziehung erfasst. In Regressionsanalysen zeigt sich, dass beziehungsbezogene Fairness und Dominanz das lehrpersonenseitige relative MP signifikant positiv vorhersagen, wohingegen Ambivalenz hiermit signifikant negativ assoziiert ist. Lehrpersonen an allgemeinbildenden Schulen schätzen ihr relatives MP verglichen mit Lehrkräften an beruflichen Schulen tendenziell größer ein.
Das Thema Macht erweist sich in pädagogischen Interaktionen als relevanter Untersuchungsgegenstand, den es sich lohnt, in Forschung und Lehrpersonenbildung zu thematisieren. Hierbei sind bspw. Elemente einer professionellen Beziehungsgestaltung und Macht(a)symmetrien zugunsten/zulasten der Lehrenden wie auch der Lernenden auf Basis theoretisch fundierter und empirisch überprüfter Kriterien denkbar.
Berufsbildung im Spannungsfeld von ökonomischer Nützlichkeit, Fachanforderung und Autonomieanspruch am Beispiel hybrider Ausbildungsmodelle
Ragutt, Frank; Fink, Miriam; Herzog, Sonja
Technische Universität Dortmund, Deutschland
Der gewachsene Autonomieanspruch der heutigen Jugend sowie das verbriefte Recht des
Individuums auf Autonomie der Berufswahl stehen dem ökonomischen und fachlichen Anforderungen der Unternehmen mitunter spannungsreich gegenüber. Der vorgeschlagene Beitrag thematisiert thesenhaft Aspekte zu diesem Spannungsfeld im Rahmen eines Modells, das im laufenden InnoVET-Projekts „Bedarfsorientierte Bildungswege in der Chemie “
(BBChemie) entwickelt und aktuell erprobt wird. Auf Basis der qualitative n Handlungsforschung hat die wissenschaftliche Begleitung Interviews mit verschiedenen Status-
und Beteiligungsgruppen durchgeführt, die an dem Modellversuch teilnehmen. Das Modell erprobt für die IT-Ausbildung einen dreifach qualifizierenden Bildungsgang. Dieser Bildungsgang bietet IT-affinen Aspirant*innen mit Hochschulreife vor dem üblichen Weg in ein hochschulisches Studium einen vorhochschulischen Lern- und Erkundungsrahmen an.
Anlass des Modellversuchs ist der hohe Studienabbruch in der IT, den man mit hybriden Bildungsgängen zu reduzieren erhofft. Die sogenannten Azubi:Studis durchlaufen in diesem Modell im Status des Auszubildenden eine einjährige Lernphase, an dessen Ende sie die Entscheidung für oder gegen ein Studium, für oder gegen ein Duales Studium oder für oder
gegen eine Duale Ausbildung treffen müssen. Der Entscheidungs- und Reifeprozess wird begleitet durch ein personenzentriertes Laufbahncoaching. DasModell wird von einem privaten Bildungsdienstleister entwickelt und dient, neben den Lerninteressen und den Entscheidungen des Individuums, auch einem unternehmerischen Interesse. Unter dem Aspekt der Frage des
Zugriffs auf den Autonomieanspruch des Lernenden werden ausgewählte Aspekte zur Diskussion gestellt, die die Freiheit des lernenden Individuums im Rahmen des Modells gegebenenfalls gefährden könnten. Folgende Fragen sind für die wissenschaftliche Begleitung dabei von Interesse: Inwiefern erweitern oder begrenzen die Strukturen des Modells das
Individuum in der freiheitlichen Konstruktion des eigenen Lernweges? Welche Rolle spielen dabei die unterschiedlichen Interessen der Agierenden (Bildungsdienstle ister, Staat, Kundenunternehmen, Berufsschule usw.)? Und welche ethischen und pädagogischen Auftrag unterliegt dabei das Laufbahncoaching und was heißt das für dessen Struktur und Organisation?
Zu erwarten sind Ergebnisse als Beitrag zu einer kritischen, bildungstheoretisch-fundierten Berufsbildungsforschung.
Zusammenhänge zwischen der Macro-Scaffolding Qualität und selbstreferentiellen Schüler:innen-Outcomes
Herbert, Benjamin; Hermkes, Rico; Heuer-Kinscher, Manon; Minnameier, Gerhard
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland
Schüler:innen Freiheiten und Verantwortung im Lernprozess zu übertragen erfordert Fingerspitzengefühl. Scaffolding adressiert diese Herausforderung und bezeichnet eine Form adaptiver Lernunterstützung, die einerseits die Freiheiten im Lernprozess einschränkt, andererseits den Lernenden so viel Autonomie und Selbstständigkeit wie möglich belässt. Als Macro-Scaffolding wird dabei das angemessene Aufeinanderfolgen der Lerninhalte und -schritte im Gesamtlernprozess bezeichnet (Hermkes, Minnameier & Heuer-Kinscher, 2022). Eine qualitative Einschätzung von Macro-Scaffoldings kann im Sinne eines konstruktivistischen Lehr-Lern-Verständnis geschehen, wonach Lernprozesse der Schüler:innen dann unterstützt werden, wenn das Macro-Scaffolding einer Unterrichtsstunde kohärent und adaptiv ist (Herbert et al. eingereicht).
Empirische Befunde zur Wahrnehmung der Macro-Scaffolding Qualität durch Schüler:innen sowie potentielle Wirkungen von Macro-Scaffolding auf Zielkriterien von Unterricht, liegen bislang nur eingeschränkt vor. Jedoch lassen sich Hypothesen aus konstruktivistischen und kognitiven Lerntheorien sowie aus empirischen Befunden zu Wirkungen verschiedener Unterrichtsqualitätsmerkmale ableiten. Daran anknüpfend untersucht der vorliegende Beitrag drei Hypothesen: Schüler:innen berichten für Unterrichtsstunden mit adaptivem und kohärentem Macro-Scaffolding (H1) eine geringere kognitive Belastung, (H2) ein ausgeprägteres Autonomieerleben und (H3) ein ausgeprägteres Kompetenzerleben.
Als Datengrundlage dienen 21 Unterrichtsstunden aus dem Berufsschulunterricht zum Thema quantitativer und qualitativer Angebotsvergleich, deren Macro-Scaffolding hinsichtlich der Qualitätskriterien Adaptivität und Kohärenz ausgewertet und über manifeste Mehrebenen-Regressionsmodelle mit Skalen aus Schüler:innenbefragungen (n=330) in Beziehung gesetzt wurde.
Die geplanten Analysen liefern erste empirische Erkenntnisse zu Zusammenhängen der Macro-Scaffolding Qualität mit kognitiven, motivationalen und emotionalen Lern-Outcomes. Sie tragen damit zur Identifikation lernförderlicher Vorgehensweisen bei der Gestaltung von Unterricht bei und sind folglich auch für Lehrpersonen bedeutsam.
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