Schulen der wirtschaftsberuflichen Bildung im Umgang mit dem Lernfeldparadoxon – eine qualitativ-empirische Exploration didaktischer Jahresplanungen
Hantke, Harald1; Pranger, Jan2
1Leuphana Universität Lüneburg, Deutschland; 2Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Deutschland
Der Lernfeldansatz als ordnungspolitische Rahmensetzung für didaktische Jahresplanungen und Unterrichtsgestaltung an Schulen der dualen Berufsausbildung basiert mit Blick auf die dahinterliegenden Bildungsvorstellungen auf zwei Perspektiven. So verfolgt der Lernfeldansatz einerseits auf konzeptioneller Ebene den Anspruch, dass die Lernenden „zur nachhaltigen Mitgestaltung der Arbeitswelt und der Gesellschaft in sozialer, ökonomischer, ökologischer und individueller Verantwortung“ (KMK 2021, 14) befähigt werden sollen. Hinter diesem Anspruch verbirgt sich eine Bildungsvorstellung, die auf eine selbstbestimmtere Persönlichkeitsentwicklung der Lernenden im Kontext gesellschaftlicher Problemlagen abzielt. Andererseits zeigt sich auf curricularer Ebene, dass diese Bildungsvorstellung enggeführt wird in Richtung einer Bildungsvorstellung im Sinne einer Qualifizierung für ein Handeln in beruflichen Situationen (vgl. Fischer und Hantke 2019, 94). Kurz gesagt stehen sich auf Ebene der Curriculumproduktion ein gesellschaftlicher Bildungsanspruch einem berufssituativen Qualifikationsanspruch gegenüber. Schulen und Lehrkräfte der wirtschaftsberuflichen Bildung sind somit dazu herausgefordert, bei der Erarbeitung von didaktischen Jahresplanungen bzw. Unterricht – also auf Ebene der Curriculumrezeption – mit diesen beiden sich paradox gegenüberstehenden ordnungspolitischen Anforderungen umzugehen.
Vor diesem Hintergrund setzt sich dieser Beitrag mit der Frage auseinander, wie Schulen der wirtschaftsberuflichen Bildung mit diesem so genannten Lernfeldparadoxon im Rahmen ihrer didaktischen Jahresplanungen umgehen.
Zur (vorläufigen) Beantwortung dieser Frage werden exemplarische didaktische Jahresplanungen von Wirtschaftsberufsschulen qualitativ-inhaltsanalytisch (vgl. Kuckartz 2012) im Hinblick auf die Kategorien „Bildungsgegenstand“, „Bildungsziele“, „Strukturprinzipien“, „Wissenschaftsbezüge/Disziplinarität“, „Weltbild“, „Akteur“, „Wirtschaftliches Handeln“ und „Wissensformen“ (vgl. Hedtke 2014, 112) analysiert. Mit diesem Vorgehen wird die Betrachtung des auf Ebene der Curriculumproduktion identifizierten Lernfeldparadoxons erweitert auf die makrodidaktische Ebene der Curriculumrezeption. Hierdurch soll übergeordnet verdeutlicht werden, inwiefern die Schulen, deren didaktische Jahresplanungen analysiert werden, auf makrodidaktischer Ebene eher einen gesellschaftlichen Bildungsanspruch oder einen berufssituativen Qualifikationsanspruch verfolgen.
Messung von Tax Literacy: Ein Scoping Review
Vonhof, Clara; Aprea, Carmela
Universität Mannheim, Deutschland
Das Konzept der Tax Literacy gewinnt in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung. Laut OECD1 kann höhere Tax Literacy sowohl zu einem besseren Verständnis des Steuersystems beitragen als auch das Verantwortungsbewusstsein der Bevölkerung gegenüber dem Staat stärken. Zur Förderung von Tax Literacy ist jedoch die Schaffung von geeigneten Bildungsmöglichkeiten wichtig. Eine Voraussetzung hierfür ist die Erhebung des Lernstands, was wiederum ein inhaltlich und forschungsmethodisch adäquates Messkonzept erfordert. Hier setzt die präsentierte Studie an und adressiert folgende Fragen: 1) Wie und seit wann wird Tax Literacy im internationalen Kontext gemessen? 2) Welche Arten der Datenerhebung werden verwendet und welche Inhaltsbereiche/Wissensarten werden von den verschiedenen Testinstrumenten erfasst? 3) Wie ist die Qualität der vorhandenen Instrumente?
Die Studie folgt dabei den methodischen Richtlinien eines Scoping Reviews2. Im Rahmen einer breit angelegten, schlagwortbasierten Datenbanksuche kombiniert mit Snowballing wurden 31 Studien identifiziert. Aufnahmekriterien stellen unter anderem die Sprache (Englisch & Deutsch), der Fokus auf Tax Literacy und nicht Tax Knowledge sowie die Beschreibung eines (neuen) Messinstruments der Tax Literacy dar.
Die untersuchten Studien reichen von 2004 bis heute. Auffallend ist, dass die Zahl der Studien im Laufe der Jahre zugenommen hat und mittlerweile verschiedene Bevölkerungsgruppen weltweit betrachtet werden. In forschungsmethodischer Hinsicht dominieren quantitative Erhebungsinstrumente in Form von Fragebögen, die mithilfe von objektiven Testaufgaben das Tax Literacy Niveau überprüfen. Seltener kommen Mixed-Methods-Designs bzw. qualitative Erhebungsstrategien mit offenen oder semi-strukturierten Fragen zum Einsatz. Der inhaltliche Schwerpunkt der inkludierten Messinstrumente liegt auf generellem Steuerwissen zum Steuersystem, verschiedenen Steuerarten und der Erläuterung von Grundbegriffen. Neben einer oftmals fehlenden Beschreibung des Prozesses der Fragebogengestaltung erfolgt lediglich bei zwölf Messinstrumenten eine Überprüfung hinsichtlich der Gütekriterien des Messinstruments.
Durch diese erste Systematisierung können derzeitige Grenzen bzw. Forschungslücken identifiziert und wichtige Aspekte hervorgehoben werden. Damit leistet diese Studie auch einen Beitrag zur Entwicklung eines Messinstruments der Tax Literacy.
Visuelle Aufmerksamkeit beim Lösen von ökonomischen Single-Choice-Aufgaben mit dynamischen Grafiken - Eine Eye-Tracking-Studie
Mayer, Christian W.1; Findeisen, Stefanie2; Guggemos, Josef3; Seifried, Jürgen1
1Universität Mannheim, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik – Berufliches Lehren und Lernen (Prof. Dr. Jürgen Seifried); 2Universität Konstanz, Tenure-Track-Professur für Wirtschaftspädagogik; 3Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd, Juniorprofessur Digitalisierung in der beruflichen Bildung
Grafiken veranschaulichen Konzepte und Beziehungen in der Regel anschaulicher als beispielsweise Formeln. Sie unterstützen den Aufbau mentaler Modelle und spielen eine wichtige Rolle beim multimedial gestützten Lernen (Mayer, 2010; Schnotz & Bannert, 2003). In den Wirtschaftswissenschaften werden Diagramme häufig zur Veranschaulichung der Beziehung von Angebot und Nachfrage herangezogen. Die Funktionen von Angebot und Nachfrage werden jeweils als Linie (oder Kurve) in einem linearen Diagramm dargestellt, das einen Markt für Waren oder Dienstleistungen mit Preisen und Mengen abbildet. Eine grafische Darstellung hilft dabei, die Auswirkungen unterschiedlicher Marktbedingungen auf Marktgleichgewichte, Preise und Mengen zu visualisieren (Cohn & Cohn, 1994). Lernprozessen mit Grafiken wird besonders hohes Potenzial zugeschrieben, wenn Lernende Grafiken interaktiv und dynamisch verändern können, beispielsweise durch Veränderung der Elastizitäten oder Simulierung von Schocks mittels Drag-and-Drop. Im MINT-Bereich ist der Aufbau von Verständnis mit Grafiken ein häufig untersuchter Forschungsbereich, wobei die visuelle Aufmerksamkeit mittels Eye-Tracking analysiert wird (z. B. Klein et al., 2019; Tsai et al., 2011). Ungeachtet der Relevanz von Grafiken für die ökonomische Bildung liegen nur wenige Forschungsarbeiten vor. Unsere Studie setzt hier an und untersucht die visuelle Aufmerksamkeit beim Lösen von Single-Choice-Aufgaben mit dynamischen Grafiken (n = 32; Studierende der Wirtschaftspädagogik) mittels Eye-Tracking (Holmqvist et al., 2011). Die Teilnehmenden bearbeiten eine digitale Lernumgebung, welche sowohl dynamische als auch statische Grafiken enthält. In Anlehnung an die Cognitive Theory of Multimedia Learning (Mayer, 2009; Sweller et al., 2019) und Studien aus dem MINT-Bereich (z. B. Tai et al., 2006) gehen wir davon aus, dass Teilnehmer:innen mit geringem domänenspezifischen Vorwissen mehr Transitionen zwischen Areas of Interest (AOIs) und eine insgesamt niedrigere Leistung zeigen als Teilnehmer/innen mit hohem Vorwissen. Wir erwarten signifikante Unterschiede in der visuellen Aufmerksamkeit in Abhängigkeit der jeweils gewählten Stimuli (Darstellungsform: statisch vs. dynamisch) sowie der individuellen Dispositionen (Vorwissen: hoch vs. niedrig) zeigen. Erste Auswertungen verweisen beispielsweise auf eine statistisch signifikante Interaktion zwischen Darstellungsform und Vorwissen auf die durchschnittliche Fixationsdauer (F(1, 31) = 150,97, p < 0,05).
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